Cora Collection Band 31

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Manchmal ist die große Liebe nur einen Klick entfernt. Auch online kann der Funke sehr leicht überspringen!

EINE E-MAIL FÜR DIE LIEBE von NINA HARRINGTON

Der erfolgreiche Unternehmer Miles Gibson ist nicht wirklich auf Partnersuche im Internet. Er braucht nur eine Frau für einen Abend. Eine unabhängige Frau mit Esprit und Charisma. Eine Frau wie Andy?

VERLIEB DICH NIE IN EINEN MILLIONÄR von KRISTI GOLD

Endlich steht er vor ihr - Drew, ihr Traummann aus dem Internet! Der Millionär lädt Kristina in seine Villa nach Chicago ein, aber von der Leidenschaft seiner E-Mails ist plötzlich nichts mehr zu spüren. Warum sollte sie zu ihm kommen, wenn er sie jetzt so spröde zurückweist?

PER E-MAIL INS GLÜCK von MOLLIE MOLAY

Melinda möchte im Erdboden versinken, als sie in der Zeitung von ihrer angeblich bevorstehenden Hochzeit mit Benjamin liest. Denn diese Anzeige ist so etwas wie ein Internet-Unfall, von Melinda versehentlich verursacht. Während sie sich noch fragt, wie sie das Benjamin erklären soll, stürmt der auch schon in ihr Geschäft.


  • Erscheinungstag 25.09.2020
  • Bandnummer 31
  • ISBN / Artikelnummer 9783733728748
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Nina Harrington, Kristi Gold, Mollie Molay

CORA COLLECTION BAND 31

1. KAPITEL

Von: Andromeda <andromeda.davies@sekretariat.com>

An: Saffie <saffie.saffron@meisterkoechin.com>

Betreff: Rate mal, wer im Internet auf Partnersuche ist?

Hey Saffie!

Ja, ich weiß, ich weiß. Ich hätte auf dich hören sollen, als du versuchst hast, mich davor zu warnen, für Elise van der Kamp zu arbeiten. Sie war ja schon zu Schulzeiten total daneben. Aber jetzt kommt der Knaller.

Erinnerst du dich noch, dass Elise sich bei dieser Singlebörse für junge Manager angemeldet hat? Jedenfalls, sie hat ziemlich schnell entschieden, dass ich das für sie übernehmen soll. ICH! Denn ihr wäre das alles viel zu zeitaufwendig. „Melde dich einfach unter meinem Profil an und schreib ein paar nette Mails“, hat sie mir aufgetragen. Um erst mal die Spreu vom Weizen zu trennen…

Ich wollte das zuerst gar nicht machen, aber dann hat sie mir dafür so einen so hohen Bonus angeboten, dass ich davon diesen Lehrgang bezahlen könnte, den ich so dringend brauche, um endlich als Illustratorin ernst genommen zu werden.

Elise weiß natürlich genau, womit sie mich ködern kann. Also kannst du dir ja vorstellen, wer sich hier letzte Woche Abend für Abend ins Zeug gelegt hat, nur um unserer ehemaligen Mitschülerin ein Date für die Weihnachtsfeier zu organisieren.

Herrje, kann man eigentlich noch tiefer sinken?

Doch jetzt – Achtung, aufgepasst! – hat sie mir vor zehn Minuten mitgeteilt, dass sie heute für einen dringenden Geschäftstermin nach Brasilien fliegen muss und sie sich das mit der Partnersuche im Internet wieder anders überlegt hat. Das Ganze sei ihr doch zu erbärmlich (!) und außerdem wolle sie damit nicht ihren guten Ruf in Gefahr bringen. Ja, genau das waren ihre Worte. Die Frau spinnt doch komplett. Ich glaube, sie hat sich keine einzige meiner Mails durchgelesen, und natürlich auch keine einzige Antwortmail.

Aber das eigentliche Problem ist, dass das erste Date schon in einer halben Stunde ist! Es ist also viel zu kurzfristig, um noch abzusagen. Sein Benutzername ist #Sportsfreund, und er scheint wirklich nett zu sein. Und ich ertrage die Vorstellung nicht, dass dieser arme Kerl da nun ganz alleine sitzt und darauf wartet, dass #Großstadtmädchen Elise noch aufkreuzt. Ich weiß, wie furchtbar es ist, versetzt zu werden. Das wünsche ich keinem. Und außerdem fühle ich mich irgendwie verantwortlich.

Denkst du, ich sollte ihn treffen und die Sache klären? Hm, keine leichte Entscheidung.

Aber ich glaube, ich mach das.

Ich denke an dich und hoffe, dass dich dein Küchenchef in Paris nicht allzu schwer schuften lässt.

Wünsch mir Glück!

Andy

Von: Saffie <saffie.saffron@meisterkoechin.com>

An: Andromeda <andromeda.davies@sekretariat.com>

Betreff: Ach du meine Güte!

Andy Davies,

du bringst mich ganz durcheinander. Ich kann nicht glauben, dass du dich bei einer Internet-Singlebörse als Elise van der Kamp ausgegeben hast. Ich meine … Elise? Sie hat die Sozialkompetenz eines Haifischs.

Daher bin ich auch nicht im Geringsten überrascht, dass sie eine liebenswerte und freundliche Person wie dich damit beauftragt hat, ihre privaten Briefe zu schreiben.

Und was dieses Date betrifft: Ich denke, du wirst dich bestimmt besser fühlen, wenn du diesen Mann triffst und dich persönlich bei ihm entschuldigst. Aber sei vorsichtig, so ein Managertyp könnte vielleicht ganz schön wütend reagieren. Lass deinen Charme spielen. Und nimm ein paar spitze Bleistifte mit. Nur für den Fall der Fälle.

Kuss!

Saffie, die Küchensklavin

Der rote Londoner Bus hielt und Andromeda stieg hinaus in den strömenden Novemberregen. Schnell lief sie über den belebten Bürgersteig und stellte sich unter die Markise eines Ladens. Laut prasselte der Regen auf den festen Stoff über ihr.

Ihr Blick wanderte über die vielen Passanten, die eilig mit ihren Regenschirmen an ihr vorbeihasteten, und blieb schließlich an dem Coffeeshop auf der gegenüberliegenden Straßenseite hängen. Warmes goldenes Licht fiel einladend durch die großen Scheiben und zauberte helle Reflexionen auf den nassen Asphalt des Bürgersteigs. Auf der Suche nach einem geeigneten Treffpunkt für Elise und ihr Internet-Date war sie in dieser Woche schon zweimal hier gewesen. Der Coffeeshop war perfekt. Man konnte dort prima eine Kleinigkeit essen und der Kaffee war auch gut. Außerdem lag er zentral und war weder zu groß noch zu klein.

Einen tiefen Atemzug nehmend, schwang Andy ihre Tasche über die Schulter und öffnete ihren Regenschirm. Das ist natürlich mal wieder typisch für mich, dachte sie innerlich seufzend. Der einzige Schirm, den ich besitze, ist bonbonrosa mit Blümchenmuster. Er war ein Geschenk der Firma gewesen, bei der sie bis vor Kurzem noch als Teilzeitkraft im Büro gearbeitete hatte – die Firma stellte Zubehör für Kinderpartys her …

Ihre Chefin Elise hätte diesen Schirm bereits nach dem ersten Blick in den Abfall geworfen. Doch in ihrer momentanen finanziellen Lage war Andy froh, dass sie überhaupt einen Schirm besaß.

Für den Fall, dass irgendjemand sie auf den Schirm ansprechen würde, hatte sie sich schon eine Ausrede zurechtgelegt. Sie würde einfach erzählen, der Schirm wäre ein Einzelstück aus dem Laden eines aufstrebenden Deigners.

Lügen, Lügen, nichts als Lügen. Auch wenn meine Schirm-Geschichte nur eine winzig kleine Lüge ist im Gegensatz zu der großen, die mich hierher geführt hat, dachte Andy.

Schuldbewusst schloss sie für einen kurzen Moment die Augen.

Aber es war ihre Entscheidung gewesen. Es hatte sie ja schließlich niemand gezwungen, sich bei dieser Internet-Singlebörse als Elise van der Kamp auszugeben.

Ein wenig nachdenklich steckte Andy ihre freie Hand in die Tasche ihres modernen dunkelblauen Regenmantels, den sie zu einem Schnäppchenpreis in einem kleinen Londoner Wohltätigkeitsladen erstanden hatte.

Ich habe es nur für meine zukünftige Karriere als Künstlerin getan!

Und außerdem konnte es ihr völlig egal sein, wie sie und ihr Regenschirm aussahen, solange sie nur ihren Plan in die Tat umsetzte. Und der war, jetzt in diesen Coffeeshop zu gehen, und sich mit #Sportfreund zu treffen. Natürlich würde er eine elegante Geschäftsfrau erwarten. Doch sie würde die Sache höflich aufklären, sich dann freundlich verabschieden und gehen. Das Ganze würde in zehn Minuten vorbei sein.

Zehn Minuten. Dann würde sie wieder in den Bus steigen und wieder ganz sie selbst sein. Andy Davies, tagsüber Assistentin von Elise, abends unbezahlte Illustratorin und am Wochenende auch noch Kunsthistorikerin.

Nur wegen Elise war sie jetzt hier! Ich will meine Zeit nicht mit Nullnummern verschwenden, Andromeda, hatte sie wenig charmant erklärt. Außerdem weiß ich, dass du diskret bist. Ich meine, wir sind seit der Schulzeit miteinander befreundet. Also, ich verlass mich auf dich.

Es war Elise wahrscheinlich nicht einmal in den Sinn gekommen, dass Andys Terminplan in der Vorweihnachtszeit auch so schon randvoll war.

Jetzt blieb nur zu hoffen, dass nach diesem Treffen endlich wieder ein wenig Ruhe einkehren würde.

Andy blickte nach links und rechts und bahnte sich dann einen Weg durch die Passanten auf die vielbefahrene Straße. Sie hatte es schon fast auf die andere Seite geschafft, da musste sie mit einem Sprung einem vorbeirasendem Fahrradkurier ausweichen. Schon stand sie mit einem Fuß in einer knöcheltiefen Pfütze und fühlte, wie kaltes Wasser höchst unangenehm in ihre hochhakigen Stiefeletten drang.

Na toll.

Mit einem verärgerten Schnauben erreichte Andy endlich den gegenüberliegenden Bürgersteig. Sie klappte ihren Schirm wieder zusammen, der in seiner Funktion völlig versagt hatte, öffnete die Tür des Coffeeshops und trat ein.

Andy schüttelte ihr nasses Haar, während zugleich kaltes Regenwasser ihren Mantel herabtropfte. Ein köstlicher Duft nach frisch gerösteten Kaffeebohnen stieg ihr in die Nase und sie atmete genießerisch ein. Den Luxus, ein Restaurant oder Café zu besuchen, konnte sie sich normalerweise nur selten leisten. Daher war es umso schöner, dass Elise die Rechnung dafür begleichen würde.

Andy ließ ihren Blick über die zahlreichen Gäste schweifen, die an vielen kleinen Tischen zusammensaßen und sich angeregt unterhielten. Es herrschte eine überaus behagliche Atmosphäre im Laden.

Doch nirgendwo entdeckte Andy das bunte Hawaiihemd, das #Sportsfreund als Erkennungszeichen tragen wollte, und das man an einem grauen Novembertag in London wohl kaum übersehen konnte.

Schließlich trat Andy an den Tresen und bestellte sich einen Kaffee. Dann ging sie hinüber zu einem freien Tisch, der in der Nähe der Eingangstür stand, hängte ihre Regenjacke über die Rückenlehne des Stuhls und stellte ihren Schirm dahinter. Sie strich ihr graues Businesskostüm und ihre weiße Bluse glatt und setzte sich.

Ein kleines nervöses Flattern machte sich in ihrem Bauch breit.

Lächerlich.

Dies war kein richtiges Date. Wozu also die Aufregung?

Sie war nur hier, um diese kleine Schwindelei höflich und mit Anstand zu beenden. Das war alles.

Trotzdem konnte Andy nicht umhin, sich zu fragen, wie er wohl aussah. Auf dem winzig kleinen Internet-Foto war nicht gerade viel zu erkennen gewesen!

Und war es nicht nur natürlich, ein wenig neugierig zu sein? Vor allem, da #Sportsfreund so lustig von seinem Leben als Surfer auf Hawaii und in Kalifornien geschrieben hatte, dass Andy an einigen Stellen sogar laut gelacht hatte. Ja, er besaß eindeutig Humor.

Und den wird er für das bevorstehende Treffen auch brauchen, dachte Andy und biss sich auf die Unterlippe. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen herzukommen? Was, wenn das Ganze eine totale Blamage werden würde?

Denn #Sportsfreund hatte jedes Recht, enttäuscht zu sein. Aber sie musste da jetzt durch. Das war sie nicht nur ihm schuldig, sondern auch sich selbst.

Andy betrachtete die vielen glücklichen Paare, die um sie herum saßen und ihr Herz wurde mit einem Mal schwer. Doch dann rief sie sich in Erinnerung, dass sie ja gar nicht darauf aus war, jemanden kennenzulernen. Es gab also keinen Grund, Trübsal zu blasen.

Im Gegenteil. Sie war froh, dass die Episode mit Nigel, ihrem Exfreund und Exkollegen, hinter ihr lag und sie nicht mehr freiwillig die Arbeit für ihn machen musste. Von wegen Teamarbeit. Sie hatte ihre Lektion gelernt. Keine Lügen und Halbwahrheiten mehr. Nein, sie hatte sich lange genug etwas vorgemacht. Sie wollte überhaupt keinen Freund mehr. Außerdem kam sie auch sehr gut alleine zurecht.

Jawohl.

Andy warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Zehn Minuten, dann würde sie endlich die restlichen Stunden des Tages für das nutzen können, was sie am meisten liebte: zeichnen.

Mit einem kleinen Lächeln nahm Andy ihre Handtasche und holte einen Skizzenblock und einen Stift daraus hervor. Im Museum, für das sie an den Wochenenden arbeitete, hatte man sich vor Kurzem bereit erklärt, fünf Postkartenentwürfe von Andy anzusehen, und nun war sie mit ihren Entwürfen fast fertig. Womöglich würde Andy eigene Postkarten über den Museumsshop vertreiben dürfen! Das war ihre Chance, endlich ihre Arbeit einem größeren Publikum vorzustellen.

Andy war so in ihre Skizze vertieft, dass sie erst der kalte Windzug, der von der geöffneten Tür zu ihr herüberwehte, wieder in die Gegenwart zurückholte. Sie fröstelte in ihrer dünnen Bluse und blickte auf.

Ein großer dunkelhaariger Mann hatte soeben den Coffeeshop betreten und schloss nun die Tür hinter sich.

Sein gebräuntes Gesicht glänzte vom Regen und mit einer Hand strich er sich das nasse Haar aus der Stirn. Wassertropfen perlten von seiner Segeljacke, deren Reißverschluss er gerade langsam öffnete.

Wow! dachte Andy und bedauerte insgeheim, dass dies keine Stripshow war, bei der sie in der ersten Reihe saß. Mit einer ziemlich lässigen Bewegung ließ er die Jacke von seinen Schultern rutschen und für einen kurzen Moment stockte Andy der Atem.

Das Hawaiihemd.

Sein markantes Kinn sah aus wie aus Stein gemeißelt und attraktive Grübchen zeigten sich unter dem Bartschatten auf seinen Wangen. Doch es war vor allem sein Mund mit den schön geschwungenen und vollen Lippen, der Andy fast den Atem raubte.

Auf seinem Profilbild hatte #Sportsfreund – in Anzug mit Krawatte – wie jeder andere Geschäftsmann ausgesehen. Aber in natura wirkte er völlig anders. Das Foto wurde ihm nicht gerecht, nicht mal ansatzweise.

Seine Jeans, die locker auf seinen Hüften saß, betonte seine langen muskulösen Beine. Er schob eine Hand in seine Hosentasche und ließ seinen Blick über die Tische durch den Raum schweifen. Und auch dabei sah er einfach atemberaubend aus.

Wie macht er das bloß? Wie schafft er es, hier einfach so hereinzuspazieren und im nächsten Moment den ganzen Raum für sich einzunehmen?

Andy wusste, dass er eine Firma für Segel- und Surfbekleidung besaß. Das passt, dachte sie. Und schon tauchte ein Bild vor ihrem inneren Auge auf. Stürmische See. Er am Steuerrad. Ein Mann wie ein Fels in der Brandung.

Und plötzlich musste Andy an ihren Vater denken. Auch er war so ein Mann gewesen. Ein Mann, der stets das Ruder fest in den Händen gehalten hatte – bis die Wirtschaftkrise ihm alles genommen hatte. Schnell verscheuchte sie die trüben Gedanken aus der Vergangenheit.

Dafür ging ihr plötzlich etwas völlig anderes durch den Kopf. Eigentlich schade, dass ich nicht auf der Suche nach einem Freund bin.

Denn #Sportsfreund war mit Abstand der bestaussehende Mann, den sie je getroffen hatte.

Und dann trafen sich ihre Blicke. Doch anstatt sie von Kopf bis Fuß zu mustern, so, wie andere Männer es manchmal taten, sah er ihr einfach nur ins Gesicht und ein breites Lächeln erschien auf seinem Gesicht.

Ein Lächeln, das so warm war wie ein loderndes Kaminfeuer im Winter. Andys Herz machte einen kleinen Hüpfer und ein angenehmes Kribbeln breitete sich in ihr aus. Zugleich spürte sie eine leichte Röte auf ihren Wangen, die sich eindeutig nicht auf den heißen Kaffee schieben ließ.

Und mit einem Mal überkam Andy das Gefühl, die schönste und begehrenswerteste Person im ganzen Raum zu sein, nur aufgrund der Tatsache, dass er sie in den Fokus seiner Aufmerksamkeit stellte. Unwillkürlich straffte sie ihre Schultern und strich sich eine Strähne ihres Haars hinters Ohr, während ihr Puls verräterisch laut in ihren Ohren pochte.

Wow, das ist also mein Date!

Verlegen senkte Andy den Blick und räumte ihren Skizzenblock vom Tisch zurück in ihre Tasche. Dabei war sie sich nur zu bewusst, dass er sie noch immer ansah.

Sie konnte seinen Blick fast spüren. Und obwohl der Coffeeshop voller Gäste war, kam es ihr plötzlich so vor, als wären sie die einzigen Personen im Raum.

In seinem Profil stand, dass er fast einen Meter neunzig groß war. Das schien zu stimmen. Doch er war nicht nur groß, sondern auch noch braungebrannt, muskulös und breitschultrig.

Und dann schlenderte er langsam auf sie zu, bis er schließlich direkt vor ihrem Tisch stehenblieb. Andy hob ihren Kopf und blickte in ein Paar tiefbraune Augen. Sie hatten die Farbe von Zartbitterschokolade. Dunkel und feurig. Augen zum Dahinschmelzen.

„Hallo. Kann es sein, dass wir miteinander verabredet sind, #Großstadtmädchen?“

Was für eine tiefe, wohlklingende Stimme! Moderierte er vielleicht nebenbei noch das Nachtprogramm eines Radiosenders?

Lächelnd stand er da und wartete geduldig auf ihre Antwort. Andy schluckte.

Was macht so ein Traummann in einer Singlebörse im Internet?

„Ja, genau“, log sie und hob den violetten Schal, den sie als Erkennungsmerkmal gewählt hatte. „Hier ist der Schal.“

„Tut mir leid, dass ich ein wenig spät bin.“ Er lächelte entschuldigend. Dann warf er seine regennasse Segeljacke hinter Andys Stuhl neben ihren Schirm. „Ich musste noch jemanden zum Flughafen bringen und der Verkehr war ziemlich schlimm. Danke fürs Warten.“

„Kein Problem“, erwiderte Andy und streckte ihm die Hand entgegen. „Schön, dich endlich persönlich kennenzulernen.“

Er beugte sich über den kleinen Tisch und griff nach ihrer Hand. Seine Finger waren warm und sein Griff fest.

Und obwohl der Gedanke völlig verrückt war, fragte sich Andy unwillkürlich, wie sich diese Finger wohl auf anderen Stellen ihres Körpers anfühlten. Sie war fast ein wenig erleichtert, als er sie wieder losließ und auf dem freien Stuhl ihr gegenüber Platz nahm.

„Ja, ebenso. Unternehmensförderung. Heikle Sache, oder?“

Andy fühlte, wie ihr Puls sich beschleunigte.

Nur die Ruhe, sagte sie sich. Gib ihm fünf Minuten für seinen Kaffee und beende die Sache dann höflich. Das sollte funktionieren.

Sie nahm einen Schluck Kaffee, um ein wenig Zeit für eine halbwegs passende Antwort zu gewinnen. „Ich sage immer: Ohne Risiko kein Gewinn. Aber das gilt wohl auch in der Sportbekleidungsindustrie.“

Seine dunklen Augen sahen sie aufmerksam an. „Verdammt richtig.“

Dann verzog sich sein Mund zu einem kleinen Lächeln. „Nur wer etwas riskiert und es auch mal darauf ankommen lässt, hat Aussicht auf Erfolg. Das sehe ich ganz genauso. Möchtest du noch einen Kaffee?“

Und ohne ihre Antwort abzuwarten, winkte er die Tresenkraft herbei, die wie herbeigezaubert nur einen Moment später an seiner Seite erschien. „Bitte bringen Sie nochmal zwei Kaffee, genau was die Dame hatte. Und für mich noch ein Omelett. Drei Eier, Schinken, Champignons. Keine Zwiebeln. Und bringen Sie auch noch ein paar Schinkensandwiches mit Tomate. Und ein paar Kekse wären auch nicht schlecht. Danke.“

Verblüfft sah Andy der jungen Frau hinterher, die sich sofort mit einer Kollegin an die Zubereitung seiner Bestellung machte, und dann wieder zu #Sportsfreund, der zurückgelehnt in seinem Stuhl saß, die Beine lang zur Seite ausgestreckt, den Blick auf sie gerichtet.

„Machst du das immer so?“, fragte Andy verdutzt und machte eine kleine Kopfbewegung in Richtung Tresen.

„Was? Kaffee bestellen? Ja, das mache ich eigentlich immer so. Besonders in einem Coffeeshop.“ Seine Zähne blitzten auf, als er lachte.

„Nein, ich meine, orderst du immer von deinem Platz aus, anstatt wie alle anderen am Tresen zu bestellen? Und woher weißt du, dass ich überhaupt noch einen Kaffee wollte? Vielleicht hätte ich zur Abwechslung viel lieber Tee getrunken.“

Anstatt gleich zu antworten, legte er die Arme vor sich auf den Tisch und beugte sich langsam zu ihr vor.

Andy musste sich davon abhalten, nicht unwillkürlich etwas zurückzuweichen, so nah war er ihr plötzlich.

Um ihr schneller schlagendes Herz wieder zu beruhigen, beschloss sie, erst mal tief einzuatmen. Doch statt des erwarteten Kaffeegeruchs sog Andy in vollen Zügen den Duft dieses Mannes ein – frisch, männlich und unglaublich angenehm!

Ein wissendes Lächeln umspielte plötzlich seine Lippen.

„Nun, ich habe es einfach drauf ankommen lassen, Großstadtmädchen.“

Damit lehnte er sich wieder zurück, legte die Arme in den Schoß und zwinkerte ihr zu.

2. KAPITEL

Er hat es drauf ankommen lassen?! Ist das nicht ein bisschen machohaft? Aber er ist sich bestimmt bewusst, welche Wirkung er auf Frauen hat.

Und plötzlich schrillten bei Andy alle Alarmglocken gleichzeitig.

Warum um alles in der Welt hat so ein umwerfend gutaussehender Mann es überhaupt nötig, sich mit einer Frau aus dem Internet zu treffen?

Bereits aus seinen Briefen war ein gewisses Charisma herauszulesen gewesen, doch in der Realität war dieser Mann wie eine Naturgewalt, dessen Ausstrahlung und Anziehungskraft sich Andy kaum entziehen konnte.

Sein dichtes schokoladenbraunes Haar war einen Tick zu lang, um wirklich ordentlich zu wirken und dazu so verwuschelt, dass ihm ständig eine Strähne ins Gesicht fiel. Mit einer lässigen Bewegung, von der sich jedes Männermodel noch etwas abgucken könnte, strich er sie sich jetzt wieder hinters Ohr.

Diese hohen Wangenknochen!

Und dann dieser Mund.

#Sportsfreund hatte diesen entschlossenen und zugleich sinnlichen Zug um die Lippen, der es Andy fast unmöglich machte, ihn nicht permanent anzulächeln.

Und dabei hatte sie immer geglaubt, sie wäre immun gegen diese Art von Attraktivität.

Doch dieser Mann war von einem völlig anderen Kaliber.

Laut seines Online-Profils betrieb er zusammen mit seinem Bruder eine Firma für Sportbekleidung. Ihr Spezialgebiet waren Surf-Ausrüstungen, und er war geschäftlich viel in der Welt unterwegs.

Nun, daraus konnte man leicht schlussfolgern, dass er einer von diesen reichen und schrecklich arroganten Unternehmertypen war. Ein Mann wie er verbrachte seine Winter höchstwahrscheinlich in einem mondänen Skigebiet und seine Sommer in der Karibik – oder auf irgendeiner Jacht.

Kein Wunder also, dass er davon ausging, er müsste nur einmal mit den Fingern schnippen und jede Person, inklusive der Tresenkraft, stünde ihm sofort zur Verfügung.

Unfassbar! Aber jetzt war die Zeit gekommen, ihm die Wahrheit zu sagen. Und damit wäre der Auftrag von Elise endgültig erledigt.

Na los, Andy! Jetzt bring es endlich hinter dich! Er wird es schon verkraften.

Andy atmete tief ein und nahm all ihren Mut zusammen. Doch als sie gerade ansetzten wollte, da wurde das Essen serviert … samt herrlich duftendem Kaffee!

Die Bedienung schenkte #Sportsfreund einen schmachtenden Blick, während sie den Teller mit dem dampfenden Omelett vor ihm abstellte. Doch es schien ihm gar nicht aufzufallen. Er nickte nur freundlich zum Dank.

Unglaublich!

„Ladys first“, sagte er und deutete auf die köstlich aussehenden Schinkensandwiches.

„Danke schön“, murmelte sie. „Aber da gibt es noch etwas ziemlich Wichtiges, das ich dir sagen möchte. Es ist nämlich so, dass ich nicht die bin, für die du mich hältst. Als ich dir diese Mails geschrieben …“

Plötzlich wurde direkt am Nebentisch ein Stuhl umgestoßen. Ein älterer Herr war aufgesprungen und rang nun mit weit aufgerissen Augen nach Luft. Sein Gesicht war bläulich angelaufen.

Ohne zu zögern, sprang Andy auf. „Hier braucht jemand Hilfe!“, rief sie laut. „Der Mann erstickt!“ Augenblicklich kam Leben in den Coffeeshop. Stimmen wurden laut und Stühle wurden gerückt. Doch Andy wartete nicht, sondern gab dem alten Mann einen beherzten Schlag mit der flachen Hand auf den Rücken. Leider ohne Erfolg.

Sie trat zurück, atmete durch und wollte geraden einen zweiten Versuch wagen, als #Sportsfreund an ihrer Seite erschien. Er packte den Mann von hinten, schlang seine kräftigen Arme um ihn und presste sie dann kurz unterhalb seines Brustkorbs mit einem Ruck zusammen. Im nächsten Moment flog ein beachtliches Stückchen Steak in einem hohen Bogen auf den Tisch, und der alte Mann holte geräuschvoll Luft. Dabei war ihm die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. Und auch durch den Coffeeshop ging ein allgemeines Aufatmen.

#Sportsfreund erwiderte den Händedruck des dankbaren Gasts, nickte kurz und trat dann wieder zurück an den Tisch. Den Beifall der Gäste schien er gar nicht wahrzunehmen.

Doch statt sich hinzusetzen, umklammerte er plötzlich die Lehne seines Stuhls und ein angespannter Ausdruck erschien auf seinem Gesicht.

„Alles okay mit dir?“, fragte Andy leise.

Sein Blick schnellte zu ihr, und kurz erschrak sie vor der wilden Intensität in seinen Augen.

Er blinzelte. Dann wurde sein Blick wieder weich. „Nur ein … Krampf im Bein.“ Er räusperte sich und schlug mit der flachen Hand auf seinen rechten Oberschenkel. „Ich bin langes Sitzen nicht gewohnt, das ist alles. Ich bin okay. Danke.“

Dann schob er seinen Stuhl zu ihr an die Wand und streckte sein rechtes Bein lang vor sich aus.

Mit klopfendem Herzen nahm Andy neben ihm Platz.

„Dann ist es ja gut“, sagte sie und warf einen kurzen Blick hinüber zum Nachbartisch. „In deinem Profil stand gar nicht, dass du auch Erste-Hilfe-Profi bist. Oder habe ich das vielleicht übersehen?“

„Ich habe mal als Rettungsschwimmer in Cornwall gearbeitet. Mein allererster Job. Da lernt man so etwas. Aber Hut ab vor deinem schnellen Einsatz, Großstadtmädchen. Aber darf ich dir noch einen kleinen Tipp geben? Beim nächsten Mal solltest du noch fester schlagen.“

„Beim nächsten Mal? Ich hoffe, es wird kein nächstes Mal geben.“

Andy hob ihre rechte Hand und betrachtete ihre zitternden Finger. „Wie kannst du nur so ruhig bleiben? Ich bin völlig fertig mit den Nerven.“

Anstelle einer Antwort nahm er lächelnd ihre Hand in seine und strich beruhigend mit dem Daumen über ihren Handrücken.

Seine Haut war überraschend weich, doch Andy spürte auch die Kraft, die sich dahinter verbarg.

Bei Männern achtete sie immer auf die Hände. Und dieser Mann hatte einfach unglaubliche Hände. Groß, gepflegt, mit schlanken Fingern. Doch dann fielen Andy die Schrammen auf seinen Knöcheln auf, die nach harter körperlicher Beanspruchung aussahen.

Und zum ersten Mal fragte sie sich, ob sie #Sportsfreund nicht doch falsch eingeschätzt hatte. So sahen doch nicht die Hände eines gewöhnlichen Geschäftsmannes aus, der seine Tage vor seinem PC im Büro verbrachte?

Hm, vielleicht ist an seinen Surf-Geschichten ja doch etwas dran?

„Ach, ich bin nur deshalb so ruhig geblieben, weil ich wusste, was zu tun war. Geht es dir besser? Wunderbar. Dann lass uns etwas essen.“

Er ließ ihre Hand los, und noch im selben Augenblick vermisste Andy seine Berührung.

Unauffällig beobachtete sie ihn dabei, wie er sein Omelett klein schnitt und dann die Gabel zum Mund führte. Wie schafft er es nur, fragte sich Andy, sogar beim Essen so sexy auszusehen?

Und diese Frage brachte es auf den Punkt.

Dieser Mann ist viel zu gutaussehend, um in einer Singlebörse nach einer Frau suchen zu müssen. Außerdem ist er kultiviert, spricht in ganzen Sätzen und weiß sogar, wie man Messer und Gabel richtig benutzt.

Also, wo war der Haken?

Andy hatte schon von verheirateten Männern gehört, die im Internet auf der Suche nach einer Affäre waren. Vielleicht war er einer von denen? Oder vielleicht war er ein Journalist auf geheimer Recherche zum Thema: Verzweifelte Single-Frauen auf der Suche nach einem Mann. Sie atmete bei dem Gedanken scharf ein.

Stopp, Andy! Lass deine Fantasie nicht verrücktspielen.

Und im nächsten Moment sprudelten die Worte nur so aus ihr raus.

„Ich muss dir etwas sagen. Ich bin nicht #Großstadtmädchen, sondern nur für meine Chefin eingesprungen, weil sie plötzlich zu einem wichtigen Geschäftstreffen musste. Ich bin ihre Assistentin. Und es war vorhin einfach zu spät, um dir noch abzusagen. Daher bin ich an ihrer Stelle gekommen, um mich dafür zu entschuldigen.“

Andy ließ ihre Hände in den Schoß sinken und wartete beklommen auf seine Reaktion.

Der Mann auf der anderen Seite des Tisches kaute für einen Moment ruhig weiter. Dann legte er Messer und Gabel beiseite, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor seiner Brust. Eine Geste, die ihn noch imposanter erscheinen ließ, als er ohnehin schon war. Mit gehobenen Brauen sah er sie an.

„Also, habe ich das richtig verstanden? Du bist nicht die junge Frau, mit der ich heute Abend hier verabredet war?“

Andy presste die Lippen aufeinander und schüttelte leicht den Kopf.

„Ich verstehe“, sagte er mit einem Hauch von Enttäuschung in der Stimme. „Und wie kann ich die Frau treffen, die mir diese Mails geschrieben hat? Oder hat sie kalte Füße bekommen?“

Andy räusperte sich. „Ich habe diese Mails geschrieben. Meine Chefin hat mich dafür bezahlt und ich …“

„Moment mal“, unterbrach er sie. „Sie hat dich fürs Briefeschreiben bezahlt? Aber wer bist du dann? Und was machst du hier?“, fragte er und beugte sich über den Tisch zu ihr vor.

Andy fühlte sich wie ein Reh, das vom Jäger in die Enge getrieben wurde.

„Ist das vielleicht irgendein Spiel, das du zusammen mit deiner Chefin spielst? Oder gibst du eventuell nur vor, die Assistentin zu sein, weil dir nicht gefällt, was du siehst? Oder hast du dich extra bei dieser Singlebörse für Manager angemeldet, um einen reichen Mann kennenzulernen? Sag schon, liege ich mit irgendeiner Annahme richtig?“

Andy sah ihn bestürzt an, ihr Herz klopfte wie wild.

„Ein Spiel? Natürlich ist das kein Spiel. Elise weiß ja nicht einmal, dass ich hier bin. Nein, es ist nichts von alledem.“

„Gut, aber warum bist du dann hier?“

„Das habe ich doch schon gesagt. Weil es vorhin einfach schon zu spät war, um dir noch abzusagen. Und weil ich den Gedanken nicht ertragen konnte, dass du hier ganz alleine wartest und dann auch noch versetzt wirst. Das ist alles. Bist du jetzt zufrieden?“

Bevor er darauf antworten konnte, griff Andy nach einem Schinkensandwich und biss herzhaft hinein. Doch kaum hatte sie das getan, spritzte ihr der Saft einer Tomate auf die Bluse – auf ihre allerbeste weiße Lieblingsbluse.

Hastig versuchte Andy den Fleck mit einer Serviette zu entfernen, doch das machte alles nur noch schlimmer. Viel schlimmer.

Frustriert legte Andy die Serviette zurück auf den Tisch und warf #Sportsfreund einen kurzen Blick zu. Auf seinem Gesicht lag ein halb belustigtes, halb irritiertes Schmunzeln. Doch er sagte nichts.

Andy seufzte. „Ein risikoreiches Unterfangen, hier zu essen“, murmelte sie. „Und das gilt wohl nicht nur für das Steak.“ Dann griff sie wieder nach dem Sandwich und aß resigniert weiter, denn mehr als ruinieren konnte sie ihre Bluse nun auch nicht mehr.

#Sportsfreund löste seine verschränkten Arme. „Da kann ich nur voll und ganz zustimmen. Vor allem, was den Käse betrifft“, sagte er mit einem amüsierten Lächeln und tippte dabei kurz auf seine Unterlippe.

Käse? Was für Käse?

Möglichst damenhaft griff Andy erneut nach der Serviette – nur um dann peinlich berührt feststellen zu müssen, dass ihr ein langer Käsefaden im Mundwinkel hing.

So viel also dazu, einen guten Eindruck zu machen.

„Besser“, sagte er mit einem kleinen Lächeln. „Und ich heiße übrigens Miles. So, wo waren wir stehengeblieben! Ach ja, beim versetzt werden. Gibt es denn wirklich Leute, denen so etwas passiert?“

Miles. Sie sah ihn mit erhobenen Brauen an. Er scheint mich trotz allem immer noch kennenlernen zu wollen. Warum nur?

Hier saß sie also, mit vom Regen durchnässtem Haar, einer befleckten Bluse und Essensresten in den Mundwinkeln … und wunderte sich.

Gerade wollte sie ihm im Gegenzug auch ihren Namen verraten, doch dann überlegte sie es sich anders. Nicht jetzt. Stattdessen beantworte ich ihm zuerst seine Frage.

Sie machte eine Pause und sah kurz hinauf zur Decke. „Oh, ich bin schon versetzt worden. Kein schönes Gefühl, sage ich dir. Daher wollte ich mich auch unbedingt persönlich bei dir entschuldigen und nicht einfach nur eine Mail schreiben. Ja, ich weiß, das lässt mich jetzt wahrscheinlich ziemlich altmodisch erscheinen. Aber so bin ich eben.“

Er schien kurz über ihre Worte nachzudenken und nickte dann. „Und deine Chefin weiß wirklich nicht, dass du hier bist?“

Andy schüttelte den Kopf. „Nein, sie hat es sich plötzlich anders überlegt. Nur leider war das so kurzfristig, dass ich dir nicht mehr rechtzeitig absagen konnte.“

Sie schenkte ihm ein vorsichtiges Lächeln über ihr Sandwich hinweg. „Ich hoffe, du bist nicht allzu enttäuscht, dass ich nicht dein richtiges Date bin. Vor allem, da ich dir bereits das meiste deines Essens weggegessen habe.“

Er lehnte sich zurück und legte sich eine Hand auf die Brust. „Enttäuscht? Auf keinen Fall. Und außerdem ist es mir eine Freude, dass es dir so gut schmeckt. Nur hast du jetzt bedauerlicherweise meinen dunklen Plan durchschaut, nämlich eine Dame mit Schinkensandwiches und Kaffee zu erobern. Ach, ich schäme mich.“

„Und das völlig zu Recht“, erwiderte Andy ironisch und betrachtete den Rest des Sandwichs. „Doch ich muss dir zugutehalten, dass es köstlich ist. Danke schön!“

„Puh, da habe ich ja noch mal Glück gehabt“, erwiderte er mit einem Augenzwinkern und griff nach seiner Kaffeetasse. „Aber sag mal, machst du für deine Chefin öfter mal eine Verabredung klar?“

Seine Frage führte unwillkürlich dazu, dass Andy sich an ihrem Kaffee verschluckte. Mit Mühe unterdrückte sie ein Husten. „Nein. Das ist das erste und letzte Mal. Wir sind zusammen zur Schule gegangen. Elise vertraut darauf, dass ich sie nicht enttäusche.“ Sie warf ihm einen kurzen Blick. „Ich hoffe, das ist mir gelungen.“

Ein winziges Lächeln stahl sich auf sein Gesicht, während er mit beiden Händen seinen Becher umfasste. „Ich habe mit einigen Frauen aus dieser Kontaktbörse Mails ausgetauscht. Aber das hier ist das erste Treffen, auf das ich mich eingelassen habe.“

Er stellte seinen Becher ab, stützte seine Ellenbogen auf den Tisch und legte sein Kinn in seine Hände. „Das erste und einzige. Beantwortet das deine Frage?“

Ungläubig sah Andy ihn an.

„Ernsthaft? Das ist dein erstes Internet-Date?“

„Ja. Es ist zwar nicht ganz so, wie ich es mir vorgestellt habe, aber es wird von Minute zu Minute besser.“

„Oh.“

Ich Dummkopf! Natürlich ist das sein erstes Internet-Date. Und zwar weil er es überhaupt nicht nötig hat, Frauen im Internet kennenzulernen.

Sie drehte einen Zipfel ihrer Bluse in den Fingern. „Mir haben deine Mails sehr gefallen und ich fand es spannend, was du von den vielen Reisen geschrieben hast. Ich vermute mal, das macht es schwer … äh … Frauen kennenzulernen.“

Ich sollte wirklich die Klappe halten!

Andy nahm ihre Gabel und pickte ein wenig verlegen in der Salatbeilage.

Er hüstelte. „Eigentlich nicht. Ich bin meist umgeben von schönen sportlichen Frauen. Das gehört zum Job.“ Dann hob er sein Kinn und lächelte. „Hatte ich erwähnt, dass wir uns auf Sportbekleidung spezialisiert haben? Unsere Bikinis sind sehr beliebt.“ Er gluckste leise. „Nein, ich habe viel weibliche Gesellschaft. Aber ich würde gerne auch mal eine Frau kennenlernen, die sich für mehr als nur für Surfbretter und Sonnencreme interessiert.“

Andy lehnte sich vor, dann blickte sie nach links und rechts, so, als wollte sie ganz sichergehen, dass niemand zuhörte.

„Du solltest übrigens noch etwas über mich wissen“, flüsterte sie gespielt verschwörerisch.

Er hob fragend seine Brauen.

„Ich bin furchtbar neugierig“, erklärte Andy mit vielsagendem Blick. „Und daher frage ich mich schon die ganze Zeit … warum? Warum will sich ein Mann wie du, an einem verregneten Tag wie heute, mit einer Unbekannten aus dem Internet treffen?“

„Nun, ich wollte die Frau kennenlernen, die diese Mails geschrieben hat. Die Frau, die ich in diesem Moment ansehe“, sagte er, nahm ihre Hand und hauchte einen kurzen Kuss auf ihre Knöchel. Dann ließ er sie wieder los und lächelte.

Andy war angenehm überrascht von seiner zärtlichen Berührung. Sie sahen einander an und die Luft schien plötzlich wie elektrisch aufgeladen zu sein.

Hilfe, dieser Mann bringt mich noch um den Verstand.

Dann beugte er sich vor und sagte in einem leisen Flüsterton: „Ich fürchte, ich muss dir auch noch etwas beichten. Mein Bruder Jason hat mich bei der Internet-Singlebörse angemeldet. Vermutlich weil er mein Gejammer nicht mehr ertragen konnte. Ich war nämlich ein wenig in Sorge, dass ich in London ganz allein bleiben würde.“

Er hob feierlich seine Tasse und schenkte ihr einen langen Blick. „Auf all die ersten Internet-Dates dieser Welt.“ Er trank einen Schluck Kaffee. „Vielleicht sollten wir Nummern austauschen?“

Ach, so ist das. Er ist wie ein Seemann, der in jedem Hafen eine andere Braut hat.

Doch dann zuckte es um Miles Mundwinkel verdächtig, und Andy fühlte eine seltsame Erleichterung in sich aufsteigen.

Puh, er hat nur einen Witz gemacht.

„Genau, auf all die ersten Internet-Dates dieser Welt. Cheers!“, erwiderte sie mit einem Kichern und hob ihre Kaffeetasse. „Auch wenn ich mich noch etwas frage.“

„Und das wäre?“

Andy legte ihren Kopf schräg und sah ihn an. „Darf ich auch noch deine Kekse essen?“

Miles brach in schallendes Gelächter aus. Es war ein ansteckendes und echtes Lachen, das aus seinem tiefsten Inneren zu kommen schien. Ein Lachen, das seinen ganzen Körper zum Beben brachte. Und zum ersten Mal nach langer Zeit konnte auch Andy wieder lachen. Sie lachte, bis sie nicht mehr konnte und ihre schmerzenden Bauchmuskeln halten musste.

Sie hatte in ihrem ganzen Leben noch nicht so gelacht. Und es war wundervoll, auch wenn die Leute an den Nebentischen schon zu ihnen herüberschauten.

Nigel wäre das bestimmt schrecklich unangenehm gewesen, wenn sie sich in seiner Gegenwart so in der Öffentlichkeit aufgeführt hätte.

Nigel. Andy fühlte sich bei dem Gedanken an ihn, als hätte ihr jemand einen Eimer mit kaltem Wasser über den Kopf geschüttet.

Halt. Sie war nicht hier, um zu lachen und zu flirten. Egal, wie gut Miles ihr auch tat. Sie war einfach noch nicht so weit.

Oder vielleicht doch? Andys Blick wanderte über seine muskulösen braungebrannten Arme, und sie musste tief durchatmen.

Männer wie Miles standen normalerweise am Steuer eines großen Schiffes, fuhren irgendwelche gefährlichen Skipisten herunter, oder durchlebten sonst irgendwelche Abenteuer. Und aus diesem Grund wäre er auch definitiv nicht der richtige Mann für Elise gewesen.

Es war jedenfalls höchste Zeit, die Segel zu streichen und dieser ganzen Scharade ein Ende zu bereiten.

Andy rang sich ein Lächeln ab und wollte sich gerade entschuldigen und gehen, als plötzlich zwei ehemalige Kolleginnen aus Nigels Büro den Coffeeshop betraten. Das Büro, das sie vor sechs Wochen in Tränen aufgelöst verlassen hatte.

Andys Lächeln gefror zu Stein, als die beiden zu ihnen an den Tisch traten.

„Hallo Andy“, sagte die eine von ihnen mit zuckersüßer Stimme und blickte von Andy zu Miles und wieder zurück. „Wie schön, dich mal wiederzusehen. Ich habe gehört, dass du einen neuen Job gefunden hast.“

„Richtig“, erwiderte Andy knapp, in der Hoffnung, nicht weiter in ein Gespräch verwickelt zu werden. „Und … was macht ihr so?“

„Wir wollen noch ins Kino“, sagte die andere.

„Nun, dann viel Spaß im Kino“, erwiderte Andy und hob zum Abschied kurz die Hand.

Sichtlich enttäuscht darüber, nicht Andys mysteriösem Date vorgestellt worden zu sein, zogen die beiden ab und setzten sich an einen freien Tisch auf der anderen Seite des Raums. Andy war sich sicher, dass die beiden über sie redeten.

Denn wer hätte nach der herben Enttäuschung mit Nigel schon gedacht, dass sich Andy Davies so schnell wieder mit einem Mann treffen würde? Und dann auch noch mit so einem Prachtkerl.

So wie Andy die beiden einschätzte, würde es keine fünf Minuten dauern, bis es das ganze Büro wusste. Vermutlich tippte eine von ihnen gerade eine SMS an alle.

„Freundinnen von dir?“, drang eine männliche Stimme zu ihr durch.

Sie blinzelte Miles an, der sie lächelnd ansah.

„Nein, nur ehemalige Kolleginnen. Wir sind nicht befreundet. Eher im Gegenteil.“

Huch, warum habe ich das jetzt gesagt?

Es war ja nicht die Schuld ihrer Kolleginnen gewesen, dass sie Nigel all seine Lügen geglaubt hatte. Wochenlang hatte sie für ihn an seinem Projekt gearbeitet. Und all das nur, weil er ihr versprochen hatte, danach Zeit für sie und eine Beziehung zu haben. Was er ihr dabei nicht gesagt hatte, war, dass er bereits mit der Tochter des Chefs zusammen war. Alle im Büro hatten davon gewusst. Nur sie nicht. Und schließlich hatte Nigel die Lorbeeren für ihre harte Arbeit geerntet und sie noch am Tag seiner Beförderung vor versammelter Belegschaft fallen gelassen. Noch nie zuvor hatte sie ein Mensch so sehr enttäuscht und gedemütigt.

Bei dem Gedanken daran durchlief Andy ein Frösteln.

„Ich verstehe“, sagte Miles. „Mir wurde schon erzählt, dass Kolleginnen untereinander schwierig sein können. Tut mir leid, falls die beiden sich jetzt meinetwegen das Maul zerreißen.“

Andy seufzte. „Ach, wenn du wüsstest …“, erwiderte sie. Doch dann bemerkte sie die Spur von Sorge in seinen dunklen Augen. „Tut mir leid. Alles gut. Versuchen wir sie einfach zu ignorieren.“ Kopfschüttelnd fuhr sie sich mit den Fingern durchs Haar.

Er stützte seine Ellenbogen auf den Tisch und lehnte sich so weit zu ihr vor, dass niemand hören konnte, was er ihr leise sagte. „Es geht mich natürlich überhaupt nichts an. Aber es gibt zwei Wege, um mit dieser Situation umzugehen. Also, entweder du sagst dir, egal, was soll’s, oder …“ Er nahm sanft ihre Hand und begann zärtlich mit ihren Fingern zu spielen.

„He, was tust du da?“, flüsterte Andy überrascht und wollte aus einem ersten Impuls heraus ihre Hand wegziehen. Doch er hielt sie fest. „Miles, bitte“, zischte sie. „Sie gucken und machen heimlich Fotos mit ihren Handys.“

„Perfekt“, erwiderte er mit ruhiger Stimme. „Dann sollten wir ihnen jetzt etwas bieten, über das sie wirklich reden können.“

Und dann, ganz ohne Vorwarnung, beugte er sich noch weiter vor, zog mit einer Hand ihren Kopf zu sich – und küsste sie.

Und das war kein kleiner Kuss auf die Wange. Oh nein! Seine vollen Lippen liebkosten sie so zärtlich, dass Andy davon völlig überwältig war und die Tränen wegblinzeln musste, die ihr in die Augen stiegen. Sein Kuss wurde immer intensiver, bis er sich schließlich wieder von ihr löste.

Wow!

Andy öffnete ihre Augen und sah ihn sprachlos an.

„Andy?“, fragte er leise und ein wenig außer Atem.

„Ja?“ Ihre Stimme war nicht mehr als ein Hauch.

Wahnsinn, Miles hat mich gerade geküsst, und er hat mich Andy genannt. Er kennt meinen richtigen Namen!

„Glaubst du, wir haben den beiden ausreichend Stoff für den morgigen Büroklatsch geliefert?“

„Ja, ganz bestimmt.“, erwiderte Andy und warf einen kurzen Blick zu ihren ehemaligen Kolleginnen hinüber, die aufgeregt in ihre Handys tippten.

Dann griff sie nach ihrer Handtasche, schob den Stuhl zurück und stand auf. „Ich bin gleich wieder da. Zu viel Kaffee“, entschuldigte sie sich. Doch in Wirklichkeit musste sie nur ganz schnell alleine sein, um in aller Ruhe nachdenken zu können.

„Ja, bis gleich“, sagte Miles und sah ihr nach.

Auf der Damentoilette angekommen betrat Andy eine der Kabinen und schloss die Tür hinter sich. Nachdenklich kaute sie auf ihren Fingernägeln. Dann holte sie ihren praktischen Organizer aus ihrer Tasche und notierte folgenden Sechs-Punkte-Plan in das kleine mobile Gerät:

1. Mich bei Miles für sein Verständnis bedanken und beten, dass er genügend Geld bei sich hat, um die Rechnung zu bezahlen.

2. Mich bei Miles für den angenehmen Kuss bedanken. Nein, besser für den sehr angenehmen Kuss.

3. Möglichst ungesehen von den beiden Exkolleginnen den Coffeeshop verlassen. Oder doch besser mit hoch erhobenem Haupt?

4. Saffie wohl oder übel von dem Kuss Bericht erstatten. Hm, was sie wohl davon hält?

5. Die Tatsache ignorieren, dass Miles der wohl attraktivste Mann der Welt ist.

6. Mich damit abfinden, dass dieser Kuss eine einmalige Sache bleibt.

Andy klappte ihren Organizer wieder zu und steckte ihn zurück in ihre Handtasche. Dann riss sie ein Stück Toilettenpapier ab und putzte sich geräuschvoll die Nase.

Eine Sache war sicher: Sie würde nichts tun, was sie später bereuen könnte. Andy verließ die Kabine und ging zu einem der Waschbecken hinüber. Im Spiegel darüber blickte ihr eine mittelgroße, mittelhübsche junge Frau mit mittelbraunem Haar entgegen. Andy seufzte.

Warum hatte sie nur zugelassen, sich von einem Mann wie Miles küssen zu lassen?

Nein, sie fühlte sich dem nicht gewachsen. Und sie wusste auch nicht, ob das je der Fall sein würde. Höchste Zeit, nach Hause zu gehen.

3. KAPITEL

Miles sah Andy beim Durchqueren des Coffeeshops hinterher.

Und ihm gefiel, was er dabei sah.

Ihre hochhackigen Stiefeletten brachten ihre wohlgeformten Beine perfekt zur Geltung. Und nicht einmal ihr graues Business-Kostüm konnte die Tatsache verbergen, dass Andy einen Körper hatte, der auch im Bikini eine großartige Figur machen würde.

Von welchem Namen Andy wohl die Kurzform war? Andrea? Vielleicht würde er es ja noch herausfinden.

Falls sie mich lässt.

Miles trank seinen Kaffee aus. Bis jetzt hatte er sich meist auf seinen guten alten Charme verlassen können, doch jetzt beschlich ihn der leise Verdacht, dass Andy sich vielleicht durch irgendeine Hintertür davonmachen wollte.

Und er würde es ihr nicht einmal übel nehmen. Ihm war es ja vorhin genauso gegangen. Denn als sie ihm gestanden hatte, dass sie anstelle ihrer Chefin gekommen war, da war er ganz kurz davor gewesen, einfach aufzustehen und zu gehen.

Kein Wunder, nach der Geschichte mit Lori.

Aber dann hatte sich herausgestellt, dass Andy ihm die Mails geschrieben hatte. Und nur diese Mails waren es gewesen, die ihm diese letzte Woche, in der er von einem Arzt zum nächsten gerannt war, halbwegs erträglich gemacht hatte.

Nun gut, Jason hatte ihn ja gewarnt, dass #Großstadtmädchen möglicherweise nicht so sein würde, wie er sie sich vorgestellt hatte – und er hatte recht gehabt.

Sie übertraf seine Vorstellung bei weitem.

Es brauchte Mut, herzukommen und sich persönlich zu entschuldigen. Mut und ein Herz am rechten Fleck.

Und in einer Sache war er sich ganz sicher, denn sein Bauchgefühl hatte ihn noch nie betrogen: Andy hatte ihm die Wahrheit gesagt. Sie spielte kein falsches Spiel mit ihm. Sie hatte ja nicht einmal versucht, wie die Frau auf dem Onlineprofil auszusehen.

Natürlich konnte er auch falsch liegen. Lori hatte ihm das hinreichend bewiesen. Und warum, um alles in der Welt, hatte Andy nur zugestimmt, private Mails für ihre Chefin zu schreiben? Diese junge Frau hatte sicherlich noch einiges mehr zu erzählen – und er würde es gerne hören.

Und vielleicht würde sie ihm sogar die nötige Ablenkung verschaffen, um die Veranstaltung am kommenden Samstag zu überstehen!

Er spähte in Richtung der Damentoiletten. Sie war nach dem Kuss ziemlich überstürzt verschwunden. Vielleicht war ihr das doch zu schnell gegangen? Möglicherweise versteckte sie sich vor ihm, weil sie befürchtete, er wäre einer von diesen Lustmolchen, von denen manchmal etwas in der Zeitung stand.

Jason wird ausflippen, wenn ich ihm davon erzähle.

Miles nahm sein Smartphone zur Hand und überprüfte seinen Posteingang. Sein Bruder hatte ihm einen Link zu einem Artikel geschickt. Ein Londoner Magazin hatte eine Liste der zehn reichsten Junggesellen der Stadt gedruckt. Und da war er – Jason Gibson von Cory Sports.

Sein Zwillingsbruder, der ihm zum Verwechseln ähnlich sah.

Der Fotograf musste Jason in ihrem gemeinsamen Londoner Büro besucht haben, denn er trug seine gewohnte Business-Kleidung. Ein langärmliges schwarzes Hemd mit Diamant-Manschettenknöpfen in Form eines Surfbrettes und dazu eine schwarze Anzughose. Auf seinem Gesicht lag ein entspanntes Lächeln.

Miles schmunzelte in Erinnerung an vergangene Tage. Obwohl sie in so vielen Dingen völlig unterschiedlich waren, hatte es mal eine Zeit gegeben, in der es sogar ihren Eltern schwergefallen war, sie beide zu unterscheiden.

Seit sich Miles seine durchtrainierte Sportlerstatur zugelegt hatte, war die Unterscheidung kein Problem mehr, denn im Gegensatz zu ihm hatte sein Bruder seine jungenhafte Figur immer beibehalten.

Miles dachte an ihre gemeinsame Schulzeit zurück und an die vielen Streiche, die sie ihren Lehrern gespielt hatten.

Einmal hatte er ein Mädchen zu einem Motorbootausflug mitgenommen, als ihm plötzlich das Benzin ausgegangen war. Stundenlang hatte er zurück an Land paddeln müssen, was nicht besonders romantisch gewesen war. Doch ein einziger Anruf bei seinem Bruder hatte genügt, und Jason hatte an seiner Stelle den Test für ihn geschrieben, zu dem er unmöglich mehr hatte pünktlich erscheinen können. Keiner der Lehrer hatte den Schwindel bemerkt. Doch das wirklich Bemerkenswerte an dieser Geschichte war, dass er für Jasons Test auch noch eine Eins mit Sternchen bekommen hatte. Und das, obwohl sein Bruder völlig unvorbereitet in die Prüfung gegangen war.

Aber so war es schon immer gewesen. Jason war der schlaue Kopf und Miles der talentierte Sportler und Macher.

Sie ergänzten sich perfekt, und das war großartig. Unsinn – es war noch viel besser als großartig. Die Gibson Zwillinge waren heute die Stars der Surfszene und Cory Sports wurde immer erfolgreicher.

Miles atmete tief durch und korrigierte sich in Gedanken. Ja, alles war großartig – vor dem Unfall.

Und nun war er wieder zurück in London, um der Sportswelt vorzugaukeln, dass bei Cory Sports alles noch so lief wie gehabt.

Wenn das doch nur so wäre.

Oh, er wusste, was sich die Sportjournalisten für Fragen stellten. Jason war ein gewiefter Geschäftsmann, aber was war mit seinem Zwillingsbruder? Was tat Miles noch in der Firma, außer wieder laufen zu lernen? Seine Sportkarriere war zu Ende. Wie sollte es für ihn weitergehen? Das waren alles gute Fragen. Zu dumm nur, dass er darauf selbst keine Antworten wusste. Zumindest noch nicht. Aber er würde sie finden. Er musste.

Miles setzte sich aufrechter hin. Ich sollte mich mehr auf die Dinge konzentrieren, die ich noch in der Hand habe, dachte er. Dann schrieb er seinem Bruder einen kurzen Kommentar zu seinem Jungesellen-Foto.

Schicker Haarschnitt, Jason. Damit rennen dir die Frauen bestimmt die Bude ein!

Die Wahrheit sah jedoch anders aus. Jason war zwar ein brillanter Kopf, aber wenn es um Frauen ging, war er ein hoffnungsloser Fall. Und das war noch milde ausgedrückt.

Sein Bruder zog Frauen an, die entweder kostenlos an die heiß begehrten Bikinis von Cory Sports kommen wollten, oder die in ihm den Computerfreak sahen, der in seiner Freizeit nichts Besseres zu tun hatte, als ihnen bei irgendwelchen Computerproblemen zu helfen. Sobald sie rausfanden, dass Jason überhaupt keine Freizeit hatte, ließen sie ihn fallen wie eine heiße Kartoffel. Und dann gab es noch die, die ausschließlich auf sein Geld aus waren. Das waren die Schlimmsten, das wusste Miles aus eigener leidvoller Erfahrung.

Er war drei Jahre mit Lori zusammen gewesen, und in der ganzen Zeit war ihm kein einziges Mal in den Sinn gekommen, dass sie ein falsches Spiel mit ihm treiben könnte. Gutgläubig hatte er angenommen, dass sie sich von ihm als Mensch angezogen fühlte, dabei war es in Wirklichkeit nur sein karriereförderlicher Status gewesen.

Dann hatte er den Unfall. Und danach war er für sie nicht mehr von Nutzen gewesen. Sofort hatte sie sich den nächsten Spitzensportler geangelt. Dieser hatte ihr schließlich sogar zu einer eigenen TV-Show verholfen, womit ihr Plan aufgegangen war, selbst Berühmtheit zu erlangen.

Und nun war er zu dieser großen Veranstaltung eingeladen worden, bei der am nächsten Samstag die Auszeichnung zum Sportler des Jahres verliehen werden sollte. Auch Lori würde dort sein. Umso wichtiger war es daher für Miles, sich dort gesund und von seiner besten Seite zu präsentieren. Und dazu gehörte selbstverständlich auch eine neue Frau an seinem Arm.

Auf zwei Beinen konnte er inzwischen schon wieder stehen. Jetzt fehlte nur noch die passende Begleitung. Aber es musste die Richtige sein. Nicht wieder so ein Unterwäsche-Model wie Lori.

Nein, bloß nicht. Er wollte auch keine neue Partnerin. Er brauchte für diesen einen Abend eine unabhängige Frau mit Esprit und Charisma. Eine Frau, mit deren Hilfe er der Sportwelt zeigen konnte, dass ein Miles Gibson sich selbst von einem Autounfall nicht aufhalten ließ.

Vielleicht war es ein Fehler gewesen, dass er Jason von diesem Plan erzählt hatte? Denn er hätte nie gedacht, dass sein Bruder ihn daraufhin gleich bei einer Singlebörse im Internet anmelden würde. Doch Jason hatte es getan. Und er hatte sogar Erfolg damit, denn diese Andy war toll. Interessant. Charmant. Lustig.

Und sie hatte es sogar für wert gehalten, an einem kalten verregneten Novemberabend herzukommen, obwohl sie eine unschöne Wahrheit zu überbringen hatte.

Alles was er jetzt noch tun musste, war, seinen Charme spielen zu lassen und sie zu überreden, mit auf diese Veranstaltung zu kommen. Fertig.

In diesem Moment kam Andy zurück. Sie rauschte an ihm vorbei zu ihrem Stuhl, griff nach ihrem blauen Regenmantel, schlüpfte hinein und schwang sich ihre Handtasche über die Schulter. Er wollte gerade etwas sagen, doch als sie sich zu ihm umdrehte, blieben ihm die Worte im Hals stecken. Sie wirkte innerlich aufgewühlt und ihr Gesicht war so weiß wie die Wand.

Etwa meinetwegen? So ein Mist!

Diese ehemaligen Kolleginnen musste ihr schwer zugesetzt haben. Andy zu küssen, nur um Eindruck zu schinden, war also offensichtlich ein Fehler gewesen. Und dabei hatte es sich so gut angefühlt.

„Es war wirklich schön, dich kennenzulernen, aber ich muss jetzt dringend los. Ich habe noch ziemlich viel Arbeit zu erledigen. Vielen Dank für das Essen und den Kaffee, und viel Glück bei der weiteren Suche.“ Sie nickte ihm kurz zu und verschwand dann in Richtung Tür.

„Hey, warte mal“, rief er ihr gedämpft hinterher, um keine weitere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Doch schon war sie zur Tür hinaus.

Miles stand auf, um ihr zu folgen. Doch augenblicklich schoss ein heftiger Schmerz durch sein rechtes Bein und hinderte ihn daran. Verflixt! dachte er. Jetzt macht auch noch mein Bein Probleme. Reichte es denn nicht, dass er soeben sein einziges Internet-Date vertrieben hatte?

Doch dann erspähte er plötzlich etwas Rosafarbenes mit Blümchen in Form eines Schirms auf dem Boden.

Saffies Haus lag in kompletter Dunkelheit, als Andy bei ungemütlichem Schneeregen das Grundstück betrat und kurz darauf die Eingangstür aufschloss. Von drinnen schlug ihr eine angenehme Wärme entgegen, die ihre verfrorenen Wangen sofort zum Kribbeln brachte.

Sie war schon auf halbem Weg zur Bushaltestelle gewesen, als ihr aufgefallen war, dass sie ihren Schirm im Coffeeshop vergessen hatte. Doch sie hatte keine Lust gehabt, deshalb wieder umzukehren. Und ebenso wenig Lust hatte sie gehabt, auf den nächsten Bus zu warten. Deshalb war sie zu Fuß gegangen. Nein, sie wollte nie wieder auf irgendetwas warten. Das hatte Andy während der letzten 28 Jahren ihres Lebens genug getan. Sie hatte auf die Aufmerksamkeit ihrer Eltern gewartet. Sie hatte auf eine Erklärung gewartet, warum sie plötzlich aus ihrem großen Haus in das kleine Apartment ihrer Großeltern ziehen mussten. Sie hatte darauf gewartet, dass ihre Eltern endlich damit aufhörten, ihr zu sagen, wie glücklich sie sein konnte, auf eine Privatschule gehen zu dürfen – die auch noch ihre letzten Ersparnisse verschlungen hatte. Und sie hatte darauf gewartet, von den reichen Mitschülern auch ohne Geld akzeptiert zu werden. Saffie und ein paar enge Freunde hatten zu ihr gehalten. Doch andere, wie Elise, hatten sich innerhalb weniger Tage von ihr abgewendet.

Auch auf Nigel hatte sie gewartet. Gleich nach der Beendigung seines Projekts hätte er Zeit für eine Beziehung, hatte er ihr versprochen. Und sie war so naiv gewesen, daran zu glauben.

Aber das war nun vorbei.

Trotzdem hatte ihr das Treffen mit #Sportsfreund umso deutlicher vor Augen geführt, dass sie etwas in ihrem Leben vermisste. Wie bedauerlich, dass dies kein richtiges Date gewesen war, dachte sie betrübt.

Andy zog die nassen Schuhe aus und schlüpfte aus ihrem Regenmantel. Dann stieg sie die knarrenden Stufen der Holztreppe hinauf. Ein Geräusch, das ihr ebenso vertraut war wie das Ticken der großen Standuhr in der Eingangshalle und das leise Knacken der Heizungsrohre.

Als Saffie sie gefragt hatte, ob sie Lust hätte, mit in das große Haus einzuziehen, war Andy vor Freude in die Luft gesprungen.

Aber das war nun zwei Jahre her. Jetzt war Saffie weit weg in Paris.

Andy sah zu den hübschen Buntglasfenstern am oberen Treppenabsatz hinauf. Im Sommer war dieses Haus ein von Licht durchfluteter Ort. Magisch und voller Leben.

Doch jetzt war alles düster und voller Schatten, und nur der eisige Novemberwind pfiff unheimlich um das Haus. Und plötzlich begannen die Stille und die Einsamkeit so schwer auf Andy zu lasten, dass sie sich wie erdrückt auf eine der Treppenstufen setzte. Mit gesenktem Kopf saß sie einfach da und lauschte traurig ihrem eigenem Atem.

Sie vermisste Saffie. Aber sie war auch unendlich stolz auf ihre Freundin, die ihr Ziel, Spitzenköchin zu werden, mit so viel Engagement und Begeisterung in die Tat umsetzte. Und das, obwohl ihre Eltern so gehofft hatten, ihre Tochter würde Jura studieren.

Saffie hatte ihr immer zur Seite gestanden, auch in der schweren Zeit, als die Bank von Andys Vater beim großen Börsencrash pleite gegangen war.

Und wieder musste sie an Nigel denken.

Es war die richtige Entscheidung gewesen, ihren alten Bürojob zu kündigen, nachdem sie erfahren hatte, dass Nigel bereits eine Freundin hatte. Und zwar nicht nur irgendeine. Sondern die Tochter des Chefs.

Das Schlimmste an der ganzen Sache war jedoch gewesen, dass sie ihm so viel wertvolle Zeit geopfert hatte. Zeit, die sie so dringend für ihr eigenes Weiterkommen als Illustratorin benötigt hätte.

Mit einem Mann wie Miles wäre mir so etwas vermutlich nicht passiert, dachte Andy.

Lektion gelernt. Nie wieder warten. Nichts auf später schieben.

Andy griff nach dem Treppengeländer und wollte gerade aufstehen, als ihr Handy in ihrer Handtasche klingelte.

Saffie!

Mit fliegenden Fingern holte sie ihr Handy hervor. Doch es war nicht ihre Freundin, sondern eine Mail.

Ein Frösteln durchfuhr sie. Was, wenn die Mail von Nigel war? Sie getraute sich kaum, genauer hinzuschauen. Doch dann erkannte sie, dass ihr #Sportsfreund eine Nachricht geschrieben hatte, und Andys Herz machte einen kleinen Sprung.

Von: #Sportsfreund

An: #Großstadtmädchen

Hallo Andy!

Hoffentlich bist du noch halbwegs trocken durch den Regen gekommen und arbeitest nicht zu viel. Ich möchte mich bei dir für mein Benehmen vorhin entschuldigen. Mein Kuss war weder besonders taktvoll noch angebracht.

Nachdem du gegangen bist, habe ich übrigens einen rosa geblümten Regenschirm gefunden, der vermutlich dir gehört. Falls ich darf, würde ich dich gerne wiedertreffen und dir dein Eigentum zurückgeben.

In einer deiner Mails, hast du erwähnt, dass du gerne Tapas isst, und ich weiß zufällig von einem spanischen Restaurant, das gerade ganz neu in Soho eröffnet hat.

Wie wäre es mit Abendessen? Donnerstagabend. 19:30 Uhr.

Ich würde mich sehr freuen!

Miles

Ungläubig starrte Andy auf den erleuchteten Bildschirm ihres Handys, während in ihrem Kopf ein wildes Durcheinander herrschte.

Sie legte ihr Handy neben sich auf die Stufen und rieb sich mit geschlossenen Augen die Schläfen.

Und plötzlich wurde ihr eines klar. Miles hatte ihretwegen Schuldgefühle. Nur deswegen lud er sie ein. Was sollte es auch für einen anderen Grund geben? Er war gar nicht an ihr interessiert. Zumindest nicht ernsthaft.

Mit fliegenden Fingern tippte sie eine Antwort.

Von: #Großstadtmädchen

An: #Sportsfreund

Hallo Miles!

Vielen Dank für deine Nachricht. Aber es gibt nichts, für das du dich entschuldigen müsstest. Es ist alles okay. Abendessen klingt wundervoll, und ich freue mich über deine nette Einladung. Doch ich glaube, es ist keine gute Idee, wenn wir uns wiedersehen. Ich hoffe, du hast noch eine schöne Zeit in London.

Den Schirm darfst du gerne behalten. Ich denke, er steht dir besser als mir ;-)

Andy

Ihre Finger drückten auf Senden.

Fertig.

Andy stand auf und atmete tief durch. So, Zeit Saffies Goldfisch zu füttern. Und Zeit, um sich von #Sportsfreunds Kuss zu erholen, der ihre Welt für einen kleinen Moment heller gemacht hatte.

4. KAPITEL

Von: Saffie <saffie.saffron@meisterkoechin.com>

An: Andromeda <andromeda.davies@sekretariat.com>

Betreff: Momente des Wahnsinns

Hey Süße!

Danke, dass du mich auf dem Laufenden hältst. Das mit Miles sind ja tolle Neuigkeiten. Aber ich glaube, wir sollten uns mal ernsthaft unterhalten, denn ich kann kaum glauben, dass du diesem Traummann einen Korb gegeben hast.

Also, hier kommt eine großartige Idee. Sag ihm, dass du deine Meinung geändert hast und dass er dich liebend gerne zum Essen ausführen darf. Und danach geht ihr noch das Tanzbein schwingen. (Ich will natürlich Fotos sehen.)

Vertrau mir, Andy, das ist genau das Richtige, um über Liebeskummer hinwegzukommen. Also, schieb die Vernunft beiseite, leih dir irgendeinen Fummel aus meiner Garderobe, brezel dich auf und hab Spaß!!!

Nicht, dass du noch an deinem Zeichentisch festwächst.

So, jetzt muss ich aber los. Sonst komm ich noch in Teufels Küche.

Saffie

PS: Andy, ich meine es ernst. Leg sofort den Stift hin!

Miles fuhr keuchend im Bett hoch und tastete in der Dunkelheit nach einem Lichtschalter. Er blinzelte ein paar Mal, bis sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten. Doch sein Herz raste noch immer.

Schon wieder dieser furchtbare Traum.

Miles blickte sich um.

Wo bin ich? Los, konzentrier dich!

Das Cory Sports Gebäude. Ganz oben, in Jasons Penthouse. Richtig, er war in London. Und überdies in einem viel zu weißen Schlafzimmer, das ihn automatisch an all die sterilen Krankenhauszimmer denken ließ, in denen er die letzten elf Monate verbracht hatte. Nur der typische Klinikgeruch fehlte.

Luft! Ich brauche sofort frische Luft. Bewegung. Geräusche. Farben. Leben.

Fahles Dämmerlicht drang durch die halb geschlossenen Jalousien und kündigte einen neuen Herbstmorgen an.

Der Wecker zeigte ihm, dass er keine sechs Stunden geschlafen hatte. Trotzdem schwang Miles die Beine aus dem Bett, um aufzustehen. Seinem Knie gefiel dieses Vorhaben offensichtlich wenig, denn es streikte. Ganz vorsichtig streckte Miles sein rechtes Bein vor sich aus. Doch der Schmerz war zu groß, um es weiter zu belasten, und so blieb er frustriert auf der Bettkante sitzen.

Viel schlimmer als die Schmerzen waren jedoch die schrecklichen Erinnerungen, die ihn bis in seine Träume verfolgten.

Ob das jemals aufhören wird? fragte er sich.

Noch immer konnte er die Stimmen hören.

Hast du schon gehört, dass Miles Gibson einen Autounfall hatte? Armer Kerl. Er wird nie wieder auf einem Surfbrett stehen können. Es muss echt hart sein, von einem Tag auf den anderen die ganze Karriere begraben zu müssen.

Aber damit hatten sie alle falschgelegen. Und er wollte der Welt zeigen, wie falsch. Immer und immer wieder, bis diese Botschaft auch beim Letzten angekommen war. Denn schon bald würde Miles Gibson zurück sein. Und zwar in absoluter Topform.

Die größte Stärke von Cory Sports war, dass ein Weltklasse-Surfer mit an der Spitze des Familienunternehmens stand. Sein Bruder und er waren ein erstklassiges Team. Aber dies waren schwere Zeiten und die Konkurrenz war hart. Seine Familie hatte seine Sportkarriere immer unterstützt. Nun würde er sie nicht enttäuschen. Egal, was es ihn kosten würde.

Los, kämpfe! Erkämpfe dir dein Leben zurück!

Miles rieb sich sein Knie, um die Durchblutung anzuregen. Er hatte fast die ganze letzte Woche damit verbracht, verschiedene Fachärzte aufzusuchen. Doch alle hatten ihm dasselbe gesagt, nämlich dass er keine Wunder erwarten dürfte.

Der alte Sportwagen, mit dem er den Unfall hatte, war noch ohne moderne Sicherheitsstandards ausgerüstet gewesen. Kein Airbag. Kein schützender Überrollbügel. Nichts, das die Wucht des Aufpralls hätte mindern können.

Und so war er schwer verletzt mit unzähligen Knochenbrüchen ins Krankenhaus eingeliefert worden. Doch die Ärzte hatten ganze Arbeit geleistet und ihn in mehreren langen Operationen wieder zusammengeflickt. Nur für sein rechtes Knie hatten sie ihm von Anfang an wenig Hoffnung gemacht. Damit war das Ende seiner Sportkarriere besiegelt gewesen.

Und er hasste es, wie er noch nie zuvor etwas in seinem Leben gehasst hatte.

Doch das größte Problem war, dass Miles sein Knie nicht nur zum Surfen brauchte, sondern für jede Art von Bewegung. Auf gar keinen Fall wollte er wieder in den Rollstuhl. Alles, nur das nicht.

In diesem Moment betrat Jason den Raum und riss ihn aus seinen Gedanken.

„Ich hab dich schreien gehört. Wieder der alte Traum?“

„Ja. Tut mir leid“, erwiderte Miles. „Ich wollte dich nicht wecken.“

Jason warf sich schwungvoll aufs Bett und schob sich ein Kissen unter den Kopf. „Kein Problem“, sagte er und gähnte. „Ich muss sowieso früh aufstehen. Die neue Aushilfe hat es nämlich gestern irgendwie geschafft, unsere gesamten Bestellungen durcheinanderzubringen. Das wird viel Arbeit, das alles wieder in Ordnung zu bringen. Und – was hast du heute vor? Physiotherapie?“

Miles seufzte und schüttelte den Kopf. „Nein, heute nicht. Aber ich muss hier trotzdem raus, sonst fällt mir noch die Decke auf den Kopf. Sehnst du dich denn nie nach frischer Luft und dem Strand? Nein?“ Miles sah sich im Raum um und zuckte mit den Schultern. „Nichts gegen dein Apartment, Jason. Es ist wirklich schön. Aber ich finde, du hättest hier ruhig noch ein bisschen mehr Farbe reinbringen können. Und wenn ich aus dem Fenster gucke, dann sehe ich nur den grauen Londoner Himmel. Selbst die Leute hier sind irgendwie grau und alle so stocksteif.“ Doch plötzlich musste er an Andy denken, und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Zumindest fast alle“, relativierte er seinen Satz. „Dabei fällt mir ein, es gibt doch noch etwas zu erledigen. Du kannst dieser Internet-Singlebörse schreiben, dass die Dame ein Volltreffer war, sie sich aber doch gegen mich entschieden hat.“

„Oh, nein!“, stöhnte Jason. „Muss ich einen Anwalt anrufen? Was hast du dieses Mal gemacht?“

„Entspann dich, Bruderherz. Ich habe nichts Schlimmes gemacht.“

Kopfschüttelnd sah Jason ihn an. „Ja, das hatte ich befürchtet. Also, rück schon raus. War sie unattraktiv, langweilig, verzweifelt – oder nur auf einen reichen Mann aus?“

Miles dachte an das Treffen zurück, vor allem an den Teil, als Andy ihm offenbart hatte, dass sie spontan für ihre Chefin eingesprungen war.

„Nein, nichts von alledem. Im Gegenteil. Andy ist ganz wunderbar. Doch ich muss gestehen, dass es mich nicht wirklich überrascht, dass sie mich nicht wiedersehen will. Ich habe eventuell … äh … also möglicherweise war ich …“

„Los, spuck es endlich aus. Ich hoffe nur, du hast dich bei diesem Treffen nicht halb ausgezogen, um sie mit deinen tollen Muskeln und Tätowierungen zu beeindrucken.“

„Nein, viel schlimmer. Ich habe sie vor zwei ihrer ehemaligen Kolleginnen in Verlegenheit gebracht. Und bevor ich mich bei ihr dafür entschuldigen konnte, ist sie einfach weggelaufen. Es könnten auch Fotos gemacht worden sein.“

Jason rollte die Augen. „Unglaublich. Dabei dachte ich immer, du bist der Frauenheld von uns in der Familie. Nun gut, unsere Presseabteilung wird sich darum kümmern, falls irgendwo ein Foto auftauchen sollte. Wie sieht diese Andy denn aus?“

Vor Miles innerem Auge erschien wieder diese junge hübsche Frau mit den hohen Wangenknochen, dem seidig braunen Haar, den herrlich vollen Lippen und der Vorliebe für Schinkensandwiches mit Käse. Bei dem letzten Gedanken musste er unwillkürlich schmunzeln.

„Braunes Haar. Grüne Augen. Zierliche Figur. Angenehm unkompliziert. Dreht nicht gleich durch, wenn sie sich mit Essen bekleckert. Kennt sich mit Erster Hilfe aus. Schöne Hände. Und sie isst gerne Käse.“

„Hände. Zierlich. Käse. Schon verstanden“, sagte Jason, stand vom Bett auf und putzte seine Brillengläser an seinem T-Shirt. „Du magst Andy. Und versuch jetzt nicht, es zu bestreiten. Ich kenne dich ja nicht erst seit gestern. Denn normalerweise ist das Einzige, das dich bei einer Frau interessiert, wie sie im Bikini aussieht. Oder besser noch ohne.“

„Hey, das stimmt doch gar nicht.“ Miles hob protestierend die Arme. „Und außerdem warst du es doch, der mich zu dieser Sache überredet hat. Alles was ich brauche, ist eine Begleitung für den kommenden Samstag. Und falls du es nicht bemerkt hast, mehr will ich auch gar nicht.“

„Aber warum eigentlich nicht? Okay, Lori hat dich wahrlich zum schlimmstmöglichen Zeitpunkt verlassen. Aber das ist doch nun schon Monate her. Du bist längst wieder auf den Beinen. Und außerdem, wer hat mir denn die ganze Zeit die Ohren damit vollgeheult, dass er für diese Veranstaltung kein Date findet? Das warst ja wohl du. Also gib jetzt nicht mir die Schuld dafür, dass ich die Initiative ergriffen habe.“

Miles schüttelte den Kopf. „Nun, dann wird meine Initiative darin bestehen, nach dieser verdammten Show sofort abzureisen. Ich hab genug von dieser grauen Stadt! Und in nicht mal acht Wochen beginnt schon die Cory Sports Tournee durch Australien. Endlich wieder Sonne, Wellen, Strand. Ich kann es kaum abwarten!“

Heute konnte Andy nichts aus der Ruhe bringen. Nicht einmal der rücksichtslose Fahrradkurier, der mit halsbrecherischer Geschwindigkeit haarscharf auf dem Bürgersteig an ihr vorbeiraste, nur um eine rote Ampel zu umfahren.

Denn heute war ihr großer Tag. Der Tag, an dem sie dem Inhaber des Museumsshops ihre selbstentworfenen Weihnachtskarten zeigen würde. Es gab so viele schöne Karten, aber ihre waren etwas ganz Besonders! Sie waren handgezeichnet, mit viel Liebe zum Detail – inspiriert von den wunderbaren Buchmalereien aus dem Handschriftensaal des Museums. Ja, sie war wirklich stolz auf ihre Arbeit.

Und obendrein war es ein herrlich sonniger Herbsttag. Jetzt musste sie im Auftrag von Elise nur noch eine letzte Einladungskarte überbringen, und nach diesem Botengang würde sie endlich frei haben.

Juchuuu!

Beschwingt ging Andy durch den schönen Stadtteil Covent Garden, durch Straßen, die sie schon von klein auf kannte. Die letzten Blätter an den Bäumen leuchteten golden im Gegenlicht der tiefstehenden Sonne und die Schaufenster der Läden waren bereits weihnachtlich dekoriert. Andy liebte diese Jahreszeit. Doch vor allem liebte sie es, dass der restliche Tag schon gleich ganz ihr gehören würde.

Autor

Mollie Molay
Nachdem sie einige Jahre in einem Logistikzentrum eines Lufttransportunternehmens gearbeitet hatte, entdeckte Mollie Molay, dass ihr das Schreiben von Liebesromanen, was sie nebenbei verfolgte, viel mehr Freude bereitete als ihre bisherige Tätigkeit. Also versuchte sie, ihr Hobby zu ihrem Beruf zu machen.
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Nina Harrington wuchs in der Grafschaft Northumberland in England auf. Im Alter von 11 Jahren hatte sie zuerst den Wunsch Bibliothekarin zu werden – einfach um so viel und so oft sie wollte lesen zu können.
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