Bianca Extra Band 140

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WENN DICH EIN COWBOY KÜSST von TERESA SOUTHWICK
Wie merkwürdig, findet Erica: Obwohl sie Cowboy Morgan zu verstehen gegeben hat, dass sie schwanger ist, flirtet er weiter und sieht sie an, als habe er nur auf sie gewartet …

WIEDERSEHEN IN CHRISTMAS BAY von KAYLIE NEWELL
Kaum kehrt Kyla nach Christmas Bay zurück, läuft sie Ben Martinez über den Weg. Ihre Gefühle für ihn sind wie früher: heftiger Ärger – und heimliche Sehnsucht!

FLITTERWOCHEN MIT DEM BESTEN FREUND von MONA SHROFF
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  • Erscheinungstag 21.09.2024
  • Bandnummer 140
  • ISBN / Artikelnummer 0802240140
  • Seitenanzahl 432

Leseprobe

Teresa Southwick, Kaylie Newell, Mona Shroff, Jo McNally

BIANCA EXTRA BAND 140

1. KAPITEL

Es geht nichts über das Zuhause. Und das lag für Erica Abernathy in Bronco Heights, Montana.

Sie fuhr in ihrem vollbeladenen SUV auf die Ambling A Ranch zu. Hier war sie aufgewachsen. Es war eine lange Fahrt von Denver hierher gewesen. Doch als sie jetzt ihr Ziel vor Augen hatte, wäre sie lieber tausend Meilen entfernt gewesen.

Sie liebte ihre Familie, aber sie fürchtete die Reaktion bei ihrem Anblick. Sie würden tausend Fragen stellen.

Wie eigentlich jedes Mal, wenn sie nach Hause kam. Meistens etwas wie: „Gefällt dir das Leben in einer Stadt wie Denver?“ Oder „Hast du einen Freund? Etwas Ernstes? Wir können es nicht erwarten, Enkel zu bekommen.“ Erica schaute auf ihren Babybauch, der jeden Tag ein wenig näher ans Lenkrad reichte.

„Du machst sie zu Großeltern, Kleines. Aber sie werden mir dafür nicht dankbar sein.“

Erica hielt vor dem großen Haus aus kanadischer Zeder und Steinen, die vor Ort in Montana abgebaut wurden. Stabile Rundhölzer stützten das Dach über dem Eingang. Die Sonne war eben untergegangen, durch die großen Fenster schimmerte Licht.

Rauch stieg aus dem Schornstein auf. In Montana konnte es verflixt kalt werden, und es gab Anfang Oktober oft heftige Schneestürme. Fröstelnd zog sie ihren Poncho am Hals fester zu.

Ihr Zuhause hatte ihr gefehlt. Sie liebte die Ranch, das Land, die Berge. Und nach zwölf Jahren wollte sie nun hierher zurückkehren.

Erica seufzte. Es brachte nichts, den ersten Schritt hinauszuzögern.

Sie ging zur Eingangstür und klingelte. Das Licht auf der vorderen Veranda ging an, die Tür wurde geöffnet, und Angela Abernathy stand vor ihr. Ihre blauen Augen weiteten sich, dann lächelte sie strahlend. „Erica, Liebes, was für eine Überraschung!“

„Hi, Mama.“

„Das ist ja schön. Komm rein. Ich hoffe, du kannst bleiben. Und diesmal länger als einen Tag.“

„Ganz gewiss.“ Sie versuchte ihrer Stimme einen fröhlichen Klang zu geben.

„Habe ich nicht mitbekommen, dass du Urlaub hast?“

Ein Hinweis darauf, dass sie seit Weihnachten nicht mehr dagewesen war. Und ihrer Mutter war noch nicht einmal die Hauptsache aufgefallen.

„Warum hast du nicht Bescheid gesagt, dass du kommst?“ Sie zog ihre Tochter an sich, dann wich sie erschrocken zurück. „Erica?“

Sie ging in den hell erleuchteten Flur und zog den Poncho über den Kopf. Die Augen ihrer Mutter wurden groß. „Du bist schwanger“, stellte Angela fest. „Warum hast du uns nicht gesagt, dass du ein Baby bekommst?“

Hilflos hob sie die Hände. „Ich wusste nicht, wie ich es euch beibringen sollte.“

Angela blickte auf Ericas linken Ringfinger. „Konntest du uns vielleicht auch nicht sagen, dass du geheiratet hast?“

Erica zuckte zusammen. Der Schmerz in den Augen ihrer Mutter und der Tadel in ihrer Stimme waren wie Stiche in ihr Herz.

„Nein, Mama. Ich bin nicht verheiratet.“

„Ist das Baby von Peter?“

Erica hätte wissen müssen, dass sie das fragen würde. „Nein. Ich habe dir gesagt, dass wir vor einem Jahr Schluss gemacht haben.“

Bedauern war in den Augen ihrer Mutter zu erkennen. „Stimmt, aber ich dachte …“

Die Trennung hatte Erica zu schaffen gemacht. Peter Barron war gutaussehend, klug, humorvoll und erfolgreich, und sie hatte ihn gerngehabt. Sie war sicher gewesen, dass er der Richtige war. Deshalb hatte sie das Thema „Kinder“ zur Sprache gebracht. Seine Antwort war unmissverständlich gewesen. Er wollte keine Kinder. Nie. Und er würde nicht von seiner Einstellung abweichen.

Sie hatte sich gesagt, sie könnte trotzdem ein erfülltes, glückliches Leben mit Peter führen und selbst Karriere machen. Doch beim Anblick einer Schwangeren oder eines Kinderwagens mit einem Baby hatte sie jedes Mal Leere und Sehnsucht empfunden.

„Erica, wer ist der Vater?“

Die Frage holte sie zurück in die Gegenwart. „Ich möchte nicht darüber sprechen.“

Sorge war in den Augen ihrer Mutter zu lesen. „Ist dir etwas passiert?“

„Nein.“ Sie griff nach Angelas Hand und drückte sie fest.

Es war wohl besser, wenn sie ihrer Mutter die Wahrheit sagte. Vielleicht hatte sie sogar Verständnis. Angela Abernathy hatte zwei Babys innerhalb von zwei Jahren bekommen, einen Jungen und ein Mädchen. Dann war sie mit etwa dreißig Jahren noch einmal schwanger geworden. Und sie hatte sich sehr auf das Baby gefreut. Doch sie hatte eine Fehlgeburt gehabt. Der Verlust hatte sie hart getroffen. Einige weitere Versuche hatten ebenfalls mit Fehlgeburten geendet. Sie war fast daran zugrunde gegangen.

Als Ericas dreißigster Geburtstag näher rückte, hatte sie sich daran erinnert, welche Schwierigkeiten ihre Mutter ab diesem Alter mit Schwangerschaften gehabt hatte. Erica fürchtete, diese Veranlagung könnte erblich sein. Es gab keinen Mann, der für sie als Ehekandidat in Frage kam, und sie wollte nicht warten und ihre letzte Chance versäumen. Also hatte sie sich für eine künstliche Befruchtung entschieden. Wider Erwarten hatte es geklappt.

Wenn jemand ihren Kinderwunsch nachempfinden konnte, dann ihre Mutter.

„Mama, ich möchte ja mit dir darüber reden …“

Schwere Schritte näherten sich, Erica hörte die Stimme ihres Vaters.

„Angela, warum dauert das so lange? Wer war an der Tür?“ George Abernathy trat in den Flur und erblickte Erica. In seinen Augen spiegelte sich Freude und dann Erschrecken. Die Farbe wich aus seinem gebräunten Gesicht. „Meine Güte, Erica. Was in aller Welt …“

„Du wirst Großvater, Daddy.“ Sie versuchte ein Lächeln, doch ihre Lippen zitterten.

„Bist du allein hergekommen?“

„Du willst wissen, ob ich verheiratet bin. Nein.“

Er schwieg einige Augenblicke, dann rieb er sich den Nacken. „Wie geht es dir? Du siehst gut aus.“

Sie hielt es nicht für ratsam, ihm die Einzelheiten zu erzählen. Ihr Vater hatte ziemlich altmodische, festgefahrene Ansichten. Ihr Bruder Gabe war mit ihm aneinandergeraten, weil er neue Methoden auf der Ranch einführen wollte. Gegen seine Sturheit war er nicht angekommen. Seitdem beschäftigte Gabe sich mehr mit Immobiliengeschäften als mit der Ranch. Nein, ihrem Vater konnte sie nicht erzählen, dass sie ihre Schwangerschaft einer Samenbank verdankte.

„Mir geht es gut, Daddy.“

Einen Moment senkte er den Blick, dann schaute er sie an. In seinen Augen las sie Verwirrung und Schmerz. „Wir sind deine Eltern und machen uns Sorgen …“

„Ich weiß. Und ich liebe euch beide sehr“, unterbrach sie ihn. „Aber ihr könnt mir glauben, dass es mir gutgeht. Ich werde Mutter und bin sehr glücklich darüber. Ich will so gut wie irgend möglich für mein Kind sorgen, so wie ihr für Gabe und mich. Und wenn ihr den Schreck erst einmal überwunden habt, freut ihr euch hoffentlich genauso auf dieses Baby wie ich.“

Keiner der beiden antwortete auf ihre leidenschaftlichen Worte. Sie starrten sie nur an.

Schließlich fragte ihre Mutter: „Wie lange bleibst du?“

„Wäre es euch recht, wenn ich hier wohne, bis ich einen Job gefunden habe?“

„Natürlich kannst du hier wohnen …“ Dann unterbrach sich ihr Vater. „Heißt das, dass du bei Barron Enterprises gekündigt hast?“

„Ich wurde entlassen.“

„Du bist doch erst kürzlich befördert worden“, wandte ihre Mutter ein.

„Stimmt.“ Sie war CAO geworden. „Aber Mr. Barron hat mir mitgeteilt, dass ich nach Miami versetzt werde. Ich wollte nicht dorthin.“

„Miami?“, fragte ihr Vater. „Eigentlich solltest du doch im Büro in Denver arbeiten.“

Dieses Thema hätte sie gern vermieden. „Peter hat eine unserer Rezeptionistinnen geheiratet. Und sie ist schwanger.“ Obwohl sie ihn nicht mehr liebte, hatte sie das getroffen. „Seine Frau hat was gegen mich, weil alle in der Firma wissen, dass wir beide lange zusammen waren.“

„Du hast gesagt, er sei nicht der Vater“, erinnerte Angela.

„Ist er auch nicht. Aber die Frau hat offensichtlich ein Problem damit, mich täglich zu sehen.“

„Also hat Peters Vater dich gefeuert, weil Peters neue Frau eine dumme Nuss ohne Selbstbewusstsein ist?“, schimpfte ihre Mutter.

Erica nickte. „Offensichtlich.“

„Das ist rechtswidrige Kündigung“, warf ihr Vater ein. „Das darfst du dir nicht bieten lassen.“

„Finde ich auch, Daddy. Ich habe schon einen Termin bei einer Anwältin.“

„Gut“, sagte er.

„Als wir uns getrennt haben, habe ich mir erst mal ein Apartment gemietet. Ich habe zwar Ersparnisse, aber keinen Job, also auch kein Einkommen. Bis ich wieder etwas gefunden habe, muss mein Erspartes reichen.“

Ihr Vater nickte. „Und wenn du gegen Barron Enterprises klagst, könnte es lange dauern bis zu einer endgültigen Einigung.“

„Genau. Deshalb habe ich gehofft, dass ich bei euch wohnen kann, bis ich wieder Boden unter den Füßen habe.“

„Natürlich“, versicherte er ohne Zögern. „Du gehörst hierher. Und wenn du wie ein begossener Pudel zurückkommst.“

Ihr Vater hatte recht. Erica hatte geglaubt, sie sei auf einem guten Weg, doch dann war sie aus der Bahn geworfen worden. Das Kind hatte sie gewollt. Aber alles andere hatte sich ungünstig entwickelt. Und nun brauchte sie die Hilfe ihrer Familie.

„Danke, Daddy.“

Ihr Vater nickte und schloss sie in die Arme. „Ich liebe dich, Kleines. Wir freuen uns, dass du wieder zu Hause bist. Aber wir müssen noch mal über den Vater des Babys reden.“

Das fand Erica nicht, aber sie behielt das für sich.

Ihr Vater half ihr, das Gepäck aus dem Auto zu holen und in ihr altes Zimmer zu tragen. Danach wollte sie ihren Bruder wiedersehen. Sein Haus war nicht weit vom Elternhaus entfernt. Erica ging hinüber.

Eine hübsche junge Frau mit langem blondem Haar öffnete ihr die Tür. „Hi, ich bin Melanie Driscoll.“

„Du bist also Gabes Verlobte. Ich bin Erica.“ Sie waren einander noch nie begegnet. Erica lächelte. „Ich freue mich sehr, dass wir uns endlich kennenlernen.“

„Ich mich auch.“ Die junge Frau blickte auf Ericas Babybauch. „Und dir darf man gratulieren. Deine Mutter hat schon angerufen.“

„Das dachte ich mir.“

Melanie zuckte die Achseln. „Gabe spricht gerade noch mit ihr.“

„Mir klingelt es in den Ohren“, meinte Erica trocken. Sie betrat das warme Haus und legte den Poncho ab.

Melanie musterte sie von oben bis unten. „Du strahlst ja richtig. Dein Babybauch ist so süß, und du bist so hübsch.“

„Ich habe einen Riesenbauch.“

„Wohl kaum. Wann soll das Baby denn kommen?“

„Im November.“

„Du siehst fantastisch aus“, sagte Melanie. „Wie geht es dir?“

„Die ersten drei Monate waren ziemlich hart, morgens war mir immer übel. Aber seitdem geht es mir großartig.“ Sie lächelte Melanie an. „Ich kenne dich erst seit ein paar Minuten, aber ich muss sagen, ich bin froh, dass mein Bruder so klug ist, dich zu heiraten.“

„Ich habe Glück. Ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben, den Richtigen zu finden. Und dann stand er vor mir.“ Sie blickte den Mann, der neben sie trat, bewundernd an.

Gabriel Abernathy war ein großer, breitschultriger Typ. Er sah Melanie liebevoll an. Dann wandte er sich Erica zu und wurde ernst.

„Eben habe ich mit Mom telefoniert.“

„Hallo, Gabe“, sagte sie.

„Komm her.“ Er zog sie in die Arme.

Sie seufzte. „Ich freue mich so, dich zu sehen.“

„Ich mich auch. Aber ich muss dich was fragen. Was zum Teufel hast du vor, Erica?“

„Ich bekomme ein Baby.“ Schützend legte sie die Hände auf den Bauch. „Und ich möchte dieses Kind mehr als alles auf der Welt.“

„Mom hat erzählt, du willst nicht sagen, wer der Vater ist.“ Wie Gabe so dastand – Hände auf den Hüften, ernster Blick –, sah er ihrem Vater sehr ähnlich.

Es war ein langer, aufwühlender Tag für Erica gewesen. Sie war fast am Ende ihrer Kräfte. „Sag nichts! Ich bin nach Colorado gegangen, um das College zu besuchen. Ich bin dortgeblieben, um Karriere zu machen. Immer wurden meine Entscheidungen kritisiert. Und ihr wundert euch, dass ich euch nicht öfter besucht habe.“

„Es ist nur …“ Er fuhr den Händen durch sein kurzes blondes Haar. „Wir vermissen dich. Ich. Mom. Dad. Grandpa Alexander. Gramps.“

Schuldgefühl stieg in ihr auf. Gramps – ihr Urgroßvater Josiah Abernathy – war Mitte neunzig und dement. Niemand wusste, wie lange er noch leben würde. Und sie hatte sich die ganze Zeit auf ihre Karriere konzentriert.

Sie schob das schlechte Gewissen beiseite. „Ich habe das Recht, selbst über mein Leben zu bestimmen. Mom und Dad wären nur zufrieden gewesen, wenn ich einen Rancher von hier geheiratet hätte. Ich wollte mehr. Reisen. Meinen Horizont erweitern.“

„Und das hast du getan.“ Wieder schaute er auf ihren Babybauch. „Aber du hast viel Zeit mit Gramps versäumt. Inzwischen spricht er kaum noch.“

„Ich besuche ihn bald.“ Ein Kloß im Hals hinderte sie weiterzusprechen. Sie liebte ihren Urgroßvater wirklich.

Es war Zeit, das Thema zu wechseln. „Erzähl mir, wie du und Melanie euch kennengelernt habt“, bat Erica.

„Mel ist von Rust Creek Fall nach Bronco gezogen, weil sie Arbeit gesucht hat. Dabei ist sie auf die Geschichte der Familie Abernathy gestoßen. Gramps’ Geschichte.“

Schon sind wir wieder beim Thema, dachte Erica.

„Wie kam es dazu, Melanie?“

„Mel“, verbesserte Gabes Verlobte. „Ich habe eine gute Freundin in Rust Creek. Winona Cobbs. Irgendwie erfuhr ich, dass sie und Josiah Abernathy verliebt gewesen waren, als beide noch sehr jung waren. Sie wurde schwanger. Als das kleine Mädchen zur Welt kam, erlitt sie einen Zusammenbruch, weil sie dachte, es sei tot geboren. Aber das Baby war am Leben.“

Gabe erzählte an ihrer Stelle weiter. „Es stellte sich heraus, dass Gramps’ Eltern ihn gezwungen hatten, die Stadt zu verlassen und das Baby zur Adoption freizugeben.“

„O mein Gott!“ Erica konnte es kaum glauben. „Wie habt ihr das herausgefunden?“

„Gramps hatte einen Brief an Winona geschrieben, ihn jedoch nicht abgeschickt. Wir haben ihn erst in seinem Tagebuch entdeckt, als er ins Pflegeheim umgezogen ist. Irgendwie hatte er herausgefunden, wer ihre Tochter Beatrix adoptiert hatte, und wollte sie Winona zurückzubringen.“

Erica hielt den Atem an. Sie wartete auf den glücklichen Ausgang der Geschichte. Schließlich fragte sie: „Und?“

„Wegen seiner Demenz kann er uns nichts darüber sagen. Einer meiner Freunde hat eine Suchaktion im Internet gestartet. Eine Person hat sich gemeldet.“ Melanie schaute Gabe an, ihre Gesichter wirkten enttäuscht. „Es war nur jemand, der Geld wollte.“

„Und jetzt?“

„Gute Frage“, meinte Mel. „Winona ist kürzlich ins Krankenhaus gekommen. Sie ist dreiundneunzig und gebrechlich. Wenn wir ihre Tochter nicht bald finden, erlebt sie es nicht mehr.“

„Das wäre ja schrecklich. Was sollen wir tun?“, fragte Erica.

„Wir?“, fragte Gabe.

„Ich möchte euch helfen. Er ist mein Urgroßvater.“ Erica war schockiert, dass Josiah eine außereheliche Tochter hatte, von der die Familie nichts wusste. „Ich liebe ihn“, ergänzte sie.

„Ich weiß.“ Doch er wirkte skeptisch.

„Ich möchte alles tun, was nur möglich ist. Ich habe bestimmt Zeit …“

Gabe sah sie mitleidig an. „Mom hat mir gesagt, was du mit Peter und seinem Vater erlebt hast.“

Sie seufzte. „Es waren schwierige Wochen.“

Mel legte den Arm um sie. „Du brauchst Zeit, um dich zu fangen. Alles wird gut.“

„Hör auf sie, kleine Schwester. Sie ist eine kluge Frau.“ Er lächelte seine Verlobte zärtlich an. „Heute führe ich sie zum Abendessen aus.“

„Warum kommst du nicht mit, Erica?“, fragte Mel.

„Ich möchte nicht stören.“

„Tust du nicht. Stimmt’s, Gabe?“ Mel richtete ihre großen blauen Augen auf ihn.

Er nickte. „Absolut. Du musst mitkommen. Hier ist ein neues Lokal eröffnet worden. DJ’s Deluxe.“

„Ich kümmere mich dort um die Finanzen“, sagte Mel. „Komm mit. Etwas Abwechslung wird dir guttun.“

„Das könnte ich schon gebrauchen.“

„Dann ist es abgemacht“, erklärte Mel.

Gabe hielt seiner Verlobten die Jacke hin, und Mel schlüpfte hinein. Er legte den Arm um sie und drückte sie rasch an sich, dann nahm er ihre Hand.

Den hat es aber erwischt, dachte Erica. Beim Anblick von Mel und Gabe, die so liebevoll miteinander umgingen, wurde sie fast ein wenig neidisch. Andererseits würde ihr Baby die beste Tante und den besten Onkel der Welt bekommen.

2. KAPITEL

Morgan Dalton betrat DJ’s Deluxe. Es war ziemlich voll an diesem Abend, aber er fand einen freien Platz an der Bar. DJ Traub schenkte dort selbst aus und servierte Essen. Er war ein freundlicher Typ um die vierzig. Eben stellte er einen Teller mit Potato Skins vor die blonde Frau, die neben Morgan saß.

„Das sieht fantastisch aus“, sagte sie.

„Es ist das Mindeste, was ich für die neueste Einwohnerin von Bronco Heights und die künftige Schwägerin meiner Finanzchefin tun kann.“

Morgan hörte mit, das war unvermeidlich. Die Frau saß so nahe bei ihm, dass er ihr verführerisches Parfum wahrnahm. Ihre Stimme gefiel ihm. Irgendwie heiser und sinnlich.

DJ bemerkte ihn und grüßte. Seit der Eröffnung war Morgan bei ihm Stammgast, sie waren befreundet.

Morgan wandte sich der Frau neben ihm zu, ein Zeichen, dass er vorgestellt werden wollte. DJ nickte.

„Hey, Erica“, sagte er. „Ich möchte dich mit meinem Freund Morgan Dalton bekanntmachen.“

Sie hatte gerade einen Bissen genommen und schaute ihn nun an. Dieses Gesicht … Mit seinen vierunddreißig Jahren hatte er schon eine Menge schöne Frauen gesehen. Er hatte öfter Dates. Nichts Ernstes. Doch noch nie hatte er beim ersten Anblick einer Frau eine solche Reaktion verspürt.

„Hallo, Morgan“, sagte sie. „Ich bin Erica.“

„Freut mich.“ Er merkte kaum, dass DJ ihm ein Glas hinstellte. Am liebsten hätte er gefragt: Warum begegnen wir uns erst jetzt? Er nahm sich zusammen. „Also Sie sind neu in der Stadt?“

„Nicht direkt. Aber ich habe zwölf Jahre lang woanders gewohnt. Und Sie?“

„Ich wohne seit einem Jahr hier.“ Es kam ihm länger vor. „Mein Vater hat Dalton’s Grange gekauft. Meine vier Brüder und ich arbeiten dort mit ihm zusammen.“

„Sie haben vier Brüder?“

Ihr Lächeln war so spektakulär wie ein Sonnenaufgang in Montana. Es traf sein Herz wie ein Stromstoß. „Ja.“

„Wie gefällt es Ihnen hier?“ Sie nahm noch einen Bissen.

„Die Landschaft ist überwältigend schön. Nur die Leute sind etwas abweisend.“ Er trank einen Schluck Bier. „Einige Familien leben seit Generationen hier, wie die Taylors und die Abernathys. Wenn man keiner von ihnen ist, wird man schräg angesehen.“

„Wirklich? Danke für die Warnung.“ Sie nickte, aber er sah ein Zwinkern in ihren schönen braunen Augen.

„Von wo sind Sie hierhergezogen?“, fragte er.

„Colorado. Denver. Meine Eltern wollten, dass ich zurückkomme. Und weil ich meine Stelle verloren habe. Ich wurde entlassen.“

Morgan ahnte, dass es keine normale Beendigung eines Arbeitsverhältnisses gewesen war. „Wer Sie entlassen hat, muss ein Idiot sein.“

„Nett, dass Sie das sagen, obwohl wir uns eben erst kennengelernt haben.“

„Trotzdem meine ich das ernst. Weil … Warum begegnen wir uns erst jetzt?“ Er konnte kaum glauben, dass er das wirklich gesagt hatte. „Warten Sie. Vergessen Sie das …“

„Nein.“ Erica lachte. „Es ist zweifellos das Netteste, was je ein Mann zu mir gesagt hat“, fügte sie hinzu und lächelte ihr atemberaubendes Lächeln.

Ihre Blicke trafen sich. Sie saß ihm schräg gegenüber an der Theke.

„Sagen Sie mal, Morgan, warum sind Sie heute nicht mit einer schönen Frau im Arm hier?“

„Ich habe Sie zwar nicht im Arm, aber Sie sind definitiv schön“, antwortete er.

Ihr Lächeln wirkte plötzlich scheu und ein wenig traurig. „Aber wir sind nicht zusammen. Ein gutaussehender Cowboy wie Sie allein hier, da stimmt doch was nicht.“

„Das habe ich doch schon gesagt. Ich habe auf Sie gewartet.“ Es war nur halb scherzhaft gemeint.

„Flirten Sie mit mir?“

Sie sah so süß aus. Und schien selbst mit ihm zu flirten.

„Vielleicht ein bisschen“, gab er zu. „Darf ich Sie um Ihre Telefonnummer bitten? Eine Frau wie Sie trifft man nicht jeden Tag.“

„Sie wissen gar nicht, wie recht Sie haben“, sagte sie trocken. „Und mir wird klar, dass Sie nicht gemerkt haben, dass ich …“ Sie drehte ihren Barhocker zu ihm hin. Es gefiel ihm, dass ihre Beine einander nun berührten. Bei der Erkenntnis, dass sie schwanger war, fiel ihm fast die Kinnlade herunter.

Morgan schaute auf ihren Babybauch, dann in ihre Augen und platzte heraus: „Sie sind schwanger.“

„Wirklich?“ Sie legte die Hände auf den Bauch. „Vielleicht habe ich deshalb eben für zwei gegessen.“

„So habe ich das nicht gemeint. Es ist nur … Ich wollte Sie nicht verletzen.“ Automatisch schaute er auf ihren Ringfinger.

„Ich bin weder verheiratet noch verletzt.“ Das klang amüsiert. „Und es schmeichelt allen schwangeren Frauen, wenn ein Mann mit ihnen flirtet.“ Sie blickte ihn forschend an. „Aber vielleicht sollte ich mich bei Ihnen entschuldigen.“

„Warum?“

„Sie sind blass.“

„Und Sie genießen es, stimmt’s?“

„Ja.“ Sie schob den Teller zur Seite. „Aber ich hätte eher etwas sagen sollen. Es war ein langer Tag, und es war schwer, nach Hause zu kommen.“

„Ach?“

„Mein Urgroßvater ist dement. Und meine Familie ist verärgert, weil ich länger nicht hier war, um ihn zu besuchen.“

„Tut mir leid.“

„Danke. Und heute habe ich herausgefunden, dass dieser Urgroßvater, Josiah Abernathy, ein uneheliches Kind hatte. Niemand in der Familie wusste es.“

Diesmal merkte er, dass die Farbe aus seinem Gesicht wich. „Sie sind eine Abernathy?“

„Ja.“ Sie legte ihm tröstend die Hand auf den Arm. „Ich nehme es Ihnen nicht übel. Die Leute hier in der Stadt tun sich schwer mit Veränderungen. Meine Eltern sind da keine Ausnahme. Sie legen Wert auf Tradition und vererben ihr Land an ihre Kinder.“

„Wie ich vorhin gesagt habe. Wir sind die Neuen.“

„Ja. Es macht Sie zu Außenseitern.“ Sie schaute auf ihren Bauch und seufzte. „Mom und Dad sind nicht erfreut, dass ihre Tochter schwanger und nicht verheiratet ist. Ich habe lange anderswo gelebt und fühle mich auch wie eine Außenseiterin.“

„Was ist mit dem Vater des Babys?“

„Sagen Sie nichts.“ Ihre Augen blitzten. „Es ist schlimm genug, dass meine Eltern und mein Bruder mich deshalb verurteilen. Aber Sie kenne ich kaum.“

„Ich habe Sie nicht verurteilt“, versicherte er. „Und wir haben uns zwar gerade erst kennengelernt, aber wir haben schon eine Menge geredet bei Potato Skins und Bier.“

„Also ich trinke Wasser mit Limettensaft.“

„Das ändert nichts daran, dass wir uns als Außenseiter verbündet haben.“

Sie nickte. „Okay. Sie haben gewonnen.“

Es war schön, sich einfach nett mit jemandem zu unterhalten. Morgan wollte sie noch einmal um ihre Telefonnummer bitten, da veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. Er schaute über die Schulter und sah, dass Gabe Abernathy und Melanie Driscoll zu ihnen herüberkamen. Morgan war ihnen schon bei Veranstaltungen in der Stadt begegnet. Der Mann war höflich, aber nicht übermäßig freundlich gewesen.

Neben Erica blieb er stehen. „Alles in Ordnung?“, fragte er misstrauisch.

„Natürlich. Was sollte denn sein?“

„Mel und ich haben Freunde getroffen und uns noch unterhalten.“ Aufmerksam sah er Morgan an. „Tut mir leid, dass wir dich allein gelassen haben.“

„Schon gut. Morgan hat mir Gesellschaft geleistet.“ Sie schaute von einem zum anderen. „Kennt ihr euch?“

„Ja“, sagte Gabe abweisend.

Erica kniff die Augen zusammen, sie sah die Verlobte ihres Bruders an. „Mel, du bist doch noch nicht lange hier in der Stadt?“

„Ja, und es gefällt mir gut“, sagte sie munter. „Die Leute sind so freundlich.“

„Das hängt wohl damit zusammen, dass Sie mit einem Abernathy verlobt sind.“ Morgan ließ Gabe dabei nicht aus den Augen.

„Es trägt sicher dazu bei“, sagte Gabe. Dann schaute er seine Schwester an. „Wir gehen jetzt. Kommst du mit?“

„Ja. Ich bin müde. Es war ein langer Tag.“ Sie zögerte. „Ich muss nur erst von dem Hocker runterkommen.“

Sofort stand Morgan auf, um ihr zu helfen. Die Berührung war wie ein Kurzschluss in seinem Kopf. Er konnte den Blick nur mit Mühe von ihrem Mund losreißen. „Schon geschafft.“

„Danke.“ Sie blickte ihn an. „Es war schön, Sie kennenzulernen, Morgan.“

„Das Vergnügen war ganz auf meiner Seite.“ Er meinte es wirklich so.

„Gute Nacht“, sagte Mel. „Wir sehen uns sicher bald wieder, Morgan.“

„Sicher.“

Er schaute ihnen nach, als sie hinausgingen. Erica trug Leggings und Cowboystiefel. Ihr Sweatshirt reichte bis über die Hüften. Sie bot einen erfreulichen Anblick, und ihr hübsches Gesicht und Lächeln konnten einem Mann das Herz stehlen.

Er fühlte sich wohl in ihrer Gesellschaft. Vielleicht lag es daran, dass sie offensichtlich nicht auf der Suche nach einer Beziehung war. Er hatte sich in Erica Abernathy verliebt, bevor er von ihrer Schwangerschaft gewusst hatte. Das machte die Dinge kompliziert.

Am nächsten Morgen hatte Erica beste Laune. Ein Mann hatte mit ihr geflirtet! Zugegeben, anfangs hatte er nicht gewusst, dass sie schwanger war. Doch es gefiel ihr, dass er auch nach dieser Eröffnung das Interesse an ihr nicht verloren hatte.

Die nächste Überraschung war, wie gut es sich anfühlte, in ihrem alten Zimmer aufzuwachen. Ihre Mutter hatte alles so belassen, wie es bei Ericas Auszug gewesen war. Sie schlief in ihrem großen alten Himmelbett. Gegenüber standen eine Kommode und ein Tisch aus Kirschbaumholz. Spitzenvorhänge zierten das Fenster, das einen atemberaubenden Blick auf die Berge bot. Ein Badezimmer schloss sich an den Raum an. Alles wirkte sehr harmonisch.

Sie dachte an den gestrigen Abend. Was für ein Mann – diese Schultern, diese Stimme, das Gesicht. In seinen blauen Augen blitzte Humor, seine Haut war gebräunt, ein Zeichen, dass er im Freien arbeitete. Und er hatte mit ihr geflirtet und um ihre Telefonnummer gebeten. Wäre sie nicht schwanger und kugelrund, hätte sie seine Annäherungsversuche erwidert.

Nach der Trennung von Peter war ihr Selbstbewusstsein ziemlich am Boden gewesen. Seit gestern Abend fühlte sie sich besser.

Sie duschte, zog sich an und ging nach unten.

Aus der Küche hörte sie Stimmen. Das war ungewöhnlich um diese Zeit. Sie hatte erwartet, nur ihre Mutter anzutreffen. Ihr Vater war sonst draußen auf der Ranch bei der Arbeit. Heute nicht. Sogar Gabe war da. Und Grandpa Alexander. Sie umarmte ihn und küsste ihn auf die Wange.

„Schön, dich zu sehen, Erica“, sagte der Mann mit dem silberfarbenen Haar. Doch er sah sie fragend an.

„Wie kommt es, dass ihr heute noch nicht draußen seid?“ Sie war ziemlich sicher, dass sie über sie gesprochen hatten, denn bei ihrem Eintritt war es auf einmal still geworden.

„Guten Morgen, Liebes.“ Ihre Mutter legte den Bratenwender, den sie in der Hand hielt, auf der Spüle ab. „Hast du gut geschlafen?“

„So gut es geht, wenn man so unförmig ist.“ Sie schaute einen nach dem anderen an. „Lasst euch nicht stören. Sprecht ruhig weiter über mich.“

Gabe schnaubte. „Wieso denkst du, wir hätten über dich gesprochen?“

„Also bitte.“ Sie legte die Hand auf die Hüfte. „Seit wann habt ihr um diese Zeit nicht draußen zu tun? Das hier sieht doch sehr nach einem Familientreffen aus. Und meine Anwesenheit ist das Einzige, was sich hier verändert hat.“

„Ich richte dir das Frühstück“, schlug ihre Mutter vor. „Du musst bei Kräften bleiben.“

„Danke, Mama. Es duftet wunderbar. Aber erst wüsste ich gern, was los ist.“ Sie musterte ihren Bruder, der sich dabei sichtlich unbehaglich fühlte.

„Du weißt, dass ich immer nur das Beste für dich will“, begann er.

„So geht es immer los, wenn etwas Unangenehmes folgt. Hat das irgendwas mit gestern Abend bei DJ zu tun?“

Er presste die Lippen zusammen und mied ihren Blick. „Sprichst du immer Fremde an der Bar an, Schwesterherz?“

„Offensichtlich redest du über Morgan Dalton.“ Schon sein Name weckte das attraktive Bild des Mannes in ihr. Sie spürte Schmetterlinge im Bauch. „Er scheint nett zu sein. Ich finde ihn sehr sympathisch.“

„Das Aussehen kann täuschen“, sagte ihre Mutter.

„Habt ihr etwas gegen ihn?“ Erica sah sie fragend an.

„Die Daltons sind neu in Bronco Heights“, sagte Grandpa Alexander.

„Wir wissen kaum etwas über sie.“ Ihr Vater stellte sich breitbeinig hin und verschränkte die Arme.

Ihre Mutter wirkte besorgt. „Es gibt Gerüchte. Du weißt, wie das hier in der Stadt so ist. Mels Freundin Amanda ist mit seinem Bruder verlobt. Ich habe gehört, sein Vater hätte seine Mutter betrogen. Niemand weiß, woher sie das Geld für den Kauf der Ranch haben.“

„Wenn es etwas Unrechtes wäre, dann wären sie im Gefängnis.“ Erica empfand den starken Drang, Morgan zu verteidigen. Sie sah ihren Bruder an. „Hält Mel es für einen Fehler, dass ihre Freundin Morgans Bruder heiratet?“

Gabe wechselte das Standbein. „Sie sagte, er sei ein guter Mann und ein toller Vater.“

„Also das ist alles, was ihr wisst?“ Erica sah sie nacheinander an. „Ihr könnt sie doch nicht einfach vorverurteilen.“

„Liebes, du bist schwanger“, sagte ihre Mutter.

„Das ist nicht gerade eine Neuigkeit, Mama.“

„Er hat es auf etwas abgesehen“, erklärte ihr Vater.

„Wohl nicht auf Geld.“ Sie war arbeitslos, und ihre Ersparnisse würden nicht mehr lange reichen. „Ich habe keins.“

„Aber deine Familie.“ Ihr Vater hatte sich seine Meinung schon gebildet.

„Seine Ranch läuft doch gut, oder?“, fragte sie.

„Das weiß niemand so genau“, sagte Gabe. „Es wäre besser, wenn du dich von ihm fernhältst.“

Erica schaute von ihrem Bruder zum Vater und zum Großvater. „Es ist ja schön, dass ihr euch Sorgen um mich macht, aber ihr übertreibt. In den letzten zwölf Jahren habe ich recht gut auf mich aufgepasst.“

„Außer dass du ein Baby bekommst und keinen Mann dazu hast“, entgegnete ihre Mutter.

Das traf Erica wie ein Pfeil. „Danke für eure gutgemeinten Ratschläge. Ich habe keinen Appetit mehr, Mama. Und ich muss mich beeilen. Ich habe einen Termin bei einer Anwältin.“

„Könntest du mir einen Gefallen tun, wenn du in die Stadt fährst?“, fragte ihr Vater. „Ich habe etwas in einem Baumarkt bestellt. Du könntest einen Verkäufer bitten, es in deinen SUV zu laden. Das erspart mir die Fahrt.“

Ihr Pflichtgefühl siegte über ihren Ärger. „Kein Problem, Daddy.“ Erica ging hinaus, ehe noch jemand etwas sagen konnte.

Nachdem sie unterwegs ein Sandwich gegessen hatte, war sie pünktlich um zehn in der Anwaltskanzlei Randall & Randall. Erica nannte ihren Namen und wurde freundlich gebeten, im Wartezimmer Platz zu nehmen.

„Darf ich Ihnen etwas anbieten?“, fragte die Rezeptionistin. „Wasser? Kaffee?“

„Nein, danke.“

Einige Minuten später öffnete eine rothaarige junge Frau die Tür zum Büro. „Sie müssen Erica Abernathy sein. Ich bin Charlotte Randall. Freut mich, Sie kennenzulernen.“

„Gleichfalls.“ Erica stand auf und gab ihr die Hand.

„Kommen Sie doch in mein Büro und erzählen Sie mir, worum es geht.“

Sie führte sie in einen großen Raum mit einem Schreibtisch voller Akten, dazwischen stand ein Laptop. An den Wänden hingen Diplome. Raumhohe Fenster gaben den Blick auf die imposanten Berge frei.

Charlotte nahm hinter dem Schreibtisch Platz. „Wie kann ich Ihnen helfen?“

„Ich weiß nicht genau, ob Sie das können.“ Erica holte tief Luft. „Bis vor Kurzem habe ich für Barron Enterprises in Denver gearbeitet.“

„Ein mächtiger Medienkonzern.“

„Ja.“ Erica erwartete fast, dass sie zu hören bekäme, sie habe keine Aussicht auf Erfolg. „Ich wurde entlassen.“

Die junge Frau nickte. „In Colorado gibt es keine Kündigungsfrist. Jeder Arbeitgeber und Arbeitnehmer kann jederzeit kündigen oder gekündigt werden.“

„Also kann ich keine Abfindung verlangen?“

„Das kommt darauf an. Hat die Firma Ihnen einen Grund für die Kündigung genannt?“

„Nein.“ Sie überlegte einen Augenblick. „Ich würde zum Präsidenten der Firma gerufen. Er sagte mir, ich würde nach Miami versetzt.“

Erica erklärte nun die ganzen Umstände. Ihre Beziehung zum Sohn des Chefs. Ihre Trennung. Seine Beziehung zu einer anderen Angestellten der Firma.

„Nach Peter Barrons überstürzter Heirat verhielt sich seine Frau mir gegenüber zunehmend feindlich, als meine Schwangerschaft nicht mehr zu übersehen war.“

„Gut, dass Sie nicht selbst gekündigt haben. Sonst hätten Sie keine Klage erheben können.“

„Die Versetzung kam aus heiterem Himmel, und ich bin im letzten Drittel meiner Schwangerschaft. Für mich war immer klar, dass ich weiter in Denver arbeite. Also habe ich abgelehnt. Daraufhin bin ich gefeuert worden.“

„Verstehe.“ Charlotte runzelte die Stirn. „Also gab es von Ihrer Seite kein Fehlverhalten? Keine Beanstandungen, was Ihre Arbeit betraf?“

„Nein. Ich war acht Jahre lang bei der Firma, und es war nie etwas vorgefallen. Ehe das Mobbing anfing, war ich sogar zur CAO befördert worden.“

Charlotte nickte. „Und nun wollen Sie Barron wegen der ungerechtfertigten Kündigung verklagen.“

„Ich finde, dass mir zu Unrecht gekündigt wurde. Und dass ich zumindest eine Abfindung bekommen müsste. Aber meine Mittel sind begrenzt, besonders wegen der Schwangerschaft.“

Die Anwältin lächelte. „Gerade deshalb sollten Sie Klage einreichen. Auch in Colorado gibt es Ausnahmen von der Regel. Als Schwangere haben Sie Kündigungsschutz, deshalb haben Sie gute Aussichten, einen Prozess zu gewinnen. Es wäre schlechte PR, wenn eine mächtige Medienfirma eine Schwangere rauswirft.“

„Bedeutet das, dass Sie den Fall übernehmen?“

„Ja.“ Charlotte erklärte, sie würde den Fall auf Provisionsbasis übernehmen. „Es gibt Gesetze gegen das Vorgehen der Firma Ihnen gegenüber, Erica. Ich werde so rasch wie möglich eine Klage verfassen.“

„Danke, Charlotte. Sie glauben gar nicht, wie erleichtert ich bin.“

Erica verließ die Kanzlei mit einem guten Gefühl. So, wie sie gestern Abend das Lokal verlassen hatte. Beim Gedanken an Morgan musste sie lächeln, empfand aber auch etwas Sehnsucht. Als sie hinter dem Lenkrad saß, schaute sie auf ihren Babybauch. Sie gab es nur im Doppelpack, und das würde kein Mann wollen.

Als sie sich dazu entschieden hatte, allein ein Kind aufzuziehen, war ihr das bewusst gewesen. Aber da hatte sie Morgan noch nicht gekannt.

Die Fahrt zum Baumarkt dauerte nicht lange. Sie stieg aus und ging in das Gebäude, das die meisten Männer in freudige Erregung versetzte. Bei ihr wurde das Gefühl durch den Anblick von Morgan Dalton ausgelöst, der dort an der Tür stand.

3. KAPITEL

Morgan hatte seit gestern Abend dauernd an Erica gedacht, aber er hatte nicht erwartet, dass er sie wiedersehen würde. Am wenigsten im Baumarkt. Als sie ihn nun so umwerfend anlächelte, war das für ihn, als ginge die Sonne auf.

„Sieh an, die schönste schwangere Frau in unserer Stadt!“ In ihrem eleganten grauen Kleid und den schwarzen Stiefeln wirkte sie sogar noch attraktiver als gestern Abend. Wieder wurde sein Blick von ihren vollen, sexy Lippen wie magisch angezogen.

„Das sagen Sie sicher zu allen Schwangeren.“

„Nein. Sie sind die einzige, die ich kenne.“ Er führte sie etwas zur Seite, damit niemand sie anrempelte. Nur ungern ließ er ihren Arm wieder los. „Welchem glücklichen Umstand verdanke ich es, dass ich Sie so bald wiedersehe?“

„Bedanken Sie sich bei meinem Vater. Ich hole hier etwas für ihn ab.“ Er las Genugtuung in ihrem Blick. „Was führt Sie hierher?“

„Zaunmaterial. Ich muss die Zäune überprüfen und reparieren.“ Ziemlich sicher würde sein Vater ihn dabei begleiten. Das war keine reine Freude.

„Sie wirken auf einmal ernst.“ Neugierig sah sie ihn an. „Hat es etwas mit Ihrer Familie zu tun?“

„Wie kommen Sie darauf?“

„Wenn ein Mann so guckt wie Sie, hat er in neunzig Prozent der Fälle Ärger mit seiner Frau oder seiner Familie. Gestern Abend haben Sie so intensiv mit mir geflirtet, deshalb denke ich, es geht nicht um eine Frau. Also die Familie. Es sind Gerüchte im Umlauf.“

Er war überrascht, dass die Menschen hier sich für seine Familie interessierten. „Ich weiß nicht, ob ich mich darüber ärgern oder freuen soll.“

„Vielleicht beides. Zum Beispiel wird über Ihren Bruder geredet.“

„Ich habe vier Brüder“, sagte er. „Aber wahrscheinlich geht es um Holt.“

Nachdenklich schob sie eine blonde Strähne hinters Ohr. „Gabe sagte, er sei ein guter Vater.“

„Ja, richtig.“

„Sie sind also Onkel. Nichte oder Neffe?“ Ihre Augen glitzerten neugierig, sie schimmerten nun ein wenig grünlich.

„Ein Neffe. Robby. Er ist sieben. Wenn er heute Nachmittag aus der Schule kommt, gehe ich mit ihm zu Happy Hearts.“

„Happy Hearts?“ Sie wirkte verwirrt.

Morgan lächelte. „Es ist ein Tierheim, es wird von Daphne Taylor geleitet. Robby hat sich dort einen Hund und eine Katze ausgesucht.“

„Ich kenne Daphne. Sie war in der High School eine Klasse über mir.“ Nachdenklich blickte sie vor sich hin. „Nach dem Abschluss habe ich mich kurze Zeit mit Ihrem Bruder getroffen. Er war älter, und ich fühlte mich geschmeichelt, weil er sich für mich interessierte. Aber nur anfangs.“

„So?“

„Ja. Ich habe ewig nicht mehr an ihn gedacht.“ Sie sah ihn an. „Meine Eltern hätten es gern gesehen, wenn ich Jordan geheiratet hätte. Unter anderem, weil ich dann nicht auf ein College in einem anderen Staat gegangen wäre.“

„Aber Sie haben es nicht getan.“

„Nein. Zwischen uns hat es nicht gefunkt.“

Bei ihm jedenfalls sprühten die Funken, es machte ihn froh, dass sie für Jordan Taylor nichts empfunden hatte. „Sind Sie mit Daphne befreundet?“

„Früher war ich das.“

„Dann sollten Sie mitkommen ins Tierheim. Sie könnten Robby kennenlernen und Ihre Freundin treffen.“ Ich könnte dich treffen.

„Vielleicht.“ Sie nickte nachdenklich. „Jetzt kümmere ich besser mal um die Bestellung meines Vaters.“

„Ja. Und ich muss das Material besorgen.“

Ihr Vater hatte kurzes Schnittholz bestellt und einige Tüten mit Eisenwaren, die schon auf einen Wagen geladen waren. Einer der Angestellten wollte den Wagen hinausschieben an ihr Auto, doch Morgan bot seine Hilfe an.

Er ging mit ihr zum Auto und legte den Rücksitz um, dann stapelte er die Bretter eines nach dem anderen hinein. So konnte er wenigstens noch etwas Zeit mit ihr verbringen.

Erica war auf dem Rückweg zur Ambling A Ranch. Ihre Gefühle waren den ganzen Tag Achterbahn gefahren. Morgens hatte ihre Familie ihr geraten, sich von Morgan Dalton fernzuhalten. Dann hatte sie erfahren, dass sie mit ihrer Klage Aussicht auf Erfolg hatte. Und während sie für ihren Vater etwas erledigte, hatte sie Morgan getroffen.

Dabei hatte sie wieder Schmetterlinge im Bauch gehabt. Genau wie bei ihrem ersten Treffen bei DJ, nur noch stärker. Auch, weil er sie so sehnsüchtig angeschaut hatte. Und sie war neugierig darauf, wie er mit seinem kleinen Neffen umging. Sie hielt ihn für einen anständigen Menschen. Er schien sehr nett zu sein. Und ein richtig heißer Typ.

Sie bog ab zu den Wirtschaftsgebäuden und parkte neben dem Stall. Der vertraute Geruch der Tiere und des Heus empfing sie im Stall. Sie fand ihren Vater in der Sattelkammer, wo er vor der Werkbank saß.

„Daddy, ich habe die Sachen gebracht, die du im Baumarkt bestellt hast.“

„Danke. Ich lade sie gleich aus.“ Er glitt von seinem Hocker und kam auf sie zu. Stirnrunzelnd fragte er: „Wer hat sie für dich aufgeladen? Jerry?“

Sie zögerte einen Moment. „Jerry hat es angeboten, aber Morgan war zufällig auch im Baumarkt und hat es erledigt.“

„Hmm.“ Das war sein einziger Kommentar.

Doch Erica bemerkte seine Anspannung. Sie folgte ihm nach draußen, wo er die Heckklappe öffnete und das Holz auszuladen begann.

„Was machst du damit?“, fragte sie.

„Ich baue ein Möbelstück“, erwiderte er vage.

„Etwas für Mama?“

„Kann man so sagen.“

Sie folgte ihm, als er das Holz hineintrug. „Ich erinnere mich noch gut, dass ich als Kind oft mit Grandpa Alex und Gramps hier war.“

„Ja?“ Er stellte die Bretter an der Wand auf und zog seinen Stetson etwas tiefer in die Stirn. „Trotzdem bist du einfach fortgegangen.“

Beinahe hätte sie noch einmal ihre Gründe erklärt. Den Wunsch nach Unabhängigkeit und die Flucht vor dem Druck, sich in Bronco niederzulassen, ohne das Leben anderswo kennengelernt zu haben. Doch das alles hatte sie schon so oft gesagt. Aber es hatte die Haltung ihres Vaters dazu nicht geändert.

„Weißt du noch, wie die Katze hier im Schuppen ein Nest voller Katzenbabys hatte?“

„Ja“, sagte er kurz und ging wieder hinaus.

Erica folgte ihm wie früher als kleines Mädchen. „Sie waren so süß.“

„Wir haben eine Weile gebraucht, bis wir sie los waren.“

„Du meinst, bis sie anderswo ein gutes Zuhause gefunden haben.“

„Wie auch immer.“

„Morgan hat mir von Happy Hearts erzählt, dem Tierheim. Sein Neffe hat sich dort eine Katze und einen Hund ausgesucht. Wenn es das Tierheim früher gegeben hätte, dann hätten wir nicht so lange gebraucht, um sie zu vermitteln.“

„Hmm.“ Er stellte die Bretter zu den anderen und ging wieder hinaus.

Auf dem Weg nach draußen erblickte sie die Box, in der ihr erstes Pferd gestanden hatte. „Erinnerst du dich an Belle?“

„Natürlich. Auf ihr hast du reiten gelernt.“

„Ja. Sie war ein liebes Pferd.“

„Gramps wusste das. Er hat sie für dich ausgesucht.“

Wieder empfand Erica Schuldbewusstsein, weil sie den alten Mann nicht besucht hatte, solange er sich noch an alles erinnerte.

„Gabe hat mir von Beatrix erzählt, dem Baby, das Gramps zur Adoption freigab.“

„Ja.“ Ihr Vater stellte das letzte Brett an die Wand.

„Sie wäre deine …“ Erica überlegte kurz. „Deine Tante.“ Sie setzte sich auf den Hocker, während er die Tüten mit den Beschlägen holte. Als er zurückkam, sagte sie: „Es ist seltsam, dass Gramps ein Baby hatte und niemandem davon erzählt hat.“

Ironisch sah er sie an. „Du hast uns bis gestern auch nicht erzählt, dass du ein Baby bekommst.“

„Ich hätte es euch gesagt. Irgendwann“, murmelte sie. Ihr Small Talk zur Aufhellung der Atmosphäre lief nicht wie geplant.

„Ich verstehe die Welt nicht mehr“, sagte er. „Die Zeiten ändern sich. Ich komme da nicht mehr mit.“

„Sag schon, Daddy, was beunruhigt dich?“

Seine nächsten Worte überraschten sie. „Weißt du, was mich aufregt?“ Er stellte die Tüte ab. „Das verdammte Tierheim von Daphne Taylor.“

Ihre Augen weiteten sich. „Was? Warum denn?“

„Dies hier ist Weideland. Es ging immer ums Überleben des Stärkeren. So ist die Natur, und so war es immer auf einer Ranch. Egal, ob Kühe oder Pferde, nur die widerstandsfähigsten sind durchgekommen. Bei Hitze, Kälte oder Trockenperioden.“

Erica war sein Standpunkt bewusst. Aber der Fortschritt in der Wissenschaft nützte Tier und Mensch. Ohne künstliche Befruchtung bekäme sie dieses Baby nicht. Doch das sagte sie nicht. Ihr Vater hätte kein Verständnis für ihren sehnsüchtigen Wunsch nach einem Kind.

„Schau mal, Dad, Daphne nimmt Tiere auf und sucht liebe Menschen für sie. Wie eine Adoptionsvermittlung. Sie erweist der Gemeinschaft einen Dienst.“

„Sie muss Langeweile haben, wenn sie sich um Tiere kümmert, die keinen praktischen Nutzen haben. Hast du dir das Tierheim überhaupt schon mal angesehen?“

„Du hast Hunde“, entgegnete sie. „Und du liebst sie.“

„Ja. Aber sie dienen einem Zweck. Sie hüten das Vieh.“ Er wies auf die Werkbank. „Ich muss jetzt arbeiten.“

„Okay.“ Sie stand auf und ging zur Tür.

„Erica?“

„Hm?“ Sie wandte sich um.

„Wie ist dein Termin beim Anwalt gelaufen?“

„Die Anwältin sagte, die Erfolgsaussichten seien gut. Sie bereitet die Klage vor.“

„Gut. Danke fürs Mitbringen.“ Er wandte ihr den Rücken zu und nahm ein Zaumzeug auf.

„Gern. Bis nachher.“

Beim Hinausgehen dachte sie über das Gespräch nach. Und kam zu der Erkenntnis, dass ihr Vater in einem Punkt recht hatte. Sie hatte über etwas geurteilt, das sie gar nicht kannte. Deshalb entschloss sie sich, zum Tierheim zu fahren. Ein Lächeln überzog ihr Gesicht. Morgan würde dort sein mit seinem Neffen.

Morgan fütterte die Pferde, dann stieg er ins Auto und fuhr zu seinem Haus auf Dalton’s Grange. Es gab zwei weitere Häuser, eines bewohnte sein Bruder Holt.

Morgans Haus hatte drei Schlafzimmer, zwei Bäder, Wohn- und Esszimmer und eine Küche. Mehr Platz, als er benötigte. Das größte Haus hatte Holt übernommen, weil er einen Sohn hatte.

Und wegen seines Neffen war Morgan nun in Eile. Er wollte Robby von der Schule abholen und dann mit ihm ins Tierheim fahren. Holt besuchte heute ein Viehzüchtertreffen, seine Verlobte Amanda hatte dem Jungen einen Ausflug versprochen. Robby strolchte gern herum, deshalb war es gut, wenn sein Onkel als Aufpasser mitkam. Und falls Erica auftauchte, wollte er sich die Gelegenheit zu dem Treffen gewiss nicht entgehen lassen.

Eine Viertelstunde später war er geduscht und hatte die Kleidung gewechselt. Es klopfte an der Haustür, Holt und Amanda trafen ein. Sie war hübsch, hatte langes braunes Haar und dunkelbraune Augen.

Er schloss sie in die Arme. „Hey, wann entschließt du dich endlich, diesen Kerl zu verlassen und mit mir abzuhauen?“

„Hände weg von meiner Frau, kleiner Bruder!“ Holt schien nicht im Mindesten beunruhigt.

Morgan hatte gescherzt. Doch er wollte auf keinen Fall ein Ehebrecher werden wie sein Vater, selbst wenn er tatsächlich in Amanda verliebt gewesen wäre. „Wieso machst du dir gar keine Sorgen darüber?“

Holt grinste. „Sobald eine Frau dir zu nahe kommt, suchst du das Weite.“

Morgan musste sich eingestehen, dass sein Bruder recht hatte. „Wie habt ihr beide gemerkt, dass ihr zusammenbleiben wollt?“

Holt überlegte. „Ich wusste vom ersten Augenblick an, dass Amanda etwas Besonderes ist.“ Er lächelte sie an. „Und jetzt wird sie mich nie mehr los.“

„Will ich gar nicht.“ Sie legte Holt den Arm um die Taille. „Morgan, wenn du das Gefühl hast, die Sonne geht auf, sobald du die Person siehst, dann ist es Liebe. Wenn du es nicht erwarten kannst, sie wiederzusehen, und sie nie mehr gehen lassen willst. Sowas kann allmählich kommen oder dich treffen wie ein Blitz. Du weißt es dann einfach.“

„Und das ist alles?“, neckte er sie.

Sie schüttelte den Kopf. „Du bist unmöglich.“

„Danke, dass du dich heute um Robby kümmerst“, sagte Holt. „Nach der Schule muss er immer seinen Bewegungsdrang ausleben.“

„Ich helfe euch gern.“ Morgan empfand großen Respekt vor seinem Bruder, der seinen Sohn in den letzten vier Jahren allein aufgezogen hatte. Die Mutter hatte sich nicht um ihn kümmern wollen. „Wie machst du das nur, dass du so ein guter Vater bist? Unser Dad war ja nicht das beste Vorbild.“

„Neal hat Fehler gemacht, aber er liebt unsere Mom. Als sie nach dem Herzanfall in der Klinik war, hat er dem Kaplan versprochen, ein besserer Ehemann zu werden. Ich glaube, das war ehrlich gemeint“, sagte Holt. „Und stell dein Licht nicht unter den Scheffel. Du kannst wirklich gut mit meinem Kleinen umgehen.“

„Stopp, sonst werde ich noch rot!“

Holt mahnte: „Robby fängt an zu heulen, wenn ihr nicht rechtzeitig an der Schule seid, um ihn abzuholen.“

„Dann fahren wir jetzt mal los.“

Ehe Holt ins Auto stieg, küsste er Amanda noch rasch. Als er fort war, stieg Amanda zu Morgan in den Truck, und sie fuhren zur Schule.

Sobald der lebhafte Junge bei ihnen im Auto saß, sprach er unentwegt über Bentley und Oliver, die Katze und den Hund aus dem Tierheim. Nach kurzer Fahrt erreichten sie die beiden Gebäude, eine Scheune und einen Bau für die kleineren Tiere. In einer Einfriedung erblickten sie Ziegen, Schweine und viele andere Tiere.

Als Morgan den Truck parkte, flüsterte Amanda ihm zu: „Ich habe strikte Anweisung, dass er nicht noch mehr Tiere nach Hause bringt.“

„Okay.“ Morgan schaute sich um, konnte aber keinen SUV mit Kennzeichen aus Colorado ausmachen.

„Ist was?“, fragte Amanda.

Er sah sie an. „Nein, alles gut.“

„Ich gehe zu Tiny Tim“, rief Robby.

„Das dicke Schwein ist sein Lieblingstier“, erklärte Amanda.

Die Tür im Fond wurde zugeschlagen, ein Zeichen, dass Robby sich losgegurtet hatte und hinausgesprungen war. Sie stiegen rasch aus, und Morgan rief seinem Neffen nach: „Bleib in Sichtweite.“

„Okay, Onkel Morgan.“ Aber der Siebenjährige rannte weiter auf das Tiergehege zu.

Amanda beschattete die Augen mit der Hand. „Alles in Ordnung. Daphne ist draußen bei den Tieren. Sie schaut nach ihm.“

Hinter ihnen war Motorengeräusch zu hören. Ein SUV näherte sich, und Morgan lächelte.

„Jemand, den du kennst?“, fragte Amanda.

„Ja. Erica Abernathy. Gestern Abend bin ich ihr bei DJ begegnet, heute dann wieder im Baumarkt.“ Er bemühte sich, eine gleichgültige Miene aufzusetzen.

„Wusste sie, dass du herkommst?“ Zweifellos vermutete sie mehr dahinter.

„Kann sein, dass ich es erwähnt habe.“

„Hm.“

Der SUV parkte neben ihnen, zwei Frauen stiegen aus. Erica hatte Mel mitgebracht.

„Mel“, rief Amanda erfreut und umarmte ihre Freundin.

„Hi.“ Erica kam um das Fahrzeug herum und lächelte Morgan an, dann die beiden Frauen. „Mel hat heute frei. Sie möchte mir zeigen, wo sie ihre Katze geholt hat.“

„Erica, das ist meine Freundin Amanda Jenkins“, sagte Mel. „Ich habe in einem Apartment im selben Haus wie Amanda und ihre Freundin Brittany gewohnt.“ Sie sah ihre Freundin an. „Das ist Gabes Schwester. Sie ist gestern aus Colorado zurückgekommen.“

„Freut mich, Sie kennenzulernen, Erica.“ An beide Frauen gewandt, sagte Amanda: „Ich nehme an, ihr kennt Morgan Dalton.“

„Ja. Er hat mir heute geholfen, etwas in mein Auto zu laden.“

„Er ist eben ein Gentleman.“ Amanda nahm Morgan seine gespielte Gleichgültigkeit offensichtlich nicht ab.

„Brittany habe ich schon länger nicht getroffen“, sagte Mel. „Sie ruft manchmal kurz an oder schickt Textnachrichten. Sie scheint sehr glücklich zu sein.“ An Erica gewandt erklärte sie: „Brittany ist mit Daniel Dubois verheiratet, einen Rancher von hier. Sie ist gerade voll damit beschäftigt, Denim and Diamonds zu organisieren.“

„Was ist das?“

„Eine Benefizveranstaltung Anfang November“, erklärte Amanda. „Es wird ein ziemlich nobles Event auf der Taylor Ranch. Die ganze Stadt wird dort sein. Du solltest auch kommen, Erica.“

„Ich weiß nicht …“

„Deine Familie geht wahrscheinlich hin. Gabe auch, stimmt’s, Mel?“

„Unbedingt.“

Erica schaute auf ihren sanft gerundeten Bauch. „Es wäre eine Woche vor dem Geburtstermin, außerdem …“

„Wenn das Baby dann noch nicht da ist, wieso nicht?“

„Was spräche sonst noch dagegen?“, fragte Morgan.

Sie strich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ich habe ja gesagt, dass ich vor langer Zeit mit Jordan Taylor befreundet war. Dabei habe ich ein paarmal seinen Vater getroffen. Er war ziemlich unsympathisch.“

„Es sind immer so viele Leute da, wahrscheinlich triffst du gar nicht auf ihn“, meinte Melanie.

„Es ist das Gesellschaftsereignis des Jahres“, versicherte Amanda. „Du kommst doch auch, Morgan?“

Sein Vater hatte die Einladung erwähnt und gemeint, es sei eine gute Gelegenheit, sich hier besser zu integrieren. Auch seine Mutter fand, die ganze Familie sollte teilnehmen. Deshalb war es für Morgan und seine Brüder beinahe Pflicht.

„Leider kann ich nicht Nein sagen …“

„Also triffst du doch einige nette Leute, Erica“, beharrte Amanda.

„Trotzdem“, sagte sie zögernd. „Jordans Vater gegenüberzustehen …“

„Ich gehe mit dir.“ Dass er das gesagt hatte, überraschte nicht nur die Frauen, auch Morgan selbst.

4. KAPITEL

Erica hielt den Atem an. Sagte Morgan nun gleich, es sei nur ein Scherz gewesen? Aber er sah wirklich ernst aus. Mel und Amanda starrten die beiden an. Tatsächlich wirkte Gabes Verlobte ein wenig skeptisch.

„Das ist wirklich mutig von dir“, fand Erica.

Er zuckte die Achseln. „Ich halte dir gern den Rücken frei. Und dann habe ich wenigstens jemand zum Reden.“

„Es ist noch über einen Monat Zeit bis dahin“, sagte Amanda.

„Stimmt“, pflichte Mel rasch bei. „Du kannst es dir überlegen. Wir sind doch hier, um die Tiere anzuschauen.“

„Und ich muss nach Robby sehen.“ Amanda ging auf die Farmgebäude zu. „Mel, komm, wir sollten Daphne begrüßen.“ Sie blickte über die Schulter. „Kommst du mit, Erica?“

„Gleich. Bei mir geht zurzeit alles etwas langsamer.“

„Okay.“ Mel nickte und eilte ihrer Freundin nach.

Als sie allein waren, wandte Erica sich an Morgan. „Ist das Ihr Ernst? Sie wollen mich zu einem Event begleiten?“

„Ich wollte Ihnen eigentlich moralische Unterstützung anbieten. Und ich hätte wirklich gern jemanden zum Reden.“

Langsam gingen sie auf die beiden Gebäude zu. Robby war in dem kleineren verschwunden, und sie sahen Mel und Amanda hineingehen. Überall waren Hühner unterwegs, pickten am Boden, Enten watschelten vorbei. Die Ziegen liefen an der Einfriedung entlang und meckerten.

„Sie sind doch hier aufgewachsen“, sagte Morgan. „Möchten Sie denn keine alten Bekanntschaften auffrischen?“

„Nicht unbedingt jetzt. Alle werden mich wegen des Babys fragen. Es geht sie nichts an.“ Sie schaute ihm auf. „Ich fühle mich hier nicht mehr zugehörig. Deshalb weiß ich nicht, ob ich überhaupt hingehe.“

„Na gut. Wir reden noch mal darüber.“

Er trug eine Jacke mit Fleece-Futter. Jedes Mal, wenn ihre Körper sich zufällig berührten, glaubte sie Funken zu sehen. Und sie spürte Schmetterlinge im Bauch. Sie mochte diesen Mann. Auch dafür, dass er sich um seinen Neffen kümmerte.

„Ich finde es gut, dass Daphne dieses Tierheim eröffnet hat,“ erklärte Erica.

Morgan erzählte ihr von dem Katzenraum, in dem die Tiere frei herumtollen konnten. Gegenüber war der Bereich für Hunde mit einer Öffnung zu einem eingezäunten Auslauf, wo die Hunde sich im Freien bewegen konnten.

„Hat es hier nicht mal gebrannt?“

„Davon habe ich gehört.“ Er blickte auf sie hinunter. „Ein Cowboy, seine Freundin und auch ein paar Pferde sollen dabei ums Leben gekommen sein.“ Sie gingen um das Gehege herum. Die Ziegen begleiteten sie auf der anderen Seite des Zauns und meckerten eindringlich. „Manchmal sollen der Cowboy und seine Freundin hier herumspuken.“

Sie hielt sich etwas dichter an ihn. „Wenn Sie mich immer noch beschützen möchten, dann können Sie das gern tun, wenn die Geister auftauchen.“

„Sie glauben nicht an so etwas.“ Er grinste und schob den Hut hoch. Sie sah den amüsierten Ausdruck in seinen Augen.

„Ich halte mich in meinem Urteil zurück.“ Aber sein Lächeln ging ihr nahe. Sie spürte an allen möglichen Stellen ein Kribbeln. „Mein Vater ist übrigens nicht so begeistert von dem Tierheim. Er findet, Tiere müssten einen Nutzen haben. Ihr Futter verdienen. Und wenn sie das nicht können … nun, dann sollte die Natur ihren Lauf nehmen.“

„Ich bin Rancher, ich verstehe seinen Standpunkt.“

Wenn ihr Vater das wüsste, würde Morgan wohl in seiner Achtung steigen. „Sie denken also auch, Daphne hätte nur Langeweile und sollte das Tierheim aufgeben?“

„Das habe ich nicht gesagt. Ihre Arbeit ist für Daphne und viele andere Menschen wichtig. Aber unsere Eltern sind eine andere Generation.“

„Richtig.“ Ihr fiel das Gespräch vom Morgen wieder ein. „Erinnern Sie sich, dass ich Gerüchte über Ihre Familie erwähnt habe? Es gibt noch mehr.“

„Was zum Beispiel?“

Sie schaute auf die Tiere, die ihre Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollten. „Es hieß, Ihr Dad hätte Ihre Mom betrogen.“

Er presste die Kiefer zusammen, sein Blick schweifte in die Ferne. „Ich weiß nicht, wie das bekannt geworden ist, aber es stimmt.“

„Sind Ihre Eltern noch zusammen?“

„Mom hat ihm verziehen.“ Er schien das nicht zu billigen. „Er hat geschworen, die anderen Frauen hätten ihm nichts bedeutet. Nur Ausrutscher, wenn er betrunken war und Geldsorgen hatte.“

Erica war überrascht, dass er das zugab. „Woher hatte Ihr Dad das Geld, um die Ranch zu kaufen? Sagen Sie nicht, Sie seien die Reinkarnation der Dalton Gang aus dem Wilden Westen, die Zug- und Bankräuber.“

Gegen seinen Willen musste er lächeln. „Nichts Illegales. Er hat es in Vegas gewonnen. Er hat seine alte Ranch verkauft und hier einen Neustart gewagt.“

„Wow!“ Ihre Augen wurden groß. „Und jetzt sind Sie und Ihre Brüder alle hier?“

„Wegen unserer Mom. Sie wollte die Familie beisammenhaben.“

Unwillkürlich legte sie die Hand auf ihren Babybauch. „Es dauert wahrscheinlich nicht mehr lange, bis ich auch so empfinde. Übermorgen habe ich einen Arzttermin. Weil ich gefeuert wurde und umziehen musste, war ich gezwungen, mir einen neuen Arzt zu suchen.“

„Ganz schön viel Wechsel innerhalb kurzer Zeit.“

„Ja. Ich war mit meiner Gynäkologin zufrieden. Und ich mache mir schon Sorgen, weil ich so kurz vor der Geburt wechseln muss.“ Erica wusste nicht, weshalb sie Morgan das alles anvertraute. Sie mochte ihn und fühlte sich wohl in seiner Gegenwart.

„Gehen Sie mit Ihrer Mom hin oder mit Mel?“

Sie zuckte die Achseln. „Ich möchte meiner Mutter nicht zur Last fallen. Und Mel arbeitet ja.“

Er sah sie lange an, ihm gingen wohl noch Fragen durch den Kopf. Doch was er dann sagte, überraschte sie. „Wenn Sie möchten, begleite ich Sie.“

„Wow!“ Ihr Herz geriet ins Flattern. „Das ist wirklich lieb von Ihnen, aber ich schaffe das sicher.“

„Okay.“ Ihn schienen Millionen Fragen zu bewegen, aber er stellte sie nicht. Das machte ihn in ihren Augen noch sympathischer.

Kinderlachen drang zu ihnen herüber. Morgan schaute zu dem Gebäude für die Kleintiere. „Ich sollte wohl mal nachsehen, ob ich Amanda mit Robby helfen kann.“

„Sorry, ich habe Sie hier mit meinem Geschwätz aufgehalten“, sagte sie.

„Also Sie schaffen es tatsächlich, mich abzulenken.“

Ist das nun positiv gemeint? fragte sie sich. An seinem Gesichtsausdruck konnte sie es nicht erkennen. Sie gingen schneller und waren gerade an der Tür, als Robby unvermittelt herausgerannt kam. Beinahe wäre er mit Erica zusammengestoßen.

Morgan hielt ihn am Arm fest. „Robby, du weißt, was dein Dad gesagt hat. Du sollst aufpassen, wo du hinläufst.“

„Ja.“ Er schaute hoch und schob sein braunes Haar aus dem Gesicht. „Tut mir leid.“

„Schon in Ordnung, Kleiner. Nichts passiert.“ Erica lächelte. „Du bist ein hübscher Junge.“

„Danke“, sagte er höflich. „Ich sehe mir jetzt die Pferde und die Kühe an.“

Morgan folgte ihm und rief: „Ich komme mit.“

Amanda und Mel traten zusammen mit einer anderen Frau aus der Tür. Erica erkannte Daphnes rotblondes Haar und die blauen Augen. In Daphnes Gesicht spiegelte sich ebenfalls Erkennen. Und dann nahm sie die Schwangerschaft wahr.

„Erica, du bist zurück.“ Sie kam näher und umarmte sie.

„Ja.“ Erica schaute sich um. „Und du hast dieses Anwesen gekauft.“

„Es ist mein ganzer Stolz.“ Ihre Augen wurden schmal. „Aber es ging nicht ohne Streit ab. Mein Vater ist dagegen.“

„Meiner auch.“ Erica legte die Hände auf ihren runden Bauch.

Sie lächelten....

Autor

Teresa Southwick
Teresa Southwick hat mehr als 40 Liebesromane geschrieben. Wie beliebt ihre Bücher sind, lässt sich an der Liste ihrer Auszeichnungen ablesen. So war sie z.B. zwei Mal für den Romantic Times Reviewer’s Choice Award nominiert, bevor sie ihn 2006 mit ihrem Titel „In Good Company“ gewann. 2003 war die Autorin...
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