Zweite Chance für die Liebe?

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Die Männer liegen der berühmten Schauspielerin Lily Wild zu Füßen. Nur einer nicht: der gut aussehende Anwalt Tristan Garrett. Einst war Lily unsterblich in ihn verliebt. Aber nach einem einzigen unvergesslichen Kuss wies er sie unvermittelt zurück. Und seitdem scheint Tristan nur das Schlechteste von ihr zu denken. Sein Blick ist vernichtend, als er sie jetzt am Londoner Flughafen aus Polizeigewahrsam auslöst, weil sie fälschlich als Schmugglerin verdächtigt wurde. Doch ausgerechnet in diesen dunklen Stunden bekommt Lily unverhofft die Chance, sein Herz zurückzugewinnen …


  • Erscheinungstag 14.05.2013
  • Bandnummer 2075
  • ISBN / Artikelnummer 9783954465286
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Soll das ein schlechter Witz sein, Jordana?“ Tristan Garrett stand in seiner Kanzlei im zehnten Stock und wandte sich vom Blick über die Themse zu seiner jüngeren Schwester um. Sie saß mit übergeschlagenen Beinen vor seinem Schreibtisch, elegant und makellos zurechtgemacht, und sah keineswegs wie die hysterische Verrückte aus, nach der sie klang.

„Als ob ich über etwas so Ernstes Witze reißen würde!“ Jordanas jadegrüne Augen – dieselbe Farbe wie seine – waren weit aufgerissen und voller Sorge. „Ich weiß, es scheint undenkbar, aber es stimmt. Wir müssen ihr helfen!“

Nun, undenkbar schien es ihm keineswegs, nur wusste Tristan auch, dass seine Schwester den Hang hatte, Gutes in anderen zu sehen, wo absolut nichts Gutes zu finden war. Er drehte sich wieder zum Fenster zurück und blickte auf die Fußgänger hinunter, die die milde Septembersonne im Moment sicherlich mehr genossen als er. Er sah seine kleine Schwester nur ungern so aufgewühlt und verfluchte die sogenannte Freundin, die für ihre Tränen verantwortlich war.

Jordana kam zu ihm ans Fenster, und er legte den Arm um ihre Schultern. Was sollte er ihr sagen, um sie zu beruhigen? Dass die Freundin, der sie so unbedingt helfen wollte, es nicht wert war? Dass jeder, der dumm genug war zu versuchen, aus Thailand Drogen einzuschmuggeln, es verdient hatte, hinter Gittern zu landen?

Normalweise würde er seiner Schwester ohne zu zögern helfen, doch in diesem Fall würde er den Teufel tun, sich in dieses Fiasko hineinziehen zu lassen. Und er würde dafür sorgen, dass auch Jordana nicht hineingezogen wurde. „Jo, das ist nicht dein Problem. Du wirst dich da nicht einmischen.“

„Ich …“

Er hob die Hand, duldete keine Widerrede. „Wenn diese Geschichte stimmt, kann ich dazu nur sagen, dass sie sich das selbst eingebrockt hat. Darf ich dich daran erinnern, dass es bis zur Hochzeit des Jahres nur noch acht Tage sind? Oliver wird nicht gutheißen, dass du dich da hineinziehen lässt. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass der griechische Prinz gern eine Drogenkonsumentin als Tischnachbarin hätte, ganz gleich, wie schön sie sein mag.“

Jordana presste die Lippen zusammen. „Oliver wird wollen, dass ich das Richtige tue. Und was meine Hochzeitsgäste denken, ist mir gleich. Ich werde Lily helfen.“

Tristan schüttelte den Kopf. „Warum willst du das riskieren?“

„Sie ist meine beste Freundin.“

Das überraschte ihn. Er hatte gedacht, die Freundschaft sei schon vor Jahren eingeschlafen. Allerdings … wieso war Lily dann Jordanas Brautjungfer? Die Frage hätte er wohl schon vor zwei Wochen stellen sollen, als er gehört hatte, dass Lily zur Hochzeit eingeladen war. Doch vorerst gab es wichtigere Dinge zu klären. „Wann hast du mit ihr gesprochen?“

„Habe ich nicht. Der Zoll rief an. Sie hatte einen Beamten gebeten, mich zu benachrichtigen, dass sie es nicht schaffen wird und … Oh Tristan, wenn wir ihr nicht helfen, sperrt man sie ins Gefängnis.“

Tristan strich sich eine Locke aus der Stirn. Es wurde Zeit, deutlicher mit seiner kleinen Schwester zu werden. „Für sie ist es wahrscheinlich das Beste. Dort wird man ihr helfen.“

„Das meinst du nicht ernst!“

Nicht? Ehrlich gesagt, er war sich nicht sicher. Was er allerdings wusste, war, dass der Morgen gut begonnen hatte, bevor Jordana in seine Kanzlei geplatzt war und Erinnerungen an ein Mädchen geweckt hatte, an das er lieber nicht dachte.

Honey Blossom Lily Wild, soeben erst zur „Sexiest Woman Alive“ gewählt und berühmte Schauspielerin. Filme interessierten ihn nicht besonders, aber er hatte ihren ersten gesehen – irgendein wirres Endzeitspektakel eines frühreifen Regisseurs. An den Inhalt konnte er sich nicht genau erinnern, aber welcher Mann würde das schon können, wenn Lily praktisch in jeder Szene in knappem T-Shirt und noch knapperen Shorts zu sehen war? Der Film lieferte den Beweis, dass die Kultur sich auf dem Rückzug befand, und Leute wie Lily Wild trugen zu fünfzig Prozent die Verantwortung dafür.

Er und sein Vater hatten die Freundschaft zwischen den Teenagerinnen toleriert, weil Jordana glücklich war. Doch Tristan hatte Lily schon als schlaksige Vierzehnjährige nicht gemocht. Schon damals hatte sie einen Hochmut an den Tag gelegt, der mehr als unangebracht für ihr Alter gewesen war, und sie hatte ihre Drogen unter Jordanas Matratze versteckt. Hätte er damals etwas zu sagen gehabt, hätte seine Schwester sofort das Internat gewechselt.

Mit einem stillen Seufzer kehrte er an seinen Schreibtisch zurück. „Jo, ich habe zu arbeiten. In einer halben Stunde muss ich zu einem Meeting.“

„Ich weiß, dass du gegen Drogen bist, Tristan, aber Lily ist unschuldig.“

„Und woher weißt du das?“

„Ich kenne Lily. Sie hasst Drogen.“

„Vergisst du da nicht etwas? Die Party an deinem achtzehnten Geburtstag? Und dass ich sie mit einem Joint erwischt habe, als sie noch vierzehn war? Ganz zu schweigen von den Fotos in der Presse, auf denen sie komplett high ist.“

Jordana schüttelte den Kopf. „Die Fotos sind manipuliert. Die Presse jagt sie schon ihr ganzes Leben – wegen ihrer Eltern. Gerade deshalb ist sie viel zu vernünftig, um sich auf Drogen einzulassen.“

„Und weil sie ach so vernünftig ist, gab es auch den Skandal zu deinem Achtzehnten, oder was?“

Jordana verdrehte die Augen. „Das war alles ganz anders, als es ausgesehen hat. Das eine dumme Foto …“

„Das eine dumme Foto“, fiel er ihr ins Wort, „hätte deinen Ruf zerstört, wenn ich nicht eingegriffen hätte.“

„Du meinst, wenn du Lily nicht die Schuld zugeschoben hättest.“

„Lily war schuld!“ Wut und Ärger von vor sechs Jahren meldeten sich erneut. Doch Tristan war niemand, der sein Temperament die Oberhand gewinnen ließ. „Vermutlich hätte ich ihren Stiefvater schon beim ersten Mal unterrichten sollen, dann würde sie heute vielleicht nicht in diesen Schwierigkeiten stecken.“

Jordana senkte den Blick. „Du hast mir nie Gelegenheit zu einer Erklärung gelassen. Was, wenn der Joint damals gar nicht ihr gehörte? Was, wenn es meiner gewesen wäre?“

Tristan schnaubte. Er hatte keine Zeit für diesen Unsinn, trotzdem zog er Jordana in seine Arme. Seine Schwester wollte ihre Freundin verteidigen, und dafür liebte er sie umso mehr. Aber so viel Loyalität hatte die leichtlebige Blondine gar nicht verdient. „Du nimmst die Schuld auf dich, weil du sie beschützen willst. Das ändert jedoch nichts daran, dass sie nichts als Schwierigkeiten macht. Soll ihr Stiefvater ihr helfen.“

Jordana schluchzte an seiner Brust. „Sie haben sich nie wirklich nahegestanden. Bitte, Tristan! Der Beamte, mit dem ich heute Morgen gesprochen habe, meinte, dass man sie an Thailand ausliefern wird. Das darf ich nicht zulassen!“

Still fluchend musste er zugeben, dass auch er sich nur ungern vorstellte, wie die schöne Lily Wild in einem thailändischen Gefängnis dahinsiechte. „Jo, ich bin Fachanwalt für Gesellschaftsrecht, und nicht für Strafrecht.“

„Aber irgendetwas musst du doch tun können!“

Er ließ seine Schwester los und trat einen Schritt zurück. Unwillkommene Bilder von Lily Wild stürzten auf ihn ein. Seit Jahren schon suchte sie ihn in seinen Träumen heim. Er schloss die Augen, um die automatische Reaktion seines Körpers zu unterbinden, doch das machte es nur schlimmer. Jetzt stand ihm nicht nur ihr Bild vor Augen, sondern er meinte sogar, ihren Duft riechen zu können. Und als Jordana die Hand auf seinen Arm legte, glaubte er für einen Moment tatsächlich, es wäre Lily.

Er fluchte leise. „Jo, vergiss Lily Wild und konzentrier dich auf deine Hochzeit.“

Jordana hob kämpferisch den Kopf. „Wenn Lily nicht dabei ist, findet die Hochzeit nicht statt!“

„Jetzt wirst du melodramatisch.“

„Und du bist grausam. Lily wird zu Unrecht beschuldigt.“

„Die Frau ist auf frischer Tat ertappt worden!“

In Jordanas Miene lag plötzlich tiefer Schmerz. So tief, wie er ihn das letzte Mal bei der Beerdigung ihrer Mutter gesehen hatte. Damals hatte er sich geschworen, dass seine kleine Schwester nie wieder so leiden sollte, dass er alles tun würde, damit sie glücklich sein konnte.

Doch sie verlangte das Unmögliche.

„Tristan, ich weiß, du hasst Drogen – wegen Mum. Aber Lily ist nicht so. Sonst setzt du dich doch auch sofort für die gute Sache ein.“

Ein Muskel zuckte in seiner Wange. „Das ist der springende Punkt – eine drogenabhängige Schauspielerin lässt sich nicht als ‚gute Sache‘ bezeichnen.“

Jordana sah ihn entsetzt an, so als hätte er einen unschuldigen Welpen getreten, und er wusste, dass er geschlagen war. Er konnte nicht zulassen, dass seine Schwester so schlecht von ihm dachte. Außerdem ging ihm das grauenvolle Bild von Lily in einer thailändischen Gefängniszelle nicht aus dem Kopf.

Er stieß die Luft aus. „Das ist ein Riesenfehler, das weiß ich schon jetzt. Und mach dir bloß keine großen Hoffnungen. Gut möglich, dass ich nichts ausrichten kann.“

„Oh Tristan, du bist der beste Bruder, den man sich wünschen kann! Soll ich mitkommen?“ Fast jubelte Jordana, so glücklich und erleichtert war sie.

In Gedanken ging Tristan bereits die notwendigen Schritte durch, deshalb dauerte es einen Moment, bis er Jordanas Frage registrierte. „Auf keinen Fall.“ Seine kleine Schwester, die sich in alles einmischte, konnte er dabei überhaupt nicht gebrauchen. „Ich lasse dich wissen, sobald es etwas Neues gibt. Geh zurück zu deinen Hochzeitsvorbereitungen und überlass die Sache mir. Ich werde mich um das Debakel kümmern, in das du uns beide hineinziehst.“

Er merkte kaum, dass sie ihm einen Kuss auf die Wange drückte und sein Büro verließ, während er seiner Sekretärin bereits Anweisungen gab. „Kate, verschieben Sie mein Nachmittagsmeeting und holen Sie mir Stuart Macintyre ans Telefon. Ich muss ihn dringend sprechen.“

Mit einem Seufzer lehnte er sich in seinem Stuhl zurück. Er musste verrückt geworden sein.

Lily Wild sorgte immer für Schwierigkeiten. Und sollte das Bild, wie sie sich an Jos achtzehntem Geburtstag über einen Kokainhaufen auf dem antiken Schreibtisch seines Vaters beugte, als Beweis nicht ausreichen, dann tat es der heutige Versuch, Drogen durch den Zoll von Heathrow zu schmuggeln, auf jeden Fall.

Damals auf der Party hatte Lily nicht zugegeben, dass sie Drogen nahm. Sie hatte ihn nur mit ihrem typisch hochmütigen Lächeln bedacht, und er hatte rotgesehen. Danach war er für keine Erklärung mehr zugänglich gewesen. Wozu auch? Seiner Erfahrung nach waren alle Drogenkonsumenten aus eigener Sicht so unschuldig wie die Lämmer.

Was ihn an jenem Abend jedoch viel mehr aufgewühlt hatte, war der Blick, mit dem sie ihn aus ihren veilchenblauen Augen ansah. Als wäre er der einzige Mann auf der Welt für sie. Und er – Narr, der er war – wäre fast darauf hereingefallen.

Er hatte mit ihr getanzt, hatte sie in seinen Armen gehalten, hatte sie geküsst … Es nagte noch immer an ihm, dass er fast die Kontrolle verloren hatte. Aber sie hatte so süß geschmeckt, sich so warm und weich angefühlt, so gut …

Fluchend schüttelte Tristan den Kopf. Anstatt sich an ihren Geschmack zu erinnern, sollte er besser an die Gruppe jugendlicher Randgestalten denken, die er im Arbeitszimmer seines Vaters mit gut einem Pfund Kokain erwischt hatte. Zehn Minuten hatte es gedauert, um die Party aufzulösen und jeden außer seiner Schwester hinauszuwerfen, vierundzwanzig Stunden, um die Fotos von Jordana, die jemand mit dem Handy aufgenommen und ins Internet gestellt hatte, zu löschen.

Lilys Geschmack jedoch war wesentlich langlebiger.

Unruhig setzte Lily sich auf dem harten Plastikstuhl um, auf dem sie die letzten vier Stunden und siebzehn Minuten verbracht hatte, und fragte sich, wann dieser Albtraum endlich vorbei sein würde. Im Moment war sie allein in dem kahlen Raum, über den jeder Regisseur einer Polizei-Realityserie in wahre Begeisterungsstürme ausgebrochen wäre.

Heute früh war sie ebenso nervös gewesen – allerdings vor freudiger Aufregung, zum ersten Mal nach sechs Jahren wieder in ihre Heimat England zurückzukehren.

Die Schlange am Zoll hatte sich nur zäh vorwärtsgeschoben, und sie war gerade an der Passkontrolle angekommen, als der Beamte hinter der Glasscheibe sie zu den beiden Uniformierten mit den Rauschgifthunden weiterleitete. Sie hatte sich nichts dabei gedacht, Stichproben gehörten nun mal zum üblichen Prozedere. Mit ihren Gedanken war sie schon bei dem Wiedersehen mit Jordana gewesen. Sie hoffte, dass das Hochzeitsgeschenk aus Thailand Oliver und ihr gefallen würde. Und sie freute sich auf die wohlverdiente Pause.

Dann hatte einer der Polizisten einen Plastikbeutel aus ihrer Handtasche gezogen und gefragt, ob der ihr gehöre. An einen solchen Beutel konnte sie sich beim besten Willen nicht erinnern.

„Ich weiß es nicht“, hatte sie ehrlich geantwortet.

„Dann muss ich Sie bitten, mitzukommen.“

Und so saß sie nun hier in dem kleinen Zimmer und fragte sich, wohin die beiden Zöllner verschwunden waren. Nicht, dass sie sie vermisste, vor allem den jüngeren nicht, der nur auf ihren Busen gestarrt und ihr angedroht hatte, sie nach Thailand abzuschieben, wenn sie nicht kooperiere.

Lachhaft! Seit man sie aus der Reihe gezogen hatte, tat sie nichts anderes als kooperieren! Ja, die Tasche gehörte ihr. Nein, sie hatte sie nicht unbeaufsichtigt gelassen. Ja, ein Freund war bei ihr im Hotelzimmer gewesen, als sie gepackt hatte. Nein, sie hatte nicht gesehen, dass er an ihre Sachen gegangen wäre. Und nein, die kleinen Plastiksäckchen mit Ecstasy und Kokain gehörten definitiv nicht ihr!

Stundenlang hatte man sie nach jedem ihrer Schritte befragt, bis sie nicht mehr wusste, wo rechts und links war. Dann waren die beiden gegangen, vermutlich, um sich mit den anderen hinter der Spiegelscheibe zu beraten.

Wahrscheinlich verdächtigten sie jetzt Jonah Loft, einen aus der Filmcrew, weil er als Letzter bei ihr im Zimmer gewesen war. Sie hatte Jonah in einem Drogenentzugszentrum in New York getroffen, in dem sie ehrenamtlich arbeitete. Bestimmt würde man schnell herausfinden, dass er einmal ein Drogenproblem gehabt hatte. Doch er war schon lange clean. Lily hatte ihm eine Chance geben wollen und ihn in die Filmcrew geholt. Nein, Jonah würde ihr so etwas nicht antun, ganz bestimmt nicht.

Vier Stunden und achtundzwanzig Minuten. Lily seufzte. Ihre Beine waren inzwischen taub. Sie massierte sich die Schläfen. Ob sie wohl aufstehen und im Zimmer umherlaufen durfte? Sie hoffte nur, dass Jordana verständigt worden war, sonst würde sie sich Sorgen machen. Obwohl … wenn sie den Grund erfuhr, weshalb Lily festgehalten wurde, würde sie sich noch mehr sorgen. Lily schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass Jordana nicht auf die Idee kam und ihren großen Bruder um Hilfe bat.

Das war das Letzte, was sie brauchte – dass der verboten gut aussehende Tristan Garrett von ihrer misslichen Lage erfuhr. Sicher, es hieß, er sei einer der besten Anwälte weltweit, aber Lily hatte nur unangenehme Erfahrungen mit ihm gemacht – außer den magischen zehn Minuten damals auf Jordanas Geburtstagsparty.

Er hatte ihre ganze Welt auf den Kopf gestellt. Erst hatte er sie geküsst, dann den Rest des Abends ignoriert. Und schließlich war er in das Arbeitszimmer seines Vaters geplatzt, als sie gerade die Beweise der kleinen Privatparty beseitigen wollte, und hatte genau die falschen Schlüsse gezogen.

Er hatte sie für die Schuldige gehalten und sie – und „ihresgleichen“ – hinausgeworfen. Sie war am Boden zerstört gewesen … genau wie ihre Teenagerfantasien, dass er der Mann ihres Lebens sein könnte.

Rückblickend fragte sie sich, wie sie sich das je hatte einbilden können. Sie beide stammten aus völlig verschiedenen Welten. Er war abgestoßen von ihr, dem einzigen Kind eines berüchtigten Rockstarpärchens, gestorben an einer Überdosis.

Sosehr sie selbst ihre Herkunft verachtete, hatte sie sich einen Satz ihres Vaters doch zu Herzen genommen: „Lass sie nie merken, dass es dir etwas ausmacht, Honeybee.“ Natürlich hatte er damit die Kritiken über seine Musik gemeint, doch dieser Rat hatte ihr oft geholfen, wenn wieder einmal der nächste Skandal um ihre Eltern anstand oder die Spekulationen über sie selbst hochkochten.

Die Tür ging auf, und der jüngere Officer kam dreist grinsend zurück in den Raum. „Sie haben wirklich Glück, Miss Wild. Sieht aus, als könnten Sie gehen.“

Lilys Miene blieb reglos, auch als der Beamte sich ihr gegenübersetzte und einen Stapel Papiere auf den Tisch legte. Und schon wieder starrte er ihr unverschämt auf den Ausschnitt. Der Typ gefiel sich in seiner Autoritätsrolle, nur war ihm offensichtlich nicht klar, dass sein Möchtegern-Rambo-Gehabe und der kurze Bürstenhaarschnitt ihn nicht männlich, sondern lächerlich wirken ließen. Doch selbst wenn er den Schliff eines Prince Charming an den Tag gelegt hätte – Lily war nicht interessiert. Sie mochte Liebesfilme drehen, doch sie glaubte nicht an solche Märchen. Nicht nach den Erfahrungen ihrer Mutter mit Johnny Wild.

„Sie haben richtig gehört“, feixte der Mann, als sie nichts erwiderte. „Ihr Stars kennt immer jemanden, der jemanden kennt, der jemanden kennt, und dann ist alles wieder in bester Ordnung. Ich hätte Sie ja nach Thailand zurückgeschickt und Sie mit denen da drüben die Suppe auslöffeln lassen. Glück für Sie, Lady, dass ich das nicht zu entscheiden habe.“

Dem Himmel sei Dank! Trotzdem würdigte sie ihn keiner Reaktion.

„Unterschreiben Sie.“ Er schob ihr die Papiere zu.

„Was ist das?“

„Die Bedingungen für Ihre Freilassung.“

Mit klopfendem Herzen beugte Lily sich über die Dokumente. Als die Tür ein zweites Mal aufging, sah sie gar nicht auf. Das musste der zweite Beamte sein. Doch dann drang eine tiefe und sehr verärgerte Stimme an ihr Ohr, und ihr stockte der Atem.

„Das hat alles seine Ordnung, Honey, also unterschreib, damit wir hier rauskommen.“

Diese Stimme würde sie überall erkennen. Sie kniff die Augen zusammen und betete, dass sie sich irrte. Doch als sie aufsah, wusste sie, dass der Albtraum dieses Tages noch nicht vorbei war. Das Schlimmste stand ihr noch bevor.

Jordana hatte ihre Nachricht also erhalten, doch leider hatte die Freundin genau das getan, wovor Lily sich am meisten gefürchtet hatte: Jo hatte ihren großen Bruder Tristan alarmiert.

2. KAPITEL

Lord Garrett, Viscount Hadley, der zukünftige Zwölfte Duke of Greythorn, stand vor Lily und funkelte sie wütend an.

„Tristan“, hauchte sie völlig unnötigerweise. Er schien noch größer und beeindruckender zu sein, als sie in Erinnerung hatte. Der anthrazitfarbene Maßanzug betonte seine muskulöse Statur, das braune wellige Haar verlieh ihm etwas Ungezähmtes und umrahmte ein Gesicht mit aristokratischer Nase und markantem Kinn. Ihr Blick haftete einen Moment auf seinem schön geschwungenen Mund, bevor sie in seine grünen Augen sah.

Ein Montblanc-Füller wurde vor sie hingelegt. „Beeil dich, Honey. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.“

Sie hätte ihn gern daran erinnert, dass sie „Lily“ vorzog, doch ihre Kehle war so trocken, dass sie keinen Ton herausbrachte. Als sie nach dem Federhalter griff, stießen ihre Finger an seine. Sie zuckte zusammen, als hätte sie einen elektrischen Schlag bekommen. Hektisch setzte sie ihre Unterschrift auf das Papier. Dann wurde das Dokument auch schon weggezogen, Tristan nahm ihre Tasche von dem Zollbeamten entgegen und steuerte sie mit der Hand an ihrem Rücken zur Tür.

Lily scheute vor der Berührung zurück und rieb sich unwillkürlich die Oberarme.

„Wenn dir kalt ist, solltest du dir mehr anziehen.“ Er musterte sie von oben bis unten. Sein Blick war vernichtend.

Stumm sah sie an sich herab – weißes T-Shirt, schwarze Leggings, schwarze Ballerinas.

„Schon mal was von einem BH gehört?“, fragte er abfällig.

Prompt zogen sich die Spitzen ihrer Brüste zusammen, als sie bemerkte, wohin er schaute. Seine Feindseligkeit erschreckte sie. Aber im Moment hatte sie einfach nicht die Energie, um sich zu verteidigen.

Tristan murmelte etwas, zog sein Jackett aus und legte es ihr um die Schultern. Sofort umgab sie eine männlich duftende Wolke. Ohne ein weiteres Wort fasste er sie am Oberarm und zog sie mit sich Richtung Ausgang, wie ein Vater mit seiner frechen halbwüchsigen Tochter. Lily wollte sich losmachen, wollte Abstand zwischen sie bringen, doch sein Griff wurde nur fester. Sie musste daran denken, wie er früher in die Nachtklubs gestürmt war, um Jordana und sie von den Partys wegzuholen. Meist waren es die Partys ihres Stiefvaters Frank Murphy gewesen, und wenn sie heute zurückblickte, konnte sie nur sagen, dass Tristan das Richtige getan hatte. Damals als Teenager hatte sie natürlich vor Wut geschäumt.

Die großen Schiebetüren zur Ankunftshalle kamen in Sicht. In Gedanken stieß Lily einen erleichterten Seufzer aus. Hoffentlich wartete Jordana auf der anderen Seite, dann konnte Lily sich bei Tristan für seine Hilfe bedanken und brauchte ihn bis zur Hochzeit nicht mehr zu sehen.

Doch ihre Hoffnung verpuffte jäh, als Tristan sie plötzlich in eine der Bars in der großen Halle schob. Außer zwei Geschäftsmännern, die offensichtlich auf ihren Flug warteten, war das Lokal leer. Neben einem der roten Barhocker an der Theke wartete Lily ab, was nun kommen würde. Tristan bestellte zwei Whisky, und erst als die Gläser vor ihnen standen, drehte er sich zu ihr um und taxierte sie mit eisigem Blick.

„Wieso, zum Teufel, tauchst du wieder im Leben meiner Schwester auf?“, fragte er schneidend.

Lily starrte ihn nur stumm an. Die Uhr schien sich um sechs Jahre zurückzudrehen, sie hatte das Gefühl, wieder im Arbeitszimmer seines Vaters zu stehen. Damals hatte er ihr die Schuld für etwas, das sie nicht getan hatte, zugeschoben und sie eine „billige Schlampe“ genannt.

Mit dieser Erinnerung kehrte allerdings auch die an den Kuss zurück, bei dem ihr fast die Sinne geschwunden wären. Auch jetzt reagierte ihr Körper prompt mit einer prickelnden Gänsehaut. Schnell rief sie sich seine rüde Zurückweisung, die auf den Kuss gefolgt war, ins Gedächtnis, um die spontane Reaktion ihres Körpers zu unterdrücken. Wie konnte sie nach so langer Zeit noch immer derart auf jemanden reagieren, der sie so unmöglich behandelt hatte?

Als sie sich das Wiedersehen mit Tristan ausgemalt hatte, da wäre ihr ein Szenario wie dieses hier nie in den Sinn gekommen. Ein wenig hatte sie sogar darauf gehofft, dass sie Freunde werden und zusammen über ihre Teenagerschwärmerei und seinen Irrtum, sie hätte die Kokainparty organisiert und die Fotos ins Internet gestellt, lachen könnten. In diesem Traum hatte sie sich selbst gesehen, wie sie nonchalant abwinkte und sagte: „Oh bitte, das alles ist doch schon so lange her.“

Leider hatte sie bei dieser Fantasie nicht bedacht, dass sie am Londoner Flughafen wegen Drogenbesitzes festgenommen werden könnte.

Jetzt musste sie sich mit aller noch verbliebenen Kraft zusammennehmen, um ihn nicht mit offen stehendem Mund und weit aufgerissenen Augen anzuhimmeln. Still ermahnte sie sich, dass sie kein leicht zu beeindruckender Teenager mehr sei, sondern eine erwachsene Frau. Hatte sie sich nicht vorgenommen, Tristan auf Augenhöhe gegenüberzutreten? Die jugendlichen Fantasien, die sie so oft gequält hatten und an denen sie so viele andere Männer gemessen hatte, endgültig aufzugeben?

„Jordana hat mich zur Hochzeit eingeladen“, erwiderte sie endlich so höflich sie konnte, auch wenn seine rüde Frage eigentlich das genaue Gegenteil von Höflichkeit verdient hätte.

„Ein kapitaler Fehler“, meinte er abfällig. „Ich weiß nicht, was meine Schwester sich dabei gedacht hat.“ Er stürzte den Whisky hinunter, stellte das Glas ab und deutete auf ihres. „Trink. Du siehst aus, als könntest du es gebrauchen.“

„Was ich brauche, ist ein Bett“, murmelte sie und wurde sich erst bewusst, was sie da gesagt hatte, als er eine Augenbraue in die Höhe zog.

„Falls das eine Einladung sein soll“, sagte er spöttisch, „vergiss es.“

Einladung?! Sie schnappte empört nach Luft und wünschte, sie hätte es nicht getan, denn jetzt drang sein Duft in ihre Nase und stellte tief in ihr unmögliche Dinge mit ihr an. Ihr Puls beschleunigte sich, und bevor sie es verhindern konnte, eilten ihre Gedanken wieder zurück zu dem Kuss …

Wie muskulös und männlich Tristan gewesen war! Wie verlangend sie sich an ihn geschmiegt hatte! Noch jetzt schoss ihr die Hitze in die Wangen, wenn sie an ihren jugendlichen Überschwang dachte. Himmel, vielleicht hatte sie diesen Kuss ja sogar initiiert! Wie erniedrigend! Vor allem angesichts der Tatsache, dass sie sich an die Küsse von anderen Männern nicht so genau erinnern konnte.

Still verfluchte sie die eigene Dummheit, zog sein Jackett von den Schultern, um es ihm zurückzugeben, und kramte in der großen Handtasche nach ihrer Lieblingsstrickjacke und Baseballkappe. Sie setzte die Mütze auf und zog die viel zu große Strickjacke über. Weder wollte sie von übereifrigen Fans noch von herumlungernden Paparazzi erkannt werden.

Tristans vernichtenden Blick ignorierte sie. Seine schneidende Art erzürnte sie mehr und mehr. Natürlich hatte er Grund, verärgert zu sein, aber sie hatte nichts Falsches getan. Würde ihm ein Zacken aus der Krone brechen, zivilisiertes Benehmen an den Tag zu legen? Schließlich war nicht er stundenlang verhört worden, sondern sie, noch dazu wegen etwas, das sie nicht getan hatte!

Sie rang sich ein Lächeln ab und schulterte die Tasche. „Auf jeden Fall Danke für deine Hilfe. Mir ist klar, dass du dich nicht freiwillig gemeldet hast, dennoch weiß ich es zu schätzen.“

„Was du schätzt oder nicht schätzt, ist mir herzlich egal. Ich fasse es nicht, dass du tatsächlich den Nerv hast, so etwas zu versuchen! Und das bei deiner Vorgeschichte! Hast du gedacht, es würde reichen, keinen BH zu tragen und die blonde Mähne zu schütteln, damit niemand darauf achtet, was du in deiner Tasche mitschleppst?“

Ihr Blick flog zu seinem Gesicht. Er hielt sie also für schuldig?! „Wie kannst du es wagen!“ Die Ungerechtigkeit des Ganzen trieb ihr Wuttränen in die Augen. „Ich wusste nichts von dem Zeug in meiner Tasche. Und so reise ich immer. Ich bin doch wohl vollständig bekleidet, oder etwa nicht?“

„Darüber lässt sich streiten. Wahrscheinlich sollte ich froh sein, dass du wenigstens etwas weniger Fleisch zeigst als auf den Filmplakaten.“

Darauf konnte sie nichts entgegnen. Filmplakate wurden immer freizügiger aufgemacht, als vielen Schauspielerinnen lieb war. Viele ihrer Kolleginnen frustrierte es ebenso wie sie.

Nicht, dass Tristan ihr glauben würde. Wie immer dachte er nur das Schlechteste von ihr. Je eher sie hier weg kam, desto besser.

„Sag mal, Honey Blossom, hast du eigentlich schon in einem Film mitgespielt, in dem du deine Kleider anbehalten durftest?“

Lily schäumte. Seit ihrem siebten Lebensjahr nannte sie niemand mehr Honey Blossom, und in ihren Filmen war sie nie nackt. „Ich heiße Lily, und deine Frage entbehrt nicht nur jeglicher Grundlage, sie ist schlichtweg beleidigend.“

Er zeigte ihr nur ein gelangweiltes Lächeln und deutete nochmals auf den Drink. „Trink endlich aus. Ich habe noch anderes zu tun.“

Jetzt reichte es ihr! Dankbar oder nicht, seine ungehobelten Bemerkungen musste sie sich nicht länger anhören. „Ich will deinen blöden Drink nicht!“ Sie hob das Kinn und rückte die Kappe zurecht. „Und deine Unhöflichkeit habe ich auch satt. Nochmals Danke für die Hilfe bei dieser … misslichen Angelegenheit, aber weitere Umstände brauchst du dir nicht zu machen. Und wenn du auf der Hochzeit einen großen Bogen um mich machst – ich werde es dir ganz bestimmt nicht übel nehmen.“

Sie wollte gehen, aber er versperrte ihr den Weg. „Nette kleine Rede, doch diese ‚missliche Angelegenheit‘, wie du es nennst, hat dich unter meine Obhut gestellt. Was heißt, dass ich jetzt die Anordnungen gebe.“

Lily riss die Augenbrauen in die Höhe. „Unter deine Obhut?“ Fast hätte sie aufgelacht.

Offensichtlich missfiel ihm ihre Reaktion, denn er erwiderte drohend: „Hast du geglaubt, die Bedingungen für deine Freilassung wären nur zum Spaß, und man würde dich einfach so auf die Öffentlichkeit loslassen?“

Autor

Michelle Conder

Schon als Kind waren Bücher Michelle Conders ständige Begleiter, und bereits in ihrer Grundschulzeit begann sie, selbst zu schreiben. Zuerst beschränkte sie sich auf Tagebücher, kleinen Geschichten aus dem Schulalltag, schrieb Anfänge von Büchern und kleine Theaterstücke. Trotzdem hätte sie nie gedacht, dass das Schreiben einmal ihre wahre Berufung werden...

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