Der Highlander und die Wildkatze

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Ihr Ende ist nah! Bewaffnete Reiter stürmen auf die schöne Lilidh MacLerie zu. Doch kein Schwert durchbohrt ihre zarte Kehle. Stattdessen verschleppt man sie als Geisel und stellt sie dem Anführer gegenüber, der sie mit hartem Gesichtsausdruck mustert. Und plötzlich fühlt die stolze Tochter der Highlands sich verhängnisvoll schwach. Denn sie kennt ihren Entführer! Dieser muskulöse schottische Laird ist Robert Matheson. Den ersten Kuss hat er ihr damals geraubt, hat in ihr das Feuer des Verlangens geweckt - bevor er ihr gnadenlos das Herz brach. Was ihr breitschultriger Feind jetzt mit ihr vorhat, wissen allein die Götter …


  • Erscheinungstag 28.07.2015
  • Bandnummer 316
  • ISBN / Artikelnummer 9783733763992
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. Kapitel

Lilidh schaute aus dem Fenster und versuchte zu überlegen, welche Möglichkeiten ihr offenstanden. Die Stille zwischen dem Ende des Tages und dem Beginn der Nacht war immer dann ihre liebste Zeit des Tages, wenn sie Entscheidungen treffen musste. Die Tochter des Earl of Douran, Laird der MacLeries, hielt in ihren Gedanken inne. Womöglich war es besser, wenn sie bis zum Morgen wartete …

Sie wandte sich vom Fenster ab und ließ den Blick durch die große und behaglich eingerichtete Kammer schweifen. Ihr war klar, dass ihr nur noch wenig Zeit blieb und sie kaum eine andere Wahl hatte … wieder einmal. Das Pergament lag noch immer fast unbeschrieben da, wo sie es platziert hatte. Sie nahm es hoch und hielt es so, bis sie im Kerzenschein die Buchstaben darauf erkennen konnte. Zum zigsten Mal las sie sie und konnte sich noch immer nicht entscheiden, wie sie weitermachen sollte, wie sie das, was sie mitzuteilen hatte, in Worte fassen sollte.

An den Earl und die Countess of Douran, begann der Brief mit den förmlichen Titeln der beiden, dann folgte: Vater und Mutter.

Und dann … nichts mehr.

Wie sollte sie ihr Elend erklären, in das sie der Tod ihres Ehemanns gestürzt hatte, mit dem sie nur zwei Monate lang verheiratet gewesen war? Das Ableben des Lairds der MacGregors wurde nach außen hin verschwiegen, bis sein Erbe – sein jüngerer Bruder – von den Ältesten des Clans als neuer Anführer bestätigt wurde. In ihrer Rolle in dieser Ehe war Lilidh kläglich gescheitert, hätte sie doch beide Clans aneinander binden und dem MacGregor einen Erben gebären sollen. Denn obwohl sie als unerfahrene junge Frau mit Iain MacGregor den Bund der Ehe geschlossen hatte, war ihr nicht entgangen, dass es zwischen ihnen nicht so gewesen war, wie es hätte sein sollen.

Das Pergament in ihrer Hand bewegte sich leicht im warmen Luftstrom, den die Hitze der brennenden Kerze hervorrief. Lilidh setzte sich an den Tisch, nahm den Federkiel und tauchte ihn gerade so weit in die Tinte, dass er nicht klecksen würde. Dann zwang sie sich dazu, die Worte aufzuschreiben, mit denen sie sich in den Augen ihrer Eltern und ihres Clans selbst demütigen würde.

Ich habe festgestellt, dass ich Euren Ratschlag benötige, was die Situation meiner Stellung hier in Iain MacGregors Haushalt und bei seiner Familie angeht. Als seine Witwe ohne jede Hoffnung, einen Erben zur Welt zu bringen, weiß ich …

Aber was wusste sie? Sie hatte ihn geheiratet, nachdem von ihrem Onkel ein Vertrag ausgehandelt worden war, den ihr Vater unterzeichnet hatte. Über ihren Anteil an der Mitgift konnte sie nach eigenem Ermessen verfügen, und man ließ ihr die Wahl, im Clan ihres Ehemannes zu bleiben oder zu ihrem eigenen Clan zurückzukehren. Ihr Onkel hatte dafür gesorgt, dass die Bedingungen des Vertrags sie schützten. Doch ihr die Entscheidung zu überlassen, machte alles nur viel schwieriger für sie. Lieber wäre es ihr gewesen, hätte ihr jemand gesagt, was sie als Nächstes zu tun habe.

Wenn sie blieb, würde man für sie eine weitere Ehe arrangieren, sobald ein geeigneter Mann gefunden war, damit die Verbindung zwischen den Clans gestärkt wurde. Kehrte sie heim, würde man sie anderweitig verheiraten, aber zu Hause würde sie auch mit der Enttäuschung ihrer Familie angesichts ihres Versagens konfrontiert werden. Da sie nichts erklären und mit niemandem offen reden konnte, wusste sie nicht, was sie schreiben sollte.

Wie albern sie sich doch benahm! Ihre Eltern liebten sie und würden sie wieder bei sich aufnehmen, auch ohne jegliche Erklärung. Ihre Mutter war die Einzige, mit der sie über Persönliches reden konnte, so wie es bereits vor ihrer Ehe der Fall gewesen war. Ihre Mutter würde ihr zuhören, selbst wenn sie ihr nicht erklärte, was sich zwischen ihr und ihrem Ehemann abgespielt hatte … oder besser gesagt: was sich eben nicht abgespielt hatte. Sie wandte den Blick von der Kerzenflamme ab und atmete einmal tief durch, dann machte sie das einzig Vernünftige. Sie bat ihre Eltern, heimkehren zu dürfen.

Es gibt für mich kaum einen Grund, noch länger hier zu verweilen, daher möchte ich Euch um die Erlaubnis bitten, nach Lairig Dubh zurückkehren zu dürfen, sobald eine Eskorte bereitgestellt werden kann. Ich möchte Euch in anderen wichtigen Angelegenheiten persönlicher Natur um Euren Ratschlag bitten, doch ich fühle mich nicht wohl bei dem Gedanken, derlei Dinge in diesem Brief niederzuschreiben.

Vater, bitte lass mich wissen, ob Dir meine Heimkehr genehm ist.

Mutter, schließ mich bitte in Deine Gebete ein, damit der Allmächtige in dieser schwierigen Zeit über mich wacht.

Es waren nur wenige Zeilen, die aber alles Wesentliche aussagten. Mehr als das gab es eigentlich nicht mitzuteilen. Sie ließ die Tinte trocknen, faltete den Brief zusammen, gab das Siegelwachs darauf und drückte den Ring hinein, den ihr Vater ihr ein Jahr zuvor zum Geburtstag geschenkt hatte. Den Brief würde sie am Morgen einem der MacLerie-Diener mitgeben, die sie hierher begleitet hatten. In zwei Wochen erhielt sie hoffentlich eine Antwort von ihren Eltern und wüsste dann endlich, was die Zukunft ihr bringen würde.

Aber wie sollte sie nur erklären, dass sie Witwe, aber immer noch Jungfrau war?

Jocelyn, Connor MacLeries Ehefrau, hielt das Pergament hoch und las die Zeilen noch einmal. Aus den Worten konnte sie deutlich herauslesen, wie traurig ihre älteste Tochter war. Lilidh war stets selbstsicher und entschieden aufgetreten, doch der ganze Tonfall in ihrem Brief verriet ihr, wie verloren und unsicher das Mädchen war.

„Wirst du es ihr erlauben?“, fragte sie ihren Ehemann, der eben aus dem Bett aufgestanden war und zu ihr an den Tisch kam, an dem sie saß. Als sie zu ihm hochsah, wurde ihr schwer ums Herz. Lilidh war so weit weg, und Jocelyn wollte sie in ihre Arme schließen und sie den Schmerz vergessen lassen, der so deutlich in ihren Worten zum Ausdruck kam.

„Ich bespreche das mit Duncan und den anderen Ältesten“, antwortete Connor leise, zog ihr das Pergament aus den Fingern und legte es zurück auf den Tisch. „Die MacGregors wollen Iains Tod nicht öffentlich machen, bis sein Erbe seinen Platz einnehmen kann. Da die Lage zwischen ihnen und den MacKenzies so angespannt ist, dass Krieg in der Luft zu liegen scheint, tun sie alles, um einen Angriff zu vermeiden. Heute Nacht können wir überhaupt nichts unternehmen, also komm zurück ins Bett, Jocelyn.“ Er nahm sie bei der Hand und zog sie vom Stuhl hoch.

Sie ließ sich von ihm so in den Arm nehmen, wie sie es am liebsten mit Lilidh getan hätte, aber ihr wurde schnell klar, dass er sie nicht an sich zog, um ihr Trost zu spenden. Ihm ging es um seine Lust und um den Versuch sie abzulenken, aber er wollte sie auch davon abbringen, sich zu sehr für die Entscheidungen des Clans zu interessieren. Sie würde ihn gewähren lassen, doch jetzt wollte sie erst eine Antwort haben, da sie die Männer eine so schwerwiegende Entscheidung nicht treffen lassen würde, ohne ihre Meinung dazu kundzutun.

„Wirst du sie nach Hause holen?“ Sie beobachtete die unterschiedlichen Gefühlsregungen, die die Miene ihres Gatten widerspiegelte. Schließlich konnte sie ihm wie erwartet seine Einwilligung ansehen.

„Aye. Ich hatte nur auf ein Wort von ihr gewartet.“

Sie beugte sich vor und küsste ihn auf den Mund. „Hast du ihr schon eine Nachricht zukommen lassen?“

„Die Nachricht an die MacGregors geht morgen früh auf den Weg. In einer Woche sollte Lilidh wieder hier sein.“

„Und die Konsequenzen?“ Sie wusste, diese Ehe war nicht bloß zwischen einem Mann und einer Frau, sondern zwischen zwei Clans arrangiert worden. Außerdem hatten die Väter gemeinsam überlegt, wen ihre Kinder am besten heiraten sollten. Da es dabei um ihre Tochter gegangen war, hatte Jocelyn an den meisten Beratschlagungen nicht teilnehmen und nur Gespräche mit Connor führen dürfen. Gespräche, in deren Verlauf sie beide sich jedes Mal früher oder später im Bett wiedergefunden hatten.

„Du kennst die Konsequenzen. Niemand hat mir Fragen gestellt, inwieweit sie etwas mit Iains Tod zu tun hatte, also müssen die MacGregors die Art und Weise seines Ablebens akzeptiert haben. Lilidhs Mitgift wird uns zurückgegeben, und es bleibt mir überlassen, wen sie als Nächstes heiraten wird.“

Das hatte sie hören wollen. Lilidh würde nach Hause zu ihrer Familie zurückkehren, und ihr künftiges Glück lag wieder allein in den Händen ihres Vaters, begleitet natürlich von den Ratschlägen seiner engsten Verwandten und Beratern … und von ihr, seiner Ehefrau.

Aber da Jocelyn die Ehe mit dem Laird der MacGregors für gut gehalten hatte, konnte sie sich kaum über Connors Entscheidung beklagen. Was immer es sein mochte, das sich zwischen Lilidh und Iain abgespielt und was seinen Tod ausgelöst hatte, dadurch war es unmöglich geworden zu beweisen, dass es die richtige Entscheidung gewesen war.

Nachdem Connor ihr die gewünschte Antwort gegeben hatte, hob er den Kopf und küsste sie auf den Mund. Im gleichen Augenblick wurde ihre Leidenschaft entfacht, und Jocelyn genoss jeden Moment. Wie sehr sie doch gehofft hatte, Lilidh würde so etwas in ihrer eigenen Ehe ebenfalls erfahren! Auch wenn Iain älter als sie und schon einmal verheiratet gewesen war, hatte sie das Gefühl gehabt, dass er ein guter Mann war, der Lilidh auf Händen tragen würde. Die Verlobung und die Vermählung waren vielversprechend verlaufen, und Jocelyn hatte nicht daran gezweifelt, dass sie schon bald Enkelkinder haben würde.

Aber nun war Iain tot, und Lilidh kehrte nach Hause zurück.

Sobald sie wieder hier ist und wir ungestört reden können, werde ich die wahren Gründe herausfinden, nahm Jocelyn sich vor. In ihrem Brief hatte Lilidh sie um ihren Ratschlag nahezu angefleht, und sie würde alles tun, um ihrer Tochter zu helfen.

Jetzt forderte allerdings ihr Ehemann ihre Aufmerksamkeit, und wenn ihr Highland-Herrscher nach ihr rief, war sie immer zur Stelle.

Immer.

Robert Matheson knirschte vor Wut so mit den Zähnen, dass er befürchtete, sich den einen oder anderen Zahn abzubrechen. Dabei versuchte er nur alles, um seine Wut daran zu hindern, sich ihren Weg zu bahnen. Es half auch nichts, die Hände zu Fäusten zu ballen, er konnte einfach nicht zulassen, dass dieser Wahnsinn noch länger anhielt.

„Halt!“, rief er denen zu, die sich vor seinen Augen stritten. „Ein Angriff auf die MacLeries wird nur unsere eigene Vernichtung zur Folge haben!“ Er sah einen nach dem anderen an und musste beim Anblick ihrer trotzigen Mienen erkennen, dass sie sich nicht von ihren Absichten abbringen lassen würden. Aber er konnte zumindest versuchen, sie für eine Weile aufzuhalten. „Wenn wir das machen wollen, müssen wir uns erst einen vernünftigen Plan zurechtlegen. Wir können nicht so bald zuschlagen, wie es euch allen lieb wäre.“ Und es würde auch nicht so einfach sein, wie sie glaubten.

Zwar hatten die Ältesten des Matheson-Clans ihn nach dem Tod seines Vaters als Anführer akzeptiert, aber diesen Sieg hatte er sich hart erkämpfen müssen. Sein Cousin Symon, Sohn der ältesten Schwester seines Vaters, hatte sich dagegen ausgesprochen und gehörte zu den Kriegstreibern im Clan. Rob dagegen wusste sehr genau um die Schlagkraft und die Kampfesstärke der MacLeries.

Schließlich war er Connor MacLeries Pflegesohn gewesen.

Fünf Jahre hatte Rob bei ihnen gelebt, von den besten Kriegern Kampftechniken erlernt, die Gefechtsstrategien ihrer Taktiker studiert und sich von den Unterhändlern abgeguckt, wie man Kämpfe von vornherein vermeiden konnte. Daher hatte er keinerlei Absicht, gegen einen Clan in die Schlacht zu ziehen, den er nicht besiegen konnte. Und schlimmer noch: einen Clan, der sie im Gegenzug überrennen und auslöschen würde, der auf ihrem Land keinen Stein auf dem anderen lassen würde. Aber wenn er den Ältesten des Rats zuhörte, die unentwegt alle Gründe für einen Angriff vortrugen und die nur auf die Leute hörten, die in Wahrheit von nichts Ahnung hatten, fühlte er sich versucht, sie einfach alle unvorbereitet losziehen zu lassen.

Doch seine Loyalität gegenüber seiner Familie und seinem Clan hielt ihn davon ab, diesen Gedanken in die Tat umzusetzen. Er sah zu Dougal, seinem anderen Cousin, der nicht Laird werden wollte, und wartete darauf, dass der einzige andere Vernünftige im Raum sich auf seine Seite stellte. Das tat Dougal dann auch, was die Kriegstreiber zwar nicht völlig verstummen ließ, sie aber wenigstens dazu brachte ihm zuzuhören.

„Rob hat recht“, rief Dougal. „Ein sinnloser Angriff wird unserem ganzen Clan Tod und Verderben bringen.“ Ein paar grummelten missbilligend vor sich hin, andere hörten ihm zu. „Lasst den Laird darüber nachdenken und entscheiden. Niemand kennt die MacLeries besser als er, und wenn es eine Schwachstelle gibt, wird er sie finden.“

Rob wusste nicht, ob er jubeln oder ihn würgen sollte. Eine Schwachstelle, um den MacLerie besiegen zu können? Den Mann, den man den Schrecken der Highlands nannte?

Eine solche Schwachstelle existierte nicht.

Allein mein bisheriges Verhalten kann man bereits als Verrat an Connor auslegen, dachte Rob. Ein Angriff auf die MacLeries wäre ein Todesurteil für ihn selbst und die übrigen Mathesons. Schwach wurde Connor nur, wenn es um seine Kinder ging, ansonsten rottete er seine Feinde gnadenlos aus und machte mit Verrätern kurzen Prozess. Der Bruch mit Connor auf Geheiß des Rates und die anschließende Annäherung an die MacKenzies war das Schwierigste gewesen, was er je hatte tun müssen. Er war sich sicher, dass er irgendwann dafür noch teuer bezahlen würde.

Dougal ging ein paar Schritte zurück und überließ Rob die Mitte des Podests. Noch bewahrten die Männer Ruhe.

„Ich sammele bereits Informationen“, sagte er. „In diesem Moment sind Boten unterwegs, um Schwächen der MacLeries auszukundschaften. In spätestens einer Woche werden wir uns zusammensetzen und unsere Pläne besprechen.“

Mit einer herrischen Geste löste er die Versammlung auf und konnte nur hoffen, dass die Männer sich ihm fügen würden. Aber bis auf Dougal verließen tatsächlich alle den Saal. Rob kehrte an die Tafel zurück und schenkte sich einen Becher Ale ein, einen zweiten gab er Dougal.

„Du hast dich überzeugend angehört, Rob“, sagte Dougal. Er trank einige Schlucke und wischte sich mit dem Ärmel den Mund ab. „Hast du einen Plan?“

„Höchstens den, zum Allmächtigen zu beten, damit er uns eine Sintflut schickt.“

„Das habe ich dir angesehen“, meinte er lachend. „Bluffen war noch nie deine Stärke.“ Dann wurde Dougal wieder ernst. „Was wirst du machen?“

„Weiterhin auf Zeit spielen“, antwortete Rob. „Ich begreife nicht, wieso sie die MacLeries angreifen wollen. Mir kann doch nicht als Einzigem klar sein, wie stark sie sind.“

Rob trank einen großen Schluck und beobachtete die Diener, die den Saal für das Nachtmahl herrichteten. Die Halle war nicht so groß und so prachtvoll wie die auf Lairig Dubh, aber sie gehörte zu seinem Besitz. Er hatte geschworen, seine Familie zu beschützen, notfalls auch vor sich selbst. Irgendetwas war hier im Gange, das konnte er deutlich spüren. Er musste unbedingt den wahren Grund herausfinden, warum einige im Clan die MacLeries bekriegen und sich den MacKenzies zuwenden wollten.

„Wie kann ich dir helfen?“, fragte Dougal, gerade als Ellyn, ihre wohl hübscheste Cousine, zu ihnen kam, um den Tisch zu decken.

Rob riss sich von ihrem Anblick los und drehte sich zu seinem engsten Freund um. Ihm blieb keine andere Wahl, er musste sich jemandem anvertrauen, bevor die Situation ganz außer Kontrolle geriet. Er machte einen Schritt auf Dougal zu.

„Jemand versucht, die MacLeries als unsere Feinde hinzustellen“, erklärte er mit gesenkter Stimme. „Die MacLeries sind mit den MacKenzies weder befreundet noch verfeindet, sie gehen sich gegenseitig aus dem Weg. Es kann also keiner von beiden Seiten gefallen, dass in unseren Reihen Stimmung gegen sie gemacht wird. Und wir können es uns nicht leisten, zwischen beide Clans zu geraten. Ich vermute, Cousin Symon hat etwas damit zu tun, aber solange ich keinen Beweis habe, kann ich ihm nichts vorwerfen.“

Dougal betrachtete ihn einen Moment lang, dann nickte er. „Ich will sehen, was ich machen kann.“

„Ich werde in deiner Schuld stehen“, erwiderte Rob und klopfte ihm auf die Schulter.

Nachdem Dougal sich entfernt hatte, blieb Rob mit dieser und den vielen anderen Sorgen allein zurück, mit denen ein Clanführer tagtäglich zu tun hatte: Klagen der Dorfbewohner, Anliegen des Clans und nicht zu vergessen die Forderung der Ältesten, er solle so bald wie möglich seine Verlobte – Symons Schwester – heiraten, um die beiden zerstrittenen Gruppierungen zu einen.

Vor Jahren, als er Connors Pflegesohn gewesen war, hätte er sich nie träumen lassen, einmal der Laird seines Clans zu werden. Als sein leiblicher Vater sich ein drittes Mal vermählte, da er noch keinen männlichen Erben hatte, war er noch jung genug gewesen, um ein Kind zu zeugen. Und bald war Ailean, seine jüngste Ehefrau, schwanger gewesen. Natürlich hatten alle erwartet, dass es ein Sohn werden würde. Ein direkter, legitimer Erbe.

Und dann der schreckliche Unfall …

Als Sohn der ältesten Schwester des Lairds sollte Symon bestenfalls erwarten, beim nächsten Laird eine Beraterfunktion einzunehmen oder ihm auf andere Weise zu dienen. Da er selbst ein Bastard war, konnte Rob noch viel weniger erwarten, doch nach dem Tod seines Vaters und dessen Ehefrau war er zum Clanführer bestimmt worden. Er – nicht sein Cousin Symon.

Er sah Dougal hinterher, wie der den Saal verließ. Rob wusste, er würde die Wahrheit ans Licht bringen. In der Zwischenzeit musste er diejenigen um sich scharen, die loyal zu ihm standen, und sich darauf vorbereiten, diesem lächerlichen Unterfangen ein Ende zu bereiten. Einem Unterfangen, das seine Position untergraben sollte und die bestehenden Verträge mit den MacLeries zunichtemachen würde.

Er konnte nur beten, dass ihm noch genug Zeit blieb, um die Katastrophe abzuwenden, die er in den Knochen spüren konnte.

2. Kapitel

Lilidh sah nach rechts und überlegte, ob ihnen wirklich jemand im Wald neben dem Weg folgte, auf dem ihre Reitergruppe unterwegs war. Sie schaute angestrengt in die Schatten zwischen den Bäumen und konzentrierte sich längere Zeit auf einen Punkt. Dennoch konnte sie immer noch nicht sagen, ob ihr nur das Licht einen Streich spielte, das durch die Baumkronen fiel. Unschlüssig ritt sie weiter, erwähnte aber ihren Begleitern und den Wachen gegenüber nichts von ihrer möglichen Beobachtung. Ein kurzes Stück weiter folgten sie einer Biegung des Weges, der in südlicher Richtung nach Lairig Dubh führte.

Da begann der Angriff.

Eben waren sie noch friedlich unterwegs gewesen, und nur einen Moment später stürmten von den Hügeln ringsum Männer auf sie los. Obwohl Lilidh eine gute Reiterin war, geschah alles so plötzlich, dass sie im nächsten Augenblick ohne Pferd dastand und von fünf bewaffneten Kriegern umstellt war. Während sie ihren Dolch zog, sah sie die Männer durchdringend an. Sie würde sich gegen sie wehren, wenn nur ihr verletztes Bein durchhielt.

Entschlossen drehte sie das Heft ihrer Klinge in der Hand, bis sie den besten Griff gefunden hatte, dann holte sie mit dem Dolch aus, um ihre Gegner auf Abstand zu halten. Aus dem Augenwinkel verschaffte sie sich einen Überblick, wie es den anderen erging, und musste feststellen, dass außer ihr alle tot oder bewusstlos am Boden lagen. Sie holte tief Luft und versuchte durch eine Lücke zu entkommen, aber irgendwer bekam sie zu fassen und zog sie mit aller Kraft an sich. Sie prallte mit solcher Wucht gegen einen großen, muskulösen Körper, dass es ihr vorkam, als wäre sie gegen eine Mauer geschleudert worden. Eine Hand griff in ihr Haar und riss ihren Kopf nach hinten. Ihr Hals war völlig ungeschützt, und Lilidh wusste, in ein paar Augenblicken würde sie der Tod ereilen.

„Wer ist sie?“, fragte jemand neben ihr in schroffem Tonfall. Derjenige, der sie an sich gedrückt hielt, drehte sich mit ihr um, sodass sie ihr Kammermädchen Isla reglos im Gras liegen sah. Sie regte sich nicht, als einer der Angreifer sie mit dem Fuß anstieß.

Tränen stiegen Lilidh in die Augen, da ihr klar wurde, dass die Frau, von der sie großgezogen worden war, tot sein musste. Aber warum? Wer hatte ihren Tod zu verantworten? Zorn begann in ihren Adern zu kochen.

„Wer seid Ihr, dass Ihr eine Gruppe angreift, die unter dem Banner der MacLeries reist?“, rief sie und versuchte sich aus dem Griff zu befreien. „Was wollt Ihr?“

Ein Mann kam zu ihr, der Ausdruck in seinen dunklen Augen ließ sie erschrocken zurückweichen. Zumindest wäre sie zurückgewichen, wenn der Mann hinter ihr nicht unverrückbar wie ein Felsblock dagestanden hätte. „Du bist das MacLerie-Mädchen.“

Es war keine Frage, also gab sie keine Antwort. Trotzig hob sie ihr Kinn. Ihr Stolz ließ es nicht zu, ihre Herkunft zu verleugnen. Dennoch wollte sie wissen, wer es gewagt hatte sie zu überfallen.

„Und wer seid Ihr? Und welchen Anlass habt Ihr, eine unschuldige Frau zu töten?“, sagte sie und verkniff sich einen schmerzhaften Aufschrei, als der Mann hinter ihr abrupt wieder ihren Kopf nach hinten riss.

Der Mann mit den dunklen Augen nickte kurz, und gerade als Lilidh von ihm verlangen wollte, freigelassen zu werden, traf sie von hinten ein Schlag am Kopf. Um sie herum versank alles in völliger Schwärze.

Jeder der nachfolgenden Tage fing schlecht an und wurde nur noch übler. Kaum hatte Rob einen Teil seines Clans beschwichtigt, da beklagten sich einige andere. Immer wieder fragte er sich, was Connor MacLerie wohl machte, dass bei ihm alles so mühelos wirkte. Aber dann fiel ihm ein, dass Connor der nicht ganz unbegründete Ruf vorauseilte, der Schrecken der Highlands zu sein. Vielleicht würde er einen ähnlichen Ruf erlangen, wenn er einfach jeden klagenden und quengelnden Matheson umbrachte.

Von Symon hörte er gar nichts, aber das war nur umso besorgniserregender. Wenn er sich über irgendetwas beschwerte, wusste Rob wenigstens, was er im Schilde führte. Sein Cousin war weder in der Feste noch im Dorf zu finden, er war ohne ein Wort verschwunden.

Eben wollte er nach Dougal rufen, da flogen die Türen zur Großen Halle auf, und eine Gruppe Krieger kam angeführt von Symon herein. Die Männer johlten und jubelten, als gäbe es einen großen Sieg zu feiern. Rob nickte beiläufig dem Mann zu, den er zu seinem Kommandanten ernannt hatte, und sofort versammelten sich zusätzliche Wachen um die Tafel, an der er saß. Symon ließ sich nichts anmerken, aber seine Gangart und seine Miene verhießen nichts Gutes, als er auf ihn zukam.

„Rob“, sagte Dougal, der sich von der anderen Seite näherte und sich hinter seinen Laird stellte. „Das sieht nach Ärger aus.“ Rob nickte nur und wartete ab.

„Du hast dich lange genug vor einer Entscheidung gedrückt, Laird“, begann Symon und ließ den Titel wie eine Beleidigung klingen. „Die Mathesons werden nicht länger einem Anführer folgen, der sie nicht führt.“ Aus der im Saal versammelten Menge ertönten sowohl zustimmende als auch ablehnende Rufe. „Aber das ist nicht länger ein Problem, denn ich habe getan, wozu du nicht fähig und nicht willens warst.“

Nachdem er die Eignung seines Cousins als Clanführer infrage gestellt hatte, stieg Symon auf die erste Stufe zum Podest. Auf der Stelle trat Rob einen Schritt auf ihn zu, um ihm den Weg zu versperren. Eine aufgeheizte, feindselige Stimmung machte sich breit. Dougals Hand näherte sich dem Heft seines Schwerts, aber Rob schüttelte warnend den Kopf.

„Mich kümmert nicht, was du zu sagen hast, Symon“, erklärte er und ging Stufe um Stufe nach unten, womit er sein Gegenüber zum Rückzug zwang. „Ich bin der Clanführer, und ich treffe die Entscheidungen für diesen Clan.“

Rob verschränkte die Arme vor der Brust und beobachtete Symons Mienenspiel, während sich hinter ihm alle aufstellten, die auf seiner Seite waren. Bis auf Murtagh waren es alle Ältesten, aber Murtaghs Haltung überraschte ihn nicht. Der Mann hatte von vornherein hinter Symon gestanden, und bei diesem Entschluss blieb er auch jetzt.

„Du weigerst dich, die MacLeries anzugreifen, obwohl wir das wollen“, sagte Symon. Rob spannte sich an, denn er wusste, dass Übles auf ihn zukam. „Lachlan, komm her“, rief sein Cousin gleich darauf.

Einer der Männer trat vor, über seiner Schulter lag ein verschnürtes Stoffbündel. Erst als es sich bewegte, wurde Rob klar, dass sich darin ein Mensch befand. „Symon“, flüsterte er. „Was hast du getan?“

Der Mann ließ das Bündel von der Schulter gleiten und auf den Boden fallen, dann stellte er sich wieder zu den anderen.

„Du hast das arrangiert, Symon, dann zeig du uns auch, wer das ist“, forderte Rob ihn auf, damit das Ganze nicht unnötig in die Länge gezogen wurde.

Symon löste die Schnüre, dann zog er ruckartig an dem Bündel, damit es sich ausrollte. Im nächsten Moment lag vor ihnen eine Frau auf dem Boden, die an Händen und Füßen gefesselt war und der man einen Sack über den Kopf gestülpt hatte. Und die womöglich erstickt war? Zumindest hatte es den Anschein, da sie sich nicht mal regte, als Symon sie mit dem Fuß anstieß.

„Was zum Teufel hast du gemacht?“, brüllte er Symon an, während er der Frau den Sack vom Kopf zog und sie von ihrem Knebel befreite. Er winkte eine Dienerin herbei, damit sie sich um die Frau kümmerte, drehte sich zu Symon um, packte ihn am Kragen und schleifte ihn ein Stück weit mit sich. „Wer ist das? Und warum hast du sie entführt?“

„Wir haben sie nicht entführt, Rob. Sie ist unsere Kriegsgefangene“, antwortete er.

„Wir führen gegen niemanden Krieg!“ Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Nein, nicht einmal Symon wäre so dreist und … nein, das konnte nicht sein. Oder … war das tatsächlich Lilidh MacLerie?

Rob sah die Frau an, die bewusstlos auf dem Boden lag. Die Dienerin hatte ihr die Haare aus dem schmutzigen Gesicht gestrichen und drückte einen feuchten Lappen auf ihre Stirn. Auf den ersten Blick bemerkte er die teure Kleidung, die wertvollen Edelsteinringe und auch den goldenen Ring, der anzeigte, dass sie verheiratet war.

Dann fielen ihm die schön geschwungenen Augenbrauen und die vollen Lippen auf, die ihn in seiner Jugend fasziniert hatten und von denen er noch jetzt träumte. Es gab keinen Zweifel daran, wer die Frau war.

„Du hast MacLeries Tochter entführt? Sie ist mit Iain MacGregor vermählt!“

Er fluchte leise, als er die Folgen dieser Tat begriff. Das war ein kriegerischer Akt, der sich gleich gegen zwei mächtige Clans richtete. Und es ging dabei nicht bloß um den Diebstahl von ein paar Rindern oder um den einen oder anderen niedergebrannten Bauernhof. Das hier war eine persönliche Attacke, die sich gegen beide Clans und ihre Lairds richtete. Himmel, was hatte Symon ihnen bloß eingebrockt?

„Dougal, sieh nach, ob alle Wachen am Platz sind. Brodie“, rief er dem Steward zu. „Hol die Familien von den umliegenden Höfen in die Burg.“

Er stieß Symon aus dem Weg und kniete sich neben Lilidh hin. Wie erwartet hatte sie sich gegen ihre Angreifer zur Wehr gesetzt, dafür sprachen die blauen Flecken im Gesicht und die abgebrochenen Fingernägel. Als er an ihrem Hals Würgemale entdeckte, ballte er die Hände. Was hatte man ihr noch angetan?

„Wie bist du auf sie gestoßen?“, fragte er und ging auf Symon zu. Wie gern hätte er ihm ein paar Knochen gebrochen! Er packte Symon am Kragen und drängte den Mann nach hinten, bis der mit dem Rücken zur Wand stand. „Wo sind die anderen?“

Symon sah an Rob vorbei, und sofort wusste er, dass Lachlan sich ihm näherte. Mit einem knappen Nicken ließ er seine Leute dazwischengehen. „Wo sind sie?“, fuhr er Symon an und drückte ihm den Hals so fest zu, dass der zu röcheln begann.

„Sie war auf dem Weg nach Lairig Dubh. Wir haben sie uns vorgenommen, unmittelbar nachdem sie das Land der MacGregors verlassen hatte“, brachte Symon heraus.

„Und die Wachen? Die Dienerschaft?“, fragte er, obwohl er die Antwort darauf bereits kannte. Symons Leute hatten dafür gesorgt, dass sie als Mathesons erkannt worden waren. Die MacLeries und die MacGregors sollten wissen, wer Lilidh in seine Gewalt gebracht hatte. Symon wollte ihn zu einem Krieg zwingen.

Rob stieß ihn zu Boden und kehrte zu der Dienerin zurück, die sich um Lilidh kümmerte. „Such für sie ein Gemach“, wies er sie an.

„Sie ist meine Gefangene, Rob. Sie soll in den Adlerhorst.“

„Hältst du sie für so gefährlich?“, fragte er und deutete auf die bewusstlose Frau.

Der Adlerhorst war einer der ältesten Teile der Feste. Das Dach war von einem Blitzeinschlag zerstört worden, und niemand hatte bislang irgendwelche Reparaturen vorgenommen. Vor sehr langer Zeit diente dieser Raum als Zelle für Gefangene, aber das war längst nicht mehr der Fall. Rob drehte sich zu Symon um, da er ihm klarmachen wollte, dass er entschied, wo ein Gefangener des Clans untergebracht wurde. Doch in dem Moment rührte sich Lilidh.

Im nächsten Augenblick war sie schon aufgesprungen, hatte einem der Männer einen Dolch entrissen und die Dienstmagd als Geisel genommen. Ihr wilder Blick zeugte von ihrer Verwirrung und warnte zugleich davor, dass sie unberechenbar war. Rob hielt ihr die Hände hin und zeigte ihr so, dass er nicht bewaffnet war, dabei ging er langsam auf sie zu.

„Komm, Mädchen“, sagte er leise. „Lass Edith los, und alles wird in Ordnung sein.“

Es hätte womöglich geklappt, aber da begann Symon laut zu johlen, um Lilidh zu verhöhnen, und seine Männer stimmten gleich darauf mit ein. Erschrocken sah sie sich um, zweifellos auf der Suche nach einem Fluchtweg. Sie zog Edith wie einen Schild mit sich und zwinkerte ein paarmal. Das und ihr unsicherer Gang deuteten für Rob auf eine Kopfverletzung hin. Er folgte ihr, ohne den Abstand zu ihr zu verändern, sprach beruhigend auf sie ein, jedoch gingen seine beschwichtigenden Worte im Geschrei der Männer unter.

„Ruhe!“, brüllte er, um die Lage wieder in den Griff zu bekommen.

Das gelang ihm zwar, aber Lilidh nutzte den Moment der Ablenkung, schubste ihm Edith entgegen und rannte zur Tür. Rob folgte ihr, um zu verhindern, dass sie es nach draußen schaffte oder dass Symon ihm zuvorkam. Tatsächlich war Symon etwas schneller und versperrte ihr den Weg zur Tür.

„Na, komm schon“, lockte Symon sie. „Willst du es noch mal mit mir aufnehmen?“

Ich werde Symon für diese Wahnsinnstat umbringen, schwor sich Rob. Aber erst einmal musste er Lilidh unter Kontrolle bekommen, bevor sie sich noch verletzte. Wahrscheinlich wusste sie gar nicht, wo sie sich befand und wer er war. Ihre Blicke trafen sich zwar, doch sie schien ihn nicht wiederzuerkennen. Allerdings waren seit ihrer letzten Begegnung viele Jahre vergangen, und er war seitdem älter und erwachsener geworden. Sie hingegen hätte er jederzeit wiedererkannt.

„Lilidh MacLerie“, rief er ihr zu. „Erinnerst du dich an mich?“ Gleichzeitig gab er ein Zeichen, damit Symon sich zurückzog. Der setzte sich jedoch erst in Bewegung, als Robs Getreue sich ihm drohend näherten. „Lilidh?“

Die Hand, mit der sie den Dolch festhielt, begann zu zittern, Lilidh verlor erneut das Gleichgewicht, aber ehe sie hinfallen konnte, bekam sie sich wieder in den Griff. Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht und versuchte sich auf Rob zu konzentrieren.

„Wer seid Ihr? Warum habt Ihr mir das angetan?“, fragte sie und sah von einem zum anderen. „Weiß mein Vater davon?“

Ihr Blick kehrte zu ihm zurück, und Rob lächelte sie an. Sie starrte ihn mit ihren grünen Augen an und schien ihn zu erkennen. Als sie verwirrt den Kopf schüttelte und ein paar Mal zum Reden ansetzte, war sie lange genug abgelenkt. Rob machte einen Satz und bekam ihr Handgelenk zu fassen, das er so fest drückte, dass sie den Dolch losließ. Schnell trat er die Klinge zur Seite, aber Lilidh versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien, und ging weiter rückwärts.

Anscheinend konnte sie nicht begreifen, dass es keinen Fluchtweg mehr für sie gab. Mit einem kraftvollen Ruck zog er sie an sich, drückte sie mit dem Rücken an sich, dann schlang er die Arme um sie. Er roch Blut und sah die Verletzung an ihrem Hinterkopf. Man hatte sie niedergeschlagen und so überwältigt. Er beugte den Kopf vor und flüsterte ihr etwas ins Ohr, das nur sie hören konnte: „Lilidh, bei mir bist du sicher aufgehoben. Niemand wird dir etwas tun.“

Wie oft hatte er davon geträumt, sie in seinen Armen halten zu können, doch es hätte niemals auf diese Weise dazu kommen sollen. Trotzdem reagierte sein Körper auf die weiblichen Rundungen. Wenn ihr erst einmal klar wurde, wer er war, würde er sie nie wieder so halten können. Sie gehörte einem anderen Mann, er selbst konnte sie niemals haben. Außerdem war sie die Tochter eines mächtigen Lairds, er dagegen nur ein Bastard, der die Rolle des Lairds ausfüllen musste.

Zwischen ihnen durfte niemals etwas sein, und das sollte er jetzt sofort klarmachen. Er atmete tief durch, dann sprach er die Worte, die sie abermals für immer und ewig trennen würden.

„Lilidh, ich bin es … Rob Matheson.“

Für einen Moment versteifte sie sich, gleich darauf versuchte sie sich zu ihm umzudrehen. Er lockerte seinen Griff ein wenig, damit sie sich bewegen konnte. Sie musterte ihn aufmerksam, nahm die Veränderungen wahr, die die Folge des Erwachsenwerdens und vieler Kämpfe waren. Plötzlich begann sie wieder zu zittern, und dann folgte die Gefühlsregung, auf die er gehofft hatte. Sie würde ihr helfen, das zu überleben, was ihr zugestoßen war.

Wut. Wut blitzte in ihren Augen auf, und wie erwartet hob sie ihre freie Hand und holte aus. Aber trotz aller Kraft, die sie in diese Ohrfeige legte, konnte er ihren Arm mühelos abwehren.

„Ich freue mich auch, dich wiederzusehen, Lilidh. Es ist schon lange her“, spottete er voller Absicht.

„Du Bastard!“, fauchte sie ihn an. „Du steckst dahinter?“

Ehe er antworten konnte, rief Dougal nach ihm. „Die Dorfbewohner sind auf dem Weg hierher. Die Tore sind gesichert“, sagte er und sah die schöne Frau, die Rob in den Armen hielt. „Das ist also MacLeries Tochter?“ Sein bewundernder Blick war für jeden offensichtlich.

„Aye, sein ältestes Mädchen“, antwortete Rob in einem Tonfall, der desinteressiert klingen sollte.

„Und ihr zwei kennt euch?“, fragte er.

„Sei kein Narr, Dougal. Hier …“, er hielt ihm Lilidhs Hand hin und schob sie in seine Richtung, „… bring sie für den Augenblick irgendwo unter.“

„Symon sprach vom Adlerhorst. Willst du, dass ich sie dort hinbringe? Oder wo willst du sie haben?“, hakte Dougal nach und beobachtete ihn aufmerksam.

Wo er sie haben wollte? In seinem Bett, und zwar nackt. Aber das konnte er nicht zugeben. Der Adlerhorst war ein barbarisches Quartier, und wenn er sie dort einsperrte, würden die MacLeries und die MacGregors seine Feste noch schneller dem Erdboden gleichmachen. Rob entfernte sich ein paar Schritte von Dougal und Lilidh, fuhr sich durchs Haar und dachte nach. Alle standen sie um ihn herum versammelt und warteten darauf, was er sagen würde. Symon, Dougal, seine Getreuen und die ihm feindlich gesinnten Männer, die ihn zwar Clanführer nannten, die ihn aber aus dem Weg räumen würden, wenn er nur ein falsches Wort von sich gab.

„Bring sie in meine Gemächer“, befahl er leise. Es missfiel ihm, wie Dougal die rechte Augenbraue hochzog, um ihn wortlos zu tadeln. Trotzdem war er nicht gewillt, sich zu rechtfertigen.

Prompt wurden empörte Rufe laut. Die würde er schnell wieder verstummen lassen, jedoch auf eine Weise, die Lilidhs Hass auf ihn nur noch verstärken würde.

„Sie ist meine Gefangene!“, protestierte Symon, aber ehe er sich versah, schickte Rob ihn mit einem Kinnhaken zu Boden, wie er es schon seit Tagen hätte machen wollen.

„Ich bin der Clanführer, und sie ist meine Gefangene. Wolltest du nicht den MacLerie wütend machen, damit er herkommt? Hast du sie nicht aus diesem Grund entführt? Nun, jetzt ist sie hier, und sie gehört mir. Wenn ich sie mit mir das Bett teilen lasse, wird der MacLerie noch viel eher herkommen.“

„Ich werde nicht …“, widersprach Lilidh, kam aber nicht weiter, da Rob mit zwei ausholenden Schritten vor ihr stand, sie an den Schultern packte, sie zu sich hochzog und sie dann so auf den Mund küsste, dass jedem Umstehenden klar war, er würde von ihrem Körper Besitz ergreifen. Er machte das so überzeugend, dass alle in Jubel ausbrachen und mehr forderten.

Zuerst hielt sie die Lippen zusammengepresst, dann öffnete sie den Mund einen Spaltbreit, und er kostete die Süße, nach der er sich so viele Jahre verzehrt hatte. Und er kostete die Leidenschaft, die so lange Zeit aus vielerlei Gründen in einem tiefen Schlummer gelegen hatte. Gründe, die damals wichtig gewesen waren, die sich jetzt aber verflüchtigten. Seine Gedanken trieben davon, als sein Körper auf den Kuss reagierte und ihre Zungenspitze seine berührte.

Bis sie zubiss! Er hätte sich dafür ohrfeigen können, dass er sich selbst in diesem Schauspiel verloren hatte, das nur dazu dienen sollte, die anderen um sie herum ruhigzustellen. Er schob sie zurück in Dougals Arme und lachte, während er das Blut von seinem Mund abwischte. Sie hatte ihn tatsächlich bluten lassen.

„Symon, du wartest in meinem Arbeitszimmer auf mich. Dougal, bring sie in meine Gemächer. Greif zu einem Seil oder zu Ketten, wenn sie nicht aus freien Stücken dort bleiben will. Ich kümmere mich später um sie“, befahl er.

Lilidh sagte kein Wort, aber ihr Blick versprach Tod und Chaos – und er war für beides das Ziel.

Er wandte sich ab, um sich einer anderen Aufgabe zu widmen, ehe er sich diejenigen vornahm, die ihm seine Position als Laird streitig machen wollten. Dabei fragte er sich, ob sein Clan die Entführung Lilidh MacLeries überleben würde.

3. Kapitel

Lilidh versuchte, ohne fremde Hilfe bis zu seinen Gemächern zu gehen, indem sie sich von ihrem Zorn antreiben ließ, aber als sie den ersten Treppenabsatz auf dem Weg in den Turm erreicht hatten, ließen ihre Kräfte – und ihr Bein – sie im Stich. Ohne Robs Mann an ihrer Seite, der sie auffing und den Rest des Weges trug, wäre sie die Treppe hinuntergestürzt. Der Schwindel tat ein Übriges, indem er in Wellen auf sie einstürmte und ihre Sinne vernebelte. Jede Kraftreserve, die sie noch aufbringen konnte, um sich zur Wehr zu setzen, wurde von Schmerzen und Erschöpfung gleich wieder aufgezehrt.

Aber in dieser Mischung aus Verwirrung, Schmerz und Zorn fand sich auch eine Spur Erleichterung. Ganz gleich, welchen Anlass es gab, dass die Mathesons den Vertrag mit den MacLeries gebrochen hatten, und ganz gleich, wie tief der Graben reichte, der zwischen ihr und Rob klaffte – sie wusste, er würde ihr niemals etwas antun.

Daran änderte der Kuss ebenso wenig wie seine Ankündigung, sie in sein Bett zu holen … Heiße und kalte Schauer liefen ihr über den Rücken, wenn sie daran dachte, wie er sie geküsst hatte …

„Wir sind fast da“, sagte der Matheson mit Namen Dougal, der mit ihr in einen Gang eingebogen war. Was? Keine Androhung von Seilen oder Ketten? Das alles ergab keinen Sinn. Schließlich blieb er vor einer Tür stehen, eine Dienerin kam zu ihm und öffnete sie für ihn. Vor dem Bett setzte er sie ab.

Als sie ihr verletztes Bein benötigte, um stehen zu können, ließ es sie erneut im Stich. Die Muskeln in ihrem verletzten Oberschenkel zuckten und schickten stechende Schmerzen bis hinunter zum Fuß. Gegen ihren Willen sank sie zu Boden und hielt ihr Bein umklammert, während Dougal und die Dienerin sie ansahen.

„Dieser verfluchte Symon!“, fauchte er und kniete sich hin. „Was hat er Euch angetan?“ Dabei griff er nach ihren Röcken, um sie hochzuschieben, aber sie stieß ihn weg. Niemand würde ihr Bein zu sehen bekommen. Absolut niemand.

„Nein!“, rief sie und mühte sich ab, um sich aus dem Griff des Mannes zu befreien. „Das kommt von …“, begann sie, doch ihr wollte keine Ausrede einfallen. Sie winkte ab und ordnete die vielen Lagen Stoff. „Ich hatte einen Krampf“, sagte sie schließlich, was auch der Wahrheit entsprach.

Dougal wich zurück und musterte sie von Kopf bis Fuß. „Ihr könnt aber nicht leugnen, dass Ihr am Kopf verletzt seid. Habt Ihr Euch irgendetwas gebrochen? Irgendwelche blutenden Verletzungen?“

Nur ein gebrochenes Herz …

Sie verdrängte diesen Gedanken und horchte auf ihren Körper. „Nur Beulen und ein paar blaue Flecke“, antwortete sie schließlich und hob den Kopf. „Ihr seid Robs rechte Hand?“

„Kommt“, sagte er und ging über ihre Frage hinweg. „Nehmt meine Hand, damit ich Euch hochziehen kann.“ Zum Glück war er viel stärker als sie, denn wäre sie allein auf ihre eigenen Kräfte angewiesen gewesen, hätte sie es nicht geschafft aufzustehen. So wurde sie in einer fließenden Bewegung hochgezogen, und als sie stand, ließ er sie noch nicht los. „Na, seht Ihr. Es geht doch.“

Lilidh musste sich einen Aufschrei verkneifen, als der Schmerz sich wieder durch ihr Bein fraß. Sie ballte die Hände und kämpfte gegen das Verlangen an, sich einfach wieder fallen zu lassen. Sie durfte jetzt keine Schwäche zeigen, wenn sie eine Gefangene war, der Demütigung und Schmerz drohten, und wenn ihre Anwesenheit hier an diesem Ort den Krieg herbeiführen würde, den sie hatte abwenden wollen.

Wie dumm sie doch gewesen war!

Erst hatte sie geglaubt, sie könnte sich gegen die erfahrenen Krieger wehren, in deren Falle sie geraten waren. Und dann: Wie hatte sie annehmen können, es wäre ihr möglich, jemals etwas zu tun, dass sich das Verhältnis zwischen ihrem Vater und Rob verbesserte. Und schließlich – das war ihr verhängnisvollster Irrtum gewesen – hatte sie sich eingeredet, dass ein Wiedersehen mit Rob nach allem, was sie geteilt und verloren hatten, nicht so schmerzhaft sein würde wie ihre letzte Begegnung.

Dougal zog einen großen Armstuhl heran und bedeutete ihr, sich dort hinzusetzen. Sie atmete einmal tief durch, um sich gegen den Schmerz und gegen die Angst zu wappnen, dass sie hinfallen könnte. Dann ging sie langsam auf den Stuhl zu und setzte sich vorsichtig hin. Sie machte die Augen zu, da sie erwartete, dass Dougal den Befehl seines Lairds ausführte und sie an den Stuhl fesselte oder kettete. Als nichts passierte, öffnete sie die Augen einen Spaltbreit und sah, dass er vor ihr stand und ihr einen Becher hinhielt.

„Trinkt das“, sagte er. Lilidh schnupperte an dem Getränk, aber sie roch nur die üblichen Gewürze, mit denen dem Wein Geschmack verliehen wurde. Sie nahm den Becher und führte ihn zum Mund. „Das wird Eure Schmerzen lindern, während sich Beathas um Euren Kopf kümmert.“

Erst jetzt merkte Lilidh, dass die Frau immer noch da war, die ihnen die Tür geöffnet hatte. Die Kopfschmerzen wirkten sich auf ihre Reaktionen und ihre Sinne aus, und sie hinderten sie daran, sich einen Plan auszudenken, nachdem sie jetzt wusste, mit wem sie es zu tun hatte. Wenn ihr Kopf nicht mehr wehtat und die Wunde erst einmal aufgehört hatte zu bluten, würde sie wieder klar denken können. Dennoch gab es eine Frage, die sie jetzt noch stellen musste.

„Was ist mit meinen Wachen? Und mit meiner Kammerfrau? Wer kümmert sich um sie?“, wollte sie wissen, weil sie in Sorge um die Menschen war, die immer für sie da gewesen waren und die sie zuletzt leblos am Wegesrand hatte liegen sehen. Der Gedanke an sie ließ ihr einen Schauer über den Rücken laufen.

Mathesons Mann zuckte mit den Schultern.

„Der Laird hat mir aufgetragen, mich um Euch zu kümmern. Er wird jemanden losschicken, der nach den anderen sieht.“

Lilidh verstand, dass sie von ihm nicht mehr über das Schicksal ihrer Leute erfahren würde, also trank sie den Becher aus. Nach dem intensiven Geruch und dem vertrauten Geschmack zu urteilen handelte es sich vermutlich um einen Schlaftrunk oder um ein Mittel, das ihre Schmerzen lindern sollte. Im Moment hoffte sie, dass es genau das war. Sie hielt den leeren Becher in der ausgestreckten Hand, die Dienerin kam zu ihr und nahm ihn an sich. Danach dauerte es nicht lange, bis sich das Zimmer vor ihren Augen seltsam zu verändern begann.

Ihr fiel auf, dass die Flammen in dem auffallend großen Kamin anfingen, hin und her zu schwingen, und dass sie ihren Kopf im gleichen Takt bewegte. Sie hörte flüsternde Stimmen, aber trotz der Stille konnte sie nicht ein einziges Wort klar und deutlich verstehen. Sie hob den Kopf und sah zur Tür, aber das ganze Zimmer drehte sich jetzt um sie herum. Sie musste lachen und genoss die Wärme, die sich in ihren Adern ausbreitete.

Dann ging die Tür auf und schlug mit lautem Knall gegen die Wand. Rob stand da.

Sofort verschwand das Schwindelgefühl. Erinnerungen kamen ihr in den Sinn. Er als kleiner Junge, wie er mit ihrem Bruder spielte, wie er lernte mit Waffen umzugehen, wie er größer und stärker wurde.

Ihr erster Kuss.

Autor

Terri Brisbin
Das geschriebene Wort begleitet Terri Brisbin schon ihr ganzes Leben lang. So verfasste sie zunächst Gedichte und Kurzgeschichten, bis sie 1994 anfing Romane zu schreiben. Seit 1998 hat sie mehr als 18 historische und übersinnliche Romane veröffentlicht.
Wenn sie nicht gerade ihr Leben als Liebesromanautorin in New Jersey genießt, verbringt sie...
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