Die pure Versuchung

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Dass Dan Crenshaw nicht ganz nüchtern ist, als sie ihn in der Strandbar trifft, kann seiner atemberaubend männlichen Ausstrahlung nichts anhaben - und wie erwartet, hat Shannon sofort wieder Schmetterlinge im Bauch. Seit sie denken kann, ist sie in den umwerfend attraktiven Bruder ihrer Freundin Mandy verknallt, auf deren Wunsch hin sie dem Aussteiger bis auf diese Insel gefolgt ist. Ob sie Dan zur Rückkehr in die Heimat bewegen kann, bleibt abzuwarten. Dass sie die Zeit in seiner Nähe aber nutzen wird, steht fest. Und weil das Haus, in das sie Dan später begleitet, eine ordnende Hand gebrauchen kann, ist ein Vorwand, zu bleiben, auch schnell gefunden. Der Abend ist noch nicht vorbei, als Dan sie das erste Mal küsst - und er vor Verlangen ebenso brennt wie sie. Während seine Hände über ihren Rücken gleiten, suchen seine Lippen erneut ihren Mund. Und sein hungriger Kuss verspricht Shannon das aufregendste Abenteuer ihres Lebens …


  • Erscheinungstag 16.03.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733746049
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Dan Crenshaw bemerkte sie, kaum dass sie die verrauchte Bar betreten hatte. Er war nicht der Einzige. In ihrem provozierenden trägerlosen, mit tropischen Pflanzen bedruckten Kleid und ihren schwarzen Haaren, die bis über ihre Schultern herabreichten, fiel die Frau wie eine exotische Blume in einem Beet voller Unkraut auf.

Obwohl sie klein war, hatte sie nichts Kindliches an sich. Das Kleid umschmiegte so verführerisch ihre Kurven, dass sie die Blicke sämtlicher Männer auf sich zog.

Ihr Erscheinen in der kleinen Bar verhieß Ärger, und das war das Letzte, was Dan wollte.

Die Glanzzeiten der heruntergekommenen Bar lagen über vierzig Jahre zurück. Sie befand sich in einem alten Gebäude, das eine Aussicht auf die Bucht bot, und dessen verwitterte Fassade und Schild nicht viele Urlauber anlockte, die zum ersten Mal auf die Insel kamen. Dan war sich ziemlich sicher, dass die Frau nicht zu den Ortsansässigen gehörte.

Ein lokaler Radiosender spielte Oldies, deren Lautstärke selbst die lauteste Unterhaltung an der Bar fast übertönte. Für einen Wochentag herrschte ziemlich viel Betrieb. Auf den Barhockern am Ende der Theke saßen die Stammgäste und redeten über die Ereignisse des Tages. Nachdem alle die Frau begutachtet hatten, setzten sie ihre Gespräche fort.

Dans Stammplatz war seit seiner Ankunft auf South Padre Island der hinterste Tisch des Raumes. Er kam gern hierher, weil man ihn in Ruhe ließ. Genauso wollte er es.

Eines Morgens vor ein paar Wochen hatte er plötzlich seinen Glauben an sich selbst verloren und seine Ranch in Hill Country ebenso wie sein Computerunternehmen in Austin hinter sich gelassen. Er hatte sich auf den Weg nach Süden gemacht, und diese Insel war der südlichste Punkt, an den er gelangen konnte, ohne Texas oder die Vereinigten Staaten zu verlassen.

Jetzt saß vor seinem Drink und fragte sich, wieso ein Frau, die so aussah wie sie, einen solchen Ort besuchte. Er rechnete damit, dass sie jeden Moment ihren Irrtum erkannte und wieder ging. Stattdessen schaute sie sich in Ruhe um und schlenderte auf die Tische im hinteren Teil der Bar zu.

Die Theke war von bunter Neonreklame beleuchtet, wohingegen der übrige Raum im Dunkeln lag. Sturmlaternen mit kleinen Kerzen standen auf jedem der acht Tische und bildeten winzige Inseln des Lichts.

Sie setzte sich zwei Tische entfernt von ihm und legte ihre Handtasche neben sich auf den Stuhl. Dan konnte ihr Profil sehr gut erkennen – die hohe Stirn, die aristokratische Nase, die sinnlichen Lippen, das sanft gerundete Kinn und den langen schmalen Hals.

Laramie, der Barkeeper, stolperte in seinem Eifer, zu ihr zu gehen, über seine eigenen Füße. Und dann beugte er sich zu ihr, um ihre Bestellung entgegenzunehmen.

Dan trank aus und winkte Laramie mit seinem Glas, damit er ihm einen neuen Drink brachte. Als er erneut aufsah, stellte er fest, dass die Frau ihn anblickte. In der verräucherten, schwach beleuchteten Bar schimmerten ihre Augen wie polierte Obsidiane, in deren schwarzen Tiefen sich das Kerzenlicht spiegelte. Dan hob sein leeres Glas und prostete ihr zu.

Sie musterte ihn einen Moment mit unbewegter Miene, ehe sie wieder zur Bar sah, hinter der Laramie gerade mit Gläsern in beiden Händen hervoreilte.

Dan nahm seinen Scotch und nippte vorsichtig daran. Es erstaunte ihn nicht im Geringsten, dass sich die junge Frau brüsk von ihm abwandte. Wahrscheinlich sah er aus wie ein Pirat, der vor Kurzem an den Strand gespült worden war.

Nachdenklich rieb er sich das Kinn, ohne sich erinnern zu können, wann er sich das letzte Mal rasiert oder seine zerzausten dunklen Haare gekämmt hatte. Keiner seiner Angestellten würde ihn jetzt erkennen. Wahrscheinlich würde ihn so nicht einmal seine eigene Schwester erkennen.

Mandy. Verdammt. Sie hatte ihm heute Abend am Telefon reichlich zugesetzt, weil er sich weigerte, nach Hause zu kommen.

Sie verstand einfach nicht, wie verführerisch das Leben auf der Insel sein konnte. Er schlief, wann er wollte, aß, wann er wollte, trank, wann er wollte. Es war das erste Mal seit Jahren, dass er in dem Apartment wohnte, das er vor einigen Jahren billig gekauft hatte, als der mexikanische Markt einen Kurssturz erlebte und die Wirtschaft entlang der Grenze zwischen Südtexas und Mexikos litt.

Sein Apartment befand sich im höchsten Gebäude auf der Insel und bot einen eindrucksvollen Blick auf den Golf von Mexiko und die Bucht, die die Insel von Port Isabel trennte.

Nein, er hatte absolut kein Verlangen, die Insel zu verlassen. Was ihn betraf, so hatte er sein neues Zuhause gefunden. In Gedanken stieß er darauf an und trank einen langen Schluck.

So, ich habe ihn gefunden, dachte Shannon. Und was jetzt?

Sie trank vorsichtig einen Schluck vom Wein des Hauses und nahm sich zusammen. Sie hatte den Verdacht, dass in dieser Bar nur sehr selten Wein bestellt wurde.

Shannon widerstand dem Impuls, am Oberteil ihres Kleides zu zupfen. Sie hatte es an diesem Nachmittag in einer der Inselboutiquen in der Hoffnung gekauft, damit Dans Aufmerksamkeit zu wecken. Leider hatte sie nicht mit den anderen Männern in der Bar gerechnet.

Na schön. Sehen wir den Tatsachen ins Auge, sagte sie sich. Ich bin keine Femme fatale. Eher das Gegenteil. Shannon hatte den Großteil ihres Lebens mit der Nase in Büchern oder vor einem Computerbildschirm verbracht. Ihr war nie daran gelegen gewesen, durch ihre Kleidung das Interesse der Männer zu wecken.

Abgesehen davon hatte ohnehin kein Vertreter des anderen Geschlechts je Notiz von ihr genommen, außer in ihrer Schulzeit, wenn sie Hilfe bei ihren Hausaufgaben brauchten. Und später, wenn … aber darüber wollte sie nicht nachdenken. Sie musste ihre jüngste Erfahrung mit Rick Taylor einfach ihrer mangelnden Kenntnis der männlichen Psyche zuschreiben. Von ihren zwei Brüdern mal abgesehen, hatte sie privat nicht viel mit Männern zu tun gehabt.

Als sie den Plan für diese Unternehmung fasste, hatte sie sich überlegt, dass sie etwas tun musste, damit Dan sie überhaupt bemerkte. Daher das neue Kleid.

Gut, er sah sie also an. Sein Blick hatte ihren Puls beschleunigt. Aber er hatte sie nicht erkannt.

Das hatte sie auch nicht erwartet. Schließlich war das der Sinn dieser Übung. Wie ein Schmetterling, der aus seinem Kokon schlüpft, hatte Shannon beschlossen, für sich eine ganz neue Identität zu erschaffen.

Vielleicht war es keine glückliche erste Wahl gewesen, in jenen paar Monaten mit Rick auszugehen. Aber nach dem Gespräch mit Mandy McClain letzte Woche war sie entschlossen, sich von ihrer Enttäuschung nicht wieder in ihren einsamen Lebensstil zurücktreiben zu lassen. Sie wollte ihrem Herzen folgen. Endlich wollte sie ihre Jugendträume verwirklichen.

Dan Crenshaw war seit ihrem dreizehnten Lebensjahr der Liebhaber ihrer Träume gewesen. Damals war er im Abschlussjahr der Highschool gewesen. Ein Footballstar. Beliebt, klug und attraktiv.

Sie hingegen hatte noch mit dem zu kämpfen, was ihre Mutter liebevoll Babyspeck nannte. Babyspeck? Mit dreizehn? Was auch immer es war, sie fühlte sich dick und schwerfällig zwischen ihren Freundinnen. Die dicken Brillengläser hatten es nicht gerade besser gemacht.

Natürlich sah sie seit Jahren nicht mehr so aus. Schon als sie das College besuchte, war sie schlank und trug Kontaktlinsen. Dennoch hinterließen diese frühen Jahre eine Narbe in der Psyche eines Menschen. Es gab Zeiten, da fühlte sie sich übergewichtig und hässlich, ganz gleich, was sie im Spiegel sah.

Das Kleid sollte ihr Selbstbewusstsein stärken. Stattdessen machte der freizügige Schnitt sie nervös.

Sie hörte, wie ein Stuhl zurückgeschoben wurde, und drehte sich langsam um.

Dan stand auf! Oh nein! Nicht jetzt! Sie hatte doch noch gar nichts unternommen. Erst jetzt registrierte sie, dass er nicht zur Tür ging, sondern zur Bar schlenderte und mit dem Barkeeper sprach, der in ihre Richtung sah und lachte. Danach ging Dan den Gang hinunter zu den Toiletten.

Shannon atmete erleichtert auf. Sie hatte also immer noch die Gelegenheit, ihn anzusprechen.

Was ihr nicht leicht fallen würde. Sie hatte keine Ahnung, wie er vor seiner Ankunft hier ausgesehen hatte. Durch den Aufenthalt auf der Insel hatte seine Haut jedenfalls eine sehr attraktive Bräune angenommen. Er trug ein ärmelloses T-Shirt und eine abgeschnittene Jeans, die seinen festen Po und seine muskulösen Beine zur Geltung brachte. Seine Füße steckten in Gummisandalen.

Nicht gerade die übliche Kleidung für den Chef eines Unternehmens.

Mandy hatte recht. Es musste etwas unternommen werden. Und Shannon hatte nicht vor, bei ihrer neuesten Mission zu versagen – sie würde Dan Crenshaw vor sich selbst retten.

Als Dan von den Toiletten zurückkehrte, hatte Laramie ihm an der Bar einen neuen Drink bereitgestellt. Dan trug das Glas zwischen Daumen und Mittelfinger zu seinem Tisch.

Die Frau nippte noch immer an ihrem ersten Drink. Wein – das passte.

Er setzte sich und lehnte sich, den Stuhl auf zwei Beinen balancierend, an die Wand. Heute Abend war er in besonders schlechter Stimmung. Warum nur hatte er den verdammten Telefonhörer abgenommen?

„Was ist?“, hatte er gebrüllt, nachdem das Telefon schon den ganzen Nachmittag immer wieder geklingelt hatte.

„Meldet man sich etwa so am Telefon?“, erwiderte Mandy.

„Was willst du?“

„Du brauchst nicht so grob zu sein.“

„Und du musst nicht jeden verdammten Tag anrufen, um sicherzugehen, dass ich mich noch nicht vom Balkon gestürzt habe.“

Es folgte Stille in der Leitung, ehe Mandy schließlich sagte: „Das ist nicht besonders komisch, Dan. Und zufällig habe ich dich seit drei Tagen nicht mehr angerufen.“

„Tatsächlich? Dann hast du ja einen neuen Rekord aufgestellt. Ich schicke dir eine Medaille.“

Diesmal dauerte die Stille noch länger an. Viel länger. Endlich hörte er ein Seufzen. „Wir müssen uns unterhalten“, sagte Mandy.

„Das tun wir gerade.“

„Über DSC.“

„Ich habe dir schon gesagt, dass ich nicht über die Firma reden will.“

„Oh ja, das hast du mir deutlich genug zu verstehen gegeben, großer Bruder. Es fiel dir nicht schwer, einfach zu gehen und zu erklären, dass du Schluss machst. Aber die Welt dreht sich weiter, auch wenn du beschlossen hast, nicht mehr mitzuspielen. Du hast immer noch Verträge einzuhalten und Produktionsquoten zu erfüllen. Wenn ihr beide fort seid, du und James, gibt es niemanden mehr, der die Firma leiten kann. Du hast Rafe als Chef des Sicherheitsdienstes eingestellt. Er hat überhaupt keine Ahnung, wie er dein Unternehmen für dich leiten soll.“

„Darum hat ihn auch niemand gebeten.“

„Aber irgendjemand muss es tun! Eine nationale Arbeitsvermittlung hat sich gemeldet. Sie sagten, du hättest Kontakt mit ihnen aufgenommen, und jetzt wollen sie wegen der Bewerber Termine mit dir vereinbaren. Niemand weiß, was wir ihnen sagen sollen. Rafe ist für Einstellungsgespräche nicht qualifiziert. Sehen wir mal von den möglichen Umsatzeinbußen durch deine Abwesenheit ab, brauchen wir immer noch jemanden, der dafür sorgt, dass die bereits unterschriebenen Verträge eingehalten werden. Geschieht das nämlich nicht, wirst du mit Klagen überzogen werden. Ich kann mir jedoch nicht vorstellen, dass es dir Spaß machen würde, wieder vor Gericht zu stehen.“

„Das ist unfair, Mandy.“

„Du findest momentan alles unfair. Aber ich habe es allmählich satt, dich mit Samthandschuhen anzufassen. Rafe würde dir das niemals sagen, aber jemand muss es tun. Du musst aufhören, nur über deine Schmerzen, deinen Verlust und deine Qual nachzudenken und dir zur Abwechslung mal Gedanken über andere machen. Hast du eine Ahnung, wie viele Stunden Rafe in das Unternehmen investiert, um dich zu retten? Ich sehe ihn kaum noch. Er kommt selten vor elf nach Hause und verschwindet um sieben am nächsten Morgen schon wieder. Das ist doch keine Art zu leben. Ich weiß, dass James dich verletzt hat …“

„Verletzt? Verdammt, Mandy, hier geht es nicht um meine verletzten Gefühle. Er hat alles versucht, um mir seine Taten in die Schuhe zu schieben! Wenn Rafe nicht den Beweis für seine Beteiligung gefunden hätte, dann säße ich jetzt im Gefängnis, und nicht James.“

„Genau das sage ich ja! James war dein Freund, und er hat dich verraten. Er hat dich viel Geld gekostet und beinah die Firma ruiniert. Schön und gut. Aber er war nicht dein einziger Freund. Rafe war immer für dich da, und wir anderen haben unser Möglichstes getan, damit dir die Sache nicht so zusetzt. Du kannst nicht einfach abtauchen und dich um nichts mehr kümmern. Die Dinge erledigen sich nun einmal nicht von selbst.“

„Wieso ruft Rafe mich nicht an und sagt mir das alles?“

„Wann sollte er denn dafür Zeit haben?“

Darauf fiel Dan keine schlagfertige Entgegnung mehr ein. Er wusste, wie viele Stunden Arbeit die Firma von einem forderte. Er hatte jahrelang seine ganze Zeit investiert, unterstützt von seinem alten Studienfreund und Partner James Williams. Der sich als mieser Dieb entpuppte …

Dan wollte sich nicht daran erinnern. „Ich werde mit Rafe reden“, murmelte er schließlich.

„Wann?“

„Bald.“

„Wie bald?“

„Hör auf, mich zu drängen, Mandy. Ich sagte, ich würde mit ihm reden. Und jetzt gib Ruhe.“

„Du kannst manchmal ein solcher Idiot sein, Dan.“

„Ich liebe dich auch. Gib Angie einen dicken Kuss von ihrem Onkel Dan.“

„Gib ihn ihr selbst!“, fuhr sie ihn an und knallte den Hörer auf die Gabel.

Er versuchte, das Gespräch mit Mandy zu vergessen und konzentrierte sich wieder auf das Geschehen um ihn herum. Er konnte sich nicht erinnern, dass seine Schwester jemals so wütend auf ihn gewesen war. Er hob seinen Drink an die Lippen, um die Erinnerung fortzuspülen.

Das Problem war nur, dass Mandy recht hatte. Er war ein Idiot gewesen. Wieder einmal war Rafe für ihn eingesprungen. Er fragte sich, ob sein Freund – und jetzt auch Schwager – es nicht irgendwann satthaben würde, ihn zu retten.

Das Geräusch eines Stuhls, der auf dem Zementfußboden zurückgeschoben wurde, weckte seine Aufmerksamkeit. Dan sah von seinem Drink auf. Die Frau in dem sexy Sarongkleid stand vor seinem Tisch und schaute auf ihn herunter. Als sein Blick endlich ihr Gesicht erreichte, schenkte sie ihm ein verführerisches Lächeln.

„Du solltest hier nicht ganz allein sitzen“, sagte sie mit sinnlicher Stimme. Ohne auf eine Erwiderung zu warten, setzte sie sich ihm gegenüber und trank langsam einen Schluck Wein, wobei sie ihn nicht aus den Augen ließ.

Er stieß sich von der Wand ab, sodass sein Stuhl wieder auf allen vier Füßen stand. Er nahm einen schwachen blumigen Duft wahr, und dachte, dass der glatt von den Blumen auf ihrem engen Kleid kommen konnte. Dan blinzelte und fragte sich, ob er vielleicht eingeschlafen war, ohne es zu merken.

Aus der Nähe erkannte er, dass ihre Haut fast wie die einer zarten Porzellanfigur schimmerte. Na schön, offenbar träumte er tatsächlich. Zugegeben, er war schon eine ganze Weile nicht mehr mit einer Frau zusammen gewesen. Möglicherweise war der Alkohol schuld daran, dass er glaubte, seine Traumfrau stehe live und in Farbe vor ihm.

Er legte die Hände auf den Tisch, umfasste sein Glas und lächelte ihr zu.

Für einen kurzen Moment wirkte sie erschrocken. Dann trank sie erneut einen Schluck aus ihrem Weinglas und fuhr sich mit der Zunge nervös über die Unterlippe, eine Geste, die seine Aufmerksamkeit ganz auf ihre verlockenden Lippen lenkte.

„Ich habe Sie hier noch nie gesehen“, sagte er schließlich und hätte über diesen flachen Spruch beinah laut aufgestöhnt. Ja, er war eindeutig eingerostet, was das Flirten anging.

Sie beugte sich vor und legte ihre Hand an seine Wange. Er zuckte zusammen und wich abrupt zurück.

„Sind dir die Rasierklingen ausgegangen?“, erkundigte sie sich.

Er deutete zur Bar. „Die Rasierten finden Sie dort drüben, wenn Ihnen die lieber sind.“

Ihre Stimme klang jetzt noch sinnlicher. „Wieso sollten die mir lieber sein, Danny, wo ich doch deinetwegen den ganzen weiten Weg gekommen bin.“

Ja, er hatte entschieden zu viel getrunken. Das war die einzige Erklärung für das offenkundige Interesse dieser schönen Fremden an ihm. Die ganze Szene musste Einbildung sein. Aber woher kannte diese Frau seinen Namen?

Er musterte sie mit zusammengekniffenen Augen und fragte: „Wer zur Hölle sind Sie?“

Sie lehnte sich mit einem Lächeln zurück, das sogar Heilige in Versuchung geführt hätte. „Aber Danny, erkennst du mich denn nicht? Ich bin dein schlimmster Albtraum.“

„Oh, das glaube ich kaum“, erwiderte Dan und registrierte vage die Reaktion seines Körpers auf sie.

Die Frau betrachtete ihn eine Weile schweigend. Dann sagte sie, als würde sie mit sich selbst sprechen: „Ich denke, wir sollten dich nach Hause bringen.“ Sie stand auf und nahm seine Hand. „Gehen wir.“

Die Unterhaltungen an der Bar verstummten. Dan bemerkte, dass die meisten Gäste in seine Richtung schauten. Wieso auch nicht? Diese umwerfend attraktive Frau bat ihn, sie mit nach Hause zu nehmen. Er war noch immer nicht ganz sicher, wie er zu der Ehre kam, aber er würde auf keinen Fall ablehnen.

Langsam stand er auf und lächelte schief. „Ganz wie Sie wünschen, Süße“, sagte er.

„Mein Name ist Shannon. Kannst du dich daran erinnern?“ Sie legte ihm den Arm um die Taille und bugsierte ihn zur Tür. Er lachte. Irgendetwas musste er wohl richtig machen.

Er stieß die Tür auf und trat hinaus. Eine angenehme Brise strich vom Golf her über die Insel. Dan atmete tief ein und genoss die frische Luft nach der schwülen Hitze in der Bar.

Am Himmel leuchtete ein Halbmond und spendete genug Licht, um die Umgebung zu erkennen.

„Eine großartige Jahreszeit für einen Aufenthalt auf der Insel, nicht wahr?“, meinte er beschwingt.

Shannon trat zur Seite und beobachtete ihn, als würde sie damit rechnen, dass er hinfiel.

Er nahm ihre Hand. „Ich hatte keine Ahnung, dass der Oktober die beste Zeit auf der Insel sein würde. Nur wenige Touristen sind hier, das Wetter ist herrlich. Was kann man mehr verlangen?“

„Es ist November“, korrigierte sie ihn, führte ihn zu einem kleinen Sportwagen und öffnete die Beifahrertür. „Steig ein. Ich fahre dich nach Hause.“

Er gehorchte. „Gute Idee. Es ist ein langer Weg zurück. Normalerweise gehe ich gern zu Fuß, aber Sie scheinen es heute Abend ja eilig zu haben.“ Er lehnte sich in den Sitz zurück und schloss die Augen.

Shannon ging um den Wagen und stieg auf der Fahrerseite ein. Sie sah Dan an und schüttelte den Kopf. Oh Dan, was machst du nur mit dir? dachte sie. Jetzt, wo sie hier war, verstand sie Mandys Sorge.

Zum Glück konnte sie ein wenig Urlaub gebrauchen. Dan hatte recht, was die Jahreszeit betraf. Die jahreszeitlich bedingten Regenfälle hatten noch nicht begonnen, und für die Wintertouristen war es auch noch zu früh.

Mandy hatte ihr erklärt, wo sich das Apartment befand. Sie hielt am Tor. „Wie lautet der Sicherheitscode?“ Sie wartete. „Dan?“

„Hm?“

„Der Sicherheitscode.“

„Oh.“ Er ratterte die Zahlen herunter. Sie hoffte, dass es die richtigen waren. Doch das Tor schwang auf, sobald sie die Zahlen eingetippt hatte. So weit, so gut. Sie fuhr auf den Parkplatz und wandte sich erneut an Dan.

„Okay, großer Junge. Jetzt musst du mir helfen.“

Dan öffnete die Augen, setzte sich auf und schaute sich um. „Ich schlafe dauernd ein. Oder ich wache dauernd auf.“ Er sah sie an und grinste breit. „Oh ja. Sie gehören eindeutig zu meinem Traum.“

Shannon versuchte nicht die Augen zu verdrehen. Sie stieg aus und ging auf seine Seite. Es gelang ihm, allein auszusteigen. Er nahm ihre Hand und zog sie förmlich zum Eingang des Gebäudes. Ein Wachmann erkannte ihn und öffnete ihm die Tür.

„Guten Abend, Mr. Crenshaw“, begrüßte ihn der Mann.

„Ebenso“, erwiderte Dan. Er marschierte zu den Fahrstühlen und drückte den Knopf. Die Tür ging sofort auf. Mit der ihm eigenen Höflichkeit bedeutete er Shannon einzusteigen und folgte ihr.

„Welches Stockwerk?“, fragte sie.

„Das oberste.“

„Hm. Das muss eine tolle Aussicht sein.“

„Ja, nicht schlecht.“

Sie schwiegen, bis sich die Türen wieder öffneten. Dan ging voran und kramte in den Taschen seiner kurzen Jeans nach dem Schlüssel. Nachdem er die Tür aufgeschlossen hatte, vollführte er eine einladende Geste mit der Hand. „Willkommen in meiner bescheidenen Bleibe.“

Bescheiden war diese Bleibe keineswegs zu nennen. Sie funkelte von Chrom, Glas und Spiegeln. Ein großer Berberteppich erstreckte sich über den gesamten Fußboden. Shannon sah einen langen Balkon, der sich um das ganze Apartment zog.

„Was möchten Sie trinken?“, wollte Dan wissen.

Sie drehte sich um. Dann stand hinter einer Hausbar und hielt eine Flasche hoch. Sie lächelte und war trotz der Umstände amüsiert. „Nein danke. Vielleicht später.“

Er schenkte ihr erneut ein charmantes Lächeln, von dem sie weiche Knie bekam. „Möchten Sie auch die anderen Räume sehen?“

Sie faltete die Hände in Höhe ihrer Taille und nickte. „Gern.“

Er führte sie rasch durch das Esszimmer und die luxuriös ausgestattete Küche. Shannon warf einen kurzen Blick in den Kühlschrank und die Speisekammer. Beide waren leer.

Es gab drei Schlafzimmer, jedes mit einem eigenen Bad. Nun, das wird die Dinge ein wenig leichter machen, dachte sie und folgte ihm ins Hauptschlafzimmer.

Die Aussicht von dort war spektakulär. Er konnte im Bett liegen und den Mond beobachten, wie er am Himmel seine Bahn zog.

Dan schloss den Lamellenvorhang und drehte sich zu ihr um. „Wie sagten Sie, ist Ihr Name?“

„Shannon.“

„Hübscher Name.“

„Danke.“

„Woher kennen Sie meinen Namen?“

„Das war nicht schwierig, da ich dich schon fast mein ganzes Leben lang kenne.“ Sie ging zu dem zerwühlten Bett und strich die Decke glatt, bevor sie sie aufschlug. „Wieso legst du dich nicht ein wenig hin? Wir unterhalten uns morgen weiter.“

Er ging schwerfällig auf sie zu und sagte: „Ich glaube nicht, dass wir beide viel Schlaf bekommen werden, oder?“ Er umarmte sie und presste seinen Mund auf ihren.

Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie versuchte, ihn wegzuschieben. Der Kuss veränderte sich und ging in ein zärtliches Erkunden ihres Mundes über, und Shannon entspannte sich in seinen Armen.

Schließlich war es Dan. War dies nicht seit Jahren eine ihrer Fantasien? Aber das brauchte er nicht zu wissen. Und sie würde nichts tun, was ihn glauben ließ, dass er sie erfolgreich verführt hatte.

Sie entwand sich seiner Umarmung und wich zurück. Sie versuchte ihre Fassung wiederzugewinnen und zu Atem zu kommen. Er sollte nicht wissen, wie wenig Erfahrung sie in solchen Dingen hatte.

Durch ihre plötzliche Flucht verlor er das Gleichgewicht. Zum Glück fiel er vorwärts und landete mit dem Gesicht auf dem Bett.

Er rührte sich nicht mehr.

Vorsichtig näherte sie sich ihm. Er lag ausgestreckt auf dem Bett, den Kopf in den Kissen. Ein Fuß ragte über die Bettkante hinaus. Er hatte seine Gummisandalen verloren. Sie betrachtete ihn einen Moment und beschloss dann, ihn dort liegen zu lassen. Sie breitete eine leichte Decke über ihm aus, verließ das Zimmer und schloss leise die Tür hinter sich.

Im Wohnzimmer entdeckte sie das Telefon. Jetzt war eine gute Gelegenheit, mit Mandy Kontakt aufzunehmen. Sie nahm das schnurlose Telefon mit auf den Balkon, setzte sich in einen der bequemen Sessel und wählte Mandys Nummer.

Als Mandy sich meldete, sagte sie: „Hallo, hier ist Shannon. Mission erfüllt. Ich habe Dan heute Abend gefunden.“

Mandy seufzte erleichtert. „Dem Himmel sei Dank. Wie geht es ihm?“

Shannon grinste. „Er scheint sich den Einheimischen angepasst zu haben. Er mag zwar nicht bis in die Südsee gelangt sein, aber er sieht aus wie ein typischer Strandräuber.“

„Ist er dünner geworden?“

„Das kann ich dir nicht sagen. Immerhin habe ich ihn seit einigen Jahren nicht gesehen. Ich finde, er sieht ganz gesund aus.“

„Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Es ist mir heute im Lauf des Tages gelungen, ihn zu erreichen. Aber wir hatten einen furchtbaren Streit.“

„Mir hat er keine Schwierigkeiten gemacht. Ich habe ihn in einer Bar aufgespürt und vorgeschlagen, zu ihm zu fahren.“

„Gut. Hat er dich wieder erkannt?“

„Soll das ein Witz sein? Er hat nicht die leiseste Ahnung, wer ich bin oder weshalb ich hier bin. Ich fürchte, morgen früh wird er nicht mehr so glücklich sein, mich zu sehen.“

Mandy seufzte erneut. „Ich weiß wirklich nicht, was ich noch machen soll. Rafe ist auch keine Hilfe. Er sagt, jeder im Unternehmen hat Verständnis für die Situation. Zum Glück gibt es gute Abteilungsleiter, die selbstständig arbeiten können.“

„Ich verstehe deine Besorgnis. Schließlich habe ich selbst zwei große Brüder. Wenn einer von ihnen so den Halt verlieren würde, wäre ich auch krank vor Sorge.“

„Ich kann dir gar nicht sagen, wie dankbar ich dir dafür bin, dass du dich für mich um ihn kümmerst.“

Shannon lachte. „Ich fürchte, der Job wird morgen früh erst richtig schwierig. Aber ich werde schon mit ihm fertig. Wie ich schon sagte, ich bin es gewohnt, mit meinen Brüdern zurechtzukommen.“

„Ich hoffe, du kommst auch dazu, die Insel zu genießen.“

„Das habe ich vor. Schließlich war ich seit fünf Jahren nicht mehr hier. Ich werde mich ernsthaft dem Sonnenbaden widmen.“

„Ich bin sicher, dass Dan dir danken wird für das, was du für ihn getan hast, sobald er sich wieder gefangen hat.“

„Da bin ich mir nicht so sicher. Aber ich hätte noch immer gern eine der freien Stellen in seiner Firma. Wenn er also wirklich so dankbar sein sollte, kann er mich einstellen.“

Autor

Annette Broadrick
Bis Annette Broadrick mit sechzehn Jahren eine kleine Schwester bekam, wuchs sie als Einzelkind auf. Wahrscheinlich war deshalb das Lesen immer ihre liebste Freizeitbeschäftigung. Mit 18 Jahren, direkt nach ihrem Abschluss an der Highschool, heiratete sie. Zwölf Monate später wurde ihr erster Sohn geboren, und schließlich wurde sie in sieben...
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