Das unmoralische Angebot des feurigen Spaniers

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Leonora ist wie vom Donner gerührt. Nur eine Nacht hat sie mit Gabriel Torres verbracht - und in seinen Armen eine nie geahnte Leidenschaft erfahren. Jetzt schlägt der Milliardär ihr vor, ihn zu heiraten. Nicht aus Liebe, für den feurigen Spanier ist es eine reine Zweckehe: Sie schenkt ihm einen Erben, dafür rettet er ihre verarmte, adlige Familie vor dem finanziellen Ruin. Widerstrebend willigt Leonora ein, denn sie kann ihre Eltern nicht im Stich lassen. Doch sie weiß, Gabriel wird ihr das Herz brechen - weil sie viel mehr von ihm will als nur sein Geld …


  • Erscheinungstag 02.06.2020
  • Bandnummer 2442
  • ISBN / Artikelnummer 9783733714161
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

In dem prachtvollen Ballsaal konnte Leonora Flores de la Vega den Blick nicht von dem Mann nehmen, der am anderen Ende des Saales stand und alle anderen Gäste mit seinen über ein Meter neunzig überragte.

Seine Miene war finster, wodurch sein markantes Aussehen noch einschüchternder wirkte. Selbst aus dieser Entfernung spürte Leonora seine unglaublich maskuline Anziehungskraft.

Wie jeder andere hier wusste auch sie, wer Gabriel Ortega Cruz y Torres war. Er gehörte zu einer der ältesten und angesehensten Familien Spaniens. Ihnen gehörten große Ländereien, und sie verdienten ihr Geld unter anderem mit Bankgeschäften, Weinbau und Immobilien.

Über Gabriels Privatleben war nur wenig bekannt, doch es hieß, er sei im Bett ebenso erfolgsverwöhnt wie im Geschäftsleben. Er war unverheiratet und galt als einer der begehrtesten Junggesellen Europas, wenn nicht sogar der Welt. Doch er schien es nicht eilig damit zu haben, eine Familie zu gründen. Wenn es so weit war, würde er dafür mit Sicherheit eine Frau mit den besten Verbindungen wählen, die den gleichen Kreisen entstammte wie er selbst.

Was geht das mich schon an, schalt Leonora sich. Zwar hatte ihre eigene Familie einen ähnlich beeindruckenden Stammbaum wie seine, doch da endeten die Gemeinsamkeiten auch schon, denn die Flores de la Vegas hatten ihr komplettes Vermögen verloren. Ihnen blieb mittlerweile kaum mehr genug zum Leben, und vor Kurzem hatten sie ihr Castillo vor den Toren Madrids für Touristen öffnen müssen, um überhaupt über die Runden zu kommen.

Leonora hatte noch nie ein Wort mit Gabriel Torres gewechselt und würde es wahrscheinlich auch niemals tun. Ein Mann wie er würde sich nicht dazu herablassen, sich mit jemandem abzugeben, dessen Ansehen derart beschmutzt worden war. Doch sie musste zugeben, dass sie ihn schon lange aus der Ferne bewunderte. Das erste Mal hatte sie ihn bei einem Polospiel gesehen. Damals war er einundzwanzig Jahre alt gewesen und sie zwölf. Zu diesem Zeitpunkt war das Vermögen der Familie noch nicht der Spielsucht ihres Vaters zum Opfer gefallen. Später hatte die Scham über diesen Verlust dazu geführt, dass sie nicht mehr an gesellschaftlichen Ereignissen teilnahmen.

Sie erinnerte sich noch genau, dass sie an jenem Tag den Blick nicht von Gabriel hatte nehmen können. Er hatte so lebendig gewirkt, so temperamentvoll, und sein Pferd so meisterhaft geführt, als wären sie eins. Doch es war sein Gesichtsausdruck gewesen, der sie am meisten fasziniert hatte, so konzentriert und intensiv war er gewesen.

Mit einem Mal wurde sie sich wieder der Geräuschkulisse im Ballsaal bewusst und all der Blicke, die auf sie gerichtet waren. Sie erwachte aus ihren Träumereien und kehrte gedanklich in die Gegenwart zurück. Zu dem Moment, der ihr Leben für immer verändern würde.

Ein Anflug von Panik erfasste sie, und sie holte tief Luft.

Du tust das für deine Familie. Für Matías. Du hast keine Wahl. Du bist die einzige Hoffnung, die sie haben.

Ihre Handflächen wurden feucht. Sie zwang sich, den Blick von dem Mann am anderen Ende des Saales zu nehmen und denjenigen anzusehen, der neben ihr stand. Ihr Verlobter. Lazaro Sanchez. Mit seinen etwas zu langen dunkelblonden Haaren und den ungewöhnlich grünen Augen sah er gefährlich gut aus. Und er war groß. Fast so groß wie …

Kurz schüttelte sie den Kopf. Nein. Sie musste aufhören, an ihn zu denken.

Gleich würde ihre Verlobung mit dem Mann an ihrer Seite bekannt gegeben – einem Mann, den sie kaum kannte, wenn sie ehrlich war. Sie waren ein paar Mal miteinander ausgegangen, aber wenn sie ihn ansah, verspürte sie gar nichts. Ganz anders als bei … ihm.

Doch Lazaro war freundlich und respektvoll. Und er war bereit, die Schulden ihrer Familie zu tilgen und so deren Ruf wiederherzustellen und Matías Zukunft sichern. Und er war grenzenlos ehrgeizig. Lazaro Sanchez wollte sie zur Frau, um die Anerkennung der gesellschaftlichen Kreise zu gewinnen, denen sie angehörte. Für Lazaro war sie lediglich der Schlüssel zu der Welt, deren Teil er werden wollte, und das musste sie akzeptieren.

Da fiel ihr auf, dass Lazaro ähnlich grimmig wirkte wie Gabriel. Etwas fiel ihr auf an den beiden Männern, doch bevor sie diesen Gedanken vertiefen konnte, begann einer von Lazaros Angestellten diskret Zeichen zu geben.

„Lazaro?“, sagte sie deshalb.

Er sah sie an, seine Miene war noch immer düster.

„Ist alles in Ordnung? Du schaust so grimmig.“

Er entspannte seine Gesichtszüge und nahm ihre Hand. Nichts. Leonora verspürte nicht die geringste Reaktion. Doch in ihrer Welt heiratete niemand aus Liebe und Leidenschaft, sondern immer aus strategischen Gründen. So wie sie es auch bald tun würde.

„Es ist alles okay. Ich war nur in Gedanken versunken.“

Wieder sah sie wie magisch angezogen nach hinten in den Saal, und dieses Mal traf sie auf Gabriel Torres’ dunklen Blick. Sofort breitete sich sengende Hitze in ihrem Schoß aus, und ihr Griff um Lazaros Hand wurde fester.

„Ist mit dir alles in Ordnung?“

Scham überkam sie. Wie konnte sie sich nur so von einem anderen Mann angezogen fühlen, wenn sie gleich ihre Verlobung mit einem anderen öffentlich bekannt geben würde? Sie blickte Lazaro an und lächelte gezwungen. „Ja, ist es.“

„Ich bin froh, dass du eingewilligt hast, meine Frau zu werden. Ich glaube, wir werden eine gute Ehe führen und es schaffen, glücklich zu sein.“

Kurz glaubte sie, der Boden würde ihr unter den Füßen weggerissen. Es war, als würden die Wände des riesigen Saales sich aufeinander zu bewegen und sie erdrücken. Lazaro ließ ihre Hand los und legte ihr einen Arm um die Taille. Das klaustrophobische Gefühl verstärkte sich.

Sein Griff wurde fester, beinahe schmerzvoll. „Lazaro …“

Mit brennendem Blick und einem eigenartigen Gesichtsausdruck sah er sie an. „Du tust mir weh.“

Sofort ließ der Druck nach. „Entschuldige bitte.“

Leonora schenkte ihm ein erzwungenes Lächeln. Je eher sie die Bekanntgabe ihrer Verlobung hinter sich brachten, desto schneller konnte sie dem Ballsaal entfliehen und frische Luft schnappen. Entschlossen vermied sie es, in Gabriels Richtung zu sehen, wo er auf eindrucksvolle Weise alle anderen überragte.

Sie nahm von einem Kellner zwei Champagnergläser an und reichte eines Lazaro. „Deine Berater scheinen andeuten zu wollen, dass es Zeit für die Bekanntgabe ist. Bist du bereit?“

Er sah sie an, und sie versuchte, sich von der Entschlossenheit in seinem Blick anstecken zu lassen.

Er stieß mit ihr an. „Sagen wir es ihnen.“

Dann begann er zu sprechen, doch sie hörte kaum, was er sagte.

Ohne dass sie es wollte, wanderte ihr Blick von neuem zu Gabriel Torres. Er beobachtete sie noch immer mit so verstörender Intensität, dass Leonora zu zittern begann.

Da erklang plötzlich eine Stimme. „Warte! Stopp!“

Die Worte rissen Leonora aus ihrer Trance. Sie sah eine Frau, die sich einen Weg zu dem Podium bahnen wollte, auf dem sie und Lazaro standen, bevor sie von den Sicherheitsleuten festgehalten wurde. Mit ihrem schwarzen Rock und der weißen Bluse wirkte sie wie eine Kellnerin. Sie hatte leuchtend rotes Haar, das zu einem Knoten hochgesteckt war, große blaue Augen und war äußerst hübsch. Die Fremde sah Lazaro an und rief: „Es gibt etwas, das du wissen musst. Ich bekomme ein Kind! Dein Kind!“

Erst schien die Zeit stillzustehen, dann kam es Leonora vor, als liefe alles in Zeitlupe ab. Lazaro ließ sie los. Die fremde Frau sagte noch mehr, aber Leonora konnte durch das Rauschen des Blutes in ihren Ohren nicht verstehen, was.

Lazaro verließ das Podium, ging zu der Unbekannten und fasste sie am Arm. Neben ihm wirkte sie klein und zierlich. Absurderweise dachte Leonora kurz, dass die beiden ein schönes Paar abgaben. Was sie sprachen, konnte sie nicht hören. Dann wurde die Fremde von den Sicherheitsleuten abgeführt.

Lazaro kehrte zu ihr aufs Podium zurück, er sah gleichermaßen schockiert, wütend und zerknirscht aus.

Er sagte etwas zu den versammelten Gästen, doch sie hörte nicht einmal hin. In ihr tobten die unterschiedlichsten Gefühle, in erster Linie jedoch Erleichterung. Das änderte sich allerdings, als sie sich umsah und feststellte, wie die Menschen vor ihr miteinander flüsterten. Einige sahen sie voller Mitleid an, andere mit einem Blick, der wesentlich weniger freundlich war, voller bösartiger Schadenfreude darüber, Zeuge eines Skandals zu sein.

Sie hatte versucht, sich von Schulden und Scham freizukaufen und fühlte sich jetzt so entblößt, als stünde sie nackt vor all diesen Leuten. Und er war noch immer da, sah mit grimmigem Gesichtsausdruck zu ihr.

Leonora wandte sich ab und sah Lazaro an. Sie trat einen Schritt zurück, hielt dann aber inne.

„Ist das die Wahrheit?“

Doch er schwieg, und das sagte mehr als alle Worte.

Und er sah schuldbewusst aus.

Er streckte eine Hand nach ihr aus. „Leonora, bitte … Lass es mich erklären!“

Es stimmte also!

Unendlich gedemütigt schüttelte sie den Kopf. „Ich kann dich nicht heiraten – nicht mehr.“

Im Stillen dankte sie dem Himmel, dass ihre Eltern heute nicht hier waren. Oder Matías. Er würde spüren, dass etwas nicht in Ordnung war und sich furchtbar aufregen.

Sie ließ den Blick schweifen und sah sich instinktiv nach einem Fluchtweg um. Ein letztes Mal wandte sie sich an Lazaro, Empörung und Demütigung brannten wie Feuer in ihrem Inneren. „Wie konntest du mir das nur antun? Vor all diesen Leuten?“

Ohne seine Antwort abzuwarten, stellte sie ihr Glas auf den nächstbesten Tisch, drehte sich um und floh zum nächsten Ausgang, ohne zu wissen, wohin sie eigentlich wollte.

Das erste, was sie sah, war ein Hinweisschild zur Damentoilette. Sie folgte ihm und fand den Raum zu ihrer Erleichterung leer vor. Sie schlüpfte in eine Kabine, verriegelte die Tür und ließ sich auf den verschlossenen Toilettensitz sinken.

Sie zitterte am ganzen Körper, und ihr Herz pochte wild. Sie zwang sich, mehrmals tief durchzuatmen, und gerade, als sie sich etwas beruhigt hatte, hörte sie, dass mehrere Frauen den Raum betraten. Es mussten mindestens drei sein. Sie schnatterten laut durcheinander und kannten kein anderes Thema als Lazaro und Leonora.

„Wer soll sie jetzt noch heiraten? An diesen Skandal werden sich die Leute noch ewig erinnern!“

„Wo kommt Sanchez überhaupt her?“

„Man sagt, er sei auf der Straße groß geworden.“

„Das werden die de la Vegas niemals überleben! Alles, was sie haben, sind ihre Tochter und dieser Junge, von dem alle wissen, dass er …“

Da reichte es Leonora. Sie öffnete die Tür ihrer Kabine und stellte sich vor die drei Klatschweiber. Sofort wurde es still.

Eine wurde blass, eine rot und eine wirkte völlig unbeeindruckt. Leonora war viel zu aufgewühlt, um einen Ton hervorzubringen. Sie sah nur zu, wie die drei ihre Sachen nahmen und gingen.

Sie ging zum Waschbecken und sah in den Spiegel. Zum Glück verriet ihr Äußeres nicht den Tumult, der in ihr herrschte. Sie dankte dem Himmel, dass die Frauen ihren Beinahezusammenbruch nicht mitbekommen hatten.

Sie holte tief Luft und ließ sich kaltes Wasser über die Handgelenke laufen. Dabei hoffte sie, dass, wenn sie die Toilette verließ, niemand draußen war, der sich an ihrem schmachvollen Abgang weiden konnte.

In diesem Augenblick tauchte das Gesicht von Gabriel Torres vor ihrem inneren Auge auf. Sie sah seine habichtartigen Züge so lebhaft vor sich, als würde er vor ihr stehen. Ihr wurde abwechselnd heiß und kalt, als sie daran dachte, dass auch er Zeuge ihrer öffentlichen Demütigung geworden war.

Sie atmete tief durch und wappnete sich, bevor sie sich in der Hoffnung, unerkannt fliehen zu können, auf den Weg in die Hotellobby machte.

Wo ist sie nur?

Vor dem Ballsaal sah Gabriel Torres nach links und nach rechts, doch er konnte die dunkelhaarige Frau in dem trägerlosen roten Kleid nirgends entdecken. Einem Kleid, das sich derart an ihre Kurven schmiegte, dass sich sein Pulsschlag zum ersten Mal seit sehr langer Zeit beim Anblick einer Frau deutlich beschleunigt hatte. Der Drang, ihr zu folgen, war übermächtig gewesen, und das war ungewöhnlich bei einem Mann wie ihm, der ansonsten kein Problem damit hatte, einem Impuls zu widerstehen.

Heute Abend war er nur hier, weil er mit eigenen Augen sehen wollte, was Lazaro Sanchez im Schilde führte, denn er traute diesem Mann nicht über den Weg. Zumal fast alles, was Sanchez tat, darauf abzuzielen schien, ihn, Gabriel, zu treffen. Und das nicht nur, weil sie beide gerade als Konkurrenten an der Ausschreibung für ein äußerst lukratives öffentliches Projekt teilnahmen.

Vor Kurzem war Sanchez sogar so weit gegangen zu behaupten, dass er und Gabriel Halbbrüder seien. Er hatte Gabriel auf einer Veranstaltung angesprochen, und als Gabriel, angewidert von der Unterstellung, sie seien verwandt, gehen wollte, hatte Sanchez sich ihm in den Weg gestellt. Er hatte von einem Tag vor vielen Jahren gesprochen, an dem er Gabriels Vater damit konfrontiert hatte, dass er dessen Sohn sei.

Zu Gabriels Überraschung hatte er sich tatsächlich an diesen Vorfall erinnern können – an den dürren Jungen, der vor einem Restaurant in der Innenstadt von Madrid auf sie gewartet hatte. Es war sein Geburtstag gewesen – und eine der seltenen Gelegenheiten, an denen seine durch und durch kaputte Familie sich zusammengerissen hatte.

Gabriel hatte sich nie Illusionen über die Ehe seiner Eltern gemacht. Es war durchaus vorstellbar, dass sein notorisch untreuer Vater ein außereheliches Kind gezeugt hatte.

Es konnte also sein, dass Sanchez die Wahrheit sagte, doch Gabriel vermutete eher, dass es sich um eine Lüge handelte.

Auch Gabriels Vater war heute Abend hier, doch Gabriel hatte es vorgezogen, ihn zu ignorieren. Wann immer sie konnten, gingen sie sich aus dem Weg, und er nahm an, dass sein Vater nur wegen des reichen Angebots an alkoholischen Getränken oder wegen einer Frau der Einladung gefolgt war.

Heute wagte Sanchez seinen bisher dreistesten Schachzug, indem er seine Verlobung mit einer Frau aus einer der ältesten Familien Spaniens bekannt geben wollte, die es im Hinblick auf ihre Ahnentafel leicht mit den Cruz y Torres aufnehmen konnte.

Die Heirat mit Leonora Flores de la Vega würde Sanchez in Kreise befördern, in denen es wesentlich schwieriger sein würde, ihn zu ignorieren.

Dass er Leonora Flores nicht wegen ihres Geldes heiratete, war offensichtlich – es war ein offenes Geheimnis, dass ihre Familie seit der Spielsucht ihres Vaters bankrott war. Ihr Kapital war allein ihr Name.

Gabriel hatte die Gerüchte gehört. Es hieß, Sanchez habe ihr einen Deal angeboten – er würde die Schulden ihrer Familie tilgen und sich so in die Welt einkaufen, der er so verzweifelt angehören wollte, dass er sogar behauptete, Gabriels Blutsverwandter zu sein.

Gabriel kannte Leonora nicht persönlich, doch ihre Wege hatten sich über die Jahre hinweg bei verschiedenen gesellschaftlichen Ereignissen gekreuzt. Und heute Abend hier zu sein und sie neben Sanchez auf dem Podest stehen zu sehen, hatte ihn daran erinnert, dass sie immer schon etwas an sich gehabt hatte, das ihn irgendwie reizte. Heute war es nicht anders, und es hatte gereicht, Lazaro in den Hintergrund treten zu lassen.

Ihr apartes Gesicht hatte nicht die leiseste Regung preisgegeben, das lange dunkle Haar war im Nacken kunstvoll zusammengebunden. Die großen Augen waren mandelförmig mit langen, dichten Wimpern darüber, die Lippen voll und sinnlich.

Er hatte sich das Hirn zermartert, um sich daran zu erinnern, wann er sie das letzte Mal gesehen hatte. Es musste lange her sein, denn in der Zwischenzeit war sie zu einer Frau herangereift – und zwar zu einer umwerfend schönen.

Er hatte sie aus der Ferne gemustert und sich geradezu verzweifelt gewünscht, dass auch sie ihn ansah. Und dann hatte sie es getan. Die Auswirkungen dieses Blickkontakts hatte er durch den ganzen Saal hindurch gespürt. Sofort war ein Stoß heißer Erregung durch ihn hindurch gejagt und hatte sein Blut zum Sieden gebracht.

Sie hatte ihn lange angesehen, und er hatte den Anflug von Panik in ihren Augen wahrgenommen. Zusammen mit etwas weitaus Machtvollerem.

Die Anziehungskraft war gegenseitig!

Diese Erkenntnis, gepaart mit dem Anblick von Sanchez’ Arm um ihr Taille, löste etwas Unerwartetes in ihm aus. Etwas Sengendes und Urwüchsiges. Er wollte … Leonora haben.

Als Sanchez die Verlobung bekannt gab, hatte Gabriel tief in sich das unerklärliche und beinahe überwältigende Bedürfnis verspürt, Widerspruch einzulegen, doch da war eine helle Stimme ertönt. Sie hatte einer zierlichen rothaarigen Frau gehört, die neben dem Podest stand und behauptete, Sanchez’ Kind zu erwarten.

Gabriel hatte Leonora fliehen sehen und sofort gewusst, dass er ihr folgen würde. Noch nie hatte er sich von jemandem so unmittelbar angezogen gefühlt.

Er hatte ein letztes Mal in Sanchez’ Richtung gesehen, und die Abneigung, die er gegen diesen Mann empfand, hatte ihn dazu verleitet, ihn für dessen fehlgeschlagenen Versuch, sich Respekt zu kaufen, zu verspotten.

Doch als er jetzt nach Leonora suchte, war jeder Gedanke an Sanchez verschwunden.

Sie schien sich in Luft aufgelöst zu haben.

Endlich aber entdeckte er sie. Halb verborgen stand sie hinter den üppigen Grünpflanzen, die die Lobby vom Rest des Hotels abtrennten. Und er sah, was sie sah: eine geschlossene Front von Paparazzi, die vor dem Haupteingang warteten. Und kein anderer Fluchtweg in Sicht.

Auf gar keinen Fall würde er Leonora noch einmal entwischen lassen. Und wenn sich ihm die Gelegenheit bot, Sanchez daran zu erinnern, wo er hingehörte, würde er sie sich nicht entgehen lassen.

Leonora stieß einen leisen Fluch aus. Durch die Blätter der exotischen Pflanzen hindurch sah sie hinaus zu den Fotografen, die zweifelsohne auf ein Bild des lächelnden Paares beim Verlassen des Hotels hofften. Doch dort, wo sie war, gab es keinen anderen Weg nach draußen.

Sie holte tief Luft, um sich für das Spießrutenlaufen zu wappnen, als sich plötzlich die Härchen auf ihren Armen aufstellten und ihre Haut zu prickeln begann.

Sie drehte sich um und sah in nur wenigen Metern Entfernung Gabriel Ortega Cruz y Torres stehen. Er blickte sie an, und sie schluckte. Aus der Nähe wirkte er noch größer und breitschultriger. Das dichte schwarze Haar hatte er sich aus der Stirn gestrichen. Seine dunklen Augen unter kräftigen Brauen lagen tief; die Nase war leicht gebogen, der Zug um den Mund entschlossen.

Seine Lippen waren erstaunlich sinnlich und nahmen dem Gesicht die Strenge, und unwillkürlich fragte Leonora sich, wie es wohl wäre, diesen Mund zu küssen.

Ihr wurde heiß. Anscheinend war sie dabei, den Verstand zu verlieren. An so etwas dachte sie sonst nie. Sie war vierundzwanzig Jahre alt und noch immer Jungfrau, denn ihr Leben hatte sich bisher um ihre Eltern, das Castillo und ihren jüngeren Bruder gedreht. Ihm war sie eher eine Mutter als eine Schwester gewesen, nachdem ihrer aller Leben durch die Spielsucht ihres Vaters völlig auf den Kopf gestellt worden war. Für so etwas Normales wie eine Beziehung hatte sie nie Zeit gehabt.

Noch bevor sie wusste, was sie sagen sollte, kam Gabriel auf sie zu. Sein extravaganter und eindeutig maskuliner Duft stieg ihr in die Nase.

„Soll ich dir helfen, hier rauszukommen?“

Dankbar nickte sie stumm.

„Wir gehen durch den Haupteingang. Sieh nicht nach links und nach rechts, lass dich einfach von mir führen.“

Er zog sein Telefon hervor, wählte eine Nummer und gab ein paar kurze Anweisungen. Dann steckte er es wieder ein, ohne den Blick von Leonora zu nehmen.

„Mein Wagen wartet draußen. Gehen wir.“

Bevor Leonora wusste, wie ihr geschah, hatte Gabriel sie am Ellenbogen gefasst und durch die Lobby geführt. Von draußen drang das Gewitter der Blitzlichter zu ihnen, und sobald sie durch die Tür traten, prasselten Zurufe und Fragen auf sie ein.

„Leonora, wo ist Lazaro Sanchez?“

Sie ignorierte sie alle und sah stur geradeaus.

Am Bürgersteig stand ein eleganter, tiefliegender silberner Sportwagen, und eilig half Gabriel Leonora auf den Beifahrersitz. Sobald er die Tür geschlossen hatte, hüllten der Geruch von Leder und eine wohltuende Stille sie ein, die nur kurz unterbrochen wurde, als Gabriel auf der Fahrerseite ins Auto stieg.

Sekunden später fuhren sie langsam durch die Reihen der Presseleute, die beiseitetreten mussten, um sie durchzulassen. Leonora zuckte zusammen, als die Paparazzi ihre Kameras an die Fensterscheibe hielten und grelles Blitzlicht das Wageninnere erhellte.

„Ich hätte versuchen sollen, durch einen Hintereingang zu verschwinden. Morgen werde ich auf jeder Titelseite zu sehen sein.“

Sie fühlte Gabriels Blick auf sich. „Und wenn schon. Es gibt nichts, wofür du dich schämen müsstest.“

Ihr Herz pochte laut. Sie betrachtete Gabriels maskuline Hand, die auf dem Schaltknüppel ruhte. Er hatte schlanke Finger mit kurzen, gepflegten Nägeln.

Wieder spürte sie die Hitze in ihrem Schoß.

„Das hättest du nicht tun müssen“, sagte sie mit rauer Stimme.

„Doch. So hätte man dich den Wölfen nicht zum Fraße vorwerfen dürfen.“

Er wirkte wütend – weil man ihr Unrecht getan hatte, dabei kannte er sie kaum.

„So oder so. Ich danke dir.“

Da bemerkte sie, dass sie durch einen der nobelsten Madrider Stadtteile fuhren. Baumbestandene Alleen wurden von schicken Bars und Restaurants gesäumt; teure Antiquitätengeschäfte wechselten sich mit Designerboutiquen ab, moderne Architektur mit eleganten Altbauten.

Plötzlich befürchtete sie, Gabriel würde seine gute Tat bereits bereuen. „Du brauchst mich nicht nach Hause zu fahren. Ich muss sowieso in die andere Richtung. Lass mich hier raus, dann rufe ich mir ein Taxi.“

Er sah in den Rückspiegel und schüttelte den Kopf. „Das geht nicht, wenn du nicht willst, dass sie dir folgen.“

Leonora blickte nach hinten und sah mehrere Motorräder, die die anderen Autos überholten, um sie nicht aus den Augen zu verlieren. Ihr sank das Herz, als sie sich vorstellte, wie die Paparazzi das Castillo ihrer Familie belagerten. Wenn Matías sie sähe, würde er sich aufregen …

In dem Moment sagte Gabriel: „Halt dich fest!“ Dann gab er Gas und raste über eine Ampel, die gerade auf Rot umsprang, bog scharf ab und manövrierte den Wagen rasant durch einige ruhigere Seitenstraßen. Leonora schlug das Herz bis zum Hals, doch Angst verspürte sie keine. Dafür fand sie die Fahrt viel zu aufregend.

Als er das nächste Mal abbog, hielt sie die Luft an. Es sah aus, als würden sie direkt auf eine Mauer zuhalten, doch da öffnete sich ein Tor, und sie fuhren in die Tiefgarage eines Wohnhauses.

Gabriel parkte das Auto in einer Reihe nicht minder teuer aussehender Sportwagen. „Ich denke, wir haben sie an der Ampel abgehängt.“

Stille breitete sich aus, bis sie fragte: „Wo sind wir?“

„Ich habe hier ein Apartment. Du kannst hierbleiben, bis sie deine Spur verloren haben. Ich werde dafür sorgen, dass du nachher nach Hause kommst. Wenn du willst.“

Wenn du willst.

Leonora sah ihn an. Sie war aufgewühlt nach allem, was passiert war, und davon, dass es ausgerechnet Gabriel war, der sie gerettet hatte. Mit dunklen Augen erwiderte er ihren Blick, und sie hatte das Gefühl, als würde er ihr ohne Worte etwas mitteilen wollen. Was es war, konnte sie nicht genau sagen – oder besser, sie wollte es gar nicht genau wissen.

„Okay …, wenn du dir sicher bist. Ich möchte dir nur nicht zur Last fallen.“

Gabriel schüttelte den Kopf. „Du bist keine Last. Mach dir keine Sorgen.“

Er löste seinen Sicherheitsgurt und stieg aus. Dann ging er auf ihre Seite, öffnete die Beifahrertür und hielt Leonora eine Hand hin.

Beinahe hätte Leonora seine Hilfe abgelehnt, aus Angst davor, wie sie auf seine Berührung reagieren würde. Noch immer spürte sie die Stelle am Ellenbogen, an der er sie angefasst hatte. Doch sie war so zittrig, dass sie seine Hand nahm und sich von Gabriel aus dem Auto helfen ließ. Ihre Sorge war berechtigt gewesen, denn sofort lief ihr ein elektrisierender Schauer über den Arm bis direkt in den Schoß.

Als sie endlich aufrecht stand, rang sie um Atem. Gabriel war ihr so nahe, dass ein einziger weiterer Schritt sie auf Tuchfühlung bringen würde. Sie ahnte die unter seinem maßgeschneiderten Anzug verborgene stählerne Kraft. Trotz ihrer High Heels reichte sie ihm gerade bis zum Kinn.

Er nahm ihre Hand. „Alles in Ordnung?“

Sie sah auf, zwang sich, ihn anzulächeln und versuchte, sich von der schieren Männlichkeit dieses unglaublich gut aussehenden Mannes nicht einschüchtern zu lassen, von seiner Nähe. „Ja … Ich bin nur wegen der Paparazzi etwas zittrig. Normalerweise interessieren sie sich nicht für mich.“

Jedenfalls nicht so wie für den Mann, der vor ihr stand. Die Presseleute verfolgten ihn überall und stellten Spekulationen über ihn an, gierig nach einer Story über diesen zurückgezogen lebenden Milliardär. Leonora dachte an die Zeitungen, die morgen erscheinen würde. Als sie sich die Reaktion ihrer Eltern vorstellte, würde ihr übel. Sie erwarteten von ihr, dass sie den Ruf der Familie rettete und sie aus ihrer Finanzmisere befreite und nicht, dass sie sie in einen neuerlichen Skandal verwickelte.

Gabriel ließ ihre Hand los, und plötzlich fiel Leonora etwas ein. „Meine Handtasche und mein Schultertuch! Sie sind noch an der Garderobe im Hotel!“

Autor

Abby Green

Abby Green wurde in London geboren, wuchs aber in Dublin auf, da ihre Mutter unbändiges Heimweh nach ihrer irischen Heimat verspürte. Schon früh entdeckte sie ihre Liebe zu Büchern: Von Enid Blyton bis zu George Orwell – sie las alles, was ihr gefiel. Ihre Sommerferien verbrachte sie oft bei ihrer...

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