Die falsche Braut des Wüstenkönigs?

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Sie soll den König von Nazrat heiraten? Tessa ist schockiert, als ihre Freundin verlangt, dass sie an deren Stelle für die Pflichtehe mit Kahan vor den Altar tritt. Da das Gesicht der Braut während der Zeremonie hinter einem Schleier verborgen ist, würde der Schwindel erst danach auffallen. Ein verrückter Plan – und Tessas einzige Chance, etwas über den Verbleib ihres geliebten Bruders herauszufinden, der auf einer Reise nach Nazrat verschwand. Widerstrebend stimmt sie zu. Dumm nur, dass sie sich bald wirklich nach Kahans Nähe sehnt …


  • Erscheinungstag 05.08.2025
  • Bandnummer 162025
  • ISBN / Artikelnummer 0800250016
  • Seitenanzahl 144

Leseprobe

Anne Taylor

Die falsche Braut des Wüstenkönigs?

1. KAPITEL

„Natürlich liebe ich Kahan nicht“, erklärte Kendra beiläufig, während der Privatjet auf der Landebahn des Flughafens von Nazrat aufsetzte. Gleißend helles Sonnenlicht fiel durch die schmalen Fenster des Jets. Eine Anzeige über der Tür zur Pilotenkabine informierte sie, dass die Außentemperatur sechsunddreißig Grad Celsius betrug.

„Aber – du willst ihn morgen heiraten!“

Tessa starrte ihre Freundin fassungslos an. Obwohl Freundin zu viel gesagt war. Vor zehn Jahren hatten sie zusammen eine noble und sehr teure Privatschule in England besucht, das war eigentlich alles, was sie verband. Bis sie sich in der vergangenen Woche zufällig in London über den Weg gelaufen waren und Kendra sie spontan eingeladen hatte, sie zu ihrer Hochzeit nach Nazrat, einem Königreich im Norden von Afrika, zu begleiten.

Kendra zuckte in ihrer schneeweißen Designerlederja-cke gleichgültig mit den Schultern. „Das ist ein Deal, den Daddy für mich ausgehandelt hat. Und ich gebe zu, dass es verlockend ist, Königin von Nazrat zu werden. Kahan ist ein mächtiger Mann, und das Land ist sagenhaft reich, dank der Diamantenfunde in den letzten Jahren. Eben ist wieder eine neue Mine im Norden des Landes entdeckt worden. Daddy bekommt dafür die Schürfrechte und ich … ich werde Kahans Frau. Dann nehme ich die höchste gesellschaftliche Stellung ein, die möglich ist. Alle meine Freundinnen müssen dann vor mir knicksen. Du auch!“

Sie lächelte Tessa süffisant an. Die schüttelte nachdenklich den Kopf. Sich auf diese Weise zu verkaufen – das hatte Kendra doch eigentlich nicht nötig. Ihr Vater war ein vermögender Geschäftsmann aus Nazrat, dessen Bergbau-konzern zu den größten der Welt zählte. Kendra fehlte es an nichts. In England gehörte sie zu den angesagten It-Girls, die unter den begehrtesten Junggesellen des Landes wählen konnten.

Wollte man wirklich immer noch mehr, auch wenn man eigentlich schon genug hatte? Tessa überlegte. Sie sagte sich, dass sie schon zufrieden wäre, eine hübsche kleine Wohnung zu besitzen und einen Job zu haben, der ihr ein anständiges Einkommen sicherte, anstatt ständig von der Hand in den Mund zu leben. Wenn man alles verloren hatte, wurde man bescheiden in den Ansprüchen. Aber vielleicht machte sie sich auch nur etwas vor.

Würde sie ablehnen, wenn ein König um ihre Hand anhalten würde? Auch wenn sie ihn nicht liebte? Wahrscheinlich nicht. Ein Leben in Reichtum und Sicherheit war nicht zu verachten, das hatte sie in den vergangenen zehn Jahren gelernt. Aber würde sie auch so denken, wenn alles noch so wäre wie früher? Wenn sie immer noch die verwöhnte Tochter eines Earls wäre und nicht eine überarbeitete und unterbezahlte Krankenschwester in einem Londoner Krankenhaus? Würde sie trotzdem mehr wollen?

Oder würde sie immer noch von der großen Liebe träumen, wie sie es als junges Mädchen getan hatte? Von einem Märchenprinzen, der mit ihr in seinem Sportwagen in den Sonnenuntergang brauste? Solche romantischen Gefühle hatte sie sich mittlerweile abgewöhnt. Sobald die Nachricht vom Ruin der Familie Gordon durchgesickert war, hatten sich die jungen Männer, die ihr den Hof gemacht hatten, sehr schnell verabschiedet. Das war ziemlich ernüchternd gewesen.

Kendra stand mit der ihr eigenen katzenhaften Eleganz auf. Ihr Make-up war auch nach dem fast fünfstündigen Flug von London nach Azira, der Hauptstadt von Nazrat, immer noch makellos, ihr üppiges rabenschwarzes Haar fiel ihr in sanften Wellen über die Schultern. Tessa fasste rasch ihr eigenes langes blondes Haar am Hinterkopf zusammen, drehte es zu einem Chignon und steckte es mit einer Spange fest. Bei den zu erwartenden Temperaturen war eine Hochsteckfrisur bestimmt die beste Lösung.

Trotzdem schnappte sie überrascht nach Luft, als die Tür des Jets sich öffnete und sie mit Kendra auf die Gangway trat. Nach dem kühlen, regnerischen London kam ihr das heiße Wüstenklima Nazrats vor wie ein Schlag ins Gesicht. Im Nu war Tessa schweißgebadet. Rasch setzte sie ihre Sonnenbrille auf, um sich vor der gleißenden Sonne zu schützen. Neben dem silbrig glänzenden Jet, in dem sie gereist waren, wartete eine schwarze Stretchlimousine. Ein Chauffeur in Uniform lud ihr Gepäck in den Kofferraum – Tessas einzelnen alten Lederkoffer und Kendras zwölf Designergepäckstücke.

Deutlicher lässt sich unser gesellschaftlicher Abstieg wohl nicht zeigen, dachte Tessa seufzend. Ob Kendra sie deshalb eingeladen hatte – um neben dem Aschenbrödel besser glänzen zu können? Aber was immer der Grund war, Tessa wusste, dass sie ihr dankbar sein musste für die Möglichkeit, Nazrat zu besuchen, auch wenn die Einladung völlig überraschend für sie gekommen war. Wie sonst hätte sie jemals in das sagenumwobene Königreich mit seinem unglaublichen Reichtum und Luxus gelangen sollen? Und vielleicht konnte sieendlich herausfinden, was mit Neil geschehen war?

Ihr jüngerer Bruder war das Wichtigste in Tessas Leben. Nachdem sie ihren gesamten Besitz verloren hatten, war es ihre Aufgabe gewesen, sich um ihn zu kümmern. Neil war damals gerade erst sechzehn gewesen. Er war gezwungen, an eine öffentliche Schule zu wechseln und litt sehr unter den chaotischen Zuständen. Mit neunzehn musste Tessa plötzlich Mutter und Vater für ihn sein, nachdem ihre eigene Mutter einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte und wochenlang unfähig gewesen war, irgendetwas zu tun. Es fiel Tessa zu, ihren Umzug in eine kleine Wohnung zu organisieren und einen Job für sich zu suchen, um die Familie über Wasser zu halten. Lady Gordon lebte jetzt in Südspanien und genoss ihr Leben in der Sonne. Zu ihren Kindern hatte sie kaum noch Kontakt.

Das war jetzt acht Jahre her, trotzdem verspürte Tessa bei dem Gedanken immer noch einen Stich in der Brust. Konnte man seine Vergangenheit einfach so abschütteln, als hätte sie niemals existiert? Sie wurde jeden Tag, an dem sie in ihrem winzigen Apartment in einem Londoner Vorort aufwachte, daran erinnert, dass nichts in ihrem Leben mehr so war wie zuvor. Nachdem sie alles hatten veräußern müssen, um die Schulden ihres Vaters abzubezahlen, war ihr nicht einmal mehr das sprichwörtliche letzte Hemd geblieben. All die Antiquitäten, ihre teuren Kleider – selbst ihr geliebtes Reitpferd war unter den Hammer gekommen.

Neil war alles, was ihr noch an Familie geblieben war. Während sie erschöpfende Schichten in einem öffentlichen Krankenhaus mit langen Dienstzeiten und schlechter Bezahlung arbeitete, hatte er eine Karriere als freischaffender Journalist eingeschlagen. Tessa war sehr stolz auf ihn gewesen, als sein erster Artikel bei einer namhaften Zeitung erschienen war. Seitdem hatte er sich einen Namen als Reisejournalist gemacht, der aus den entlegensten Teilen der Welt berichtete.

Doch seit vor drei Monaten der Kontakt zu ihm abgerissen war und sie kein Lebenszeichen mehr von ihm erhalten hatte, war sie fast krank vor Sorge. Natürlich war ihr klar, dass sie nicht immer regelmäßige Nachrichten von ihm erwarten konnte, aber eine so lange Funkstille hatte es noch nie gegeben. Irgendetwas war geschehen, da war sich Tessa sicher. Er hatte ihr noch in einer E-Mail geschrieben, dass er sich in Nazrat aufhielt und einem Skandal auf die Spur gekommen war und dann – nichts mehr.

Deshalb hatte sie keinen Moment gezögert, Kendras Angebot anzunehmen. Vielleicht konnte sie vor Ort herausfinden, was mit Neil geschehen war. Mit klopfendem Herzen stieg Tessa in die wartende Limousine. In der Ferne ragten die beeindruckenden Wolkenkratzer der Hauptstadt Azira auf. Die Metropole galt als das Dubai Nordafrikas. Dank umfangreicher Diamantenfunde war Nazrat ein reiches Land, das alles daransetzte, mit luxuriösen Hotels und Geschäften Touristen anzuziehen.

Nachdenklich starrte Tessa aus dem Seitenfenster, als die Limousine sich in den Verkehr vor dem Flughafen einfädelte und auf einer fünfspurigen Autobahn Richtung Azira fuhr. Was würde Nazrat für sie bereithalten? Würde sie endlich herausfinden, warum Neil sich nicht mehr meldete?

Kahan stand auf dem Balkon seiner Privatsuite und schaute hinunter in den Innenhof des Palasts, in dem geschäftiges Treiben herrschte. Zahllose Dienstboten eilten hin und her, um die Vorbereitungen für den kommenden Tag abzuschließen. Zur Hochzeit des Königs musste der Palast seiner Vorfahren sich von seiner besten Seite zeigen.

Kahan zweifelte nicht daran, dass sein Haushofmeister jede Ecke des riesigen Gebäudes auf Hochglanz hatte polieren lassen. Staatsmänner und gekrönte Häupter aus der ganzen Welt wurden für die Zeremonie erwartet, die mit einem Bankett abgeschlossen wurde, das sich bis in die Morgenstunden des darauffolgenden Tages ziehen würde.

Kahan sah der Feier mit stoischem Gleichmut entgegen. Er legte wenig Wert auf Pomp und Luxus. Aber natürlich wusste er, dass er als Oberhaupt von Nazrat der Welt und seinen Gästen schuldig war, ein Spektakel zu liefern, an das man sich noch lange erinnern würde.

Schließlich hatte schon die Hochzeit seines Vaters mit seiner zweiten Frau Leyana vor fünf Jahren länger als eine Woche gedauert und mehrere Millionen gekostet. Bei dem Gedanken daran verkrampfte sich Kahan der Magen immer noch. Wie hatte sein Vater nur so tief sinken können, eine Frau zu heiraten, die jünger als sein ältester Sohn war? Aber sein Vater war schon seit langer Zeit nicht mehr er selbst, musste Kahan sich bedrückt eingestehen.

Eine beginnende Demenz hatte dafür gesorgt, dass der alte König vor drei Jahren abdanken musste, weil er nicht mehr in der Lage gewesen war, seinen Aufgaben nachzugehen. Trotzdem änderte das nichts daran, dass Leyana eine Schande für das Königshaus war. Ihre Prunksucht und Verschwendung kosteten den Staat ein Vermögen.

„Du weißt, dass deine Hochzeitseinladung eine ziemliche Überraschung für uns war“, riss sein Bruder Tariq ihn aus seinen Gedanken. „Und nicht unbedingt eine angenehme.“

Tariq und Hamned saßen in gemütlichen Polstersesseln in einer Ecke des großzügigen Balkons, beschattet von Sonnensegeln, um sie vor der Hitze des Tages zu schützen. Auf einem Tisch stand eine geschliffene Karaffe mit eisgekühltem Pfefferminztee, aus der Hamned sich ein Glas einschenkte und zur Abkühlung an die Stirn hielt.

„Ich kann meine Verheiratung nicht ewig hinausschieben, nur um meinen Brüdern einen Gefallen zu tun“, brummte Kahan und ließ sich in den dritten Sessel sinken. „Nazrat braucht endlich eine Königin und einen Thronerben. Es ist nicht meine freie Entscheidung, das wisst ihr.“

„Natürlich wissen wir das“, erklärte Tariq, auch wenn er die Verärgerung in seiner Stimme nicht ganz verbergen konnte. „Trotzdem hättest du uns schon früher darüber informieren können. Schließlich betrifft dieser Schritt auch uns beide.“

„Nicht mich“, wehrte Hamned ab und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Eine dunkle Haarsträhne fiel ihm tief in die Augen, und er strich sie mit einer ungehaltenen Bewegung zurück. „Ich lasse mein Leben nicht von dieser altertümlichen Vorschrift beherrschen. Wenn ich dadurch meine Vorrechte verliere, dann ist es eben so. Ich komme sehr gut allein zurecht.“

„Das komme ich natürlich auch“, beeilte Tariq sich zu versichern. „Trotzdem wird ein gewisser Druck auf uns ausgeübt, das könnt ihr nicht leugnen.“

„Kannst du diese Regelung nicht außer Kraft setzen?“, fragte Hamned. „Schließlich bist du der König.“

Kahan lachte mit einem Anflug von Bitterkeit. „Ein König, der sich nach den uralten Gesetzen richten muss. Für jede Veränderung brauche ich die Zustimmung der Stammesfürsten, das wisst ihr ganz genau. Und diesen Brauch werden sie bestimmt nicht aufgeben.“

Hamned stöhnte. „Ich möchte wirklich wissen, wer sich so etwas hat einfallen lassen. Dass alle Söhne des Königs – oder in unserem Fall die Brüder – innerhalb eines Jahres heiraten müssen, sobald der Erstgeborene sich vermählt hat. Andernfalls verlieren sie ihre Privilegien und erhalten auch keine finanzielle Unterstützung durch das Königshaus mehr. Das ist mittelalterlich!“

„Es soll den Fortbestand der Dynastie gewährleisten“, erklärte Kahan ihm geduldig.

„Indem man die Königssöhne aus dem Nest wirft?“

„Wenn du es so ausdrücken willst, ja. Sie werden auf diese Weise dazu angehalten, ihren Teil der royalen Aufgaben zu erfüllen und für den Fortbestand der Familie zu sorgen.“

„Angehalten ist gut“, stichelte Tariq. „Du meinst, sie werden gezwungen.“

Kahan nahm sich ebenfalls ein Glas von dem Pfefferminztee. Er betrachtete seine beiden Brüder. Wie ähnlich sie sich waren, und doch so verschieden. Tariq in seinem maßgeschneiderten Designeranzug und dem eleganten Kurzhaarschnitt bildete einen scharfen Kontrast zu Hamneds lässiger beiger Chinohose, dem weiten, halb offenen Hemd und dem etwas zu langen Haar.

Tariq war weltgewandt, clever und ehrgeizig. Als Zweitgeborener hatte er immer das Gefühl gehabt, sich beweisen zu müssen und seinen Platz zu erobern. Das tat er auch jetzt, mit seinen erfolgreichen Kaufhausprojekten in London, die er als Investor aus dem Boden stampfte. Erst kürzlich hatte ein neuer luxuriöser Einkaufstempel in der britischen Hauptstadt eröffnet.

Hamned dagegen war ein Rebell und Freigeist, der sich am wohlsten auf dem Rücken eines seiner preisgekrönten Rennpferde fühlte. In der Nähe von Azira besaß er ein Gestüt, aus dessen Zucht schon diverse Champions hervorgegangen waren. Dass Ned, wie sie ihn nannten, sich nicht von der Heiratsregel, die seit Jahrhunderten in Nazrat galt, würde gängeln lassen, stand fest. Ned liebte nichts so sehr wie seine Freiheit.

Bei Tariq war Kahan sich da nicht so sicher. Denn unter seinem smarten Äußeren verbarg sich ein hoffnungsloser Romantiker, der von der großen Liebe träumte, die ein Leben lang hielt. Kahan konnte dem nichts abgewinnen. Was nützte es, jemanden über alles zu lieben, wenn man diesen Menschen doch nur wieder verlieren würde? Der frühe Tod seiner Mutter hatte ihm das deutlich vor Augen geführt. Oder wenn dieser Mensch nur hinter dem Luxus und den Annehmlichkeiten her war, die man zu bieten hatte? So wie Leyana.

„Wir sind nun einmal aus dem Haus al Assidi, der Königsfamilie von Nazrat“, erklärte Kahan seufzend. „Wir besitzen Macht und Ansehen. Im Gegenzug müssen wir gewisse Verpflichtungen erfüllen, die für normale Menschen nicht gelten. Daran können wir nichts ändern.“

„Du hast dich immer sehr schnell mit deinen Pflichten abgefunden. Das konnte ich nie verstehen“, meinte Ned. Er grinste. „Ich weiß noch, dass ich mich immer im Stall bei den Pferden versteckt habe, wenn wir im Hof exerzieren mussten.“

„Ich wurde so erzogen“, erklärte Kahan rundheraus. „Von klein auf wurde mir klargemacht, dass ich der zukünftige König bin und eine Verpflichtung meinem Land gegenüber habe. Es ist mir nie in den Sinn gekommen, mich dagegen aufzulehnen. Ich habe es als Ehre empfunden.“

„Jedenfalls bin ich froh, dass ich nicht der Älteste von uns bin. So habe ich zumindest die Freiheit, auf meine Privilegien zu verzichten.“

„Ich wusste übrigens nicht, dass du Kendra Ananda kennst“, warf Tariq ein. „Sie ist in London ziemlich bekannt. Erst vergangenen Monat war sie bei der Eröffnung meines neuen Kaufhauses. Ich hätte nicht gedacht, dass ihr euch in den gleichen Kreisen bewegt.“

„Ich kenne Kendra nur flüchtig“, gab Kahan zu.

Ned runzelte die Stirn. „Und warum willst du sie dann heiraten?“

„Weil ihr Vater ein einflussreicher Geschäftsmann unseres Landes ist. Seine Kontakte werden bestimmt sehr wertvoll für mich sein.“

„Du heiratest sie wegen ihres Vaters?“, fragte Tariq ungläubig.

„Ich tue das, was für den Thron und für mein Land am besten ist“, erklärte Kahan ruhig.

Er wollte seinen Brüdern gegenüber nicht zugeben, dass Nazrat längst nicht so gut dastand, wie es in den Medien kolportiert wurde. Die Modernisierung des Landes seit seiner Krönung hatte Milliarden verschlungen. Er brauchte einen starken Partner an seiner Seite, um seine Pläne weiterhin umzusetzen. Sharif Ananda war die ideale Wahl für ihn, auch wenn der Geschäftsmann nicht den besten Ruf hatte.

„Aber … heiraten? Du bindest dich damit für den Rest deines Lebens an sie!“, rief Ned fassungslos. „Ich finde, da geht dein Pflichtbewusstsein ein bisschen zu weit.“

„Ich finde es vernünftiger, sich aufgrund von rationalen und wohlüberlegten Schlüssen zu einem solchen Schritt zu entschließen, als die Entscheidung nur aus einem sentimentalen Moment heraus zu treffen.“

Nicht so wie Vater, dachte Kahan grimmig.

„Oh, aber solche sentimentalen Momente können manchmal sehr prickelnd sein“, wandte Ned mit einem frechen Grinsen ein.

„Wenn ich nicht an morgen denken muss, gebe ich dir da durchaus recht. Aber hier geht es nicht um Liebe. Es geht um die Zukunft von Nazrat. Und es ist meine Aufgabe, sie bestmöglich zu gestalten. Ich habe entschieden, dass Kendra an meiner Seite dafür von großem Nutzen sein kann.“

Tariq schüttelte den Kopf. „Ich hoffe, du wirst nicht dein blaues Wunder erleben, Bruderherz. Kendra hat in London den Ruf, äußerst kapriziös und flatterhaft zu sein. Ich kann sie mir eigentlich nicht als Königin unseres Landes vorstellen.“

„Sie hat eingewilligt. Das ist alles, was für mich zählt. Ich gehe davon aus, dass sie sich mit neunundzwanzig über die Tragweite ihrer Entscheidungen im Klaren ist.“

„Das sollte sie“, gab Tariq zu, auch wenn seine Stimme zweifelnd klang. „Dann wünsche ich euch beiden viel Glück.“

„Danke“, erwiderte Kahan steif. Er erwartete nicht, Glück in dieser Beziehung zu erleben. Seine Zukunft war vorgezeichnet. Er würde bis ans Ende seiner Tage über Nazrat herrschen. Und er brauchte dafür eine Königin an seiner Seite, die Repräsentationsaufgaben erfüllte und ihm einen Thronerben schenkte. Das war alles.

Er wusste, dass er seine beiden Brüder mit seiner Entscheidung auf dem falschen Fuß erwischt hatte. Tariq und Ned hatten sich ihr eigenes Leben aufgebaut, über das sie selbst bestimmen konnten. Tariq war drei Jahre jünger als er und Ned fünf. Die beiden sahen keine Notwendigkeit für sich, bereits eine Bindung einzugehen. Sie genossen ihre Freiheit und Unabhängigkeit.

Diesen Luxus konnte Kahan sich als Herrscher nicht leisten. Nachdem er bereits achtunddreißig war, hatte er eine gewisse Unruhe in der Regierung und bei den Stammesfürsten gespürt. Die Nachfolge musste gewährleistet werden, eine Königin sollte seiner Regentschaft zusätzliche Stabilität geben. Diesen Anforderungen konnte er sich nicht entziehen.

Kahan wandte den Blick zum fernen Horizont, wo die Sonne begann, in einem glühenden Ball, der alles in ein flirrendes orangefarbenes Licht tauchte, unterzugehen. Das Haus al Assidi herrschte seit über fünfhundert Jahren in Nazrat. Diese Tradition musste er bewahren, ob er wollte oder nicht. Kahan hatte schon früh im Leben gelernt, seine persönlichen Gefühle und Befindlichkeiten unter einer harten Schale aus Pflichtbewusstsein und Disziplin zu verbergen.

Auch wenn er sich manchmal nach einer Frau sehnte, in deren Augen er bedingungslose Liebe und Hingabe lesen konnte. Einer Frau, die in ihm den Mann sah und nicht den machtvollen König.

2. KAPITEL

„Es ist wundervoll!“

Staunend betrachtete Tessa das Hochzeitskleid, das die Dienerinnen auf Kendras Kingsize-Bett ausgebreitet hatten. Sie waren in einer geräumigen Suite im Ostflügel des Palasts untergebracht. Die frühe Morgensonne fiel durch das offene Fenster auf den zarten Chiffonstoff und ließ ihn im Glanz seiner zahllosen aufgenähten Strasssteine erstrahlen. Das Kleid schien in allen Farben des Regenbogens zu changieren. Kendra betrachtete es mit kühler Gelassenheit.

„Es hat auch genug gekostet“, erklärte sie leichthin. „Und dabei wird man bei der Zeremonie gar nichts davon sehen. Das ist zu schade!“

„Wieso wird man nichts davon sehen?“, fragte Tessa, die sich von dem Anblick kaum losreißen konnte. Ob sie jemals wieder ein Kleid tragen würde, das nur annähernd so atemberaubend war? Traurig erinnerte sie sich an all die Sommerfeste und Bälle und Abendgesellschaften, die sie mit ihren Eltern besucht hatte, gekleidet in exquisite Roben von namhaften Designern. Natürlich nichts, das so kostbar gewesen wäre wie dieses Hochzeitskleid, aber elegant und schön. Diese Zeit war lange vorbei.

Kendra zündete sich eine Zigarette an und ließ sich nachlässig auf der Armlehne eines der Polstersessel nieder, sodass ihr seidiger Morgenmantel aufsprang und ihre makellosen gebräunten Beine entblößte. „Weil die Braut die ganze Zeit über dieses abscheuliche Ding tragen muss!“

Sie deutete auf eine Kleiderpuppe, über deren Kopf ein kunstfertig geknüpfter Spitzenschleier gestülpt war. Der Schleier, mit unzähligen Perlen und Edelsteinen besetzt, reichte auf allen Seiten fast bis zum Boden. Er hüllte die Braut vollständig ein und ließ ihre Silhouette darunter nur erahnen.

Autor