Die Wild-Seasons-Serie - Teil 1 & 2

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SWEET FILTHY BOY - WEIL DU MIR GEHÖRST

Sexy, süß, verführerisch: Der erste Band von Christina Laurens neuer Erfolgsreihe!

Eine brave College-Absolventin. Ein verführerischer Franzose. Eine schicksalhafte Nacht in Las Vegas …Mia Holland will noch ein bisschen Spaß haben, bevor mit dem Studium endgültig der Ernst des Lebens beginnt. Alles ist vorbestimmt … bis sie in Las Vegas diesen supersexy Franzosen trifft, dessen heiße Küsse sie all ihre Zukunftspläne vergessen lassen. Ist sie nicht schon viel zu lange viel zu brav gewesen? Ansel Guillaume will eigentlich nur eine wilde Partynacht verbringen, bevor er wieder zurück nach Frankreich fliegt. Zumindest bis er die atemberaubende Mia kennenlernt. Doch er wünscht sich mehr als einen One-Night-Stand - und fasst deshalb einen verrückten Plan, um Mia mit sich nach Paris zu nehmen …

DIRTY ROWDY THING - WEIL ICH DICH WILL

Eine kontrollierte College-Absolventin. Ein raubeiniger Kanadier. Ein schicksalhaftes Wiedersehen in San Diego …

Harlow überlässt nichts dem Zufall. Das einzig Chaotische in ihrem Leben war die spontane Vegas-Blitz-Ehe mit dem umwerfenden Kanadier Finn, der ihr eine unvergessliche, wilde Nacht bescherte. Eigentlich hatte sie die Sache abgehakt, doch als eine familiäre Krise sie aus der Bahn zu werfen droht, kommt ihr Finns unverhoffter Besuch als Ablenkung gerade recht …

Finn weiß, dass es starken Frauen wie Harlow guttut, im Bett einfach mal die Kontrolle abzugeben. Logisch, dass er seiner scharfen Ex die offenbar schmerzlich vermissten Höhepunkte spendiert, auch wenn er eigentlich gerade ganz andere Probleme hat. Aber wer sagt schon Nein zu sensationellem Sex ohne Verpflichtungen? Doch dann stellt Finn verblüfft fest, dass er mehr von Harlow will …

"Witzig. Sexy. Fesselnd.”
The Autumn Review

"Ein verrücktes, wunderbares und überraschend realistisches Abenteuer."
RT Book Reviews

"Diese heiße, süße Geschichte ist wie ein Schatz. Ich habe jedes Wort geliebt."
Sylvia Day, New York Times Bestseller-Autorin der Crossfire-Serie

"Must-Read. Ich habe viel gelacht …und bin oft errötet. Ich kann den nächsten Band in der Wild Seasons-Serie kaum erwarten!
Mandy Schreiner, USA Today


  • Erscheinungstag 20.11.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783955768355
  • Seitenanzahl 608
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Christina Lauren

Die Wild-Seasons-Serie - Teil 1 & 2

Christina Lauren

Sweet Filthy Boy – Weil du mir gehörst

Roman

Aus dem Amerikanischen von
Mette Friedrichs

image

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2015 by MIRA Taschenbuch
in der HarperCollins Germany GmbH

Deutsche Erstveröffentlichung

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:
Sweet Filthy Boy

Copyright © 2014 by Lauren Billings und Christina Hobbs
erschienen bei: Gallery Books, New York

All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form. This edition is published by arrangement with the original publisher, Gallery Books, a division of Simon & Schuster, Inc., New York.

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner GmbH, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Maya Gause

Titelabbildung: Simon & Schuster, New York;

Getty Images, München / STOCK4B Creative

Autorenfoto: © Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

Satz: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-95649-503-8

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net

EINS

Mia

Der Tag, an dem wir offiziell unser Collegezeugnis in Empfang nehmen, ist in keinster Weise so, wie er in Filmen dargestellt wird. Ich werfe meine Mütze in die Luft und sie segelt wieder runter und fällt jemandem auf die Stirn. Dem Hauptredner weht das Manuskript davon, und er beschließt zu improvisieren: Er lässt eine durch und durch uninspirierte Ansprache an die College-Absolventen vom Stapel, in der es darum geht, begangene Fehler in Bausteine für eine bessere Zukunft zu verwandeln, und gibt anschließend noch ein paar peinliche Geschichten über seine jüngste Scheidung zum Besten. Im Film sieht keiner jemals so aus, als würde er in seiner Polyester-Robe gleich einem Hitzeschlag erliegen …

Ich würde jemandem viel Geld dafür bezahlen, damit er alle Bilder verbrennt, die heute von mir gemacht wurden. Aber trotzdem gelingt es diesem Tag irgendwie, perfekt zu sein.

Denn, Scheiße noch mal, wir haben es geschafft.

Nach dem Mittagessen stehen wir vor dem Restaurant, und Lorelei – oder „Lola“ für die einigen wenigen, die es in ihren engeren Freundeskreis geschafft haben – holt die Schlüssel aus ihrer Handtasche und wedelt mit ihnen feierlich vor mir herum. Ihr Dad küsst sie auf die Stirn und versucht so zu tun, als hätte er nicht leicht feuchte Augen. Harlows gesamte Familie versammelt sich um sie, und alle umarmen sich und versuchen, sich zu übertönen, erleben noch einmal die wichtigsten Momente – als Harlow die Bühne betreten und ihren College-Abschluss in Empfang genommen hat –, bevor sie mich dicht an sich heranziehen und meine fünfzehn Sekunden des Ruhmes aufbereiten. Als sie mich loslassen, lächle ich, sehe ihnen zu, wie sie ihre netten, vertrauten Rituale zum Abschluss bringen.

Ruf an, sobald ihr gut angekommen seid.

Benutz deine Kreditkarte, Harlow. Nein, die American Express. Schon in Ordnung, Liebes, das ist dein Geschenk zum Collegeabschluss.

Ich hab dich lieb, Lola. Fahr vorsichtig.

Wir reißen uns die erdrückenden Roben vom Leib und lassen uns in Lolas alten, schrottigen Chevy fallen. Eingehüllt in eine Wolke aus Abgasen und ausgelassenen Schreien nach Musik, Alk und dem ganzen Wahnsinn, der uns an diesem Wochenende erwartet, entfliehen wir San Diego.

Harlow öffnet die Playlist, die sie für den Trip zusammengestellt hat. Britney Spears, das war unser erstes Konzert mit acht. Der vollkommen unpassende 50-Cent-Song – aus irgendwelchen Gründen hatte unsere Klasse damals beschlossen, ihn als Eröffnungssong bei unserem Ehemaligentreffen von der Junior High zu spielen. Die basslastige Hair-Metal-Hymne, von der Lola felsenfest überzeugt ist, dass es sich dabei um den besten Song über Sex aller Zeiten handelt, und um die fünfzig weitere Songs, die unsere gemeinsame Vergangenheit ausmachen. Harlow dreht die Musik so laut auf, dass wir alle mitsingen bzw. mitschreien können, während heiße, trockene Luft durch alle vier Fenster hineinströmt.

Lola schiebt sich ihr langes dunkles Haar aus dem Nacken und reicht mir ein Gummiband, damit ich ihr einen Zopf machen kann.

„Gott, warum ist es nur so verdammt heiß?“, ruft sie vom Fahrersitz aus.

„Weil wir mit hundert Stundenkilometern in einem Chevy durch die Hitze brettern, der aus den späten Achtzigern stammt und keine Klimaanlage hat“, erwidert Harlow und wedelt sich mit einem Programmzettel der Abschlussfeier Luft zu. „Warum haben wir noch mal nicht einfach meinen Wagen genommen?“

„Weil er nach Selbstbräuner und fragwürdigen Entscheidungen riecht?“, entgegne ich und quietsche laut auf, als sie sich vom Vordersitz aus auf mich stürzen will.

„Wir fahren mit meinem Wagen“, erinnert Lola sie und stellt dafür Eminem leiser, „weil du deinen fast um einen Telefonmasten gewickelt hast, um irgendeinem Insekt auf deinem Sitz zu entkommen. Ich hab wirklich kein sonderlich großes Vertrauen in deine Fähigkeiten hinterm Steuer.“

„Es war eine Spinne“, entgegnet Harlow. „Eine riesige. Mit Scheren.“

„Eine Spinne mit Scheren?“

„Ich wäre fast gestorben, Lola.“

„Ja, das wärst du. Bei einem schweren Autounfall.“

Nachdem ich mit Lolas Haar fertig bin, lehne ich mich zurück – und habe das Gefühl, als wäre ich seit einer ganzen Woche das erste Mal wieder in der Lage, tief durchzuatmen und mit meinen zwei liebsten Menschen auf der Welt gemeinsam zu lachen. Die Hitze hat meinem Körper jegliche Energie geraubt, aber es fühlt sich gut an, einfach loszulassen, die Augen zu schließen und mit dem Sitz zu verschmelzen, während der Wind durch mein Haar wirbelt, zu laut, als dass ich auch nur denken könnte. Drei fantastische Sommerwochen liegen noch vor mir, bis ich auf die andere Seite des Kontinents umziehe, und zum ersten Mal seit Ewigkeiten gibt es absolut nichts, was ich tun muss.

„Nett, dass deine Familie zum Mittagessen geblieben ist“, sagt Lola in dem für sie typischen ruhigen, ironischen Tonfall und sieht mich durch den Rückspiegel an.

„Hm.“ Ich zucke die Schultern, lehne mich vor, um in meiner Handtasche nach einem Kaugummi oder einem Bonbon zu kramen, oder was immer mich lange genug beschäftigen wird, um nicht zu versuchen, den frühen Abgang meiner Eltern von der Feier heute zu rechtfertigen.

Harlow dreht den Kopf zu mir um. „Ich dachte, sie hatten vor, mit uns allen Mittagessen zu gehen?“

„Anscheinend nicht“, sage ich nur.

Sie rutscht in ihrem Sitz herum, dreht sich so weit zu mir um, wie sie kann, ohne sich abzuschnallen. „Also, was hat David gesagt, bevor sie gegangen sind?“

Ich sehe blinzelnd zur Seite, starre auf die vorbeirauschende flache Landschaft. Harlow würde es nie in den Sinn kommen, ihren Vater – oder auch nur Lolas Vater – beim Vornamen zu nennen. Aber seit ich mich erinnern kann, ist mein Vater für sie einfach nur „David“ – so verächtlich ausgesprochen wie nur möglich. „Er sagte, dass er stolz auf mich ist und mich liebt. Und das es ihm leidtut, dass er mir das nicht oft sagt.“

In der Stille, die darauf folgt, kann ich ihre Überraschung förmlich spüren. Harlow ist nur dann still, wenn sie überrascht oder angepisst ist.

„Und“, füge ich hinzu, obwohl ich weiß, dass ich diesbezüglich eigentlich meine Klappe halten sollte, „jetzt könne ich ja eine richtige Karriere verfolgen und mich bedeutsam in die Gesellschaft einbringen.“

Beschwör jetzt keinen Ärger herauf, Mia, denke ich.

„Du meine Güte“, sagt sie. „Als würde es ihm Spaß machen, genau den Punkt zu treffen, wo es am meisten wehtut. Den Namen dieses Mannes kann man nicht ohne das Wort Arschloch buchstabieren.“

Das bringt uns alle zum Lachen, und wir scheinen uns einig zu sein, dass wir das Thema wechseln sollten, denn mal im Ernst: Was gäbe es dazu noch zu sagen? Mein Dad ist auf eine gewisse Weise ein Arsch und setzt immer seine eigene Meinung durch. Selbst wenn es um die wichtigsten Entscheidungen in meinem Leben geht, ändert sich nichts an dieser Tatsache.

Es gibt nur wenig Verkehr, und die Stadt steigt aus der flachen Erde empor: ein Wirrwarr aus Lichtern, die grell im Abendlicht leuchten. Mit jedem Kilometer wird die Luft kühler, und ich spüre, wie die Energie in uns zurückkehrt, als Harlow sich aufrechter hinsetzt und eine neue Playlist für unser letztes Stück der Strecke anstellt. Auf dem Rücksitz wackle ich mit dem Hintern, tanze, singe den eingängigen, wummernden Popsong mit.

„Sind meine Mädels bereit, ein bisschen die Sau rauszulassen?“, fragt Harlow und klappt den Sonnenschutz auf der Beifahrerseite runter, um sich in dem winzigen, gesplitterten Spiegel zu mustern und Lipgloss aufzulegen.

„Nö.“ Lola biegt in die East Flamingo Road ein. Direkt dahinter breitet sich leuchtend der Strip aus: ein Teppich aus Lichtern und dröhnenden Hupen rollt sich vor uns aus. „Aber für dich kipp ich widerliche Shots runter und tanze mit zweifellos nicht gerade nüchternen Männern.“

Ich nicke, schlinge meine Arme von hinten um Harlow und drücke sie. Sie tut so, als würde sie ersticken, legt aber eine Hand auf meine, so dass ich nicht weg kann. Niemand wehrt Umarmungen weniger überzeugend ab als Harlow.

„Ich liebe euch Psychos“, sage ich, und auch wenn bei jedem anderen sich die Worte im Wind verlieren würden, während Straßenstaub in den Wagen weht, beugt Harlow sich vor, um meine Hand zu küssen und Lola sieht kurz grinsend zu mir rüber. Es ist, als wären sie darauf programmiert, mein ständiges Schweigen zu ignorieren, es dafür aber auch immer wenn ich spreche – selbst im größten Chaos – mitzukriegen.

„Du musst mir was versprechen, Mia“, sagt Lola. „Hör mir zu, ja?“

„Das beinhaltet aber nicht, dass ich abhauen und ein Showgirl werden soll, oder?“

„Leider nicht.“

Seit Monaten haben wir diesen Trip geplant – ein letzter Rausch, bevor das Erwachsenenleben und die Verantwortung uns einholen. Ich bin bereit für was immer sie mir zu sagen hat. Ich recke meinen Hals, atme tief durch, tue so, als würde ich meine Fingerknöchel knacken lassen. „Sehr schade. Du hast ja keine Ahnung, wie gut ich an der Stange tanzen kann! Aber okay, schieß los.“

„Lass San Diego heute Abend hinter dir“, sagt sie. „Mach dir keine Gedanken um deinen Dad oder welches Fangirl Luke dieses Wochenende knallen könnte.“

Mein Magen dreht sich leicht, als sie meinen Ex erwähnt, auch wenn Luke und ich uns vor beinahe zwei Jahren ohne großen Streit getrennt haben. Es ist nur eben so, dass er mein Erster gewesen ist und ich seine Erste, und dass wir uns alles gegenseitig beigebracht haben. Es kommt mir vor, als müsste ich für seinen gegenwärtigen Eroberungsfeldzug Lizenzgebühren verlangen.

„Denk nicht daran, dass du für Boston packen musst“, fährt Lola fort. „Denk an nichts außer an die Tatsache, dass wir das College hinter uns haben – das College, Mia! Wir haben’s geschafft. Pack einfach alles andere in eine unsichtbare Kiste und gib ihr einen so heftigen Stoß, dass sie unter dem unsichtbaren Bett verschwindet.“

„Mir gefällt dieses Gequatsche über Stoßen und Betten“, sagt Harlow.

Unter anderen Umständen hätte mich das zum Lachen gebracht. Aber so wenig das auch beabsichtig gewesen sein mag, hat Lola mit dem Stichwort „Boston“ das winzige Fenster eines angstfreien Raumes verdunkelt, den ich zuvor irgendwie ausfindig gemacht hatte. Nun ist mir noch unbehaglicher zumute als bei dem frühen Abgang meines Dads bei der größten Feierlichkeit in meinem Leben, oder bei dem Gedanken an Luke und seine neu entdeckten Talente als Schlampe. Ich verspüre eine ansteigende Welle der Panik, was die Zukunft angeht, und jetzt, wo wir unseren Abschluss in der Tasche haben, lässt sich das nicht mehr ignorieren. Jedes Mal, wenn ich daran denke, was demnächst auf mich zukommt, krempelt sich mir der Magen um, fängt an zu brennen, verkohlt. Dieses Gefühl taucht in letzter Zeit so häufig auf, dass ich langsam den Eindruck habe, ich sollte ihm einen Namen geben.

In drei Wochen gehe ich nach Boston, ausgerechnet zur Business School, um BWL zu studieren, und damit bin ich dann von meinen Kindheitsträumen weiter entfernt, als ich es mir je hätte vorstellen können. Ich werde genügend Zeit haben, um mir eine Wohnung und einen Job zu suchen, mit dem ich meine monatlichen Rechnungen bezahlen kann, und ab Herbst werde ich dann eine ganze Reihe an Seminaren belegen und endlich tun, was mein Vater immer wollte – einer von diesen vielen Businessmenschen werden, die Businesssachen erledigen. Er zahlt sogar freiwillig für meine Wohnung. „Zwei Zimmer“, hat er großmütig betont. „Damit deine Mutter, ich und die Jungs dich besuchen können.“

„Mia?“, unterbricht Lola meine Gedanken.

„Okay“, sage ich und nicke. Seit wann eigentlich bin ich diejenige von uns dreien mit der riesigen Last auf den Schultern? Lolas Vater ist Kriegsveteran. Harlows Eltern sind ständig in Hollywood. Ich bin nur das Mädchen von La Jolla, das früher getanzt hat. „Ich stoße sie unter das unsichtbare Bett.“ Die Worte laut auszusprechen, scheint ihnen mehr Gewicht zu geben. „Ich packe sie gemeinsam mit Harlows gruseligem Sexspielzeug in die Kiste.“

Harlow wirft mir zwinkernd einen Kuss zu und Lola nickt entschieden.

Keiner von uns kennt sich so gut mit Stress und Verantwortung aus wie Lola. Und wenn sie für ein Wochenende alles hinter sich lassen kann, dann kann ich das auch.

Wir fahren vor dem Hotel vor, und Lola und ich stolpern aus dem Wagen, in der Hand unsere schlichten Seesäcke. Wir sehen aus, als kämen wir gerade aus einem Wüstensturm. Ich fühle mich dreckig und eklig. Nur Harlow wirkt so, als würde sie hierher gehören: Sie klettert aus dem alten Chevy, als würde sie eine glänzend schwarze Limousine verlassen und schafft es dabei sogar irgendwie, gut auszusehen. Dann zieht sie lässig ihren glänzenden Koffer hinter sich her.

Als wir oben sind, fehlen uns allen die Worte, selbst Harlow – sie schweigt eindeutig vor Erstaunen. Es gibt auf diesem Stockwerk nur wenige Zimmer, und unsere Sky Suite ist gigantisch.

Harlows Vater, ein gefragter Kameramann, hat uns die Suite als Abschlussgeschenk gebucht. Wir hatten gedacht, dass wir ein Standard-Vegas-Hotelzimmer mit den kleinen Standard-Shampoofläschchen bekommen würden – und vielleicht wären wir dann so verrückt, die Minibar zu Lasten seiner Kreditkarte zu plündern. Snickers und Mini-Wodka-Flaschen für alle!

Das hier hatten wir nicht erwartet. Im Eingangsbereich (es gibt einen Eingangsbereich) steht ein dekadenter Obstkorb und eine Champagnerflasche mit einer Nachricht. Darin steht, dass uns auf Kurzwahl ein Butler zur Verfügung steht und eine Masseurin, die aufs Zimmer kommt, wenn wir sie brauchen, und dass Harlows Vater gerne alles bezahlt, was wir beim Zimmerservice bestellen.

Wenn Alexander Vega nicht der Vater meiner besten Freundin und glücklich verheiratet wäre, dann würde ich ihm vielleicht zum Dank Sex anbieten.

Das sollte ich Harlow gegenüber besser nicht erwähnen.

Ich bin es noch von früher gewohnt, halbnackt vor Hunderten von Menschen auf einer Bühne zu stehen, wo ich so tue, als wäre ich jemand anders. Deshalb fühle ich mich selbst mit der langen, gezackten Narbe auf meinem Bein wesentlich wohler in einem der Kleider, die Harlow für uns ausgesucht hat, als Lola. Sie will ihres noch nicht mal anprobieren.

„Das ist dein Abschlussgeschenk“, sagt Harlow. „Wie würdest du dich fühlen, wenn ich das Tagebuch ablehnen würde, das du mir besorgt hast?“

Lola, wirft lachend ein Kissen quer durchs Zimmer nach ihr. „Wenn ich dich gebeten hätte, die Seiten rauszureißen und sie in ein Kleid zu verwandeln, das kaum deinen Arsch bedeckt – ja, dann hättest du in der Tat alles Recht der Welt, mein Geschenk auszuschlagen.“

Ich ziehe an dem Saum meines Kleides und muss Lola nun doch insgeheim zustimmen. Wär es doch nur einen Tick länger! Ich zeige nur noch selten so viel Bein.

„Mia trägt ihres“, entgegnet Harlow, woraufhin ich laut aufstöhne.

„Mia ist in hautengen Engteilern großgeworden, sie würde problemlos in eine Handtasche passen und hat die Figur einer Gazelle“, argumentiert Lola. „Außerdem seh ich mit Sicherheit ihre Vagina, wenn ich ein bisschen genauer hingucke. Da ich zehn Zentimeter größer bin als sie, sieht man in diesem Kleid praktisch meinen Geburtskanal.“

„Du bist so stur.“

„Du bist so nuttig.“

Ich stehe am Fenster, höre sie diskutieren und beobachte zufrieden, wie Fußgänger den Strip entlangschlendern und – zumindest vom fünfundvierzigsten Stockwerk aus betrachtet – eine Spur aus bunten Tüpfelchen bilden. Keine Ahnung, warum sich Lola immer noch dagegen wehrt. Wir wissen alle, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sie nachgibt: Harlow, die alte Nervensäge, bekommt letztlich immer ihren Willen. Lola ähnelt ihr in gewisser Weise, ist aber ein bisschen subtiler als Harlow mit ihrer direkten Art.

Lola stöhnt, gesteht dann aber, wie erwartet, ihre Niederlage ein. Sie ist schlau genug zu wissen, dass sie auf verlorenem Posten kämpft, und ein paar Minuten später schlüpft sie in Kleid und Schuhe, und wir machen uns auf den Weg nach unten.

Es ist ein langer Tag gewesen. Wir haben mit dem College abgeschlossen, uns den Staub und die Sorgen ums echte Leben von den Körpern gewaschen, und Harlow findet es großartig, immer mehr Shots zu bestellen. Noch großartiger findet sie es, allen anderen dabei zuzusehen, wie sie sie austrinken.

Gegen einundzwanzig Uhr dreißig beschließe ich, dass unser Level an Betrunkenheit ausreicht; wir bringen die paar Worte, die wir überhaupt von uns geben, nur lallend hervor, aber zumindest können wir noch laufen. Es ist Ewigkeiten her, dass ich Lola und Harlow so lachen gesehen habe: Lolas Wange ruht auf ihren verschränkten Armen, und ihre Schultern beben vor Gelächter; Harlow hat den Kopf zurückgeworfen, und ihr Kichern breitet sich über die stampfende Musik aus und schwebt über die Bar hinweg.

Und es ist in diesem Moment, als sie ihren Kopf so nach hinten gelegt hat, dass ich dem Blick eines Mannes am anderen Ende des überfüllten Raumes begegne. Ich kann seine Gesichtszüge in der dunklen Bar nicht genau ausmachen, aber er muss ein paar Jahre älter als wir sein und ist groß, mit hellbraunem Haar und dunklen Brauen über leuchtenden, schelmischen Augen. Er beobachtet uns und lächelt, als hätte er kein Bedürfnis, bei unserem Spaß mitzumischen, als würde er ihn nur aus der Ferne genießen wollen. Zwei andere Männer stehen neben ihm, sagen etwas und zeigen in eine entfernte Ecke, aber er sieht nicht weg, als unsere Blicke sich begegnen. Wenn überhaupt, dann wird sein Lächeln noch breiter.

Ich kann ebenfalls nicht wegsehen, und das ist ein absolut verwirrendes Gefühl – denn normalerweise bin ich sehr gut im Wegsehen, wenn es um Fremde geht. Mein Herz hüpft in meiner Brust herum, erinnert mich daran, dass ich eigentlich schüchtern bin und schlägt vielleicht vor, dass ich mich stattdessen besser auf meinen Drink konzentrieren sollte. Ich bin nicht gut im Blickkontakt. Für gewöhnlich bin ich auch nicht gut im Smalltalk. Tatsächlich sind die einzigen Muskeln, die ich nicht richtig zu beherrschen scheine, die, die man für eine lockere Unterhaltung braucht.

Aber aus irgendeinem Grund – schieben wir es mal auf den Alkohol – formen meine Lippen, ohne dass ich den Blick von diesem heißen Typen auf der anderen Seite der Bar wende, problemlos das Wort: „Hi.“

Er sagt es zurück, bevor er die eine Seite der Unterlippe zwischen die Zähne nimmt, und wow: Das sollte er jeden Tag tun und zu jedem Menschen, dem er begegnet, und zwar für den Rest seines Lebens! Er hat so ein Grübchen, und ich versichere mir selbst, dass mir das nur das Spiel aus Licht und Schatten vorgaukelt, denn Teufel nochmal – nie im Leben kann etwas so Simples dermaßen anbetungswürdig sein.

Ich spüre, dass etwas Merkwürdiges in meinem Inneren geschieht, und frage mich, ob Leute das meinen, wenn sie sagen, dass sie dahinschmelzen, denn ganz sicher fühle ich mich alles andere als hart und stabil. In der näheren Umgebung unterhalb meiner Taille spüre ich ein unverkennbares Flattern, und Grundgütiger, wenn ich mich schon so fühle, wenn er mich nur anlächelt, was würde wohl geschehen …

Harlow packt meinen Arm, bevor ich den Gedanken zu Ende denken kann, zerrt mich von meiner genauen Studie seines Gesichts weg und in die Menge der Leiber, die sich hin und her wiegen und schlangenförmig zu den sexy Rhythmen bewegen, die aus den Lautsprechern dröhnen. Ein solcher Typ ist weit, weit von meiner Komfortzone entfernt, weshalb ich mein Verlangen, loszumarschieren und nach ihm zu suchen, in meine unsichtbare Kiste stecke, und gemeinsam mit allem anderen unter das Bett schiebe.

Wir müssen uns erst langsam an Vegas gewöhnen: Nach dem Tanzen und Trinken kehren wir gegen Mitternacht in unser Zimmer zurück, alle drei erschöpft von der Abschlussfeier im Sonnenlicht, von der stickig heißen Fahrt und von dem Alkohol, den wir in unseren Körper gekippt haben, ohne ordentlich zu essen.

Auch wenn unsere Suite mehr Platz hat, als wir brauchen, und auch wenn es zwei Schlafzimmer gibt, stapeln wir uns doch alle in einem Bett. Meine Freundinnen schlafen innerhalb weniger Minuten ein, und Harlow beginnt mit ihrem vertrauten Dauerschlafgemurmel. Lola ist wie immer beinahe erschreckend ruhig und stumm. Sie vergräbt sich für gewöhnlich so tief unter der Bettdecke, dass ich mich früher jedes Mal, wenn wir zusammen bei ihr oder mir übernachtet haben, gefragt habe, ob sie irgendwie in die Matratze verschwindet. Manchmal überlege ich in solchen Situationen, ob ich ihren Puls überprüfen sollte.

Auf der anderen Seite des Flurs tobt eine Party.

Der heftige Bass der Musik bringt die Lampen über mir zum Wackeln. Männerstimmen poltern durch den leeren Flur, der die Zimmer voneinander trennt; sie brüllen und lachen durcheinander, schreien „Whoop“ und stoßen Männerlaute aus. Ein Ball schlägt irgendwo in der Ferne gegen die Wand, und auch wenn ich in dem Mix nur ein paar wenige Stimmen heraushören kann, machen sie so viel Lärm, dass die Suite gegenüber voll mit einer ganzen Horde betrunkener Jungs sein muss, die ein Wochenende in Vegas durchfeiern.

Um zwei Uhr nachts hat sich daran nichts geändert: Ich starre noch immer an die Decke und werde irgendwie zunehmend gleichzeitig wacher und schläfriger. Als es drei Uhr schlägt, bin ich so verärgert, dass ich kein Problem mehr damit habe, Vegas’ größte Spielverderberin zu sein – schließlich will ich vor unseren Spa-Terminen am Morgen wenigstens noch ein paar Stunden Schlaf bekommen.

Ich schlüpfe aus dem Bett, leise, damit ich meine Freundinnen nicht aufwecke – bis ich über die Absurdität des Ganzen lachen muss. Wenn die beiden trotz des Höllenlärms auf der anderen Seite des Flurs schlafen können, dann werden sie auch dann noch schlafen, wenn ich leise über den Teppichboden tappe, mir einen Zimmerschlüssel schnappe und aus unserer Suite schlüpfe.

Ich klopfe mit der Faust gegen die Tür und warte, bebend vor Wut. Der Lärm lässt kaum einmal nach, und ich bin mir nicht sicher, ob ich laut genug klopfen kann, damit sie mich überhaupt hören. Mit erhobenen Fäusten versuche ich es noch mal. Ich will nicht diese Person sein, die sich in Vegas darüber beschwert, dass andere ihren Spaß haben – aber als Nächstes würde ich sonst den Sicherheitsdienst des Hotels rufen.

Diesmal wird die Musik leiser, und auf den Fliesen vor der Tür sind Schritte zu hören.

Vielleicht habe ich einen älteren, sonnengebleichten Treuhandfonds-Trottel an der Tür erwartet oder eine Horde von Investmentbankern mittleren Alters, die für ein ausschweifendes Wochenende hierhergekommen sind. Oder einen Raum voller Verbindungstypen, die aus dem Bauchnabel einer Stripperin ihre Shots trinken. Ganz sicher habe ich nicht ihn erwartet, den Kerl vom anderen Ende der Bar.

Ich habe nicht erwartet, dass er obenrum nackt ist und seine schwarzen Boxershorts so tief auf seinem gebräunten Bauch hängen, dass ich weiter unten die weiche Spur an Haaren sehe.

Ich habe nicht erwartet, dass er lächelt, als er mich sieht, und ganz sicher habe ich nicht diesen Akzent erwartet, als er sagt: „Ich kenne dich.“

„Tust du nicht“, erwidere ich mit sicherer Stimme, wenn auch ein bisschen atemlos. Ich stottere nicht mehr vor Freunden oder Familienangehörigen, und nur noch selten vor Fremden, wenn ich mich in deren Gegenwart wohl fühle. Aber in diesem Augenblick brennt mein Gesicht vor Hitze, meine Arme und Beine kribbeln vor Gänsehaut, weshalb ich keine Ahnung habe, wie ich es deuten soll, dass mein Satz vollkommen stotterfrei herausgekommen ist.

Sein Lächeln wird noch breiter, falls das überhaupt möglich ist, und er errötet etwas, sein Grübchen drängt sich in den Vordergrund, und er öffnet die Tür ein bisschen weiter, kommt einen Schritt auf mich zu. Er sieht noch besser aus, als ich es aus der Ferne gedacht habe, und füllt den ganzen Türrahmen. Seine Präsenz ist so groß, dass ich einen Schritt zurücktrete, als hätte mich jemand geschubst. Er ist die Lässigkeit in Person, was seine Haltung, den Blickkontakt und sein strahlendes Lächeln angeht, als er sich vorbeugt und mich spielerisch mustert.

Als Künstlerin habe ich diese Magie schon mal erlebt. Er mag vielleicht wie jedes andere menschliche Wesen aussehen, aber er hat diese nicht erklärbare Eigenschaft, die jedes Augenpaar zwingt, ihm auf der Bühne zu folgen, egal, wie klein seine Rolle ist. Es ist mehr als Charisma; es ist ein Magnetismus, der nicht erlernt oder eingeübt werden kann. Ich bin nur einen halben Meter von ihm entfernt … Und habe nicht die geringste Chance.

„Doch, ich kenne dich“, sagt er und legt leicht den Kopf schief. „Wir haben uns vorhin getroffen. Wir sind nur noch nicht dazu gekommen, uns einander vorzustellen.“ Mein Hirn versucht verzweifelt, seinen Akzent einzuordnen, bevor es mir schlagartig klar wird: Er ist Franzose. Das Arschloch ist Franzose. Sein Akzent ist allerdings nur schwach: weich und mild. Anstatt alle Worte ineinander verknäult von sich zu geben, zieht er sie auseinander, bietet sie vorsichtig einzeln an.

Ich kneife die Augen zusammen, zwinge mich, ihm ins Gesicht zu sehen. Was nicht leicht ist. Seine Brust ist glatt und gebräunt und er hat die perfektesten Nippel, die ich je gesehen habe, klein und flach. Er ist muskulös und groß genug, um ihn wie ein Pferd zu reiten. Ich kann die Wärme spüren, die von seiner Haut ausgeht. Und um das alles noch zu toppen, trägt er nichts am Leib als seine Unterhose und das scheint ihm vollkommen egal zu sein.

„Ihr Jungs seid irrsinnig laut“, sage ich, als mir wieder die Stunden voller Lärm einfallen, die mich eigentlich hierhergebracht haben. „Ich glaube, du hast mir am anderen Ende eines vollen Raums besser gefallen als am anderen Ende dieses Flurs.“

„Aber von Angesicht zu Angesicht ist schon am besten, oder?“ Seine Stimme verursacht Gänsehaut auf meinen Armen. Als ich nicht antworte, dreht er sich um und sieht über seine Schulter, dann wieder zu mir. „Es tut mir leid, dass wir so laut sind. Ich werde Finn die Schuld geben. Er ist Kanadier, also wirst du sicher verstehen, dass er ein Wilder ist. Und Oliver ist Australier. Ebenfalls schrecklich unzivilisiert.“

„Ein Kanadier, ein Australier und ein Franzose verwüsten ein Hotelzimmer?“, frage ich und kämpfe wider besseren Wissens gegen ein Lächeln an. Ich versuche mich daran zu erinnern, ob man sich wehren soll oder nicht, wenn man in Treibsand fällt, denn genau so fühlt sich das hier an. Als würde ich versinken, von etwas verschlungen werden, das größer ist als ich.

„Hört sich an wie der Anfang eines Witzes“, stimmt er nickend zu. Seine grünen Augen funkeln, und er hat recht: Von Angesicht zu Angesicht ist unendlich besser als durch eine Wand oder quer durch einen dunklen, vollen Raum hinweg. „Komm doch einfach rein.“

Nichts hat sich jemals zugleich so gefährlich und so verführerisch angehört. Sein Blick fällt auf meinen Mund, verweilt dort, bevor er meinen Körper scannt. Entgegen dem, was er gerade angeboten hat, tritt er vollständig in den Flur hinaus, und die Tür fällt hinter ihm zu. Jetzt gibt es nur noch ihn und mich und seine nackte Brust und seine … wow … starken Beine und die Möglichkeit eines alles andere in den Schatten stellenden, spontanen Flur-Quickies.

Warte. Was?

Und jetzt fällt mir auf, dass ich selbst nur meine winzige Schlafshorts anhabe und ein dazu passendes Tanktop mit vielen kleinen Schweinchen darauf. Ich bin mir plötzlich des gleißenden Lichts im Flur bewusst und spüre, wie meine Finger hinab wandern, instinktiv den Stoff nach unten ziehen, um meine Narbe zu überdecken.

Normalerweise bin ich ganz zufrieden mit meinem Körper – ich bin eine Frau, deshalb gibt es natürlich ein paar Kleinigkeiten, die ich gerne ändern würde –, aber bei meiner Narbe ist das was anderes. Es geht nicht nur darum, wie sie aussieht – auch wenn, seien wir mal ehrlich, Harlow noch immer am ganzen Körper vor Mitgefühl erschauert, wenn sie sie zu sehen bekommt –, sondern was wofür sie steht: der Verlust meines Stipendiums an der Joffrey Academy of Dance, dem Ende meines Traums.

Aber die Art, wie er mich anguckt, vermittelt mir das Gefühl, nackt zu sein – auf gute Weise nackt –, und unter dem Baumwollstoff meines Tops werden meine Nippel hart.

Er bemerkt das und kommt noch einen Schritt näher. Ich spüre seine Wärme, rieche den Duft seiner Seife, und bin mir plötzlich sicher, dass er hundertprozentig nicht auf mein Bein schaut. Es wirkt, als würde er die Narbe noch nicht mal sehen, oder, falls er es doch tut, als ob ihm das Gesamtbild so gut gefällt, dass er ignoriert, was sie über mich aussagt. Sie zeugt von einem Trauma, zeugt von Schmerz. Aber seine Augen sagen nur ja und bitte und Schalk. Und dass er gerne mehr sehen würde.

Das schüchterne Mädchen in mir verschränkt die Arme vor der Brust, versucht mich in die Sicherheit meines Hotelzimmers zurückzuziehen. Aber sein Blick nagelt mich an Ort und Stelle fest.

„Ich war mir nicht sicher, ob ich dich wiedersehen würde.“ Seine Stimme ist härter geworden, deutet die schmutzigen Sachen an, die ich ihn an meinem Hals knurren hören möchte. Mein Puls trommelt hektisch, dröhnend. Ich frage mich, ob er das sehen kann. „Ich hab nach dir gesucht.“

Er hat nach mir gesucht.

Ich bin überrascht, dass meine Stimme so klar und deutlich klingt, als ich sage: „Wir sind kurz nachdem ich dich gesehen habe gegangen.“

Seine Zunge lugt hervor, und er betrachtet meinen Mund. „Warum kommst du nicht … mit rein?“ In diesen sechs Wörtern sind so viele unausgesprochene Versprechen versteckt. Es fühlt sich an, als wäre er ein Fremder, der mir die köstlichsten Süßigkeiten der Welt anbietet.

„Ich gehe jetzt schlafen“, bringe ich schließlich hervor und hebe die Hand, damit er nicht noch dichter an mich herantritt. „Und ihr Jungs seid jetzt etwas leiser, oder ich schicke euch Harlow rüber. Und wenn das nichts nützt, dann weck ich Lola, und am Schluss wirst du ihr dafür danken, wenn sie dich blutend und zusammengeschlagen zurücklässt.“

Er lacht. „Du gefällst mir wirklich gut.“

„Gute Nacht.“ Ich drehe mich um, gehe auf alles anderes als festen Beinen zu unserer Tür zurück.

„Ich bin Ansel.“

Ohne ihn weiter zu beachten, schiebe ich den Schlüssel ins Schloss.

„Warte! Ich will nur deinen Namen.“

Ich sehe über meine Schulter. Er lächelt noch immer. Ernsthaft, als ich in der dritten Klasse war, hatte ein Junge Grübchen, und dabei hab ich mich nicht so gefühlt. Dieser Junge hier sollte dagegen ein Warnschild um den Hals tragen.

„Halt die Klappe, und ich sag ihn dir morgen.“

Er tritt noch einen Schritt auf mich zu, die nackten Füße auf dem Teppich, und sein Blick folgt mir den Flur entlang. „Bedeutet das, dass wir ein Date haben?“

„Nein.“

„Und du willst mir wirklich nicht deinen Namen verraten? Bitte.“

„Morgen.“

„Dann nenne ich dich halt cerise.“

Ich gebe ein „Geht in Ordnung“ von mir, während ich in mein Zimmer gehe. Er könnte mich gerade „die Verklemmte“ oder „die Prüde“ oder „Schweinchenpyjama“ getauft haben.

Aber irgendwie lässt mich die Art, wie er die zwei Silben geschnurrt hat, an etwas vollkommen anderes denken.

Als ich zurück in mein Bett klettere, sehe ich es auf meinem Handy nach. Cerise bedeutet „Kirsche“. Natürlich tut es das. Ich bin mir nicht sicher, wie ich das finde, denn etwas sagt mir, dass er sich dabei nicht auf die Farbe meines Nagellacks bezogen hat.

Die Mädels schlafen beide. Ich nicht. Selbst nachdem der Lärm auf der anderen Seite des Flurs aufgehört hat und es vollkommen still ist in unserer Suite, bin ich noch heiß und errötet und wünsche mir, ich hätte den Mumm gehabt, etwas länger im Flur zu bleiben.

ZWEI

Harlow bestellt Pommes, bevor sie sich ihren Schnaps ins Bier kippt und es auf Ex trinkt.

Sie wischt sich mit dem Arm über den Mund und sieht zu mir herüber. Anscheinend starre ich sie mit offenem Mund an, denn sie fragt: „Was? Bin ich dir nicht stilvoll genug?“

Ich zucke die Achseln, rühre mit dem Strohhalm durch das Eis in meinem Glas. Nach einer morgendlichen Massage, einem Verwöhnprogramm fürs Gesicht und einem Nachmittag am Pool, dem ein paar Cocktails folgten, sind wir alle drei inzwischen ein bisschen mehr als beschwipst. Abgesehen davon hat Harlow selbst dann noch Klasse, wenn sie ein Bier mit Schnaps runterkippt. Selbst wenn sie in ein Bällebad in der Kinderecke von McDonalds springen würde, sähe sie danach immer noch cool aus.

„Ach, was soll’s?“, erwidere ich. „Wir haben noch unser ganzes Leben lang Zeit, uns zu benehmen – aber nur das eine Wochenende in Vegas.“

Sie hört mir schweigend zu, denkt kurz über meine Worte nach, nickt dann mit Nachdruck und macht dem Kellner ein Zeichen. „Für mich bitte noch zwei Shots und eine dieser Monstrositäten, die sie trinkt.“ Sie zeigt zu Lola hinüber, die gerade vom Rand eines abscheulichen Bechers mit LED-Beleuchtung die Sahne ableckt.

Der Kellner runzelt die Stirn, schüttelt dann den Kopf und sagt: „Zwei Shot Whiskey und eine Slut On A Trampoline, kommt sofort.“

Harlow wirft mir einen gespielt schockierten Blick zu, aber ich komme nicht dazu, darauf zu reagieren, weil sich in der überfüllten Bar plötzlich jemand von hinten an mich herandrängt. Große Hände packen meine Hüften. „Da bist du ja“, flüstert jemand dicht und heiß an meinem Ohr.

Erstaunt drehe ich mich um – und weiche mit einem leisen Aufschrei zurück.

Ansel.

Mein Ohr fühlt sich warm und feucht an, aber als ich Ansel ins Gesicht blicke, sehe ich das gleiche amüsierte Funkeln in seinen Augen wie letzte Nacht. Vermutlich gehört er zu diesen Typen, die einen peinlichen Robotertanz hinlegen, nur um dich zum Lachen zu bringen, oder die deine Nasenspitze ablecken, sich für ein Lächeln zum Idioten machen. Mit Sicherheit würde er, wenn ich mit ihm auf dem Boden raufen würde, mich gewinnen lassen. Und es auch noch die ganze Zeit genießen.

„Zu dicht?“, fragt er. „Ich wollte es mal auf die verführerische, dennoch subtile Tour versuchen.“

„Ich bin nicht sicher, ob es noch dichter gegangen wäre“, bemerke ich und versuche, ein Lächeln zu unterdrücken. Ich reibe mein Ohr. „Du warst ja geradezu in meinem Kopf.“

„Er würde einen schrecklichen Ninja abgeben“, meint einer der Typen, die neben ihm stehen, und zwinkert mir zu.

„Oliver, Finn“, sagt Ansel und zeigt erst auf einen großen Kerl mit zerzaustem braunem Haar, Bartstoppeln, strahlend blauen Augen hinter dicken Brillengläsern, dann auf den anderen, den, der sich eingemischt hat, mit kurzgeschnittenem braunem Haar, dunklen, wie von hinten beleuchteten Augen und einem frechen Grinsen, das festgewachsen zu sein scheint. Ansel sieht wieder zurück zu mir. „Und, Gentlemen, das ist cerise. Ich warte immer noch auf ihren richtigen Namen.“ Er lehnt sich leicht zu mir vor. „Sie muss ihn mir ja irgendwann sagen.“

„Ich bin Mia“, sage ich ohne großes Brimborium.

Sein Blick wandert über mein Gesicht, bleibt an meinen Lippen hängen. Genau so würde er mich ansehen, wenn wir uns gleich küssen würden, doch dafür steht er zu weit weg. Er beugt sich noch weiter vor, und es ist, als würde man zusehen, wie ein Flugzeug ewig lang nur wenige Meter über dem Boden schwebt.

„Es ist schön, dem Männergebrüll von letzter Nacht Gesichter zuordnen zu können“, sage ich, um die heftige sexuelle Spannung zwischen uns zu durchbrechen, und wende mich Oliver und Finn zu, dann zeige ich auf meine Freundinnen, die mit großen Augen neben mir stehen. „Das sind Lorelei und Harlow.“

Meine Freundinnen schütteln den Jungs die Hand, bleiben aber verdächtig still. Normalerweise bin ich nicht gerade diejenige, die in einer solchen Situation Typen kennenlernt. Normalerweise bin ich diejenige, die Harlow davon abhält, nach nur wenigen Minuten des Kennenlernens mit einem Typen Sex auf dem Tisch zu haben, während Lola sich mit dem Gedanken trägt, jeden Kerl zusammenzuschlagen, der es wagt, auch nur mit uns zu sprechen. Vielleicht sind die beiden so erstaunt, dass sie nicht wissen, wie sie reagieren sollen.

„Habt ihr nach uns gesucht?“, frage ich.

Ansel zuckt die Schultern. „Möglich, dass wir in ein paar Kneipen waren, nur so, um mal zu gucken.“

Hinter ihm hebt Oliver – der mit der Brille – sieben Finger hoch, und ich lache. „Ein paar?“

„Nicht mehr als drei“, sagt Ansel und zwinkert mir zu.

Direkt hinter ihm bewegt sich etwas oder jemand, und noch bevor ich etwas sagen kann, tritt Finn einen Schritt vor und versucht, Ansels Hosen runterzuziehen. Ansel zuckt nicht mal mit der Wimper. „Was trinkst du?“, fragt er stattdessen und greift nach seinem Hosenbund, ohne auch nur ein bisschen überrascht oder verärgert auszusehen.

Als ob ich nicht grade seine graue Boxer Shorts sehen könnte.

Als ob ich nicht genau auf die Stelle starren würde, wo im Baumwollstoff die unverkennbare Wölbung sein dürfte.

Solche Sachen machen Jungs also?

„Schön, dich wieder in Unterwäsche zu sehen“, sage ich und versuche, ein Grinsen zu unterdrücken.

„Beinahe“, korrigiert er. „Zumindest bleiben meine Hosen diesmal oben.“

Ich sehe nach unten und wünschte, ich könnte noch einen Blick auf seine durchtrainierten Beine ergattern. „Darüber ließe sich streiten.“

„Letztes Mal, als Finn das gemacht hat, blieben sie nicht oben. Ich hab diese Woche seine Bestzeit auf dem Rad geknackt, und seitdem versucht er, sich an mir zu rächen.“ Er hält inne, hebt die Augenbrauen und scheint erst jetzt zu begreifen, was ich gesagt habe. „Flirtest du gerade mit mir?“

„Nein.“ Weil er mir nun seine gesamte Aufmerksamkeit zuwendet, muss ich schlucken. „Vielleicht?“

„Vielleicht sollte dein Kleid nach oben wandern, wenn meine Hosen nach unten rutschen“, flüstert er, und noch nie hat sich ein Satz so schmutzig angehört. „Damit wir die gleichen Ausgangsvoraussetzungen haben.“

„Sie ist viel zu heiß für dich“, sagt Finn hinter ihm. Ansel dreht sich halb um, legt Finn eine Hand aufs Gesicht und schiebt ihn weg. Er nickt in Richtung meines Drinks, fragt stumm, was in meinem mittlerweile leeren Glas gewesen ist.

Ich starre ihn an, spüre die merkwürdige Wärme der Vertrautheit sich in mir ausbreiten. So also fühlt es sich an, wenn die Chemie stimmt. Auch wenn ich so was schon mal mit anderen Tänzern gespürt habe – diese Art der Chemie ist anders. Normalerweise löst sich so eine Chemie in Luft auf, sobald man von der Bühne abtritt oder man eben wieder in der Realität ankommt. Hier, mit Ansel, kommt es mir vor, als könnten wir mit der Energie, die zwischen uns herrscht, riesige Batterien auffüllen.

Er nimmt mein Glas und sagt: „Bin gleich zurück“, bevor er zu Lola guckt, die sich von der Gruppe gelöst hat, einen Schritt auf uns zugeht. Sie beäugt ihn wie ein Habicht, mustert ihn mit vor der Brust verschränkten Armen und einem unübersehbaren Strenge-Mutter-Ausdruck im Gesicht. „Mit einem Drink“, sagt er freundlich zu ihr. „Überteuerter, verwässerter Alkohol, vermutlich mit irgendwelchem fragwürdigem Obst. Nichts Witziges, versprochen. Möchtest du mitkommen?“

„Nein, aber ich behalt dich im Auge“, sagt sie.

Er lächelt sie so charmant wie nur möglich an und dreht sich dann wieder zu mir um. „Willst du irgendwas Bestimmtes?“

„Ich lass mich überraschen“, erwidere ich.

Ein paar Minuten später kehrt Ansel mit einem frischen Glas zurück, das mit Eis und Limetten und einer klaren Flüssigkeit gefüllt ist. „Gin Tonic, richtig?“

„Ich hatte eigentlich erwartet, du würdest mir etwas Abenteuerlicheres bringen. Etwas in einer Ananas oder mit Wunderkerze.“

„Ich hab an deinem Glas gerochen“, sagt er achselzuckend. „Ich wollte, dass du nicht deinen Drink änderst. Außerdem“ – er zeigt meinen Körper hinunter – „hast du dieses 20er-Jahre-Flapper-Ding am Laufen mit diesem kurzen Kleid und den“ – er malt mit dem Zeigefinger vor meinem Kopf einen Kreis in die Luft – „glänzenden schwarzen Haaren und dem geraden Pony. Und diese roten Lippen. Ich sehe dich an und denke ‚Gin‘.“ Er hält inne, kratzt sich am Kinn und fügt hinzu: „Ehrlich gesagt sehe ich dich an und denke …“

Lachend hebe ich eine Hand. „Ich hab keine Ahnung, was ich mit dir anstellen soll.“

„Ich hätte da ein paar Vorschläge.“

„Mit Sicherheit.“

„Möchtest du sie hören?“, fragt er und grinst unverfroren.

Ich atme tief durch, um mich zu beruhigen. Eins steht fest: Der hier ist mehr als eine Nummer zu groß für mich. „Wie wäre es, wenn du mir erst ein bisschen was über euch Jungs erzählst. Lebt ihr alle in den USA?“

„Nein. Wir haben uns vor ein paar Jahren bei einem Freiwilligenprogramm kennengelernt, bei dem du mit dem Rad von einer Stadt in die andere fährst und unterwegs Häuser für einkommensschwache Menschen baust. Wir sind nach der Uni los und haben uns von Florida bis nach Arizona durchgearbeitet.“

Ich sehe ihn mir jetzt etwas genauer an. Bisher habe ich mir keinen Gedanken darauf verschwendet, wer er ist oder was er tut, aber das hier ist sehr viel interessanter als eine Gruppe bescheuerter Ausländer, die ihr Geld in einer Suite in Vegas auf den Kopf haut. Und von Bundesstaat zu Bundesstaat zu radeln, erklärt definitiv die muskulösen Oberschenkel. „Das entspricht so gar nicht dem, was ich zu hören erwartet habe.“

„Vier von uns haben sich damals ziemlich doll angefreundet. Finn, Oliver, ich und Perry. Und dieses Jahr haben wir also eine Wiedersehenstour gemacht – allerdings nur von Austin nach Las Vegas. Wir sind inzwischen ja alte Männer.“

Ich sehe mich nach dem Vierten im Bunde um und hebe vielsagend eine Augenbraue, aber Ansel zuckt die Schultern. „Diesmal nur wir drei.“

„Hört sich unglaublich an.“

Er nippt an seinem Drink, nickt. „Es war unglaublich. Mir graut es schon davor, am Dienstag nach Hause zu fliegen.“

„Wo genau ist Zuhause? In Frankreich?“

Er grinst. „Ja.“

„Nach Hause nach Frankreich. Wie langweilig“, sage ich trocken.

„Du solltest mit mir nach Paris fliegen.“

Ha. Okay.“

Er mustert mich lange. „Ich meine es ernst.“

„Oh, da bin ich mir sicher.“

Er nippt wieder an seinem Drink, die Augenbrauen nach oben gezogen. „Gut möglich, dass du die allerschönste Frau bist, die ich je gesehen habe. Ich vermute, du bist auch die schlauste.“ Er lehnt sich leicht vor, flüstert: „Kannst du jonglieren?“

Lachend erwidere ich: „Nein.“

„Wie schade.“ Er summt vor sich hin, lächelt meinen Mund an. „Tja, ich muss noch für sechs Monate oder so in Frankreich leben. Du würdest dort eine Weile mit mir bleiben müssen, bevor wir ein Haus in den USA kaufen können. Und währenddessen könnte ich es dir beibringen.“

„Ich kenn noch nicht mal deinen Nachnamen“, sage ich und lache jetzt lauter. „Es ist noch ein wenig zu früh, um über Jonglierunterricht und Zusammenleben zu reden.“

„Ich heiße Guillaume mit Nachnamen. Mein Vater ist Franzose, meine Mutter Amerikanerin.“

„Ji – was?“, wiederhole ich, über den Akzent stolpernd. „Ich weiß ja nicht mal, wie man das buchstabiert.“ Mit gerunzelter Stirn rolle ich den Namen ein paarmal in meinem Kopf hin und her. „Ehrlich gesagt weiß ich noch nicht mal, mit welchem Buchstaben er beginnt.“

„Du wirst lernen müssen, ihn zu buchstabieren“, sagt er, und sein Grübchen wird sichtbar. „Schließlich musst du auf deinen Schecks mit deinem neuen Namen unterschreiben können.“

Letztlich muss ich den Blick von ihm abwenden. Ich brauche eine Pause von seinem Grinsen und diesem Flirt-Level, das mich in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Aber als ich nach rechts sehe, bemerke ich, dass meine Freundinnen ganz in unserer Nähe stehen und uns mit weit aufgerissenen Augen anstarren.

„Was?“, frage ich und werfe Lola einen Reagier-nicht-über-Blick zu.

Sie wendet sich an Ansel: „Du hast sie zum Reden gebracht.“

Ich kann ihren Schock geradezu spüren – und ich will nicht von ihm vereinnahmt werden. Wenn ich zu viel darüber nachdenke, wie entspannt ich mich in Ansels Gegenwart fühle, dann geht es garantiert nach hinten los, und ich breche in Panik aus.

„Diese hier?“, sagt er und zeigt mit dem Daumen auf mich. „Die hört nicht auf zu plappern, oder?“

Harlow und Lola lachen, aber es ist ein Yeah-du-bist-verrückt-Lachen, und Lola zieht mich leicht zur Seite, legt mir eine Hand auf die Schulter. „Du.“

„Ich was?“

„Du erlebst gerade einen Instalove-Moment“, zischt sie. „Ich fass es nicht. Hast du dein Höschen noch an?“ Sie beugt sich theatralisch hinunter, als wollte sie es überprüfen.

„Wir haben uns gestern Abend kennengelernt“, flüstere ich, während ich sie wieder hochziehe. Sie muss dringend leiser sprechen, denn auch wenn wir uns ein paar Schritte von den anderen entfernt haben, befinden wir uns doch immer noch in ihrer Nähe. Und alle drei Männer lauschen ungeniert unserer Unterhaltung.

„Du hast ihn getroffen und uns nichts davon erzählt?“

„Du meine Güte, Mutti. Wir hatten heute Morgen einiges auf der Agenda, und ich hab es vergessen, okay? Die Jungs haben letzte Nacht auf der anderen Seite des Flurs gefeiert. Du hättest sie auch gehört, wenn du nicht genügend Wodka intus gehabt hättest, um ein Pferd umzubringen. Ich bin rübergegangen und hab sie gebeten, etwas leiser zu sein.“

„Wobei wir uns da nicht das erste Mal begegnet sind“, wirft Ansel über meine Schulter hinweg ein. „Wir sind uns vorher schon begegnet.“

„Sind wir nicht“, zische ich und flehe ihn mit meinem Blick an, die Klappe zu halten. Er kennt Lolas Beschützerinstinkt nicht – aber ich.

„Allerdings war es das erste Mal, dass sie Ansel in Unterhosen gesehen hat“, fügt Finn hilfreicherweise hinzu. „Er hat sie aufs Zimmer gebeten.“

Lolas Augenbrauen verschwinden unter ihrem Haaransatz. „Oh mein Gott. Bin ich blau? Was ist in diesem Zeug drin?“, fragt sie und glotzt in ihren unerträglich blinkenden Becher.

„Ach, hör auf“, sage ich zu ihr, zunehmend irritiert. „Ich bin ja nicht mitgegangen auf sein Zimmer. Und ich hab die Zuckerstange dieses hinreißenden Fremden nicht probiert, auch wenn ich das wirklich gern getan hätte, denn hallo, sie ihn dir doch mal an“, füge ich hinzu, damit sie noch ein bisschen mehr ausflippt. „Du solltest ihn mal mit nacktem Oberkörper sehen.“

Ansel wippt auf seinen Fersen vor und zurück, nippt an seinem Drink. „Macht bitte weiter, tut so, als wäre ich nicht hier. Das ist fantastisch.“

Endlich scheint Lola – zum Glück – nicht mehr auf das Thema beharren zu wollen. Wir kehren zurück in den kleinen Halbkreis, den die Jungs gebildet haben, und trinken unsere Cocktails in betretenem Schweigen.

Entweder bemerkt Ansel nicht, wie peinlich die Situation ist, oder es ist ihm egal. „Also, was feiert ihr dieses Wochenende?“, fragt er.

Dabei spricht er diese Worte weniger aus, als dass er sie gurren würde, mit einem süßen Flunsch, als würde er kleine Küsse durch die Luft schicken. Niemals zuvor habe ich dermaßen ein Verlangen verspürt, mit den Fingern den Mund von jemandem zu berühren. Während Harlow erklärt, warum wir in Vegas sind, schreckliche Shots trinken und die nuttigsten Kleider der Welt tragen, wandert mein Blick über sein Kinn, seine Wangen. Von Nahem kann ich erkennen, dass er perfekte Haut hat. Sie ist nicht nur makellos, sondern glatt und eben. Auf der Bühne würde er nicht angerührt werden. Kein Puder, kein Lippenstift. Seine Nase ist gerade, die Augen haben genau den richtigen Abstand voneinander und sind beinahe einschüchternd grün. Vermutlich könnte ich die Farbe selbst in den hintersten Reihen eines Theaters erkennen. Unmöglich kann er so perfekt sein, wie es scheint.

„Was machst du, wenn du nicht Rad fährst oder jonglierst?“, frage ich, und alle drehen sich gleichzeitig zu mir um. Ich spüre, wie mein Puls in meinem Hals explodiert, zwinge mich aber, Ansel weiter unverwandt anzusehen, während ich auf seine Antwort warte.

Er stützt seine Ellbogen auf dem Tresen neben sich ab und hält mich mit seinem aufmerksamen Blick in seinem Bann. „Ich bin Anwalt.“

Alle meine Fantasien lösen sich sofort in Luft auf. Mein Dad würde begeistert sein zu erfahren, dass ich mit einem Anwalt flirte. „Oh.“

Sein Lachen ist rau. „Tut mir leid, wenn ich dich enttäusche.“

„Ich hab noch nie einen Anwalt kennen gelernt, der nicht alt und notgeil ist“, gebe ich zu und registriere Harlows und Lolas Blicke, die sich in mein Profil bohren. Inzwischen weiß ich, dass sie gerade die Worte zählen, die ich in den letzten zehn Minuten von mir gegeben habe. Schließlich bin ich dabei, meinen persönlichen Rekord zu brechen.

„Hilft es, wenn ich sage, dass ich für eine Non-Profit-Organisation arbeite?“

„Nicht sonderlich.“

„Gut. In diesem Fall sollte ich dir die Wahrheit sagen: Ich arbeite für die größte, skrupelloseste Firma in ganz Paris. Ich habe echt ein schreckliches Arbeitspensum. Deshalb solltest du mich nach Paris begleiten. Ich hätte gern einen Grund, warum ich früh von der Arbeit heimkommen sollte.“

Ich versuche, unbeeindruckt zu wirken, aber er beobachtet mich genau. Ich kann sein Lächeln geradezu spüren. Es beginnt als ein kleines Ziehen um seine Mundwinkel herum und wächst, je länger ich so tue als ob. „Also, jetzt hab ich dir von mir erzählt – was ist mit dir? Wo kommst du her, cerise?“

„Ich hab dir gesagt, wie ich heiße. Du musst mich nicht länger so nennen.“

„Was, wenn ich das möchte?“

Es ist wirklich schwer, sich zu konzentrieren, wenn er so lächelt. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich dir tatsächlich sagen soll, wo ich herkomme. Vertrau nie einem Fremden und so.“

„Ich kann dir meinen Ausweis zeigen. Würde das helfen?“

„Vielleicht.“

„Wir könnten meine Mom anrufen“, sagt er und greift in seine Gesäßtasche, um sein Handy hervorzuziehen. „Sie ist Amerikanerin, ihr würdet euch großartig verstehen. Sie sagt mir die ganze Zeit, was für ein süßer Junge ich bin. Das hör ich echt ziemlich häufig.“

„Da bin ich mir sicher“, erwidere ich. Mal im Ernst, ich glaube, er würde mich wirklich seine Mutter anrufen lassen. „Ich bin aus Kalifornien.“

„Einfach nur Kalifornien? Ich bin zwar kein Amerikaner, aber ich hab gehört, das soll ein ziemlich großer Bundesstaat sein.“

Ich sehe ihn aus schmalen Augen an, bevor ich schließlich hinzufüge: „San Diego.“

Er grinst, als hätte er etwas gewonnen, als hätte ich diesen winzigen Schnipsel an Information in glänzendes, buntes Geschenkpapier gewickelt und ihm in den Schoß gelegt. „Ah. Und was machst du da, in San Diego? Deine Freundin sagt, ihr feiert gerade euren Abschluss. Was steht als Nächstes an?“

„Äh … BWL. Boston University“, sage ich und frage mich, ob diese Antwort jemals aufhören wird, sich in meinen Ohren so steif und hölzern anzuhören, als würde ich sie aus einem Drehbuch ablesen.

Anscheinend klingt es für ihn genauso, denn zum ersten Mal verschwindet sein Lächeln. „Das hätte ich nicht gedacht.“

Ich sehe zum Tresen hinüber und kippe, ohne Nachzudenken, meinen Drink auf Ex runter. Der Alkohol brennt, aber ich fühle die Hitze in meine Glieder sickern. Die Worte, die ich sagen will, blubbern hinten in meiner Kehle hoch. „Ich hab früher getanzt. Ballett.“

Es ist das erste Mal, dass ich das zu jemandem sage.

Seine Augenbrauen schnellen in die Höhe, sein Blick wandert erst über mein Gesicht, dann meinen Körper hinunter. „Das dagegen kann ich sehen.“

Harlow schielt zu mir herüber, dann sieht sie Ansel an. „Ihr zwei seid einfach zu verdammt nett.“

„Es ist ekelhaft“, stimmt Finn leise zu. Ihre Blicke begegnen sich und bleiben ineinander verhakt. Sie scheinen sich stumm gegenseitig abzuschätzen, als wären sie im selben Team – sie gegen uns – und würden herausfinden wollen, wer seinen Freund am besten blamieren kann. Und in diesem Augenblick weiß ich, dass Harlow in ungefähr neunzig Minuten Finn rückwärts reiten wird, wie ein Cowgirl, auf irgendeinem Fußboden. Lola fängt meinen Blick auf – wir denken beide dasselbe.

Wie vorherzusehen war, hebt Harlow ihr Schnapsglas in Finns Richtung. Dabei läuft ein Großteil der Flüssigkeit über, ergießt sich auf ihrer Haut. Als die echte Lady, die sie ist, beugt sie sich vor, fährt sich mit der Zunge über den Handrücken, bevor sie zu niemand Besonderem sagt: „Vermutlich werde ich ihn heute Nacht ficken.“

Finn lächelt, lehnt sich zu ihr hinüber und flüstert ihr etwas ins Ohr. Keine Ahnung, was er gerade gesagt hat, aber ich habe Harlow noch nie so erröten gesehen. Sie fängt an, mit ihren Ohrringen zu spielen. Lorelei neben mir stöhnt auf.

Wenn Harlow dir in die Augen sieht, während sie ihre Ohrringe abnimmt, wirst du entweder gefickt oder getötet. Als Finn lächelt, erkenne ich, dass er diese Regel bereits begriffen hat und weiß, dass er einen Sieg nach Hause fahren wird.

„Harlow“, warne ich.

Schließlich erträgt Lola die bedeutungsschwangeren Gespräche nicht mehr und packt Harlow an der Hand, zerrt sie vom Stuhl hoch. „Gedankenaustausch auf der Damentoilette.“

„Warum nennt er mich ‚Kirsche‘?“ Blinzelnd sehe ich zu meinem Abbild im Spiegel auf. „Denkt er, ich bin noch Jungfrau?“

„Ich bin mir ziemlich sicher, er meint deinen Blow-Job-Mund“, sagt Harlow augenzwinkernd. „Und falls ich darf, würde ich dir gerne vorschlagen, dass du diesen französischen Jungen heute vögelst wie ein Vorschlaghammer. Ist sein Akzent nicht das Heißeste, das du je gehört hast?“

Lorelei schüttelt bereits den Kopf. „Ich glaube nicht, dass wir Mia zu einem One-Night-Stand überreden sollten.“

Ich höre auf, mein Lipgloss aufzutragen und presse die Lippen zusammen. „Was soll das heißen?“ Ich habe nicht vorgehabt, einen One-Night-Stand mit Ansel zu haben. Ich habe vorgehabt, ihn den ganzen Abend über anzustarren und dann allein ins Bett zu gehen, wo ich mich meinen Fantasien hingeben kann, dass ich jemand anderes bin und er mir zeigt, wie heiß Sex auf dem Hotelflur sein kann. Aber kaum hat Lola das gesagt, spüre ich ein rebellisches Ziehen zwischen meinen Rippen.

Harlow mustert mich einen Moment lang. „Ich glaube, sie hat recht. Du bist ein bisschen schwer zu befriedigen“, erklärt sie.

„Im Ernst, Harlow?“, fragte ich. „Sowas kannst du wirklich ohne mit der Wimper zu zucken sagen?“

Lolas Augen sind ähnlich ungläubig weit aufgerissen, als sie sich mir zuwendet. „Das hab ich nicht gemeint.“

„Oh, ich bin definitiv überhaupt nicht zu befriedigen“, gibt Harlow zu. „Ich liebe es nur, Männern dabei zuzusehen, wie sie es versuchen. Aber Mia braucht zwei Wochen, bevor sie mit einem Mann plaudert, ohne vor Scham in Ohnmacht zu fallen.“

„Heute Abend nicht“, murmelt Lola.

Ich stecke meinen Lipgloss wieder in meine Handtasche und werfe Harlow einen Blick zu. „Vielleicht lasse ich mir gerne Zeit und ignoriere das merkwürdige Verlangen, das manche Leute nach pausenloser Unterhaltung haben. Du bist diejenige, die gern ihr Ding durchzieht, und das ist okay. Ich kritisier das nicht.“

„Also“, fährt Harlow fort, als hätte ich nichts gesagt. „Ansel ist hinreißend, und der Art nach zu urteilen, wie er dich anstarrt, bin ich mir ziemlich sicher, dass du nicht viel mit ihm reden – oder ihn überreden – musst.“

Lorelei seufzt. „Er scheint ja echt nett zu sein, und dass sie sich beide toll finden, ist unübersehbar. Aber was passiert dann?“ Sie schiebt ihren ganzen Kram zurück in ihre Handtasche, lehnt sich dann mit dem Rücken gegen den Waschtisch und sieht uns beide an. „Er lebt in Frankreich, sie zieht nach Boston, was nur unwesentlich näher an Frankreich dran ist als San Diego. Wenn du mit Ansel Sex hast“, sagt sie zu mir, „wird es eine ordentliche Missionarstellung mit wahnsinnig viel Gequatsche und Weichzeichner-Blickkontakt sein. Das ist kein One-Night-Stand-Sex.“

„Ihr beide macht mich echt fertig“, erwidere ich.

„Dann kann sie doch einfach auf Doggystyle bestehen – was ist das Problem?“, fragt Harlow verdutzt.

Da ich für diese Unterhaltung eindeutig nicht benötigt werde, dränge ich mich an ihnen vorbei, zurück in die Bar, und lasse sie ohne mich entscheiden, wie der Rest meines Abends verlaufen wird.

Anfangs ist es, als würden unsere Freunde metaphorisch gesprochen in den Hintergrund rücken, da sie auch unverkrampfter (oder betrunkener) werden, und ihr Lachen sagt mir, dass sie nicht mehr jeden Satz verfolgen, den wir von uns geben. Irgendwann gehen sie zu den Blackjack-Tischen, die direkt draußen vor der Bar stehen, und lassen uns miteinander allein – natürlich nicht ohne bedeutsame Sei-vorsichtig-Blicke in meine Richtung und Drängel-nicht-Blicke in Ansels Richtung zu werfen.

Er trinkt seinen Drink aus und stellt das leere Glas auf dem Tresen ab. „Was hat dir am Tanzen am meisten gefallen?“

Ich fühle mich mutig, ob wegen des Gins oder wegen Ansel, ist mir egal. Ich nehme seine Hand und ziehe ihn hoch. Er steht von seinem Barhocker auf und folgt mir.

„Mich darin zu verlieren“, sage ich und lehne mich an ihn. „Jemand anderes zu sein.“ Auf diese Weise konnte ich so tun, als wäre ich eine andere Person. In ihrem Körper konnte ich Sachen machen, die ich vielleicht mit meinem nicht tun würde, wenn ich nur lange genug darüber nachdachte. Wie zum Beispiel, Ansel einen dunklen Flur hinunterzuziehen – was, auch wenn ich vielleicht erst tief Luft holen und bis zehn zählen musste … ich jetzt tatsächlich tue.

Ansel summt leise vor sich hin, und ich presse meine Lippen aufeinander, liebe es, wie sich bei diesem Geräusch meine Lungen zusammenziehen. Meine Beine und meine Lungen und mein Verstand scheinen alle gleichzeitig ihre Funktion eingestellt zu haben – ist das möglich?

„Du könntest so tun, als wäre das hier eine Bühne“, sagt er leise und stemmt seine Hand neben meinem Kopf gegen die Wand. „Du könntest so tun, als wärst du jemand anderes. Du könntest so tun, als wärst du das Mädchen, das mich hierher führt und mich küsst.“

Ich schlucke, überlege mir genau eine Antwort, bevor ich sage: „Wer wärest du dann heute Nacht?“

„Der Typ, der das Mädchen bekommt, das er will, und der zu Hause keine offenen Baustellen hat.“

Er sieht nicht zur Seite, also habe ich das Gefühl, ich dürfte das auch nicht, selbst wenn meine Knie fast unter mir nachgeben. Er könnte mich genau in diesem Augenblick küssen, und es wäre nicht überstürzt.

„Warum hast du mich denn hierher gebracht? Weg von den anderen?“, fragt er. Sein Lächeln verblasst.

Ich sehe an ihm vorbei zum Club, wo es kaum heller ist als hier.

Als ich nicht antworte, duckt er sich leicht, um mir in die Augen zu sehen. „Stelle ich zu viele Fragen?“

„Ich brauche immer eine Weile, um einen Satz rauszubringen“, erwidere ich. „Es liegt nicht an dir.“

„Nein, nein. Los, lüg mich an.“ Er kommt näher, und sein Lächeln kehrt zurück, bringt mein Herz fast zum Stillstand. „Lass mir den Glauben, ich würde dich sprachlos machen, wenn wir unter uns sind.“

Und trotzdem wartet er darauf, dass ich die für mich richtigen Worte für eine Antwort finde. Doch die Wahrheit ist: Auch wenn mir ein riesiger Fundus an Worten zur Verfügung stünde, weiß ich nicht, ob meine Erklärungen irgendeinen Sinn ergäben – warum ich ihn hierher gebracht habe, fern von der Sicherheit, die mir meine Freundinnen geben, die immer in der Lage sind, meine Gesichtsausdrücke in Sätze zu übersetzen, oder die zumindest für mich das Thema wechseln, wenn nötig.

Nein, ich bin nicht nervös oder verängstigt. Ich weiß nur nicht, wie ich in die Rolle schlüpfen soll, die ich gerne spielen möchte: flirtend, offen, mutig. Mit Ansel kommt es mir vor, als würde mein Herzschlag den seinen jagen. Ich möchte meine Fingerabdrücke auf seinem Hals und seinen Lippen hinterlassen, will an seiner Haut saugen, herausfinden, ob sie so warm ist, wie sie aussieht, will feststellen, ob ich mag, was er getrunken hat, indem ich es auf seiner Zunge schmecke. Ich will mit ihm eine vollständige Unterhaltung führen, bei der ich kein einziges Wort vorhersehen oder darum ringen muss, und dann will ich Ansel mit auf mein Zimmer nehmen und gar nicht mehr sprechen.

„Frag mich noch mal“, sage ich.

Er runzelt kurz die Stirn, dann begreift er. „Warum hat du mich hierhergebracht?“

Dieses Mal denke ich keine einzige Sekunde nach, bevor ich antworte. „Ich möchte heute Nacht ein anderes Leben leben.“

Seine Lippen wölben sich ein bisschen vor, während er nachdenkt, und ich kann nicht anders als sie anzustarren. „Mit mir, cerise?“

Ich nicke. „Ich weiß übrigens, was das bedeutet. Es bedeutet Kirsche. Du Perverser.“

Seine Augen glänzen amüsiert. „Richtig: Kirsche.“

„Und mit Sicherheit hast du dir schon gedacht, dass ich keine Jungfrau mehr bin.“

Er schüttelt den Mund. „Hast du dir mal deinen Mund angeguckt? Ich hab noch nie so rote und volle Lippen gesehen.“

Unwillkürlich nehme ich meine Unterlippe in den Mund, sauge daran.

Sein Blick wird schwer, und er beugt sich noch etwas vor. „Ich mag es, wenn du das tust, ich will auch mal.“

Meine Stimme zittert nervös, als ich flüstere: „Es sind nur Lippen.“

„Es sind nicht nur Lippen. Und bitte“, sagt er und er ist so nah, dass ich sein Aftershave riechen kann. Es duftet nach frischer Luft, grün und klar und beruhigend zugleich, etwas, das ich noch nie an einem Mann gerochen habe. „Du trägst roten Lippenstift, damit Männer deinen Mund nicht bemerken? Mit Sicherheit weißt du, was ein Mund wie dieser in unseren Träumen so alles anstellt.“

Ich schließe nicht die Augen, als er sich gegen mich lehnt und meine Unterlippe zwischen seine Lippen nimmt; er hingegen schon. Seine Augenlider fallen zu, und jeder meiner Sinne nimmt den rauen Laut wahr, den er von sich gibt: Ich kann Ansel schmecken, fühlen, hören, sehe, wie er an mir erschauert.

Er fährt mit seiner Zunge über meine Lippe, saugt sanft und zieht sich dann zurück. Eigentlich war das kein Kuss, denke ich. Mehr ein kosten. Und offensichtlich stimmt er mir zu. „Du schmeckst nicht nach Kirsche.“

„Wie schmecke ich denn?“

Er zuckt leicht die Schultern, schürzt nachdenklich die Lippen. „Mir fällt kein gutes Wort dafür ein. Süß. Wie eine Frau, aber auch wie ein Mädchen.“

Seine eine Hand liegt noch immer neben meinem Kopf, aber die andere spielt jetzt mit dem Saum meines Cardigans. Mir wird bewusst, dass ich den Schritt wagen muss, wenn ich ein anderes Leben leben will, dass ich nicht auf Zehenspitzen am Rand der Klippen entlangtapsen kann. Ich muss springen. Ich muss mir klar werden, welche Art Mädchen genau das machen würde, was ich mit ihm machen will, und dann so tun, als wäre ich sie. Sie ist diejenige auf der Bühne. Mia sieht nur vom Zuschauerraum aus zu.

Ich führe seine Finger zum Saum meines Kleids, dann darunter.

Sein Blick ruht nicht mehr auf meinen Mund; wir sehen einander direkt in die Augen, als ich seine Finger zur Innenseite meines Oberschenkels lenke. Es kommt mir hier so abgeschieden vor – dunkel und ruhig –, aber ganz aus der Nähe dröhnen die Geräusche der Bar zu uns herüber, betrunkene Stimmen, ein wummernden Popsong. Wir stehen hier verborgen vor den Blicken der anderen Gäste, doch jeder könnte uns finden, wenn er wollte. Ohne, dass ich ihn noch groß dränge, schiebt Ansel einen Finger unter den Stoff meines Höschens. Ich schließe unwillkürlich die Augen, und mein Kopf fällt nach hinten, gegen die Wand, als er ihn sanft vor und zurück über meine empfindsamste Stelle gleiten lässt.

Was habe ich bloß getan? Warum? Widersprüchliche Reaktionen übermannen mich. Ich will, dass er mich berührt – Gott, ich will, dass er mich berührt –, aber ich habe auch tierische Angst. Seit Luke bin ich mit zwei Typen zusammen gewesen, und mit beiden ist es immer nur sehr gemächlich zur Sache gegangen: Küssen und das übliche Prozedere des Von-Oben-bis-Unten-Befummelns. In Ansels Nähe bin ich nichts als ein kleines Häuflein Verlangen.

„Ich bin mir nicht sicher, wer von uns beiden überraschter ist, dass du das gerade gemacht hast“, sagt er, bevor er meinen Hals küsst. „Du oder ich.“

Er nimmt seinen Finger weg, kehrt aber sofort wieder zurück, jetzt in einem besseren Winkel, und diesmal lässt er seine gesamte Hand vorne über mein Höschen gleiten. Mir stockt der Atem, als er mich sanft mit zwei Fingern streichelt. Er ist vorsichtig, aber selbstsicher, souverän.

„Toutes ces choses que j’ai envie de te faire …“

Ich unterdrücke ein Stöhnen, flüstere: „Was hast du gerade gesagt?“

„Ich denke nur an all die Sachen, die ich mit dir anstellen will.“ Er küsst mein Kinn. „Willst du, dass ich aufhöre?“

„Nein“, sage ich und ersticke fast an der aufsteigenden Panik. „Ja.“ Er hält abrupt inne, und ich vermisse sofort den Rhythmus seiner breiten Fingerspitzen. „Nein. Nicht aufhören.“

Mit einem heiseren Lachen beugt er sich vor, um erneut meinen Hals zu küssen, und ich schließe unwillkürlich die Lider, als er beginnt, sich wieder zu bewegen.

Ich brauche ewig, um die Augen zu öffnen; mir dröhnt der Schädel. Mein ganzer Körper schmerzt. Ich stemme mir die Hände flach an den Kopf, als ob ich ihn so zusammenhalten könnte. Er muss nur noch aus Einzelteilen bestehen. Nur so lässt sich der Schmerz erklären.

Im Zimmer ist es dunkel, trotzdem ist mir irgendwie bewusst, dass hinter den schweren Hotelvorhängen draußen grell die Vegas-Sommer-Sonne scheint.

Selbst wenn ich eine Woche lang nur schlafen würde, würde ich noch zwei weitere brauchen.

Die Nacht kehrt in kleinen, chaotischen Erinnerungsfetzen zu mir zurück. Saufen. Ansel. Ihn den Flur hinunterzerren, seine Zunge auf meiner spüren. Und dann: reden. So viel reden. Erinnerungsflashs von nackter Haut, sich bewegende Körper. Meine Glieder fühlen sich wie Wackelpudding an – Nachwirkungen einer Nacht voller Orgasmen, einer nach dem anderen.

Ich verziehe das Gesicht, Übelkeit überkommt mich.

Jede Bewegung ist eine Qual. Ich fühle mich zerschunden und ausgelaugt, und dieser Zustand ist verwirrend genug, dass ich es nicht sofort bemerke: Ich bin nackt, vollkommen nackt. Und allein. Ich habe Druckstellen an den Rippen, am Hals, meinen Oberarmen. Als es mir endlich gelingt, mich aufzusetzen, bemerke ich, dass ein Großteil der Bettwäsche auf dem Boden liegt, während die Matratze unter mir blank ist, als wäre ich einmal aus dem Chaos hochgehoben und dann hier abgelegt worden.

Neben meiner nackten Hüfte liegt ein Stück Papier, sorgsam in der Mitte zusammengefaltet. Die Handschrift ist ordentlich und irgendwie sofort als ausländisch zu erkennen. Meine Hand zittert, als ich die Nachricht überfliege.

Mia,

ich habe versucht, Dich zu wecken, aber nachdem mir das nicht gelang, beschloss ich, Dir Deinen Schlaf zu lassen. Schätze, davon hatten wir höchstens zwei Stunden. Ich gehe jetzt duschen und dann runter frühstücken, in das Restaurant gegenüber den Fahrstühlen. Such mich dort bitte.

Ansel

Ich beginne zu zittern und kann nicht mehr damit aufhören. Das liegt nicht nur an dem in mir wütenden Kater oder an der Erkenntnis, dass ich mit einem Fremden eine Nacht verbracht habe und mich kaum noch an etwas davon erinnern kann. Es liegt nicht nur am Zustand des Zimmers: Eine Lampe ist kaputt, der Spiegel mit Hunderten von Fingerabdrücken beschmiert, der Boden mit Klamotten und Kissen und – Gott sei Dank – Kondomtütchen bedeckt. Es liegt nicht an dem Schamgefühl bezüglich des dunklen Flecks auf dem Teppich, vermutlich von irgendwas zu Trinken. Es liegt nicht an den Blutergüssen, die ich auf meinen Rippen sehe, oder an dem anhaltenden sehnenden Schmerz zwischen meinen Beinen.

Ich zittere, weil ich an meinem linken Ringfinger einen schmalen goldenen Ring trage.

DREI

Tch zittere, weil WAS ZUM TEUFEL HAT DAS ZU BEDEUTEN DASS ICH EINEN RING TRAGE DER WIE EIN EHERING AUSSIEHT UND WARUM KANN ICH MICH NICHT DARAN ERINNERN WAS WIR GETAN HABEN? Das Einzige, woran ich mich erinnere, nachdem ich Ansel letzte Nacht den Flur hinuntergezogen habe, ist an mehr Alkohol – wesentlich mehr – und an Flirten.

Bilder einer schnellen Limo-Fahrt.

Harlow brüllt aus dem Fenster und Ansel grinst breit.

Ich glaube, ich erinnere mich daran, dass ich Lola und Oliver knutschen gesehen habe und an das Knallen eines Blitzlichtes und wie ich Ansel den Flur hinunterziehe und an Sex. Eine Menge Sex.

Ich hechte zum Badezimmer und entledige mich meines Mageninhaltes. Der Alkohol, der dabei hochkommt, schmeckt säuerlich. Er schmeckt nach Scham und hundert schlechten Ideen, die meine Kehle hinuntergeflossen sind.

Ich putze mir mit zittriger Hand die Zähne, während ich meinem Spiegelbild den bösesten Blick zuwerfe, den ich draufhabe. Ich sehe scheiße aus und habe ungefähr siebzehn Knutschflecken an Hals und Brust, und wenn ich ehrlich bin, dann sieht mein Mund aus, als hätte ich letzte Nacht ziemlich lang an einem Schwanz gelutscht.

Gierig trinke ich Wasser aus dem Hahn, dann haste ich zurück ins Schlafzimmer, zerre mir ein Hemd aus der ersten Tasche, über die ich stolpere. Ich kann kaum gehen, breche auf dem Boden zusammen, nachdem ich dreißig Sekunden lang nach meinem Handy gesucht habe, Als ich es am anderen Ende des Raums sehe, stolper-krieche ich dort hin, nur um festzustellen, dass es tot ist und ich keine Ahnung habe, wo das Ladegerät ist. Eine Wange auf den Boden gedrückt, gebe ich auf. Irgendwann wird jemand kommen und meinen Leichnam finden. Oder?

Ich hoffe wirklich, dass ich in ein paar Jahren über diese Story lachen kann.

„Harlow?“, rufe ich und zucke bei dem rauen Klang meiner Stimme zusammen, bei dem Geruch nach Putzmittel und abgestandenem Wasser, der von dem Teppich so nah an meinem Gesicht ausgeht. „Lola?“

Aber in der riesigen Suite ist es vollkommen still. Wo sind die beiden bloß letzte Nacht gelandet? Ob es ihnen gutgeht? Ach du Scheiße, sind sie vielleicht auch verheiratet?

Ich bin mir beinahe sicher, dass ich gleich wieder kotzen muss.

Ich zwinge mich, durch die Nase ein- und durch den Mund auszuatmen, und mir wird etwas klarer im Kopf, gerade genug, um aufzustehen, mir ein Glas Leitungswasser zu holen. Nicht den ganzen teuren Raum vollzukotzen, für den Harlows Vater bezahlt.

Ich schlinge einen Energieriegel und eine Banane runter, die ich in dem Mini-Kühlschrank finde, und dann trinke ich eine Dose Ginger Ale in nicht viel mehr als zwei Schlucken. Niemals werde ich wieder genug Flüssigkeit in meinen Körper bekommen, das spüre ich.

Unter der Dusche rubble ich meine schmerzende Haut ab, rasiere und wasche mich mit zitternden, verkaterten Händen.

Mia, du bist ein Wrack. Deshalb taugst du nicht zum Trinken.

Das Schlimmste ist nicht, wie schrecklich ich mich fühle oder was für ein Chaos ich angerichtet habe.

Das Schlimmste ist, dass ich mich genauso sehr nach ihm auf die Suche machen will wie nach Harlow und Lola.

Das Schlimmste ist dieses winzige Knäuel der Beklemmung, das ich bei dem Gedanken daran empfinde, dass bereits Montag ist und wir heute abreisen werden.

Nein, das Schlimmste ist, dass ich ein Idiot bin.

Während ich mich im Schlafzimmer abtrockne und eine Jeans und ein Tanktop anziehe, sehe ich zu seinem Zettel hinüber, den ich auf die Matratze gelegt habe. Seine ordentliche, schräge Handschrift blickt Richtung Zimmerdecke, und ein dünner Faden der Erinnerung drängt sich durch meine Gedanken, eine Erinnerung an meine flache Hand auf Ansels bekleideter Brust, wie ich ihn aus dem Badezimmer dränge und mich auf den Klodeckel setze, mit einem Blatt Papier und einem Kugelschreiber in der Hand. Um einen Brief zu schreiben? Ich glaube … an mich.

Aber ich kann ihn nirgendwo finden; nicht unter dem gigantischen Lakenhaufen auf dem Fußboden, nicht zwischen den verschobenen Sofakissen im Wohnzimmer, nicht im Badezimmer oder irgendwo sonst in der chaotischen Suite. Aber er muss hier sein. Der einzige Brief, den ich mir zuvor geschrieben habe, hat mich durch die härteste Zeit meines Lebens geführt hat.

Wenn es einen Brief von letzter Nacht gibt, dann muss ich ihn finden.

Nach der übelkeits- und furchterregendsten Fahrstuhlfahrt in der Geschichte der Menschheit bin ich endlich unten. Die Jungs entdecke ich in einer Nische auf der anderen Seite des Restaurants, Harlow und Lola allerdings nicht. Die drei diskutieren auf eine Weise miteinander, wie sie es ständig zu tun scheinen, wobei es sich vermutlich nur um eine männliche Version von kuscheln handelt. Sie brüllen und gestikulieren und sehen verzweifelt aus und lachen dann. Keiner von ihnen wirkt, als würde er sich von einer krassen Verbrechertour erholen, und ich spüre, wie sich meine Schultern ein klitzekleines bisschen entspannen, weil ich mir ziemlich sicher bin, dass Harlow und Lorelei, wo immer sie sich befinden, nicht in Gefahr sind.

Wie zur Salzsäule erstarrt, bleibe ich in der Nähe des Eingangs stehen und ignoriere die kecke Kellnerin, die mich wieder und wieder fragt, ob ich einen Tisch für eine Person benötige. Meine Kopfschmerzen kehren zurück, und hoffentlich werden meine Füße irgendwann anfangen, sich zu bewegen, denn dann wird auch die Kellnerin weggehen.

Ansel sieht auf, entdeckt mich, und sein Lächeln verschwindet für einen Moment, bevor es von etwas sehr viel Süßerem ersetzt wird: glückliche Erleichterung. Er zeigt alle seine Karten, legt sie einfach so bloß.

Finn und Oliver drehen sich halb um, blicken über ihre Schultern und sehen mich, Finn sagt etwas, das ich nicht hören kann, bevor er mit dem Fingerknöchel zweimal auf den Tisch klopft und seinen Stuhl wegschiebt.

Ansel bleibt sitzen, während seine zwei Freunde auf mich zukommen.

„W-w-o“, setze ich an, halte dann inne, drücke die Schultern durch und sage: „Wo sind Harlow und Lola?“

Oliver weist mit seinem Kinn in Richtung Fahrstühle, den Flur hinunter. „Schlafnodrdusn.“

Mit zusammengekniffenen Augen starre ich den Australier an, „Hä?“

„Sie schlafen“, übersetzt Finn lachend. „Vielleicht duschen sie auch. Ich sag ihnen, dass du unten bist.“

Abwartend hebe ich die Augenbrauen. Gibt es vielleicht noch irgendwelche Neuigkeiten, die sie mit mir mitteilen wollen?

„Und?“, frage ich und sehe sie abwechselnd an.

Finn runzelt die Stirn. „Und …?“

„Haben wir alle geheiratet?“, frage ich und erwarte, dass er sagt: Nein, war nur ein Scherz. Wir haben diese teuren Goldringe beim Blackjack gewonnen!

Aber Finn nickt, auch wenn er wesentlich weniger beunruhigt zu sein scheint als ich. „Yep. Aber mach dir keine Sorgen, wir bringen das wieder in Ordnung.“ Er sieht zurück zum Tisch und wirft Ansel einen vielsagenden Blick zu.

„In Ordnung?“, wiederhole ich, und … Oh mein Gott, fühlt sich so ein Herzinfarkt an?

Sich wieder zu mir umdrehend, hebt Finn eine Hand, legt sie auf meine Schulter und sieht mich mit übertriebenem Mitgefühl an. Als ich an ihm vorbei zu Ansel schaue, sehe ich, dass seine Augen … die meines Ehemanns? … belustigt funkeln.

„Weißt du, was ein Brony ist?“

Ich sehe wieder zu Finn, nicht sicher, ob ich ihn richtig verstanden habe. „Ein – was?“

„Ein Brony“, wiederholt er. „Das ist ein Typ, der gerne My Little Pony und solche Mädchensachen sieht.“

„Ja, okay.“ Was zum

Er lehnt sich vor, beugt die Knie, so dass er sich auf Augenhöhe mit mir befindet. „Ich frage dich das nicht, weil der Mann, den du gestern im Suff geheiratet hast, ein Brony ist, sondern weil er es fantastisch findet, dass es Bronys gibt.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich dir folgen kann“, flüstere ich. Bin ich immer noch betrunken? Ist er es? Wo um Himmels Willen bin ich heute Morgen hineingeraten?

„Er hat auch mal tatsächlich in Jell-o gebadet, weil ihn jemand dazu rausgefordert hat und er neugierig war“, sagt Finn zu mir. „Er liebt es, Weinflaschen mit nur einem Schuh und einer Wand zu öffnen. Und als wir in Albuquerque kein Geld mehr hatten und das Restaurant keine Kreditkarten akzeptieren wollte, hat er für unser Abendessen bezahlt, indem er nebenan in diesem runtergekommenen kleinen Stripclub getanzt hat.“

„Ich brauche einen Kaffee, bevor ich auch nur irgendetwas von dem verstehe, was du da sagst“, erwidere ich.

Finn geht nicht darauf ein. „Er hat an dem Abend siebenhundert Dollar verdient, aber das ist nicht der Punkt.“

„Okay?“ Ich sehe wieder zu Ansel hinüber. Er lacht sich kaputt.

„Der Punkt ist, dass du all das im Kopf haben solltest, wenn du mit ihm sprichst. Der Punkt ist, dass Ansel sich in alles, was er sieht, ein bisschen verliebt.“ Als er das sagt, wird mir aus unerklärlichen Gründen etwas eng um die Brust. „Genau das liebe ich an dem Kerl, aber sein ganzes Leben basiert letztlich …“ Er sieht zu Oliver hinüber, bittet ihn stumm um Hilfe.

Oliver nimmt einen Zahnstocher aus dem Mund. „Märglükvestan?“, sagt er, bevor er den Zahnstocher wieder hineinschiebt.

„Mehr auf Glück als auf Verstand.“ Finn tätschelt meine Schulter, als hätten wir damit alles geklärt – als ob diese Unterhaltung irgendeinen beschissenen Sinn ergeben würde –, und geht an mir vorbei. Oliver nickt kurz, ernst. Neonlicht spiegelt sich in seinen Brillengläsern, und ich schaue rasch zur Seite, frage mich, ob Kotzen eine gute Alternative zu dem Gespräch sein könnte, das mir ansonsten gleich bevorsteht. Wovon reden sie überhaupt? Ich kann mich kaum noch erinnern, wie man einen Fuß vor den anderen setzt, geschweige denn weiß ich, wie ich mit dem Gedanken umgehen soll, dass ich möglicherweise rechtmäßig mit einem Kerl verheiratet bin, der alles am Leben liebt, inklusive „Bronys“.

Mit einem nervösen Zucken in der Bauchregion schlüpfe ich zwischen zwei Tischen hindurch und gehe zu der Nische hinüber, von der aus Ansel mich anlächelt. Wie viele Minuten wir auch getrennt gewesen sind – oder wie lange ich auch bewusstlos gewesen bin –, in der Zeit habe ich auf jeden Fall vergessen, welchen Effekt seine Nähe auf mich hat. Meine Nervenenden scheinen sich an die Oberfläche meiner Haut emporzudrängen, in freudiger Erwartung seiner Hände.

„Guten Morgen“, sagt er. Seine Stimme ist heiser und schleppend. Er hat dunkle Ringe unter den Augen, und seine Haut wirkt ein bisschen blass. In Anbetracht der Tatsache, dass er bereits deutlich länger auf ist als ich, lässt mich sein Anblick nicht sonderlich zuversichtlich sein, dass es mir in ein paar Stunden besser geht.

„Guten Morgen.“ Ich bleibe vor der Tischkante stehen, nicht sicher, ob ich bereit bin, mich hinzusetzen. „Worüber hat Finn gesprochen?“

Mit einer Handbewegung wischt er das Thema beiseite, legt es ad acta. „Ich hab gesehen, dass du kommst, und dir einen Orangensaft und dieses Gebräu bestellt, das ihr Amerikaner gerne Kaffee nennt.“

„Danke.“ Ich setze mich – und halte kurz die Luft an, weil es zwischen meinen Beinen pulsierend schmerzt und die Erinnerung an unsere wilde – vielleicht etwas raue – Nacht wie eine dritte Person mit am Tisch sitzt. Ich zucke am ganzen Körper zusammen, und Ansel bemerkt es. Was eine lustige Kettenreaktion in Gang setzt. Er wird rot, und sein Blick fällt auf die Flecken auf meinem Hals und meinem Dekolletee. Ich versuche, meine Kehle mit zitternden Händen zu verbergen, wünschte, ich hätte einen Rollkragenpulli in die Wüste, in den Sommer mitgenommen – was absurd ist –, und er bricht in Gelächter aus. Stöhnend lasse ich meinen Kopf auf meine verschränkten Arme auf dem Tisch sinken. Nie wieder werde ich auch nur einen Schluck Alkohol trinken.

„Was die Bisspuren angeht …“, setzt er an.

„Ja.“

„Du hast mich ständig gebeten, dich zu beißen.“

„Habe ich das?“

„Du warst ziemlich konkret“, sagt er grinsend. „Und da ich ein Gentleman bin, bin ich dem nur allzu gerne nachgekommen.“

„Oh.“

„Anscheinend hatten wir eine wilde Nacht.“

Ich hebe den Kopf, danke der Kellnerin, als sie ein Kaffeekännchen vor mich stellt. „Die Einzelheiten kehren langsam zurück.“

Und das tun sie, endlich: Wie wir lachend das Hotelzimmer stürmten und gleich hinter der Tür auf den Travertinboden stürzten. Er rollte mich herum, um spielerisch nach Kratzern zu sehen, küsste meinen Hals, meinen Rücken, die Rückseite meiner Oberschenkel. Mit Fingern und Zähnen zog er mich aus, küsste Worte in meine Haut. Wesentlich weniger stilvoll zog ich ihn aus: ungeduldig riss ich ihm praktisch die Klamotten vom Leib.

Als ich aufsehe und seinem Blick begegne, reibt er sich den Nacken, lächelt mich entschuldigend an. „Falls mein Zustand heute ein Hinweis darauf ist, dann, äh … haben wir uns gehörig Zeit gelassen.“

Ich spüre zugleich mein Gesicht heiß werden und mein Herz in meinen Magen sacken. Nicht zum ersten Mal bekomme ich diese Art von Feedback zu hören. „Es tut mir leid, dass mein Körper in gewisser Weise … hart zu befriedigen ist. Luke hat meistens eine Ewigkeit gebraucht, um mich dort hinzubringen, und anfangs habe ich auch einfach so getan, als würde ich kommen, damit er nicht Eindruck bekam, er hätte versagt.“

Oh mein Gott, habe ich das wirklich gerade laut ausgesprochen?

Ansel kraust die Nase – und sieht hinreißend verwirrt aus. „Was? Du bist doch kein Roboter, manchmal braucht es seine Zeit. Ich habe es ziemlich genossen, herauszufinden, wie ich dir Lust bereiten kann.“ Er verzieht das Gesicht leicht entschuldigend. „Ich fürchte, derjenige, der Ewigkeiten gebraucht hat, war ich. Ich hatte ziemlich viel getrunken. Außerdem … wir wollten beide nach jedem Mal mehr … Ich fühle mich, als hätte ich Tausende Sit-ups gemacht.“

Und kaum dass er das gesagt hat, weiß ich, dass er recht hat. Selbst jetzt noch fühlt sich mein Körper an wie ein Instrument, das letzte Nacht über Stunden hinweg auf wunderbare Weise gespielt worden ist, und mein Wunsch scheint in Erfüllung gegangen zu sein: Letzte Nacht hatte ich ein anderes Leben. Ich hatte das Leben einer Frau mit einem wilden, aufmerksamen Liebhaber. Abgesehen von meinem Kater fühle ich mich gut: gedehnt, durchtrainiert und so dermaßen befriedigt, dass ich es bis in die Knochen und noch in den hintersten Ecken meines Gehirns spüren kann.

Ich erinnere mich, später auf das Sofa im Wohnzimmer getragen worden zu sein, wo Ansel zu Ende brachte, was er im Flur unten begonnen hatte. Das Gefühl seiner Hände, als er mein Höschen zur Seite schob, mit den Fingerspitzen über meine empfindsame, erhitzte Haut rieb, vor und zurück.

„Du bist so weich“, hatte er während eines Kusses gesagt. „Du bist weich und feucht, und ich fürchte ein bisschen, ich könnte zu wild für diesen kleinen, süßen Körper sein.“ Seine Hand zitterte, und er zwang sich, es etwas langsamer anzugehen, indem er mir mein Höschen ganz auszog und es dann auf den Boden warf. „Als erstes sorge ich dafür, dass du dich gut fühlst. Denn wenn ich erst mal in dir drin bin, werde ich mich verlieren, das weiß ich.“ Er lachte, kitzelte mich an der Hüfte, knabberte an meinem Kinn, während seine Hand über meinen Bauch glitt und zurück zwischen meine Beine. „Sag mir, wenn es sich gut anfühlt.“

Ich sagte es ihm beinahe noch im selben Augenblick, als er seine Finger gegen meine Klit drückte, sie vor und zurück gleiten ließ, bis ich zu zittern und zu betteln begann und nach seiner Hose griff. Ich schob sie unbeholfen hinunter, ohne sie zu öffnen, wollte nur den schweren Puls seines Schwanzes in meiner Hand spüren, sonst nichts.

Ich erschauere, als mein Körper sich an diesen ersten Orgasmus erinnert und wie Ansel nicht nachließ, mir einen weiteren abrang, bis ich ihn wegschob und vom Sofa rollte, ihn in den Mund nahm.

Aber ich erinnere mich nicht daran, wie das geendet hat. Ich glaube, er kam. Plötzlich überkommt mich Panik. „Im Wohnzimmer, hast du …?“

Seine Augen weiten sich kurz, bevor sie leicht amüsiert dreinblicken. „Was glaubst du?“

Diesmal ist es an mir, die Nase zu kräuseln. „Ich denke, ja?“

Er lehnt sich vor, stützt das Kinn auf eine Faust. „Woran erinnerst du dich?“

Oh, wie durchtrieben.

„Du weißt, was passiert ist.“

„Vielleicht habe ich es vergessen? Vielleicht will ich, dass du es mir erzählst?“

Ich schließe die Augen und erinnere mich daran, wie sich der Teppich an meinen nackten Knien angefühlt hat, wie ich anfangs Mühe hatte, mich an das Gefühl zu gewöhnen, dass er mich völlig ausfüllte, erinnere mich an seine Hände in meinem Haar, wie seine Schenkel unter meinen Handflächen gebebt haben.

Als ich aufsehe und er mich noch immer beobachtet, erinnere ich mich minutiös daran, wie sein Gesicht ausgesehen hat, als er das erste Mal an meiner Zunge gekommen ist.

Ich greife nach meiner Kaffeetasse, hebe sie an meine Lippen und nehme einen glühendheißen Schluck.

Und dann erinnere ich mich daran, dass ich ins Schlafzimmer getragen wurde, erinnere mich, wie Ansel jeden Zentimeter meines Körpers wild küsste und leckte, wie er saugte und biss. Ich erinnere mich, dass wir vom Bett auf den Boden kugelten, erinnere mich, dass eine Lampe hinunterfiel. Ich erinnere mich, dass ich ihm, Stunden später, dabei zugesehen habe, wie er sich ein Kondom überzog, wie sein nackter Oberkörper über mir aufragte. Ich glaube, ich habe noch nie so nach etwas gegiert wie danach, sein Gewicht auf mir zu spüren. Er war perfekt: glitt vorsichtig hinein, obwohl wir so betrunken waren, knallte mich mit kleinen, perfekten Stößen, bis ich unter ihm schwitzte und bebte. Ich erinnere mich an das Stöhnen, das er von sich gab, als er kurz vorm Orgasmus war, und wie er mich umdrehte, meinen Bauch flach auf die Matratze drückte, seine entblößten Zähne in meinem Hals grub und einen von so vielen Knutschflecken hinterließ.

Ansel beobachtet mich noch immer über den Tisch hinweg, und ein kleines, wissendes Lächeln formt sich um seine Lippen. „Und? Hab ich?“

Ich öffne den Mund, um etwas zu sagen, aber dem frechen Ausdruck in seinen Augen zufolge erinnern wir uns beide vielleicht gerade daran, wie er mich hoch an die Wand drückte und wieder grob in mich hineinstieß. Wo sind wir da gewesen, als er mich an die Wand gedrückt hat? Ich erinnere mich, wie hart der Sex gewesen ist, wie ein Gemälde ein paar Meter entfernt wackelte, während er mir sagte, wie gut ich mich anfühlte. Ich erinnere mich an das Geräusch, als ein Glas umfiel und in der Nähe des Tresens zerbrach, wie der Schweiß seiner Anstrengungen über meine Brüste lief. Ich erinnere mich an sein Gesicht, an seine Hand, die flach gegen den Spiegel hinter mir gestemmt war.

Aber nein, das war ein anderes Mal.

Himmel, wie oft haben wir bloß Sex gehabt?

Ich hebe unwillkürlich eine Augenbraue. „Wow.“

Er pustet über seinen Becher; der Dampf steigt kräuselnd vor ihm auf. „Hmm?“

„Ja, ich glaube, du hast es … genossen. Wir müssen es wahnsinnig oft gemacht haben.“

„Welches Mal hat dir am besten gefallen? Im Wohnzimmer oder auf dem Bett oder auf dem Fußboden oder an der Wand oder am Spiegel oder am Tresen oder auf dem Boden?“

„Schhhh“, flüsterte ich und hebe meine Tasse an, um einen Schluck Kaffee zu trinken. Ich lächle in meine Tasse. „Du bist schräg.“

„Ich glaube, ich brauche einen Gips für meinen Penis.“

Ich huste und lache gleichzeitig, so sehr, dass mir fast der heiße Kaffee durch die Nase kommt.

Aber als ich meine Serviette an meinen Mund hebe und mein Lachen und mein Getränk hinunterschlucke, verschwindet Ansels Lächeln. Er starrt auf meine Hand.

Scheiße, Scheiße, Scheiße.

Ich trage noch immer den Ring. Ich kann seine Hand, die jetzt unterm Tisch liegt, nicht sehen, und der verrückte Sex, den wir letzte Nacht hatten, ist hiermit offiziell die geringste meiner Sorgen. Wir haben noch nicht angefangen, über das eigentliche Thema zu sprechen: wie wir die Nachwirkungen dieser betrunkenen Nacht loswerden können. Wie wir es wieder in Ordnung bringen. Es reicht nicht aus, erleichtert zu sein, dass wir Kondome benutzt haben, und uns etwas unbeholfen zu verabschieden. Ein wilder One-Night-Stand verpflichtet dich rechtlich zu nichts … es sei denn, du bist so bescheuert, auch noch zu heiraten.

Warum hab ich bloß den Ring nicht abgenommen, sobald ich ihn bemerkt habe?

„I…ich …“, beginne ich, und er schaut mir ins Gesicht. „Ich wollte ihn nicht abnehmen und verlieren. Falls er echt sein sollte oder … jemandem gehört.“

„Er gehört dir“, sagt er.

Ich sehe zur Seite, blicke auf den Tisch und bemerke dort zwei weitere Eheringe, zwischen den Salz- und Pfefferstreuern. Zwei Ringe für Männer. Gehört einer davon ihm? Oh Gott.

Ich beginne, meinen abzuziehen, aber Ansel packt quer über den Tisch meine Hand, sodass ich innehalte, und dann hebt er seine andere Hand, an dem ebenfalls ein Ring prangt. „Du musst dich nicht schämen. Ich wollte meinen auch nicht verlieren.“

Das ist zu abgefahren. Ich meine, viel zu abgefahren für mich. Es fühlt sich an, als würde ich von einem gewaltigen Sog hinuntergezogen werden: Als mir klar wird, dass wir wirklich verheiratet sind, es sich nicht einfach nur um einen Witz handelt, überkommt mich schlagartig die Panik. Er lebt in Frankreich, ich ziehe in ein paar Wochen um. Wir haben einen ganz schönen Schlamassel angerichtet. Und … oh mein Gott, ich kann das doch nicht wollen. Bin ich verrückt? Und wie viel kostet es, aus dieser Situation wieder rauszukommen?

Ich schiebe mich vom Tisch weg, brauche Luft, brauche meine Freunde.

„Was werden alle deswegen machen?“, frage ich „Die anderen?“ Als ob ich klarstellen müsste, wen ich meine.

Er wischt sich mit der Hand übers Gesicht und sieht über seine Schulter, als ob seine Kumpels noch da sein könnten. Dann dreht er sich wieder zu mir um. „Ich glaube, sie treffen sich um eins in der Lobby. Und dann schätze ich, dass ihr Mädels vorhabt, heimzufahren.“

Heim. Ich stöhne auf. Drei Wochen zu Hause bei meiner Familie wohnen, wo selbst das niedliche Geschnattere der Jungs, die Xbox spielen, nicht den Spielverderber namens mein Vater übertönen können. Und dann stöhne ich erneut auf: mein Vater. Was, wenn er von dem hier erfährt? Wird er mir dann immer noch dabei helfen, meine Wohnung in Boston zu bezahlen?

Ich hasse es, von ihm abhängig zu sein. Ich hasse es, irgendwas zu tun, dass dieses vorfreudige kleine Lächeln hervorruft, das er aufsetzt, wenn er mir sagen will, dass ich Mist gebaut habe. Und ebenso hasse ich es, dass ich vielleicht gleich kotzen werde. Meine Hände fühlen sich klamm an und auf meiner Stirn bricht kalter Schweiß aus. Ich sollte Lola und Harlow suchen gehen. Ich sollte wirklich gehen.

„Ich sollte vermutlich zu den Mädels gehen und mich fertig machen, bevor wir …“ Ich zeige vage in Richtung Fahrstühle und stehe auf, spüre die Übelkeit jetzt aus vollkommen anderen Gründen in mir aufsteigen.

„Mia“, sagt er und nimmt meine Hand. Er zieht einen dicken Briefumschlag aus seiner Tasche, sieht zu mir auf. „Ich hab noch etwas, das ich dir geben muss.“

Er hält einen Brief in der Hand.

VIER

Nach dem Unfall hatte ich im Krankenhaus kaum geweint, weil ich weiterhin davon überzeugt war, dass es sich um einen schrecklichen Traum handeln musste. Es ging um ein anderes Mädchen, nicht um mich, die ich eine Woche vor meinem Highschool-Abschluss mit dem Fahrrad die Kreuzung University und Lincoln überquert hatte. Jemand anderes war von einem Wagen erwischt worden, der bei Rot weitergefahren war. Eine andere Mia hatte sich das Schambein zertrümmert und das Bein so heftig gebrochen, dass ein Knochen durch die Haut ihres Oberschenkels stach.

Während der ersten Tage war ich wie betäubt, stand unter Schock; der Schmerz wurde durch einen fortwährenden Fluss an Medikamenten unterdrückt. Aber selbst durch den Nebelschleier war ich mir sicher, dass es sich um ein Versehen handelte. Ich war eine Ballerina. Ich war gerade erst von der Joffrey School of Ballet akzeptiert worden. Selbst wenn sich der Raum mit den Schluchzern meiner Mutter anfüllte, während der Arzt ihr das Ausmaß meiner Verletzungen beschrieb, weinte ich nicht, denn es ging dabei ja nicht um mich. Er irrte sich, meine Krankenakte war vertauscht worden; er redete über jemand anderen. Mein Bruch war nur minimal. Vielleicht hatte ich mir das Knie verstaucht. Innerhalb der nächsten Minuten würden sie kommen und alles aufklären. Das mussten sie.

Aber sie kamen nicht, und dann wurde ich eines Morgens entlassen und musste der Realität eines Lebens ohne Tanzen ins Gesicht sehen … Es gab nicht genügend Morphin in der Welt, um mich von der Wahrheit abzuschirmen. Mein linkes Bein war ruiniert – und mit ihm die Zukunft, auf die ich mein ganzes Leben lang hingearbeitet hatte –, das Stottern, gegen das ich die meiste Zeit meiner Kindheit über angekämpft hatte, war zurückgekehrt. Und mein Vater – der mehr Zeit damit verbracht hatte, zu recherchieren, mit welcher Wahrscheinlichkeit meine Tanzkarriere Geld einbringen würde, als zu meinen Proben zu kommen – war daheim und tat so, als würde er all das nicht heimlich bejubeln.

Sechs Monate lang sprach ich kaum ein Wort. Ich tat, was ich tun musste: Ich machte weiter. Ich heilte von außen, während Lola und Harlow auf mich aufpassten, mich nie behandelten, als würde ich von einem falschen Lächeln und Nähten zusammengehalten werden.

Ansel führt mich in den gleichen Winkel, in den ich ihn gestern gezogen habe. Es ist deutlich weniger bedrohlich an diesem Morgen, weniger privat, aber das bemerke ich kaum. Mein Blick bohrt sich in den Umschlag, den er mir in die Hand gedrückt hat. Er hat keine Ahnung, welche Bedeutung der für mich hat, dass ich das letzte Mal einen Brief an mich an dem Tag geschrieben habe, an dem ich beschloss, wieder zu reden, an dem ich mir sagte, dass es in Ordnung war, die Dinge zu betrauern, die ich verloren hatte, dass es aber an der Zeit war, weiterzumachen. Ich setzte mich hin, schrieb all die Dinge auf, die ich mich nicht traute, laut und deutlich zu äußern, begann mein neues Leben zu akzeptieren. Anstatt nach Chicago zu ziehen, wie ich es immer vorgehabt hatte, schrieb ich mich an der UC San Diego ein und tat endlich etwas, das mein Vater als wertvoll erachtete: Ich schloss mit Auszeichnung das College ab und bewarb mich bei den angesehensten Business Schools des Landes. Am Ende konnte ich zwischen den Programmen sogar wählen. Ich fragte mich immer, ob ich unbewusst versuchte, so weit weg wie möglich zu kommen, sowohl von ihm als auch von dem Unfall.

Der Umschlag sieht verknittert und gebraucht aus, mit einem Knick an der Stelle, wo er zusammengefaltet gewesen ist – vermutlich hat Ansel ihn öfters aus seiner Tasche gezogen – und er erinnert mich so sehr an den Brief, den ich über die Jahre wieder und wieder gelesen habe, dass ich kurz das Gefühl eines Déjàvus habe. Etwas wurde am Rand darüber geschüttet, auf der anderen Seite ist der Abdruck meines Lippenstifts zu sehen, aber die Lasche ist unversehrt, perfekt verschlossen; sie steht an den Rändern kein bisschen ab. Er hat nicht versucht, den Umschlag zu öffnen, auch wenn, seinem nervösen Gesichtsausdruck nach zu urteilen, er ganz sicher darüber nachgedacht hat.

„Du hast gesagt, ich soll ihn dir heute geben“, sagt er leise. „Ich habe ihn nicht gelesen.“

Der dicke Umschlag fühlt sich mächtig an in meiner Hand; schwer und vollgepackt mit gefühlten hundert Seiten. Aber als ich ihn aufreiße und nachsehe, stelle ich fest, dass das einzig und allein daran liegt, dass meine Handschrift so groß und schief und betrunken ist, dass ich nur ungefähr zwanzig Wörter auf jedes kleine Blatt Hotelbriefpapier bekommen habe. Ich habe etwas daraufgeschüttet, und ein paar Seiten sind leicht zerrissen, als hätte ich Mühe gehabt, sie ordentlich zusammenzufalten, es dann aufgegeben und sie alle in einem chaotischen Haufen hineingestopft.

Ansel sieht mir zu, wie ich sie sortiere und zu lesen beginne. Ich kann seine Neugier geradezu fühlen, dort, wo sein Blick auf mein Gesicht geheftet ist.

Liebe Mia selbst – Miaselbst – Ichselbst, beginnt er. Ich unterdrücke ein Grinsen. Ich erinnere mich bruchstückehaft an diesen Augenblick, wie ich auf dem Toilettendeckel gesessen und mich bemüht habe, mich auf Papier und Kugelschreiber zu konzentrieren.

du sitzt auf dem Klo und schreibst einen Brief an dich selbst, den du später lesen sollst, weil du betrunken genug bist, um zu wissen, dass du morgen einiges vergessen hast, aber nicht so betrunken, dass du nicht schreiben kannst. – Aber ich kenne dich, denn du bist Ich, und wir wissen beide, dass du keinen Alkohol verträgst und alles, was geschieht, vergisst, wenn du Gin getrunken hast. Lass mich dir also sagen: er ist ansel –

du hast ihn geküsst

er hat nach zitrone und scotch geschmeckt

du hast seine hand in dein höschen gesteckt

und dann habt ihr stundenlang geredet. – ja, du hast geredet – ich habe geredet – wir haben geredet – wir haben ihm alles über den Unfall erzählt und unser bein dein bein mein bein –

Das hatte ich vergessen. Ich sehe zu Ansel hoch, und eine prickelnde Röte steigt unterhalb meiner Wangen auf. Auch meine Lippen erröten, das spüre ich, und er bemerkt es, sein Blick fährt beruhigend über sie hinweg.

„Ich war dermaßen betrunken, als ich das geschrieben habe“, flüstere ich.

Er nickt mir nur zu, und nickt dann in Richtung Papier, als wollte er nicht, dass ich unterbrochen werde, nicht mal von mir selbst.

du hast ihm erzählt dass du es hasst zu sprechen aber es liebst dich zu bewegen

du hast ihm alles erzählt über das tanzen vor dem unfall und das danach nichtmehrtanzen

du hast ihm erzählt wie es sich angefühlt hat unter dem heißen motor gefangen zu sein

du hast ihm von den zwei jahren Physiotherapie erzählt und dass du versucht hast danach „nur so aus Spaß“ zu tanzen

du hast ihm von luke erzählt und wie er dir erzählt hat dass er das gefühl hat die alte Mia wäre unter dem laster gestorben

du hast ihm von dad erzählt und dass du dir sicher bist dass er aus den süßen kindern broc und jeff totale vollidioten machen wird

du hast ihm erzählt wie sehr du dich vor dem herbst und deinem umzug nach Boston fürchtest

du hast tatsächlich gesagt „ich möchte mein ganzes leben so sehr lieben wie ich diese Nacht liebe“ und er hat nicht darüber gelacht wie bescheuert du dich angehört hast

und hier ist das merkwürdigste von allem

bist du bereit

Ich schließe die Augen, schwanke ein bisschen. Ich bin nicht bereit. Denn diese Erinnerung kehrt in meine Gedanken zurück, der Sieg, die Dringlichkeit, die Erleichterung. Ich bin nicht bereit, mich daran zu erinnern, wie sicher ich mich bei ihm gefühlt habe, und wie angenehm er im Umgang gewesen ist. Ich bin nicht bereit, mir klar zu machen, dass er Zeuge von etwas gewesen ist, dass keiner in meinem Leben je zuvor zu hören bekommen hat. Ich atme tief ein und sehe wieder hinunter auf das Blatt.

du hast nicht gestottert· du hast GEPLAPPERT

Ich begegne Ansels Blick, nachdem ich das gelesen habe, als ob ich eine Bestätigung suchte, aber er weiß nicht, was in dem Brief steht. Seine Augen werden groß, als er meinen Gesichtsausdruck zu lesen versucht, er kann sich kaum zurückhalten und etwas sagen. Erinnert er sich an alles, was ich ihm erzählt habe?

und deswegen hast du ihm einen antrag gemacht, und er hat ziemlich schnell ja gesagt mit diesem betrunkenen lächeln als wäre es die beste idee die er je gehört hat denn natürlich sollten wir heiraten! Jetzt bist du auf dem weg dorthin aber ich wollte das nicht als erstes schreiben denn du erinnerst dich vielleicht nicht mehr daran· sei kein Trottel· er ist vielleicht der netteste mensch den du je kennengelernt hast·

kuss und umarmung

Miaselbst

ps – du hattest noch keinen sex mit ihm – aber du möchtest gern – Sehr gern – Bitte hab sex mit ihm

pps – du hast ihn gerade gefragt ob ihr welchen haben würdet und er hat gesagt „das werden wir sehen“ :/

Mit zitternden Händen falte ich die Blätter so ordentlich zusammen wie möglich und stecke sie wieder in den Umschlag. Mein Herz fühlt sich an, als hätte es sich verdoppelt, hätte sich vielleicht mit einem anderen, neueren Herzen zusammengeschlossen, das auf Panik steht. Der doppelte Schlag hüpft und vibriert in meiner Brust.

„Also?“, fragt er. „Du weißt, ich sterbe vor Neugier.“

„Ich hab das geschrieben, bevor wir …“ Ich hebe meine linke Hand, zeige den schlichten Goldring. „Das letzte Mal, dass ich mir einen Brief geschrieben habe …“, beginne ich, aber er nickt bereits. Ich habe das Gefühl, als würde ich unter dem Gewicht von all dem hier durchdrehen.

„Ich weiß.“

„Und ich hab dir einen Antrag gemacht?“ Ich schätze, was mich wirklich überrascht, ist, dass es überhaupt einen Antrag gegeben hat. Es ging nicht nur um betrunkenes Herumstolpern. Ich erinnere mich an sein Necken in der Nacht zuvor, dass ich mit ihm nach Frankreich gehen soll, aber das hier benötigte einen Entschluss, eine Planung. Ein Auto zu besorgen, eine Adresse anzugeben. Wir mussten Papiere unterschreiben und bezahlen und Ringe aussuchen, dann unseren Schwur so zusammenhängend wiedergeben, dass es jemanden davon überzeugte, dass wir nicht voll bis zur Oberkante Unterlippe waren. Von Letzterem bin ich tatsächlich etwas beeindruckt.

Er nickt wieder, lächelt.

„Und du hast Ja gesagt?“

Er legt den Kopf leicht zur Seite, kräuselt die Lippen. „Natürlich hab ich das.“

„Aber du warst dir nicht mal sicher, dass du mit mir Sex haben wolltest?“

Er schüttelt bereits den Kopf. „Mal im Ernst. Ich wollte mit dir Sex haben, seit ich dich das erste Mal gesehen habe, vor zwei Nächten. Aber letzte Nacht waren wir echt betrunken. Ich wollte nicht …“ Er sieht zur Seite, den Flur hinunter. „Du bist weggegangen, um dir selbst einen Brief zu schreiben, weil du dir Sorgen gemacht hast, du könntest vergessen, dass du mich um deine Hand gebeten hast. Und das hast du tatsächlich.“ Er hebt die Augenbrauen, wartet auf mein Anerkennen, dass er ein wichtiges Argument vorgebracht hat. Ich nicke. „Aber wir sind zurück zum Hotel, und du warst so wunderschön, und du …“ Er atmet zitternd aus. „Du wolltest es.“ Er beugt sich vor, küsst mich langsam. „Ich wollte es.“

Ich trete von einem Bein aufs andere. Ich wünschte, ich wüsste, wie ich den Blick von seinem Gesicht wenden soll.

„Wir hatten wirklich Sex, Mia. Wir hatten stundenlang Sex, und es war der beste, intensivste Sex meines Lebens. Siehst du? Es gibt immer noch Details, an die du dich nicht erinnerst.“

Ich erinnere mich vielleicht nicht an jede Berührung, aber mein Körper tut das ganz sicher. Ich spüre seine Fingerspitzen wie Tattoos, überall auf meiner Haut. Sie sind in den Kratzern und blauen Flecken, die ich sehen kann, und sie sind auch unsichtbar: das Echo seiner Finger in meinem Mund, wie sie über meine Beine fahren, in mich hineinstoßen.

Aber so berauschend die Erinnerungen auch sind – nichts davon ist das, worüber ich unbedingt reden will. Ich will wissen, woran er sich vor der Hochzeit, vor dem Sex erinnert, als ich mein Leben vor ihm ausgebreitet habe. Dass ich mit einem wildfremden Typ Sex habe, ist untypisch für mich, aber nicht unvorstellbar. Wirklich monumental für mich ist, dass ich mich so sehr geöffnet habe. Mit Luke habe ich nie über diese Dinge gesprochen.

„Anscheinend habe ich dir gestern ganz schön viel erzählt“, sage ich und sauge dann meine Unterlippe ein, bearbeite sie mit meinen Zähnen. Sie fühlt sich immer noch zerschunden an, und kleine stimulierende Erinnerungsflashs an seine Zähne und seine Zunge und seine Finger kommen hoch.

Er bleibt stumm, aber sein Blick wandert über mein Gesicht, als würde er darauf warten, dass ich etwas begreife, was er schon vor Stunden begriffen hat.

„Ich hab dir von Luke erzählt? Von meiner Familie?“

Er nickt.

„Und ich hab dir von meinem Bein erzählt?“

„Ich hab dein Bein gesehen“, erinnert er mich leise.

Natürlich hat er das. Er wird die Narbe gesehen haben, die von meiner Hüfte bis zu meinem Knie reicht, und die winzigen, einer Ameisenstraße gleichenden Narben von den Klammern entlang der langen silbernen Spalte.

„Zitterst du deshalb so?“, fragt er. „Weil ich dein nacktes Bein gesehen habe? Weil ich es berührt habe?“

Er weiß, dass es nicht daran liegt. Das Lächeln, das sich um seinen Mund formt, sagt mir, dass er mein Geheimnis kennt und gerade nur angibt. Er erinnert sich an alles, inklusive seiner einzigartigen Leistung: er hat Mia zum Plappern gebracht!

„Vermutlich lag es am Gin“, sage ich.

„Ich glaube, es lag an mir.“

„Ich war echt ziemlich betrunken. Schätze, ich hab einfach vergessen, nervös zu sein.“

Seine Lippen sind so nah, dass ich ihren Schatten auf meinem Kinn spüre. „Es lag an mir, cerise. Du stotterst heute Morgen immer noch nicht.“

Ich drücke mich gegen die Wand, brauche Abstand. Es ist nicht nur, dass ich überrascht bin, wie flüssig ich mit ihm sprechen kann. Es ist das berauschende Gewicht seiner Aufmerksamkeit, mein Verlagen danach, seine Hände und seinen Mund auf mir zu spüren. Es sind die fortwährenden Kopfschmerzen und die Erkenntnis, dass ich verheiratet bin. Egal was passiert, ich muss mit all dem klarkommen, und trotzdem möchte ich nichts lieber tun, als ins Bett zurückzuklettern.

„Es ist komisch für mich, dass ich dir alles erzählt habe und nichts über dich weiß.“

„Dafür haben wir noch genügend Zeit“, sagt er und leckt sich mit der Zunge über die Lippen. „Bis der Tod uns scheidet, sogar.“

Er macht wohl Witze. Ich lache, erleichtert, dass wir endlich spielerischer miteinander umgehen können. „Ich kann nicht mit dir verheiratet bleiben, Ansel.“

„Aber eigentlich“, flüstert er, „kannst du das.“ Er drückt vorsichtig seinen Mund auf meinen Mundwinkel, kostet mit der Zunge meine Lippen.

Mein Herz zieht sich zusammen, und ich erstarre. „Was?“

„Ich möchte mein ganzes Leben so sehr lieben, wie ich diese Nacht liebe“, zitiert er.

Mein Herz sinkt hinab, zerschmilzt in meinen Bauch

„Ich weiß, wie sich das anhört“, fügt er rasch an, „und ich bin nicht verrückt. Aber du hast mich schwören lassen, dass ich dich daran hindere, verrücktzuspielen.“ Er schüttelt langsam den Kopf. „Und weil ich es versprochen habe: Ich kann einer Annullierung nicht zustimmen. Zumindest nicht, bis im Herbst dein erstes Semester beginnt. Ich habe es versprochen.“

Ich lehne mich zurück und begegne seinem Blick, bevor er sich wieder vorbeugt, seinen Mund für meinen öffnet. Insgeheim weiß ich, ich sollte misstrauischer bezüglich dieser ganzen Situation sein, aber seine Wirkung auf mich hat nicht nachgelassen, trotz des Katers nicht und der alarmierenden Realität dessen, was wir getan haben.

Er saugt an meinen Lippen, zieht sie in seinen Mund, bevor er mir seine Zunge gibt, die nach Orangensaft und Wasser und Weintrauben schmeckt. Seine Hände umfassen meine Hüften, und er beugt sich weiter vor, küsst mich tiefer, stimuliert mich mit einem grollenden Stöhnen. „Lass uns wieder nach oben gehen“, sagt er. „Lass mich dich wieder spüren.“

„Mia!“ Harlows Stimme schneidet durch den abgestandenen Zigarettengeruch im Flur. „Heilige Scheiße, wir suchen dich schon den ganzen Morgen über! Ich hab schon angefangen, mir Sorgen zu machen, du könntest in der Gosse oder so gelandet sein.“

Lorelei und Harlow joggen beide den Flur herunter, und Harlow bleibt vor uns stehen, beugt sich vor und stützt die Hände auf den Knien ab. „Okay, kein Laufen.“ Sie stöhnt auf. „Ich glaube, ich muss reihern.“

Wir warten alle, suchen unruhig die Umgebung nach einer Schüssel oder einem Handtuch oder einem nahegelegen Ausgang ab. Schließlich richtet sie sich auf, schüttelt den Kopf. „Falscher Alarm.“

Ein Vorhang des Schweigens senkt sich zwischen uns, als Lola und Harlow uns beide unsicher mustern.

„Bist du in Ordnung, Mia?“, fragt Lola.

Ansels Berührung und sein Vorschlag, dass wir verheiratet bleiben sollen, meine Kopfschmerzen und mein rebellierender Magen – das alles bringt mich dazu, dass ich mich am liebsten auf den Boden legen und zu einer kleinen Kugel des Wahnsinns zusammenknäueln will. Es ist mir sogar egal, wie eklig der Teppich ist. „Nichts, dass ein bisschen Sterben nicht lösen könnte.“

„Können wir sie kurz entführen?“, fragt Harlow Ansel, und ihr Tonfall überrascht mich. Harlow fragt nie – wirklich niemals –, bevor sie sich etwas nimmt.

Er nickt, aber bevor ich mich wegbewegen kann, lässt er seine Hand über meinen Arm gleiten und berührt den Ring an meinem Finger. Er sagt kein Wort; es ist nur diese winzige Berührung, die mich bittet, die Stadt nicht zu verlassen, ohne vorher mit ihm zu reden.

Lola führt mich den Flur hinunter zur Lobby, wo in einer ruhigen Ecke eine Ansammlung riesiger Sessel steht. Wir lassen uns auf das teure Veloursleder fallen, geben uns eine Weile unserem verkaterten Zustand hin.

„Also“, sage ich.

„Also“, erwidern sie einstimmig.

„Was zum Teufel ist letzte Nacht passiert?“, frage ich. „Warum hat niemand gesagt, ‚Wow, wir sollten vielleicht nicht alle heiraten‘?“

„Argh“, sagt Harlow. „Ich weiß, wir hätten mehr Stil haben sollen.“

„Ich werde die Schuld den siebenhundert Kurzen geben, die wir getrunken haben“, sagt Lola.

„Ich werde die Schuld Finns beeindruckendem Schwanz geben.“ Harlow trinkt einen Schluck aus einer Wasserflasche, während Lola und ich aufstöhnen. „Nein, ernsthaft“, sagt Harlow. „Und der Junge fährt auf so einige Dinger ab, ich kann euch sagen. Er ist ein herumkommandierendes kleines Stück Scheiße.“

„Annullierung“, erinnert Lola sie. „Du kannst ihn immer noch poppen, wenn du Single bist.“

Harlow reibt sich das Gesicht. „Richtig.“

„Und was ist mit Ansel passiert?“, fragt Lola.

„Anscheinend so einiges.“ Unwillkürlich streiche ich mit dem Finger über meine Unterlippe. „Ich weiß nicht so genau, ob wir überhaupt geschlafen haben. Leider erinnere ich mich nicht mehr an alles, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass wir alles gemacht haben.“

„Anal?“, fragt Harlow in ehrfürchtigem Flüsterton.

„Nein! Oh Gott. Leg zehn Dollar in den Nuttentopf“, sage ich zu ihr. „Du bist so ein Freak.“

„Ich wette, der Franzose hat’s hinbekommen“, sagt Harlow. „Du siehst aus, als wärst du ordentlich geknallt worden.“

Erinnerungen steigen wie Rauch vor mir auf, zarte Schwaden in der Luft.

Das scharfe Aufeinanderprallen seiner Zähne, als ich über seine Eichel geleckt habe.

Meine Hand ausgebreitet auf dem großen Spiegel, die Hitze seines Atems auf meinem Nacken, kurz bevor er sich hineingeschoben hat.

Seine flüsternde Stimme. Laisse-toi aller, jouis pour moi. Komm für mich.

Ich drücke meine Handballen gegen meine Augen, zwinge mich in die Gegenwart zurück. „Was ist zwischen dir und Oliver gelaufen?“, wende ich mich Lola zu.

Sie zuckt die Schultern. „Ehrlich gesagt … Wir hatten die Kirche kaum verlassen, da sind wir beide schon wieder langsam nüchtern geworden. Harlow war in deren Suite und gab alle möglichen Geräusche von sich. In unserer warst du mit Ansel.“

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