Bianca Exklusiv Band 229

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Lilian Darcy

Eine Affäre mit Folgen

Seine Gefühle hat der erfolgreiche Manager Lucas Halliday normalerweise fest im Griff. Als er allerdings der umwerfenden Rebecca begegnet, ist es um ihn geschehen: Seine Leidenschaft übermannt seine Selbstbeherrschung - was ungeahnte Folgen hat …

Michele Dunaway

Alle Lust der Welt

Kit O'Brien will ihrem Vater endlich beweisen, dass sie eine ernsthafte Journalistin ist: Doch ihr exklusives Interview mit dem pressescheuen Drehbuchautor Joshua Parker gerät zu einem heißen Flirt. Weil sie ihm verschweigt, warum sie eigentlich da ist …

Lucy Gordon

Königin meines Herzens

Endlich hat Randolph sie gefunden: Die verschollene Thronfolgerin des Königreichs Ellurien! Noch arbeitet die wundervolle Dottie als Kellnerin, aber der charmante Herzensbrecher wird aus ihr eine Prinzessin machen. Und dabei Gefahr laufen, sein eigenes Herz zu verlieren …


  • Erscheinungstag 18.01.2013
  • Bandnummer 0229
  • ISBN / Artikelnummer 9783954464883
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Lilian Darcy, Michele Dunaway, Lucy Gordon

BIANCA EXKLUSIV, Band 229

LILIAN DARCY

Eine Affäre mit Folgen

Vier traumhafte Nächte erlebt Rebecca mit dem atemberaubenden Managers Lucas Halliday. Dann muss sie ihn nach New York ziehen lassen. Und nur aus der Ferne kann sie ihm später mitteilen: Sie ist schwanger! Macht Lucas ihr nur deshalb einen Heiratsantrag? Damit das Kind versorgt ist? Aber eine Ehe ohne Liebe kommt für sie einfach nicht infrage …

MICHELE DUNAWAY

Alle Lust der Welt

Am liebsten geht der Bestsellerautor Joshua Parker der Presse aus dem Weg. Niemanden lässt er in sein Haus. Eine einzige Ausnahme macht er bei der Frau, die im Flieger zufällig neben ihm sitzt: Der atemberaubenden Kit gewährt er Einlass – für einen Abend, den Stunden der Lust krönen! Oder ist etwa auch sie nur eine dieser Journalistinnen?

LUCY GORDON

Königin meines Herzens

Die lebenslustige Kellnerin Dottie glaubt zu träumen: Einer ihrer Gäste, der bezaubernd geheimnisvolle Randolph Holsson, teilt ihr mit, dass sie Thronfolgerin des Königreichs Ellurien ist. Sie? Eine Prinzessin? Um das zu werden, muss Randolph ihr helfen. Sie würde alles dafür tun. Und erst recht für diesen aufregenden Mann, der sich so aristokratisch gibt …

1. KAPITEL

Der März in Biggins, Wyoming, war kalt.

Lucas spürte, dass Schnee in der Luft lag, als er aus dem erstklassigen Geländewagen stieg, den sein Vater im vergangenen Jahr für die neueste Ranch des Familienunternehmens angeschafft hatte. Auf der anderen Straßenseite lockte warm und hell erleuchtet das Longhorn Steakhouse, und er ignorierte sein ungewöhnliches Zögern, es zu betreten.

Rebecca Grant arbeitete vermutlich an dem großen Grill in der Küche hinter der Schwingtür. Lucas war in der Hoffnung gekommen, sie zu sehen – oder vielmehr: in dem Bedürfnis. Aber das bedeutete nicht, dass er sich darauf freute. Er wusste, dass sie beide gefühlsgeladen und gereizt aufeinander reagieren würden, er also eine unangenehme Begegnung vor sich hatte.

Als er die Tür öffnete, schlug ihm warme Luft entgegen, die nach gutem Essen und frischem Kaffee roch. Weil gerade starker Betrieb herrschte, konnte er noch eine Weile unbemerkt bleiben, falls er mehr Zeit brauchte. Eine Kellnerin führte ihn an einen kleinen Tisch in einer Ecke. Sie bewegte sich mit hektischer Betriebsamkeit, warf eine Speisekarte vor ihN auf den Tisch und fragte ihn, ob er etwas trinken wolle.

„Nur Wasser, bitte.“

„Kommt sofort.“

Ihr Lächeln war knapp bemessen und landete irgendwo über seiner linken Schulter, denn die Frau hatte sich bereits abgewendet. Genau so hatte Rebecca ihn angelächelt, als sie sich das letzte Mal von Angesicht zu Angesicht gesehen hatten, kurz vor Weihnachten. Sie hatten nur flüchtig und verlegen miteinander geredet, und Lucas hatte dabei ihre Feindseligkeit deutlich gespürt. Etwa eine Woche später hatte er sie in der Stadt gesehen und war fast hundertprozentig überzeugt, dass auch sie ihn bemerkt hatte, aber sie war hastig im Eisenwarenladen verschwunden, ohne mit ihm zu sprechen. Jetzt wollte Lucas keine Zeit mehr verlieren.

Die vergangenen zweieinhalb Monate hatte er in New York, am Hauptsitz des Familienunternehmens Halliday Continental Holdings, verbracht und fünfzehn Stunden am Tag gearbeitet. Daher hatte er lange gebraucht, diese Entscheidung zu fällen, doch nun führte kein Weg daran vorbei: Er musste noch heute Abend mit Rebecca reden.

Sie hatte kein Recht, ihm feindlich gesinnt zu sein, aber sie war es offensichtlich, und das konnte nur eines bedeuten: Sie hatte keine Ahnung, wie sehr er ihren Kummer über ihren Verlust im vergangenen November teilte.

Er musste ihr also von diesem Kummer erzählen, hier auf ihrem eigenen Terrain, und sie mussten einen Weg finden, miteinander auszukommen. Denn nun, da Lucas wieder mehr Zeit auf der Seven Mile Ranch verbringen würde, müssten sie wohl hin und wieder lockeren Umgang miteinander pflegen.

Lockeren Umgang?

Nein, das war nicht die richtige Wortwahl.

Rebecca Grant hatte nie irgendetwas Lockeres an sich gehabt, und auch auf Lucas traf dieses Wort kaum zu. Ganz bestimmt hatte es nichts Lockeres an ihrem ersten Kontakt im September vor sechs Monaten gegeben – obwohl keiner von beiden weit in die Zukunft denken wollte, als sie sich auf Anhieb zueinander hingezogen gefühlt hatten. Aber lockere waren sie nicht gewesen, ganz und gar nicht.

Nachdenklich ließ Lucas den Blick über die voll besetzten Tische wandern.

Wenn Rebecca an diesem Freitagabend Dienst in der Küche hatte, war sie gewiss völlig erledigt von der Schufterei. Vielleicht sollte er warten, bevor er sie zur Rede stellte. Aber das wollte er nicht. Er war an diesem Nachmittag aus New York hierher geflogen und wollte die Angelegenheit so schnell wie möglich vom Tisch haben.

Er beobachtete, wie die Kellnerin mit einem Stapel leerer schmutziger Teller durch die Schwingtür in der Küche verschwand. Mit einem Ellbogen hielt sie einer zweiten Kellnerin die Tür auf, die gerade in den Gastraum eilte. Lucas erhaschte einen Blick auf das Chaos um den Grill und die Fritteuse und ja, auch auf Rebeccas Rücken. Auf Anhieb erkannte Lucas sie an der glänzenden dunklen Haarpracht und an der eigenwilligen Kombination aus Anmut und Zähigkeit in ihrer Körpersprache.

Unwillkürlich stieg Verlangen in ihm auf.

Er wusste, wie wild sich ihr Körper in der äußersten Ekstase bewegte. Er erinnerte sich an ihre helle, seidige Haut, als hätte er sie erst gestern gesehen und berührt. Er wusste, wie frisch ihr Haar roch und wie kehlig ihr Lachen klang.

Ja, das ist eindeutig Reha.

Dann, während die Tür sich schloss, drehte Rebecca sich ein wenig, um nach etwas zu greifen, und einen Moment lang glaubte er fast …

Unmöglich.

Doch er behielt die Tür im Auge, er stand sogar auf, um einen besseren Blickwinkel zu erhalten.

Sekunden später öffnete sich die Tür wieder, und diesmal zweifelte er nicht an dem, was er sah: Sie war schwanger.

Immer noch.

Bis zu diesem Moment hatte er geglaubt, dass sie ihr Baby im ersten Drittel der Schwangerschaft durch eine Fehlgeburt verloren hatte.

„Da will jemand mit dir reden“, verkündete eine der Kellnerinnen, bevor sie wieder mit einem Stapel Teller verschwand. Rebecca blickte vom Grill auf, und da stand Lucas Halliday – zu Stein erstarrt, wie sie es auch erwartet hatte, falls sie sich noch einmal begegneten. Er übte immer noch diese sofortige mächtige Wirkung auf sie aus, an die sie sich mit beinahe schmerzlicher Intensität erinnerte. Aber tief im Innern hatte sie auch genau das erwartet. Ebenso wenig überraschte es sie, dass er sehr zornig aussah, obwohl er ihrer Ansicht nach keinerlei Anrecht darauf hatte.

„Du kommst ungelegen, Lucas“, sagte sie mit fester Stimme.

„Aus deiner Perspektive vielleicht. Aus meiner ist der Zeitpunkt sehr gelegen.“ Er warf einen kalten Blick auf ihren dicken Bauch. „Du hast mir verdammt viel zu erklären, Reba, schon seit unserer Begegnung kurz vor Weihnachten, und ich sehe nicht ein, warum ich noch länger warten sollte.“

„Und wir haben hier verdammt viel zu tun.“ Ihr Körper sagte ihr das bereits seit über einer Stunde. Der Bauch tat ihr weh. Es war ein dumpfer Schmerz, der in unregelmäßigen Abständen kam und ging – als würde sie einen zu eng geschnallten Gürtel tragen.

„Mach mal eine Pause, Reba.“ Carla, ihre beste Freundin, tauchte plötzlich neben ihr auf, sah sie besorgt an und berührte sie am Ellbogen. Offensichtlich hatte sie Lucas bereits gesehen und nur darauf gewartet, ihr zu Hilfe eilen zu können.

Die beiden kannten sich seit der Schulzeit. Carla war Kellnerin in dem Steakhaus und hatte zwei Kleinkinder. Hatte sie diese Art von Schmerzen wohl auch gehabt? Während beider Schwangerschaften hatte sie bis wenige Wochen vor der Geburt gearbeitet und nie über Beschwerden geklagt.

„Eine Pause ist für mich nicht vorgesehen“, entgegnete Rebecca.

„Du musst mit ihm reden“, wandte Carla leise ein. „Tu es lieber gleich. Sonst stellt er noch sonst was an, er sieht echt fassungslos aus.“

Lucas stand immer noch da, schockiert und zornig und gleichzeitig wie versteinert.

„Aber ich …“

„Los, nun geh schon. Ich springe hier für dich ein.“

Dee, die neueste Kellnerin des Steakhauses, eilte in die Küche. „Ist Gordie heute Abend gar nicht hier?“, fragte sie belustigt und erstaunt, ohne die gespannte Atmosphäre zu bemerken.

Rebeccas langjährige Beziehung zu Gordie McConnell war seit über acht Monaten vorbei, aber er und halb Biggins schienen das noch nicht begriffen zu haben.

Carla zischte Rebecca ins Ohr: „Geh. Sofort. Ins Büro oder in deine Wohnung. Rede mit Lucas, bevor Gordie tatsächlich hier auftaucht und es dir noch schwerer macht.“ Sie nahm der Freundin den Pfannenwender aus der Hand und schob sie zur Schwingtür.

„Wir können uns ja an meinen Tisch da drüben in der Ecke setzen“, bot Lucas in kühlem Ton an.

„Nein. Ich will nicht hier darüber reden, wo die halbe Stadt zuhören kann. Wir gehen ins Büro, wie Carla vorgeschlagen hat.“ Abrupt marschierte Rebecca in die entsprechende Richtung, und er folgte ihr auf den Fersen.

„Wenigstens siehst du ein, dass wir etwas zu bereden haben.“

„Es wäre wohl ein wenig sinnlos, es zu leugnen – in meinem Zustand.“

„Aber wenn ich hier nicht aufgetaucht wäre, hätte ich nichts davon erfahren.“

Rebecca schüttelte den Kopf. „Doch, irgendwann schon. Aber ich hatte gehofft, dass es erst nach der Geburt dazu kommen würde. Und ich möchte klarstellen, dass das Ganze meiner Meinung nach nichts mit dir zu tun hat.“

„Wie zum Teufel kann das nichts mit mir zu tun haben? Warst du etwa deswegen vor Weihnachten so eiskalt? Hattest du Angst, dass ich es erraten könnte?“

„Nein. Damals wusste ich es noch nicht. Ich war wütend, und ich hatte guten Grund dazu.“

„Du wusstest es nicht? Das ergibt doch keinen Sinn.“

Rebecca öffnete die Bürotür. „Das wird sich jedoch gleich ändern.“

„Gut, denn ich bin sehr gespannt“, bemerkte Lucas, und seine Stimme klang hart. Er folgte ihr in das beengte Büro und schloss die Tür. Der Geräuschpegel aus dem Gastraum wurde gedämpft. „Fang am besten ganz am Anfang an. Erzähl mir, wie du es geschafft hast, die Sache in dem Restaurant in Cheyenne und dann im Krankenhaus zu inszenieren. Wie hast du einen Arzt davon überzeugen können, dass du das Baby verloren hast?“

Rebecca schüttelte den Kopf. „Ich kann es nicht fassen, dass du mir so was zutraust.“

„Das würde ich auch nicht, wenn nicht alles darauf hindeuten würde. Ich neige dazu, mich auf Tatsachen und nicht auf Gefühle zu verlassen.“

„Ich habe nie etwas inszeniert, Lucas“, versicherte Rebecca. Erneut spürte sie dieses seltsame schmerzhafte Ziehen in Bauch und Rücken. Es verging rasch wieder, doch ihr Wunsch nach einem bequemen Sessel und einem Kissen im Kreuz blieb.

Das Büro mit dem vollgepackten Schreibtisch und dem einsamen Stuhl wirkte viel zu beengend für diese Konfrontation, aber Rebecca war froh, dass sie der Privatsphäre den Vorzug gegenüber der Geräumigkeit gegeben hatte.

Lucas Halliday sah aus ihrer Sicht immer noch viel zu gut aus. Er erfüllte sie immer noch mit all den widerstreitenden Gefühlen, die er vor fast sechs Monaten und dann erneut im November in ihr erweckt hatte: einerseits Zorn und Groll, andererseits aber auch tiefes Interesse, geradezu leidenschaftliche Zuneigung und sogar so etwas wie Respekt.

„Und außerdem hat die ganze Geschichte nicht erst im Restaurant und im Krankenhaus angefangen, wie du genau weißt“, fügte sie hinzu.

„Wann hat die ganze Geschichte denn deiner Meinung nach angefangen? An dem Tag im November, als du mich auf der Ranch aufgesucht hast? Am Abend, als wir uns an der Tür zu meinem Motelzimmer verabschieden wollten? Am ersten Nachmittag in der Blockhütte?“

„Nein, weder noch.“

„Es geht noch weiter zurück, oder?“

Ihre Blicke hielten sich gefangen. Lucas’ Augen wirkten dunkel und geheimnisvoll, und Rebecca wusste, dass er den Anfang ebenso definierte wie sie. Es war jener Morgen im vergangenen September gewesen, als sie sich zum allerersten Mal begegnet waren …

2. KAPITEL

Lucas Halliday hatte keine Schwierigkeiten damit, eine Ranch für seinen Vater zu kaufen. Im Laufe der vergangenen zwei Jahre hatte er bereits vier Verträge abgeschlossen, und alle vier Anwesen hatten sich als gute Investition erwiesen, dank seiner regelmäßigen persönlichen Kontrollbesuche und des sorgsam ausgewählten Personals, das die Ranches bearbeitete.

Bei diesem Kauf war es jedoch anders. Die neueste Frau seines Vaters – die dritte seit der lang zurückliegenden Scheidung von Lucas’ Mutter – hatte sich einen echten Viehbetrieb als viertes Zuhause in den Kopf gesetzt. Als Fünftes, wenn man die Jacht mitzählte. Raine wünschte sich malerische Berghänge, eine Blockhütte wie aus dem Bilderbuch, muhende Ochsen wie im Heimatfilm und ein fischreiches Bächlein als Jungbrunnen. Farrer, sein Vater, spielte bereitwillig mit, solange sich die Ranch wie die anderen selbst trug.

Nun war Lucas damit beauftragt worden, diese unmögliche Kombination aufzutreiben. Er hatte die Suche auf den Süden von Wyoming eingegrenzt wegen dessen Nähe zum Skigebiet Colorado und dem Großflughafen Denver. Sollte es Lucas nicht gelingen, einen durchweg positiven Bericht über die Seven Mile Ranch abzugeben, wollte er seinem Vater und Raine selbst die Suche überlassen. Er tätigte viel lieber kühle und besonnene Firmenübernahmen, statt die Hirngespinste seiner verwöhnten Stiefmutter zu verwirklichen.

Drei Tage hatte er für eine gründliche Inspektion der Ranch eingeplant, doch er beabsichtigte, bereits nach einem halben Tag wieder im Flugzeug nach New York zu sitzen, sollten sich die Lobeshymnen des Immobilienmaklers nicht bewahrheiten.

Lucas erreichte Denver mit einem Spätflug und nahm sich dort einen Leihwagen. Zunächst fuhr er in Richtung Norden nach Laramie, um die Umgebung zu erkunden, und dann südwestlich nach Biggins. Als er in das beste Motel der Stadt eingecheckt und ein spätes, überraschend gutes Essen im Longhorn Steakhouse zu sich genommen hatte, war er überzeugt, dass er schon am nächsten Tag die Rückreise antreten würde.

Biggins hatte keine Boutiquen, keine Kunstgalerien und auch keine Antiquitätenläden zu bieten. Es gab nur drei Motels, zwei Restaurants und einen einzigen Schönheitssalon. Raine hingegen erwartete die Annehmlichkeiten einer Großstadt, und zwar nicht mehr als einen Katzensprung entfernt von der ländlichen Idylle.

Am nächsten Morgen um halb neun fuhr Lucas zusammen mit dem Makler, Jim Broadbent, hinaus zur Seven Mile Ranch. Es war eine hübsche Fahrt. Die Gegend war sehr malerisch mit der Gebirgskette Medicine Bow Range im Hintergrund und dem hügeligen Weideland im Vordergrund. Das sanfte Licht des Septembermorgens brachte das herbstliche Gras zum Leuchten, der Ton erinnerte an Honig und frisches Pinienholz,

Jim Broadbent beschränkte das Gespräch auf Themen wie Viehzucht, Vegetationszeiten und Wasserrechte. Er war ein erfahrener Makler mittleren Alters und erweckte den Eindruck, dass es ihm nicht schwerfallen würde, diese Ranch an den Mann zu bringen, selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass Lucas’ Firma Halliday Continental Holdings sie nicht erwerben wollte.

Die Berge kamen näher. Jim überquerte einen breiten, flachen Bach und passierte die Zufahrt zu einem anderen Anwesen mit dem Namenszug McConnell über dem Tor.

Voraus erblickte Lucas eine Gruppe von gepflegten, einfachen und gut erhaltenen Gebäuden, die ihm unter dem hohen Himmel und der aufragenden Bergkette wie verloren vorkamen.

„Wer führt mich gleich herum?“, fragte er, als sie sich dem langen, niedrigen Ranchhaus näherten. „Sie?“

„Das überlasse ich Joe Grant. Oder seiner Tochter.“ Jim parkte direkt vor dem Haus. „Offensichtlich seiner Tochter. Rebecca. Reba, wie sie jeder hier nennt.“

Sie musste auf der Veranda gesessen und auf ihre Ankunft gewartet haben. Als Lucas sie aus dem Schatten des Hauses treten sah, klopfte sie sich gerade mit beiden Händen den Staub vom Hosenboden ihrer Jeans.

Sie hatte sich nicht gekleidet, um Eindruck zu schinden, wie ihm auffiel, als sie in den Sonnenschein trat. Sie trug alte Jeans, abgewetzte Stiefel und ein kariertes Flanellhemd. Dunkle Haare umrahmten ihr Gesicht und fielen ihr in üppiger glänzender Pracht weit auf den Rücken hinab.

Während sie zu den Männern trat, holte sie ein rotes Haargummi aus der Tasche. Als sie sich einen Pferdeschwanz oben auf dem Hinterkopf band, war der Ansatz ihrer Brüste im Ausschnitt des Hemdes zu erkennen.

„Hi“, sagte sie mit einem Lächeln, das angespannt wirkte und sehr flüchtig war. Ihr misstrauischer Blick ließ ihre Augen wie Meerwasser glitzern.

„Guten Morgen, Reba“, murmelte Jim, dann machte er sie und Lucas miteinander bekannt.

Als Lucas ihr die Hand schüttelte, fiel ihm der überraschende Kontrast zwischen ihren langen feingliedrigen Fingern und ihrem kraftvollen Händedruck auf.

„Ist dein Dad in der Nähe?“, fragte Jim.

„Er hat Mom nach Cheyenne gefahren.“

„Zum Arzt?“

Sie nickte.

„Hast du ein Programm für Mr Halliday aufgestellt?“ Sie nickte erneut. „Ich dachte mir, dass wir uns heute ganz auf das Wirtschaftliche konzentrieren, also darauf, wie diese Ranch betrieben wird. Mit den zusätzlichen Annehmlichkeiten können wir uns dann morgen befassen, Mr Halliday, falls Sie dann noch interessiert sind. Dann können wir uns die Blockhütte in den Bergen, die Angelplätze und die Jagdreviere anschauen. Und wenn Sie dann immer noch hier sind, schauen wir uns den Viehbestand genauer an.“

„Klingt gut.“

„Fangen wir am besten mit dem Haus an. Dann nehmen wir uns vielleicht die Stallungen und die Geräteschuppen vor.“

„Vergessen Sie das Haus“, entgegnete Lucas in dem Wissen, dass Raine Wert auf ein wesentlich größeres, vornehmeres Haupthaus legte. „Es wird sowieso abgerissen.“

Betroffen presste Rebecca die Lippen zusammen und reckte das Kinn vor. Vermutlich war dieses Gebäude ihr Leben lang ihr Zuhause gewesen. Er hingegen konnte sich nicht vorstellen, irgendwo verwurzelt zu sein. Seine Eltern hatten sich scheiden lassen, als er gerade mal drei Jahre jung gewesen war, und seitdem hatte seine Mutter an vier und sein Vater an mindestens sieben verschiedenen Adressen gewohnt. Lucas war zwischen diesen Wohnsitzen hin und her gependelt, bis er mit achtzehn aufs College gegangen war.

Einerseits hatte es Spaß gemacht, und doch … Er erinnerte sich, dass es ihn irgendwie auch verunsichert hatte, und jetzt beneidete er Rebecca beinahe.

Er erwog, sich für die unbedachte Bemerkung zu entschuldigen, aber das hätte ihr nur noch mehr Gewicht verliehen. Mit solchen Situationen konnte er schlecht umgehen. Für gewöhnlich tat er mit seinen Käufen und Übernahmen nicht jemandem persönlich weh.

Schlagartig wurde ihm bewusst, was ihr steifes Lächeln, der misstrauische Blick und der schroffe Händedruck vorhin bei der Begrüßung zu bedeuten hatten.

Sie will nicht verkaufen.

„Möchtest du einen Kaffee, bevor wir anfangen, Jim?“, fragte Rebecca.

Der Makler schüttelte den Kopf und fragte: „Fährst du Mr Halliday nachher zurück in die Stadt?“ Sie nickte. „Ja, ich oder Dad.“

Ich hätte mit dem Leihwagen herkommen sollen, dachte Lucas, anstatt auf Jims Warnungen vor komplizierter Straßenführung und holperigen Feldwegen zu hören. Nun war er abhängig von der kratzbürstigen, faszinierenden Rebecca Grant, und das gefiel ihm gar nicht.

„Diese Ranch wird Sie echt beeindrucken“, versprach Jim, bevor er sich verabschiedete und davonfuhr.

„Tja, ich hätte gern einen Kaffee“, verkündete Lucas.

Rebecca machte auf dem Absatz kehrt und schritt missmutig zum Haus. Verglichen mit den Frauen, mit denen er normalerweise verkehrte, bewegte sie sich nicht unbedingt graziös. Ihr Gang wirkte zu steif, zu entschlossen, und doch war ihre ausdrucksvolle Körpersprache durchaus attraktiv.

„Nun müssen Sie also doch Zeit für das Haus verschwenden“, bemerkte sie über die Schulter hinweg.

„Hören Sie, Miss Grant …“

„Sie wissen vermutlich nicht, wie es ist, an einem Haus wie diesem zu hängen, oder?“

„Da haben Sie allerdings recht.“

„Ihrer Ansicht nach kann man wohl nur etwas für eine Villa mit sechzehn Zimmern und unschätzbar wertvollen Kunstwerken empfinden.“

„Eigentlich gibt es überhaupt kein Haus, das mir etwas bedeutet.“

Sie blieb stehen, drehte sich zu ihm um und schaute ihn verwundert an. „Tja, nun.“ Ihr Blick wurde ein wenig sanfter, obwohl ihre nächsten Worte keineswegs milde klangen. „Vielleicht können Sie sich ja beim Kaffee schon mal den besten Ansatzpunkt für die Abrissbirne ausgucken.“

Lucas machte sich nicht die Mühe, ihr zu erklären, dass dieses Gebäude den Einsatz einer Abrissbirne nicht lohnte, dass es in der Tat überhaupt nicht abgerissen zu werden brauchte. Weitaus praktischer und billiger war es, das kellerlose Gebäude einfach an einen weniger attraktiven Standort zu versetzen und als Schlafbaracke für Rancharbeiter oder Haushaltspersonal zu verwenden. Allerdings glaubte Lucas nicht, dass dieser Gedanke sie erleichtert hätte. Das Gebäude sah so aus, als gehörte es genau an diesen Standort.

Als Rebecca vor ihm die Stufen zur Veranda erklomm, musste er mühsam den Blick von ihren wiegenden Hüften abwenden. Diese Rebecca Grant hatte das gewisse Etwas. Das Wort Wunderschön erschien ihm zu bombastisch und passte auch nicht zu ihr. Aber sie besaß eine aufreizende Energie, einen seltsamen Magnetismus, eine unbestreitbare Stärke.

Wie sein Bericht an seinen Vater über die Ranch auch immer ausfallen mochte, er wusste, dass er sich an diesem Tag nicht langweilen würde.

„Bitte schön“, murmelte Rebecca, während sie Lucas Halliday eine Tasse Kaffee hinstellte. Der Form halber bedachte sie ihn mit einem nüchternen flüchtigen Lächeln.

Sie wollte diese Ranch nicht verlassen. Und der Verkauf stünde auch gar nicht zur Debatte, wenn ihre Eltern nicht wegen des angegriffenen Gesundheitszustands ihrer Mutter nach Florida zu deren Schwester ziehen wollten.

Und hätte Rebecca nicht ihre langjährige Verlobung mit dem Nachbarrancher Gordie McConnell gelöst, wäre es auch nicht dazu gekommen. Dann hätten sie nach dem Fortzug ihrer Eltern die beiden Ranchs gemeinsam führen können, aber allein traute Rebecca es sich nicht zu.

Sie hatte ja schon geahnt, dass es ihr schwerfallen würde, potenzielle Käufer herumzuführen, aber in Wirklichkeit war es noch viel härter. In Wirklichkeit hatte sie Lucas Halliday vor sich, einen berühmt-berüchtigten Geschäftemacher und Erbe eines Familienimperiums. Er trug nach Maß gefertigte Stiefel, einen Sweater mit Designer-Label auf der Brusttasche und Jeans, die gerade alt genug waren, um die richtige Passform zu haben.

Er brachte sie durcheinander. Es lag an seiner selbstsicheren Art, sich zu bewegen, und an seinem Aussehen.

Er war nicht im traditionellen Sinn gut aussehend. Die Oberlippe war voller als die Unterlippe, Wangenknochen, Nase und Kinn waren sehr markant. Die Augen hatten die Farbe von Bernstein und die Haare die von Ahornsirup mit sandfarbenen Strähnen. Mit seinem gestählten Körper hätte er jedem Mann Fitnessgeräte verkaufen können.

Sollte er doch die Ranch kaufen, wenn er wollte. Rebecca hoffte nur, dass er eine schnelle Entscheidung traf und dann wieder aus ihrem Leben verschwand. Er schien schon jetzt zu viel Raum einzunehmen.

Nachdem sie einen Schluck von ihrem Kaffee genommen hatte, ging sie in die angrenzende Kammer, die ihr Vater als Büro benutzte. Dort holte Rebecca die von ihm vorbereiteten Papiere wie Grundrisse des Anwesens, Berechnungen der Ernteerträge und Futtermengen sowie eine Inventarliste der Gerätschaften.

Sie legte den Stapel auf den Küchentisch, an dem Lucas saß. „Hier. Vielleicht möchten Sie sich das schon mal ansehen, während Sie Ihren Kaffee trinken, damit wir keine Zeit verschwenden.“

Sie betonte das Wort „wir“ ein wenig, denn sie hätte es vorgezogen, den Tag mit den Rancharbeitern zu verbringen und Zäune zu flicken. Stattdessen musste sie sich nun mit einem Mann abgeben, der ihr Zuhause abreißen wollte und nicht davor zurückschreckte, es ihr ins Gesicht zu sagen.

Und doch hatte sie gespürt, dass von ihm auch etwas Sanftes ausging, eine Spur von Verständnis, ja vielleicht sogar ein wenig Neid. Das erweckte eine ungewollte Neugier in ihr, die ihr keine Ruhe ließ.

Lucas nahm einen Schluck Kaffee, lehnte sich auf dem Stuhl zurück und genoss die Aussicht aus dem Fenster. Die Papiere würdigte er keines Blickes. „Das ist ja großartig“, bemerkte er.

„Ich hoffe, Sie meinen den Kaffee.“

„Eigentlich meine ich …“ Er hielt inne, als sie ihn herausfordernd anblickte.

Sie wollen doch wohl nicht von der Aussicht aus einem Haus schwärmen, das Sie abzureißen gedenken?

„Ja, ich meine den Kaffee. Er schmeckt großartig.“

Rebecca presste die Lippen zusammen, ohne zu lächeln.

Lucas begegnete ihrem Funken sprühenden Blick und hielt ihn gefangen, diesmal ohne jeglichen Anflug von Sanftmut oder Verständnis, sondern eindringlich und brütend.

Ihr wurde heiß. Nie zuvor hatte sie so heftig auf einen Mann reagiert, und sie wusste nicht, warum es ausgerechnet jetzt geschah. Schließlich waren ihr doch schon vorher eindrucksvolle Männer begegnet. Lag es daran, dass sie den Drang verspürte, mit diesem Lucas Halliday um die Ranch zu kämpfen, brachte das vielleicht ihr Blut in Wallung?

„Hören Sie, mir ist durchaus klar, dass es Ihnen lieber gewesen wäre, wenn Jim mich herumgeführt hätte“, sagte er nun.

„Das wäre in der Tat hilfreich gewesen. Ich freue mich nicht gerade darauf.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Schließlich habe ich sechsundzwanzig Jahre lang hier gelebt und meine Familie wesentlich länger.“

„Werden Sie denn in dieser Gegend bleiben?“

„Das habe ich vor, zumindest vorläufig.“

„Dann werden Sie sich damit abfinden müssen, dass sich hier einiges verändert. Das wird wohl in jedem Fall passieren, ganz gleich, wer die Ranch kauft.“ Er zuckte die Achseln, so, als wäre damit alles gesagt.

Also gut, damit hatte er natürlich recht. Rebecca konnte jetzt schlecht den Kopf in den Sand stecken, sie musste den Dingen ins Auge sehen – schließlich hatte sie nicht vor, aus Biggins wegzuziehen. Verstimmt presste sie die Lippen aufeinander. Sie verachtete Lucas Halliday, weil er sie so geradeheraus mit diesen Dingen konfrontierte, weil er – offensichtlich unbewusst – ihre Sinne reizte, und weil er anscheinend wusste, dass sie seine Unverblümtheit besser verkraften konnte als Mitgefühl.

„Es lässt sich wohl nicht vermeiden, dass Sie damit behelligt werden“, sagte er in sachlichem Ton. „Mein Vater erwartet Details, die ich nur von jemandem bekommen kann, der sich hier wirklich auskennt. Falls es Sie tröstet: Er versucht bestimmt nicht zu feilschen, wenn ich ihm zu diesem Objekt rate, und er wird den Kauf schnellstens abwickeln wollen.“ Lucas Halliday spreizte die Finger, und es wirkte fast wie eine entschuldigende Geste. „Raine – meine Stiefmutter – wünscht sich dieses Jahr weiße Weihnachten in einer Blockhütte.“

„Mit der Blockhütte können wir dienen“, erwiderte Rebecca ebenso sachlich. „Für Schnee kann ich allerdings nicht garantieren. Darüber werden Sie mit einer höheren Macht verhandeln müssen. Ist man Ihnen da oben vielleicht noch irgendetwas schuldig?“

Er lachte. Eigentlich hätte sich die Atmosphäre jetzt etwas entspannen sollen, aber das war nicht der Fall. Rebecca beobachtete, wie er nun doch in den Unterlagen blätterte. Er holte einen Taschenrechner hervor, gab eine Reihe von Ziffern ein und kritzelte etwas in ein Notizbuch. Kontrollierte er etwa die Berechnungen ihres Vaters?

Es war ihr unangenehm, ihn zu beobachten. Daher zog sie sich hinter den Esstresen zurück, wischte den Herd ab, säuberte die Krümellade des Toasters und wässerte die Veilchen auf dem Fenstersims über der Spüle. Beinahe hätte sie dabei auch Lucas Halliday gewässert, denn gerade, als sie die Gießkanne wieder füllte, brachte er seinen Kaffeebecher zur Spüle. Das Plätschern des Wassers übertönte seine Schritte, und als Rebecca sich umdrehte, stieß sie prompt mit der Messingkanne an seine Brust. Ein paar Tropfen ergossen sich aus der langen Tülle auf seinen Sweater.

„Oh je“, rief Rebecca leise aus.

„Kein Problem.“

Sie nahm ihm den Becher aus der Hand und stellte ihn zusammen mit der Gießkanne auf das Abtropfbrett.

Deutlich spürte sie, dass er direkt hinter ihr stand. Ihre Nackenhaare richteten sich auf, und ihr stockte der Atem. Es schockierte sie, wie stark die Anziehungskraft war, die er auf sie ausübte. Daher erleichterte es sie ungemein, als er fragte: „Können wir dann jetzt los?“

Rebecca sorgte dafür, dass Lucas und sie den ganzen Vormittag über beschäftigt waren. Sie machte die Aufgabe gut, die ihr Vater ihr übertragen hatte. Es wurde für Lucas immer deutlicher, wie sehr sie an dieser Ranch hing, obwohl sie sich bemühte, sich nichts anmerken zu lassen. Und erneut verspürte er einen Anflug von Neid, obwohl er dankbar sein sollte, nie vor diesem Problem stehen zu müssen.

Sie zeigte ihm alle Nebengebäude wie Stallungen, Futterkammer, Sattelkammer, Geräteschuppen und Schlafbaracken sowie sämtliche Fahrzeuge und landwirtschaftlichen Maschinen, die zum Anwesen gehörten: Mähdrescher, Ballenpresse, mehrere Kleintransporter und Traktoren.

Alles schien in gutem Zustand zu sein, und wenn es bei einem Gerät einmal an etwas mangelte, machte Rebecca ihn darauf aufmerksam. So teilte sie ihm mit, dass einer der Kleintransporter neue Reifen brauchte und der Vierradantrieb eines Geländewagens nicht in Ordnung war. Anschließend stiegen sie wieder in Rebeccas Wagen und fuhren weiter.

Lucas hätte nie gedacht, dass man einen Kleintransporter mit einem derart hohen Kalorienverbrauch fahren konnte. Rebecca erhob zwar nie die Stimme und fluchte auch nie, aber sie riss beim Fahren das Lenkrad kraftvoll herum, stürzte sich förmlich auf den Schaltknüppel, trat Bremse und Kupplung immer ganz durch … ganz als handelte es sich um eine Art Zweikampf.

„Steht dieser Wagen eigentlich auch auf der Verkaufsliste?“, fragte Lucas schließlich.

Sie blickte ihn ernst mit ihren großen Augen an, deren Farbe eine unglaubliche Mischung aus Blau, Grün und Grau war. „Sie würden ihn gar nicht wollen. Der Kilometerzähler macht schon die dritte Runde, und der Wagen hat mehr Temperament als ein Wildpferd. Der zweite Gang springt immer raus. Unter tausend Umdrehungen geht der Motor aus, und er säuft Öl, wie ich Kaffee trinke. Ich muss jeden Morgen erst mal nachfüllen.“

Bei der Südweide hielt sie an und zog – wie bei jedem Stopp – mit einem heftigen Ruck die Handbremse an. Ein paar Arbeiter reparierten gerade die Zäune, während eine Herde Kühe ihnen zusah.

„Sie sind gedeckt worden“, verkündete Rebecca. „Sie werden ab Mitte März kalben.“

Sie stellte ihm die Arbeiter Pete und Lon vor. Zu viert nahmen sie im Stehen das Mittagsmahl aus Sandwiches, Kaffee und Keksen ein. Die Sonne schien vom strahlend blauen Himmel hinab. Lucas’ Rücken wurde heiß, und seine Augen wurden müde vom Blinzeln. Er sehnte sich danach, sich wie Lon das Sweatshirt auszuziehen. Doch leider war es unangemessen für den potenziellen Käufer einer teuren Ranch, sich mit nacktem Oberkörper sehen zu lassen.

Rebecca wirkte ebenfalls erhitzt. Sie trug ihre Sonnenbrille meistens auf dem Oberkopf geparkt, so, als wollte sie ihre geliebte Ranch ungefiltert sehen. Lucas hätte sich die Brille gern ausgeliehen.

Nach dem Essen fuhren sie weiter zum Oberlauf des Bachs, dort spazierten sie ein beträchtliches Stück am Ufer entlang. Lucas ließ Rebecca unwillkürlich einige Schritte vorausgehen und musterte ihren aufreizend knackigen Po in den hautengen Jeans. Als es ihm bewusst wurde, holte er sie schnell ein und hörte sie sagen: „Ein Stück weiter kann man die Blockhütte sehen.“

Dann erblickten sie einen seltsamen Haufen im Gras, und beide erkannten, dass es sich um eine längst verendete Kuh handelte. Rebecca runzelte die Stirn, rang nach Atem und kniff ihre unglaublichen Augen zusammen.

Lucas berührte sie an der Schulter und ging davon aus, dass Rebecca sich ihm Trost suchend in die Arme stürzen würde. Er fühlte ihr weiches Flanellhemd, dann ließ er die Hand über ihren nackten Arm gleiten, der sogar noch weicher und wärmer war.

Eine Woge des Verlangens durchströmte seinen Körper und nahm ihm den Atem. Lucas hätte schwören können, dass auch sie es spürte. Er hörte es an dem veränderten Rhythmus ihres Atems.

Nach einem kurzen Moment jedoch wehrte sie die Berührung ab – wie ein Pferd eine lästige Fliege. „Hier ist nichts mehr zu machen.“

„Das fürchte ich auch.“

„Ich gebe Lon Bescheid, wenn wir zurückkommen.“ Sie schwieg eine Weile und fragte dann: „Sehen Sie die Bewegung da drüben im Wasser?“

Lucas kannte sich mit Forellen aus, sodass sie ihm nicht den Unterschied zwischen Bachforellen und Regenbogenforellen zu erklären brauchte. Die vielen Fische glänzten unter der Wasseroberfläche wie bemalte Alufolie. Die Strömung flocht plastische Muster in das Wasser und plätscherte fröhliche Lieder vor sich hin.

Der Spaziergang dauerte zwanzig Minuten, weil sie es gemächlich angingen. Sie redeten nicht viel. Die Sonne schien, der Wind fuhr durch die Bäume. Rebecca gefiel es, dass Lucas Halliday es verstand zu schweigen. Manche Leute konnten das nicht.

Schließlich blieb sie an einem stillen, schattigen Teich stehen. „Das hier ist die Stelle, von der aus man die Hütte sehen kann.“

„Ja? Zeigen Sie sie mir?“

Rebecca nickte. „Etwa 200 Yards flussaufwärts reicht ein Bergrücken bis ans Wasser heran. Sehen Sie ihn?“

Lucas stellte sich hinter sie und folgte mit dem Blick der Verlängerungslinie ihres ausgestreckten Arms. „Da drüben, wo man einen Streifen Fels unter den Bäumen sehen kann?“

„Genau. Und jetzt schauen Sie von da aus nach oben. Da liegt eine umgestürzte Pinie, etwa ein Drittel von der Spitze entfernt.“

„Die sehe ich nicht.“ Lucas beugte sich näher zu Rebecca und atmete ihren Duft ein: Sonnenlotion, saubere Haare und in der Sonne getrocknete Baumwolle. Warum rochen derartig schlichte Dinge nur so gut? Er war an Designerparfums gewöhnt, aber in Wahrheit bevorzugte er diesen Geruch.

„Schauen Sie nach einer helleren Stelle. Ein Blitzschlag hat den Stamm im letzten Sommer gespalten.“

„Jetzt hab ich’s.“ Seine Brust streifte ihre Schulter, und er spürte, wie sie zitterte. Es war eher ein Vibrieren als eine echte Bewegung, und Rebecca wich nicht zurück. Zweifellos spürte sie es auch.

In erhöhter Tonlage und gedämpfter Lautstärke verkündete sie ein wenig atemlos: „Direkt dahinter, in der Bodenfalte des nächsten Berghangs, kann man das Dach der Hütte sehen.“

„Oh ja. Dunkle Schindeln und ein Fenster.“

„Richtig. Es ist wunderschön dort oben, aber das Haus wird kaum noch genutzt. Früher ist mein Großvater dort öfters mit seinen Jagdkumpanen eingekehrt.“

„Zeigen Sie es mir morgen?“

„Reiten Sie?“, fragte sie unvermittelt.

„Manchmal. Wenn ich kann.“

„Dann reiten wir hinauf, wenn wir aus Steamboat Springs zurück sind.“

„Das klingt großartig.“ Er war nur wenige Zentimeter von ihr entfernt und sehr versucht, noch näher zu treten und diese mächtige Anziehungskraft zu testen. Rebeccas Augen wirkten wie das Meer im Nebel oder ein sommerlicher Teich im Regen. Wie zufällig lehnte Lucas sich erneut an ihren Rücken, doch dann wich er zurück, bevor sie sich dagegen verwehren konnte – oder bevor sie sich ihrerseits an ihn lehnen konnte.

So oder so galt es zu verhindern, zu viel Gefühl in diese geschäftliche Angelegenheit einzubringen, die für seinen Geschmack ohnehin schon allzu persönlich geworden war.

„Ich glaube, für heute habe ich erst einmal genug gesehen“, murmelte Lucas, und er meinte damit Rebecca selbst ebenso wie ihre Ranch.

3. KAPITEL

„Sag mir, was du an meinem Verhalten zu bemängeln hast“, forderte Lucas Rebecca auf. „Was hätte ich anders machen sollen? Was hättest du gern anders gemacht? Bereust du das, was im September passiert ist?“

Sein Blick glitt zu Rebeccas dickem Bauch, und er runzelte die Stirn. Sie waren immer noch nicht zur Sache gekommen. Beide waren sie noch zu sehr in Erinnerungen an ihre erste Begegnung verhaftet, die selbst nach sechs Monaten noch schmerzlich lebendig waren.

Rebecca suchte nach der richtigen Antwort, während das Ziehen in Rücken und Bauch ein wenig heftiger wurde und länger anhielt als zuvor. Sie sank auf den Stuhl am Schreibtisch, als ein flüchtiges Klopfen ertönte und sich die Tür öffnete.

„Gordie ist hier und will dich sprechen“, verkündete eine der Kellnerinnen. „Oh nein“, stöhnte Rebecca ungehalten. „Was soll ich ihm sagen?“

„Sag ihm … sag ihm, dass …“

„Sagen Sie ihm, er soll endlich begreifen, dass er schon seit acht Monaten nicht mehr erwünscht ist“, warf Lucas ein. „Nein, sagen Sie ihm einfach, dass sie nicht hier ist.“

Die Kellnerin nickte, zog sich zurück, schloss die Tür.

„McConnell ist also immer noch nicht von der Bildfläche verschwunden. Läuft da etwa wieder etwas?“

„Nein“, erwiderte Rebecca nachdrücklich. Sie war sich sehr sicher in dieser Hinsicht. Gordie hingegen war unbeständig wie ein Fähnlein im Wind. Sein Verhalten im letzten September hatte sie förmlich in Lucas’ Arme getrieben. Ständig hatte er im Steakhaus herumgelungert, wie er es immer noch tat. Er hatte mit einer Hand gegeben und mit der anderen genommen, und auch das war noch immer so.

Nachdem Rebecca Lucas an jenem ersten Tag über die Ranch geführt hatte, hatte sie am Abend im Steakhaus gearbeitet. Gordie war in die Küche spaziert, mit einer Flasche Bier in der Hand, und vielleicht hatte genau in diesem Moment ihre Geschichte mit Lucas begonnen …

„Hi, Reba.“ Gordie zog sich einen Hocker heran und nahm vor dem großen Gefrierschrank Position ein.

„Selber Hi“, murmelte sie mit einem erzwungenen Lächeln. Es irritierte sie, dass er sie immer noch so oft aufsuchte, und sie war müde nach dem spannungsgeladenen Tag mit Lucas Halliday. Daher fiel es ihr schwer, ihre Gereiztheit zu verbergen.

Sie und Gordie hatten sich schließlich schon vor zwei Monaten getrennt. Vielleicht hätte sie froh sein sollen, dass sie nach wie vor befreundet waren, und in gewisser Weise erleichterte es sie auch. In einer Kleinstadt wie Biggins, in dessen einzigem anständigen Restaurant sie an vier Tagen in der Woche kochte, wäre eine Feindschaft zwischen ihnen für viele Leute unangenehm gewesen. Aber es passte ihr gar nicht, dass sich durch die Lösung der Verlobung so wenig geändert hatte.

Gordie nahm einen Schluck Bier, strich sich durch die dunklen Haare und verkündete: „Ich habe nachgedacht, Reba.“

Sie stellte seine Aussage nicht infrage. Schließlich hatte er ein gutes Köpfchen, vor allem für Zahlen – im Gegensatz zu ihr. Er hatte Statistiken über seine Familienranch im Computer, die selbst ihrem Vater nicht in den Sinn gekommen wären. Gordie verbrachte viel Zeit im Internet, was ihm anscheinend irgendwie Geld einbrachte. Und er konnte reiten, als wäre er eins mit dem Pferd.

„Ach ja?“, murmelte sie und wendete drei Steaks.

„Du hast doch jetzt einen Käufer, oder?“

„Er wirkt zumindest interessiert. Aber er ist ein nüchterner Geschäftsmann und wird keine spontane Entscheidung treffen. Morgen will er sich noch mehr ansehen, also fahre ich mit ihm nach Steamboat Springs und zur Blockhütte.“

„Ich habe nämlich nachgedacht.“

„Das sagtest du bereits.“

„Wenn wir doch heiraten, verkauft dein Dad vielleicht nicht“, eröffnete Gordie ungerührt. „Ich wäre bereit dazu.“

Fassungslos starrte Rebecca ihn an. „Wir haben uns doch getrennt, Gordie. Das heißt – ich habe mich von dir getrennt.“

„Ja, ich weiß, aber seitdem hat sich nicht viel geändert, oder? Für uns beide nicht. Außer, dass dein Dad jetzt die Ranch verkauft. Deshalb habe ich mir gedacht … Ich war irgendwie erleichtert, als du Schluss gemacht hast, aber jetzt denke ich, dass wir es vielleicht überstürzt haben. Vielleicht hätte ich es dir ausreden sollen, anstatt …“

„Gordon McConnell!“

„Nichts für ungut, aber …“

„Du warst also irgendwie erleichtert?“

„Ich … Ja, weil du mich nervös machst, Reba.“

Ihr Zorn wuchs. „Was soll das denn heißen?“

„Du machst mir Angst. Du bist so emotional. Wenn du dich ein bisschen mäßigen …“

„Moment mal! Du verlangst, dass ich mich ändere, damit du es ertragen kannst, mich zu heiraten? Damit unsere Ranch in der Familie bleibt?“

Er blinzelte mit seinen hellblauen Augen. „Du sollst dich ja nur ein bisschen zügeln. Nicht immer so gefühlsgeladen und temperamentvoll auf alles reagieren. Das macht mich nervös. Das ist alles … Siehst du, du tust es ja schon wieder.“

Verdammt richtig. Sie war tatsächlich emotional, und es gelang ihr nur mit Mühe, dieses Temperament zu zügeln. „Ich finde aber nicht, dass wir heiraten sollten, Gordie.“

Er zuckte fast unmerklich zusammen und widersprach:

„Aber du willst doch die Ranch behalten.“

„Nein, das will ich nicht!“, rief Rebecca aufgebracht. „Ich habe den ganzen Tag damit zugebracht, sie dem potenziellen Käufer schmackhaft zu machen, und er ist einfach ideal. Reich, klug, erfahren.“ Interessant. Vielschichtig. Aufregend. „Wenn es ihm Ernst ist, könnte ich nicht glücklicher sein. Ich bin froh, dass ich dir Angst mache, mir machst du allmählich auch Angst.“

„Dann weißt du jetzt wenigstens, wie das ist. Mäßige dich einfach. Ich mag dich nämlich, das weißt du. Wir passen einfach gut zusammen.“

Wir passen überhaupt nicht zusammen, und das schon seit vielen Jahren, dachte Rebecca. Ihre Beziehung war schon immer mehr von Gewohnheit als von Leidenschaft geprägt gewesen, doch Rebecca hatte das nicht infrage gestellt. Gordie besaß Organisationstalent und einen Sinn für Zahlen und Geld, woran es ihr wiederum mangelte. Rein theoretisch war er der perfekte Mann für sie, seine Ranch lag gleich nebenan. Und aus Rücksicht auf die Gesundheit ihrer Mutter hatte sie keine Unruhe stiften wollen und den Kopf in den Sand gesteckt.

Rebecca wusste nicht einmal, was schließlich den Ausschlag für die Trennung gegeben hatte. Im Nachhinein meinte sie, dass es keinen konkreten Auslöser gegeben hatte. Sie hatten sich nicht gestritten. Sie hatte keinen anderen Mann. Sie hatte einfach erkannt, dass ihr Lebensziel nicht darin bestand; während der Arbeit Gordie beim Biertrinken zu beobachten und sich anzuhören, dass sie sich ‚mäßigen‘ solle.

Außerdem fiel ihr auf, dass sie eigentlich gar nicht wusste, was denn stattdessen ihr Lebensziel war. Intuitiv ahnte sie aber, dass Lucas Halliday ihr auf der Suche danach helfen konnte.

Wie verabredet tauchte Lucas am nächsten Morgen bereits um sieben Uhr früh in seinem Leihwagen auf, denn die für diesen Tag geplante Rundfahrt würde gute sechs Stunden in Anspruch nehmen. Sie hatten vor, mit einer Besichtigung des Ortes Steamboat Springs anzufangen und dann unter anderem einen Abstecher in die Gebirgskette Medicine Bow Range zu machen, wo eine Herde scheuer Wildpferde herumstreunte. An diesem Tag saß Lucas am Steuer, während Rebecca ihm vom Beifahrersitz aus Richtungsanweisungen gab.

An diesem Morgen wirkte Rebecca irgendwie verändert auf ihn. Zwar strahlte sie dieselbe elektrisierende Energie aus, aber sie wirkte irgendwie kühner, offener. Weniger zornig, dafür entschlossener. Die funkelnden Augen und das vorgereckte Kinn ließen erahnen, dass sie irgendjemandem irgendetwas beweisen wollte.

Ab diesem Altweibersommertag war mit sehr hohen Temperaturen zu rechnen, und daher trug sie Shorts, obwohl es so früh am Morgen noch kühl war. Der honigfarbene Stoff passte zu ihrer gebräunten Haut und lenkte Lucas’ Aufmerksamkeit auf ihre langen glatten Beine. Ihre Füße steckten diesmal in glänzenden Reitstiefeln, die eine ganze Ecke neuer aussahen als die Schuhe vom Vortag.

Ein unförmiges dunkelblaues Sweatshirt verhüllte ihren Oberkörper. Unter dem runden Ausschnitt war ein Goldkettchen zu sehen, das sie am Vortag nicht getragen hatte, und gelegentlich blitzte etwas Weißes hervor – der Träger eines Tops oder BHs.

Die Haare hatte sie zu einem Knoten verschlungen, aus dem sich bereits vorwitzige Strähnchen gelöst hatten. Sie trug sogar Make-up, das ihre Augen noch ungewöhnlicher und ihre Lippen sinnlicher und voller wirken ließ. Am Vortag hatte sie sich betont lässig gekleidet. An diesem Tag aber hatte sie sich auf ihre Weise herausgeputzt, für die Wildpferde und Steamboat Springs.

Wie lange mochte es her sein, dass Lucas einer Frau begegnet war, die polierte Reitstiefel als einen großen Schritt nach oben auf der Modeleiter ansah?

Rebecca zog sich das Sweatshirt aus, als die Temperatur anstieg. Der weiße Träger gehörte tatsächlich zu einem Top – einem elastischen Tank-Top mit dreieckigem Spitzeneinsatz, das ihre Rundungen wie eine zweite Haut umschmiegte. Darunter zeichnete sich vage ein weißer BH ab.

Sie benutzte das Sweatshirt als Nackenstütze, schob den Beifahrersitz zurück und streckte die langen Beine aus. Sie machte Lucas auf Tiere und Sehenswürdigkeiten und Schlaglöcher aufmerksam, dabei schwang eine Mischung aus Vertrautheit und Interesse in ihrer Stimme mit.

Verwundert bemerkte er: „Sie müssen diese Gegend schon unzählige Male gesehen haben, aber Sie wirken so, als wären Sie immer noch neugierig auf die Dinge um Sie herum.“

„Manchmal vergisst man, sich etwas, das man schon lange kennt, richtig anzugucken. Man betrachtet es als selbstverständlich. Ich habe mir vorgenommen, es heute nicht zu tun.“

„Weil Sie die Ranch verkaufen? Weil Sie bald nicht mehr hier sein werden?“, hakte Lucas nach. „Ich dachte, Sie würden in Biggins bleiben.“

„Das will ich auch. Jedenfalls wollte ich das“, korrigierte sie sich, und dann sinnierte sie: „Eigentlich habe ich alle Möglichkeiten noch gar nicht richtig durchdacht. Ich will nicht mit meinen Eltern nach Florida ziehen, weil ich dieses Land hier liebe. Aber ich will auch nicht in zwanzig Jahren immer noch als Teilzeitköchin in demselben Restaurant aufwachen, mit Hühneraugen an den Füßen, und feststellen müssen, dass meine Träume ausgeträumt sind, weil ich nicht den Mut oder die Zeit hatte, wirklich über meine Zukunft nachzudenken. Ich stehe gerade vor einem gewaltigen Wendepunkt, da will ich die Dinge nicht einfach mit mir geschehen lassen.“

Lucas warf ihr einen forschenden Blick zu. „Sie wollen nicht, dass Ihr Vater die Ranch verkauft, soviel steht fest. Jim Broadbent hat gesagt, dass der Gesundheitszustand Ihrer Mutter den Ausschlag gegeben hat. Sie leidet an Lupus, oder?“

„Systemischer Lupus erythematodes, ja.“ Rebecca hasste die Krankheit, hasste den langen, schier unaussprechlichen Namen, den manche Leute beschönigend mit SLE abkürzten.

Das Leiden hatte unterschiedliche, individuell schwankende Symptome und konnte zum Tode führen, wenn lebenswichtige Organe befallen wurden. Dieser schlimmste Fall trat vielleicht niemals oder erst in vielen Jahren ein, aber auf jeden Fall war die Krankheit unheilbar.

„Und Ihr Dad will Ihnen die Ranch nicht überlassen?“

„Nein. Meine Eltern brauchen das Geld, und ich könnte die Ranch auch gar nicht führen. Mein Verstand ist nicht dafür ausgelegt.“

„Sie scheinen mir aber sehr helle zu sein und sich mit der Ranch ausgezeichnet auszukennen.“

„Es geht nicht nur darum, zur rechten Zeit das Rechte zu tun. Es ist ein Geschäft, wie Sie wissen, und ich habe keinen Geschäftssinn. Da müsste ich schon einen kompetenten Manager einstellen, der viel Geld kosten würde, zusätzlich zu all den Löhnen für die Arbeiter.“

„Es könnte trotzdem ein profitables Unternehmen sein.“

„Das gesamte Vermögen meiner Eltern steckt in der Ranch. Wenn sie nicht verkaufen, müssten sie in Florida eine teure Wohnung mieten und jeden Penny umdrehen. Dabei werden Moms Arztrechnungen von Jahr zu Jahr höher. Nein, die Ranch muss verkauft werden.“

„Aber Sie würden einen hiesigen Käufer mir gegenüber vorziehen“, bemerkte Lucas herausfordernd. Er wollte alles offen legen, wollte Klarheit schaffen. Er wollte ergründen, warum sie so zornig, so unglücklich, so kämpferisch war.

Gemächlich strich sie sich mit der Handfläche über die nackten, seidigen Beine, und es wirkte aufreizend und sinnlich auf Lucas. Er musste aufhören, sich derart von ihr fesseln zu lassen.

Oder legte sie es womöglich darauf an?

Häufig blickte sie ihn feindselig an, aber der Rest ihres Körpers sprach eine ganz andere Sprache. Es wurde ihm eng in der Lendengegend, und er zwang sich, den Blick von ihren Reizen abzuwenden und auf die Straße zu starren, um sich nicht zu verraten.

Rebecca neigte den Kopf und lächelte ein wenig, und ihm wurde warm ums Herz. Leise und ein wenig heiser entgegnete sie: „Ach, eigentlich fange ich gerade an, mich an Sie zu gewöhnen.“

Während der Besichtigung des Urlaubsorts Steamboat Springs, der vergeblichen Suche nach den Wildpferden und der gesamten Rückfahrt spürte Rebecca, dass etwas berauschend Gefährliches von Lucas Halliday ausging.

Noch am Vortag hatte sie den verzweifelten Drang verspürt, die Ranch vor diesem Großstadtmenschen zu schützen und auf einen besseren Käufer zu warten – einen Käufer, wie Gordie es wäre, wenn er nur das Geld hätte oder den Schlüssel zu ihrem Herzen.

Rebecca hatte sich einen Käufer gewünscht, der jeden Abend in das Steakhaus kam, sie über den Stand der Dinge informierte und die Ranch unverändert ließ.

Doch nun war alles anders.

Gordie war bislang ihr einziger Geliebter. Er war zu lange ein fester Bestandteil ihres Lebens gewesen und hatte sie davon abgehalten, in die Zukunft zu blicken. Dagegen musste sie nun etwas unternehmen. Lucas Halliday schien in gewisser Hinsicht die Lösung zu sein. Sie war überzeugt, dass er auf nichts anderes als einen kurzfristigen Flirt aus war. Warum sollte sie also nicht darauf eingehen?

Nie zuvor hatte sie einem Fremden gegenüber so empfunden – dieses Verlangen auf rein körperlicher Ebene. Sie wurde davon unruhig und hungrig, es wirkte belebend und beängstigend, es machte sie unsicher und mutig zugleich. Es gefiel ihr.

Zurück auf der Ranch zog sie sich Jeans und Reitstiefel an und führte Lucas in den Stall. Sie gab ihm ihre eigene Stute Ruby, während sie Moe, den Wallach ihres Vaters, nahm.

Rebecca liebte den Ritt zum Blockhaus hinauf, und der Tag hätte nicht besser dafür geeignet sein können. Die Felder schimmerten im Sonnenschein, und die Luft war heiß und trocken. Sobald die Pferde jedoch durch den Bach gewatet waren und die bewaldeten Berghänge auf der anderen Seite erreicht hatten, wurde es angenehm kühl.

Weder Rebecca noch Lucas sprachen viel. Sättel knarrten, Insekten summten, Hufe klapperten wie vereinzelter Applaus auf Erde, Gras und Steinen.

Gegen drei Uhr erreichten sie das Blockhaus und banden die Pferde an einen Baum. Während Rebecca die Tiere mit Karotten und Äpfeln aus ihrer Satteltasche fütterte, beobachtete sie Lucas verstohlen. Er beschattete die Augen mit einer Hand und blickte zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren.

Was mochte sein Interesse fesseln? Das Ranchhaus oder die Nebengebäude waren von hier oben nicht zu sehen, nur einige Felder, die Südweide und die Straße nach Biggins.

Ihre Hoffnung schwand. Vielleicht wurde ihm soeben bewusst, dass die Ranch viel zu abgelegen war. Sein anfängliches Interesse würde sich bestimmt schnell als leichtfertiger Impuls eines Großstädters erweisen und diesen Nachmittag nicht überdauern.

„Gibt es hier Strom?“, fragte Lucas, als er sich umdrehte und zu ihr trat.

„Ja, durch einen Generator.“

„Und die Wasserversorgung funktioniert nur über den Regenwassertank da hinten?“

Rebecca nickte. „Die Hütte ist nicht dafür gedacht, das ganze Jahr über bewohnt zu werden.“ Was sie sagte, klang wie eine Rechtfertigung, und das war ihr durchaus bewusst. „Wenn Ihre Stiefmutter hier ihre weiße Weihnacht haben soll, müssen Sie schon Feuerholz herschaffen. Der Pfad da drüben ist mit einem Kleintransporter befahrbar – oder mit einem Schneemobil.“

Lucas nickte nur. „Können wir mal reinschauen in die Hütte?“

„Natürlich.“ Rebecca ging voraus auf die Veranda und öffnete die unverschlossene Haustür.

Er hatte verstaubte, muffige Räume mit schmutzigen Fenstern, unebenen Fußböden und schäbigen Möbeln erwartet, aber so war es ganz und gar nicht.

„Ich war vor zwei Tagen hier und habe gelüftet“, erklärte Rebecca.

Sie hatte sogar frische Schnittblumen hingestellt. Es roch nach Lavendel. Die Möbel waren zwar alt, aber von guter Qualität, und auf der Couch und den beiden Sesseln lagen neue Überwürfe und Sofakissen. Auch die Küche war vor wenigen Jahren modernisiert worden.

Der alte Kamin gab sicherlich eine wundervolle Wärme ab. Lucas malte sich aus, wie es wohl wäre, auf dem Perserteppich davor zu sitzen, Marshmallows zu rösten und sich zu lieben.

An einem so schönen sonnigen Herbsttag war es eine seltsame Vorstellung, dass künstliche Wärme erforderlich sein könnte, aber Lucas wusste, dass die Temperaturen in den Bergen stark absinken konnten. Raines weiße Weihnacht war also ziemlich sicher.

Für Raines Geschmack waren die Zimmer wohl allerdings viel zu voll gestopft, die Fenster zu klein und die Decken zu niedrig. Sie würde schon am ersten Tag unter Platzangst und Langeweile leiden.

Das Blockhaus auch abreißen?

Nein, auf keinen Fall.

Sie konnte sich ja ein neues Haus bauen, mit hohen Decken, riesigen Fenstern und Satellitenfernsehen. Diese Hütte wollte Lucas für sich selbst beanspruchen – als Provision, als Finderlohn. Es war ein irrationaler, emotionaler Impuls, den er sich selbst nicht erklären konnte.

Was geht hier vor?

Viel zu viel. Mehr als nur ein Flirt. Er konnte bereits besser, als ihm lieb war, nachvollziehen, warum Rebecca hier so verwurzelt war.

„Möchten Sie sich vielleicht auch das obere Stockwerk ansehen?“, fragte sie gerade.

„Ja, bitte.“

Sie ging mit wiegenden Hüften voraus, und er folgte ihr auf dem Fuße. Er war so gefesselt von ihrer Ausstrahlung, dass sie beinahe zusammenstießen, als Rebecca abrupt stehen blieb und sich zu ihm umdrehte. „Ich hätte Ihnen zeigen sollen …“

Sie verstummte, als seine Hand auf ihrer Hüfte landete, und Rebecca schwankte ihm entgegen. Ihre Augen wurden groß und dunkel. Da er eine Stufe unter ihr stand, war sein Mund auf einer Höhe mit ihrem und nur wenige Zentimeter entfernt. Lucas spürte ihren Atem auf den Lippen. Sie versuchte gar nicht erst, Distanz zu schaffen.

„Als wir unten waren, hätte ich …“ Sie verstummte erneut, als er die zweite Hand auf ihre andere Hüfte legte.

„Zeig mir nur das Schlafzimmer“, murmelte er mit rauer Stimme, und das letzte Wort verlor sich an ihren weichen, süßen Lippen. Lucas schloss die Augen, wollte nicht sehen, wollte nur schmecken und fühlen.

Rebecca wich nicht zurück, hielt die Schenkel an seine Lenden gepresst und musste demnach spüren, was in seinem Körper vorging.

Wusste sie auch, dass sie sich an ihm rieb? Sie bewegte die Hüften, langsam und nur wenige Zentimeter in jede Richtung, aber es erregte ihn maßlos. Ihre Brüste berührten seinen Oberkörper, und die Spitzen unter dem dünnen Baumwollstretch wurden hart durch die Reibung.

Nun sank Rebecca auf eine Treppenstufe hinab und zog Lucas mit sich, bis er zwischen ihren Schenkeln kniete. Das Gesicht barg er zwischen ihren Brüsten, und sie schlang ihm die Beine um den Oberkörper. Erregt schob er ihr Top hoch, umschmiegte ihre Brüste und streichelte mit den Daumen die harten Spitzen.

Sie nahm seinen Kopf zwischen die Hände. Ihre Augen waren weit geöffnet und voller Verlangen. „Okay, ich zeige dir jetzt das Schlafzimmer“, flüsterte sie, und dann küsste sie ihn hungrig und verheißungsvoll.

Atemlos kletterten sie die restlichen Stufen hinauf. Unter dem Dach befanden sich nur zwei kleine Schlafzimmer, und Lucas musste den Kopf einziehen, als Rebecca ihn durch die niedrige Tür des etwas größeren Raumes zog. Neben einem Doppelbett mit frischen weißen Laken zog sie sich das Top über den Kopf, streifte sich den BH ab und bot ihm den Anblick ihrer nackten Brüste. Ihr Atem ging rasch und flach.

In diesem Moment wurde Lucas bewusst, dass es nicht ihre Gewohnheit war, Männer in dieses Blockhaus mitzunehmen, um mit ihnen zu schlafen – falls sie es überhaupt jemals getan hatte.

Statt sie also stürmisch zu erobern, wonach er so sehr verlangte, strich er ihr nur einmal behutsam über die Brüste, die voller waren, als er erwartet hatte. Dann legte er ihr die Hände auf die Schultern, blickte ihr in die Augen und sagte: „Warte.“

Sie hob das Kinn, und ihre Augen blitzten. „Nein.“

„Warum, Reba?“

„Weil ich es will. Und du auch. Tu mir den Gefallen und glaub mir einfach, dass ich weiß, was ich will.“

„Ich biete dir aber nichts weiter als …“

„Ich verlange auch nichts weiter. Mir geht es nur um das, was jetzt passiert. Und das ist mehr, als ich noch vor einer Stunde erwartet habe, aber es fühlt sich richtig an.“ Sie legte sich eine Faust auf den Bauch. „Hier drinnen fühlt es sich richtig an.“

„Ich bezweifle nicht, dass du weißt, was du willst“, murmelte Lucas rau, und sie spürte seinen Blick auf ihren Brüsten wie eine Liebkosung. „Aber willst du denn gar nicht wissen, was ich will?“

„Wenn du es nicht willst – mich, meinen Körper, dann hast du die ganze Zeit falsche Signale ausgesandt, schon seit gestern.“ Sie holte tief Luft, sodass sich ihre Brüste hoben, und beobachtete, wie er sich die Lippen befeuchtete. Seine Jeans schienen auf einmal sehr eng zu sitzen.

Er trat näher. „Ich rede von der Ranch.“

„Du glaubst, dass es darum …“ Zorn raubte, ihr den Atem. „Du glaubst, dass ich dir damit die Ranch andrehen will? Das ist … das ist …“

„Nein, verdammt, Reba, nein!“ Lucas trat einen Schritt näher und umfasste ihre Arme. „Ich meinte damit, ob du anders dazu stehen würdest, wenn du wüsstest, wie ich mich wegen des Kaufs entscheide.“

„Falls du dich schon entschieden hast, will ich es gar nicht wissen. Weil es für mich keine Rolle spielt. Okay?“

Er nickte, legte ihr eine Hand in den Nacken und senkte den Mund auf ihren. „Ja, du hast recht. Für mich ändert es auch nichts.“

Rebecca schloss die Arme um ihn, streichelte seinen Rücken, erforschte seine Muskeln und zog ihm das T-Shirt aus. Dann befeuchtete sie ihre Zeigefinger mit der Zungenspitze und berührte seine Brustspitzen, die sich zu kleinen Perlen zusammenzogen. Das Wissen, dass sie einen Mann wie Lucas derart erregen konnte, erweckte ein Gefühl der Genugtuung in ihr und den Wunsch nach mehr.

„Sag mir, was dir gefällt“, drängte sie ihn zwischen heißen Küssen. „Zeig es mir. Berühr mich. Mit den Händen, mit dem Mund. Bring mir alles bei.“

„Hast du denn noch nie …“

„Doch, natürlich. Aber nicht so.“ Sie griff nach seiner Jeans, öffnete sie aufreizend langsam, streifte sie ihm zusammen mit der Unterwäsche hinab.

Stöhnend zog er Rebecca in die Arme und schob ein Bein zwischen ihre Schenkel. „Zieh dich aus“, drängte er rau. „Lass mich dich ansehen.“

Das alte Bett ächzte, als Lucas sich hinsetzte. Gleichzeitig zogen sie sich die Stiefel aus. Dann beobachtete er, wie sie sich mit aufreizenden Hüftbewegungen die Jeans abstreifte.

„Ich habe nicht damit gerechnet“, murmelte er bedauernd, während er nach ihr griff. „Ich habe nichts dabei. Wenn wir also gewisse Grenzen ziehen müssen, dann bitte jetzt gleich.“

„Das ist schon okay. Nein, es gibt keine Grenzen. Und keine Tabus.“ Sie küsste seine Lippen und hob seine Hände zu ihren Brüsten.

„Gar keine?“

„Erlaubt ist, was gefällt.“

Sie küssten und liebkosten sich innig, bis Rebecca nicht länger wusste, wo ihr Körper aufhörte und seiner anfing. Sein Mund war überall. Er ließ die Lippen über ihr Gesicht, ihre Brüste, ihren Bauch und noch tiefer gleiten. Sie wand sich und bäumte sich auf, als eine Woge der Ekstase sie mit sich riss. Darin sank sie auf das Bett und spürte, wie Lucas höher glitt und Einlass suchte.

„Du bist so wunderschön“, murmelte er aufstöhnend.

Sie klammerte sich an ihn, bewegte sich mit ihm in absoluter Harmonie. Sie genoss es, sein Gewicht auf sich zu spüren und den Mandelduft seiner Haare einzuatmen.

Gemeinsam erreichten sie den Höhepunkt und kehrten dann ganz allmählich zurück in die Realität. Rebecca wusste nicht, was sie sagen sollte, ob sie überhaupt etwas sagen sollte … Und so küsste sie ihn nur sanft, immer wieder, als wäre jeder Kuss ein Wort der Zärtlichkeit oder des Dankes.

4. KAPITEL

„Geht es dir nicht gut?“, fragte Lucas. Er beobachtete, wie Rebecca auf dem unbequemen ächzenden Holzstuhl am Schreibtisch herumrutschte.

Momentan fühlte sie sich nicht sonderlich wohl. Es war nicht verwunderlich angesichts ihrer Beschwerden. In dem Schwangerschaftsbuch, das sie sich gekauft hatte, war von falschen Wehen die Rede – sie kamen unregelmäßig und fühlten sich eher wie ein Ziehen an, als dass sie schmerzvoll waren. Das war normal und kein Grund zur Sorge. Aber sie hätte gern darauf verzichtet.

Ihr fiel auf, dass seine Frage nach ihrem Befinden nicht gerade zärtlich oder mitfühlend geklungen hatte. Die harte Schale des berechnenden, erfolgreichen Geschäftsmanns war wieder da und ließ sie an den anderen Qualitäten zweifeln, die sie im vergangenen September an ihm entdeckt hatte. Ebenso zweifelte sie nun an dem vermeintlich beidseitigen Verlangen, dem Hochgefühl und der Glückseligkeit bei jenem ersten Liebesspiel.

„Mein Rücken tut nur ein bisschen weh“, antwortete sie. „Ich war heute Abend wohl etwas zu lange auf den Beinen.“

„Hoffentlich passt du auch auf dich auf. Gehst du regelmäßig zu den Vorsorgeuntersuchungen?“ Wiederum klang die Frage eher vorwurfsvoll als mitfühlend. Wo war bloß der zärtliche, liebevolle Mann geblieben, der bei ihr im Bett gelegen hatte?

Rebecca reckte das Kinn vor. „Der Arzt meint, dass ich mich wacker halte, vor allem angesichts der Fehlgeburt.“

„Fehlgeburt? Wie soll das denn möglich sein, danach sieht es mir nämlich gar nicht aus.“

Zorn wallte in ihr auf. „Ich habe den Zwilling dieses Babys verloren! Allerdings habe ich erst anderthalb Monate danach gemerkt, dass ich immer noch schwanger bin. Herrje, Lucas, du glaubst doch wohl nicht im Ernst, dass ich alles nur inszeniert habe!“

Er schüttelte den Kopf und schloss die Augen, als wäre er total fassungslos. Erinnerungen aus dem vergangenen Jahr schössen ihnen durch den Kopf. September und November, der Altweibersommer, dann der erste Nachtfrost. Sie hatten zu viele unterschiedliche Gefühle gehegt, in zu kurzer Zeit …

Rebecca saß im Schatten am Ufer und beobachtete, wie Lucas die Angelschnur auswarf. Er stand im Wasser und trug hohe Anglerstiefel, die er von ihrem Vater ausgeliehen hatte. Die Beine hielt er gegen die Strömung gespreizt.

Die Brust war Rebecca wie zugeschnürt, wenn sie daran dachte, dass er am kommenden Morgen abreisen würde.

Diese Beziehung sollte nicht von Dauer sein, das wussten sie beide.

Es ist nur ein Wendepunkt in meinem Leben, nichts weiter.

Lucas hatte bereits drei mittelgroße Fische gefangen. In der Erwartung, dass er sich auf das Angeln ebenso verstand wie auf alles andere, hatte Rebecca reichliche Beilagen eingepackt. Schon bald grillten sie den Fang auf der offenen Feuerstelle, die ihr Großvater vor über fünfzig Jahren vor der Blockhütte angelegt hatte.

Und sie zweifelte nicht daran, was sie und Lucas tun würden, sobald das Essen vorüber war.

Zum letzten Mal?

Sie würzten den frischen Fisch mit Salz und Zitrone und aßen dazu Brot und Butter. Und dann brauchten sie kein Wort zu sagen. Sie löschten nur das Feuer und begaben sich ins Schlafzimmer.

Rebecca fragte sich, ob sie jemals wieder dieses Haus betreten konnte, ohne an Lucas zu denken, an ihre Leidenschaft, ihre Ungeduld. Sie zog sich das Top über den Kopf und spürte seine Hände auf sich. Dann versuchten sie, sich gegenseitig beim Ausziehen zu helfen, aber vor lauter Ungeduld behinderten sie sich nur und fielen lachend und eng umschlungen auf das Bett.

„Hast du es etwa eilig?“, flüsterte Lucas.

„Du nicht?“, konterte sie. „Dann mach langsamer.“

„Ich kann nicht.“

„Ich auch nicht.“

Das schafften sie erst, als sie zu dem wirklich wichtigen Punkt kamen – dem Punkt, an dem sie nicht mehr reden konnten, weil sie zu atemlos, zu überwältigt waren. Da hielt Lucas sie stumm in den Armen, bis sie es schließlich nicht mehr aushielt und ihn anflehte, er möge doch weitermachen … und sie schließlich beide den Höhepunkt erreichten.

An diesem Abend fuhren sie in Rebeccas Kleintransporter zu einem ausgedehnten Dinner nach Cheyenne, und anschließend brachte sie Lucas zu seinem Motel in Biggins.

„Ich muss morgen sehr früh aufbrechen, um den Flug nach New York zu erwischen“, teilte er ihr an seiner Zimmertür mit.

„Ich hatte kein Abschiedsfrühstück erwartet“, erwiderte Rebecca.

„Mein Vater müsste seine Entscheidung in ein paar Tagen treffen. Es tut mir leid, dass ich dir noch nichts Konkretes sagen kann.“

„Würdest du bitte aufhören, dich ständig zu entschuldigen? Es ist alles in Ordnung.“

„Ach ja?“ Er kniff die Augen zusammen, und seine Miene wirkte nachdenklich, forschend.

„Du schuldest mir gar nichts“, beharrte sie. „Keine Zusage für den Kauf der Ranch. Kein Versprechen, mich anzurufen.

Wir haben beide in den letzten Tagen nichts gesagt oder getan, das darauf hindeutet, dass es etwas Dauerhaftes sein könnte. Es war nur ein Zwischenspiel. Und ich bin glücklich damit. Wenn du es bist.“

„Sehr glücklich. Ich hatte nichts Derartiges erwartet.“

„Ich auch nicht. Ein kleines Geschenk des Lebens, zum rechten Zeitpunkt.“

„Zum perfekten Zeitpunkt.“

Sie blickten sich an, sehr lange. Seine wundervollen Augen funkelten. Sein maskuliner Duft betörte ihre Sinne. Sein sinnlicher Mund erweckte ein schmerzliches Verlangen.

„Eigentlich wollte ich mich hier von dir verabschieden“, sagte Lucas. „Aber … willst du vielleicht noch einen Moment reinkommen?“

„Glaubst du denn, dass es nur einen Moment dauert?“, flüsterte Rebecca, während sie ihm die Arme um den Nacken schlang.

Er küsste sie hungrig und zog sie zur Tür hinein.

Drei Wochen später regte sich in Rebecca der Verdacht, dass sie schwanger sein könnte. Ein Test bestätigte es.

In der zweiten Novemberwoche, als sie mittlerweile unter häufiger Übelkeit litt, kam ihr zu Ohren, dass Lucas gerade auf der Ranch war, deren Kauf er inzwischen abgeschlossen hatte.

Es war an der Zeit, in den sauren Apfel zu beißen.

Aus dem hübschen kleinen Haus in Biggins, das Rebecca gemietet hatte, rief sie die Seven Mile Ranch an. Die Telefonnummer hatte sich nicht geändert, was sie ein wenig aufmunterte. Von Lon, der als Manager auf Probe übernommen worden war, erfuhr sie, dass Lucas gerade Feuerholz zum Blockhaus schaffte und zum Lunch zurückerwartet wurde.

Sie schnappte sich Mantel, Mütze und Handschuhe, sprang in den brandneuen Kleintransporter, den ihr Vater nach dem Verkauf der Ranch für sie erworben hatte, und fuhr die vertrauten Straßen entlang, die sie seit fast einem Monat nicht mehr gesehen hatte. Die Ranch sah in ihren Augen immer wundervoll aus zu dieser Jahreszeit. An diesem Morgen schien die Sonne und ließ die frische Schneedecke auf den Feldern glitzern wie die Eiszapfen an den Zäunen.

Als Rebecca am Haupthaus eintraf, war Lucas gerade hereingekommen. Er hielt eine geöffnete Dose Suppe in einer Hand, und seine Nase war noch rot von der Kälte. Falls er sich freute, Rebecca zu sehen, so zeigte er es nicht. Andererseits verriet auch sie nicht, wie nervös und aufgewühlt sie war, während sie sich den Schnee von den Stiefeln stapfte und eintrat.

Sie konnte nicht umhin, sich in der vertrauten warmen Küche umzuschauen. Es war außerdem leichter, als Lucas anzusehen. Sie entdeckte dort neue Möbel, die schlicht, aber nicht billig aussahen, und Anzeichen von Lons Junggesellendasein in Form von unzähligen Zeitungen und Stiefeln. Er selbst war nicht anwesend, was Rebecca erleichterte.

„Siehst du? Das Haus steht noch“, bemerkte Lucas: „Willst du es inspizieren?“

„Deswegen bin ich nicht hier.“

„Das habe ich auch nicht angenommen, aber …“ Er verstummte, blickte sie an, schwieg einen Moment. „Möchtest du einen Teller Suppe? Oder ein Käsesandwich?“

Sie konnte nur stumm nicken, denn ihr lief das Wasser im Mund zusammen – ein weiteres Symptom der Schwangerschaft. Matt sank sie auf einen Stuhl.

Lucas spürte, dass mit ihr etwas nicht stimmte. Er gab das zylinderförmige feste Suppenkonzentrat in einen bereits erhitzten Topf, und es begann zu zischen, aber Lucas rührte nicht um. Stattdessen drehte er dem Herd den Rücken zu und musterte Rebecca forschend.

Ihr wurde heiß, als sie sich erinnerte, wie erstaunlich gut sich sein Körper unter ihren Händen angefühlt hatte, an den vier Tagen, die ihre wilde Affäre gedauert hatte. Sie erinnerte sich auch an ihre guten Gespräche und daran, wie viel sie miteinander gelacht hatten. „Ich bin schwanger, Lucas“, sagte sie unvermittelt.

Einen Moment lang herrschte Schweigen. „Wie? Was?“

„Das erste Mal oben in der Hütte, vor sechs Wochen, als wir nicht …“

„Okay.“ Er atmete tief durch, wirbelte herum und stützte sich schwer auf die Arbeitsplatte.

Rebecca fürchtete, dass er sich an dem hochgeklappten gezackten Deckel der Konservendose schneiden könnte, die er immer noch in der Hand hielt. Fast wäre Rebecca zu ihm getreten, um ihm die Dose aus der Hand zu nehmen, aber die Übelkeit hielt sie davon ab.

„Du hast doch selbst gesagt, dass kein Risiko besteht, oder irre ich mich da?“

„Das dachte ich auch. Aber ich kenne mich wohl doch besser mit der Fruchtbarkeit von Kühen aus als mit meiner eigenen.“

Ihr Versuch zu scherzen kam nicht an.

Lucas richtete sich auf und stellte endlich die Dose ab. Die Suppe zischte und blubberte auf dem Herd. „Hast du schon entschieden, was du jetzt tun willst?“

„Gibt es da etwas zu entscheiden?“, gab Rebecca zurück. „In etwa sieben Monaten bekomme ich ein Baby. Unser Baby.“

„Was hast du also entschieden?“, hakte er nach. „Dass du es behalten willst?“, fragte er vorsichtig.

Sie verbarg ihren wachsenden Zorn. „Du willst dich offensichtlich nicht daran beteiligen.“

Stille. Sie hörte förmlich, wie es in seinem Kopf arbeitete.

„Du hattest immerhin ein bisschen mehr Zeit als ich, darüber nachzudenken. Vergiss das nicht, Reba.“

Die Worte klangen gedämpft und seltsam sanft. Sie schienen von Herzen zu kommen. Rebecca erkannte, dass ihr Zorn unangebracht war, und ihr Herz schlug plötzlich höher. Sie hätte niemals mit ihm geschlafen, wenn sie nicht davon überzeugt gewesen wäre, dass er eben kein hartherziger Geschäftsmann war. Das sollte sie nicht vergessen.

„Zieh keine voreiligen Schlüsse, okay?“, fügte er hinzu. „Ich werde mich bemühen.“

Nach einem erneuten Schweigen fragte Lucas schließlich: „Habe ich denn deiner Meinung nach das Recht dazu, mich daran zu beteiligen?“

„Es geht hier nicht um Rechte, oder? Es geht darum, was du willst und was du fühlst.“

„Nein. Ich glaube, es geht um Rechte.“

Das Wort klang nüchtern, und das enttäuschte Rebecca, aber sie nickte. „Okay.“

„Es geht um die Rechte des Babys, um deine, um meine. Vermutlich in dieser Reihenfolge. Das Baby …“ Lucas brach ab und lachte laut auf, als wäre das Wort Baby die Pointe eines schlechten Scherzes. „Das … Baby wird schließlich von unseren Entscheidungen geprägt, und du bist diejenige, die das Ganze körperlich durchstehen muss.“ Er betrachtete sie eindringlich. „So wie jetzt gerade.“

Rebecca presste gerade die Faust gegen den Mund und brachte nur mühsam hervor: „Ein bisschen Suppe wäre jetzt nicht schlecht.“

„Ach ja.“ Lucas drehte sich zum Herd um, goss endlich eine Tasse Wasser in den Topf, um das Suppenkonzentrat zu verdünnen, und begann zu rühren.

Der appetitanregende Geruch nach Fleisch stieg ihr in die Nase, und erneut lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Sie war erleichtert, dass Lucas nicht wieder mit ihr zu reden versuchte, bevor er ihr einen dampfenden Teller hinstellte, zusammen mit einem Löffel und einem Päckchen Crackers.

Er legte ihr eine Hand auf die Schulter und liebkoste sie rau und zärtlich zugleich. „Wir werden etwas Gutes daraus machen, für das Baby. Schließlich haben wir an einem ganz erstaunlichen Nachmittag ein neues Leben geschaffen, da können wir jetzt nicht versagen. Es geht um Rechte, nicht um Gefühle. Wir haben einfach nicht das Recht, das Leben unseres Babys zu ruinieren.“

Prompt brach Rebecca in Tränen aus.

Es schneite ein wenig, als Lucas am nächsten Morgen die Küchentür für Rebecca öffnete. „Geht es dir gut?“, fragte er statt einer Begrüßung.

„Es geht. Ich gewöhne mich allmählich an die Übelkeit.“ Sie seufzte. „Und ich werde sie allmählich leid.“

„Aber es ist normal, oder?“

„Laut Schwangerschaftsbuch schon.“

„Warst du denn noch nicht beim Arzt?“

„Ich habe einen Termin.“

„Du brauchst jemanden, der sich um dich kümmert. Wenn du willst, kannst du mich haben.“ Sanft tippte er ihr mit dem Zeigefinger auf die Nasenspitze. Als Rebecca nicht zurückwich, strich er ihr eine Locke hinter das Ohr, berührte ihre Wange und blickte ihr tief in die Augen.

Sie hatte schon ganz vergessen, welch warmen Farbton seine Augen hatten und wie sehr er sie mit einem einzigen Blick aufwühlen konnte. „Ich kann dich haben?“, hakte sie nach. „In welcher Hinsicht?“

„Ich will dafür sorgen, dass du alles hast, was du brauchst, und dass alles okay ist. Ich will dich heiraten, Reba.“

„Warum?“

„Aus vielen Gründen. Die Rechte des Babys sollten ganz oben auf der Liste stehen, und deine Sicherheit an zweiter Stelle. Irgendwann danach komme ich. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir uns nicht lange genug kennen, um uns irgendwelche Versprechungen zu machen. Wir sollten also eine schriftliche Vereinbarung aufsetzen, die alle Aspekte abdeckt und die realistische Wahrscheinlichkeit einer Scheidung mit einschließt.“

„Aha. Das ist ja sehr romantisch. Aber wenn wir jetzt schon über eine Scheidung nachdenken, warum sollen wir dann überhaupt erst heiraten?“

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