Die schöne Tochter des Bastards

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York, im Jahr 1381. Stolz klatscht Rowenna Beifall: Ritter Robert, ihr Freund aus Kindheitstagen, hat das Turnier gewonnen! Doch als sie ihm kurz darauf gratulieren will, schrickt sie zurück. Denn er trägt nicht länger sein Kettenhemd. Halbnackt steht Robert am Brunnen und kühlt seine Blessuren. Wie gern möchte Rowenna ihn plötzlich küssen, seine Muskeln spüren, sich an ihn schmiegen. Statt Freundschaft spürt sie loderndes Verlangen! Aber ein Bund fürs Leben mit ihm scheint unmöglich: Sie ist nicht standesgemäß für den zukünftigen Lord Danby – sondern nur die Tochter eines Bastards …


  • Erscheinungstag 23.01.2024
  • Bandnummer 393
  • ISBN / Artikelnummer 0814240393
  • Seitenanzahl 256

Leseprobe

1. KAPITEL

Das erste Anzeichen dafür, dass Rowenna Danby in Schwierigkeiten steckte, war das trompetenartige Geschnatter der Gänse. Sie erstarrte, während sie auf dem stabilsten Ast eines Birnbaumes stand und sich gerade nach einem besonders reifen Exemplar reckte. Aus den Augenwinkeln sah sie die weiße Horde entschlossen in ihre Richtung watscheln. Irgendein Teufel hatte die Gänse freigelassen, und nun stürzten sie zielstrebig ihrem liebsten verbotenen Ort entgegen: dem Obstgarten, in dem sich Rowenna derzeit aufhielt. Es gelang ihr, mit den Fingerspitzen die Birne vom Zweig zu lösen, doch sie entglitt ihr gleich darauf und fiel zu Boden.

„Ochsenziemer!“

Niemand war in der Nähe, der hören könnte, wie sie ihres Vaters liebsten Fluch gebrauchte – andernfalls hätte sie auch nicht gewagt, etwas so Undamenhaftes von sich zu geben. Sie setzte sich auf den Ast und rutschte so weit daran hinunter, bis sie das restliche Stück springen konnte. Das Geräusch von reißendem Stoff begleitete ihr Keuchen, als sie wie ein Sack auf den Boden plumpste und sich dabei Knie und Handflächen aufschürfte. Erneut fluchte sie, teils wegen des Schmerzes, teils, weil ihr ohnehin schon schmutziges Kleid nun auch noch einen Riss aufwies. Sie spuckte sich in die Handfläche, wischte sie an ihrem Mieder ab und hob die Birne auf. Das Fallobst, das sie gesammelt hatte, ehe sie von dieser einen perfekten Frucht hoch über sich in Versuchung geführt worden war, lag aufgehäuft am Stamm des Birnbaumes.

Das aufgeregte Schnattern wurde lauter und näherte sich. Rowenna zögerte, hin- und hergerissen zwischen dem Drang zu flüchten und dem Wissen, dass sie Lady Danbys Stock zu spüren bekam, kehrte sie ohne die Birnen zurück. Rasch sammelte sie die Früchte in ihren grasbefleckten Rock und begab sich auf den Pfad zurück Richtung Wharram Manor.

Doch zu spät. Ein Dutzend Gänse versperrte ihr den Weg. In ihren Knopfaugen glänzten Gier und Entschlossenheit, ihr Trompetengeschnatter wandelte sich zu einem erwartungsvollen, sanften Singsang.

„Kusch!“ Rowenna stampfte mit dem Fuß auf, was die Tiere nicht im Mindesten beeindruckte. Sie zog den Rock mit den Früchten enger und wich zum Baum zurück. „Sssssss! Verschwindet! Die gehören mir.“

Die garstigen Geschöpfe schienen das nur als Herausforderung zu betrachten, kamen näher und schwärmten aus, um sie einzukesseln. Rowenna drückte sich gegen den Baumstamm. In der Hoffnung, für Ablenkung zu sorgen, suchte sie die kleinste Birne heraus und warf sie ihnen zu. Das Obst verschwand augenblicklich unter einem Haufen fluffiger Federn, doch sie hatte ihnen damit lediglich die Bestätigung gegeben, das begehrte Gut zu haben. Nun, da die Gänse sie als Futterquelle ausgemacht hatten, stürzten sie in beängstigender Geschwindigkeit auf sie zu. Sie stieß ein weiteres Zischen aus, im Versuch, den Mob zu vertreiben, und wusste doch, dass sie niemals an ihnen vorbeikommen würde, ohne heftig gezwickt zu werden.

Sie unterdrückte gerade einen verängstigten Schluchzer, als eine dunkelhaarige Gestalt ihre Aufmerksamkeit erregte. Augenblicklich hob sich ihre Stimmung.

„Robbie! Hilf mir!“

Ihr Cousin Robbie schlenderte am Bach hinter dem Dorf entlang. Er sah sich nach demjenigen um, der nach ihm gerufen hatte, und grinste, als er sie in ihrer misslichen Lage entdeckte. Seine sonst so ernsten Augen funkelten belustigt.

„Steckst du in Schwierigkeiten, K-lößchen?“

„W-w-wie du s-s-s-sehen kannst, du schwerfälliger Trottel!“, rief sie zurück, seine stockende Sprechweise nachäffend. Ihre Bezeichnung für ihn war nicht unbedingt zutreffend, doch der Spitzname, den er für sie nutzte, trieb sie jedes Mal zur Weißglut. Er war weder schwerfällig noch ein Trottel, aber Robbie machte gerade jene merkwürdige Phase durch, unter der die meisten Dreizehnjährigen litten, wenn ihre Gliedmaßen viel zu lang waren. Er bewegte sich durchaus anmutig, aber mit einer unerträglichen Langsamkeit. Und jetzt trottete er auch noch von ihr fort.

„Wo willst du hin?“, fragte sie aufgebracht.

Er starrte finster zu ihr, augenscheinlich verletzt.

„Wenn du mich beleidigst, überlasse ich dich eben dir selbst.“

Rowenna verspürte einen Anflug von Schuld. Robbie hasste es, dass er sich mit manchen Lauten so abmühen musste. Manchmal sagte er stundenlang kein Wort, wenn er mit Leuten zusammen war, die er nicht kannte. Und gerade heute hatte Robbie schon genug Sorgen, auch ohne dass Rowenna ihn verspottete.

„Es tut mir leid, Robbie. Wirklich! Du weißt, dass ich dich nicht für einen Trottel halte. Bitte, steh nicht da herum und lach mich aus.“

Robbie kam zurück, ließ sich, als Vergeltung für ihre Gemeinheit, jedoch reichlich Zeit und bedachte sie mit einem weiteren kleinen Grinsen. Onkel Roger sagte oft, dass Rowenna die Einzige sei, die Robbie zum Lächeln bringen konnte, doch im Moment würde sie ihm dieses Lächeln nur zu gerne aus dem Gesicht schlagen.

„Du steckst offenbar ziemlich in der Klemme, Klößchen. Lady Stock wird nicht erfreut sein, wenn sie sieht, was du mit deinem Rock angestellt hast.“

Tränen traten ihr in die Augen. Der Spitzname, den Robbie und sie seiner Großmutter heimlich gegeben hatten, erinnerte sie daran, was geschehen würde, wenn Lady Danby herausfand, was sie mit ihrem Kleid gemacht hatte und mit den Früchten.

„Hör mit den Späßen auf! Einen feinen Ritter wirst du abgeben, wenn du eine Frau ihrer Not überlässt.“

Robbie zog die Stirn kraus. Rowenna hatte ins Schwarze getroffen. Er wollte unbedingt ein Ritter werden, wie schon sein Vater und Großvater vor ihm.

„Ich entschuldige mich ja“, fügte sie hinzu.

„Nun, dann, Lady Rowenna, wenn ich ein Ritter werde, musst du mir ein Zeichen deiner Gunst geben.“

„Du kannst eine Birne haben, und nicht bloß eine vom Fallobst. Ich habe eine gute von ganz oben gepflückt.“

Rowenna schenkte ihm ein Lächeln, das, wie sie hoffte, einer Dame würdig war. Eines der wenigen Dinge, in denen sich ihre Mutter und Lady Danby einig waren, war, dass Rowenna die Erziehung erhielt, wie sie von der Tochter eines Zunftgenossen erwartet wurde. Inzwischen wusste sie, wie man in einen Knicks sank und einem Mann zeigte, für wie wundervoll sie ihn hielt.

Robbie verschränkte die Arme vor der Brust und verdrehte so übertrieben die Augen, dass sie sich unweigerlich fragte, ob ihr schmeichlerisches Lächeln etwas zu viel des Guten gewesen war. Er war es eher gewohnt, von Rowenna im Ringelstechen besiegt oder vor die Knöchel getreten zu werden, während sie einem Ball über die Wiese nachjagten. Während die Dorfjungen sich instinktiv zurückhielten, wenn sie Rowenna angriffen, zögerte diese umgekehrt niemals, und die meisten von ihnen gaben den Ball lieber freiwillig auf, bevor sie riskierten, sich selbst vor Rowennas derben Stiefelspitzen wiederzufinden. Sie gelobte, in zukünftigen Spielen zu versuchen, etwas sanfter vorzugehen, wenigstens Robbie gegenüber.

„Bitte“, flehte sie. „Ich will keinen Ärger bekommen. Die Birne ist wirklich gut.“

Mit einem Kopfnicken deutete sie auf die Früchte in ihrem Rock. Robbie verdrehte erneut die Augen, grinste aber.

„Du benimmst dich eher wie Eva, die mich mit verbotenen Früchten zur Sünde verleiten will, statt wie eine Lady am Hofe, nur wette ich, d-dass Eva nicht so töricht gelächelt hat. Aber ich n-nehme an, ich kann dich so nicht zurücklassen.“ Galant zückte er ein imaginäres Schwert. „Fürchtet Euch nicht, Lady Rowenna, Sir Robert Danby wird Euch vor diesen schurkischen Kreaturen erretten!“

Er rannte auf Rowenna zu, wirbelte mit den Armen und schrie, was seine Lungen hergaben. Die Gänse zerstreuten sich, einige streiften Rowenna mit den Flügeln, als sie an ihr vorbeihuschten. Robbie tänzelte aus dem Weg, um den Schnäbeln zu entgehen, die nach ihm schnappten. Nur einmal schrie er auf, als ihn eine Gans in die Wade zwickte. Ermutigt fügte sie seinem Gebrüll auch ihre Stimme hinzu und lief an Robbies sichere Seite. Er umfasste ihre Taille und sorgte damit beinahe dafür, dass sie ihren gerafften Rock voller Birnen losließ. Ausgelassen lachend brachten sie sich auf dem Grün außerhalb des Gartens in Sicherheit und ließen sich in das saftige, von Heidekraut durchsetzte Gras fallen.

Als Rowenna wieder zu Atem gekommen war, boxte sie Robbie fest auf den Oberarm.

„Au! Wofür war das denn? Ich half dir doch!“

„Aber wann?!“

„Du sahst s-so lustig aus, in die Ecke gedrängt, mit riesengroßen Augen und im Versuch, nicht ängstlich zu wirken.“

Und ich sagte dir, du sollst mich nicht Klößchen nennen.“ Sie zog die Knie an die Brust und nuschelte vor sich hin: „Du weißt, ich mag das nicht.“

Ihr Vater nannte sie stämmig, und ihre Mutter sagte, Rowenna werde schlanker werden, wenn sie älter würde, doch für die elfjährige Rowenna lag das noch in ferner Zukunft.

„Lady Klößchen!“, krähte Robbie. Dann zeigte er mit dem Finger auf sie. „Du hast Dreck im Gesicht.“

„Und du hast Gänsemist an der Hose“, erwiderte sie.

„Tja, und dein Haar ist wie St-stroh.“

„Und dein Gesicht ist ein einziger großer Pickel.“

„Und dennoch sehen wir beide besser aus als die Zwillinge oder Henry und John.“

„Und sind schlauer.“

Sie setzten sich zurecht, als Ehre und Humor durch die Beleidigungen gegen Rowennas ältere Brüder und Robbies Zwillingsschwestern wiederhergestellt worden waren. Henry war siebzehn, John vier und die Zwillinge beinahe sieben. Rowenna und Robbie waren sich vom Alter her am nächsten und in einem starken Bund zueinander gemeinsam aufgewachsen.

„Nun, holde Lady Rowenna“, sagte Robbie, als er endlich nicht mehr lachen musste und wieder Luft zum Sprechen hatte. „Du versprachst mir eine Belohnung für meine D-Dienste.“

Rowenna schlug ihren gerafften Rock auf und enthüllte das Obst, das in ihrem Schoß lag. Sie suchte die beste Birne heraus und reichte sie ihm. Robbie lehnte sich vor und biss davon ab, während Rowenna sie noch hielt. Ein wenig bedauerte sie den Verlust ihrer Beute. Robbie, der ihre geheimen Gedanken immer zu kennen schien, schob sie zu ihr.

„Wir teilen.“

Sie biss ab und leckte sich die Lippen, um keinen Tropfen des süßen Safts zu vergeuden. Hungrig verfolgte Robbie das Geschehen mit den Blicken, und in Rowennas Bauch regte sich ein ganz merkwürdiges, flattriges Gefühl. Er mochte unter den Problemen eines Jünglings leiden, doch hinter seinen Pickeln und dem kläglichen Versuch, sich einen Bart wachsen zu lassen, verbarg er ein schönes Lächeln und ein gutmütiges Wesen. Seit sie denken konnte, war er Rowennas liebster Spielgefährte.

Sie streckte die Hand aus, rieb über die Stelle, an der sie seinen Arm geboxt hatte, überrascht, dort feste Muskeln zu spüren. Langsam zog sie die Hand zurück und zog dabei mit den Fingern diese unerwarteten Konturen nach. Sie fragte sich, wie es wäre, ihn zu küssen, und wünschte, sie hätte das statt der Birne vorgeschlagen. Der Gedanke überraschte sie, und sie wusste nicht, was sie mehr beunruhigte – es überhaupt gedacht zu haben oder dass sie dabei nicht die geringste Scham empfand.

Mutter hatte sie ermahnt, dass sie in nicht allzu ferner Zukunft heiraten würde und sich bis dahin bedeutend mehr wie eine Lady verhalten müsse. Sie drohte Rowenna, sie in ihr Stadthaus in York zu schicken, wo sie mit den Töchtern und Gemahlinnen der Repräsentanten der städtischen Zünfte verkehren konnte statt mit den Kindern aus dem kleinen Dorf im Heidemoor.

Robbie brachte sie öfter zum Lachen als alle anderen Jungen, die sie kannte. Er wäre eine gute Wahl, und ihre Eltern wären überglücklich. Sie könnten zusammen in Wharram leben, und sie wäre nicht zu weit fort von Daheim. Geistesabwesend reichte sie Robbie die halb gegessene Birne, ihr Kopf voller Visionen einer Zukunft, die sie nie wirklich in Erwägung gezogen hatte, bis jetzt.

Ihre Tagträumerei wurde unterbrochen, als Rowennas Mutter von Robbies Haus her auf sie zukam. Robbie sprang auf und lief ihr entgegen.

„Tante Joanna, ist M-M …?“

Er ließ das Wort ausklingen, unfähig die Frage zu beenden. Angst ballte sich in Rowenna zusammen.

„Deiner Mutter geht es gut.“ Joanna drückte ihn an ihren eigenen dicken Bauch. „Deshalb bin ich hier. Ihr Baby ist da. Eine weitere Tochter.“

Robbies Augen glänzten. Nach drei Schwangerschaften, die zu früh geendet hatten, hatte schließlich eines von Lucy Danbys Babys die Geburt überlebt.

„Ich bleibe bei deiner Mutter, bis dein Vater zurück ist“, sagte Joanna. „Geh und überbringe die guten Nachrichten deinem Großvater. Ich komme mit Ro nach.“

Mit den langen Gliedmaßen regelrecht rudernd, lief Robbie davon. Rowenna, die Birnen im Rockschoß geborgen, ging neben Joanna her und sorgte sich nicht länger um die verlorene Frucht, ihre aufgeschrammte Hand oder das zerrissene Kleid. Es gab viel Arbeit zu tun und ein Neugeborenes, um das sich gekümmert werden musste. Genug, um sie von dem Gefühl dieses seltsamen Bedürfnisses abzulenken, das Robbies Blick in ihrem Innersten wachgerufen hatte.

Robbies Großeltern waren in der großen Halle, Lady Danby saß an ihrem Stickrahmen, Lord Danby lauschte einem Geschichtenerzähler. Beide sahen beunruhigt auf, als Robbie eilig hereinstürmte.

Robbie verlangsamte die Schritte und blieb mitten im Raum stehen. In der Feuerstelle loderten wilde Flammen, etwas übertrieben für einen milden Herbsttag wie diesem, doch vielleicht spürten ältere Leute die Kälte stärker. Selbst wenn es eisig gewesen wäre, hätte Robbie es vorgezogen, ein wenig zu frösteln, statt den Flammen zu nahe zu kommen. Wegen seiner Abneigung gegen Feuer und weil er sich weigerte, auch nur einen Fuß in Onkel Hals Schmiede zu setzen, wurde er unentwegt von seinen Cousins gehänselt.

„Du siehst ja ganz furchtbar aus, Junge!“, sagte Lady Danby scharf. „Weshalb störst du uns? Mein Gemahl sagte, deine Pflichten für heute wären erfüllt, und ich dachte, du wärst nach Hause gegangen.“

Lucy hatte darauf bestanden, dass er seine Ausbildung zum Ritter als Page im Hause seines Großvaters begann statt bei einem Fremden, den sie nicht kannten. Er hätte es wirklich vorgezogen, in dem kleineren, neueren Herrenhaus zu sein, das seine Eltern am anderen Ende von Wharram Danby gebaut hatten, doch als seine Mutter begonnen hatte, während der Wehen vor Schmerzen zu schreien, war er zurückgeschickt worden. Den Gedanken behielt er für sich, obwohl sein Blick auf den dünnen Stock fiel, den seine Großmutter zum Gehen nutzte – und um ihre Enkel zu bestrafen und sämtliche Dorfkinder, die sie verärgerten.

Er überbrachte die Neuigkeiten, atmete langsam, in der Hoffnung dann weniger zu stottern. Manchmal fühlten seine Lippen sich an wie eine Tür, die sich nicht öffnen lassen wollte, wie sehr er auch dagegen drückte. Es war immer etwas schlimmer, wenn er nervös war, was er in Gegenwart seiner Großmutter eigentlich immer war.

„Noch eine Tochter? Lucy muss selig sein.“ Lord Danby erhob sich und kam zu Robbie. Er kniff die milchigweißen Augen zusammen, während er mit seinem Stock vor sich über den Boden tastete.

„Ein Sohn wäre zu bevorzugen gewesen“, bemerkte Lady Danby mit einem schmallippigen Lächeln. „Wie schade, dass Robert zu einem weiteren Mädchen heimkehren wird.“

Robbie verbiss sich eine Erwiderung. Zwischen ihm und seinen Zwillingsschwestern lagen sieben Jahre und weitere sechs zwischen ihnen und dem Neugeborenen. Seine Mutter hielt es für ihr Versagen, seinem Vater keinen Sohn schenken zu können, wie oft auch immer er ihr versicherte, er sei zufrieden, wie es war.

„Das erklärt dennoch nicht deine Erscheinung, Junge“, fuhr Lady Danby fort.

Robbie betrachtete seine Kleidung. Er hatte wirklich Gänsemist an der Hose und Grasflecken an den Knien, und seine Finger klebten vom Birnensaft.

„J-j-jemand ließ die Gänse in den Obstgarten, und sie g-g-griffen Rowenna an.“

Lady Danby sah ihn von oben herab an. Welchen Grund er auch für seine Erscheinung anführen mochte, er nahm an, sie würde es missbilligen. Als er die Zwillinge am Ende der Halle um die Ecke des Podiums lugen sah, kam ihm ein Verdacht, wer die Übeltäter waren.

„Das erklärt wenigstens, weshalb mein Koch den halben Nachmittag auf die Birnen warten musste. Wo ist dieses unnütze Mädchen jetzt?“

Robbie wurde die Antwort durch Rowennas und Joannas Eintreffen erspart. Joanna wies Robbie an zu bleiben und kehrte dann schon wieder zurück zu Lucy. Kaum war sie fort, beorderte Lady Danby Rowenna zu sich. Mit zitternder Stimme wiederholte Rowenna ihre Geschichte und zeigte das Obst her, das für unzureichend befunden und in die Küche gebracht wurde, um daraus Mus zu machen.

„Du bist eine Zumutung, Rowenna Danby.“ Lady Danby griff nach ihrem Stock. „Ich hatte gehofft, du zeigtest allmählich etwas Anstand, doch wie ich sehe, ist dem nicht so.“

„Anstand hätte die Birnen nicht gepflückt“, erwiderte Rowenna. „Oder die Gänse verjagt!“

Robbie spannte sich innerlich an. Rowenna wusste nie, wann es besser war, den Mund zu halten. Es war zum Verzweifeln.

„Du unverschämtes Kind! Streck deine Hand aus. Du bekommst zwei Schläge.“

Lady Danbys Stimme war eiskalt vor Entrüstung. Rowenna wimmerte leise. Sie streckte ihre Hand aus, die ohnehin schon rot und zerkratzt war. Hier und da quoll ein wenig Blut hervor. Die Schläge würden schmerzhafter sein als sonst.

„Es war nicht ihre Schuld! Meine Sch-sch-schwestern ließen die Gänse hinaus.“ Robbie schritt durch den Raum und stellte sich zwischen Rowenna und seine Großmutter. „Wenn Ro bestraft wird, dann müssen die Zwillinge auch bestraft werden.“

Lady Danbys Blick ging zu den Mädchen, die fröhlich am Feuer spielten, und winkte beide zu sich.

„Ist es wahr, was euer Bruder sagt?“

Anne nickte schüchtern. Lisbet schmunzelte und scharrte mit dem Fuß über den Boden. Beide sahen nahezu identisch aus, abgesehen von Annes etwas glatterem Haar und einem kleinen Mal an Lisbets linkem Knöchel, und ähnelten eher ihrem Vater als ihrer Mutter. Beim Anblick der beiden wurde Lady Danbys Blick sanfter.

„Das war ungezogen von euch, Mädchen. Wenn ihr das wieder tut, muss ich auch euch bestrafen. Nun kehrt zurück zu eurem Spiel und seid leise.“

Die Mädchen huschten erleichtert kichernd davon.

„Streck die Hand aus, Rowenna“, wiederholte Lady Danby.

Mit wachsender, ohnmächtiger Wut sah Robbie zu, wie Rowenna die Hand ausstreckte und die Augen schloss. Der Stock zischte durch die Luft und traf. Rowenna wimmerte wortlos auf und ballte die Hand fest zur Faust. Tränen liefen über ihre runden roten Wangen. Sie öffnete die Hand wieder und schrie beim zweiten Schlag laut auf, als Blut hervorquoll.

„Das wird dich hoffentlich lehren, dich mehr wie die Lady zu benehmen, die deine Eltern aus dir zu machen versuchen“, sagte Lady Danby. „Bei dem Makel, der deiner Familie anhaftet, wird es schwer genug, dir einen Platz in der Gesellschaft zu sichern, auch ohne dass du alles dafür tust, dies zu vereiteln.“

Rowenna errötete noch tiefer, doch zu Robbies Erleichterung war sie vernünftig genug, sich gegen dieses Höhnen nicht zu erheben.

„Nun, Robbie. Deine Hand. Dafür, dass du so anmaßend warst.“

Kühn erwiderte er Lady Danbys Blick. Er biss die Zähne zusammen und hielt den Atem an, stolz, dass er, als der Stock seine Handfläche traf, nicht einen Laut von sich gab. Er ließ die Hand ausgestreckt, bis Lady Danby ihren Stock senkte, dann ballte er sie zur Faust, verneigte sich tief und bat darum, entlassen zu werden. Erst als er die Halle verlassen hatte, presste er sich die Handfläche in die Armbeuge, um den Schmerz zu lindern, und gestattete sich, heiße Tränen zu vergießen.

Von diesem unerfreulichen Zwischenfall abgesehen, war das Abendessen eine heitere Angelegenheit. Sir Roger, Robbies Vater, kehrte bei Sonnenuntergang zurück. Er suchte Lucy auf, besuchte dann Wharram Manor und begrüßte seine Töchter, indem er sie hoch in die Luft schwang, bis sie quiekten. Robbie schloss er fest in die Arme.

„Lucy wird verärgert sein, fürchte ich“, erzählte er Robbie mit einem breiten Grinsen. „Mein Geschäft war erfolgreich.“

Ein aufgeregtes Kribbeln durchlief Robbie. Er hatte niemandem erzählt, in welcher Angelegenheit Sir Roger fort gewesen war, wenn es ihm auch schwergefallen war, dieses Geheimnis sogar vor Rowenna zu bewahren.

Sein Vater nannte einen Ort und einen Namen, sah jedoch ernst aus. „Wir reden heute Abend weiter, wenn wir in unserem eigenen Haus sind.“

Sobald es ihm möglich war, suchte Robbie Rowenna auf und zog sie hinaus in Lady Danbys Garten, fest entschlossen, dass sie die Erste sein sollte, die von den Neuigkeiten erfuhr. Er hatte mehr Ale trinken dürfen als sonst, und sein Kopf fühlte sich an, als sei er mit Wolle ausgestopft.

Nebeneinander saßen sie auf einer Steinbank und lauschten dem Blöken der Schafe, das vom Moor her drang. Rowenna strich mit einem Finger über Robbies Handfläche. „Es tut mir leid, dass du Schläge gekriegt hast“, sagte sie und fuhr mit den Fingerspitzen den Striemen nach. „Es war meine Schuld.“

Ihre Berührung sollte tröstend sein, doch ihm wurde dabei die Brust eng. Er kam allmählich zu dem Bewusstsein, dass schon ein einziger Blick auf ein nacktes Bein eines der Dorfmädchen ausreichte, um in seinem Körper alle möglichen alarmierenden Dinge auszulösen. Vor dem heutigen Tag hatte Rowenna nie eine solche Wirkung auf ihn gehabt, und er wusste nicht, ob ihm das nun behagte.

Er konzentrierte sich darauf, ihre Hand eingehend zu untersuchen, wozu er das breite blaue Band abwickelte, das sie behelfsmäßig als Verband genutzt hatte. Ihre Handfläche war stellenweise aufgesprungen und von zwei Striemen gezeichnet, geschwollen, wo die Haut zuvor bereits aufgeschürft gewesen war. Es würde sich bald Schorf darüber bilden, doch im Moment nässten sie noch etwas. Abermals kochte die Wut in ihm hoch.

„Mir tut es nicht leid“, sagte er. „Doch weshalb musstest du ihr gegenüber auch so ungezogen sein und dir damit gleich zwei Schläge einhandeln?“

„Warum soll ich still sein, wenn sie ungerecht ist?“ Sie schaute ihn mit blitzenden Augen an, rebellisch und zugleich empört.

„Ist die St-Stimme zu erheben den Schmerz von Schlägen wert?“, fragte er sanft.

„Manchmal schon. Lady Stock musste überhaupt keinen von uns strafen. Sie mag uns bloß nicht.“

Rowenna wickelte das Band wieder um ihre Hand und ballte sie zur Faust. Ihr Blick wurde grimmiger. „Anne und Lisbet rügt sie nie so wie uns oder John. Sie ist in die beiden vernarrt! Mutter sagt, es ist, weil mein Vater nicht ihr richtiger Sohn ist und ich deshalb nicht ihre Blutsverwandte. Weshalb sie dich nicht leiden kann, weiß ich jedoch nicht. Deinen Vater liebt sie, und du wirst eines Tages Lord Danby sein.“

Robbie wurde das Herz schwer. Onkel Hal war ein Bastard: der uneheliche Sohn von Robbies Großvater. Er würde niemals Rang und Titel erhalten, ebenso wenig seine Kinder.

„Sie hält mich für dumm, weil ich s-so schlecht spreche“, murrte er.

„Aber das bist du überhaupt nicht!“, rief Rowenna. Sie fuhr herum, um ihn anzusehen. „Du bist klug und gütig und mutig. Erst heute hast du mich gleich zweimal verteidigt. Ich danke Euch, Sir Robert.“

Nun konnte Robbie seine Aufregung nicht länger im Zaum halten.

„Ich werde in der Tat Sir Robert werden“, sagte er, Rowennas Blick erwidernd. „Vater beschaffte mir einen Platz als Knappe. Ich werde zwei Jahre als Page dienen, damit ich fünfzehn, nicht erst vierzehn bin, wenn ich Knappe werde.“

„Wirst du fortgehen?“, fragte Rowenna ruhig.

„Gewiss!“, rief Robbie aus. „Warum auch nicht?“

Rowenna zog einen Schmollmund. „Du wirst eines Tages ohnehin Lord Danby werden. Du könntest einfach hierbleiben.“

„Ich kann nicht einfach hier warten, bis ich meinen Titel erbe. Ich muss ihn mir verdienen. Und ich möchte in einem anderen Haushalt dienen.“

„Dann freue ich mich für dich. Das wolltest du schon, solange ich denken kann!“ Rowenna strahlte, doch ihr Lächeln erreichte ihre Augen nicht. „Wohin wirst du gehen?“

„Wentbrig. Zu Sir John Wallingdon, der De Lacy of Pontefract die Lehnstreue hält.“

„Das ist so weit weg.“ Rowenna atmete aufgeregt ein. „Genauso weit wie von hier nach York.“

Robbie sah zum Bach, wenngleich es zu dunkel war, um den Strom oder das Moor zu erkennen. Er hatte sein ganzes Leben in Wharram Danby und Ravenscrag verbracht und war nie weiter fort gewesen als bis York, wenn Onkel Hal in seinem Stadthaus residierte und Rogers Familie zu Besuch einlud. Wenn er fortginge, würde ihm ein Teil seines Herzens aus der Brust gerissen werden und in der geliebten Heimat zurückbleiben.

Rowennas Augen glitzerten verträumt. „Ich wünschte, ich könnte mit dir gehen. Du wirst das ganze Land sehen, während ich hierbleiben muss.“

Als er ihre Hand nahm, war er überrascht von der Kraft, mit der sie seinen Druck erwiderte. Er mochte sie sehr, ganz gleich, wie viel Ärger sie machte.

„Dich werde ich von allen am meisten vermissen“, sagte Robbie. „Ich werde Vater schreiben und ihm sagen, er soll dir alles erzählen.“

„Vielleicht übe ich härter daran, die Buchstaben zu verstehen, dann kann ich die Briefe selbst lesen“, erwiderte sie. „Vater will ebenso sehr, dass ich Lesen und Schreiben lerne, wie Mutter mich drängt, Nähen und Singen zu lernen. Das muss ich, wenn ich je eine Lady werden und Lady Stock zufriedenstellen soll. Wenn sich die Tochter eines Bastards nicht benehmen kann, kann sie genauso gut ein Milchmädchen werden“, sagte sie, Lady Danbys eisigen Tonfall imitierend. „Ich muss irgendwie einen Ehemann finden.“

Robbie konnte sich seine beste Freundin nicht als erwachsene Frau vorstellen. Für ihn würde sie immer das wilde, unbändige Mädchen bleiben, das mit den Dorfjungs eine luftgefüllte Schweineblase über den Bach kickte und sich die Röcke beim Blinde-Kuh-Spiel schmutzig machte. Aber was das betraf, konnte er sich selbst auch kaum als den Ritter vorstellen, der er hoffte, einmal zu werden. Er zog Rowenna auf die Füße und stellte sich ihr gegenüber. Sie lächelte, und der Griff ihrer Hand wurde fester, sodass sich ihm die Haare auf den Armen aufstellten. Sie war wirklich recht hübsch.

„Ich würde dich heiraten“, verkündete er edelmütig.

Sie brach in schallendes Gelächter aus. „Ja, wir sollten heiraten! Kannst du dir vorstellen, wie viel Spaß wir hätten?“

Robbie blinzelte. Er glaubte nicht, dass die Ehe Spaß machen sollte. Sie sollte wie die seiner Eltern so leidenschaftlich sein, dass Zuschauer peinlich berührt waren, oder ernst und heikel wie die seiner Großeltern. Er konnte Rowenna nicht heiraten. Einmal mehr traf ihn die Erkenntnis, wie ungerecht es war, dass sie das Kind eines Bastards war. Sie konnte doch nichts dafür, wer ihr Vater war.

„Vielleicht lerne ich einen Lord kennen, der dich heiraten wird, und du wirst doch zu Lady Rowenna. Lady Klößchen.“

Robbie zog den Kopf ein, um dem scherzhaften Schlag ihrer Hand zu entgehen, dann blickten sie schweigend zum Himmel. Die Sterne stachen aus der Dunkelheit hervor wie Juwelen von einem Umhang aus Samt. Er pflückte eine Rosenknospe und reichte sie ihr.

„Wir werden für immer Freunde bleiben, selbst wenn ich ein edler Ritter werde und du noch immer aus Bäumen springst“, sagte er.

Sie wickelte ihr Band von der Hand und gab es ihm. „Hier. Du batest vorhin um ein Zeichen meiner Gunst. Nimm dies, ich hoffe, es bringt dir mehr Glück als die Birne.“

Robbie schlang es um zwei Finger, dann steckte er es in seine Gürteltasche.

„Ich kehre morgen früh mit Mutter nach Ravenscrag zurück“, sagte Rowenna. „Kommst du uns besuchen, bevor du aufbrichst?“

„Gewiss doch.“

Vater hatte gesagt, er könne so früh aufbrechen, wie er wollte, doch vielleicht würde er es um einige Wochen aufschieben. Er hob Rowennas Hand an die Lippen und küsste ihre Fingerknöchel so sacht, wie man es ihn gelehrt hatte, dann verneigte er sich tief und galant. Ihr Gesicht wurde ungewohnt ernst.

„Versprich mir, dass du mich nicht vergisst.“

Robbie legte seine wunde Handfläche gegen ihre, und sie verschränkten die Finger miteinander. Abermals rann ein Schauer der Zuneigung durch ihn.

„Ich verspreche es. Wir werden für immer Freunde bleiben.“

Sie lächelte breit, lehnte sich dann unerwartet vor und küsste ihn auf die Wange. Die Empfindung hielt noch lange an, nachdem sie schon zurück ins Haus gelaufen war.

Roger saß in der Küche, als Robbie nach Hause kam. Als der Junge eintrat, sah er auf.

„Wir müssen reden.“

Er deutete auf einen Stuhl. Von seinem ernsten Tonfall beunruhigt, setzte Robbie sich. Roger hatte ihnen zwei Becher Wein eingeschenkt und drehte seinen zwischen den Fingern. Er hatte zwei unterschiedliche Hände – eine war ganz rosa, glatt und ohne Haare. Robbie hatte nie nach dem Grund gefragt.

„Stimmt etwas nicht mit Mutter?“

„Lucy geht es gut. Sie schläft. Dies betrifft dich. Was ich dir sagen werde, darf niemand sonst erfahren“, fuhr Roger fort. Er erhob sich und schritt im Raum auf und ab. Robbies Herz pochte langsam, aber kräftig.

„Ich überlegte, wie ich es dir am besten sagen könnte, doch es gibt keinen einfachen Weg.“

„Mir was sagen?“, drängte Robbie.

Roger schenkte sich Wein nach und trank den Becher in einem Zug aus.

„Robbie, ich bin nicht dein Vater.“

Die Welt brach zusammen. Robbie hob den Becher an die Lippen, doch es war, als tränke jemand anders den Wein, denn er schmeckte nichts. Er wollte widersprechen, ihm sagen, dass er doch nur scherzte oder ein Fehler vorlag, doch der Ausdruck in Rogers Augen sagte ihm, dass es sinnlos wäre.

„Wir fragten uns immer, ob du dich an die Zeit erinnern kannst, ehe deine Mutter und ich uns trafen, doch dem war nicht so.“ Roger drehte den Becher in seinen Händen und neigte den Kopf.

„Und nachdem Ihr mir das nun sagtet, sch-schickt Ihr mich fort?“

„Du wirst nicht ins Exil geschickt“, sagte Roger. „Du möchtest doch selbst gehen.“

Robbie starrte durch den Raum. Er konnte sich an nichts erinnern, das vor diesem steinernen Haus voller Lachen und Zuneigung gewesen war, doch nun engten die Wände ihn ein.

Unvorstellbar schmerzhaft zog sich ihm die Kehle zusammen. Es lag nicht in seiner Natur zu schreien oder zu schimpfen, zumal er aus Erfahrung wusste, dass sein Stottern dann nur umso schlimmer wurde.

„Weshalb sagt Ihr m-mir das jetzt?“, fragte er mit gedämpfter Stimme.

„Es ist dein Recht, es zu erfahren.“

„Es wäre immer schon mein Recht gewesen!“

Roger reichte ihm die Hand, doch er ignorierte sie. Sein Herz zerriss. Der Vater, der ihn getröstet hatte, wenn er gestürzt war, der mit ihm gespielt und ihn unterrichtet hatte, tat nichts weiter, um seinen Kummer und seine Verwirrung zu lindern, als ihm eine Hand zu reichen.

„Du warst zu jung, um es zu verstehen, und wir durften nicht riskieren, dass du es verrätst. Wir mussten an unseren Ruf denken. Doch nun bist du beinahe ein Mann und solltest die Wahrheit über dich kennen.“

Robbie ballte die Hände zu Fäusten. Rogers Ruf war das Letzte, an das er dachte, während seine Welt in Scherben lag. Er stand so abrupt auf, dass der Stuhl hintenüber kippte und zu Boden fiel. Bei dem Lärm zuckte er zusammen. In seinem Kopf drehte es sich vom Wein, und der Schwindel mischte sich zu dem Mief an Emotionen, die in ihm aufwallten.

„Setz dich und sei vernünftig“, sagte Roger.

Robbie starrte ihn finster an, alles in ihm sträubte sich gegen den Befehlston in Rogers Stimme, also behauptete er sich und blieb stehen.

„Ist Sir John mein Vater?“

Roger schüttelte den Kopf.

„Wer dann?“

„Das ist unwichtig.“

„Mir ist es wichtig!“

„Es ist nicht an mir, es dir zu sagen.“ Roger wandte den Blick ab. „Es ändert nichts. Ich habe keinen eigenen Sohn.“

Robbie schaute zu der geschlossenen Tür zum Zimmer seiner Mutter. Galle stieg in seiner Kehle empor. Wäre das neugeborene Kind ein Junge geworden, wäre Robbie längst ein Ausgestoßener.

„Du bist mein einziger Erbe. Titel können an adoptierte Söhne weitergegeben werden, wenn es keine rechtmäßigen Erben gibt.“

Roger lächelte, als hebe das Jahre des Verrats auf. Robbie hatte sich oft darüber gewundert, wie sorglos sein Vater – nein, sein Stiefvater – durchs Leben ging, als hätte nichts irgendwelche Konsequenzen. Verstand Roger nicht, wie er all das, was Robbie je für wahr gehalten hatte, nun komplett zerstörte?

„Doch Ihr habt mich nicht adoptiert. Ihr hieltet es geheim.“ Robbie begann zu zittern.

„Für William of Pickering sind nur die wahren Blutlinien von Bedeutung. Sein Sohn Horace mag das einst anders sehen, wenn er Earl wird, doch es ist ein zu großes Risiko, die Wahrheit zu enthüllen. Für jetzt zumindest ist Geheimhaltung besser“, sagte Roger.

„Ihr meint, Lügen sind besser?“, rief Robbie. „Was, wenn ich Euren Plan vereitle und mich weigere, Euer Erbe zu werden?“

„Dann könnte Wharram an einen Fremden fallen, wenn ich sterbe. Alles, was meine Familie schuf, wird verloren sein.“ Roger bedachte ihn mit einem scharfen Blick. „Würdest du das tun?“

Das Land, das sich im Besitz der Danbys befand, Rowennas Dorf Ravenscrag eingeschlossen, war ein Lehen des Kronvasalls William of Pickering. Ganz gleich, ob es Robbie kümmerte, ob das Landgut an einen anderen von William of Pickerings Vasallen fiel – und im Augenblick war er sich nicht sicher, ob ihn das kümmerte –, es gab Pächter, die von den Danbys abhängig waren. Ein anderer Edelmann, der mit der Gegend nicht vertraut war, mochte den Kleinbauern und Leibeigenen gegenüber weniger großzügig und gerecht sein. Robbie wollte nicht dafür verantwortlich sein, so viele Leben zu gefährden. Er schüttelte den Kopf.

„Weiß es sonst noch jemand?“, fragte er.

„Hal und Joanna und meine Eltern.“

Deshalb mochte Lady Stock Robbie also nicht. Er war ebenso wenig von ihrem Blut wie Rowenna.

„Seid Euch Eures Rufes gewiss“, sagte er steif. „Ich werde es niemandem sagen, und ich werde Euer Erbe sein. Ich breche bei Tagesanbruch nach Wentbrig auf.“

„Dazu besteht kein Grund.“

Roger schien bestürzt. Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, eine Geste, die Robbie unbewusst von ihm übernommen hatte. Robbie starrte den Mann an, dem er äußerlich und vom Wesen her so ähnlich war. Kein Wunder, dass der Schwindel nicht aufgefallen war.

„Dazu bestehen eine Menge Gründe. Ihr habt Eure Pflicht getan und mir eine Anstellung beschafft. Die werde ich nun antreten.“

Er hatte versprochen, Rowenna noch einmal aufzusuchen. Doch auch wenn er sein Versprechen damit brechen würde, wie sollte er ihr mit dem Wissen, das er nun hatte, begegnen, ohne diese Last mit ihr teilen zu können? Er wusste nicht, was die Zukunft brachte, doch sie lag nicht in Wharram.

Er verneigte sich höflich. „Bitte sagt meiner Mutter, es tut mir leid, sie nicht noch einmal sehen zu können. Lebt wohl, Sir Roger.“

Er verließ den Raum, ehe ihm die Tränen kamen.

2. KAPITEL

Juni 1381

Ihr Name war Mary Scarbrick, und er liebte sie mehr als das Leben selbst. Robbie Danby wusste mit vollkommener Sicherheit, dass sie die Frau war, die er heiraten wollte. Ihr Haar war so hellblond, dass es beinahe weiß schien, und ihre Augen leuchteten wie die Saphire an den Ringen seiner Mutter. Gewiss kannte er sie erst einen Monat, doch es war ein Monat voller Leidenschaft und Verzweiflung, wie er es nie zuvor erfahren hatte.

Auf dem Ritt nach York im Gefolge seines Herren Sir John Wallingdon vertrieb Robbie sich die Zeit auf zwei Arten: Er suchte, wie stets, nach einem Hinweis auf den Vater, dessen unbekannte Identität ihn jedes Mal plagte, wenn er sich in Gesellschaft von Edelmännern und Rittern befand, und er träumte von Mary. Für beides hatte er reichlich Zeit, während sich der Tross auf der Straße Richtung Stadt scheinbar meilenweit hinzog und nur langsam vorankam.

Mary war irgendwo unter ihnen, aber Robbie hatte den Überblick darüber verloren, in welcher der geschlossenen Sänften sie reiste. Die Damen schienen sich von einer zur anderen zu begeben, um sich gegenseitig Gesellschaft zu leisten. Als Hofdame von Lady Isobel, der Gemahlin von Sir John Wallingdon, folgte Mary ihrer Herrin, wo immer diese hinzugehen beliebte.

Robbie dachte seufzend an Marys sanft geschwungene Lippen, ihre leicht aufgewölbte Nase, die zarte Blässe ihrer Wangen. Keine Frau in diesem Land konnte es mit dieser Vollkommenheit aufnehmen. Ihr zu Ehren würde er große Taten vollbringen. Er würde Gedichte schreiben, die noch das stählernste Herz zum Erweichen brächten. Er würde sein Leben ihrem Glück verschreiben, wenn sie ihn nur ließe.

Alles, was er dazu tun musste, war, mit ihr zu sprechen, ohne dass ihm die Kehle eng und die Zunge schwer wurde.

Knappe im Dienst eines betagten Ritters von nur mittlerem Vermögen zu sein war nicht unbedingt eine Empfehlung, doch eines Tages würde Robbie selbst ein Ritter sein, Sir Robert. Die Aussicht, einmal den Titel des Lords Danby zu erben, Baron of Danby und Westerdale, würde ihn für eine junge Frau zu einem weit attraktiveren Kandidaten machen.

Sein Magen verkrampfte sich, wie immer, wenn ihm der Gedanke an das Erbe kam. Er hatte Das Große Geheimnis tief in sich verborgen gehalten, doch es verging kein Tag, an dem er nicht an den Betrug dachte, von dem er Teil war, einfach nur, weil er diesen Namen trug. Sein Gewissen würde es ihm nicht gestatten, seine zukünftige Gemahlin über seine Herkunft im Unklaren zu lassen.

Wenn er an eine Zukunft mit Mary dachte, war er entschlossener denn je, die Ritterwürde aus eigener Kraft zu erlangen. Er malte sich aus, Mary mit nach Wharram Danby zu nehmen, der Heimat seiner Kindheit. Ganz selbstverständlich würde seine Mutter sie ebenso lieben, wie er Mary liebte. Selbst die alte Lady Stock würde, trotz ihrer Ablehnung Robbie gegenüber, auftauen müssen, wenn man ihr jemanden von solcher Eleganz vorstellte. Seine Zwillingsschwestern würden sich überschlagen, um ihre Aufmerksamkeit zu ergattern, während seine Cousins voller Neid auf die Frau blickten, die Robbie für sich gewonnen hatte.

Jedenfalls die meisten seiner Cousins. Robbie ließ sein Pferd ein Stück zur Mitte des Zuges zurückfallen, während er überlegte, was seine Cousine Rowenna von seiner von ihm begehrten Braut halten würde. Die Begegnung zwischen der eleganten Mary und der temperamentvollen Rowenna konnte er sich nicht vorstellen, obwohl sie im gleichen Alter waren. Nun, da er daheim in Yorkshire war, würde er sich die Zeit nehmen und nach Ravenscrag reisen müssen, um seiner Cousine einen Besuch abzustatten. In jeder Nachricht, die sie ihm zusammen mit den Briefen von Robbies Familie zukommen ließ, klang unmissverständlich durch, dass sie die Stadt gerne öfter besuchen würde, als ihr Vater erlaubte.

„Was stimmt nicht, Danby? Hast du vergessen, wie man reitet? Willst du nach York kriechen?“

Eine spöttische Stimme riss Robbie aus seinen Tagträumen. Er biss die Zähne zusammen und sah den Knappen an, der sich an seine Seite gesetzt hatte. Cecil Hugone war Robbies Rivale und Freund – er war sich nie sicher, was von beidem –, seit sie beide in einem Abstand von sechs Monaten in den gleichen Haushalt eingetreten und gemeinsam zu Knappen ausgebildet worden waren. Stunden der harten Arbeit unter den strengen Augen ihres Herren hatten aus dürren Jünglingen gut gebaute junge Männer gemacht, während Robbie aber groß und hagerer war, als er gerne wäre, war Cecil stämmig und gedrungen.

Robbie atmete tief durch, um seine Stimme zu beruhigen. „Dachte nur, ich g-gebe dir eine Chance, vorne zu reiten, ohne, dass du L-Lightning im Versuch, mit mir mitzuhalten, halb umbringen musst.“

Cecil schürzte die Lippen, und Robbie wusste, sein Pfeil hatte das gewünschte Ziel getroffen. Cecil wurde nie gerne daran erinnert, nicht in allem der Beste zu sein.

„Wir wissen beide, dass mein Lightning deinen Beyard auch schlagen könnte, ohne dass du ihn zurückhältst. Du dachtest an eine Frau, nicht wahr? Und ich wette, ich weiß auch, an welche.“

Robbie konnte nicht verhindern, dass ihm die Röte in die Wangen stieg. Er wünschte, er hätte einen dichteren Bart, um es zu verbergen, statt nur diesen kurz gestutzten Ansatz.

„Du willst hoch hinaus für einen ärmlichen Knappen aus Yorkshire“, sagte Cecil und hob seine Brauen.

Natürlich wusste Cecil, welcher Frau Robbie sein Herz geschenkt hatte. Hoch hinaus, in der Tat. Sir John hatte keine Kinder, und es gab Gerüchte, nach denen seine Nichte die Erbin seines Vermögens werden sollte. Wer immer Mary Scarbricks Herz gewann, hätte ausgesorgt, und jeder Mann in Sir Johns Haushalt verehrte die Nichte des Edelmannes, seit sie das Kloster vor einem Monat verlassen hatte, um Lady Isobel als Hofdame zu dienen. Cecil zählte ebenfalls zu ihnen, und Robbie war sicher, er war ebenso entschlossen, Marys Hand zu gewinnen. Der Gedanke, Cecil könne tatsächlich die Frau erobern, die Robbie liebte, brachte ihn nächtens fast um den Verstand.

Mit seinem vollen Bart und dem weizenblonden Haar zog Cecil aus sämtlichen Lagern bewundernde Blicke auf sich. Als dritter Sohn entstammte er einer Familie, die erst mit Edward Longshanks zweiter Frau aus Frankreich nach England gekommen war. Er war charmant, gutaussehend, stets gut gelaunt – und Robbie traute ihm ebenso wenig zu, seine Interessen nicht an erste Stelle zu stellen, wie er einem Fuchs im Hühnerhaus trauen würde.

Roger, der derzeitige Lord Danby, konnte seine Ahnenreihe drei Adelsgenerationen weit zurückverfolgen, Robbie selbst dagegen …

Er zog die Brauen zusammen. Der Schwindel, an dem er beteiligt war, lastete schwer auf ihm, ebenso, dass er nicht wusste, wer sein Vater war. Trotz der Briefe, in denen Robbie sie wahlweise höflich ersuchte, es schlicht einforderte oder ihnen schmeichelte, weigerten seine Eltern sich, ihm den Namen jenes Mannes zu nennen, und sagten nur, er sei von edler Herkunft. Im Versuch, Mary als seine Frau zu gewinnen, hatte er sich sogar ein noch höheres Ziel gesteckt, als Cecil auch nur vermutete.

Cecil lachte in dem fälschlichen Glauben, Robbies Unbehagen hätte mit ihrer Unterhaltung zu tun. Er warf den Kopf auf eine sorglose Weise in den Nacken, wie er es, wie Robbie wusste, immer tat, wenn er glaubte, niemand würde ihn beobachten.

„Das ist es! Du kannst nicht aufrecht im Sattel sitzen, weil du um deinen geschwollenen Prügel fürchtest!“

Robbie wand sich innerlich ob dieser Geschmacklosigkeit. Seine Absichten Mary betreffend waren rein, und er selbst war keusch. Er sehnte sich danach, sie zu heiraten, nicht sich mit ihr zu vergnügen und dann eine neue Eroberung zu suchen, wie Cecil es gelegentlich tat, sofern man seiner Prahlerei Glauben schenken durfte. Andererseits verursachte die von Cecil beschriebene Beschwernis ihm selbst so manches Mal Probleme. Das war nur natürlich. Es gab Nächte, in denen fühlte es sich an, als bohre sich ein Messer in seine Eingeweide, und er war schmerzlich versucht, eines jener Dienstmädchen des Hauses aufzusuchen, die angedeutet hatten, dass sie seine spezielle Aufmerksamkeit mit Freuden begrüßen würde. Sir John war schon betagteren Alters und sich des Gebarens einiger seiner Hausangestellten vermutlich nicht bewusst. Soweit Robbie wusste, war er der Einzige, der nach Einbruch der Dunkelheit nicht von einem Bett ins andere hüpfte.

Er lockerte den Umhang um seine Kehle, damit ihm die Brise den Hals kühlte. Es war warm für Anfang Juni, und er konnte einen Teil der Hitze, die ihn durchströmte, darauf schieben.

Über die Jahre hatte Robbie gelernt, sich durch Gesten zu verständigen, damit ihm möglichst selten die Stimme versagte – durch ein Nicken, ein Handzeichen, Schulterzucken oder Lächeln konnte er sich seinem Gegenüber verständlich machen, ohne einen Blick ertragen zu müssen, der ihn als schwachsinnig brandmarkte. Außerdem hatte er herausgefunden, dass man Cecils Spötteleien am besten mit Humor, oder noch besser, einer gütigen Erwiderung begegnete, damit er schnell wieder damit aufhörte.

„Es stimmt“, sagte er scheinbar bedauernd, „daher überlege ich, mir einen b-besonderen S-Sattel anfertigen zu lassen, der vorne ausreichend Platz für mein übernatürlich großes Körperteil bietet. Welch Glück du hast, dir über Derartiges keine Gedanken machen zu müssen!“

Cecil lachte kalt und schlug Robbie auf den Arm. „Ein Treffer, und ein guter! Nun sage mir … welche Gedanken gingen dir über die holde Mary durch den Kopf?“ Er neigte sich im Sattel näher und senkte verschwörerisch die Stimme. „Wie es wäre, sie zu küssen? Wie es wäre, dein Gesicht zwischen ihren weichen Brüsten zu vergraben – oder ihren geschmeidigen Schenkeln?“

„Nichts davon!“, entgegnete Robbie.

Cecil schmunzelte. „Dann sogar noch etwas viel Anstößigeres! Zwischen ihren runden …“

„Hüte deine Zunge, wenn dir m-meine Freundschaft lieb ist!“, grollte Robbie. Er richtete sich im Sattel auf, und seine Hand glitt zum Schwert an seinem Gürtel.

Cecil beäugte den Schwertgriff und die Hand, die sich fest darum schloss.

„Bitte um Vergebung.“

Robbie nahm die Zügel wieder auf, und sein Zorn, der nur schwer zu entfachen war, ebbte bereits wieder ab.

„Wenn du es unbedingt wissen musst, ich f-fragte mich, wie M-Mary wohl meiner Cousine Rowenna begegnen würde.“

„Eine Cousine! Ist sie schön?“

Robbie hatte Rowenna zuletzt bei einem kurzen Besuch in York getroffen, zwei Jahre nachdem er Wharram Danby verlassen hatte, um sich Sir Johns Haushalt anzuschließen. Er erinnerte sich an eine Dreizehnjährige, deren Reize und Betragen noch viel zu plump und undamenhaft waren, die jedoch schon erahnen ließ, dass sie einmal eine sehr ansehnliche Frau werden würde. Dunkle, unbändige Locken kamen ihm in den Sinn, eine dralle Figur und eine entschlossene Haltung.

Insgeheim amüsierte er sich einen Moment, während er überlegte, was dabei herauskäme, wenn er Rowenna Cecil vorstellte, und sich daran erinnerte, wie oft sie ihn bei Spielen vernichtend geschlagen und ihn mit beißendem Hohn bedacht hatte. Doch dieser Gedankengang endete abrupt, als er an die Spiele dachte, die Cecil ihr beibringen mochte. Er verspürte ein merkwürdiges Prickeln im Nacken, wie von einem eiskalten Atemhauch. Er wollte die Vorstellung, Cecil könnte Interesse an Rowenna bekunden, nicht auch noch beflügeln. Also zuckte er lässig die Schultern.

„Vielleicht ist sie hübsch. Ich habe sie seit fünf Jahren nicht gesehen. Sie schreibt mir von Zeit zu Zeit und berichtet von daheim.“

Cecil zog die Nase kraus. „Ein Schreiberling. Ich nehme an, sie liest auch, hat einen grauen Teint, und ihre Stirn liegt vom vielen Konzentrieren in Falten.“

„Möglich. Ich denke, sie ist nicht allzu ernsthaft. Sie brachte uns immerzu in Schwierigkeiten. Ich weiß noch, wie sie mich einmal dazu brachte, die Sau in den Bach zu treiben …“

Er ließ den Satz ausklingen. Cecil verlor bereits das Interesse, wie Robbie erleichtert feststellte. In Cecils Welt waren Frauen für Tanz und Vergnügen und zum Verführen geschaffen. Eine gebildete Frau würde ihn langweilen, wohingegen Rowennas Beschreibungen ihres Lebens in Yorkshire Robbie stets mit Freude erfüllten und eine Verbindung zu seiner Heimat schufen.

Nun, da er darüber nachdachte, sah eine wissbegierige Frau, die Briefe schrieb, der Rowenna, die er aus ihren Kindertagen kannte, gar nicht ähnlich. Erst recht nicht die Verfasserin jener Briefe, die so gewitzt und aufregend waren und ein anschauliches Bild von der Heimat und einem lebhaften Mädchen zeichneten, das Freude am Leben zu finden schien, obgleich sie stets über das ruhige Dorfleben nörgelte. Immer schon schien sie lebendiger zu sein als jeder andere, den Robbie kannte, und dafür liebte er sie. Liebte sie dafür, wie sie ihm, wie niemand sonst es vermochte, seine Neigung zum Alleinsein austrieb – noch öfter aber ihn zu Schabernack verleitete und in Schwierigkeiten brachte.

Bei jener letzten Begegnung hatte er sie sehnsüchtig aufgesucht, in der Hoffnung, seine Erlebnisse mit seiner besten Freundin teilen zu können, doch sie war zu beschäftigt damit gewesen, ihrem jüngsten Bruder Vernunft einzuprügeln, um Robbies Geschichten über das Leben im Hause eines Edelmannes und seine Pflichten als Knappe richtig zuzuhören. Wenn er seine Aufgaben in York erfüllt hatte, würde er Ravenscrag erneut besuchen und Rowenna treffen.

„Komm schon, Rob, lass uns nicht hier mitten im Tross herumtrödeln“, drängte Cecil. „Schlimm genug, dass wir nach Norden reiten, während im Süden gekämpft wird; wir müssen das nicht in der Geschwindigkeit eines Großmütterchens tun, das zum Markt geht. Bringen wir die Gäule zum Schwitzen.“ 

Robbie warf einen Blick über die Schulter, als gäbe es dort Hinweise auf die Unruhen, die kürzlich aufgrund der neuerlich erhobenen Kopfsteuer ausgebrochen waren. Dank Sir Johns Alter und seiner Vorliebe, zu Hause zu verweilen, waren sie den meisten Ausschreitungen entgangen, die vermeintlich im Süden Englands stattfanden.

Autor

Elisabeth Hobbes

Elisabeth Hobbes‘ Karriere als Autorin begann damit, dass sie mit ihrem ersten Roman 2013 beim „So You Think You Can Write“-Wettbewerb des Verlagshauses Harlequin Enterprises den dritten Platz belegte. Sofort wurde sie von Harlequin, dem Mutterhaus von CORA, unter Vertrag genommen und hat seitdem acht historische Romane veröffentlicht.

Obwohl das...

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