Bianca Exklusiv Band 350

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WIE VIEL LIEBE BRAUCHT EINE FAMILIE? von HELEN LACEY
„Ich möchte mit Ihnen über Cecily sprechen.“ Doch Fiona kennt keine Cecily! Aber bei den nächsten Worten des attraktiven Fremden gerät ihre Welt ins Wanken: Er ist wegen des Mädchens gekommen, das sie vor vierzehn Jahren zur Adoption gegeben hat …

DAS PARADIES IN DEINEN ARMEN von TINA LEONARD
Nachts in Michaels Armen lebt Bailey im Paradies auf Erden, tagsüber ist sie krank vor Sehnsucht. Denn der überzeugte Junggeselle will nicht mehr als eine heimliche Affäre. Und jetzt muss Bailey ihm auch noch ihr süßes Geheimnis gestehen!

GEHEIME GEFÜHLE FÜR DICH von PATRICIA THAYER
Lilly will nur eins: Ruhe und Frieden für sich und ihre Kinder. Doch damit ist es schlagartig vorbei, als Noah Cooper in Kerry Springs auftaucht. Gegen ihren Willen fühlt Lilly sich vom ersten Moment an zu ihm hingezogen …


  • Erscheinungstag 24.06.2022
  • Bandnummer 350
  • ISBN / Artikelnummer 9783751510578
  • Seitenanzahl 512
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Helen Lacey, Tina Leonard, Patricia Thayer

BIANCA EXKLUSIV BAND 350

1. KAPITEL

Bereits zum dritten Mal in zwei Tagen bemerkte Fiona Walsh den Fremden. Und weil sie eine lebhafte Fantasie hatte, malte sie sich alle möglichen Gründe aus, warum der umwerfendste Mann, der ihr je unter die Augen gekommen war, sie auf Schritt und Tritt zu verfolgen schien.

Wer ist er? Ein Bewunderer? Ein Lotterievertreter? Ein Stalker?

Am Vortag war er ihr vor ihrem Haus aufgefallen. Er hatte auf der anderen Straßenseite an seinem Auto gelehnt und telefoniert. Sie war hinausgegangen, um die Morgenzeitung hereinzuholen, er hatte eine Weile am Tor herumgelungert und Interesse an ihrem verwelkten Kräutergarten vorgetäuscht.

Am Nachmittag war der geheimnisvolle Fremde wieder aufgetaucht. Am Strand, wo sie mit ihrem Hund herumzutoben pflegte. In demselben Auto, derselben gut geschnittenen Kleidung. Die dunklen Haare und markanten Gesichtszüge waren unverkennbar.

Und nun war er in den Stall gekommen, in dem ihr Pferd untergebracht war.

Fiona brachte Titan, ihren Vollblutwallach, mitten auf dem Reitplatz in den Stand. Der Mann lehnte an der Fahrertür seines Autos und beobachtete sie. Sein Auftreten hatte nichts Bedrohliches an sich. Er wirkte lediglich neugierig. Deshalb schlug sie sich die Befürchtung, dass er sie überfallen und in seinen Kofferraum sperren könnte, endgültig aus dem Kopf. Ein seltsamer und nicht unangenehmer Schauer rann ihr über die Haut. Gut aussehend, hübscher Wagen, ein Kleidungsstil, der von Selbstbewusstsein kündete – sie musste sich eingestehen, dass er sie faszinierte.

Sie nahm die Zügel auf, trieb Titan an und lenkte ihn zum Gatter. Das Ratespiel war sie leid. Sie wollte auf der Stelle herausfinden, wer der Mann war und was er von ihr wollte. Sie stieg ab und band Titan an einen Pfosten, nahm die Reitkappe ab und vertrödelte ein paar Sekunden, um sich das Haar zu richten.

Während sie den Hof überquerte, beendete der Fremde sein Telefonat, steckte das Handy ein und richtete sich auf.

Zehn Schritte entfernt blieb Fiona stehen und musterte ihn stumm. Er schien Anfang dreißig zu sein und sah unheimlich gut aus. Obwohl dunkle Brillengläser seine Augen verbargen, wusste sie, dass er sie anstarrte. Plötzlich machte sie sich dumme Gedanken über ihre Aufmachung. Warum trug sie ausgerechnet eine Reithose voller Grasflecken und ein uraltes T-Shirt?

Das Schweigen dehnte sich aus.

Schließlich holte sie tief Luft und eröffnete: „Ich schätze, Sie sind nicht hier, um mir zu sagen, dass ich in der Lotterie gewonnen habe.“

Er lächelte verhalten und nahm sich die Sonnenbrille ab. „Nein.“

Sie stemmte die Hände in die Hüften und versuchte zu ignorieren, wie ihr Magen hüpfte, als sie ihm in die leuchtend blauen Augen blickte. „Warum verfolgen Sie mich dann?“

Er trat einen Schritt näher. „Das tue ich nicht.“

Fiona riss die Augen auf. „Drei Mal in zwei Tagen?“ Sie schnippte mit den Fingern. „Das ist ein seltsamer Zufall.“

„Es ist überhaupt kein Zufall. Ich habe einfach auf einen günstigen Zeitpunkt gewartet, um mit Ihnen zu sprechen.“

Verärgert hob sie das Kinn. Für ihren Geschmack legte er ein bisschen zu viel Selbstsicherheit an den Tag. „Warum in aller Welt? Ich kenne Sie nicht, und ich …“

„Sind Sie Fiona Lorelle Walsh?“, unterbrach er leise.

Ihr stockte der Atem. Wieso kannte er ihren vollen Namen? Wer war er? „Was wollen Sie?“

Er näherte sich noch einen Schritt. „Mit Ihnen sprechen.“

Sie verspürte den Drang zu fliehen. Ihm zu entkommen. Distanz zwischen sich und seine wundervollen Augen zu legen. „Tut mir leid, aber ich bin momentan beschäftigt. Ich muss mich um mein Pferd kümmern“, verkündete sie und machte auf dem Absatz kehrt.

„Miss Walsh?“, rief er ihr nach. „Fiona?“

Sie blieb abrupt stehen. Titan tänzelte unruhig auf der Stelle, als ob er ihr Unbehagen spürte. Sie sah Callie Preston, die Besitzerin der Reitschule und ihre beste Freundin, über den Hof gehen und wusste, dass ein Wort genügte, um sofort Hilfe zu bekommen.

Aber Fiona wollte nicht die Fassung verlieren. Wer immer dieser Fremde sein mochte, sie fürchtete sich nicht vor ihm. Sie drehte sich um und stellte sich ihm.

Ihr Herz pochte wie verrückt. Im Sonnenschein wirkte sein Haar beinahe schwarz. Aber eine innere Stimme warnte sie davor, sich in seinen Bann ziehen zu lassen. „Wer sind Sie?“

„Wyatt Harper.“

Das sagte ihr gar nichts. „Was wollen Sie?“

„Reden.“

„Worüber?“

„Vielleicht könnten wir an einen privateren Ort gehen?“

„Hier ist es privat genug.“

Er warf einen vielsagenden Blick zu den Reitern auf dem Dressurplatz, gab aber dennoch nach. „Okay. Lassen Sie mich Ihnen zunächst versichern, dass ich keinerlei Bedrohung für Sie darstelle.“

Sie fühlte sich nicht bedroht. Das Außergewöhnliche an dieser Situation war, dass ihre Neugier den höchsten Pegel aller Zeiten erreichte. „Damit ich das beurteilen kann, müssten Sie mir zuerst verraten, was Sie von mir wollen. Also?“

Er nickte, schenkte ihr ein aufwühlendes Lächeln und streckte ihr eine Visitenkarte entgegen. „Wie gesagt, ich bin Wyatt Harper.“

Fiona wusste, dass er sich nicht vom Fleck rührte, um sie nicht einzuschüchtern. Sehr clever. Sie trat ein paar Schritte vor, schnappte sich die Karte und las, während sie zurückwich. Wyatt Harper stand fett gedruckt darauf, und darunter: Generaldirektor, Harper Engineering. Der eindrucksvolle Titel erklärte nicht, was er von ihr wollte. „Und?“

Er begegnete ihrem Blick unverwandt und ließ sich Zeit, bevor er erwiderte: „Ich vertrete die Interessen von Cecily Todd.“

„Ich habe keine Ahnung, wer das sein soll.“

„Sie ist meine Nichte und das Kind, das Sie vor vierzehn Jahren zur Adoption freigegeben haben.“

Plötzlich schien sich ihre Welt auf einer unsichtbaren Achse auf den Kopf zu stellen.

Nein! Das fasse ich nicht. Oh mein Gott, passiert das wirklich?

Jahrelang hatte sie an diesen Moment gedacht. Sich ihn ausgemalt. Davon geträumt. Ihn gefürchtet. Ihre Beine, normalerweise muskulös und stark, gaben nach. Sie ging in die Hocke und beugte sich vor, weil ihr die Luft wegblieb.

Wyatt trat vor, aber sie hob abwehrend eine Hand.

„Tief durchatmen“, riet er spürbar besorgt.

Sie war nicht in der Stimmung, ihm dafür zu danken. „Natürlich“, keuchte sie und bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick. „Kein Problem.“

„Sie sollten sich setzen.“ Er sah sich um. „Auf die Stufen beim Haus. Sie könnten …“

„Nein. Bitte … lassen Sie mich … einfach in Ruhe.“

Beschwichtigend legte er ihr eine Hand auf die Schulter. „Das kann ich nicht.“

Sie stützte sich auf die Knie, stemmte sich hoch und holte noch einmal tief Luft.

Er ließ den Arm sinken und trat zurück. „Ich möchte mit Ihnen über meine Nichte sprechen.“

Unverhofft wurde ihr schwindelig. Benommen fasste sie sich an die Stirn. Die ganze Situation wirkte surreal. Traumartig. Als ob jemand anders betroffen wäre, in einem alternativen Universum. „Ich fühle mich ein bisschen überfordert“, gestand sie ein.

Er nahm sie am Arm, und diesmal wehrte sie sich nicht dagegen. „Kommen Sie, Sie müssen sich hinsetzen.“

Sie ließ sich zum Haus führen, sank auf die mittlere der drei Stufen und nahm den Kopf zwischen die Knie. „Ich bin normalerweise nicht so schwächlich.“

„Ich habe Sie überrascht. Tut mir leid.“

„Überrascht? Verdammt, Sie haben mich total schockiert!“

„Was geht hier vor?“

Fiona richtete sich auf und sah Callie mit argwöhnischer Miene vor sich stehen. „Alles in Ordnung. Mir war nur etwas schwindelig.“

„Wer ist der da?“

Irritiert verzog er das Gesicht. Der da heißt Wyatt Harper.“

Hastig sagte Fiona: „Danke, dass du vorbeigekommen bist, Callie, aber es ist alles wieder gut.“

„Sicher?“

„Ganz sicher.“

Callie zögerte einen Moment, nickte dann und ging zu den Stallungen.

Sobald sie außer Hörweite war, fragte er: „Eine Freundin von Ihnen?“

„Ja. Ihr gehört dieser Reitstall.“

Er nickte. „Fühlen Sie sich wirklich gut?“

„Bestens, danke.“

„Zurück zu Cecily. Ich wollte …“

Fiona unterbrach: „Sind Sie sicher? Ich meine, dass sie … dass ich …“

„Dass Sie ihre leibliche Mutter sind?“

Sie schluckte schwer und nickte.

„Wenn Sie Fiona Walsh sind, dann bin ich sicher. Ich habe Dokumente, die belegen, dass Sie Cecily zur Welt gebracht haben.“

Sie holte tief Luft. „Und Sie sind ihr Onkel?“

„Richtig. Meine Schwester und ihr Mann haben sie adoptiert.“

Ein wundervolles Ehepaar, wie man ihr in der Adoptionsagentur versichert hatte. Leute, die in der Lage sind, Ihrer Tochter all das zu bieten, was Ihnen selbst nicht möglich wäre. Stabilität. Sicherheit. Ein vollkommenes Zuhause.

Ihr war sehr viel Zeit geblieben, um sich auszumalen, wie dieses Ehepaar sein mochte. Vierzehn Jahre, ohne auch nur den Namen ihres Kindes zu kennen. Vierzehn Jahre, um davon zu träumen, ihr Kind wiederzusehen.

Aber nicht so unverhofft, so unvorbereitet. Wer dieser Mann auch sein mochte, was immer er beabsichtigte, auf keinen Fall wollte sie in seiner Gegenwart die Fassung verlieren. Sie zeigte sich nicht verletzlich. Niemals.

Entschieden stand sie auf und verschränkte die Arme vor der Brust. „Warum ausgerechnet jetzt?“

Er wartete mit seiner Antwort, musterte sie einige Sekunden lang schweigend. „Weil Cecily Sie kennenlernen will.“

Instinktiv schüttelte sie den Kopf. Sie gestattete niemandem, ihre Welt auf den Kopf zu stellen. Nie wieder. Sie war nicht mehr so naiv wie mit fünfzehn. Sie war fast dreißig und bestimmte selbst, wo es in ihrem Leben langging.

Wenn er glaubte, dass es ihm einen Vorteil verschaffte, unangemeldet aufzutauchen und sie zu schockieren, dann irrte er sich gewaltig. Falls ich mich überhaupt bereit erkläre, mit ihm zu sprechen, dann bestimme ich Ort und Zeit.

„Hier will ich nicht mit Ihnen reden.“ Trotzig reckte sie das Kinn vor. „Außerdem brauche ich Zeit zum Nachdenken. Auf Wiedersehen, Mr. Harper.“

„Fiona, Sie müssen …“

„Auf Wiedersehen“, wiederholte sie und machte auf dem Absatz kehrt. Schnurstracks marschierte sie zum Reitplatz und spürte dabei seinen bohrenden Blick im Rücken.

Kurz darauf hörte sie Kies unter Reifen knirschen. Sie atmete erleichtert auf. Er gab sich geschlagen.

Zumindest vorerst.

Die folgende Stunde verbrachte Fiona wie in Trance. Sie sattelte Titan ab, striegelte und fütterte ihn. Dann fuhr sie schnell nach Hause, ohne Callie Gelegenheit zu geben, sie über Wyatt Harper auszufragen. Sie war nicht der Stimmung für ein Verhör, nicht einmal von ihrer besten Freundin.

In ihrem kleinen Haus angekommen, warf sie den Schlüssel auf das Tischchen im Flur und lief ins Wohnzimmer.

Meine Tochter.

Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Sie sank auf das Sofa.

Meine Tochter heißt Cecily.

Wie oft hatte Fiona sich gefragt, wie die Adoptiveltern ihr Baby getauft haben mochten! Sie selbst hatte es nicht verkraftet, ihm einen Namen zu geben. Das wäre besser so, war ihr versichert worden. Aber gar nichts war besser, geschweige denn gut! Wie sehr war sie an ihrer Entscheidung verzweifelt! Obwohl sie wusste, dass sie mit fünfzehn nicht in der Lage gewesen wäre, für ein Baby zu sorgen.

Ihr Großonkel hatte ihr den liederlichen Lebenswandel seiner Nichte vor Augen geführt. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Fionas Erinnerungen an ihre Mutter Shayne waren durchweg negativ. Sie war unzuverlässig und egozentrisch gewesen. Hatte ihre Ausbildung nicht durchgezogen, sich nicht um Fiona gekümmert und viele, viele Männer gehabt.

Mit fünfzehn war Fiona auf die Farm ihres Großonkels geschickt worden – allein, verängstigt und schwanger. Drei Wochen danach waren Shayne und ihr wesentlich jüngerer Geliebter bei einem Eisenbahnunglück ums Leben gekommen. Und sechs Monate später hatte Fiona sich von ihrem gerade einmal zehn Minuten alten Baby verabschieden müssen, um es an fremde Leute wegzugeben. Von ganzem Herzen hatte sie ihrem Baby gewünscht, dass es von der neuen Familie geliebt wurde. Da es sich um eine Inkognito-Adoption handelte, war von vornherein klar gewesen, dass sie sich nie nach ihrem Kind erkundigen durfte. Sie hatte gebetet, dass ihre Tochter sich irgendwann bei ihr melden würde, aber nicht wirklich daran geglaubt und keine allzu große Hoffnung aufkeimen lassen.

Bis Wyatt Harper in ihr Leben getreten war.

Der Onkel ihrer Tochter. Ein Abgesandter. Offensichtlich gekommen, um sie auszuspionieren. Da er ihren vollen Namen kannte, hatte er bereits umfangreiche Nachforschungen angestellt. Wie viel mochte er in Erfahrung gebracht haben? Belastendes Material war nicht vorhanden. Es gab nichts, was an die furchtbaren Geschehnisse jener Nacht erinnerte.

Nichts außer Cecily.

Niemand kannte die Wahrheit. Fiona wahrte das Geheimnis seit über vierzehn Jahren. Sie hatte nicht darüber gesprochen, seit sie auf der Türschwelle ihres Großonkels abgeladen worden war. In der Geburtsurkunde ihrer Tochter stand: Vater unbekannt. Er wurde nirgendwo erwähnt. Er war tot. Was hätte es genutzt, die Geschichte wieder aufzurollen? Doch Wyatt Harper war aufgetaucht und hatte sicherlich unzählige Fragen.

Warum war er überhaupt gekommen? Wollte Cecily sie kennenlernen? Wenn ja, wo waren ihrer Adoptiveltern?

Sie beschloss, zu duschen und sich umzuziehen und dann eine Strategie zu entwerfen. Sie mochte Pläne und Listen und Ordnung. Sie tappte nicht gern im Dunkeln. Es gefiel ihr nicht, dass Wyatt Harper alle möglichen Dinge über sie in Erfahrung brachte, während sie nichts über ihn wusste.

Sie holte seine Visitenkarte hervor, setzte sich an den Computer und gab Harper Engineering in die Suchmaschine ein. Auf Anhieb erhielt sie ein Dutzend Treffer und erfuhr, dass er ein Stahlwerk mit über hundert Angestellten am Stadtrand von Sydney leitete, und zwar in dritter Generation.

Fiona schaltete den Computer aus und lief in die Küche. Muffin, ihr energiegeladener Foxterrier, sprang an der Hintertür hoch. Sie ließ ihn schnell herein und fütterte ihn.

Dann nahm sie erneut die Visitenkarte zur Hand. Es gab nur eine Möglichkeit, um herauszufinden, was Wyatt Harper von ihr wollte.

Die Fahrt zum Hotel im Nachbarort dauerte kaum zwanzig Minuten. Fiona parkte vor der Tür und betrat die Lobby. Sie war nervös. War es wirklich richtig gewesen, sich so bald mit Wyatt Harper zu verabreden? Drei Minuten vor fünf. Wyatt war nicht zu sehen.

Sie ignorierte den Portier, ging in den Loungebereich und setzte sich auf ein Ledersofa. Es war unheimlich still ringsumher. Nur gedämpfte Musikberieselung war zu hören.

„Hallo, Fiona.“

Sie wirbelte herum. Wyatt Harper stand wenige Schritte entfernt. Sie bemühte sich, die Schmetterlinge in ihrem verräterischen Bauch zu ignorieren. Okay, er sah verdammt gut aus. Sein Körper in dunklen Chinos und weißem Polohemd wirkte beeindruckend muskulös, seine Haare glänzten, seine Augen funkelten.

Na und? Die Welt ist voll von überwältigenden Männern.

Und da er eine Bombe in ihrem geordneten kleinen Leben hatte platzen lassen, wehrte sie sich entschieden dagegen, dass ihr Blut in Wallung geriet, sobald er in ihre Nähe kam.

„Hallo“, murmelte sie.

Unter seinem forschenden Blick wurde ihr ganz heiß. Mit zitternden Fingern strich sie sich das Haar zurück. Wirkte ihr Outfit aus Jeansrock, bedruckter Bluse und flachen Schuhen zu zweckmäßig? Hätte sie ihr Haar, das ihr Gesicht in wilden Locken umrahmte, lieber hochstecken sollen?

„Danke, dass Sie gekommen sind“, sagte er schlicht.

„Sich vor der Wahrheit zu drücken ist auch keine Lösung.“

Er nickte, setzte sich ihr gegenüber und legte einen dünnen Aktenordner auf den niedrigen Tisch zwischen ihnen. „Sie geben also zu, dass Sie Cecilys leibliche Mutter sind?“

„Ich gebe zu, dass ich vor vierzehn Jahren ein Kind bekommen und zur Adoption freigegeben habe.“ Sie deutete auf den Ordner. „Sie scheinen Beweise dafür zu haben, dass es sich dabei um Ihre Nichte handelt.“

„Die habe ich tatsächlich. Obwohl ein Blick auf Cecily reichen würde, um Sie zu überzeugen.“ Er lehnte sich zurück. „Sie sieht Ihnen sehr ähnlich. Dieselben Haare. Dasselbe Kinn. Dieselben …“, er musterte ihre Lippen, „… Augen.“

Fiona brachte ein sprödes Lächeln zustande, hob eine Hand und zwirbelte eine Haarlocke zwischen den Fingerspitzen. „Das arme Kind ist also mit dieser Farbe bestraft?“

Wyatt beobachtete sie mit glühendem Blick. „Sie ist sehr hübsch.“

Ihr Herz klopfte ein bisschen schneller. Sie holte tief Luft und stellte die Frage, die ihr seit Stunden auf der Seele brannte. „Was weiß sie über mich?“

Sein Blick verdüsterte sich ein wenig. „Sie weiß, dass Sie bei der Geburt noch sehr jung waren. Meine Schwester Karen und ihr Mann Jim haben von Anfang an offen mit ihr darüber geredet, dass sie adoptiert ist, und sie darin unterstützt, ihre leibliche Mutter zum gegebenen Zeitpunkt zu suchen.“

„Und dieser Zeitpunkt ist jetzt gekommen? Wollen Sie das sagen?“

Er nickte. „Sie spielt seit fast zwei Jahren mit dem Gedanken. Karen und Jim wollten die Suche nach Ihnen einleiten, aber …“ Er verstummte und schwieg einen Moment. Dann sagte er in rauem Ton: „Sie sind vor anderthalb Jahren verstorben.“

„Das tut mir leid“, flüsterte sie betroffen. „Wie ist es passiert?“

„Ein Unfall. Sie sind beim Felsenangeln abgestürzt. Durch ihren Tod ist Cecily …“

„Allein zurückgeblieben?“, warf sie spontan ein.

„Nein, sie ist nicht allein. Sie hat Familie. Ich wollte sagen, dass sie durcheinandergeraten ist. Aber inzwischen hat sie sich wieder gefangen. Vor ein paar Monaten hat sie erklärt, dass sie bereit ist, Sie kennenzulernen.“

„Sie will mich tatsächlich sehen?“

Er nickte.

Meine Tochter will mich treffen. Fiona stockte der Atem. Sie bekam Gänsehaut. Das war es doch, was sie wollte, oder? Das Kind kennenlernen, das sie weggegeben hatte. Warum macht mir die Vorstellung dann solche Angst? Sie beugte sich vor. „Wann?“

„So einfach ist das nicht.“

„Wie meinen Sie das?“

„Ich meine damit, dass Cecily viel durchgemacht hat und ich sie in meiner Funktion als gesetzlicher Vormund beschützen muss.“

„Vor mir?“, flüsterte sie betroffen. „Ich würde ihr niemals wehtun.“

„Vielleicht nicht absichtlich. Aber ich muss mich vergewissern, dass Sie nichts tun werden, was Cecilys Gemütszustand gefährdet.“

Mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und wachsendem Zorn starrte Fiona ihn an. Seine Bemerkungen waren schlichtweg beleidigend. Doch sie zügelte ihr berüchtigtes hitziges Temperament, das durchaus das Klischee der Rothaarigen bestätigte. Sich mit ihm anzulegen, brachte sie nicht weiter. Er hielt alle Trümpfe in der Hand. „Was muss ich denn anstellen, um Ihnen zu beweisen, dass ich nichts tun würde, was ihr schadet?“

Er beugte sich vor und stützte die Ellenbogen auf die Knie. „Wie wär’s, wenn Sie mir zuerst mal erzählen, warum Sie Ihr Baby weggegeben haben?“

2. KAPITEL

Dass Fiona unglaublich hübsch war und Wyatt auf dumme Gedanken brachte, erschwerte es ihm gewaltig, alles herauszufinden, was er wollte.

„Steht nicht alles in der Akte?“ Sie zog die Augenbrauen zusammen und deutete zu dem Ordner auf dem Tisch. „Wenn Sie Ihre Hausarbeiten gemacht haben, dann wissen Sie, dass ich erst fünfzehn und nicht in der Lage war, für ein Kind zu sorgen.“

„Und Ihre Eltern?“

„Meine Mutter ist tot. Aber ich schätze, das ist Ihnen bereits bekannt.“

„Ja. Ich weiß, dass sie und ihr Freund bei einem Eisenbahnunglück umgekommen sind.“

„Und Sie wissen auch, dass der Mann, den sie als meinen Vater ausgegeben hat, gestorben ist, als ich drei Jahre alt war.“

„Ausgegeben?“

Fiona zuckte die Achseln. „Ich wurde sechs Monate nach ihrer Heirat mit Eddie Walsh geboren. Sie haben nur zwei Jahre zusammengelebt. Dann ist er angeblich bei einem Rodeo-Unfall ums Leben gekommen. Ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich stimmt. Möglicherweise ist er untergetaucht, um sich vor den Alimenten zu drücken. Was wollen Sie sonst noch wissen?“

Er erkannte an ihrem gereizten Tonfall, dass sie viel Temperament besaß, sich aber bemühte, es im Zaum zu halten. „Sie sind sehr offen.“

Sie zog eine Augenbraue hoch. „Ist es nicht das, was Sie erwarten? Antworten – und die Gelegenheit herauszufinden, ob ich respektabel und verantwortungsvoll genug bin, um Cecily kennenzulernen?“

„Ich wollte nicht …“

Ohne mit der Wimper zu zucken, unterbrach sie: „Und sobald Sie das herausgefunden haben, Mr. Harper, können Sie meine Fragen beantworten.“

Natürlich hätte er es vorgezogen, wenn sie sich gefügig gezeigt und ihm in allem zugestimmt hätte, aber zu erwarten war das eigentlich nicht. Und er respektierte ihren Mumm. „Wyatt.“

„Was?“

„So heiße ich.“

„Okay. Also, Wyatt, fragen Sie mich aus.“

„Was ist mit Cecilys Vater? In der Geburtsurkunde befindet sich kein Eintrag.“

„Richtig.“ Sie legte eine verschlossene Miene auf. „So wollte ich es.“

„Besteht die Gefahr, dass er auf den Plan tritt?“

„Nein.“ Ihre Stimme klang hohl. „Er ist tot.“

Diese Mitteilung kam unerwartet. „Wer war er?“

„Da er tot ist, dürfte das unerheblich sein.“

„Es sei denn, seine Familie erhebt irgendwann Anspruch auf Cecily.“

„Das wird nicht passieren“, konstatierte Fiona steif. „Niemand weiß von ihm. Dafür hat meine Mutter gesorgt.“

Wyatts Interesse wuchs. „Sie war nicht mit ihm einverstanden?“

„Welche Mutter ist schon damit einverstanden, dass ihre fünfzehnjährige Tochter geschwängert wird?“

Er nickte bedächtig. „Sie haben gesagt, dass Sie nicht in der Lage waren, für ein Kind zu sorgen. Meinten Sie damit Ihr Alter oder etwas anderes?“

„Ich habe damals bei meinem ältlichen Großonkel gelebt. Meine Mutter war tot. Mir fehlten noch zwei Jahre bis zum Schulabschluss. Ich hatte kein Einkommen und keine Möglichkeit, mich selbst oder mein Baby zu ernähren.“

Das klang ganz nach einer ausweglosen Situation für einen Teenager. „Falls es Sie tröstet, Karen und Jim haben Cecily sehr geliebt. Sie hatten sehr lange versucht, ein eigenes Baby zu bekommen.“

Sie lächelte. Das zornige Funkeln in ihren Augen erlosch. „Sie hatten keine anderen Kinder?“

„Nein.“

„Und Sie sind jetzt der gesetzliche Vormund?“

Widerwillig bewunderte er, wie sie den Spieß umdrehte und nahtlos dazu überging, ihn auszufragen. Er nickte knapp.

„Demnach sorgen jetzt Sie und Ihre Frau für Cecily?“

„Ich bin nicht verheiratet.“

„Aha. Aber sie lebt bei Ihnen?“

„Nein. Sie verbringt die meiste Zeit auf Waradoon, unserem Familienanwesen, das etwa eine Autostunde von Sydney und Harper Engineering entfernt liegt. Meine Eltern sind im Ruhestand, und meine jüngste Schwester wohnt noch zu Hause. Ich habe eine Wohnung in der Stadt, verbringe aber die meisten Wochenenden auf Waradoon. Andernfalls besucht Cecily mich.“

„Warum wurde Ihnen die Vormundschaft übertragen?“

„Weil ich am ehesten aus der Familie geeignet bin. Jim hatte keine Geschwister und seine Eltern sind beide in schlechter gesundheitlicher Verfassung. Mein Vater ist über siebzig und hat ein Herzleiden. Meine Schwester Ellen hat ein vierjähriges Kind und zweijährige Zwillinge zu versorgen. Und meine jüngste Schwester Rae studiert noch.“

„Aber Sie verbringen eigentlich nicht viel Zeit mit Cecily, oder?“

Es war ein recht milder Vorwurf, ärgerte ihn aber trotzdem. „Ich habe einen Betrieb zu leiten und fahre nach Hause, so oft ich kann. Sie versteht das. Außerdem lebt sie gern auf Waradoon. Dort hat sie ihr Pferd und viele Freunde in der Nähe.“

„Sie hat ein Pferd?“

Wyatt nickte. „Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Ihnen beiden.“ Er musterte sie eingehend. Es faszinierte ihn, wie ihre Augenfarbe je nach Stimmung wechselte. Ihm gefiel der kupferne Glanz ihres Haares und wie es sich um ihr Gesicht lockte. Und ihr perfekt geformter Mund wirkte verführerisch. Tief in ihm regte sich etwas. Er war vielen hübschen Frauen begegnet, sogar hübscheren als ihr, aber keine hatte ihn so heftig und so spontan angezogen.

Nach einer kleinen Weile fragte Fiona: „Was nun?“

Es fiel ihm schwer, sich auf das Gespräch zu konzentrieren. „Ich will nichts überstürzen. Ich muss einfach im Auge behalten, dass mehrere Leute verletzt werden könnten und meine Hauptaufgabe darin besteht, meine Nichte zu schützen.“

Sie deutete zu der Mappe auf dem Tisch. „Darf ich da mal einen Blick reinwerfen?“

„Natürlich.“

Sie legte sich den Ordner auf den Schoß und schlug ihn auf.

Schweigend beobachtete er, wie ihr Gesichtsausdruck von Verärgerung über Traurigkeit bis hin zu Empörung wechselte, während sie durch die Seiten blätterte.

„Unglaublich – von Cecilys Geburtsurkunde bis hin zu meinem Schulzeugnis in der sechsten Klasse ist ja alles dabei. Ich hoffe, Sie haben den Privatdetektiv gut bezahlt für all die harte Arbeit.“

„Ich musste in Erfahrung bringen, wer Sie sind. Das können Sie sicherlich verstehen.“

Mit einer verächtlichen Handbewegung warf sie die Akte auf den Tisch, schnappte sich ihre Handtasche und sprang auf. „Das ist bloß ein Stoß Papier.“

Auch Wyatt stand auf. „Dann sagen Sie mir, wer Sie sind.“

„Ich denke, Sie sind bereits zu einem Urteil gekommen. Sie wissen offensichtlich alles über meine Kindheit. Dass mein Vater sich aus dem Staub gemacht hat. Dass meine Mutter rauschgiftsüchtig war, keinen Arbeitsplatz halten konnte und nie Geld in der Tasche hatte. Bestimmt haben Sie gelesen, dass ich neun Mal in neun Jahren umgezogen bin. Vermutlich fragen Sie sich, ob ich nach meiner Mutter komme und somit nicht vertrauenswürdig genug bin, um Cecily kennenzulernen. Womöglich könnte ich ja irgendwie auf sie abfärben.“

Er machte sich nicht die Mühe zu widersprechen. „Ich muss erwägen, was für Cecily am besten ist.“

„Das stimmt. Aber Sie sind zu mir gekommen, nicht umgekehrt. Weil Cecily Fragen über ihre Herkunft hat. Das verstehe ich. Ich weiß, wie es ist, mit einer inneren Leere zu leben. Mit fünfzehn wurde ich verleitet, in eine Inkognito-Adoption einzuwilligen. Dadurch musste ich jede Hoffnung begraben, meine Tochter jemals zu finden.“

Fiona holte tief Luft, bevor sie fortfuhr: „Und dann tauchen Sie mit Ihrem netten Lächeln und höflichen Getue auf und machen Andeutungen über die Möglichkeit, mein Kind kennenzulernen. Was Sie auch von mir denken mögen, Mr. Harper, ich lasse mich nie wieder schikanieren oder zu irgendetwas verleiten. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden? Ich brauche Zeit, um mir zu überlegen, was ich eigentlich will.“

Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich ab und stürmte zur Tür hinaus.

Wyatt starrte ihr durch das Fenster hinterher. Fasziniert beobachtete er, wie wild ihre Locken hüpften und ihre Hüften schwangen.

Erst als sie in ihr Auto stieg und davonfuhr, atmete er auf. Er schnappte sich die Mappe und klappte sie zu. Die Informationen darin hatten ihn ganz und gar nicht auf diese Begegnung vorbereitet. Er hatte erwartet … Was? Dass Fiona Walsh ihm um den Hals fiel vor lauter Dankbarkeit über die Möglichkeit, Cecily kennenzulernen? Dass sie keinerlei Widerstand leistete? Dass sie fügsam auf jeden seiner Vorschläge einging?

Momentan wusste er nicht, was er von ihr halten sollte. Wollte sie ihre Tochter überhaupt treffen? Zweifellos besaß sie Mumm, und das gefiel ihm. Sie war stark.

Er beschloss, ihr ein wenig Zeit zu geben, um sich mit dem Gedanken an eine Mutter-Tochter-Begegnung anzufreunden, ihr dann aber die Pistole auf die Brust zu setzen.

Fiona nahm sich nie frei. Sie liebte ihren Beruf und hielt sich körperlich fit. Doch nun meldete sie sich zum ersten Mal krank, weil sie sich unwohl fühlte. Der Kopf tat ihr weh. Das Herz tat ihr weh. Sie konnte sich einfach nicht einer Horde ausgelassener Kinder stellen.

Natürlich gab sie Wyatt Harper die Schuld daran. Seit er in ihr Leben getreten war, fühlte sie sich wie ein emotionales Wrack. Sie weinte sogar, was sie sonst niemals tat.

Am Nachmittag kam Callie auf einen Kaffee zu Besuch und verkündete: „Ich habe mir Sorgen gemacht, als ich von den Kids erfahren habe, dass du heute nicht in der Schule warst. Anscheinend aus gutem Grund, da du immer noch im Morgenmantel rumläufst.“

„Ich bin krank.“

„Versuch’s noch mal. Und erklär mir diesmal bitte, was es mit dem scharfen Typen von gestern auf sich hat.“

Fiona brauchte all ihre Willenskraft, um nicht erneut in Tränen auszubrechen. Sie zögerte eine Mikrosekunde, in der sie sich bewusst machte, dass Callie ihre beste Freundin war – eine der wenigen Personen, denen sie vertraute, und die Einzige, die von der Teenager-Schwangerschaft wusste.

„Ich habe dir doch mal erzählt, dass ich mit fünfzehn ein Baby gekriegt habe“, eröffnete sie. Dann erklärte sie knapp, wer Wyatt Harper war.

„Bist du sicher, dass er die Wahrheit sagt?“

„Ja. Er hat Cecilys Geburtsurkunde und sagt, dass sie mir sehr ähnlich sieht.“

„Hast du dir denn kein Foto zeigen lassen?“, fragte Callie verwundert.

„Nein. Ich war mir nicht sicher, ob ich es ertrage, sie auf einem Foto zu sehen – falls ich sie niemals in natura zu Gesicht bekomme. Kannst du das verstehen?“

„Ja. Und was hast du jetzt vor?“

„Ich weiß nicht. Das heißt, ich weiß nicht, was er vorhat.“

„Du hast gewisse Rechte. Sie ist dein Kind.“

„Die nun alle Wyatt Harper hat. Er ist ihr gesetzmäßiger Vormund.“

„Und er ist Anfang dreißig, Single und Teilzeitvater eines Teenager-Mädchens …“

„Er wirkt wie einer dieser selbstsicheren Männer, die mit allem klarkommen. Ein kleiner Teenager kann ihn nicht aus der Bahn werfen.“

„Er sieht verdammt gut aus. Nicht, dass du dich von einem hübschen Gesicht hinreißen lassen würdest.“

„Natürlich nicht.“

„Da er dich seit gestern nicht kontaktiert hat, ist er womöglich schon wieder nach Sydney zurückgekehrt.“

„Das glaube ich nicht. Er will etwas und hat es nicht bekommen. Ich halte ihn nicht für einen Mann, der sich so leicht geschlagen gibt. Außerdem habe ich mich nicht gerade nett von ihm verabschiedet.“

Callie verdrehte die Augen. „Sag bloß nicht, dass du mal wieder die Beherrschung verloren hast!“

Fiona grinste. „Doch.“

„Wie stehst du überhaupt zu der ganzen Sache? Was empfindest du bei der Vorstellung, deiner Tochter nach so langer Zeit zu begegnen?“

„Ich bin verwirrt und schockiert. Die Hoffnung, sie eines Tages zu treffen, habe ich nie aufgegeben, aber immer unterdrückt. Jetzt scheint es Wirklichkeit zu werden und ich habe Angst. Weil ich noch immer die Person bin, die sie weggegeben hat. Was muss sie von mir denken?“

Aufmunternd erwiderte Callie: „Du warst kaum älter, als sie jetzt ist. Sie wird dich verstehen, wenn du ihr alles erklärst. Schließlich geht die ganze Sache von ihr aus. Das ist ein positives Zeichen.“

Das war zu hoffen, aber auch zu bezweifeln. Was, wenn Cecily kein Verständnis aufbringen konnte? Was, wenn eine Wiedervereinigung nur Verwirrung stiftete?

Als Callie sich eine Viertelstunde später verabschiedete, war Fiona es leid, so ausgelaugt und mitgenommen auszusehen. Sie duschte ausgiebig, schlüpfte in einen bequemen Jogginganzug und fütterte den Hund.

Dann machte sie es sich mit einem Becher Kaffee auf dem Sofa bequem, um Schulaufsätze zu korrigieren. Der Stapel Hefte war zur Hälfte durchgearbeitet, als Muffin zu knurren anfing.

Kurz darauf klingelte es.

Sie ging öffnen und fand Wyatt Harper auf der Schwelle vor.

„Hallo“, sagte er gelassen, obwohl die Atmosphäre zwischen ihnen spürbar knisterte.

Sie versuchte zu ignorieren, dass ihr Herz ein wenig schneller schlug als gewöhnlich. „Was wollen Sie?“

Er hielt eine Tüte hoch. „Dinner.“

„Ich denke nicht …“

„Für drei“, warf er ein. „Falls Sie Besuch haben.“

„Ich bin allein und habe keinen Hunger.“

Er zog beide Augenbrauen hoch. „Sind Sie sicher?“

Fiona unterdrückte den Drang, ihm die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Sie wollte nicht nett zu ihm sein, aber mehr über ihre Tochter erfahren, und er war der Schlüssel dafür.

Forschend musterte sie ihn. Er trug eine sandfarbene Cargohose und ein schwarzes Polohemd. Dass er einen tollen Körper hatte, konnte sie nicht leugnen – aber musste sie deshalb gleich auf ihn reagieren?

„Kommen Sie herein.“

„Danke.“ Er ging an ihr vorbei und wedelte mit der Tüte. „Chinesisch. Ein bisschen von allem, weil ich nicht wusste, was Sie mögen. Wo soll das hin?“

„In die Küche.“ Sie schloss die Tür und runzelte die Stirn, weil Muffin, der Verräter, aufgeregt um Wyatts Füße herumsprang und Aufmerksamkeit forderte. „Hier entlang.“

Er tätschelte den Hund, bevor er Fiona folgte.

Sie beobachtete, wie er ein halbes Dutzend Behältnisse aus der Tüte auf den schmalen Esstisch stellte. Dann holte sie Besteck aus einer Schublade und zwei Dosen aus dem Kühlschrank. „Leider habe ich nur alkoholfreies Bier.“

„Kein Problem.“

„Woher wussten Sie, dass ich zu Hause bin?“

„Das wusste ich nicht. Ich bin auf gut Glück vorbeigekommen. Da heute und morgen Schule ist, dachte ich mir, dass Sie abends nicht ausgehen.“

„Ich habe heute nicht gearbeitet.“

Er öffnete beide Dosen, ohne sich zu ihrer Bemerkung zu äußern.

„Nach unserem gestrigen Gespräch war ich zu nichts nutze.“

Er schob ihr ein Bier zu. „Sie sind sehr ehrlich.“

„Einer meiner Fehler.“ Sie nahm einen kleinen Schluck. „Ich habe sehr viele. Ich plappere oft drauflos, ohne vorher nachzudenken. Und ich habe ein hitziges Temperament.“

Seine Augen funkelten. „Ach, wirklich?“

Fiona öffnete die Behälter und spießte eine Teigtasche mit einer Gabel auf. „Große Überraschung, wie?“

Er griff zu den Bratnudeln. „Gibt es denn nun einen Freund oder Lebensgefährten auf der Bildfläche?“

Sie errötete unter seinem durchdringenden Blick. „Nein.“

„Gut.“ Er füllte seinen Teller. „Dann bleiben uns beiden mehr Nudeln.“

Sie unterdrückte ein Grinsen. Seine unbeschwerte Gelassenheit gefiel ihr. Leider viel zu gut. Sie wollte ihn nicht als begehrenswerten Mann ansehen. Er war der Schlüssel zu ihrer Tochter und sie musste einen kühlen Kopf bewahren. Sich etwas anderes vorzustellen, war schlichtweg unsinnig.

„Wyatt …“ Sie stellte fest, dass ihr der Klang seines Namens aus ihrem Mund gefiel. „Warum sind Sie wirklich hier? Sicher nicht, um mit mir chinesisch zu essen und mich nach meinem Liebesleben auszufragen.“

„Ich habe mir Sorgen um Sie gemacht.“

Ihre Haut prickelte und ein seltsames Flattern regte sich in ihrem Bauch. Ganz tief unten. Sie nahm ihre fünf Sinne zusammen. „Dazu besteht kein Grund. Mir geht es gut. Nun, was haben Sie wegen Cecily entschieden?“

„Nach unserem gestrigen Gespräch dachte ich, es geht eher darum, was Sie tun wollen.“

Ich will sie unbedingt sehen, dachte Fiona und sagte stattdessen: „Ich weiß es eigentlich nicht. Ich habe immer zu wissen geglaubt, wie ich reagiere, falls dieser Moment jemals kommt. Aber ich bin total unvorbereitet. In meiner Vorstellung von der ersten Begegnung war Cecily immer schon erwachsen und ist selbst zu mir gekommen. So konnte ich ihr auf gleicher Stufe begegnen. In Wirklichkeit ist sie noch ein Kind und ich muss die Stärkere sein. Ich sollte mir ganz genau im Klaren sein, wie ich mich zu verhalten habe. Aber ich weiß es nicht.“

Sie hielt abrupt inne, weil sie es kaum fassen konnte, dass sie ihre geheimsten Gedanken preisgab und sich dadurch verletzlich machte. „Einerseits freue ich mich riesig auf sie. Andererseits wünschte ich beinahe, Sie wären nie hergekommen.“

Während sie auf seine Reaktion wartete, knisterte die Atmosphäre vor Spannung.

„Sie sind doch stark. Das merkt jeder. Aber ich möchte nicht, dass Sie sich Illusionen machen. Momentan ist es für Cecily in ihrer kindlichen Vorstellung höchst aufregend, mit ihrer leiblichen Mutter Kontakt aufzunehmen. Aber wenn der Reiz des Neuen erst mal verblasst, werden Fragen kommen. Und vielleicht Vorwürfe. Sind Sie darauf vorbereitet?“

Überhaupt nicht, dachte Fiona. Aber das wollte sie nicht eingestehen. „Soll das heißen, dass ich sie sehen darf?“

Wyatt wusste nicht, wie er zu einer Mutter-Tochter-Begegnung stand. Seine Recherchen führten ihn zu der Schlussfolgerung, dass Fiona Walsh ein guter Mensch war. Sie war bei ihren Schülern beliebt und hatte Freunde in der kleinen Gemeinde. Aber reichte das als Leumundszeugnis? Er hatte schon einmal schlechtes Urteilsvermögen bewiesen. Schnell schob er den unangenehmen Gedanken an seine Ex-Verlobte Yvette beiseite.

Was Fiona wollte, wusste er nicht. Nur was Cecily wollte, war klar, aber das erleichterte ihm nicht die Entscheidung. Sie war sehr eigenwillig, besonders in dieser Angelegenheit. Doch er musste negative Konsequenzen einkalkulieren und verhindern, dass seine Nichte, seine Familie und auch Fiona emotionale Einbußen erlitten.

„Ich denke, dass Sie tun werden, was für Cecily richtig ist.“

„Darauf gebe ich Ihnen mein Wort. Ich schwöre es.“ Nach kurzem Zögern fragte sie: „Wie ist sie denn so?“

„Fantastisch. Sie ist ein braves Kind, aber sie hält mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg. Sie plappert alles aus, was ihr in den Sinn kommt, und hat ein Temperament, das zu ihrem roten Haar passt.“ Er lächelte vage. „Kommt Ihnen das bekannt vor?“

Sie nickte. Ihre Augen leuchteten ein klein wenig stärker als gewöhnlich. „Haben Sie ein Foto?“

„Von Cecily? Ja.“ Er holte sein Smartphone heraus, betätigte einige Tasten und reichte es ihr.

Fiona heftete den Blick auf das kleine Display. Sie ist mir wie aus dem Gesicht geschnitten. Speisen und Getränke waren vergessen. Stille trat ein, dehnte sich aus.

„Danke“, murmelte sie schließlich. Sie schob ihm das Telefon zu. „Können Sie mir eine Kopie davon schicken?“

„Natürlich.“ Er steckte den Apparat wieder in die Tasche. „Haben Sie irgendwelche Fragen?“

„Hunderte.“

Er grinste und griff zu seiner Gabel. „Schießen Sie los.“

„Geht sie gern zur Schule?“

„Ja. Sie lernt gut.“

„Hat sie Freunde?“

„Unzählige.“

„Ist sie glücklich?“

„Meistens. Sie hatte es schwer nach dem Tod von Karen und Jim. Aber mit viel Liebe und Unterstützung hat sie es verkraftet. Sie ist stark und mutig.“ Wyatt sah Traurigkeit in ihren Augen. Es rührte ihn an, erweckte den Wunsch, ihr Trost zu bieten. Reiß dich zusammen! „Sie ist Ihnen sehr ähnlich.“

Sie lachte auf. Gekünstelt. Unsicher. „Ich bin aber gar nicht mutig.“

„Dem Bericht über Sie habe ich etwas anderes entnommen“, entgegnete er spontan und fragte sich dann, ob es klug war, jene Akte zu erwähnen. „Warum sind Sie so oft umgezogen?“

„Gewohnheit.“

Er zog die Augenbrauen hoch. „Sagen Sie mir den wahren Grund.“

Sie spießte eine Teigtasche auf und schob ihm den Karton zu. „Wahrscheinlich die Suche nach Wurzeln.“

„Haben Sie welche gefunden?“

„Ich habe Callie und Evie gefunden, meine beiden besten Freundinnen. Und mir gefällt diese Stadt. Ich habe Freude an meiner Arbeit und an meinem kleinen Haus.“ Fiona blickte sich im Raum um. „Außerdem kann ich Titan in meiner Nähe halten.“

„Also kein Freund?“

Es zuckte um ihre Mundwinkel. „Hatten wir das nicht schon abgehakt? Ich bin Single.“

„Glücklicher?“

Sie stocherte mit der Gabel in einem Karton mit pikantem Hühnchenfleisch. „Wer ist schon glücklich darüber, allein zu sein?“

Ein durchaus berechtigter Einwand, obgleich Wyatt nicht an einer ernsten Beziehung interessiert war. Nach der Trennung von Yvette war er lediglich eine einzige flüchtige Affäre eingegangen. Er hatte es nicht eilig damit, sein Herz wieder an jemanden zu hängen. „Lieber unglücklich allein als miserabel liiert.“

„Aus Erfahrung gesprochen?“

Er tat die Frage mit einem Achselzucken ab. „Schnee von gestern.“

„Sie wissen sehr viel über mich. Da wäre es nur fair, wenn Sie mir ein kleines bisschen über sich selbst anvertrauten, meinen Sie nicht?“

„Ich war verlobt.“ Er aß einen Happen Hühnerfleisch und spülte ihn mit Bier hinunter. „Es hat nicht geklappt.“

„Vermissen Sie es, mit jemandem zusammen zu sein? Zu jemandem zu gehören? Jemanden zu haben, mit dem Sie reden können, der Sie versteht?“

„Die Beziehung zu meiner Ex-Verlobten war nicht so harmonisch.“

„Aber Sie haben sich geliebt?“

„Wahrscheinlich.“ Es klang nicht sonderlich überzeugend. Weil er nun einmal nicht überzeugt war, ob er Yvette tatsächlich geliebt hatte. Anziehungskraft und Verträglichkeit hatten in gewissem Maße zwischen ihnen bestanden, aber Liebe? Ein netter Begriff, aber existiert so etwas überhaupt?

„Sie hat eine Nummer mit Ihnen abgezogen, oder?“

Nicht nur hübsch, sondern dazu klug und einfühlsam. „Das könnte man sagen.“

„Zumindest hatten Sie den Mut, es zu probieren.“

„Waren Sie schon mal fest liiert?“

Fiona schüttelte den Kopf. „Ich war immer die beste Freundin.“

„Wie bitte?“

„Na ja, Sie wissen schon. Da ist das aufregende Mädchen, das immer den tollen Typen abkriegt, und dann ist da die treuherzige beste Freundin im Hintergrund. Das bin ich.“

Dass sie sich wie ein Mauerblümchen hinstellte, war lächerlich. Er konnte die erregenden Schwingungen zwischen ihnen spüren, und die waren alles andere als langweilig. Und sie war schön! Ihr Teint war zart und ihr feuriges Haar so seidig … Unwillkürlich malte er sich aus, wie es auf seiner nackten Brust lag.

Wyatt räusperte sich und nahm einen Schluck Bier. „Ich schätze, wir sollten über Cecily sprechen.“

„Deswegen sind Sie hier, oder?“

„Natürlich. Bevor ich mich auf irgendetwas einlasse, muss ich wissen, ob Sie wirklich Verbindung zu ihr aufnehmen wollen. Oder ob Sie im Zwiespalt sind und sich nur verpflichtet fühlen, weil Cecily es so will. In dem Fall reise ich morgen ab und Sie hören nie wieder von mir, bis Sie bereit sind, den nächsten Schritt zu gehen.“

Panik stieg in ihr auf. „Nein, tun Sie das nicht.“

Er sagte nichts dazu. Er wartete, dass sie eine klare Entscheidung traf. Halbwahrheiten konnte er nicht akzeptieren.

„Ich will es durchziehen“, verkündete sie schließlich. Ihre Augen glitzerten. „Ich will eine Chance, ihr zu erklären, warum ich sie weggegeben habe.“

„Sind Sie denn auch auf die harten Fragen vorbereitet, die Cecily Ihnen garantiert stellen wird?“

„Ich werde mich darauf gefasst machen.“

Da war er sich nicht so sicher. „Was Cecilys Vater angeht – ich merke, dass Sie mir da etwas verschweigen.“

Schnell schüttelte Fiona den Kopf. Zu schnell. „Da ist nichts. Er ist tot. Er kann ihr nicht wehtun.“

Wyatt horchte auf. „Hat er Ihnen denn wehgetan?“

Ihr Blick wurde unstet. „Das habe ich nicht gesagt. Ich wollte einfach nur feststellen, dass er tot ist und daher nie eine Rolle in ihrem Leben spielen wird.“

„Das ist alles?“

Sie nickte.

Er war noch immer skeptisch, ließ es aber dabei bewenden. „Cecilys Wohlergehen ist mir wichtig. Daher verstehen Sie sicherlich, dass ein eventueller Erstkontakt unter Aufsicht stattfinden muss.“

„Natürlich. Ich möchte ihr gern einiges schreiben, wenn es Ihnen recht ist. Ich denke, ein Brief wäre ein guter Auftakt. Ich verstehe, wenn Sie ihn lesen wollen, bevor sie ihn bekommt.“

Sein Blick glitt zu ihren Lippen, die aufreizend glänzten. Er begehrte sie, da konnte er sich nichts vormachen. „Sicher. Ich schicke Ihnen meine Adresse per SMS.“ Er schob das Bier beiseite. „Jetzt wird es Zeit für mich zu gehen. Mein Flieger startet morgen in aller Frühe.“

Fiona sprang sofort auf. Er zögerte jedoch, bevor er sich erhob. Plötzlich hielt er es nicht mehr für eine gute Idee, sich zu verabschieden. Verblüfft stellte er fest, dass er sich mehr von ihrer anregenden Gesellschaft wünschte. Er blieb am Tisch stehen und starrte sie an. Die Atmosphäre zwischen ihnen verdichtete sich, erhitzte sich abrupt, wie wenn eine höhere Gewalt in den Raum eingedrungen wäre.

Sie stand nur einen Schritt entfernt. Nah genug, um sie zu berühren, wenn er eine Hand ausstreckte. Es prickelte in seinen Fingerspitzen bei dem Gedanken.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte sie ein wenig atemlos.

„Ich habe nur …“ Er verstummte. … gerade daran gedacht, dich zu küssen. „Nichts.“ Er holte die Autoschlüssel aus der Tasche. „Danke für das Bier.“

„Danke für das Essen.“

„Gern. Ich melde mich.“

Sie lächelte. „Dann also gute Nacht.“

„Gute Nacht, Fiona“, wünschte Wyatt und verließ schleunigst das Haus, bevor er eine riesige Dummheit beging und all die Gründe vergaß, aus denen er sich nicht zu ihr hingezogen fühlen durfte.

3. KAPITEL

„Und? Wie ist sie so?“

Kaum hatte Wyatt das Haupthaus auf Waradoon betreten, als seine Mutter ihn mit dieser Frage überfiel. „Nett.“

Janet Harper zog die silbergrauen Augenbrauen hoch. „Bloß nett?“

„Sehr nett.“ Da er absolut nicht in der Stimmung für ein Verhör war, stürmte er in die Küche auf der Rückseite des Hauses und holte sich eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank.

Sie folgte ihm und hakte nach: „Hast du in ein Treffen eingewilligt?“

„Mehr oder weniger. Ich will zuerst mit Cecily darüber reden.“

„Sie wird jeden Moment von ihrer Reitstunde zurückkommen und dich mit Fragen bombardieren. Sie ist völlig aus dem Häuschen.“ Janet senkte die Stimme. „Ich hoffe nur, dass diese Frau nicht …“

„Sie hat einen Namen und du wirst sie mögen.“ Ich wünschte, ich würde sie weniger mögen. In den letzten vierundzwanzig Stunden hatte er kaum an etwas anderes gedacht als an sie und sein Verlangen am vergangenen Abend, sie zu küssen.

„Fiona heißt sie, ich weiß. Und sie ist nett. Das sagst du immer wieder.“

Er runzelte die Stirn. „Hör auf zu schmunzeln.“

Sie setzte sich an den langen Esstisch. „Ich vertraue auf dein Urteil. Du tust doch immer, was für Cecily und die Familie richtig ist.“

„Wyatt! Du bist schon hier!“

Er drehte sich zur Tür um. Cecily kam in Reitkleidung zur Tür herein. Es verblüffte ihn, wie sehr sie ihrer Mutter ähnelte. Nicht ihrer Mutter. Das war Karin. Ihrer leiblichen Mutter.

Sie lief zu ihm und warf sich ihm stürmisch an die Brust.

Er umarmte sie fest. „Hey, Kleines. Schön, dich zu sehen.“

„Dich auch. Erzähl mir alles. Hast du sie getroffen? Hast du mit ihr gesprochen? Will sie mich kennenlernen?“

„Ja, ja und ja.“

Ihre Augen wurden feucht. „Wirklich? Ich kann sie sehen?“

Er nickte. „Aber nicht sofort. Sie wird dir erst mal schreiben. Danach kannst du entscheiden, was du tun willst.“

Sie wich zurück und straffte die Schultern. „Ich weiß schon, was ich will: sie kennenlernen. Ganz bald.“ Und damit lief sie aus der Küche, um sich umzuziehen und ihre Hausaufgaben zu machen.

„Ich hab dir ja gesagt, dass sie es nicht erwarten kann“, bemerkte Janet. „Du solltest dir für eine Weile freinehmen und sie zu ihrer leiblichen Mutter bringen. Das wäre für alle Beteiligten einfacher. Bestimmt würde es Miss Walsh überfordern, hierher zu kommen und von der ganzen Familie umringt zu werden – falls du das geplant hattest.“

„Ich soll Cecily nach Crystal Point bringen?“

„Ja. Sie liebt den Strand und du hast seit einer Ewigkeit keinen Urlaub gemacht. Es würde dir auch guttun.“

Entschieden entgegnete Wyatt: „Ich brauche keinen Urlaub.“

„Dein Vater hatte seinen ersten Herzinfarkt mit zweiundvierzig, weil er zu viel gearbeitet hat. Ich will nicht miterleben, dass es dir genauso ergeht. Es gibt mehr im Leben als Harper Engineering.“

„In der Firma wird …“

„… alles glattgehen“, versicherte sie. „Alessio kümmert sich gewissenhaft darum. Nimm dir drei Wochen frei und …“

Er wusste, dass er sich auf seinen Schwager verlassen konnte. Trotzdem rief er: „So lange? Unmöglich!“

Janet lächelte. „Das ist sehr wohl möglich. Bald sind für vierzehn Tage Schulferien und ich glaube nicht, dass es Cecily groß schadet, wenn sie für eine Woche den Unterricht versäumt.“

Stirnrunzelnd dachte Wyatt darüber nach. Sie würde sich mit Sicherheit über drei Wochen Strandurlaub freuen – und Fiona über die Chance, ihre Tochter ausgiebig kennenzulernen. Ich bin nur nicht sicher, ob ich drei Wochen in ihrer Nähe verbringen sollte.

Aber welche andere Wahl blieb ihm schon? Cecily allein nach Crystal Point zu schicken, kam nicht infrage, und Fiona hätte eine Einladung nach Waradoon sicherlich abgelehnt.

„Also ist alles arrangiert?“, erkundigte Fiona sich.

„Ja“, bestätigte ihre Freundin Evie. Ihr gehörte das Dunn Inn, eine beliebte Frühstückspension in Crystal Point, die normalerweise voll ausgebucht war. „Durch Zufall hatte ich zwei Zimmer frei. Sie haben ab Samstag für drei Wochen fix gebucht. Das habe ich dir schon mindestens vier Mal gesagt.“

„Ich weiß.“ Aber ich will es immer wieder hören. Meine Tochter kommt mich besuchen! Fiona hatte wie angekündigt einen Brief an Cecily geschrieben und unverzüglich eine E-Mail erhalten, die von tiefen Gefühlen und großem Mut kündete. „Ich wollte mich nur noch mal vergewissern.“

Callie reichte ihr ein Getränk. „Du wirst noch ganz kirre, bevor sie eintreffen.“

Es war Freitagabend, und sie veranstalteten zusammen mit Evies jüngerer Schwester Mary-Jayne, genannt M. J., die allwöchentliche sogenannte Cocktailstunde. Da Evie in drei Monaten ein Baby erwartete, gaben sie sich mit Pfirsich-Eistee statt Alkohol zufrieden.

„Er ist also heiß, dieser Onkel?“, fragte M. J. auf ihre typische unverblümte Weise.

„Ja. Heißer als die Hölle“, bestätigte Callie. „Groß, dunkelhaarig, blendend aussehend.“

„Ein gutaussehender Single aus wohlhabender Familie und der Geschäftsführer eines erfolgreichen Unternehmens? Höchst interessant.“

Fiona nippte an ihrem Tee und verdrängte den Groll, der in ihr aufsteigen wollte. Sie hätte sich nicht weiter daran stören sollen, dass andere Frauen Wyatt attraktiv fanden, aber sie tat es. Und auch wenn sie es nicht eingestehen wollte, das bevorstehende Wiedersehen mit ihm machte sie nervös.

Sie hatte mehrere E-Mails von ihm erhalten und diese unnötig oft gelesen, obwohl sie sich nur um Cecily drehten und kein einziges persönliches Wort enthielten.

Das kann mir nur recht sein. Seine Gleichgültigkeit gestattete ihr, sich auf ihre Tochter zu konzentrieren. Daher wusste sie einiges über Cecilys Schule, ihre Freunde, ihr geliebtes Pferd Banjo und die Familie, die sie offensichtlich anbetete.

Das bevorstehende Treffen erschien Fiona inzwischen ganz natürlich und entgegen ihrer anfänglichen Befürchtung überhaupt nicht unangenehm.

Das Unbehagen reservierte sie für Wyatt. Ebenso wie die Nervosität. Und die Schmetterlinge im Bauch, wann immer sie an seine strahlend blauen Augen und sein verführerisches Lächeln dachte.

„Erde an Fiona?“

Abrupt schreckte sie aus ihren Gedanken auf und stellte fest, dass ihre Freundinnen sie mit hochgezogenen Brauen und großen Augen anstarrten. „Ich habe an Cecily gedacht“, behauptete sie und trank einen Schluck.

„Du hast geseufzt“, teilte M. J. ihr mit. „Ganz laut.“

„Ich habe mich bloß geräuspert. Wer möchte noch Eistee?“

Callie blickte zur Uhr. „Ich nicht. Ich muss los. Ich habe Noah versprochen, früh nach Hause zu kommen.“

Auf ihrem Gesicht lag ein verträumter Ausdruck. Sie betete ihren Ehemann und ihre vier Stiefkinder an. Und da ihr jüngster Bruder Scott und Evie sich demnächst vermählen wollten, waren die beiden Familien fest verbandelt.

Manchmal war Fiona regelrecht neidisch, wenn sie beobachtete, wie die Geschwister voller Zuneigung und gutmütiger Rivalität miteinander umgingen. Sie selbst hatte nie ein Familienleben kennengelernt.

Ihr Großonkel Leonard hatte zwar sein Bestes gegeben, um ihr ein richtiges Zuhause zu bieten, nachdem sie von ihrer Mutter bei ihm abgeladen worden war. Aber als waschechter Junggeselle mit altmodischen Moralvorstellungen hatte er mit einer schwangeren, emotional gefährdeten Fünfzehnjährigen nicht umzugehen gewusst. Er hatte ihr Unterkunft, Verpflegung und Kleidung geboten und geglaubt, ihr damit Genüge zu tun.

Das Baby zu behalten, hatte nie zur Debatte gestanden. Die Entscheidung war lange vor der Entbindung gefallen. Fiona war lapidar mitgeteilt worden, dass ihr Kind von einem Ehepaar inkognito adoptiert werden sollte, was von vornherein jeden Kontakt ausschloss.

Aber jetzt habe ich die Chance, meine Tochter zurückzukriegen …

Allerdings standen ihr schwierige Zeiten bevor. Sie war sich immer noch nicht sicher, wie sie Cecilys Fragen beantworten sollte. Und sie wusste, dass Wyatt sie auf Schritt und Tritt beobachtete, um ihr Geheimnis aufzudecken.

Trotzdem war Fiona optimistisch. Und als sie später in ihr leeres kleines Haus zurückkehrte, fühlte sie sich nicht halb so einsam wie sonst. Sie verspürte Hoffnung.

Nie zuvor hatte Wyatt ein Zimmer betreten, das dermaßen hübsch war. Es war ganz in Rosa gehalten. Beziehungsweise in Lavendel. So hatte die Vermieterin den Farbton bezeichnet und dabei erklärt, dass dieser Raum normalerweise frisch Verheirateten vorbehalten war.

Cecily war in dem kleineren Nebenzimmer untergebracht, das – für seinen Geschmack wesentlich ansprechender – in Braun und Beige dekoriert war.

Er unterdrückte ein Stöhnen, während er sich umblickte. Auf dem Bett lagen unzählige rosa Kissen und einer Schale mit Blüten, die man Potpourri nannte, entströmte ein schwerer Duft.

„Hier riecht’s ja wie in einer Parfümerie!“, rief Cecily naserümpfend, sobald sie zur Tür hereinkam.

„Stimmt. Lass uns die Zimmer tauschen.“

„Ach egal, ich hab schon ausgepackt.“

„Alle drei Koffer? Wie fleißig!“, neckte er. „Dann können wir ja gehen, oder?“

Sie nickte. „Aber ich verstehe nicht, warum wir uns nicht hier mit ihr treffen können.“

„Das Hotel ist besser“, erwiderte er. Auf neutralem Boden. So wollte Fiona es.

„Aber Evie hat gesagt, dass wir das Wohnzimmer benutzen können, und ich …“

„Du weißt, was abgemacht ist. Also gehen wir“, unterbrach er sanft.

„Meinst du, dass sie mich mag? Oder glaubst du, dass sie enttäuscht von mir ist? Was ist, wenn sie …“

„Cecily, entspann dich. Sie wird dich garantiert mögen“, versicherte er. „Das verspreche ich dir. Wieso hast du plötzlich solche Angst? Du hast doch schon zwei Wochen lang mit ihr gemailt und telefoniert.“

„Aber jetzt wird’s persönlich und das ist was ganz anderes.“

Ja, was ganz anderes. Wyatt spürte eine unerklärliche Spannung in der Brust. Allein bei dem Gedanken an Fiona Walsh geriet sein Blut in Wallung, doch unter den gegebenen Umständen durfte er sich nicht zu ihr hingezogen fühlen. Er konnte es sich nicht leisten, sich von ihrem hübschen Gesicht und wohlgerundeten Körper ablenken zu lassen. Er hatte sich schon einmal von körperlichen Reizen hinreißen lassen und wollte denselben Fehler nicht noch einmal begehen.

Er brauchte nur Cecily anzusehen, um sich darüber klar zu werden, dass er einen kühlen Kopf bewahren musste. „Sie wird begeistert von dir sein. Vertrau mir.“

„Das tue ich“, versicherte sie und umarmte ihn. „Ich wünsche mir so sehr, dass es klappt! Ich will, dass Fiona mich mag, und ich will sie auch mögen.“

„Ich sehe da kein Problem. Sie ist sehr nett.“

„Na ja, sie wirkt ganz nett. Aber am Anfang kann man nie wissen, wie jemand wirklich ist.“

„Hast du Bedenken gegen dieses Treffen?“

Schnell schüttelte sie den Kopf. „Nein, ich bin nur ein bisschen nervös.“

Er vermutete, dass Fiona ebenso aufgeregt war. „Wir können jederzeit wieder nach Hause fahren. Du musst nur ein Wort sagen.“

„Das will ich nicht. Noch nicht. Vielleicht können wir ja … ich weiß nicht … so was wie Freundinnen werden.“

Ihre Reife war bewundernswert. Trotzdem blieb er entschlossen, parat zu stehen, falls die Belastung für ihre junge Seele zu groß wurde. „Okay, auf geht’s.“

Die Fahrt in die Stadt dauerte nur eine Viertelstunde. Nachdem der Leihwagen in der Tiefgarage abgestellt war, fehlten nur noch wenige Minuten bis zum vereinbarten Termin.

Wyatt begleitete Cecily vom Lift zu derselben Sitzgruppe im Erdgeschoss, bei der er sich vor einigen Wochen mit Fiona getroffen hatte. Zum Glück war es sehr ruhig im Foyer, sodass sie sich ungestört unterhalten konnten.

„Wyatt?“

„Ja, Kind?“

„Ist sie das?“

Er wandte den Kopf und sah Fiona eintreten. Sie trug ein grünes Kleid und ihr erdbeerblondes Haar wehte lose um ihre Schultern. Wunderschön. Sofort fühlte er sich wieder zu ihr hingezogen. Als sie sich näherte, schien sein Herz einen Schlag lang auszusetzen. Da stand sie nun ganz erwartungsvoll und blickte mit großen Augen zwischen Cecily und ihm hin und her.

„Hi“, murmelte sie leise.

Wyatt erwiderte: „Hallo, Fiona.“

Das ist einer dieser Momente, in denen Welten miteinander kollidieren. Ihre Welt und seine Welt – von nun an für immer vereint durch das junge Mädchen, das an seiner Seite stand und nervös auf den Fußballen wippte.

„Hallo, Cecily.“

Er beobachtete, wie seine Nichte zögerte, als wüsste sie nicht, wie sie die Frau ansprechen sollte, von der sie zur Welt gebracht worden war.

Und Fiona? Er las Zurückhaltung, Unsicherheit und schlichtweg Freude in ihren blau-grauen Augen. Die beiden sahen einander unheimlich ähnlich. Dieselben Haare, derselbe Teint. Dasselbe beherzte Temperament.

Schließlich flüsterte Cecily: „Hi. Danke, dass du gekommen bist.“

Fiona trat einen kleinen Schritt näher und sagte spürbar befangen: „Ich bin wirklich froh, dass du mich treffen wolltest und mich gefunden hast.“

Er wünschte unwillkürlich, er könnte ihr für eine Sekunde all seine Kraft übertragen, um ihr diesen schwierigen Moment zu erleichtern.

„Na ja, eigentlich war es mein Onkel, der dich gefunden hat“, entgegnete Cecily mit einem kleinen Lächeln.

„Das weiß ich. Erzähl mir, wie war die Reise?“

„Toll! Wyatt hat mir nämlich den Fensterplatz überlassen.“

Fiona lachte leise. Das Geräusch ging ihm unter die Haut. Sie wirkte nervös. Verstohlen berührte er Cecily am Arm und gab ihr einen kleinen Schubs vorwärts.

Für einige Sekunden herrschte Unbehagen, bis Fiona zögernd die Arme ausbreitete. Einen Wimpernschlag später lagen sich Mutter und Tochter in den Armen.

Er beobachtete die Szene und schluckte schwer, weil ihm ein Kloß in die Kehle stieg.

Fiona blickte ihn über Cecilys Schulter an und lächelte. Tränen hingen an ihren Wimpern und ihre Augen wirkten riesig. Sie so verletzlich zu sehen, so aufgewühlt und voller Freude, ging ihm unter die Haut. Auch Cecily weinte. Doch da war keine Spur von Traurigkeit oder Reue. Nur neue Gefühle, neue Träume, neue Hoffnungen.

Und er wusste instinktiv, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, nach Crystal Point zu kommen. Zumindest, was das Treffen zwischen Mutter und Tochter anging. Er musste nur seine wachsende Zuneigung zu Fiona in den Griff kriegen.

Fiona verspürte eine überwältigende Liebe, als sie ihre Tochter erst zum zweiten Mal in ihrem Leben in den Armen hielt. Plötzlich verblasste ihre bisher einzige Erinnerung: die Szene, in der ihr das Baby wenige Minuten nach der Geburt entrissen wurde.

Sie sieht genauso aus wie ich … Wyatt hatte recht.

Ihr Herz schlug höher, als sie ihn anblickte. Er war so groß und stark und gut aussehend. Seine Anwesenheit gab ihr Kraft und den Mut, Cecily zu umarmen und all die aufgestauten Gefühle hervorbrechen zu lassen.

„Setzen wir uns doch“, schlug sie vor und hakte sich bei ihrer Tochter unter.

„Vielleicht sollte ich euch beide für eine Weile allein lassen“, meinte Wyatt.

Cecily ging einen Schritt auf ihn zu. „Nein, bitte geh nicht.“

Er warf Fiona einen seltsamen Blick zu. Zwischen ihnen funkte es.

„Ich möchte auch, dass Sie noch eine Weile bleiben.“

Mit unverkennbarer Zuneigung zu ihrem Onkel, der in die Vaterrolle geschlüpft war, rief Cecily: „Super! Wyatt ist nämlich echt coool.“

„Davon bin ich überzeugt“, murmelte Fiona. Sie entspannte sich und richtete ihre ganze Aufmerksamkeit auf das Mädchen, das neben ihr saß. Stolz erfüllte sie. Das ist meine Tochter … Mein Kind … Dieses wundervolle Geschöpf habe ich erschaffen.

Was immer künftig geschehen mochte, sie wusste, dass sie die Erinnerung an Cecilys kleine Hand in ihrer eigenen für immer bewahren würde. Reue und Beschämung waren nicht ganz verschwunden, doch diesen kostbaren Augenblick wollte sie nicht durch negative Gedanken trüben lassen.

Eine gute Stunde lang unterhielten sie sich über alltägliche Dinge wie ihre Hunde und Pferde.

Cecily erzählte angeregt von ihren Freunden und Angehörigen. „Meine Großeltern sind einmalig. Ich kann es kaum erwarten, dass du sie kennenlernst. Meine Tante Rae weiß alles über Pferde, und meine Tante Ellen hat total niedliche Zwillinge. Ich darf immer helfen, sie zu füttern und zu wickeln, wenn ich bei ihr und Alessio bin. Der ist Italiener und seine Familie ist superreich. Aber sie hat ihn nicht wegen seines Geldes geheiratet. Er sieht auch ganz toll aus.“

Fiona unterdrückte ein Schmunzeln und warf einen verstohlenen Blick zu Wyatt, der den Austausch aufmerksam, schweigend und mit einem Lächeln verfolgte. „Wenn es deinem Onkel recht ist, können wir Titan heute Nachmittag besuchen.“

„Au ja! Können wir, bitte?“, bettelte Cecily.

Er nickte. „Wenn du gern möchtest.“

Sie sprang auf. „Ich hole gleich meine Stiefel aus dem Kofferraum.“ Sie ließ sich den Autoschlüssel geben und lief zu den Fahrstühlen.

Fiona murmelte: „Sie ist unglaublich.“

„Allerdings. Ein Energiebündel, aber bezaubernd.“

„Sie liebt ihre Familie sehr“, sagte sie ohne jede Spur von Neid. Dabei war sie sich seines eindringlichen Blicks überdeutlich bewusst. „Und Sie ganz besonders.“

„Das beruht auf Gegenseitigkeit. Sie ist ein großartiges Mädchen.“

Sie starrte auf ihre Schuhspitzen. „Ich nehme an, sie hat eine Menge Fragen an mich.“

„Ja, aber die wird sie nicht sofort stellen. Um Sie nicht zu verjagen.“

„Ich lasse mich nicht so leicht verschrecken.“

„Sind Sie sicher?“

Es zuckte so verführerisch um seine Mundwinkel, dass ihr der Atem stockte. „Absolut“, erwiderte sie und fragte sich, ob sie immer noch über Cecily sprachen. Die Luft wirkte plötzlich ungewöhnlich warm.

„Sie ist sehr klug und reif für ihr Alter. Sie möchte Sie an ihrem Leben teilhaben lassen. Allerdings weiß ich nicht, in welcher Funktion. Ich glaube, sie weiß es selbst noch nicht so genau. Dieses Treffen ist der erste Schritt. Von jetzt an liegt es an Ihnen beiden, welche Beziehung Sie zueinander entwickeln.“

„Und dabei werden Sie mich ständig im Auge behalten und aufpassen, dass ich es nicht vergeige?“

Wyatt zuckte die Achseln. „Es ist meine Aufgabe, Cecily zu beschützen. Karen hat mir diese Verantwortung übertragen, und ich nehme sie ernst.“

„Ich will das für sie sein, was immer sie von mir braucht. Ich werde auf keinen Fall versuchen, ihre Mutter zu ersetzen, aber ich kann ihr eine Freundin sein.“

„Stimmt. Das könnten Sie.“

Etwas an seinem Gesichtsausdruck schärfte ihre Sinne und ließ eine berauschende Wärme in ihr aufsteigen. Das zu leugnen, war sinnlos. Das Funkeln in seinen Augen verriet deutlich, dass er sich ihrer ebenso bewusst war wie sie seiner.

Impulsiv verkündete sie: „Und wir beide sollten auch Freunde werden, da Sie ihr gesetzlicher Vormund sind.“

Er schenkte ihr einen anhaltenden glühenden Blick, unter dem ihr noch wärmer wurde, und wandte ein: „Das mag logisch klingen. Aber ich habe das Gefühl, dass das, was immer zwischen uns vorgeht, so rein gar nichts mit Freundschaft zu tun hat und dafür sehr viel mit Sex.“

4. KAPITEL

Normalerweise war Fiona nicht um Worte verlegen, doch nun starrte sie Wyatt sprachlos an. Seine Bemerkung traf durchaus ins Schwarze. Doch so unverhohlen ausgesprochen klang es richtig gefährlich. Weil es sie von ihrem Vorhaben abzulenken drohte, ihrem Kind ihre ganze Aufmerksamkeit zu widmen. Sexuelle Gelüste oder ähnliche Gefühle zu entwickeln, kam absolut nicht infrage. „Cecily ist …“

„Unsere Priorität“, vollendete er den Satz. „Ganz genau. Auf keinen Fall sollten wir das verkomplizieren.“

„Da kann ich nur zustimmen.“

„Soll das heißen, dass wir ignorieren werden, was auch immer zwischen uns ist?“

„Absolut.“ Ich schaffe das. Für Cecily. Für mich selbst.

Er stand abrupt auf. In Jeans und dunkelblauem Hemd sah er sündhaft gut aus. Seine breiten Schultern, der kräftige Brustkorb und die muskulösen Arme waren zweifellos einer gründlichen Musterung wert. Er wirkte von Kopf bis Fuß sexy.

Und Fionas Sinneslust erwachte und wollte sich nicht unterdrücken lassen. Was sollte sie tun? Nichts. Darauf haben wir uns doch gerade geeinigt.

Außerdem hatte sie eine katastrophale Erfolgsbilanz aufzuweisen, was Männer anging. Sie konnte auf einige wenige Affären zurückblicken. Der letzte Geliebte hatte sie vor gut zwei Jahren verlassen. Natürlich hatte sie nichts anderes erwartet. Sie rechnete immer damit, verlassen zu werden, und wurde daher nie enttäuscht.

Sie war nicht sexy. Sie war nicht schön. Höchstens hübsch. Niedlich und kess. Freundlich und witzig. Genau die Frau, die einen großartigen Kumpel abgibt. Und das wird Wyatt Harper schnell genug herausfinden.

„Da bin ich wieder!“, rief Cecily, während sie mit ihren Reitstiefeln in der Hand angelaufen kam.

Fiona stand auf. „Gehen wir.“ Sie wandte sich an Wyatt. „Sie kommen doch mit, oder?“

Autor

Tina Leonard
Bestseller-Autorin Tina Leonard hat über 40 Romane geschrieben und stand schon auf den „Waldenbooks" und "Bookscan“ Bestsellerlisten. Geboren auf einem Militärstützpunkt, lebte sie in vielen verschiedenen Staaten, bevor sie schließlich ihren Mann kennenlernte und heiratete. Sie hat eine blühende Fantasie und liebt Ihre Arbeit, bei der sie am liebsten über...
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Patricia Thayer
<p>Als zweites von acht Kindern wurde Patricia Thayer in Muncie, Indiana geboren. Sie besuchte die Ball State University und wenig später ging sie in den Westen. Orange County in Kalifornien wurde für viele Jahre ihre Heimat. Sie genoss dort nicht nur das warme Klima, sondern auch die Gesellschaft und Unterstützung...
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