Baccara Exklusiv Band 245

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DREI HOCHZEITEN UND EINE EWIGE LIEBE von ANNA DEPALO

Plötzlich steht Hochzeitsplanerin Pia dem Mann gegenüber, den sie seit Jahren zu vergessen versucht. Auch wenn James ihr seine wahre Identität verschwiegen hat, bekommt sie weiche Knie. Dabei hat sie sich geschworen, nie wieder schwach zu werden ...

DU MACHST SINNLICHE TRÄUME WAHR von SARA ORWIG

Noch nie hat Josh eine Frau so sehr begehrt wie Abby. Doch sie trennen Welten: Abby wohnt in einer entzückenden Kleinstadt, und Josh ist als Tycoon immer unterwegs. Ein Leben ohne Abby kann er sich aber schon bald nicht mehr vorstellen ...


BEI WIEDERSEHEN LIEBE? von SANDRA HYATT

Als PR-Manager ist Max Preston für den guten Ruf der Firma verantwortlich – den seine Ex Gillian mit ihren Zeitungsartikeln torpediert. Wütend fährt er zu ihr – zum ersten Mal seit über drei Jahren. Als er vor der sexy Reporterin steht, knistert es wie damals …


  • Erscheinungstag 04.05.2024
  • Bandnummer 245
  • ISBN / Artikelnummer 0858240245
  • Seitenanzahl 448

Leseprobe

Anna DePalo, Sara Orwig, Sandra Hyatt

BACCARA EXKLUSIV BAND 245

1. KAPITEL

Pia war gerade Zeugin einer Katastrophe geworden.

Okay, es hatte keine Verletzten gegeben, aber die Auswirkungen waren verheerend.

Versunken in die Gedanken an das eben Erlebte, sah Pia sich auf dem Hochzeitsempfang um. Wer hätte auch ahnen können, dass sich in einem Kirchengang, in dem meterweise elfenbeinfarbener Satin ausgebreitet war und in dem der Duft von Lilien und Rosen die Sommerluft versüßte, eine Katastrophe anbahnte? Als Hochzeitsplanerin hatte Pia schon so einiges erlebt. Der eine oder andere Bräutigam, der kalte Füße bekommen hatte. Bräute, denen die Hochzeitskleider zu eng geworden waren. Einmal hatte sogar ein kleiner Junge einen der Eheringe verschluckt, die er zum Altar hätte tragen sollen. Aber Pias absolut zuverlässige und praktisch veranlagte Freundin Belinda würde keine derartigen Probleme auf ihrer Hochzeit haben. Jedenfalls hatte Pia das bis vor zwei Stunden noch geglaubt.

Umso fassungsloser war sie – so wie auch alle anderen Gäste – gewesen, als der Marquis von Easterbridge entschlossenen Schrittes zum Altar gegangen war, um zu verkünden, dass es tatsächlich einen triftigen Grund gab, warum Belinda Wentworth und Tod Dillingham nicht heiraten konnten. Weil nämlich Belindas überstürzte und heimlich geschlossene Ehe mit Colin Granville, dem jetzigen Marquis von Easterbridge, bisher weder annulliert noch geschieden worden war.

Ein Raunen war durch die Kirche gegangen, in der sich die Crème de la Crème der New Yorker Gesellschaft versammelt hatte. Glücklicherweise war niemand in Ohnmacht gefallen.

Zumindest dafür war Pia dankbar. Selbst eine Hochzeitsplanerin konnte nicht mehr viel ausrichten, wenn der Hund den Kuchen fraß, ein Taxi das Kleid der Braut mit Schmutz bespritzte oder, wie in diesem Fall, sich der rechtmäßige Ehemann entschied, zur Trauung zu erscheinen!

Wie erstarrt hatte Pia dagesessen. Schutzengel, hatte sie noch benommen gedacht, scheinen heutzutage selten im Einsatz zu sein.

Im nächsten Moment hatte sie dann leise geflucht. Verdammt, Belinda, warum, zum Teufel, hast du mir nichts von deiner Hochzeit in Las Vegas erzählt? Noch dazu, wenn du ausgerechnet den erbitterten Feind deiner Familie heiratest!

Doch instinktiv hatte Pia gewusst, warum. Es war etwas, das ihre Freundin zutiefst bedauerte. Mitleidig überlegte Pia, was Belinda im Augenblick auszustehen hatte. Sie und Tamara Kincaid, eine der Brautjungfern, waren Belindas beste Freundinnen in New York.

Gleichwohl musste Pia sich aber auch eingestehen, dass sie eine gewisse Mitschuld traf. Warum hatte sie Colin nicht entdeckt und aufgehalten, wie es sich für eine gute Hochzeitsplanerin gehört hätte?

Die Leute würden sich wundern, warum sie als Beraterin und Freundin der Braut nicht über genügend Informationen verfügt hatte, um den Marquis von Easterbridge fernzuhalten oder ihn davon abzuhalten, solch einen öffentlichen Skandal zu verursachen. Damit hatte er nicht nur die Hochzeit ihrer Freundin ruiniert, sondern auch ihr Ruf als Hochzeitsplanerin.

Pia war zum Heulen zumute, als sie daran dachte, wie sehr ihr noch junges Unternehmen, das sie „Pia Lumleys Hochzeitsträume“ genannt hatte, darunter leiden würde. Die Wentworth-Dillingham-Hochzeit – oder, genauer gesagt, die Beinahe-Hochzeit – war ihr bisher größter Auftrag gewesen. Erst vor gut zwei Jahren hatte sie sich selbstständig gemacht, nachdem sie einige Jahre als Assistentin in einer großen Eventagentur gearbeitet hatte.

Oh, das war alles grauenvoll. Ein Albtraum – für Belinda und für sie.

Als sie fünf Jahre zuvor direkt nach dem College aus einer Kleinstadt in Pennsylvania nach New York gekommen war, hatte sie davon geträumt, es hier zu etwas zu bringen. Auf diese Weise zu scheitern war äußerst deprimierend.

Wie zur Bestätigung ihrer schlimmsten Befürchtungen war, gleich nachdem die Braut mit ihrem Bräutigam und ihrem Noch-Ehemann verschwunden war, eine der furchterregendsten Matronen der High Society von New York auf sie zugestürmt.

Mrs Knox hatte sich zu ihr gebeugt und theatralisch geflüstert: „Pia, meine Liebe, haben Sie denn nicht gesehen, wie der Marquis in die Kirche gekommen ist?“

Pia hatte gequält gelächelt. Sie hätte gern gesagt, dass sie keinen blassen Schimmer gehabt hatte, dass der Marquis und Belinda verheiratet waren. Dass es auch nicht viel genützt hätte, ihn aufzuhalten, denn an der Tatsache, dass er und Belinda ein Ehepaar waren, hätte es ja nichts geändert. Aber aus Loyalität zu ihrer Freundin hatte sie geschwiegen.

Mrs Knox’ Augen hatten gefunkelt. „Sie hätten diesen öffentlichen Skandal verhindern müssen.“

Stimmt, dachte Pia. Aber selbst wenn ich es versucht hätte, hätte es nichts genützt. Der Marquis war wild entschlossen gewesen.

Nach dem Vorfall hatte Pia versucht, die Situation zu retten, indem sie sich mit ausgewählten Mitgliedern der Familie Wentworth besprochen und dann alle Gäste dazu ermuntert hatte, zum Empfang ins Plaza Hotel zu fahren, frei nach dem Motto „The show must go on“.

Als Pia sich jetzt im Saal umschaute, entspannte sie sich ein wenig, obwohl es ihr immer noch im Kopf schwirrte.

Sie konzentrierte sich auf ihre Atmung, eine Entspannungstechnik, die sie schon vor langer Zeit erlernt hatte, um den Anforderungen von gestressten Bräuten und noch stressigeren Hochzeitstagen gelassen entgegensehen zu können.

Belinda und Colin würden die Sache sicherlich klären können. Irgendwie. Man könnte eine kurze Erklärung an die Presse herausgeben, um die Wogen zu glätten. Vielleicht so etwas wie: Infolge eines unglücklichen Missverständnisses …

Ja, genau so. Alles würde sich wieder einrenken.

Mit der Entspannung war es schlagartig vorbei, als Pia einen großen blonden Mann am anderen Ende des Saals entdeckte.

Obwohl er ihr den Rücken zuwandte, bekam sie eine Gänsehaut, denn er kam ihr seltsam vertraut vor. Oh nein, dachte sie. Als er sich umdrehte, um mit einem Mann zu sprechen, der zu ihm getreten war, sah sie sein Gesicht und schnappte nach Luft.

Das war jetzt eine echte Katastrophe, dagegen war das Drama in der Kirche harmlos gewesen.

Konnte dieser Tag noch schlimmer werden?

Da stand doch tatsächlich James Fielding … alias „Mr Right“, der sich leider als falsch, falsch und noch mal falsch erwiesen hatte.

Was hatte James hier zu suchen?

Drei lange Jahre war es her, seit sie ihn zuletzt gesehen hatte, damals, als er so unverhofft in ihr Leben getreten war, um genauso schnell wieder zu verschwinden. Aber es bestand kein Zweifel: Bei diesem verführerischen blonden Adonis handelte es sich eindeutig um James.

Er war fast zehn Jahre älter als sie, also sechsunddreißig. Aber man sieht es ihm nicht an, musste sie insgeheim zugeben. Das blonde Haar war jetzt kürzer geschnitten, aber mit seinen breiten Schultern, der muskulösen Statur und der stattlichen Größe von fast einem Meter neunzig war er noch genauso beeindruckend, wie sie ihn in Erinnerung hatte.

Früher war er ein unbekümmerter und scheinbar sorgenfreier Mann gewesen, doch heute wirkte seine Miene ernster. Trotzdem, eine Frau vergaß ihren ersten Liebhaber nie – schon gar nicht, wenn er am Morgen danach wortlos verschwunden war.

Unbewusst begann Pia auf James zuzugehen. Sie wusste nicht, was sie sagen würde, aber ihre Füße trugen sie vorwärts, während die Wut in ihr wieder aufflammte. Instinktiv ballte sie die Hände zu Fäusten.

Im Näherkommen bemerkte sie, dass James mit Oliver Smithson, einem bekannten Wall-Street-Hedgefonds-Manager, redete.

„… Eure Gnaden“, sagte der ältere Mann gerade.

Pia stutzte. Eure Gnaden?

Wieso wurde James mit diesem Titel angeredet? Auf dem Empfang waren eine Reihe von britischen Aristokraten, aber selbst ein Marquis wurde allenfalls mit „Mylord“ angeredet. Soweit sie wusste, wurde „Euer Gnaden“ nur für einen … Herzog benutzt.

Es sei denn, Oliver Smithson scherzte? Aber das war eher unwahrscheinlich.

Ehe sie den Gedanken weiterverfolgen konnte, war sie bei ihnen, und James entdeckte sie. Zufrieden registrierte Pia, dass er überrascht blinzelte, als er sie wiedererkannte.

In seinem Smoking sah er lässig-elegant aus. Er hatte ebenmäßige Gesichtszüge, auch wenn seine Nase nicht ganz gerade war und das Kinn ein wenig kantig wirkte. Die Augenbrauen über den bernsteinfarbenen Augen, deren Schimmer sie während der einen Nacht, die sie zusammen verbracht hatten, so fasziniert hatte, waren nur eine Spur dunkler als sein Haar.

Wenn sie nicht so wütend gewesen wäre, hätte so viel maskuline Attraktivität sie vielleicht atemlos gemacht. Allerdings spürte sie, dass sie gegen seine Reize nicht ganz immun war.

Kein Wunder, dass ich vor drei Jahren auf ihn hereingefallen bin, rechtfertigte sie sich, der Mann ist ein wandelndes Sexsymbol.

Obwohl sein verwegener Charme, mit dem er sie bei ihrer ersten Begegnung so überrumpelt hatte, ein wenig gezähmt schien, spürte sie, dass ihm wahrscheinlich noch immer keine Frau widerstehen konnte. Ihr war es ja auch nicht gelungen.

„Ah, unsere bezaubernde Hochzeitsplanerin“, begrüßte Oliver Smithson sie, der offensichtlich nichts von der Spannung, die in der Luft lag, mitbekam. Er lachte herzhaft. „Das war wahrlich nicht vorherzusehen, oder?“

Pia wusste, dass er das Drama in der Kirche meinte, doch leider traf es auch auf die momentane Situation zu. Nie im Leben hätte sie erwartet, James hier zu treffen.

Als wüsste er genau, was sie dachte, hob James eine Augenbraue.

Bevor einer von ihnen jedoch etwas sagen konnte, fuhr Smithson an Pia gewandt fort: „Haben Sie Seine Gnaden, den Duke of Hawkshire schon kennengelernt?“

Den Duke …? Pia riss die Augen auf und starrte James in stummer Wut an. Er war also wirklich ein Herzog? Hieß er überhaupt James?

Okay – die Antwort auf diese Frage kannte sie, denn selbstverständlich hatte sie die Gästeliste vor der Hochzeit angeschaut. Allerdings hatte sie keine Ahnung gehabt, dass ihr One-Night-Stand und James Carsdale, der neunte Duke of Hawkshire, ein und dieselbe Person waren. Plötzlich wurde ihr schwindelig.

James sah Oliver Smithson an. „Vielen Dank, aber Miss Lumley und ich kennen uns bereits“, erklärte er, bevor er sich wieder zu ihr umdrehte. „Und bitte nennen Sie mich Hawk, das tun die meisten.“

Ja, wir kennen uns besser, als man vermuten würde, dachte Pia verbittert. Und wie konnte James oder Hawk – was war das überhaupt für ein Name? Habicht, wie albern! – es wagen, so überheblich und gelassen dazustehen?

Ihr Blick begegnete dem des Mannes, der ein Fremder für sie war und den sie doch auf so intime Weise kennengelernt hatte. Das Kinn vorreckend, meinte sie: „J… ja, i… ich hatte bereits das Vergnügen.“

Ihre Wangen röteten sich. Sie hatte eine geistreiche, doppeldeutige Bemerkung machen wollen, das Ganze jedoch versaut, indem sie unsicher und naiv geklungen hatte.

Verdammt, warum musste sie ausgerechnet jetzt wieder anfangen zu stottern? Das bewies nur, wie aufgeregt sie war. Dabei hatte sie so lange mit einem Therapeuten gearbeitet, um diesen Sprachfehler zu beheben.

Hawk kniff die Augen zusammen. Offenbar hatte er ihren Seitenhieb verstanden, und der gefiel ihm ganz und gar nicht. Aber dann hellte sich seine Miene plötzlich auf, bevor er sie überraschend zärtlich ansah.

Ihr verräterischer Körper reagierte sofort darauf: ein Kribbeln im Bauch, ein köstliches Ziehen im Unterleib … Sie musste sich täuschen, James flirtete doch nicht etwa mit ihr, oder?

Hatte er Mitleid mit ihr? Schaute er auf sie herab, auf die naive Jungfrau, die er nach nur einer Nacht verlassen hatte? Bei dem Gedanken bekam sie ein flaues Gefühl in der Magengegend.

„Pia.“

Als er ihren Namen aussprach, überkamen sie Erinnerungen an eine unglaublich erotische Nacht zwischen ihren bestickten weißen Laken.

Der Teufel soll dich holen, dachte sie und versuchte, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bringen.

„Was für ein unerwartetes … Vergnügen“, bemerkte Hawk und verzog die Lippen zu einem spöttischen Lächeln, als wollte er demonstrieren, dass er dieses Spielchen mit der Doppeldeutigkeit genauso gut beherrschte.

Bevor sie darauf antworten konnte, blieb ein Kellner neben ihnen stehen und präsentierte ein Tablett mit kleinen Häppchen.

Als Pia einen Blick auf das Tablett warf, erinnerte sie sich sofort daran, dass sie und Belinda einen ganzen Nachmittag damit zugebracht hatten, die Kanapees auszuwählen.

Kurz entschlossen beschloss sie, alles auf eine Karte zu setzen.

„Danke.“ Sie nickte dem Kellner zu und bediente sich.

Mit einem Lächeln auf den Lippen drehte sie sich wieder zu James herum. „Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite. Bon Appetit.“

Ohne zu zögern, warf sie ihm die Hors d’œuvres mit dem Auberginenpüree ins Gesicht, machte auf dem Absatz kehrt und steuerte auf die Hotelküche zu.

Vage nahm sie noch die erstaunten Blicke des Hedgefonds-Managers und einiger anderer Gäste wahr, ehe sie die Schwingtüren zur Küche aufstieß. Wenn ihr guter Ruf bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht ruiniert gewesen war, dann war er es spätestens jetzt. Aber das war es wert gewesen.

Hawk nahm die Serviette, die ein Kellner ihm eilig reichte.

„Danke“, sagte er mit angemessen aristokratischer Selbstbeherrschung und wischte sich das Gesicht ab.

Leicht irritiert musterte Oliver Smithson ihn. „Also …“

Hawk fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und erklärte: „Köstlich, allerdings ein wenig scharf“, wobei er sowohl das Häppchen als auch die kleine Sexbombe meinte, die es ihm ins Gesicht geworfen hatte.

Der Hedgefonds-Manager lachte unsicher und schaute sich um. „Wenn ich gewusst hätte, dass diese Hochzeitsfeier so aufregend wird, hätte ich Aktien dafür auf den Markt gebracht.“

„Ehrlich?“, erwiderte Hawk gedehnt. „Aber Sie haben wohl recht. Solche Aktien verlieren nicht an Wert. Genau genommen sind es heutzutage doch Skandale, die zu Ruhm und Reichtum führen, oder nicht?“

Hawk war klar, dass er alles daransetzen musste, um diesen Flächenbrand einzudämmen. Trotz des Affronts, den er hatte erdulden müssen, dachte er vor allem an die niedliche Hochzeitsplanerin, die gerade eben davongestürmt war.

Hawk bemerkte, dass Smithson ihn neugierig musterte und sich wohl gerade überlegte, ob er in diesem peinlichen Moment etwas sagen sollte.

„Sie entschuldigen mich sicherlich?“, meinte Hawk daher und verschwand, ohne eine Antwort abzuwarten, in die Richtung, in die Pia gegangen war.

Vermutlich sollte man einen wichtigen Geschäftspartner nicht einfach so stehen lassen, aber jetzt gab es Dringenderes zu erledigen.

Als er in die Küche schlenderte, fuhr Pia zu ihm herum.

Sie war – genau wie beim ersten und letzten Mal, als sie sich getroffen hatten – sexy, ohne sich dessen bewusst zu sein. Ihr kurviger Körper steckte in einem Kleid, das sie wie eine zweite Haut umschmeichelte. Ihr glattes dunkelblondes Haar war zu einem praktischen, aber eleganten Knoten hochgesteckt. Und dann waren da noch ihre Haut – so weich wie ein Pfirsich –, die vollen Lippen und die Augen, die ihn an klaren Bernstein erinnerten.

Diese Augen funkelten jetzt wütend, während Hawk versuchte, sich gegen Pias Sex-Appeal zu wappnen.

„B…bist du auf der Suche nach mir?“, wollte Pia wissen. „Wenn ja, bist du drei Jahre zu spät!“

Hawk konnte nicht umhin, ihre resolute Art zu bewundern, auch wenn es in diesem Fall zu seinen Lasten ging. „Ich wollte mich erkundigen, wie es dir geht. Ich versichere dir, wenn ich gewusst hätte, dass du hier bist …“

Wütend kniff sie die Augen zusammen. „Dann hättest du was getan? Wärst in die andere Richtung gerannt? Hättest die Einladung zur Hochzeit abgelehnt?“

„Dieses Treffen ist für mich genauso überraschend wie für dich.“

Das Auftauchen des Noch-Ehemannes der Braut in der Kirche war schon erstaunlich gewesen, aber nicht zu vergleichen mit dem Schock, den Hawk erlitten hatte, als er Pia wiedergesehen … und ihre Fassungslosigkeit und den Schmerz auf ihrem Gesicht bemerkt hatte.

„Eine unangenehme Überraschung, Euer Gnaden“, konterte Pia. „Ich erinnere mich nicht, dass du deinen Titel erwähnt hast, als wir uns das letzte Mal getroffen haben.“

„Damals hatte ich den Titel noch nicht“, versuchte er, sich zu rechtfertigen.

„Aber du warst auch nicht einfach nur James Fielding, oder?“

Dem konnte er nicht widersprechen, also schwieg er.

„Dachte ich’s mir doch!“

„Ich heiße James Fielding Carsdale, und jetzt bin ich der neunte Duke of Hawkshire. Früher hatte ich das Anrecht, als Lord James Fielding Carsdale oder einfach …“, seine Lippen verzogen sich zu einem selbstironischen Lächeln, „… mit Mylord angeredet zu werden, obwohl ich meist auf den Titel und all die Formalitäten, die damit einhergehen, verzichtet habe.“

Die Wahrheit war, dass er früher, als er noch ein Playboy gewesen war, lieber inkognito als Mr James Fielding unterwegs gewesen war, um lästigen Frauen, die nur auf sein Geld aus waren, aus dem Weg zu gehen – bis jemand, nämlich Pia, durch ebendiese Charade und sein heimliches Verschwinden verletzt worden war.

Dabei hatte er eigentlich gar keinen Anspruch auf den Titel des Dukes gehabt, sondern das Anrecht darauf erst erhalten, nachdem sein älterer Bruder William bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen war. Ein Verlust, der Hawk noch immer einen Stich versetzte. Früher war er Lord James Carsdale, der sorglose jüngere Sohn, gewesen, der sich nicht mit der Verantwortung, die der Titel mit sich brachte, belasten musste.

Es hatte drei Jahre gedauert – so lange trug er diese Verantwortung jetzt schon –, um ihm klarzumachen, wie gedankenlos und leichtsinnig er gewesen war und wie viel Schaden er damit angerichtet hatte. Vor allem Pia gegenüber. Aber sie irrte sich, wenn sie glaubte, er wolle ihr aus dem Weg gehen. Er war froh, sie wiederzusehen – froh, vielleicht etwas wiedergutmachen zu können.

Pia runzelte die Stirn. „Willst du damit sagen, dass dein Verhalten irgendwie entschuldigt werden kann, weil der Name, den du mir genannt hast, nicht völlig falsch war?“

„Nein, aber ich versuche, wenn auch verspätet, reinen Tisch zu machen.“ Hawk seufzte still.

„Vergiss es. Ich hatte schon gar nicht mehr an dich gedacht, bis sich eben die Möglichkeit eröffnet hat, dich mit deinem Verschwinden zu konfrontieren.“

„Pia, können wir woanders darüber reden?“ Vielsagend schaute Hawk sich um. Das Küchenpersonal und die Kellner warfen ihnen bereits neugierige Blicke zu. „Wir sind Teil des heutigen Spektakels, und ich glaube, das grenzt schon bald ans Melodramatische.“

„Glaub mir“, konterte sie, „ich bin schon auf genügend Hochzeiten gewesen, um zu wissen, dass wir noch lange nicht im melodramatischen Bereich sind. Zum Melodrama wird es erst, wenn die Braut vor dem Altar in Ohnmacht kippt oder der Bräutigam allein in die Flitterwochen fliegt, nicht wenn die Hochzeitsplanerin ihren lausigen One-Night-Stand zur Rede stellt.“

Hawk schwieg. Vermutlich hatte sie recht. Was machte eine Szene mehr oder weniger schon aus, nachdem bereits so viel passiert war? Außerdem war es offensichtlich, dass Pia sehr betroffen war. Die Unterbrechung während der Trauung machte ihr wohl mehr Sorgen, als sie zugeben wollte, ganz zu schweigen von seiner Gegenwart.

Ungeduldig verschränkte Pia die Arme vor der Brust. „Läufst du bei jeder Frau am Morgen danach weg?“

Nein, nur bei der einzigen Frau, die sich als Jungfrau entpuppt hatte – bei ihr. Ihr herzförmiges Gesicht hatte ihn genauso fasziniert wie ihr wohlproportionierter Körper, und am nächsten Morgen war ihm klar geworden, dass es ihn heftig erwischt hatte.

Hawk war keineswegs stolz auf sein Verhalten. Aber sein ehemaliges Ich schien Lichtjahre entfernt von dem Mann, der er jetzt war.

Obwohl es ihn auch jetzt drängte, sie an sich zu ziehen, sie zu berühren …

Schnell verdrängte er den Gedanken und rief sich in Erinnerung, was in seinem Leben als Duke jetzt wichtig war. Es ging nicht an, dass er Pias Leben noch einmal durcheinanderbrachte. Dieses Mal wollte er wiedergutmachen, was er ihr angetan hatte.

Selbst in seiner Sturm- und Drangzeit, als er noch viel weniger verantwortungsbewusst gewesen war, hatte er niemals der erste Liebhaber für eine Frau sein wollen. Die Vorstellung, als „der Erste“ in Erinnerung zu bleiben, gefiel ihm nicht. Und auch er wollte sich nicht mit so etwas belasten. Das passte nicht in sein sorgenfreies Leben.

Jetzt behauptete Pia, sie hätte ihn vergessen. Tat sie es aus Stolz, oder war es die Wahrheit? Ihm war es nämlich nicht gelungen, sie sich gänzlich aus dem Kopf zu schlagen – sosehr er es auch versucht hatte.

Da er ihre Frage noch immer nicht beantwortet hatte, starrte Pia ihn zornig an, bevor sie erneut auf dem Absatz kehrtmachte. „D… dieses Mal bin ich diejenige, die geht. Lebt wohl, Euer Gnaden.“

Sie marschierte weiter in die Küche hinein und ließ Hawk stehen. Was für ein grässlicher Abschluss eines ohnehin schrecklichen Tages – vor allem für Pia! Belindas verhinderte Trauung würde sich sicherlich nicht gerade positiv auf den Ruf von Pias Firma auswirken. Und die Tatsache, dass Pia so wütend über Hawks Täuschungsmanöver war, dass sie ihn mit Häppchen beworfen hatte, machte die Sache nicht gerade besser.

Pia brauchte ganz offensichtlich Hilfe.

Und je länger Hawk darüber nachdachte, desto ausgezeichneter erschien ihm die Idee, die ihm schon die ganze Zeit durch den Kopf ging.

2. KAPITEL

Als Pia nach dem Empfang nach Hause kam, versuchte sie nicht, Hawk mit Gewalt aus ihren Gedanken zu verbannen.

Stattdessen hob sie Mr Darcy von ihrem Schreibtischstuhl, schaltete ihren Computer ein und gab Hawks Namen und Titel bei Google ein. Dabei redete sie sich ein, dass sie nur nach einem Foto Ausschau hielt, damit sie einen Steckbrief in alter Westernmanier anfertigen konnte: GESUCHT: ATTRAKTIVER DUKE, DER SICH ALS MR RIGHT AUSGIBT. In Wahrheit war sie natürlich scharf auf mehr Informationen.

James Fielding Carsdale, neunter Duke of Hawkshire.

Das Internet enttäuschte sie nicht. Innerhalb weniger Sekunden erschienen die ersten von zahlreichen Einträgen.

Hawk hatte drei Jahre zuvor Sunhill Investments, eine Hedgefondsfirma, gegründet, kurz nachdem er ihr, Pia, die Unschuld geraubt und sich davongemacht hatte. Die Firma war erfolgreich, so sehr, dass Hawk und seine Partner inzwischen zu Multimillionären geworden waren.

Mist. Es war schwer zu akzeptieren, dass ihm das Glück hold gewesen war, nachdem er sie hatte sitzen lassen. Es gibt eben keine Gerechtigkeit auf dieser Welt, dachte sie.

Der Firmensitz von Sunhill Investments war in London, doch vor Kurzem war ein Büro in New York eröffnet worden, sodass Hawks Anwesenheit auf dieser Seite des Atlantiks wohl nicht nur mit der Hochzeit zusammenhing, zu der es nicht gekommen war.

Während Pia die Einträge las, streichelte sie geistesabwesend Mr Darcys Ohren, als er ihr um die Beine strich. Sie hatte den Kater aus dem Tierheim geholt, nachdem sie zwei Jahre zuvor in diese Wohnung eingezogen war. Gelegentlich nutzte sie sie auch, um potenzielle Kundinnen zu empfangen, und hatte sie entsprechend eingerichtet. Meist besuchte sie die zukünftigen Bräute jedoch in ihren stilvollen, luxuriösen Häusern.

Der nächste Klick mit der Computermaus öffnete einen älteren Artikel aus einer der New Yorker Klatschzeitungen. Das Bild dazu zeigte Hawk zwischen zwei blonden Models, einen Drink in der Hand und ein teuflisches Funkeln in den Augen. Aus dem Artikel ging eindeutig hervor, dass Hawk regelmäßig auf den angesagten Partys in London und manchmal auch in New York gesichtet wurde.

Pia presste die Lippen aufeinander. Na ja, der Artikel belegte immerhin, dass sie vom Äußerlichen her sein Typ war – er schien eine Vorliebe für Blondinen zu haben. Allerdings war sie ein ganzes Stück kleiner als ein Model – ganz davon abgesehen, dass sie auch ein wenig fülliger war als die langbeinigen, dürren Mannequins, mit denen er fotografiert worden war.

Das einzig Gute an der ganzen Situation war die Tatsache, dass sie aufgrund von Hawks abscheulichem Verhalten den Mut aufgebracht hatte, sich selbstständig zu machen. Ihr war klar geworden, dass sie aufhören musste, auf ihren Märchenprinzen zu warten, und stattdessen ihr Leben selbst in die Hand nehmen musste. Wie erbärmlich wäre es auch gewesen, wenn sie ihm in ihrer winzigen Wohnung, in der sie drei Jahre zuvor noch gewohnt hatte, hinterhergetrauert hätte, während er sich eine so grandiose Karriere in der Finanzwelt aufbaute.

Sie hatte sich, genau wie er, weiterentwickelt und war auf der Erfolgsleiter nach oben geklettert. Und Hawk – der Duke oder Seine Gnaden oder wie auch immer er gern angeredet werden wollte – konnte ihr gestohlen bleiben.

Trotzdem suchte sie im Internet nach weiteren Einträgen und sah sich schließlich in ihrer Einschätzung über ihn bestätigt. Er war mit Models, Schauspielerinnen und sogar mit der einen oder anderen Sängerin liiert gewesen. Er war schon Teil der Schickeria gewesen, bevor er Millionen im Finanzwesen verdient hatte.

Wie dumm von ihr, zu erwarten, dass er mehr als eine Nacht mit ihr verbringen würde. Dumm und unglaublich vertrauensselig.

Und doch war es nicht nur Naivität gewesen. Sie war von einem erfahrenen Playboy ausgetrickst und benutzt worden.

Abrupt stand sie auf, schaltete den Computer aus und marschierte ins Schlafzimmer, um sich bettfertig zu machen. Als sie kurz darauf ihre Haare vor dem Spiegel bürstete, betrachtete sie sich eingehend.

Sie gehörte nicht zu den Frauen, die unglaublich schön waren, aber – wenn man den Komplimenten Glauben schenken konnte, die sie seit der Highschool immer wieder erhalten hatte – offensichtlich war sie ganz hübsch und niedlich. Jetzt allerdings zwang sie sich, ein wenig kritischer hinzuschauen.

Hatte sie etwas an sich, was geradezu schrie: Nutz mich aus? Sah ihr Gesicht so aus, als würde sie auf alles und jeden hereinfallen? Anscheinend.

Seufzend stand sie auf, schaltete das Licht aus und schlüpfte unter die Bettdecke. Mr Darcy sprang aufs Bett, und sie spürte, wie er sich an ihr Bein schmiegte.

Es war ein langer, viel zu aufregender Tag gewesen, und sie war hundemüde. Trotzdem konnte sie nicht einschlafen.

Die Tränen, die ihr plötzlich über die Wangen liefen, überraschten sie. Es war lange her, seit sie wegen Hawk geweint hatte.

Zur Hölle mit ihm.

Wenn sie Glück hatte, sah sie ihn nie wieder. Ich bin über ihn hinweg, redete sie sich ein, und dies ist ganz bestimmt das letzte Mal, dass ich seinetwegen Tränen vergieße.

Das ist ja wie ein Déjà-vu-Erlebnis, dachte Hawk und sah sich auf Meltons malerischem Anwesen in Gloucestershire um. Es ähnelte seinem eigenen Familienbesitz in Oxford, und die ausgedehnten Gärten und Felder, die das jahrhundertealte, imposante Kalksteingebäude umgaben, leuchteten in der Augustsonne.

Es war die perfekte Kulisse für eine Hochzeit, und genau das war der Anlass, zu dem sein Freund Sawyer Langsford, der Earl of Melton, eingeladen hatte. Er würde heute Tamara Kincaid heiraten, eine Frau, die auf der geplatzten Wentworth-Dillingham-Hochzeit zwei Monate zuvor kaum dazu hatte überredet werden können, mit ihm zu tanzen.

Bei dem Gedanken an Hochzeiten musste Hawk sich eingestehen, dass er an einem Punkt in seinem Leben angekommen war, an dem auch er eine gewisse Verantwortung verspürte, für einen Erben zu sorgen. Er war jetzt sechsunddreißig, beruflich erfolgreich – da gab es keine Ausreden mehr.

Früher, während seiner sorglosen Tage, war er mit vielen Frauen ausgegangen. Die Rolle als jüngerer, wenig verantwortungsbewusster Sohn war ihm wie auf den Leib geschnitten gewesen – obwohl er durchaus seinem Beruf in der Finanzwelt nachgegangen war. William dagegen war der verantwortungsbewusste ältere Bruder und Erbe gewesen.

Und jetzt heiratete einer seiner engsten Freunde. Hawk war auf Sawyers Bitte hin zu dieser im engsten Familien- und Freundeskreis stattfindenden Trauung gekommen. Easterbridge würde ebenfalls teilnehmen, ebenso wie seine noch Angetraute Belinda Wentworth, die allerdings ohne ihren „Beinahe-Ehemann“ Tod Dillingham gekommen war.

Was Hawk jedoch am meisten interessierte, war die Tatsache, dass niemand anderes als Pia Lumley die heutige Hochzeit vorbereitet hatte. Denn, wie der Zufall es wollte, Tamara Kincaid war eine weitere gute Freundin von Pia.

Als hätte er sie mit seinen Gedanken herbeigezaubert, kam Pia aus der Terrassentür hinunter auf den Rasen, auf dem er stand.

Sie sah jung, frisch und unschuldig aus, und Hawk verspürte einen kleinen Stich. Genau das war sie vor drei Jahren gewesen, als er sie zum ersten Mal getroffen – und gleich wieder verlassen hatte.

Noch war sie schlicht mit einer weißen Bluse und einer grünen Hose bekleidet, zu der sie flache Ballerinas trug. Trotzdem kamen ihre fraulichen Kurven gut zur Geltung, und die Bluse eröffnete einen dezenten Blick in ihr Dekolleté. Mit den zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenen blonden Haaren und den natürlich rosigen Lippen sah sie unschuldig und doch unglaublich sexy aus.

Hawk spürte, wie sehr ihr Anblick ihn erregte.

Obwohl sie ihn bei ihrer letzten Begegnung mit Auberginenpüree beworfen hatte, fühlte er sich zu ihr hingezogen. Sie hatte Sex-Appeal, ohne sich dessen bewusst zu sein und ohne dass sie daraus Kapital schlug – ganz anders als so manches weibliche Wesen aus seinem Bekanntenkreis.

Sie verkörperte alles, was er sich von einer Frau wünschte, und alles, was er nicht haben konnte. Es würde ihn von dem Ziel abbringen, das er sich gesetzt hatte, wenn er sich wieder mit ihr einließ. Er hatte seine Zeit als Playboy hinter sich gelassen.

Und man erwartete von ihm, dass er eine Frau aus seinen Kreisen heiratete – zumindest seine Mutter erwartete das.

Während des vergangenen Jahres hatte seine Mutter ihn immer wieder mit potenziellen Kandidatinnen zusammengebracht, unter anderem auch mit Michelene Ward-Fombley – einer Frau, die sein Bruder William schon mehr oder weniger als zukünftiger Duchess auserkoren hatte, bevor er unerwartet verstorben war.

Hawk verdrängte den Gedanken an das letzte Telefonat mit seiner Mutter und die unausgesprochenen Erwartungen.

Stattdessen konzentrierte er sich lieber auf Pia, die ihn an eine verführerische Waldfee erinnerte.

Jetzt hatte sie ihn entdeckt und zögerte kurz.

Eine Sekunde später schritt sie jedoch, wenn auch widerstrebend, auf ihn zu. Vermutlich war sie auf dem Weg zum Pavillon weiter hinten im Garten, und er stand leider genau im Weg.

Um das Eis zu brechen, meinte er: „Ich weiß, was du denkst.“

Sie bedachte ihn mit einem überheblichen, ungläubigen Blick.

„Wir sehen uns drei Jahre lang nicht“, fuhr er fort, „und jetzt treffen wir uns schon zum zweiten Mal innerhalb von zwei Monaten.“

„Glaub mir, das ist für mich genauso wenig erfreulich wie für dich.“

Er neigte den Kopf zur Seite und musterte eingehend ihr Gesicht. Eine blonde Strähne hatte sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst und streichelte jetzt ihre Wange. Gerade noch rechtzeitig unterdrückte Hawk den Wunsch, die Hand auszustrecken und ihre weiche Haut zu berühren.

Leider konnte er nichts dagegen ausrichten, den leichten Duft nach Lavendel einzuatmen, ein Duft, den er mit Pia in Verbindung brachte, seit er sie das erste Mal getroffen hatte. Er fühlte sich von ihr angezogen wie die Bienen vom Nektar – doch er durfte dieser Anziehungskraft nicht nachgeben.

„W… was tust du da?“

„Prüfen, ob du wieder irgendwelche Häppchen versteckst. Damit ich auf ein mögliches Geschoss vorbereitet bin.“

Sein Scherz wurde mit einem eisigen Blick quittiert.

Pia hob das Kinn. „Ich bin hier, um sicherzustellen, dass die Trauung reibungslos über die Bühne geht.“

„Du willst wohl deinen Ruf wieder aufpolieren, was?“

Er hatte sie ein wenig necken wollen, doch ihre angespannte Miene verriet ihm, dass er ganz richtiggelegen hatte.

Pia machte sich Sorgen um ihre Firma. Belinda Wentworths geplatzte Hochzeit hatte Pias Ruf als Hochzeitsplanerin sicherlich geschadet.

Sie fing sich jedoch schnell wieder und funkelte ihn wütend an. „Meine einzige Sorge ist, dass du und deine beiden Kumpel, Easterbridge und Melton, anwesend seid. Ich habe keine Ahnung, warum noch eine von meinen Freundinnen sich mit einem Freund von dir eingelassen hat. Sieh dir doch an, was Easterbridge Belinda angetan hat!“

„Was Colin Belinda angetan hat?“, wiederholte Hawk spöttisch. „Du meinst, weil er als ihr Ehemann Einspruch eingelegt hat?“

Pia kniff die Augen zusammen und schwieg.

Eigentlich hatte Hawk Pia beruhigen wollen, doch es war einfach zu verlockend, sie ein wenig aufzuziehen. „Ich beuge mich deiner größeren Erfahrung, was Hochzeiten betrifft. Dürfen Ehemänner überhaupt reden?“

„Der Marquis hätte das nicht unbedingt während der Trauung machen müssen. Eine nette private Kommunikation von Anwalt zu Anwalt wäre genauso effektiv, aber weit weniger spektakulär gewesen.“

„Vielleicht hat Easterbridge erst kurz vorher von Belindas anstehender Hochzeit mit Dillingham erfahren und nur das getan, was getan werden musste, um eine Straftat zu verhindern.“ Spöttisch zog Hawk eine Augenbraue in die Höhe. „Bigamie ist vielerorts ein Verbrechen, unter anderem in New York, wie du sicherlich weißt.“

„Natürlich weiß ich das!“

„Da bin ich aber erleichtert.“

Pia warf ihm einen bösen Blick zu, bevor sie ihn misstrauisch beäugte. „Wusstest du über Easterbridges Absichten Bescheid?“

„Ich wusste nicht mal, dass Easterbridge mit Belinda verheiratet ist.“

Hawk war froh, dass er Pias Verdacht in dieser Hinsicht ausräumen konnte.

„Und ich habe keine Ahnung, was Belinda vor zwei Jahren veranlasst hat, einen deiner Freunde zu heiraten, noch dazu in Las Vegas.“

„Vielleicht sind meine Freunde und ich unwiderstehlich.“

„Oh, mir ist sehr wohl bewusst, wie du auf Frauen wirkst.“

Hawk überlegte, ob Pia damit auf ihre eigene Empfänglichkeit ihm gegenüber anspielte. Hatte sie ihn nicht nur attraktiv, sondern sogar unwiderstehlich gefunden? War sie mit ihm ins Bett gegangen, weil sie sich von der Leidenschaft, die er in ihr entfacht hatte, hatte mitreißen lassen?

„Nachdem ich deinen wahren Namen erfahren hatte, hat eine kleine Internetrecherche eine Reihe von Informationen enthüllt“, erklärte Pia vielsagend.

Hawk wusste sehr wohl, was das Web über ihn preisgab. Innerlich zuckte er zusammen, wenn er an die Artikel dachte, die über seine wilden Jahre kursierten.

„Ich hätte vielleicht schon vor drei Jahren misstrauisch werden sollen, als die Eingabe von James Fielding bei Google nichts Besonderes offenbarte, aber … andererseits ist Fielding ja auch ein so gewöhnlicher Name …“

Er lächelte ein wenig. „Meine Vorfahren drehen sich wahrscheinlich im Grab um, wenn sie hören, dass sie als gewöhnlich bezeichnet werden.“

„Oh ja, entschuldigen Sie, Euer Gnaden“, meinte Pia bissig. „Ich werde deinen Titel nicht wieder vergessen.“

Lass doch das verdammte Protokoll, hätte er am liebsten geantwortet. Das war einer der Gründe gewesen, warum er sich als James Fielding ausgegeben hatte. Leider konnte er sich diesen Luxus mittlerweile nicht mehr leisten. Sein Titel brachte eine gewisse Verantwortung mit sich.

Die Ironie an der ganzen Sache war ihm durchaus bewusst. Er hatte einen Titel und Reichtum – und viele Verpflichtungen – geerbt, etwas, wonach viele strebten, aber er hatte die meisten Dinge, die ihm wichtig waren, verloren: Anonymität, eine gewisse Freiheit und das Wissen, um seiner selbst willen gemocht und anerkannt zu werden.

„Erzähl mir etwas über das Geschäft mit den Hochzeiten“, meinte er abrupt. „Vor drei Jahren hast du, wenn ich mich recht entsinne, für eine große Eventagentur gearbeitet und nur davon geträumt, dich selbstständig zu machen.“

Misstrauisch schaute Pia ihn an. „Wie du siehst, habe ich mir inzwischen eine eigene Firma aufgebaut. Kurz nachdem du verschwunden warst.“

„Willst du sagen, dass du es mir zu verdanken hast?“, hakte Hawk spöttisch nach.

Pia ballte ihre Hand zur Faust. „Das Wort ‚Dank‘ ist in diesem Zusammenhang definitiv unpassend. Aber ich glaube, dein abrupter Abgang hat den Anstoß gegeben, auf eigenen Beinen zu stehen. Schließlich gibt einem eine momentane Enttäuschung den Impuls, wenigstens in einem anderen Lebensbereich erfolgreich sein zu wollen.“

Hawk lächelte schwach. Er bedauerte sein Verhalten, aber er fragte sich auch, was sie sagen würde, wenn sie vom Ausmaß seiner Verpflichtungen wüsste.

„Die Dekoration, die du für Belindas Hochzeit gewählt hast, war sehr kreativ“, meinte er und ignorierte damit ihren Seitenhieb. „Gold und Lindgrün sind eine ungewöhnliche Farbkombination.“

Als Pia ihn überrascht ansah, fuhr er fort: „Du brauchst gar nicht so erstaunt zu sein, dass ich solche Details registriert habe. Nachdem ich unfreiwillig von den Häppchen gekostet hatte, fand ich es ganz abwechslungsreich, mir meine Umgebung anzuschauen.“

Er hatte es auch getan, weil er mehr über Pia herausfinden wollte – ganz davon abgesehen, dass er auch den neugierigen Blicken und Fragen der anderen Gäste hatte ausweichen wollen.

„Freut mich, dass meine Treffsicherheit zumindest einen nützlichen Nebenaspekt hatte.“

„Oh, das heißt wohl, dass sich das Ganze auf deine Firma nicht gerade positiv ausgewirkt hat?“, bohrte er nach.

Bitterböse sah Pia ihn an. Also hatte er ins Schwarze getroffen.

„Was für eine Hochzeit würdest du für dich selbst ausrichten, Pia?“, fragte Hawk einschmeichelnd. „Das hast du dir doch bestimmt schon oft ausgemalt.“

Er wusste, er spielte mit dem Feuer, doch es war ihm egal.

„Ich arbeite in der Hochzeitsbranche“, erwiderte Pia eisig. „Nicht in der Romantikabteilung.“

Sie schauten einander in die Augen … wurden jedoch jäh aufgeschreckt, als jemand Pias Namen rief.

Gleichzeitig drehten sie sich zum Haus um und sahen Tamara herauseilen.

„Pia“, rief Tamara erneut und kam zu ihnen. „Ich suche dich schon überall.“

„Ich war gerade auf dem Weg zum Pavillon“, meinte Pia. „Ich wollte schauen, was sich daraus machen lässt.“

Hawk bemerkte den neugierigen Blick, den Tamara von Pia zu ihm wandern ließ.

„Na, ich bin jedenfalls froh, dass ich dich gefunden habe“, erklärte Tamara und hakte sich bei Pia ein.

Tamara nickte Hawk kurz zu. „Du hast doch nichts dagegen, wenn ich Pia entführe, oder, Hawk … ich meine, Euer Gnaden?“ Ohne seine Antwort abzuwarten, zog sie Pia Richtung Pavillon. „Bis später.“

Hawk unterdrückte ein Grinsen. Tamara scherte sich nicht um die Etikette. Obwohl sie die Tochter eines britischen Viscounts war, war sie in den Staaten aufgewachsen und vertrat entschieden demokratische Ansichten. Außerdem lebte sie in Künstlerkreisen, denn sie war Schmuckdesignerin.

Eben war sie allerdings in die Rolle einer Glucke geschlüpft, um Pia zu retten.

„Nicht im Geringsten“, rief Hawk den beiden hinterher.

Als Pia sich noch einmal kurz umdrehte, erwiderte Hawk ihren Blick mit ernster Miene.

Diese Unterhaltung hatte ihn mit einer Reihe von Informationen versorgt. Wie er vermutet hatte, brauchte Pias Firma nach dem Debakel von Belindas nicht zustande gekommener Trauung Unterstützung. Die Tatsache, dass Pias Firma bereits seit zwei Jahren existierte, sagte allerdings viel über Pias Talent aus, und offensichtlich hatte sie seit ihrer gemeinsamen Nacht hart für ihren Traum gearbeitet.

Diesen Gedanken im Hinterkopf, ging Hawk langsam in Richtung Haus. Er würde wohl mal ein Gespräch mit seiner Schwester führen müssen – schließlich wollte die bald heiraten.

„Ich hoffe, ich habe euch nicht unterbrochen“, sagte Tamara zu Pia. Als die nur mit den Schultern zuckte, fuhr sie fort: „Andererseits … vielleicht war es ganz gut, dass ich es getan habe.“

Bevor sie weiterreden konnte, wurde Tamara von einem Mitglied des Personals angesprochen, und Pia versank in Erinnerungen an die Nacht, als sie und Hawk sich zum ersten Mal getroffen hatten: Das Dröhnen der Musik war sogar in den Barhockern zu spüren gewesen. Es war laut und voll in der Bar gewesen, die Menschen hatten dicht gedrängt gestanden.

Normalerweise kam Pia nicht hierher, doch eine Kollegin aus der Eventagentur hatte sie überredet, weil man hier auf erfolgreiche junge Frauen und ihre ebenso gut betuchten Verehrer traf.

Leute, die gern Party machten – und dafür Eventmanager brauchten –, gingen meist selbst gern auf Partys. Und es gehörte definitiv zum Job dazu, nach der Arbeit solche Veranstaltungen zu besuchen, um auf Kundenfang zu gehen.

Pia interessierte sich jedoch nicht so sehr für Geburtstagsfeiern oder Jubiläen.

Stattdessen war sie fasziniert von Hochzeiten.

Irgendwann, versprach sie sich, würde ihr Traum, selbstständige Hochzeitsplanerin zu werden, wahr werden.

In der Zwischenzeit drängte sie sich an den anderen Gästen vorbei, um zur Bar zu gelangen. Allerdings hatte sie wegen ihrer Größe Probleme, weil sie kaum über diejenigen hinwegschauen konnte, die auf den Barhockern saßen, und somit dem Barkeeper auch kein Zeichen geben konnte.

Der Mann neben ihr bestellte sich gerade einen Martini.

Sie schaute zu ihm hoch und schnappte nach Luft, als er sie anlächelte und fragend eine Augenbraue hob.

„Wollen Sie einen Drink?“ Interessiert musterte er sie.

Pia verschlug es fast die Sprache. Er war einer der attraktivsten Männer, die sie je gesehen hatte. Groß, mindestens einsfünfundachtzig, das blonde Haar leicht zerzaust und mit braunen Augen, in denen kleine goldene und grüne Flecken leuchteten. Nur seine Nase war nicht perfekt – war sie mal gebrochen worden? –, aber das trug eher zu seiner Anziehungskraft bei. Und beim Lächeln erschien ein kleines Grübchen neben seinem Mund.

Noch viel interessanter war jedoch, dass er sie mit deutlichem Interesse betrachtete.

Er kam ihrer Vorstellung von einem Traummann extrem nahe – nicht, dass sie je zugeben würde, mit vierundzwanzig bisher nur von Männern geträumt zu haben, ohne je mit einem zusammen gewesen zu sein.

Pia öffnete die Lippen und flehte stumm: Bitte, bitte, lass mich lässig klingen. „Einen Cosmopolitan, bitte.“

Er nickte kurz, bevor er den Barkeeper heranwinkte und ihren Drink bestellte. Innerhalb von Sekunden hatte er mühelos das geschafft, was für sie mit einer Reihe von Hindernissen verbunden gewesen wäre.

Als er sich zu ihr umwandte, lächelte er wieder.

„Sie sind allein hier?“, fragte er einschmeichelnd. Sein Akzent war nicht einfach einzuordnen, er schien von hier und dort und überall zu kommen, doch Pia meinte, einen leichten britischen Tonfall herauszuhören.

„Ich bin mit einer Kollegin hier, aber irgendwie habe ich Cornelia in der Menge verloren.“

Einen kurzen Moment lang wirkte er entschlossen und verführerisch hinter seiner nonchalanten Fassade. „Wunderbar, dann kann ich ja meinen Charme spielen lassen. Fangen wir mit dem Namen an. Eine Frau, die so bezaubernd und hübsch ist, heißt bestimmt …?“

Er hob eine Augenbraue.

Sie konnte gar nicht anders, sie musste lächeln. „Pia Lumley.“

„Pia“, wiederholte er.

Der Klang ihres Namens aus seinem Mund sandte einen wohligen Schauer durch ihren Körper. Er hatte sie hübsch und bezaubernd genannt. Ihr Traummann besaß eine Stimme, und die war traumhaft sinnlich.

„James Fielding“, stellte er sich vor.

Der Barkeeper schob ihnen die Drinks zu, und James hob sein Glas.

„Auf einen interessanten Abend“, meinte er augenzwinkernd und stieß mit ihr an.

Pia nippte an ihrem Cosmopolitan. Er war stärker als das, was sie sonst auf Partys trank, aber schließlich hatte sie ja auch kosmopolitisch wirken wollen.

Sie vermutete, dass James an elegante, mondäne Frauen gewöhnt war. Und sie versuchte, diesem Bild zu entsprechen, wenn sie darauf aus war, neue Aufträge an Land zu ziehen. Potenzielle Kunden erwarteten das. Die wollten nicht, dass unerfahrene Mädchen vom Land ihre Partys organisierten, für die sie sechsstellige Summen ausgaben.

Nachdem er einen Schluck getrunken hatte, nickte James zu einem Pärchen hinüber, das gerade einen Tisch in der Ecke verließ. „Wollen wir uns setzen?“

„Ja, gern“, erwiderte Pia und glitt auf die gepolsterte Bank in der Nische.

Als James sich neben sie setzte, begann ihr Herz schneller zu klopfen. Er wollte sich tatsächlich weiter mit ihr unterhalten und sie näher kennenlernen? Wie hatte sie es nur geschafft, sein Interesse zu wecken?

Es kam selten vor, dass Männer sich für sie interessierten. Auch wenn sie nicht fand, dass sie schlecht aussah, war sie klein und eher zurückhaltend, sodass man sie leicht übersah. Sie war eher zu niedlich, als dass sie Lust und überwältigende Leidenschaft in einem Mann wachrief.

Lächelnd sah James sie an. „Sind Sie neu in New York?“

„Kommt drauf an, was Sie mit ‚neu‘ meinen“, erwiderte sie freundlich. „Ich lebe seit ein paar Jahren hier.“

„Und wurden aus welchem Märchen hierhergezaubert?“

Sie lachte. „Cinderella natürlich. Ich bin blond.“

„Natürlich.“ Er stimmte in ihr Lachen ein und legte einen Arm auf die Rückenlehne der Bank. „Und was für ein hübsches Blond“, murmelte er, während er mit einer der blonden Locken spielte, die sich an Pias Hals kräuselten. „Wie gesponnenes Gold, verwoben mit Sonnenschein.“

Pia sog die Luft ein und spürte, dass sich ihr Puls beschleunigte.

Gebannt schaute sie ihm in die Augen. Ich könnte, überlegte sie, stundenlang die unterschiedlichen Schattierungen darin studieren.

James neigte den Kopf, und um seine Augen herum bildeten sich kleine Lachfalten. „Okay, Pia“, fuhr er mit seiner dunklen, einschmeichelnden Stimme fort, „Broadway, Wall Street, Mode, Werbung oder Der Teufel trägt Prada?“

„Leider daneben.“

Erneut zog er erstaunt eine Augenbraue hoch. „Bisher habe ich noch nie falschgelegen.“

„Nie?“, fragte sie und tat überrascht. „Tut mir leid, dass ich Ihre Erfolgsserie durchbreche.“

„Kein Problem. Ich vertraue auf Ihre Diskretion.“

Sie flirteten – besser gesagt, er flirtete mit ihr –, und sie konnte erstaunlicherweise mithalten.

Es war berauschend. Noch nie hatte ein Mann so mit ihr geschäkert, schon gar nicht ein Mann von James’ Kaliber.

Und das, obwohl sie weder Schauspielerin, Bankerin noch Model war und auch nicht in der Werbung oder im Verlagswesen arbeitete. „Ich bin Eventmanagerin und organisiere Partys.“

„Ah.“ Seine Augen funkelten. „Ein Partygirl. Großartig.“

„Was ist mit Ihnen? Was machen Sie hier in New York?“

Er richtete sich auf und zog seinen Arm weg. „Ich bin nur ein ganz gewöhnlicher Typ mit einem langweiligen Job in der Finanzbranche.“

„An Ihnen ist nichts gewöhnlich“, platzte sie heraus, bevor sie erschrocken den Mund schloss.

Wieder wurde das Grübchen sichtbar, als er lächelte. „Ich fühle mich geehrt.“

Pia nippte an ihrem Drink, weil er und dieses Lächeln – und natürlich das Grübchen – merkwürdige Dinge in ihrem Inneren anrichteten.

Der muskulöse Oberschenkel in der beigefarbenen Hose und die breiten Schultern in dem hellblauen Hemd machten die Sache auch nicht besser.

Er nickte und ließ seinen Blick zu ihrem Ausschnitt wandern. „Das ist eine interessante Kette, die Sie da tragen.“

Unwillkürlich blickte Pia an sich hinab, obwohl sie genau wusste, was er sah. Sie trug eine Silberkette mit einem fliegenden Fisch als Anhänger. Die passte nämlich gut zu dem sommerlichen, ärmellosen engen Kleid in Türkistönen, für das sie sich an diesem Morgen entschieden hatte.

Sie griff nach dem Anhänger. „Die Kette ist ein Geschenk von meiner Freundin Tamara, die eine begnadete Schmuckdesignerin ist. Weil ich so gern angeln gehe.“

„Ehrlich? Dann sind Sie eine Frau ganz nach meinem Geschmack.“

Pia versuchte, ihre Überraschung nicht allzu deutlich zu zeigen. Natürlich hatte er auch Interesse am Angeln. Er war schließlich ihr Traummann.

„Angeln Sie gern?“, fragte sie unnötigerweise.

„Seit ich drei oder vier bin. Was fangen Sie am liebsten?“

Sie lachte ein wenig unsicher. „Oh, alles. Barsch, Forellen … Es gibt in Pennsylvania, wo ich groß geworden bin, reichlich Seen. Mein Vater und Großvater haben mir beigebracht, wie man einen Köder auswirft … wie man reitet und … wie man eine Kuh m…melkt.“

Wieso hatte sie ihm erzählt, dass sie Kühe melken konnte? Das klang so schrecklich nach Unschuld vom Lande. Dabei wollte sie doch weltmännisch rüberkommen.

James sah dennoch fasziniert aus. „Reiten … das wird ja immer besser. Ich reite, seit ich laufen kann.“ In seinen Augen blitzte Humor auf. „Mit dem Melken kann ich allerdings nicht mithalten.“

Sie errötete.

„Aber ich habe während eines Aufenthaltes in Australien ein paar Schafe geschoren.“

„Okay, damit haben Sie mich übertrumpft. Ich gebe mich geschlagen.“

„Wusste ich’s doch, dass ich mit den Schafen Punkte machen kann.“

„Dafür habe ich es schon mit Fliegenfischen versucht“, konterte sie.

Er lächelte. „Der Punkt geht wieder an Sie. Es gibt nicht viele Frauen, die bereit sind, den ganzen Tag im Sumpf zu stehen, noch dazu in Gummistiefeln, während sie darauf warten, dass einer anbeißt.“ Sein Lächeln verwandelte sich in ein freches Grinsen. „So klein, wie Sie sind, können Sie ja auch nicht weit hineinwaten.“

Sie sah gespielt empört aus. „Ich habe immer was gefangen, weil ich so still stehen konnte.“

„In dem Fall wäre ich sicherlich in Versuchung geraten, Ihnen einen Frosch in Ihre Stiefel zu stecken“, neckte er sie.

„Das glaube ich gern! Sie haben bestimmt Schwestern, die Sie immer ärgern konnten.“

„Leider nein“, gab er bekümmert zurück. „Ich habe nur eine Schwester, und die ist ein paar Jahre jünger als ich.“ Meine Mutter hätte es nicht lustig gefunden, wenn ich ihr Streiche gespielt hätte.

„Wohl nicht“, stimmte Pia zu. „Und wenn Sie versucht hätten, mir einen Frosch unterzujubeln, dann hätte ich …“

„Ja?“

Er genießt das, stellte Pia erstaunt fest.

„Ich hätte Sie ins Wasser geworfen!“

„Müssen Märchenheldinnen nicht ein paar Frösche kennenlernen?“

„Ich glaube, es heißt, einen Frosch küssen“, erwiderte sie. „Und, nein, ich glaube, diese Anforderungen wurden für das einundzwanzigste Jahrhundert ein wenig abgeändert. Aber ich würde es auch wissen, wenn ich einen Frosch küsse.“

„Mmm … Möchten Sie es mal testen?“

„I…ich …“

Musste sie ausgerechnet jetzt wieder anfangen zu stottern?

Ohne auf eine richtige Antwort zu warten, beugte James sich vor und presste sanft seine Lippen auf ihren Mund. Es kam Pia vor, als hätte sie einen kleinen Stromschlag bekommen, und instinktiv öffnete sie die Lippen, um nach Luft zu schnappen. Und dann bewegte sich sein Mund auf ihrem, schmeckte, kostete, gab und nahm.

Seine Lippen waren sanft, und er schmeckte nach dem Martini, den er getrunken hatte. Pia verlor jedes Gefühl für Zeit und Raum, als sie sich auf das Spiel ihrer Zungen konzentrierte.

Gerade als der Kuss immer leidenschaftlicher wurde, zog James sich zurück und sah sie nachdenklich und leicht amüsiert an. „Na, wie war das?“

Verwirrt schaute sie ihm in die Augen. „D…du bist jedenfalls nicht mit Kermit dem Frosch verwandt.“

Er lachte. „Wie ist meine Angeltechnik? Gelingt es mir, dich einzuwickeln?“

„Hänge ich an der Leine oder du?“

„James“, unterbrach sie plötzlich ein Mann, der entschlossen auf sie zukam.

Pia richtete sich auf und rutschte ein wenig von James weg.

„Der Geschäftsführer von MetaSky Investments ist hier, James“, verkündete der Mann und bedachte Pia mit einem neugierigen Blick. „Ich stelle dich vor.“

Pia vermutete, dass der Mann ein Freund oder Kollege von James war.

Gleichzeitig spürte sie, dass James neben ihr zögerte. Sie ahnte, dass dieser Geschäftsführer, wer auch immer er war, ziemlich wichtig für ihn sein könnte.

James wandte sich an sie. „Entschuld…“

„Da bist du ja, Pia! Ich habe dich schon überall gesucht.“

Cornelia tauchte aus der Menge auf.

Schnell setzte Pia ein fröhliches Lächeln auf und sah James an. „Wie du siehst, brauchst du dir keine Sorgen zu machen, weil du mich allein lässt.“

James nickte. „Entschuldigst du mich?“

„Natürlich.“

Pia unterdrückte ihre Enttäuschung, als James aufstand. Er hatte nichts davon gesagt, dass er zurückkehren würde. Das war wohl auch zu viel verlangt. Solch ein Flirt in einer Bar war immer nur eine flüchtige Angelegenheit. Nicht, dass sie große Erfahrungen diesbezüglich hatte.

Andererseits … die Romantikerin in ihr glaubte an Schicksal. Und James war definitiv der fantastischste Mann, den sie je getroffen hatte.

Nun blieb ihr wohl nur, ihn als einen gut aussehenden, charmanten Traummann in Erinnerung zu behalten – als einen Märchenprinzen, der einem ansonsten enttäuschenden Abend Glanz verliehen hatte.

Insgeheim hatte sie natürlich gehofft, er würde zu ihr zurückkommen, doch zwei Stunden später musste sie sich eingestehen, dass er nicht wieder auftauchen würde. Wenn sie wenigstens neue Kunden hätte gewinnen können …

Pia seufzte, als sie vom Barhocker glitt. Cornelia war schon zwanzig Minuten zuvor gegangen, während sie selbst noch in einem Gespräch mit einer potenziellen Kundin gesteckt hatte. Diesen Teil ihrer Arbeit empfand Pia als den schwierigsten. Da sie aus Pennsylvania stammte, hatte sie nicht so viele Kontakte hier in der Stadt. Und es war so entmutigend, ständig eine Abfuhr von irgendwelchen Fremden zu bekommen.

Es bestand kein Zweifel daran, was – besser gesagt, wer – ihr Höhepunkt des Abends gewesen war. James hatte echtes Interesse an ihr gezeigt – wenn auch nur kurz.

Der Gedanke versetzte Pia einen Stich. Ja, es war Zeit zu gehen.

Sie würde nach Hause fahren, sich eine DVD mit einem ihrer Lieblingsfilme einlegen und einfach nicht darüber nachdenken, was hätte sein können.

Als sie jedoch aus der Bar kam, stellte sie fest, dass es heftig regnete.

Frustriert blieb sie im Eingang stehen und schaute an sich hinab. Zwar hatte sie am Morgen einen kleinen Schirm eingesteckt, aber nicht wirklich damit gerechnet, dass es regnen würde. Sie wäre innerhalb weniger Minuten völlig durchnässt.

Also musste sie versuchen, ein Taxi zu finden, was bei solchem Wetter jedoch mehr als schwierig war. Ganz davon abgesehen, dass sie sich bei ihrem Gehalt solch einen Luxus eigentlich nicht leisten konnte. Die Alternative wäre, die U-Bahn zu nehmen und dann den langen Weg von der U-Bahn-Station bis nach Hause zu Fuß zu gehen.

Während sie noch dastand und ihre Möglichkeiten abwägte, öffnete sich die Tür hinter ihr.

„Brauchst du ein Taxi?“

Überrascht drehte sie sich um. James.

„Ich dachte, du wärst schon längst weg“, platzte sie heraus.

Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. „War ich auch, aber ich bin wieder reingegangen. Ich habe mich draußen mit dem Geschäftsführer von MetaSky unterhalten, weil es drinnen zu laut war.“ Er schaute sich um. „Aber da hat es noch nicht geregnet.“

Sie blinzelte. „Oh.“

„Brauchst du ein Taxi?“, fragte er erneut.

„Nicht nötig. Ich war nur gerade am Überlegen, ob ich gehen, rudern oder nach Hause schwimmen soll.“

„Wie wäre es stattdessen mit einem Auto?“, erwiderte er lachend.

Erstaunt hob sie die Augenbrauen. „Wie sollen wir bei diesem Wetter ein Taxi ergattern?“

Sie wusste, dass New Yorker Taxis bei Regen spurlos verschwanden.

„Überlass das mir.“

Es dauerte knapp fünfzehn Minuten, dann gelang es James tatsächlich, ein leeres Taxi anzuhalten. Während der Regen auf ihn niederprasselte, öffnete er die Tür und bedeutete Pia einzusteigen. „Wo wohnst du?“, rief er, als sie auf ihn zueilte. „Ich sag dem Fahrer Bescheid.“

Sie rief ihm die Adresse zu und fragte, als sie bei ihm ankam: „Wolltest du auch gehen? Sollen wir uns das Taxi teilen? Tut mir leid, du bist ja völlig durchnässt. Ich hätte dir meinen Schirm anbieten sollen, aber du bist so plötzlich losgerannt.“

Oh nein, sie redete dummes Zeug. Sie wusste doch gar nicht, wo er wohnte, fand es aber unhöflich, es nicht zumindest anzubieten, wenn er sich schon solche Mühe machte, ihr ein Taxi zu rufen.

James schaute sie an, und seine Lippen zuckten. Auch wenn seine Haare durch den Regen klatschnass waren, sah er noch immer unglaublich gut aus.

„Danke für das Angebot.“

Lehnte er ab, oder nahm er das Angebot an? Pia wusste es nicht, rutschte aber vorsichtshalber auf der Rückbank durch, sodass er sich zu ihr setzen konnte.

Einen Augenblick später glitt er neben sie in den Wagen und beantwortete damit ihre Frage.

Pia verspürte Erleichterung und ein aufgeregtes Flattern in der Magengegend. Allerdings auch Nervosität. Noch nie zuvor hatte sie zusammen mit einem Mann eine Bar verlassen. Okay, bisher hatte auch noch kein Mann versucht, sie in einer Bar aufzulesen.

„Ich hoffe, meine Wohnung liegt auch auf deinem Weg?“

„Kein Problem“, erwiderte er. „Ich bringe dich erst nach Haus.“

Sie bemerkte sehr wohl, dass er nicht näher darauf einging, wo er wohnte.

Während sie durch Manhattans nasse Straßen fuhren, unterhielten sie sich ein wenig. Pia erfuhr, dass James dreiunddreißig war – nicht steinalt, aber doch älter als sie mit ihren vierundzwanzig, und vor allem erfahrener als all die Jungs, mit denen sie auf der Highschool und auf dem College in Pennsylvania befreundet gewesen war.

Um nicht ganz so unerfahren und jung zu wirken, erzählte sie ihm von ihrem Traum, sich als Hochzeitsplanerin selbstständig zu machen.

Enthusiastisch bestärkte er sie in ihrem Plan und riet ihr, den Traum wahr zu machen.

Währenddessen schossen Pia alle möglichen Gedanken durch den Kopf, und sie fragte sich, ob er diese sexuelle Spannung zwischen ihnen auch spürte. Ob sie ihn wohl wiedersehen würde?

Viel zu schnell hatten sie ihre Wohnung erreicht.

James drehte sich zu ihr herum und schaute ihr in die Augen, während das Schweigen zwischen ihnen andauerte. „Wir sind da.“

„M…möchtest du noch mit raufkommen?“, fragte sie und war selbst überrascht über ihre plötzliche Kühnheit. Aber sie hatte das Gefühl, um einen Teil gemeinsamer Zeit betrogen worden zu sein, als er seine geschäftliche Unterredung geführt hatte.

Bedeutungsvoll schaute James sie an, bevor er antwortete: „Sicher, gern.“

Er bezahlte den Taxifahrer, und gemeinsam liefen sie dann zum Eingang, während sie unter dem kleinen Schirm Schutz suchten.

Pias Wohnung lag direkt unter dem Dach, aber zumindest wohnte sie allein dort. In solch einer Situation wie dieser war es sehr angenehm, sich keine Gedanken darüber machen zu müssen, ob gleich vielleicht noch die eine oder andere Mitbewohnerin auftauchen würde. Sie hatte versucht, das Beste aus der kleinen Einzimmerwohnung zu machen, indem sie einen Paravent aufgestellt hatte, um einen abgetrennten Schlafbereich zu gewinnen.

Nachdem sie die Treppen hinaufgestiegen waren, schloss Pia auf und ließ James in ihr kleines Reich eintreten. Jetzt war sie ziemlich nervös. Sie ließ ihre Handtasche auf einen Stuhl fallen und sah, dass James ihre Wohnung ausgiebig musterte.

Er dominierte den kleinen Raum noch mehr, als sie angenommen hatte – ein Fremder, unglaublich attraktiv und sexy –, und die knisternde Spannung zwischen ihnen war fast greifbar.

James nickte anerkennend. „Hübsch.“

Sie hatte sich bemüht, der Wohnung eine heitere Note zu verleihen. Neben der Tür hatte sie einen kleinen Tisch mit zwei Stühlen pla...

Autor

Anna De Palo
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