Nie mehr ohne dich

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Ein Kuss wie ein Erdbeben! Heather und Royce sind seit Jahren gute Freunde - aber plötzlich ist alles anders. Als sich an einem lauen Abend auf seiner Ranch ihre Lippen berühren, weiß Heather: Nie mehr möchte sie diesen Mann loslassen! Doch am nächsten Tag ist er verschwunden. Ist das Ende ihrer Freundschaft der Preis für diese Nacht? Drei Jahre sind seitdem vergangen, drei Jahre der Ungewissheit für Heather. Als sie ihn nun in ihrer Heimatstadt endlich wiedersieht, setzt sie alles auf eine Karte und gesteht ihm: "Ich liebe dich!" Ein zweiter Kuss, ein zweites Beben, eine zweite Chance?


  • Erscheinungstag 30.11.2008
  • Bandnummer 1656
  • ISBN / Artikelnummer 9783863498887
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Rauch stieg aus dem niedergebrannten Trailer auf. Es war Ende Mai. Der Abendhimmel über Texas färbte sich leuchtend rosarot und bildete einen schroffen Kontrast zu den verkohlten Überresten des Wohnwagens. In der Luft hing der Gestank von geschmolzenem Gummi und verbranntem Holz.

„Der Sheriff meint, es war ein Unfall.“

Royce McKinnon blickte von dem mit gelbem Plastikband abgesperrten Trümmerhaufen auf und sah seinen Vorarbeiter Luke an. „Wahrscheinlich hat er recht.“

„Ich wette mein bestes Schnitzmesser, dass er sich bis zum Umfallen betrunken hat und dann mit einer Zigarette in der Hand eingeschlafen ist.“

„Es wäre nicht das erste Mal.“ Royce rieb sich die Stirn. Seit einer Stunde plagte ihn ein dumpfer Kopfschmerz. „Sobald die Feuerwehr die Stelle freigibt, lasse ich die Überreste auf die Müllhalde bringen.“ Der Wohnwagenbrand war das erste nennenswerte Unglück, das sich in Nowhere ereignet hatte, seit Royce vor zwei Jahren hier Bürgermeister geworden war.

Luke schob sich ein Stück Kautabak in den Mund. „Rufst du sie heute Abend an?“

„Nein.“ Sie – damit war Heather Henderson gemeint, die Tochter des Mannes, der im Feuer umgekommen war. Melvin Henderson hatte nicht zu den beliebtesten Bewohnern von Nowhere gezählt. Über die Jahre hatte Royce sehr oft mit ihm zu tun gehabt. Aber nicht eine einzige dieser Begegnungen hatte eine angenehme Erinnerung hinterlassen.

Er fragte sich, wie Heather die Nachricht vom Tod ihres Vaters aufnehmen würde. Eines stand fest: Melvin war kein guter Vater gewesen. Heathers Mutter hatte ihn bereits vor Jahren verlassen – und Heather, damals gerade dreizehn Jahre alt, war fortan auf Gedeih und Verderb diesem niederträchtigen Trunkenbold ausgeliefert gewesen. Am Ende hatte sie niemanden gehabt, der sich um sie gekümmert hätte.

Außer Royce.

Er selbst war neunzehn gewesen, als er Heather weinend auf der Laderampe hinter dem Futtermittelladen ihres Vaters vorgefunden hatte. Ihr verlorener Blick und ihre unendliche Verzweiflung darüber, dass die Mutter einfach ohne sie weggelaufen war, hatten Royce im tiefsten Innern berührt, auch wenn er es damals nicht zugegeben hätte.

An jenem Nachmittag hatte er Heathers Kummer so intensiv empfunden, als wäre er selbst betroffen. Das Gefühl des Verlassenseins kannte er nur zu gut.

Nachdem er schon als kleiner Junge seine Eltern bei einem Schiffsunglück verloren hatte, war er bei einem Onkel und einer Tante aufgewachsen, die selbst kinderlos geblieben waren. Doch sie hatten ihn nicht viel besser behandelt als ihre Hütehunde: Zwar hatte er zu essen und einen Platz zum Schlafen bekommen. Aber als Gegenleistung musste er hart arbeiten. Im Schnellverfahren lernte er alles über die Aufzucht von Rindern und die anderen Tätigkeiten, die auf einer Ranch anfielen. Keine leichte Aufgabe für einen Jungen aus Südkalifornien, der sein Leben bis dahin am Meer verbracht hatte.

Sicher, eine behütete, unbeschwerte Kindheit voller Liebe und Zuneigung hatte er nicht erlebt. Aber er hatte zumindest ein Zuhause gehabt – und das war mehr, als manch anderer von sich behaupten konnte. Dass seine Tante und sein Onkel ihm die Ranch schließlich vererbten, hatte Royce mit seinem Schicksal ausgesöhnt. Er hatte ihnen verziehen, dass sie nicht die liebevollen Eltern gewesen waren, die er sich gewünscht hatte.

Vor zwölf Jahren, in dem Moment, als er den Kummer in Heathers Augen gesehen hatte, war etwas in ihm geschehen. Er hatte sich geschworen, dass es wenigstens einen besonderen Menschen im Leben dieses jungen Mädchens geben sollte: Heather sollte wissen, dass sie ihm, Royce McKinnon, etwas bedeutete. Doch die Freundschaft, die er sich vorgestellt hatte, kam nie zustande. Heather hatte sich zu einem wahren Teufelsbraten entwickelt. Aufsässig hatte sie gegen seinen Zuspruch rebelliert, sämtliche seiner Hilfsangebote schroff abgewiesen.

Es wurde zu einer echten Vollzeitbeschäftigung, ihr die Grenzen aufzuzeigen und aufzupassen, dass sie nicht auf die schiefe Bahn geriet. Wie oft hatte er alles hinwerfen und sie sich selbst überlassen wollen! Doch irgendetwas in ihm hatte darauf bestanden, dieses Mädchen nicht einfach aufzugeben. Sein eigener Wunsch nach Zuneigung und Liebe hatte sich in das Bedürfnis verwandelt, sich um andere zu kümmern – er brauchte keinen Psychiater, um das einzusehen.

Royce blickte zu Luke hinüber. „Ich fahre morgen nach College Station.“ Vielleicht würde ihm auf der fünfstündigen Fahrt dorthin auch einfallen, wie er es Heather sagen sollte.

„Wo wohnt sie jetzt eigentlich?“

„Ich glaube, in einem Haus in der Nähe vom Campus.“ Heather war mehrmals umgezogen, seit sie sich vor sieben Jahren an der Universität von Texas eingeschrieben hatte. „Die genaue Adresse kann ich auf ihrer letzten Weihnachtskarte nachsehen.“ Royce hatte sämtliche Postkarten von Heather in einem Schuhkarton gesammelt, den er in seinem Schlafzimmer aufbewahrte.

„Mir hat sie geschrieben, dass sie als Tagesmutter arbeitet.“

Als Tagesmutter? Warum hatte sie ihm diese Neuigkeit nicht mitgeteilt? Wahrscheinlich, weil er ihr bei seinem letzten Besuch Vorhaltungen gemacht hatte, dass sie schon wieder das Hauptfach gewechselt hatte, anstatt ihr Studium zu beenden. Wenn man mehr als ein Mal das Fach wechselte und nebenbei noch arbeitete, war ein Studienabschluss nach vier Jahren nahezu ausgeschlossen.

Er erinnerte sich an diesen letzten Besuch, als wäre es gestern gewesen. Mit ihren zweiundzwanzig Jahren hatte Heather keine Ähnlichkeit mehr mit dem schlaksigen Teenager, den er zu bändigen versucht hatte. Nie würde er ihren Anblick vergessen in den engen Shorts und dem sexy Top, das ihre vollen Brüste umhüllte. Sie war zu einer begehrenswerte Frau herangewachsen, die die Blicke jedes Mannes auf dem Campus auf sich gezogen hatte. Und zum ersten Mal in seinem Leben konnte man seine Gefühle für sie keineswegs mehr brüderlich nennen. Ihre ganze Erscheinung erregte ihn – und das machte ihm gleichzeitig Angst.

Vielleicht wäre er mit seinen Gefühlen besser fertig geworden, wenn nur er auf diese Weise empfunden hätte. Aber in Heathers Augen bemerkte er ein aufgeregtes Funkeln, als sie ihn an ihrer Wohnungstür begrüßte. Noch nachdem er längst eingetreten war, starrte er sie wie gebannt an. Verwirrt von seinen heftigen körperlichen Reaktionen fing er schließlich an, ihr Vorwürfe zu machen, weil sie ihr Studium immer noch nicht beendet hatte.

Und dann tat sie etwas Erstaunliches: Sie küsste ihn einfach. Noch heute meinte er, ihre weichen Lippen auf seinem Mund spüren zu können.

Damals hatte es einen Moment gedauert, bis er den ersten Schock überwunden hatte. Aber dann hatte er ihren Kuss erwidert. Wild und leidenschaftlich hatten sie sich geküsst. Wieder und wieder. Doch schließlich war er zu Verstand gekommen – gerade noch rechtzeitig, bevor sie im Schlafzimmer gelandet wären.

Nach jenem Besuch hatte er Heather eigentlich nach Nowhere einladen wollen, damit sie den Sommer mit ihm auf der Ranch verbrachte. Er war überzeugt gewesen, dass mehr zwischen ihnen gewesen war als pure Lust. Doch das Schicksal hatte andere Pläne gehabt – offenbar hatte es eine Zukunft mit ihr nicht für ihn vorgesehen. Am eigenen Leib hatte er erfahren müssen, welche schmutzigen Tricks das Leben manchmal bereithielt.

Letztendlich hatte Heather den Sommer nicht in Nowhere verbracht. Seitdem hatte er versucht, sie zu vergessen. Hals über Kopf hatte er sich in die Arbeit gestürzt und sich sogar zum Bürgermeister wählen lassen, um nicht ständig darüber nachzugrübeln, was sich unter anderen Umständen zwischen ihnen entwickelt hätte. Und sein Plan hatte weitgehend funktioniert.

Bis zu diesem Moment.

Das Feuer im Wohnwagen war ein weiterer dieser hässlichen Streiche, die das Leben so spielte. Ob er wollte oder nicht – er musste Heather die Nachricht vom Tod ihres Vater persönlich überbringen.

Wenn man diesem Brandunglück überhaupt etwas Gutes abgewinnen konnte, dann höchstens den Umstand, dass Melvin Hendersons Tochter keinen Grund mehr hatte, jemals nach Nowhere zurückzukommen, sobald der Nachlass ihres Vaters geregelt war.

Dann wäre Heather Henderson für immer aus seinem Leben verschwunden.

1. KAPITEL

„Auf die Plätze. Fertig. Los!“ Das war das Kommando für Heather, so schnell wie möglich auf allen vieren zum vorher ausgemachten sicheren Punkt über den blauen Teppichboden zu krabbeln – und damit begann jedes Mal die wilde Jagd. Die Vorschüler im Hort waren ganz versessen auf dieses Spiel. Noch bevor Heather ihr Ziel erreichen konnte, tobten die Kinder hinter ihr her, um sie zu fangen. So auch heute: Quietschend vor Vergnügen warfen sich die Kleinen auf sie.

„Entschuldigung, Heather.“

Sie lugte aus dem Knäuel von Kinderarmen und – beinen hervor und erkannte die Schuhe ihrer Chefin, nur Zentimeter von ihrer Nase entfernt. „Ja, Mrs. Richards?“

„Da ist jemand für Sie. Kommt, Kinder. Es gibt etwas zu essen.“

Eines nach dem anderen lösten sich die Kinder von Heather und verließen den Raum. Seufzend blieb sie erschöpft einen Augenblick auf dem Boden liegen. Als sie den Kopf zur Seite drehte, fiel ihr Blick erneut auf ein Paar Schuhe. Doch jetzt waren es abgewetzte Cowboystiefel.

Ganz langsam ließ sie ihren Blick aufwärts wandern, über die muskulösen Oberschenkel, die silberne Gürtelschnalle und das hellblaue Westernhemd. Und dann sah sie ihm in die Augen – und mit einem Mal durchströmten sie die Erinnerungen.

„Heather.“

Als Antwort brachte Heather lediglich ein Lächeln zustande.

Tief hatte er den abgetragenen schwarzen Stetson ins Gesicht gezogen. Sein Blick wirkte ernst und undurchdringlich, als er sie unverwandt ansah.

Wollte er etwa so tun, als hätten sie sich nie geküsst? Nun, wenn er Spielchen spielen wollte – das konnte sie ebenso gut wie er. „Hallo Royce“, gab sie betont kühl zurück.

Ihr stockte der Atem, als sie bemerkte, dass sein Blick auf ihrem nackten Bauch ruhte. Royce schien wie gebannt von dem silbernen Schmetterlingsstecker, der ihren gepiercten Bauchnabel schmückte. Sie holte tief Luft und schloss die Augen, doch selbst sie bemerkte, wie ihre Lider flatterten. Angestrengt versuchte sie, ihre Gedanken zu sortieren. Vor drei Jahren hatte dieser Mann ihre ganze Welt auf den Kopf gestellt. Ihre plötzliche Nervosität war ein sicheres Zeichen dafür, dass sie es nicht geschafft hatte, die Vergangenheit – oder vielmehr diesen Mann – hinter sich zu lassen.

Mit einem Seufzer erhob sie sich, zupfte zuerst ihr T-Shirt und dann ihren Pferdeschwanz zurecht. Der hochgewachsene und breitschultrige Bürgermeister von Nowhere bot einen merkwürdigen Anblick im Spielzimmer ihrer Vorschulgruppe. „Hätte ich gewusst, dass du kommst, hätte ich mir freigenommen.“ Großartig, nun musste er glauben, sie hätte all die Jahre nur darauf gewartet, ihn wiederzusehen.

Er zog eine Augenbraue hoch. „Manche Dinge ändern sich nie.“

„Was willst du damit sagen?“

„Ich hatte dir eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen.“

Machte dieser arrogante Sturkopf ihr etwa Vorwürfe, weil sie ihren Anrufbeantworter nicht abgehört hatte? Sie verdrehte die Augen. „Wie ich sehe, hast du dich nicht verändert. Der gute alte Royce hält mal wieder Volksreden.“

„Das müsste ich nicht, wenn du dich entschließen würdest, erwachsen zu werden.“

Zum Küssen war ich aber anscheinend vor drei Jahren schon erwachsen genug, schoss es ihr durch den Kopf. „Nur zu deiner Information: Die Arbeit hier in der Kinderbetreuung ist kein Job, für den ich Geld bekomme. Er gehört zu meinem Studium.“

Heather wartete auf eine Antwort, doch sie erhielt keine. Stattdessen bemerkte sie, wie er einem der Jungen nachblickte, der etwas aus dem Raum geholt hatte. Seine tieftraurige Miene erschreckte sie so sehr, dass sie ihn am Ärmel zupfte.

Im selben Moment musste sie daran denken, wie Royce sie weinend hinter dem Laden ihres Vaters entdeckt hatte. Damals hatte er ihr seinen Ärmel angeboten, damit sie sich die Tränen daran abwischen konnte. Seit diesem Augenblick war Royce ihr Held gewesen.

Später, als er dann begonnen hatte, sich in alles einzumischen, hatte sie mit allen Mitteln versucht, ihn loszuwerden. Glücklicherweise ohne Erfolg, wie sie sich heute eingestehen musste. Eines stand fest: Hätte Royce nicht eingegriffen und sie vor den größten Dummheiten bewahrt, hätte sie ihr Leben für immer zerstört. Allein deswegen zügelte sie ihre allmählich wachsende Ungeduld. „Hör mal, wenn du mir Vorhaltungen machen willst, weil ich nächste Woche nicht mit allen anderen die Abschlussprüfung ablege …“

„Du machst jetzt keine Prüfung?“

Als ob er das nicht gewusst hätte! „Das ist doch ziemlich offensichtlich. Oder hast du von mir eine Einladung zur Abschlussfeier bekommen?“

Er rieb sich den Nasenrücken. „Ich habe angenommen, du hättest mich einfach nicht eingeladen.“

Dachte er wirklich so schlecht von ihr? Dass sich aus der innigen Vertrautheit an jenem Nachmittag vor drei Jahren nichts zwischen ihnen entwickelt hatte, war doch kein Grund, ihn nicht zu ihrer Abschlussfeier einzuladen. Schließlich hatte sie ihm während ihrer rebellischen Jugend so viel zugemutet, dass er es ganz einfach verdient hatte, dabei zu sein, wenn sie ihre Urkunde in Empfang nahm. „Wenn alles nach Plan verläuft, mache ich im Spätsommer mein Examen.“

„Darf man fragen, in welchem Fach?“

„Psychologie.“

„Wie bitte?“, fragte er ungläubig.

„Psychologie mit dem Schwerpunkt auf Familien- und Kindertherapie.“

Er schwieg. Anscheinend hatte ihm diese Neuigkeit die Sprache verschlagen.

„Was ist los mit dir?“, wollte sie wissen. „Du scheinst zu glauben, ich könnte nicht mit Kindern umgehen.“

„Heather, du bist doch selber noch ein großes Kind.“

„Menschen ändern sich. Sicher war ich früher nicht gerade das Musterbeispiel eines braven Mädchens. Aber meine Erfahrungen können mir bei der Arbeit mit Kindern nur nützlich sein.“ Sie machte eine Pause. „Außerdem liebe ich Kinder.“

Seufzend nahm er den Hut ab und fuhr sich durch das kastanienbraune Haar, das sich an den Schläfen allmählich grau färbte.

„Du hast graue Haare bekommen“, bemerkte sie erstaunt.

Royce lächelte amüsiert. „Und jedes einzelne davon verdanke ich dir.“

Je länger sie ihn betrachtete, desto mehr gelang es ihr, hinter die Fassade zu schauen. Die strengen Linien um seinen Mund deuteten eher auf Erschöpfung als auf Zorn hin. Sie vermutete, dass Kopfschmerzen – und nicht etwa Gefühle der Enttäuschung – für die tiefe Falte auf seiner Stirn verantwortlich waren. Und sicher deuteten die dunklen Ringe unter den Augen nicht auf Verzweiflung, sondern auf schlichte Müdigkeit hin.

Statt unnahbar und energisch wie früher wirkte er heute erschöpft und besorgt. Wie war das möglich? Royce McKinnon war immer unerschütterlich gewesen. Wie ein Fels in der Brandung.

Er sah auf seine Uhr. „Können wir irgendwo ungestört reden?“

„Ich habe in einer Viertelstunde Feierabend.“

„Ich warte draußen auf dich.“

Einen Augenblick lang schaute sie ihm beunruhigt nach. Dann beeilte sie sich, Mrs. Richards beim Aufräumen zu helfen.

Kurze Zeit später saß sie auf dem Beifahrersitz des großen Trucks, den Royce durch die schmalen Straßen des Universitätsviertels lenkte.

Seit sie losgefahren waren, hatte er nicht ein einziges Wort mit ihr gewechselt. Er war nie besonders gesprächig gewesen, was sie sonst auch nie gestört hatte. Aber diesmal hätte sie nur zu gern gewusst, was gerade in seinem Kopf vorging.

Sie schloss die Augen und atmete tief ein. Der Duft seines Aftershaves umhüllte sie beinahe wie eine zärtliche Umarmung und ließ Erinnerungen in ihr wach werden. Erinnerungen an einen Kuss …

Als er in die Conner Avenue bog, in der vor allem Studenten wohnten, zeigte sie auf eins der Häuser. „Das gelbe da vorn ist es.“

Royce hielt am Straßenrand vor dem Haus. „Was machen die beiden denn auf deinem Grundstück?“ Mit einer Kopfbewegung deutete er auf zwei junge Männer, die auf der Veranda im Schaukelstuhl saßen und Bier tranken.

„Das sind meine Mitbewohner.“

„Mitbewohner?“, fragte er knapp und biss die Zähne zusammen.

Ohne seiner Reaktion weitere Beachtung zu schenken, stieg Heather aus und ging voran. Auf der Veranda machte sie die drei Männer miteinander bekannt. „Seth, Joe, das ist Royce McKinnon. Er ist der Bürgermeister von Nowhere in Texas.“

„Cool“, sagten die beiden Studenten wie aus einem Munde. Da sie keine Anstalten machten, Royce die Hand zu geben, steuerte Heather eilig auf den Eingang zu.

Royce folgte ihr.

„Das Haus hatte ursprünglich nur zwei Schlafzimmer. Aber ich habe das Wohnzimmer zum dritten Schlafraum umfunktioniert, den ich selber benutze.“ Mit diesen Worten schritt sie hinein und stellte ihre Handtasche auf einen Stuhl in der Ecke.

Für einen kurzen Moment blieb Royce in der Tür stehen und räusperte sich. „Darf ich?“ Ohne die Antwort abzuwarten, trat er ein und schloss die Tür hinter sich. Er schob die Hände in die Hosentaschen und ließ seinen Blick in aller Ruhe über die pfirsichfarbene Tapete und den mintgrünen Baldachin über dem Bett schweifen.

„Du hast ein schönes Zimmer, Heather.“

Ein Kompliment von Royce? Welch ein seltenes Ereignis! „Alles ist besser als die armselige Hütte, in der ich aufgewachsen bin.“

„Wenn ich gewusst hätte, dass dir so etwas wichtig ist, hätte ich dir Geld gegeben. Dann hättest du den Wohnwagen ein bisschen aufmöbeln können.“

Wie gern hätte sie das getan! Doch als sie damals damit begonnen hatte, die Küche cremefarben zu streichen, war ihr alter Herr betrunken gegen die frisch gestrichene Wand gestoßen, hatte sie wüst beschimpft und ihr vorgeworfen, sie hätte seine Kleidung mit voller Absicht ruiniert. Nach mehreren Versuchen in dieser Art hatte sie eingesehen, dass sie mit dem Renovieren nur Zeit und Energie verschwendete.

Nachdem sie auf der Bettkante Platz genommen hatte, wies sie auf den Stuhl am Schreibtisch vorm Fenster. „Setz dich doch.“

Als er das Zimmer durchquerte, fiel ihr einmal mehr auf, wie sich sein Hemd über den breiten Schultern spannte. Dieser Cowboy war eine Klasse für sich. Die harte körperliche Arbeit als Rancher hatte Royce stahlharte Muskeln verliehen, aber kaum ein Rancher, den sie kannte, war so gut gebaut wie er. Nur ein einziges Mal hatte sie die Gelegenheit gehabt, diesen eindrucksvollen Körper unter ihren Händen zu fühlen …. Wie schaffte er es heutzutage nur, so großartig in Form zu bleiben? Ein Fitnesscenter gab es in der Gegend von Nowhere weit und breit nicht.

Überhaupt hatte Nowhere kaum etwas zu bieten.

Irgendein Einfaltspinsel namens Sapple hatte in den 1920er Jahren ein Sägewerk an dem Ort eröffnet. Fünf Jahre später hatte das Werk wie so viele andere im östlichen Texas wieder schließen müssen. Sapple und die meisten der Arbeiter waren mit ihren Familien weitergezogen. Nur wenige Menschen waren geblieben. Als dann die Fernstraße fünfundzwanzig Meilen entfernt gebaut worden war, hatte das Städtchen den treffenden Namen Nowhere – Nirgendwo – erhalten. Bis auf einen Friseur, eine Bank und einige kleine Geschäfte hatte es dort nie viel gegeben.

Royce setzte sich an den Schreibtisch. Tief seufzend schob er die Hände zwischen die Knie und starrte auf den Boden.

Allmählich bekam sie ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. „Was ist denn so wichtig, dass du es mir nicht am Telefon sagen konntest?“

Er hob den Kopf und sah sie an. „So etwas kann man nur persönlich mitteilen.“

Was konnte noch schlimmer sein als das, was er ihr vor langer Zeit schlicht am Telefon gesagt hatte? „Noch vor drei Jahren hattest du kein Problem damit, mir telefonisch zu erklären, dass ich dich in Ruhe lassen und nie mehr nach Nowhere zurückkommen soll“, platzte es aus ihr heraus.

Er zuckte zusammen. Dann räusperte er sich und schaute sie an. Diesmal hielt sie seinem Blick, in dem sich Verlegenheit und Bedauern spiegelten, nicht stand.

„Wie sieht es finanziell bei dir aus?“

Es mussten wirklich schlechte Nachrichten sein, wenn Royce vom Thema ablenkte. „Wenn ich den Job in der Bibliothek bekomme, bin ich bis zum Herbst abgesichert.“ Sie gab es nicht gern zu, aber ohne seine großzügigen Geldgeschenke zu Weihnachten und zum Geburtstag hätte sie ihr Studium längst aufgeben müssen.

Wortlos zog er das Scheckheft aus der Gesäßtasche seiner Jeans. Mit dem einzigen Stift auf ihrem Schreibtisch, einem neonpinken Kugelschreiber, den eine knallig gelbe Feder schmückte, füllte er einen Scheck aus.

„Ich brauche dein Geld nicht, Royce“, erklärte sie und errötete bei dieser Notlüge.

Er ließ die Zahlungsanweisung auf ihrem Schreibtisch liegen. „Für jemanden, der zum Studium erst gezwungen werden musste, hast du ziemlich lange durchgehalten.“

Sein Lob bedeutete ihr eine Menge. „Ehrlich gesagt bin ich selbst erstaunt, dass ich nicht gleich im ersten Jahr das Handtuch geworfen habe“, erwiderte sie verlegen lächelnd.

„Überleg doch mal: Wenn sie dich nicht mit diesen Gaunern auf der Tankstelle festgenommen hätten, dann hättest du vielleicht nie studiert.“

Heather stöhnte auf. „Bitte, erinnere mich nicht daran.“ Damals war sie mit einer Jugendgang unterwegs gewesen, hatte allerdings nichts von dem geplanten Tankstellenüberfall gewusst. Royce hatte den Richter nur von ihrer Unschuld überzeugen können, weil sie zur Tatzeit auf der Toilette und nicht im Laden gewesen war. Aber man hatte ihren Freispruch an die Bedingung geknüpft, dass sie ein Studium aufnahm.

„Dein Gesicht, als der Richter das Urteil verkündete, werde ich nie vergessen.“ Er lachte auf, wurde aber sofort wieder ernst. „Was hast du nach dem Examen vor?“

„Ich will mit Kindern arbeiten. Mit sozial benachteiligten Kindern.“ Sein stilles Nicken verstand Heather als Kritik. Deshalb fügte sie hinzu: „Du glaubst, ich könnte diesen Kindern kein Vorbild sein, oder?“

Royce zuckte die Achseln. „Seit ich dich kenne, hast du immer nur die Hilfe von anderen in Anspruch genommen, aber nie selber geholfen.“

Das tat weh – auch wenn er möglicherweise recht hatte. Verletzt wechselte sie das Thema. „Genug davon. Warum dieser unverhoffte Besuch?“

„Ich wünschte, es wäre leichter, es dir zu sagen.“ Er fuhr sich über das Gesicht.

„Jetzt sag schon!“, forderte sie ihn ungeduldig auf.

„Dein Vater ist gestorben.“

Sie wollte etwas sagen, doch es kam kein Laut über ihre Lippen. Erst nach einigen Sekunden konnte sie wieder atmen.

„Es tut mir leid, Heather.“ Royce beugte sich vor und drückte ihre Hand.

Heather war wie betäubt. „Wie …?“ Unwillkürlich stiegen ihr Tränen in die Augen. Nie hätte sie damit gerechnet, dass sie nach der schweren Zeit mit ihrem Vater und all diesen Jahren, die mittlerweile verstrichen waren, überhaupt noch Gefühle für den alten Mann hegte.

„Der Wohnwagen ist abgebrannt. Die Feuerwehr meint, es war ein Unfall.“

„Der Wohnwagen.“ Sie nickte nur. Weitere Einzelheiten brauchte sie nicht. Oft, wenn sie als Kind in der Nacht zum Badezimmer gegangen war, hatte sie ihren Vater auf der Couch liegen sehen. Mit einer brennenden Zigarette zwischen den Fingern.

„Ein Tourist hat das Feuer zufällig bemerkt und sofort Hilfe gerufen.“ Royce schüttelte den Kopf. „Aber es war bereits zu spät.“

„Wann ist es passiert?“

„Gestern am späten Nachmittag.“

Ihr Vater war tot. Jetzt war sie ganz allein auf der Welt. Aber wenn sie so richtig darüber nachdachte, war sie schon allein gewesen, als ihr Vater noch gelebt hatte. Der Einzige, auf den sie immer zählen konnte, war Royce.

Und Royce war auch jetzt hier.

Er erhob sich. „Ich warte im Truck, bis du gepackt hast.“

Verwirrt sah sie ihn an. „Wozu soll ich packen?“

„Für die Beerdigung.“

„Beerdigung?“ Benommen rieb sie sich die Schläfen. Nichts schien mehr einen Sinn zu ergeben.

„Normalerweise findet eine Beerdigung statt, wenn jemand gestorben ist.“

„Aber warum? Es kommt doch sowieso keiner.“ Niemand in Nowhere hatte ihren Vater gemocht. Er war Alkoholiker und Kettenraucher gewesen – und Spieler noch dazu.

„Die Leute werden dir ihr Beileid aussprechen wollen“, sagte er und ging zur Tür. „Wir halten eine möglichst schlichte Trauerfeier ab.“

„Schlicht!“ Heather lachte zynisch auf. „Es sieht ganz danach aus, als hätte mein alter Dad seine Einäscherung schon selbst besorgt.“

Royce zog die Augenbrauen hoch. „Ich weiß, dass du keine gute Beziehung zu deinem Vater hattest. Aber es gibt Fälle, da muss man sich an die Regeln halten. Das hier ist so einer.“

Wütend sprang sie vom Bett auf. „Seit meine Mutter weggelaufen ist, machst du mir Vorschriften und nörgelst an mir herum. Ich habe genug davon! Such dir einen anderen hoffnungslosen Fall!“

Wie nach einer Ohrfeige verzog er das Gesicht. Doch dann erklärte er kalt: „Pack deine Tasche, Heather. Du kommst mit nach Hause.“

Nach Hause? Sie hatte diese Bruchbude von einem Wohnwagen nie als ihr Zuhause angesehen. Dank ihres Vaters war nun nicht einmal davon mehr etwas übrig.

Und warum sollten die braven Bürger von Nowhere ausgerechnet ihr Mitgefühl entgegenbringen? Schließlich hatte sie in ihrer rebellischen Jugend allen nur Kummer bereitet. „Es gibt keine Beerdigung. Ich komme nicht mit dir zurück.“

Als Royce sich sichtlich erschöpft durchs Haar fuhr, regte sich ihr Gewissen. Er hatte zweifellos einen harten Tag hinter sich. Nach getaner Arbeit auf der Ranch und als Bürgermeister hatte er sich ins Auto gesetzt und war die dreihundert Meilen nach College Station gefahren.

„Ich kümmere mich um die Beerdigung. Du brauchst nichts weiter zu tun, als daran teilzunehmen.“ Royce klang unnachgiebig.

Trotzdem schüttelte sie widerwillig den Kopf. Als sie plötzlich einen Kloß im Hals spürte, biss sie die Zähne zusammen. Verdammt! Sie würde nicht um ihren Vater weinen. Er hatte nicht eine einzige Träne verdient.

Langsam schien er ungeduldig zu werden. „Du hältst dich vielleicht für erwachsen. Aber dann solltest du dich endlich so benehmen.“

Obwohl sie sich im Grunde dafür schämte, dass die ganze Arbeit an Royce hängen blieb, wiederholte Heather stur: „Ich komme nicht mit dir zurück.“

„Was ist mit dem Geschäft?“, fragte er und hob das Kinn ein wenig.

Autor

Marin Thomas
Marin wuchs im Mittel-Westen von Janesville, Wisconsin auf. Typisch für echte Stadtkinder war alles, woran Marin denken konnte, Janesville nach der Highschool zu verlassen. Sie war optimistisch, dass die Welt mehr als das bot, was sie bis dahin gesehen hatte. Sie spielte Basketball an der Universität von Missouri in Columbia...
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