Ein Kuss vor Mitternacht

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An die Liebe glaubt sie nicht mehr: Wen sollte sie, das arme Mädchen vom Lande, schon für sich gewinnen? Umso erstaunter ist Constance Woodley, als ihr Lord Dominic Leighton den Hof macht. Mehr noch: Auf einem Ball in London raubt ihr der attraktive Aristokrat dreist einen Kuss - und Constance muss sich eingestehen, dass sie sich nach mehr sehnt. Leidenschaftlich stillt Dominic ihr Begehren, und schon bald erwacht in ihr die Hoffnung auf ein Leben zu zweit. Doch ihr Traum wird jäh zerstört, denn Constance kommen schlimme Gerüchte zu Ohren: Obwohl Dominic mit ihr flirtet, soll sein Herz einer anderen gehören …


  • Erscheinungstag 20.02.2018
  • Bandnummer 1
  • ISBN / Artikelnummer 9783733779948
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Von der Galerie aus, eine schmale Hand auf der Balustrade des glänzend polierten Mahagonigeländers ruhend, ließ Lady Haughston den Blick über die Menge der festlich gekleideten Gäste unten im Ballsaal schweifen und nickte gelegentlich huldvoll einem Bekannten zu. Sie genoss es, die Bewunderung in den ihr zugewandten Gesichtern zu lesen, ohne sich anmerken zu lassen, dass sie sich geschmeichelt fühlte, wäre allerdings enttäuscht gewesen, hätte man sie ignoriert.

Francesca Haughston war nun schon seit etwa zehn Jahren die gefeierte Ballkönigin in Londons gehobenen Kreisen – wobei die dreiunddreißigjährige Witwe es geschickt vermied, genaue Daten über das Jahr ihres Debüts und ihre Einführung in die Gesellschaft zu nennen. Sie war von der Natur mit außergewöhnlicher Schönheit gesegnet – goldblondes Haar, große tiefblaue Augen, ein Teint, glatt und hell wie Elfenbein, eine fein modellierte Nase und schön geschwungene Lippen, deren leicht nach oben gezogene Mundwinkel ihrem ovalen Antlitz ein katzenhaftes Lächeln verliehen. Ihre linke Wange zierte ein rundes Muttermal, ein winziger Makel, der ihrer Schönheit zusätzlichen Reiz verlieh. Von mittlerem Wuchs, gertenschlank und elegant anmutiger Haltung, wirkte sie größer, als sie tatsächlich war.

Aber Francesca war nicht nur besonders hübsch. Auch legte sie großen Wert darauf, sich von ihrer besten Seite zu präsentieren. Ihre Garderobe war erlesen, Farbe und Stil ihrer Schuhe exakt auf das jeweilige Kleid abgestimmt, ihr Haar makellos und kunstvoll frisiert. Stets an der neuesten Moderichtung orientiert, verzichtete sie auf verstiegene, rasch wechselnde Torheiten und wählte mit unfehlbar gutem Geschmack Farben sowie Schnitte und Accessoires, die perfekt mit ihrem Typ harmonierten.

An diesem Abend trug sie ihre Lieblingsfarbe eisblau. Das Dekolleté ihrer Seidenrobe betonte den sanften Schwung ihrer hellen Schultern und ließ die Rundungen ihres Busens erahnen, könnte als eine Spur zu freizügig bezeichnet werden, ohne dabei vulgär zu wirken. Ein silbern durchwirkter Spitzenbesatz zierte Ausschnitt und Saum der Abendrobe und wiederholte sich in der gerafften Draperie im Rücken, die zu einer Halbschleppe auslief. Ein Diamantcollier schmückte ihren zarten hellen Hals, ein passendes Armband umspannte das zierliche Handgelenk, und in ihrer kunstvoll aufgesteckten Frisur blitzten weitere kleine Diamanten.

Niemand im festlich geschmückten Saal hätte vermutet – und es war ihr sehr wichtig, diese Tatsache geheim zu halten –, dass ihre finanziellen Mittel eher begrenzt waren. Die bittere Wahrheit aber war, dass ihr verstorbener, weithin unbetrauerter Gemahl Lord Andrew Haughston, ein unverbesserlicher Spieler und Lebemann, ihr nichts als Schulden hinterlassen hatte. Ein Umstand, den sie unter Aufbietung aller Mühen bestrebt war, zu verbergen. Niemand wusste, dass ihre Juwelen Kopien aus gefärbten Glassteinen waren, da sie den echten Schmuck längst verkauft hatte. Und nicht einmal eine Gesellschaftsmatrone mit dem Scharfblick eines Adlers hätte geahnt, dass sie die zierlichen Ziegenlederpumps, sorgfältigst gepflegt, bereits in der dritten Ballsaison trug. Auch nicht, dass ihr Abendkleid von ihrer geschickten Zofe aus einem Vorjahresmodell unter Verwendung eines Schnittmusters aus einem brandneuen französischen Modejournal umgearbeitet worden war.

Einer der wenigen Menschen, die ihre wahren Lebensumstände kannten, war der elegante Herr an ihrer Seite, Sir Lucien Talbot. Er gehörte seit ihrer ersten Saison in London zum Kreis ihrer Bewunderer. Und obgleich sein romantisches Interesse an Francesca die Grenzen unaufdringlicher platonischer Verehrung nicht überschritt, war seine Zuneigung aufrichtig und im Laufe der Jahre zu einer tiefen Freundschaft gewachsen.

Sir Lucien, ein notorischer Junggeselle, verfügte gleichfalls über einen erlesenen Geschmack und war ein geistreicher Unterhalter, zwei Eigenschaften, die ihn zu einem ausgesprochen gern gesehenen Gast in der vornehmen Welt machten. Es war zwar allgemein bekannt, dass er ständig unter finanziellen Schwierigkeiten litt – eine althergebrachte Tradition der Familie Talbot. Allerdings schadete dies seinem Ruf keineswegs, da er aus einer sehr alten Familie stammte, deren Ahnentafel bis ins Mittelalter zurückreichte. Im Gegenteil, sein vornehmer Hintergrund wurde zumindest von den Gastgeberinnen weitaus höher geachtet als schnöder Mammon. Der junge Herr vermochte jede langweilige Konversation mit einer scharfzüngigen und treffenden Bemerkung zu würzen, ohne je wirklich verletzend zu sein. Zudem war er ein fabelhafter Tänzer, und sein Lob über den Erfolg einer Veranstaltung vermochte das Ansehen einer Gastgeberin durchaus zu heben.

„O Gott! Was für ein Gedränge!“, stellte Sir Lucien soeben fest und hob das Lorgnon vor sein Gesicht, um die Gäste unten im Saal genauer in Augenschein nehmen zu können.

„Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, die gute Lady Welcombe wählt die Zahl ihrer Gäste nach den zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten“, pflichtete Francesca ihm bei, schlug ihren seidenen Fächer auf und bewegte ihn träge. „Gott, wie ich es hasse, mich ins Gedränge zu werfen und mir auf die Zehen treten zu lassen.“

„Ist das nicht der eigentliche Sinn solcher Anlässe?“, ertönte hinter ihr eine tiefe Stimme.

Francesca erkannte die Stimme sofort. „Rochford“, sagte sie lächelnd mit einer halben Drehung über die Schulter. „Welche Überraschung, Sie hier anzutreffen.“

Der Neuankömmling begrüßte Francesca und Lucien mit einer leichten Verneigung. „Tatsächlich?“, meinte er schmunzelnd. „Ich könnte mir denken, Sie rechnen damit, alle Welt hier anzutreffen.“

Er zog die Mundwinkel in seiner gewohnten Art nahezu unmerklich hoch, was als Andeutung eines Lächelns gelten konnte. Sein Name war Sinclair, fünfter Duke of Rochford, und wenn Luciens Anwesenheit die Gästeliste schmückte, so stellte Rochfords Erscheinen die glanzvolle Krönung einer Abendgesellschaft dar.

Der große, schlanke und breitschultrige Duke trug einen makellos geschnittenen schwarzen Abendanzug. In den kunstvoll drapierten Falten seiner schneeweißen Seidenkrawatte funkelte diskret ein Rubin, zwei weitere an seinen goldenen Manschettenknöpfen. Seine männlich aristokratische Ausstrahlung übte einen unwiderstehlichen Bann auf seine Umgebung aus. Und wenn es Personen gab, die behaupteten, sie würden von seinem geheimnisvoll düsteren Aussehen unberührt bleiben, so machten sie sich und anderen etwas vor. Alles an Rochford, von seinen geschliffenen Manieren bis zur Qualität seiner Garderobe, war von lässiger Eleganz ohne die geringste Spur von Großtuerei. Die Herren der Schöpfung bewunderten ihn wegen seiner exzellenten Reitkünste und seiner tödlichen Treffsicherheit als Schütze. Die Damen machten ihm schöne Augen wegen seiner markant geschnittenen Gesichtszüge, seiner hohen Wangenknochen und seiner dicht bewimperten, glutvoll schwarzen Zigeuneraugen. Im Übrigen war er unermesslich reich, mit Ende dreißig immer noch ungebunden und versetzte die unverheiratete Damenwelt in schwärmerische Verzückung.

Francesca konnte sich ein Lächeln bei seiner Bemerkung nicht versagen. „Vermutlich haben Sie recht.“

„Sie sind wie immer ein Traum, Lady Haughston“, erklärte Rochford.

„Ein Traum?“ Francesca hob eine fein geschwungene Braue. „Sie äußern sich nicht über die Art des Traumes, wie ich feststelle. Dieser Satz könnte mit allen möglichen Attributen enden.“

Mit einer angedeuteten Verneigung erwiderte er: „Niemand mit Augen im Kopf könnte daran zweifeln, dass ich etwas anderes als einen wunderschönen Wunschtraum meinen könnte.“

„Gut pariert“, entgegnete Francesca.

Sir Lucien raunte ihr zu: „Vorsicht! Schauen Sie nicht hin. Lady Cuttersleigh ist im Anmarsch.“

Doch seine Warnung kam zu spät. Eine schrille, durchdringende Frauenstimme durchschnitt die Luft. „Euer Gnaden! Welches Entzücken, Sie zu sehen.“

Eine hochgewachsene, spindeldürre Frau eilte herbei, ihren untersetzten, beleibten Ehemann im Schlepptau. Als Tochter eines Earls hatte Lady Cuttersleigh den Fehler begangen, einen Baron zu heiraten, und ließ sich seither keine Gelegenheit entgehen, ihn und den Rest der Welt darauf aufmerksam zu machen, dass sie unter ihrem Stand geheiratet hatte. Sie betrachtete es als ihre Pflicht, ihre schnatternde Töchterschar mit einem Mann zu verehelichen, der es wert war, sich mit ihrer eigenen erhabenen Blutlinie zu mischen. In Anbetracht der Tatsache, dass ihre Töchter ihr nicht nur in Aussehen und Figur sehr ähnelten, sondern auch in ihrer Anmaßung und ihrem Dünkel, sah die Dame sich allerdings einer äußerst schwierigen Aufgabe gegenüber. Und sie gehörte zu den wenigen hartnäckigen Müttern, die es immer noch nicht aufgegeben hatten, den Duke of Rochford für eine ihrer Töchter zu gewinnen.

Rochfords Gesicht verzog sich für einen Moment gepeinigt, ehe er sich umwandte und das herannahende ungleiche Paar mit einer untadeligen Verneigung begrüßte. „Mylady. Cuttersleigh.“

„Lady Haughston“, begrüßte Lady Cuttersleigh Francesca und nickte Sir Lucien, dessen Titel weit hinter ihren Ansprüchen zurückblieb, knapp zu, ehe sie sich lächelnd an Rochford wandte. „Herrliches Fest, nicht wahr? Der Ball der Saison, möchte ich schwören.“

Rochford bedachte sie mit einem fragenden Lächeln und schwieg.

„Es wäre interessant festzustellen, wie viele ‚Bälle der Saison‘ es dieses Jahr geben wird“, bemerkte Sir Lucien trocken.

Lady Cuttersleigh musterte ihn mit einem feindseligen Blick. „Nun, es kann doch nur ein Fest geben, das sich mit dieser Auszeichnung schmücken darf“, erklärte sie tadelnd.

„Oh, ich denke, es verdient mindestens drei weitere Auszeichnungen“, meldete Francesca sich zu Wort. „Der Ball der Saison mit dem dichtesten Gedränge, diesen Preis dürfte dieses Fest auch gewinnen. Dann bliebe noch der Ball der Saison mit der üppigsten Dekoration.“

„Und nicht zu vergessen den Ball der Saison mit den vornehmsten Gästen“, ergänzte Sir Lucien.

„Tja, wie dem auch sei, meine Amanda wird es gewiss bedauern, diesen Ball verpasst zu haben“, sagte Lady Cuttersleigh.

Francesca und Lucien tauschten vielsagende Blicke. Francesca öffnete ihren Fächer, um ihr Lächeln dahinter zu verbergen. Wovon auch immer eine Konversation handelte, Lady Cuttersleigh versäumte es niemals, ihre Töchter ins Gespräch zu bringen.

Nun erging sie sich in der genauen Schilderung einer fiebrigen Erkältung, die zwei ihrer Töchter ans Bett fesselte, sowie der rührenden Bereitschaft von Amanda, der ältesten, am Krankenbett ihrer Schwestern zu wachen. Francesca fragte sich unwillkürlich, was der Umstand, die Krankenpflege der Kinder ihrer Tochter zu überlassen, über die Muttergefühle der Dame aussagte.

Lady Cuttersleigh plapperte, scheinbar ohne Atem zu holen, endlos über Amandas hingebungsvolle Opferbereitschaft und wurde es nicht müde, all ihre sonstigen Vorzüge zu betonen, bis Rochford ihr schließlich das Wort abschnitt. „Mylady, Ihre älteste Tochter scheint eine Heilige zu sein, für die nur ein tugendhafter Mann als Gemahl infrage kommt. Was halten Sie von Reverend Hubert Paulty? Ein hochanständiger, ehrenwerter Mann, wie ich finde. Er wäre eine ausgezeichnete Wahl, einen besseren finden Sie kaum.“

Lady Cuttersleighs Wortschwall versiegte jäh. Sie sah den Duke verdutzt an, blinzelte heftig und versuchte, sich von dem Schlag zu erholen, den er ihr mit diesem Rat versetzt hatte. Rochford nutzte die günstige Gelegenheit. „Lady Haughston, wollten Sie mich nicht Ihrem geschätzten Cousin vorstellen?“, fügte er ohne Überleitung hinzu und bot Francesca seinen Arm.

Francesca warf ihm einen verschmitzten Blick zu und antwortete höflich. „Natürlich. Wenn Sie uns bitte entschuldigen, Mylady. Mylord. Sir Lucien.“

Sir Lucien raunte ihr ins Ohr. „Verräterin.“

Während Francesca sich an Rochfords Seite entfernte, vermochte sie sich eines schadenfrohen Kicherns nicht zu enthalten. „Mein geschätzter Cousin?“, wiederholte sie. „Bitte, welchen meinten Sie? Den, der Portwein zu sehr schätzt? Oder den, der nach einem Duell auf den Kontinent geflohen ist?“

Ein Lächeln erhellte die dunkel verwegenen Gesichtszüge des Dukes. „Ich meinte, meine Schöne, jeden beliebigen Nichtsnutz, der mich aus den Krallen von Lady Cuttersleigh befreit.“

Francesca schüttelte den Kopf. „Schreckliche Person. Die aufdringliche Art, mit der sie versucht, ihre Töchter unter die Haube zu bringen, wird deren Schicksal besiegeln, als alte Jungfern zu enden, fürchte ich. Nicht nur, dass sie die Mädchen anpreist wie eine Marktfrau ihre Kohlköpfe, ihre Ansprüche übersteigen auch noch bei Weitem die Chancen der bedauernswerten Geschöpfe.“

„Wie man hört, sollen Sie auf diesem Gebiet eine wahre Expertin sein“, sagte Rochford mit leiser Ironie.

Francesca schaute ihn an. „Tatsächlich?“

„O ja. Offenbar wenden Eltern sich gern mit der Bitte um gute Ratschläge an Sie, bevor sie ihre Töchter auf den Heiratsmarkt schicken. Dabei könnte man sich fragen, wieso Sie sich nicht ein zweites Mal in eigener Sache auf die Suche begeben.“

Francesca nahm ihre Hand von seiner Armbeuge und ließ den Blick wieder über die Gästeschar unten im Ballsaal schweifen. „Ich fühle mich im Witwenstand ausnehmend wohl, Euer Gnaden.“

„Euer Gnaden? Nach all den Jahren? Ich habe Sie wieder einmal gekränkt, richtig? Dazu habe ich offenbar eine unselige Neigung.“

„Ja, darin scheinen Sie ein besonderes Geschick zu haben“, antwortete Francesca leichthin. „Aber ich fühle mich nicht gekränkt. Andererseits frage ich mich … benötigen Sie meine Hilfe?“

Er lachte. „Gott bewahre, nein. Ich betreibe nur Konversation.“

Francesca sah den Duke forschend an. Wieso schnitt er dieses Thema an? Waren ihm Gerüchte über ihre Erfolge als Heiratsvermittlerin zu Ohren gekommen? In den vergangenen Jahren hatte sie mehr als nur einem Elternpaar hilfreich zur Seite gestanden, das für ihre Tochter einen Ehemann suchte. Selbstverständlich hatten die Eltern sich mit einem großzügigen Geschenk erkenntlich gezeigt, nachdem Francesca die junge Dame unter ihre Fittiche genommen und sie durch die kniffligen Untiefen gesellschaftlicher Gepflogenheiten geleitet und schließlich in die Arme des erwünschten Heiratskandidaten geführt hatte. Solche Erkenntlichkeiten waren von beiden Seiten mit höchster Diskretion behandelt worden. Francesca hatte keine Ahnung, auf welche Weise durchgesickert sein könnte, dass ein gewisser silberner Tafelaufsatz oder ein kostbarer Rubinring den Besitzer gewechselt hatte, bevor er beim Pfandverleiher gelandet war.

Francesca glaubte einen Funken Neugier in den Augen Rochfords zu entdecken und beeilte sich um eine Richtigstellung. „Zweifellos haben Sie keine Hilfe nötig.“

„Nein, wahrhaftig nicht. Ich kenne zu viele Furcht einflößende Mütter, die danach streben, ihre Töchter glänzend zu verheiraten, und verzichte gerne auf die Bemühungen eines Vermittlers.“

„Es ist geradezu erschreckend“, sagte Francesca, „was Mütter alles falsch machen in ihrem Bestreben, ihre Töchter zu verheiraten. Nicht nur Lady Cuttersleigh. Betrachten Sie nur die Mädchen da unten.“

Sie wies mit dem Fächer in die Richtung dreier Damen, die neben einer ausladenden Topfpalme standen. Die ältere in einem purpurfarbenen Ballkleid wurde von zwei jungen Mädchen flankiert, deren unglückselige Ähnlichkeit zu ihr darauf schließen ließ, dass es sich um ihre Töchter handelte.

„Ausnahmslos Damen ohne Schönheitssinn und Stilempfinden, die sich selbst nicht zu kleiden wissen, lassen es sich nicht nehmen, die Garderobe ihrer Töchter zu bestimmen“, stellte Francesca fest. „Schauen Sie nur, die pummelige Person steckt ihre Töchter in fades Lavendelblau, wodurch ihre blassen Gesichter noch teigiger wirken, und zu allem Überfluss werden sie auch noch mit unnötigem Zierrat herausgeputzt. Mit all den Rüschen, Schleifchen und Spitzenwolken sehen sie aus wie steife Teepuppen. Und ständig redet sie auf die bedauernswerten Geschöpfe ein und lässt keine zu Wort kommen.“

„Ja, ich verstehe“, antwortete Rochford. „Das scheint mir ein extremes Beispiel zu sein, wobei ich allerdings nicht glaube, dass diese Mauerblümchen ohne die aufdringliche Frau Mama bessere Chancen hätten.“

Francesca gab einen geringschätzigen Laut von sich. „Ich würde das schaffen.“

„Aber, meine Liebe …“ In seinen dunklen Augen blitzte heiterer Spott.

Francesca zog eine Braue hoch. „Sie zweifeln daran?“

„Ihr erlesener Geschmack und Ihr diplomatisches Geschick in allen Ehren“, entgegnete er mit einem spöttischen Lächeln. „Aber manche Fälle sind hoffnungslos; in einem solchen Fall hätten selbst Sie keinen Erfolg.“

„Sie irren. Würde ich mich um irgendein unscheinbares Mauerblümchen kümmern und für seine Zukunft verantwortlich sein, trüge es am Ende der Saison einen Verlobungsring am Finger“, erwiderte sie, ohne nachzudenken.

Der Duke versuchte, nicht allzu selbstgefällig zu lächeln. „Wollen wir eine Wette darauf abschließen?“

Francesca wusste, dass es töricht war, sich darauf einzulassen, brachte es aber nicht über sich, vor seinem aufreizenden Gebaren einen Rückzieher zu machen. „Warum nicht?“

„Jedes beliebige Mädchen dort unten?“, hakte er nach.

„Jedes.“

„Und Sie nehmen es unter Ihre Fittiche und verloben es – mit einem angemessenen Herrn, wohlgemerkt – bis zum Ende der Saison?“

„Ja.“ Francesca, die noch nie einer Herausforderung aus dem Weg gegangen war, begegnete seinem Blick mit kühler Gelassenheit. „Und Sie wählen das Mädchen aus.“

„Fragt sich nur, was der Wetteinsatz sein soll. Mal sehen … wenn ich gewinne, geben Sie mir Ihr Wort, meine Schwester und mich zu unserem alljährlichen Besuch bei unserer Großtante zu begleiten.“

„Lady Odelia?“, fragte Francesca mit unverhohlenem Entsetzen.

Der Kranz dünner Fältchen um seine Augen vertiefte sich. „Aber ja. Lady Odelia schätzt Sie sehr, wie Sie wissen.“

„Ja, etwa so wie ein Habicht eine fette Maus schätzt!“, meinte Francesca. „Dennoch akzeptiere ich Ihren Vorschlag, da ich mir sicher bin, dass ich diese Wette gewinne. Aber was bekomme ich, wenn Sie verlieren?“

Er blickte sie eine Weile sinnend an, bevor er antwortete. „Nun ja, ich denke an ein Saphirarmband in der Farbe Ihrer Augen. Ich könnte mir vorstellen, dass Sie Saphire mögen.“

Francesca musterte ihn einen Moment forschend. „Keine schlechte Idee. Einverstanden.“

Sie festigte den Griff um ihren Fächer, hob das Kinn und wandte sich wieder den Ballgästen zu. „Auf welches Mädchen fällt Ihre Wahl?“

Sie erwartete, er würde auf eine der reizlosen Töchter zeigen, über die sie soeben gelästert hatten. „Die mit der riesigen Schleife im Haar oder die andere mit der traurig wippenden Feder?“

„Keine von beiden“, entgegnete er zu Francescas Erstaunen und wies mit dem Kinn zu einer hochgewachsenen, schlanken Frau in einem grauen Kleid, die hinter den beiden Mädchen stand. Sie war eindeutig an ihrem schlichten Kleid und der glatten Frisur als Anstandsdame zu erkennen. „Ich wähle die da.“

Constance Woodley langweilte sich. Eigentlich sollte sie dankbar sein, wie Tante Blanche immer wieder betonte, während der Saison in London Gelegenheit zu haben, große gesellschaftliche Anlässe wie diesen Ball erleben zu dürfen. Allerdings konnte sie wenig Vergnügen daran finden, ihre törichten Cousinen zu zahllosen Bällen, Soireen und anderen Geselligkeiten als Anstandsdame zu begleiten. Immerhin bestand ein himmelweiter Unterschied zwischen dem Vergnügen, als richtige Gäste an einer Saison teilzunehmen, wie Georgiana und Margaret, und der Tatsache, unbeteiligt zusehen zu müssen, wie andere sich amüsierten.

Ihre eigene Chance, an einer Saison teilzunehmen, hatte sie vor langer Zeit verpasst. Als sie mit achtzehn ihr Debüt hätte haben sollen, war ihr Vater krank geworden, und sie hatte die nächsten fünf Jahre damit verbracht, ihn zu pflegen, da sein Zustand sich stetig verschlechterte. Schließlich war er verstorben, und da er keinen männlichen Erben aufzuweisen hatte, gingen sein Haus und die Ländereien auf seinen Bruder Roger über. Constance blieb unverheiratet und mittellos bis auf eine kleine Geldsumme, die ihr Vater ihr hinterlassen hatte, allerdings in Staatspapieren fest angelegt, zurück. Gnädigerweise durfte sie in ihrem Elternhaus wohnen bleiben, als Sir Roger nebst Gemahlin und den beiden Töchtern einzog.

Sie werde immer ein Dach über dem Kopf haben, erklärte Tante Blanche in frommer Güte, fände es allerdings angebracht, wenn Constance ihr Schlafzimmer für die Töchter räume und sich mit einem kleineren Zimmer im hinteren Teil des Hauses begnüge. Das große Zimmer mit dem hübschen Blick auf Garten und Park komme schließlich den Töchtern des Hausherrn zu. Der Umzug in das bescheidene Quartier war Constance nicht leichtgefallen, aber sie hatte sich damit getröstet, wenigstens ein Zimmer für sich allein zu haben, statt sich eines mit einer ihrer Cousinen teilen zu müssen.

Seit einigen Jahren lebte sie nun mit ihren Verwandten zusammen. Sie ging der Tante im Haushalt und bei der Erziehung der Mädchen zur Hand, da sie sich dankbar zeigen wollte, von ihnen aufgenommen worden zu sein. Beharrlich sparte Constance die schmalen Zinseinkünfte ihrer Erbschaft und legte sie wieder an, in der Hoffnung, eines Tages genügend Geld zusammengebracht zu haben, um davon ihren Lebensunterhalt bestreiten und auf eigenen Beinen stehen zu können.

Vor zwei Jahren, als Georgiana achtzehn geworden war, schien es das Vernünftigste zu sein, zu warten, bis auch die jüngere Margaret achtzehn wurde, um beide Töchter gleichzeitig in die Gesellschaft einzuführen.

Constance dürfe sie als Anstandsdame begleiten, hatte ihre Tante huldvoll verkündet. Es wurde nie auch nur darüber nachgedacht, ob Constance an diesem alljährlich stattfindenden gesellschaftlichen Ritual in einer anderen Rolle als der der Anstandsdame teilnehmen könnte. Die Londoner Ballsaison wurde von Müttern als eine Art Heiratsmarkt genutzt, wobei die Tante gar nicht auf die Idee gekommen wäre, ihre Nichte hätte noch Chancen, einen Ehemann abzukriegen, und Constance hatte sich dieser Meinung angeschlossen. Sie war zwar keine reizlose junge Frau – sie hatte graue ausdrucksvolle Augen und dunkelbraunes rötlich schimmerndes Haar –, galt aber mit achtundzwanzig als alte Jungfer, die den Zeitpunkt überschritten hatte, um der Gesellschaft präsentiert zu werden. Sie durfte auch nicht hoffen, Kleider in hellen Pastelltönen zu tragen oder ihr Haar in hübsche Löckchen einzudrehen. Tante Blanche bestand darauf, dass Constance im Haus ein züchtiges Häubchen trug, wobei Constance sich allerdings weigerte, dieses untrügliche Symbol vereitelter Hoffnungen auch bei gesellschaftlichen Anlässen aufzusetzen.

Constance bemühte sich redlich, die Erwartungen ihrer Tante nicht zu enttäuschen, da ihr klar war, dass ihre Verwandten nicht verpflichtet gewesen wären, sie nach dem Tod ihres Vaters bei sich zu behalten. Ihre Beweggründe erklärten sich in etwa zu gleichen Teilen aus ihrer Furcht vor gesellschaftlicher Missbilligung und dem Umstand, auf diese Weise eine unbezahlte Haushaltshilfe zu erhalten, was Constance freilich nicht davon entband, Onkel und Tante unentwegt ihre Dankbarkeit erweisen zu müssen. Das Geschnatter ihrer Cousinen war allerdings wesentlich schwieriger zu ertragen, zwei alberne Gänschen, maßlos eitel und eingebildet auf ihr Aussehen, wofür es nicht den geringsten Anlass gab. Constance hasste es – auch wenn sie sich eingestehen musste, ebenfalls ein wenig eitel zu sein –, in grauen, braunen oder dunkelblauen Kleidern herumzulaufen, in langweiligen Farben, die ihre Tante für eine unverheiratete Frau eines gewissen Alters geziemend fand.

Immerhin bereitete es ihr einiges Vergnügen, die glitzernden Ballkleider der Damen der vornehmen Gesellschaft zu bewundern. Constance entdeckte oben auf der Galerie ein elegantes Paar, das den Blick über die Gäste im Saal schweifen ließ. Auf Constance wirkten die beiden wie ein Königspaar, das seine Untertanen huldvoll musterte. Kein abwegiger Vergleich, da der Duke of Rochford und Lady Francesca Haughston zu den einflussreichsten und berühmtesten Vertretern der Londoner Gesellschaft zählten. Constance kannte natürlich niemanden der Gäste persönlich, da diese in besseren Kreisen verkehrten als Onkel Roger und Tante Blanche üblicherweise.

Das hoheitsvolle Paar schritt nun die Treppe herab und tauchte in der Menge unter.

„Constance, sei so lieb und suche Margarets Fächer, sie scheint ihn verloren zu haben“, wandte Tante Blanche sich an sie.

Die nächsten Minuten verbrachte Constance damit, unter Stühlen Ausschau nach dem verlorenen Fächer zu halten. Erst als ihre Tante hörbar den Atem einsog, hob sie erschrocken den Kopf in der Befürchtung, Tante Blanche könne sich unpässlich fühlen. Und dann entdeckte sie zwei sich nähernde Damen. Lady Haughston in Begleitung der strahlenden Gastgeberin, Lady Welcombe.

„Lady Woodley. Sir … ähm …“

„Roger“, ergänzte der Onkel hilfreich.

„Natürlich. Sir Roger. Wie ist das werte Befinden? Ich hoffe, meine kleine Abendgesellschaft gefällt Ihnen“, sagte Lady Welcombe zu Tante Blanche und wies mit einer ausladenden Geste in den überfüllten Ballsaal. Ihr verschmitztes Schmunzeln verriet den humorvollen Hintersinn ihrer Bemerkung.

„Aber ja, Mylady. Ein grandioses Fest. Ich könnte schwören, dies ist der schönste Ball dieser Saison. Soeben sagte ich zu Sir Roger, dies ist das glanzvollste Gesellschaftsereignis, das wir bisher besuchten.“

„Nun, die Saison hat ja gerade erst begonnen“, antwortete Lady Welcombe in aller Bescheidenheit. „Wollen wir hoffen, dass mein Fest bis zum Juli nicht in Vergessenheit geraten ist.“

„Aber gewiss nicht, davon bin ich überzeugt.“ Tante Blanche erging sich in überschwänglichen Lobesworten über den Blumenschmuck, den Lichterglanz, die verschwenderische Dekoration. Erst als sie Atem holte, fand Lady Welcombe Gelegenheit, sie zu unterbrechen. „Darf ich Sie mit Lady Haughston bekannt machen?“ Damit wandte sie sich an ihre Begleiterin. „Lady Haughston, das ist Sir Roger Woodley, und seine Gemahlin Lady Woodley und dies sind … ihre reizenden Töchter.“

„Sehr erfreut“, grüßte Lady Haughston und streckte ihre feingliedrige weiße Hand aus.

„Oh, Mylady! Welche Ehre!“ Tante Blanches Gesicht war vor Aufregung rot angelaufen. „Ich bin hocherfreut, Sie kennenzulernen. Gestatten Sie mir bitte, Ihnen unsere Töchter Georgiana und Margaret vorzustellen. Mädchen, gebt Lady Haughston die Hand.“

Lady Haughston lächelte den Mädchen flüchtig zu, bevor ihr Blick Constance erfasste, die zwei Schritte hinter der Familie stand. „Und wer sind Sie?“

„Constance Woodley, Mylady“, antwortete Constance mit einem anmutigen Knicks.

„Tut mir leid“, zwitscherte Tante Blanche aufgeregt. „Miss Woodley ist die Nichte meines Gatten, die wir nach dem Tod ihres bedauernswerten Vaters vor einigen Jahren bei uns aufgenommen haben.“

„Mein aufrichtiges Beileid“, sagte Lady Haughston an Constance gerichtet und fügte nach einer kurzen Pause hinzu: „Zum Tod Ihres Vaters.“

„Danke, Mylady.“ Constance bemerkte das amüsierte Funkeln in ihren blauen Augen und fragte sich, ob Lady Haughstons Beileidswunsch eine andere Bewandtnis haben könnte. Sie verkniff sich ein Lächeln bei dem erheiternden Gedanken und begegnete Lady Haughstons Blick mit höflicher Gelassenheit.

Lady Welcombe entfernte sich, doch zu Constances Erstaunen verweilte Lady Haughston noch einen Moment und tauschte belanglose Höflichkeiten mit Tante Blanche aus. Zu Constances noch größerem Erstaunen wandte sich Lady Haughston beim Abschied schließlich an sie mit der Frage: „Hätten Sie Lust, Miss Woodley, mich auf einem kleinen Bummel durch den Ballsaal zu begleiten?“

Constance blinzelte verdutzt und sprachlos. Dann straffte sie die Schultern und trat einen Schritt vor. „Gerne, mit dem größten Vergnügen, vielen Dank, Mylady.“

Im letzten Moment dachte sie daran, ihren Verwandten einen fragenden Blick zuzuwerfen, obgleich sie Lady Haughston auch begleitet hätte, wenn Tante Blanche es ihr ausdrücklich verboten hätte. Aber offenbar war ihre Tante zu überrascht von dieser unerwarteten Entwicklung und ließ Constance glücklicherweise ohne Widerrede gehen.

Francesca hakte sich bei Constance unter, schlenderte mit ihr am Rande des riesigen Ballsaales entlang und begann mit ihr zu plaudern.

„In diesem Gedränge ist es so gut wie unmöglich, einen Bekannten zu treffen“, stellte Lady Haughston fest.

Constance nickte nur lächelnd, immer noch so verblüfft von Lady Haughstons Interesse an ihr, dass ihr vor Aufregung keine Entgegnung einfiel, nicht die banalsten Worte. Sie konnte sich nicht denken, was eine der glanzvollsten Erscheinungen der Londoner Gesellschaft von ihr wollte. Constance war weder so eitel noch so töricht, sich einzubilden, Francesca habe nach einem kurzen Blick entschieden, sie könne sich als Freundin eignen.

„Ist das Ihre erste Ballsaison?“, fragte Francesca beiläufig.

„Ja, Mylady. Leider war mein Vater schwer krank, als ich in die Gesellschaft eingeführt werden sollte“, erklärte Constance. „Er starb einige Jahre später.“

„Aha, ich verstehe.“

Constance warf ihrer Begleiterin einen flüchtigen Seitenblick zu. Etwas in Lady Haughstons Augen überzeugte sie, dass die scharfsinnige Frau weit mehr verstand, als Constance sie wissen ließ. Dass sie sich vorstellen konnte, wie endlos öde die Tage verstrichen waren, die Constance am Krankenbett ihres Vaters verbracht hatte. Die Tage, die aus Langeweile und Besorgnis bestanden hatten, nur unterbrochen von harter Arbeit und noch größerem Kummer, als sein Leiden sich immer mehr verschlimmerte.

„Es tut mir leid um Ihren schmerzlichen Verlust“, sagte Lady Haughston mitfühlend. Nach einer Weile fügte sie aufmunternd hinzu: „Und nun leben Sie bei Ihrem Onkel und Ihrer Tante, nicht wahr? Und Ihre Tante kümmert sich um Sie. Das ist sehr freundlich von ihr.“

Constance spürte, wie ihr die Hitze in die Wangen stieg. Es wäre undankbar gewesen, der fremden Dame zu widersprechen, aber es gelang ihr auch nicht, ihr zu versichern, ihre Tante habe sie aus schierer Güte bei sich aufgenommen.

„Nun ja“, sagte sie zögernd. „Meine Cousinen sind mittlerweile erwachsen und …“

„Ich bin sicher, Sie sind Ihrer Tante eine große Hilfe“, unterbrach Lady Haughston sie in milder Nachsicht.

Constance warf ihr wieder einen Seitenblick zu und musste lächeln. Lady Haughston wusste genau, weshalb Tante Blanche ihre Nichte mit zu gesellschaftlichen Anlässen nahm, nämlich gewiss nicht, um Constance einen Gefallen zu erweisen, sondern sich selbst. Obgleich sie nicht ahnte, was Lady Haughston im Schilde führte, mochte Constance die beeindruckende Frau. Sie strahlte eine Herzenswärme aus, die in der Welt der Reichen und Adligen nur selten anzutreffen war.

„Wie dem auch sei“, fuhr Lady Haughston fort, „Sie sollten sich die Zeit gönnen, Ihren Aufenthalt in London zu genießen.“

„Ich habe bereits einige Museen besucht“, erklärte Constance erleichtert, endlich etwas zu dem Gespräch beitragen zu können, „und fand diese Ausflüge sehr interessant.“

„Tatsächlich? Nun, Ihr Interesse an Kunst in allen Ehren. Aber ich denke eher an vergnüglichere Beschäftigungen, etwa an einen Einkaufsbummel.“

„Einkaufsbummel?“, wiederholte Constance verständnislos. „Was denn, Mylady?“

„Nun ja, das hängt davon ab, was Ihnen gefällt. Ich für meinen Teil lege mich vorher nie fest“, antwortete Lady Haughston leichthin mit dem Anflug eines Lächelns, das ihr den Ausdruck einer zufriedenen Katze verlieh. „Das wäre mir viel zu langweilig. Ich ziehe es vor, mich auf Entdeckungstour zu begeben und durch die eleganten Geschäfte zu streifen. Vielleicht hätten Sie Lust, mich morgen zu begleiten?“

Constance sah sie überrascht an. „Wie bitte?“

„Auf eine Einkaufsexpedition“, antwortete Lady Haughston lachend. „Machen Sie kein so ein entgeistertes Gesicht. Ich verspreche auch, Ihre Geduld nicht übermäßig zu strapazieren.“

„Ich … bitte um Verzeihung“, stammelte Constance zutiefst verlegen. „Sie halten mich gewiss für eine einfältige Landpomeranze. Aber Ihr freundliches Angebot kommt so völlig unerwartet. Ich würde Sie wirklich gern begleiten, obgleich ich fürchte, ich wäre eine ziemlich langweilige Gesellschafterin.“

„Machen Sie sich darum keine Sorgen“, entgegnete Lady Haughston mit schelmisch blitzenden Augen. „Glauben Sie mir, wir beide werden uns köstlich amüsieren, dafür sorge ich.“

Constance lächelte. Was immer diese Einladung auch bedeuten mochte, die Aussicht, einen Tag ohne Tante und Cousinen zu verbringen, erfüllte sie mit Freude. Und es war nur menschlich, dass sie einen Anflug boshafter Genugtuung empfand bei dem Gedanken an das betroffene Gesicht ihrer Tante, wenn sie erfuhr, dass eine der prominentesten Damen der Londoner Gesellschaft Constance eingeladen hatte.

„Gut, dann sind wir uns einig“, sagte Lady Haughston. „Ich hole Sie morgen ab, sagen wir gegen ein Uhr, und wir machen uns einen hübschen Tag.“

„Sie sind sehr freundlich.“

Wieder schenkte Francesca ihr ein strahlendes Lächeln, drückte Constances Hand und verschwand im Gedränge. Constance schaute ihr nach, die Gedanken schwirrten ihr wirr durch den Kopf. Sie hatte keine Ahnung, aus welchem Grund Lady Haughston sich für sie interessierte, aber es würde gewiss aufregend werden, das herauszufinden.

Sie drehte sich um und blickte zur Stelle hinüber, wo Onkel und Tante gestanden hatten, konnte sie aber in der Menge nicht ausmachen. Da ihre Tante nicht wissen konnte, wann Lady Haughston sich verabschiedet hatte, durfte Constance sich erlauben, sie noch ein Weilchen warten zu lassen, ohne eine Zurechtweisung befürchten zu müssen. Also sah sie sich suchend um, entdeckte eine offene Tür und huschte in einen breiten Flur, wo einige Gäste, die dem Lärm und der Hitze des Ballsaals entflohen waren, in kleinen Gruppen zusammenstanden und plauderten. Niemand schenkte ihr Beachtung, als sie den Korridor entlangeilte – ein Umstand, den sie gewiss ihrem schlichten Kleid zu verdanken hatte.

Sie bog in einen schmaleren Flur ein, der an zwei offenen Flügeltüren vorbeiführte. Constance hielt inne, stutzte, und dann betrat sie vorsichtig eine riesige Bibliothek, deren Bücherschränke vom Fußboden bis zur Decke reichten, nur die hohen Fenster waren ausgespart. In neugieriger Aufregung trat sie näher und ließ den Blick über die langen Bücherreihen wandern.

Ihr Vater war ein belesener Mann gewesen, der sich mit entschieden größerer Hingabe mit schöngeistiger Literatur und wissenschaftlichen Abhandlungen befasste als mit Geschäftsbüchern. Die Bibliothek in ihrem Elternhaus, die allerdings wesentlich kleiner war als dieser Raum, war vollgestopft mit Büchern.

Constance trat an die Regale an der gegenüberliegenden Wand und las die Titel der ledergebundenen Werke, als sie draußen auf dem Korridor eilige Schritte hörte. Kurz darauf stürmte ein Mann mit gehetzter Miene herein. Er verharrte eine Sekunde, bevor er Constance entdeckte, die ihn entgeistert anstarrte.

Er legte einen Zeigefinger an die Lippen und schlüpfte lautlos hinter den offenen Türflügel.

2. KAPITEL

Constance blinzelte verdutzt, wusste nicht, was sie von diesem seltsamen Auftritt halten sollte. Nach kurzem Zögern setzte sie sich in Bewegung und wollte die Bibliothek verlassen. Aus dem Flur waren eilig trippelnde Schritte zu hören, und dann tauchte eine untersetzte, füllige Dame in einem roséfarbenen Satinkleid mit einem sandelholzfarbenen Gazeüberwurf auf der Schwelle auf.

Weder der modische Stil noch die Farben passten zu der üppigen Person, deren Jugendblüte bereits verblichen war. Und ihre verdrießliche Miene trug nicht dazu bei, ihr Aussehen vorteilhafter erscheinen zu lassen.

Sie maß Constance vorwurfsvoll von Kopf bis Fuß. „Haben Sie den Viscount gesehen?“, fragte sie schroff.

„Hier? In der Bibliothek?“ Constance zog die Brauen fragend hoch.

Die Dame wirkte unschlüssig. „Tja, das scheint eher unwahrscheinlich.“ Sie warf einen Blick in den Flur zurück und dann wieder in die Bibliothek. „Aber ich könnte schwören, dass Lord Leighton diese Richtung eingeschlagen hat.“

„Vor einer Minute ging ein Herr den Flur entlang“, log Constance in aller Liebenswürdigkeit. „In die andere Richtung. Vermutlich ist er in den Hauptkorridor abgebogen.“

Der Blick der korpulenten Dame schärfte sich. „Aha. Er wollte in den Rauchsalon, das kann ich mir denken.“

Sie machte auf dem Absatz kehrt und nahm die Verfolgung ihres Opfers wieder auf.

Als ihre Schritte verklungen waren, tauchte der Mann aus seinem Versteck auf, schloss dabei den Türflügel und stieß einen theatralischen Seufzer der Erleichterung aus.

„Verehrteste, ich stehe tief in Ihrer Schuld“, erklärte er und lächelte unbefangen.

Constance lächelte ebenfalls. Der Fremde hatte eine gewinnende Art, war groß, athletisch gebaut und schlank. Er trug einen formellen schwarzen Frack und eine Brokatweste, die breite Seidenkrawatte war zu einem modischen Knoten gebunden, allerdings ohne Rüschen und Spitzenbesatz, wie sie Dandys neuerdings bevorzugten. Seine Augen leuchteten tiefblau wie ein sommerlicher See, seine vollen Lippen waren elegant geschwungen, sein Kinn wies ein reizendes Grübchen auf. Wenn er lächelte wie jetzt, blitzten seine Augen belustigt, als sei ihm daran gelegen, seine Mitmenschen mit seiner guten Laune anzustecken. Das dunkelblonde, von sonnengebleichten Strähnchen durchzogene Haar war etwas länger, als es korrekt gewesen wäre, und leicht zerzaust, was vermutlich auf die Unachtsamkeit des Mannes selbst zurückzuführen war und nicht auf die seines Kammerdieners.

Alles in allem, dachte Constance, ein Mensch, der bereits auf den ersten Blick sympathisch wirkte, eine ungewöhnliche Anziehungskraft ausstrahlte und sich seiner angenehmen Wirkung auf Frauen gewiss bewusst war. Constance hatte Mühe, das verräterische Flattern in ihrer Magengegend zu verdrängen und sich gegen das gewinnende Lächeln des gut aussehenden Herrn zu wappnen. Ein Flirt war undenkbar und kam für sie nicht infrage, da sie sich schließlich nicht auf dem Heiratsmarkt befand.

„Lord Leighton, nehme ich an?“, fragte sie.

„Der bin ich, bedauerlicherweise“, antwortete er mit einer untadeligen Verneigung. „Und Ihr Name, Mylady?“

„Bitte nur Miss“, antwortete sie. „Und es wäre unschicklich, einem völlig Fremden meinen Namen zu nennen.“

„Aber längst nicht so unschicklich, wie mit einem Fremden allein zu sein“, konterte er schlagfertig. „Und sobald Sie mir Ihren Namen verraten, sind wir einander nicht mehr fremd, und alles verläuft in gesitteten Bahnen.“

Seine seltsame Schlussfolgerung brachte sie zum Lachen. „Ich bin Miss Woodley, Mylord. Miss Constance Woodley.“

„Miss Constance Woodley“, wiederholte er, trat näher und fügte vertraulich hinzu: „Und nun müssen Sie mir Ihre Hand reichen.“

„Tatsächlich? Muss ich das?“ In Constances Augen tanzten Funken. Sie entsann sich nicht, wann sie sich zum letzten Mal mit einem Mann amüsiert hatte.

„Aber ja“, entgegnete er mit großem Ernst. „Wie sonst sollte ich mich darüberbeugen?“

„Aber Sie machten bereits eine höfliche Verbeugung“, betonte sie.

„Zugegeben. Allerdings ehe ich die Ehre hatte, Sie angemessen zu begrüßen“, wandte er ein.

Constance streckte ihm zögernd die Hand entgegen. „Sie scheinen ein beharrlicher Charakter zu sein.“

Er nahm ihre Hand, neigte sich darüber und hielt sie einen Moment länger, als es nötig gewesen wäre. Als er sie freigab, lächelte er wieder, und Constance spürte die Wärme seines Lächelns bis in die Zehenspitzen.

„Nun sind wir Freunde, und alles hat seine gebührende Ordnung.“

„Freunde? Wir sind höchstens flüchtige Bekannte“, widersprach Constance.

„Aber nein. Sie haben mich vor Lady Taffington gerettet. Und das macht Sie mir zur Freundin.“

„Als Ihre Freundin gestatte ich mir die Frage, wieso Sie sich vor Lady Taffington in der Bibliothek verstecken. Auf mich wirkte sie keineswegs so furchterregend, dass sie einen erwachsenen Mann in die Flucht schlagen könnte.“

„Das sagen Sie nur, weil Sie Lady Taffington nicht kennen. Sie ist die grässlichste Person, die man sich denken kann, ein Feuer speiender Drache von Mutter, die ihre Tochter mit einer Vehemenz unter die Haube bringen will, die ihresgleichen sucht.“

„Dann sollten Sie sich hüten, meiner Tante zu begegnen“, antwortete Constance trocken.

Er lachte in sich hinein. „Diese Art Mutter findet man überall, fürchte ich. Die Aussicht auf einen guten Titel übt eine unwiderstehliche Macht auf sie aus, und sie würden alles daransetzen, ihr Ziel zu erreichen.“

„So sehr begehrt zu sein kann doch nicht so unerträglich sein.“

„Gewiss, es wäre weniger unerträglich“, antwortete er achselzuckend, „wenn das Begehren sich auf meine Person beziehen würde statt ausschließlich auf meinen Titel.“

Der atemberaubend gut aussehende Lord Leighton, der auch noch einen bestrickenden Charme ausstrahlte, wurde gewiss nicht nur wegen seines Titels begehrt, überlegte Constance, ohne es zu wagen, ihren Einwand in Worte zu fassen.

Der Viscount machte sich ihr Zögern zunutze. „Und für wen ist Ihre Tante auf der Jagd nach einem Ehemann?“ Sein Blick streifte ihre unberingten Finger. „Gewiss nicht für Sie, denn das wäre weiß Gott keine schwierige Aufgabe.“

„Nein. Nicht für mich. Über dieses Alter bin ich längst hinaus.“ Sie lächelte liebenswürdig, um ihren Worten die Schärfe zu nehmen. „Ich bin nur hier, um Tante Blanche bei der Aufsicht ihrer Töchter zu helfen. Beide werden in dieser Saison in die Gesellschaft eingeführt.“

Er hob eine Braue. „Sie? Eine Anstandsdame?“ Er lächelte. „Ich hoffe, Sie verzeihen mir, wenn ich an Ihren Worten zweifle. Sie sind viel zu hübsch, um eine Anstandsdame zu sein. Ich fürchte, Ihre Tante wird feststellen müssen, dass die vermeintlichen Verehrer ihrer Töchter Ihnen den Hof machen.“

„Sie sind ein Schmeichler, Mylord.“ Constance schaute zur Tür. „Ich muss gehen.“

„Sie wollen mich verlassen? Bitte, bleiben Sie noch ein wenig. Ihre Cousinen werden gewiss noch ein Weilchen ohne Ihren Schutz überleben.“

In Wahrheit hatte Constance wenig Lust zu gehen und fand es wesentlich unterhaltsamer, mit dem charmanten Viscount zu plaudern, statt stumm hinter ihren Cousinen zu stehen und zusehen zu müssen, wie andere sich angeregt unterhielten. Andererseits drohte die Gefahr, dass Tante Blanche sich auf die Suche nach ihr begab, wenn sie zu lange fortblieb. Und sie wollte um jeden Preis vermeiden, dass Tante Blanche sie in der Bibliothek allein mit einem Fremden antraf. Noch mehr graute ihr bei dem Gedanken, ihre Tante könne Lord Leighton kennenlernen und sich in die Meute der Mütter einreihen, die es auf ihn als Schwiegersohn in spe abgesehen hatten.

„Zweifellos. Aber ich vernachlässige meine Pflicht.“ Sie reichte ihm die Hand. „Leben Sie wohl, Mylord.“

„Miss Woodley.“ Er nahm lächelnd ihre Hand. „Sie haben mir diesen Abend erheblich versüßt.“

Constance erwiderte sein Lächeln, ohne sich bewusst zu sein, wie sehr die Freude über diese Begegnung ihre Augen zum Glänzen gebracht und ihre Wangen rosig überhaucht hatte. Weder das schlichte Kleid noch die strenge Frisur vermochten ihren Liebreiz zu schmälern.

Er ließ ihre Hand nicht sofort wieder los und blickte Constance dabei tief in die Augen. Und dann beugte er sich vor und küsste sie auf den Mund.

Sie erstarrte. Der Kuss war so unerwartet gekommen, dass sie unfähig war, sich zu wehren, und im nächsten Moment verspürte sie nicht mehr den Wunsch, es zu tun. Sie fühlte sich benommen und war nicht dazu in der Lage, sich zu bewegen. Mit seinen weichen Lippen strich er wie ein warmer Windhauch über ihren Mund, die Berührung jagte prickelnde Schauer durch ihren Körper. Statt sich von ihr zu lösen, hörte Leighton nicht auf, sie zu küssen. Er presste seine Lippen auf die ihren und zwang sie sanft und fordernd zugleich, ihren Mund zu öffnen. Ungewollt schmiegte sie sich an ihn, wusste nur, dass sie ihn entrüstet von sich stoßen sollte, dazu aber nicht die Kraft hatte.

Vorsichtig legte sie die Hände auf seine breiten Schultern, als suche sie Halt und Schutz vor den befremdlichen Empfindungen, die auf sie einstürmten. Er schlang einen Arm um ihre Mitte und zog Constance an sich, streichelte mit der anderen Hand zärtlich ihren Nacken, während er sie genießerisch küsste.

Constance befürchtete, ihre Knie würden ihr ohne seine stützenden Arme den Dienst versagen; ihr war, als verliere sie den Boden unter den Füßen und sinke ins Nichts.

Nie gekannte machtvolle Gefühle durchströmten sie. Nicht einmal damals, als sie mit neunzehn in Gareth Hamilton verliebt gewesen war, hatte sie vergleichbare Empfindungen gehabt. Gareth hatte sie geküsst, als er sie bat, seine Frau zu werden, und sie hatte gedacht, es könne keine süßeren Wonnen im Leben geben. Das hatte später alles nur schmerzlicher gemacht, als sie sich gezwungen sah, seinen Antrag abzulehnen, um ihren kranken Vater zu pflegen. Aber an Lord Leightons Umarmung war nichts Süßes, sie war fordernd und leidenschaftlich, und sein Kuss entfachte ein brennendes Sehnen in ihr. Dabei kannte sie diesen Mann kaum, der sie in ihren Grundfesten erbeben ließ und es ihr unmöglich machte, einen klaren Gedanken zu fassen.

Er hob den Kopf, und einen langen Moment blickten sie einander tief in die Augen, beide aufgewühlt und verwirrt, ohne es dem anderen einzugestehen. Leighton holte tief Atem, gab Constance zögernd frei und trat einen Schritt zurück. Sie starrte ihn mit großen Augen an, dann machte sie kehrt und floh.

Der Korridor vor der Bibliothek war zu Constances Erleichterung menschenleer. Wie zerzaust mochte sie wohl aussehen? Wenn ihr Äußeres in etwa dem Tumult glich, der in ihr tobte, würde jeder Gast, dem sie begegnete, stehen bleiben und sich erschrocken nach ihrem Befinden erkundigen. Das Herz trommelte in ihrer Brust, und es würde ihr sicher nicht gelingen, auch nur ein Wort herauszubringen, fürchtete sie.

Auf halbem Weg den Flur entlang, betrachtete sie sich prüfend in einem Wandspiegel. Ihre grauen Augen glänzten, ihre Wangen glühten, ihre schwellenden Lippen leuchteten rosig. Sie sah hübscher aus als sonst, stellte sie fest. Würden andere bemerken, dass sie soeben etwas Verbotenes getan hatte?

Mit zitternden Fingern steckte sie ein paar fürwitzige Löckchen in den Nackenknoten und atmete mehrmals tief durch. Ihr innerer Aufruhr ließ sich indes nicht so einfach ordnen wie ihr Haar. Beunruhigende Gedanken wirbelten ihr durch den Sinn und ließen sich nicht vertreiben.

Wieso hatte Lord Leighton sie geküsst? War er lediglich ein Frauenheld, ein berechnender Verführer, der wehrlosen Frauen auflauerte? Dabei hatte er einen durchaus angenehmen Eindruck gemacht. Er sah nicht nur gut aus, er besaß auch Charme und geistreichen Humor. Andererseits waren dies nicht genau die Eigenschaften, die einen Herzensbrecher ausmachten? Welche Frau ließe sich nicht vom Charme eines gut aussehenden jungen Mannes betören?

Dennoch vermochte Constance diesen Lord Leighton nicht für einen leichtlebigen Verführer zu halten. Sie dachte an den Ausdruck des Erstaunens in seinem Gesicht, als er seine Arme von ihr gelöst hatte, geradeso, als würde er sich darüber wundern, was zwischen ihnen geschehen war. Im Übrigen hatte er sich keine weiteren Freizügigkeiten erlaubt – wobei sie vermutlich keinen Widerstand geleistet hätte in ihrer Benommenheit. Er war es gewesen, der den Kuss beendet hatte, und das könnte der Beweis sein, dass er zu höflich und feinfühlig war, um Vorteile aus einer heiklen Situation zu ziehen.

Zugegeben, er hatte ihr in einer ungestümen Aufwallung einen Kuss aufgedrängt. Aber sein Kuss hatte als sanfte Berührung begonnen, die sich leidenschaftlich vertiefte. Hatte er nur einen harmlosen kleinen Kuss beabsichtigt und war von einem plötzlichen Verlangen übermannt worden, genau wie es ihr ergangen war?

Dieser Gedanke zauberte ein feines Lächeln der Genugtuung auf Constances Lippen. Die Erkenntnis, dass nicht nur sie einer sinnlichen Versuchung erlegen war, schmeichelte ihr ein wenig.

Sie warf einen zweiten Blick in den Spiegel. Hatte der Viscount sie möglicherweise hübsch gefunden in ihrem einfachen Kleid? Sie betrachtete prüfend ihr ovales Gesicht. Eigentlich wirkte sie nicht wesentlich älter als damals mit zwanzig. Und außer Gareth war sie noch einigen Männern begegnet, die ihr in ihrer Jugend gesagt hatten, ihre grauen Augen seien schön und ihr dunkelbraunes Haar habe einen goldenen Schimmer. Hatte Lord Leighton hinter ihrem unscheinbaren Äußeren das hübsche Mädchen von einst gesehen?

Constance wünschte sich, er fände sie attraktiv und begehrenswert. Sie wollte nicht nur eine leichte Beute männlicher Begierden sein.

Autor

Candace Camp
Ihren ersten Roman hat Candace Camp noch als Studentin geschrieben. Damals hat sie zwei Dinge gelernt: Erstens, dass sie auch dann noch schreiben kann, wenn sie eigentlich lernen sollte, und zweitens, dass das Jurastudium ihr nicht liegt. So hat sie ihren Traumberuf als Autorin ergriffen und mittlerweile über siebzig Romane...
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