Ein Playboy für Hannah?

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Hannah ist mehr als genervt von dem attraktiven Dr. Ryan Fisher. Immer einen Scherz auf den Lippen, wickelt er alle Frauen um den kleinen Finger. Und mit einem Playboy will Hannah wirklich nichts zu tun haben. Bis sie plötzlich selbst Schmetterlinge im Bauch spürt …


  • Erscheinungstag 19.10.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733727871
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Das ist nicht dein Ernst!“

„Warum denn nicht? Es sind doch nur ein paar Tage.“

„Aber du nimmst dir niemals frei. Seit ich dich kenne – und das sind jetzt schon drei Jahre, Hannah –, hast du nie auch nur einen einzigen Tag Urlaub genommen.“

Oberschwester Jennifer Bradley nahm den Ausdruck aus dem 12-Kanal-EKG-Gerät, und Dr. Hannah Jackson warf einen fachmännischen Blick auf die Kurven.

„Leichte Rechtsherzinsuffizienz. Die P-Wellen sind etwas unregelmäßig, aber sonst sieht es für eine 86-Jährige sehr gut aus. Keine Anzeichen für einen Infarkt.“

Die ältere Patientin, die während der Untersuchung fest geschlafen hatte, öffnete unvermittelt die Augen.

„Gib sie mir zurück!“, verlangte sie mit Nachdruck. „Du bist ein böses Mädchen!“

Ihre Worte waren laut genug, um die Aufmerksamkeit aller anderen Klinikmitarbeiter zu wecken, die sich in der Nähe befanden. Zahlreiche Augen blickten sie erstaunt an, und Hannah seufzte innerlich auf. Bestimmt hatte auch Ryan Fisher, ihr Facharztkollege, zugehört. Und zweifellos breitete sich bereits in diesem Augenblick ein amüsiertes Grinsen in seinem Gesicht aus.

Oberschwester Jennifer zwang sich mühsam zu einem Lächeln und fragte: „Was ist denn los, Mrs. Matheson?“

„Sie hat meine Handtasche gestohlen! In meinem Portemonnaie war eine Menge Geld, und die Schlampe dort hat es geklaut!“

Hannah hörte ein Kichern aus der kleinen Zuschauermenge und bedauerte es, dass sie den Vorhang zur Untersuchungskabine nicht zugezogen hatte. Doch am frühen Montagmorgen war in der Notaufnahme meist nicht viel los, und so hatte sie darauf verzichtet.

„Ihre Handtasche ist in Sicherheit, Mrs. Matheson“, beruhigte sie die alte Dame. „Sie ist in dieser Tüte mit Ihren persönlichen Sachen.“

„Zeigen Sie sie mir!“

Hannah kramte die große braune Papiertüte mit der Aufschrift „Patientenbesitz“ hervor und nahm eine altmodische schwarze Damenhandtasche heraus, die mindestens vierzig Jahre alt war.

„Geben Sie mir die Tasche!“, befahl die Patientin.

Mit arthritischen Händen zerrte die alte Dame am Verschluss. Als sie die Tasche endlich geöffnet hatte, kippte sie den Inhalt auf ihren Schoß. Hektisch wühlte sie in den gebrauchten Taschentüchern, den Pfefferminzdrops und anderen Kleinigkeiten.

„Sehen Sie? Ich habe es doch gesagt! Es waren tausend Dollar hier drin, und nun sind sie weg!“ Mit zitterndem Finger wies sie auf Hannah. „Sie hat sie genommen. Rufen Sie sofort die Polizei!“

Ryan war inzwischen näher herangekommen. Er stand am Fußende des Bettes und betrachtete Mrs. Matheson aufmerksam.

Misstrauisch musterte sie den großen, kräftigen Mann. „Sind Sie von der Polizei?“

Ryan zwinkerte Jennifer und Hannah unauffällig zu. „Ich habe gewisse Erfahrungen mit Handschellen, falls Sie das meinen.“

Hannah schloss kurz die Augen. Wie konnte es nur sein, dass Ryan mit diesem Benehmen immer durchkam? Warum hatte Doris Matheson nicht einfach noch eine Weile schlafen können?

„Verhaften Sie die Frau!“, verlangte die alte Dame gebieterisch.

„Dr. Jackson?“ Ryan sah Hannah herausfordernd an.

Gegen ihren Willen musste Hannah grinsen. Die Situation war einfach zu komisch.

„Sie hat mein Geld gestohlen.“

Ryan kam näher und lehnte sich lächelnd über Doris. Es war dieses Playboy-Lächeln, das er gewöhnlich für die Frauen reservierte, mit denen er gerade flirtete. Also im Grunde für alle Kolleginnen in der Klinik.

Abgesehen von Hannah.

Seine Stimme war tief und sexy. „Tatsächlich?“

Doris Matheson starrte ihn sprachlos an. Hannah hätte schwören können, dass sie mit den Wimpern klimperte und ihn genauso hingebungsvoll anschmachtete, wie es alle Frauen taten, denen Ryan seine Aufmerksamkeit schenkte.

„Wie heißen Sie, junger Mann?“

„Ryan Fisher, Ma’am.“

„Und Sie sind Polizist?“

„Nicht direkt.“ Ryans Stimme klang, als würde er nun ein großes Geheimnis enthüllen. „Ich bin Arzt.“

Er triefte förmlich vor Charme. Natürlich meinte er es nicht ernst, doch diesmal war Hannah nicht genervt von seinem Verhalten. Schließlich war nicht sie das Ziel seines oberflächlichen Flirts. Sie musste sich nicht gegen seine Avancen wappnen, indem sie sich in Erinnerung rief, welches Unheil Männer wie Ryan bei den Frauen anrichteten, die ihnen vertrauten. Im Augenblick entschärfte er lediglich eine Situation, die andernfalls sehr unangenehm werden könnte.

„Oh“, hauchte Doris. „Werden Sie mich nun behandeln?“

„Sie müssen geröntgt werden, Mrs. Matheson“, erklärte Hannah.

„Warum denn das?“

„Wir befürchten, dass Sie sich die Hüfte gebrochen haben.“

„Und wie habe ich das gemacht?“

„Sie sind gestürzt.“

„Bin ich?“ Fragend sah sie Ryan an.

„Ja.“ Hannah steckte ihr Stethoskop zurück in die Kitteltasche. „Und wir haben noch keine medizinische Erklärung dafür gefunden, weshalb Sie das Gleichgewicht verloren haben.“ Natürlich war Hannah sofort klar gewesen, welches Problem Mrs. Matheson hatte. Jeder, der sich in der unmittelbaren Nähe der Patientin aufhielt, konnte es riechen.

Mit gespielter Ernsthaftigkeit wandte Ryan sich wieder an Doris. „Haben Sie vielleicht ein kleines Gläschen getrunken, Mrs. Matheson?“

Die alte Dame kicherte. „Nennen Sie mich doch Doris, mein Lieber. Und, ja, ich trinke abends gern ein Schlückchen. Ich schlafe danach viel besser.“

„Das kann ich mir vorstellen, Doris.“ Ryan klang verständnisvoll. Fragend zog er die Augenbrauen hoch. „Aber manchmal kann man sich danach nicht mehr so gut erinnern, nicht wahr?“

„Ja, das stimmt.“ Doris sah ihn kokett an. „Stellen Sie sich vor: Einmal habe ich vergessen, wo das Badezimmer ist!“

„Und haben Sie vielleicht auch vergessen, wie viel Geld in Ihrem Portemonnaie war?“

„In meinem Portemonnaie ist niemals Geld, mein Lieber! Das wäre doch viel zu gefährlich. Es könnte gestohlen werden.“

„Ja, das könnte es.“ Er warf Hannah einen triumphierenden Blick zu, und sie gab sich Mühe, einigermaßen dankbar zu wirken.

„Ich bewahre mein Geld im Kühlschrank auf“, fuhr Doris eifrig fort. „In der Margarinedose.“

„Sehr vernünftig.“ Ryan trat zurück, als ein Pfleger in die Kabine kam. „Vielleicht sehen wir uns noch einmal, wenn Sie vom Röntgen zurück sind.“

„Oh, das hoffe ich sehr, mein Lieber.“

Abwehrend hob Hannah die Hand, nachdem die Patientin hinausgeschoben war. „Sag jetzt bloß nichts!“, warnte sie.

„Was soll ich nicht sagen?“, fragte Ryan unschuldig.

„Irgendetwas über böse Mädchen“, schlug Oberschwester Jennifer vor. „Oder über Verhaftungen. Und vor allem nichts über Handschellen.“

„Auch nicht, wenn sie aus Plüsch sind?“

Jennifer gab ihm einen Schubs. „Gehen Sie weg, und versuchen Sie, etwas Nützliches zu tun!“

Beide lachten, als Ryan den Raum verließ. Entspannt und glücklich über die erheiternde Abwechslung von der Arbeit. Jennifer konnte es sich ja auch erlauben, mit Ryan herumzualbern. Sie war glücklich verheiratet und hatte zwei wundervolle Kinder zu Hause, sodass bei ihr nicht die Gefahr bestand, auf ihn hereinzufallen.

Und auch Hannah war natürlich gegen seinen Charme gefeit. Sie kannte Männer wie Ryan Fisher zur Genüge. Toll aussehende, witzige Männer wie der Typ, der das Leben ihrer Mutter zerstört hatte, nachdem sie endlich über den Tod von Hannahs Vater hinweggekommen war. Ganz zu schweigen von dem Kerl, der vor gar nicht langer Zeit ihrer Schwester das Herz gebrochen hatte.

Für Hannah kamen nur nette, vertrauenswürdige und ernsthafte Männer infrage. Sie war immer überzeugt davon gewesen, dass sie gegen Herzensbrecher immun war.

Bis vor drei Monaten.

Denn da hatte sie Ryan Fisher getroffen.

Jennifer lächelte immer noch vor sich hin, während sie das EKG-Gerät wegräumte. „Ich kann es wirklich kaum glauben, dass du dir tatsächlich ein paar Tage frei nimmst“, erklärte sie Hannah. „Ich kann mich noch nicht einmal erinnern, dass du jemals auch nur einen Tag krank gewesen bist. Normalerweise bist du doch diejenige, die für Leute wie Ryan, die öfter nicht da sind, die Schichten übernimmt.“

Hannah blickte zum Empfangsbereich der Notaufnahme. Ryan – der König der freien Tage und aller anderen Dinge, die das Leben angenehmer machten – lehnte lässig am Tresen und unterhielt sich mit einer müde aussehenden Krankenschwester. Wahrscheinlich erzählte er ihr gerade einen seiner unvermeidlichen Blondinenwitze. Und tatsächlich: Nach wenigen Sekunden breitete sich ein Grinsen auf Maureens Lippen aus und vertrieb alle Anzeichen von Müdigkeit aus ihrem Gesicht.

„Ich überprüfe den Schockraum, solange es noch ruhig ist“, sagte Hannah zu Jennifer.

„Ich helfe dir.“ Die Information, dass Hannah Urlaub nehmen wollte, hatte Jennifer offensichtlich neugierig gemacht. „Und ich dachte immer, dass du deine Freizeit ausschließlich mit dem Lesen langweiliger Fachbücher verbringen würdest, wenn ich nicht gelegentlich mit dir ausgehen würde.“

Hannah überprüfte die Batterie des Laryngoskops. „Willst du damit sagen, dass ich kein richtiges Leben habe?“

„Deine Karriere scheint dir schon das Wichtigste zu sein.“

„Ich wollte immer Ärztin werden.“ Hannah legte das Instrument an seinen Platz. „Nun bin ich es, und es ist mir wichtig, meinen Job möglichst gut zu machen.“

„Aber du bist gut. Die Beste sogar!“

„Das werden wir noch sehen.“ Bedeutungsvoll sahen die beiden Frauen sich an. Schon seit Wochen wurde in der Abteilung darüber spekuliert, wer die begehrte Oberarztposition bekommen würde. Bevor Ryan aufgetaucht war, hatte es außer Hannah keinen ernst zu nehmenden Kandidaten gegeben. Hatte sie deshalb so ein schwieriges Verhältnis zu ihm?

„Wie auch immer …“ Jennifer sortierte neue Kanülen in die entsprechenden Boxen ein. „Du hast es doch nicht nötig, deine Fähigkeiten zu beweisen, indem du dein ganzes Leben hier in der Notaufnahme verbringst.“

Hannah musste zugeben, dass Jennifer recht hatte. Doch sie mochte ihren Job nun einmal. Lebensbedrohliche Notfälle zu behandeln und Verletzte zu retten erfüllte sie mit Freude und Befriedigung. Mehr Aufregung im Leben brauchte sie eigentlich nicht.

Jennifer betrachtete sie prüfend. „Ich meine ja nur, dass sich in deinem Leben nicht immer alles um die Arbeit drehen sollte.“

„Aber das ist doch genau der Grund, weshalb ich ein paar Tage frei genommen habe!“

„Okay!“ Jenny gab lächelnd auf. „Wohin fährst du?“

„Crocodile Creek. Das ist in Australien. Nördlichstes Queensland.“

„Oh. Hat es irgendetwas mit deiner Schwester zu tun?“

„Ja. Ich bin zu einer Hochzeit eingeladen.“

„Was? Susie heiratet?“

„Nein. Aber ich glaube, dass sie es sehr schön fände, wenn es ihre eigene Hochzeit wäre. Sie ist nur die Brautjungfer ihrer besten Freundin, Emily.“

„Kennst du Emily denn?“

„Nein.“

„Aber warum wurdest du dann zur Hochzeit eingeladen?“

„Tja …“ Hannah lehnte sich kurz an den Untersuchungstisch. Es kam nicht oft vor, dass sie bei der Arbeit so ungestört plaudern konnten. „Susie wusste nicht, mit wem sie auf die Hochzeit gehen sollte, und da wir uns seit Weihnachten nicht gesehen haben, hat sie mich gefragt.“

„Es ist doch erst März. Findest du nicht, dass es ein bisschen zu weit für einen Kurzbesuch ist? Von Auckland nach Cairns fliegt man doch mindestens sechs Stunden, oder?“

„Allerdings.“ Hannah stöhnte bei dem Gedanken. „Und dann geht es mit einem kleineren Flugzeug weiter von Cairns nach Crocodile Creek. Das dauert auch noch einmal mehrere Stunden.“

„Der Ort liegt dann wohl ziemlich weit im Norden.“

„Ja, fast am nördlichsten Punkt. Das Krankenhaus dort ist das medizinische Zentrum für ganz Nord-Queensland. Es liegt direkt an der Küste und scheint ein wunderbarer Platz zum Leben zu sein.“

„Bist du noch nie da gewesen?“

„Nein. Obwohl Susie schon genauso lange dort lebt, wie ich hier arbeite. Es ist wirklich höchste Zeit, dass ich nachsehe, wo meine kleine Schwester sich herumtreibt.“

„Ich dachte, ihr wärt Zwillinge?“

Während sie sich unterhielten, verließen die Krankenschwester und die Ärztin den nun aufgeräumten Schockraum. Vielleicht würden sie schon bald mit einem Notfall zurückkehren müssen.

„Susie ist vier Minuten jünger als ich.“

„Und sie ist Physiotherapeutin, nicht wahr?“

„Ja. Zuerst hat sie mit mir zusammen Medizin studiert, doch schon nach kurzer Zeit fand sie es grässlich. Der Druck war ihr zu groß.“

„Ihr scheint sehr verschieden zu sein.“

„Aber nur, was die Persönlichkeit betrifft. Äußerlich sind wir kaum voneinander zu unterscheiden. Wir sind eineiige Zwillinge.“

„Wow! Und habt ihr auch diese Zwillingsverbindung?“

„Was denn für eine Zwillingsverbindung?“

„Na du weißt schon: Wenn ein Zwilling sich den Fuß verstaucht – sagen wir in London – und der andere gleichzeitig hier in Auckland beim Einkaufen hinfällt.“

Lachend wehrte Hannah diese verrückte Vorstellung ab. Aber war es wirklich so abwegig? Warum verspürte sie das Bedürfnis, nach Crocodile Creek zu reisen? Natürlich vermisste sie ihre Schwester, die schon immer auch ihre beste Freundin gewesen war. Aber wenn sie ehrlich war, musste sie zugeben, dass sie sich schon seit Längerem Sorgen um Susie machte, ohne einen konkreten Grund dafür zu haben. Sie verspürte das Bedürfnis, sich selbst davon zu überzeugen, dass ihre Schwester glücklich war.

„Die Hochzeit wird sicher ein großer Spaß.“ Hannah hatte das Gefühl, sich dafür rechtfertigen zu müssen, Tausende von Meilen zu fliegen, um die Hochzeit von zwei Menschen zu feiern, die sie nie im Leben getroffen hatte. „Mike, der Bräutigam, ist Grieche, und seine Eltern haben ein Hotel gleich an der Bucht. Susie sagte, es wird die größte Hochzeit, die Crocodile Creek je gesehen hat.“

In diesem Augenblick fing das Funkgerät, das auf dem Tresen der Notaufnahme stand, an zu blinken. Schnell ging Hannah zum Mikrofon. „Notaufnahme. Was ist los?“

„Hier Rettungswagen Auckland vier – acht. Wir sind auf dem Weg zu euch. Es gab einen Massenunfall auf dem Highway. Der Hubschrauber ist gerade gelandet, um einen zweiten schwerverletzten Patienten aufzunehmen. Wir haben einen siebenjährigen, lebensgefährlich verletzten Jungen an Bord.“

„Welche Art von Verletzungen?“, fragte Hannah knapp.

„Schädel-Hirn-Trauma und schwere Gesichtsverletzungen. Er war nicht richtig angeschnallt.“

Dies war nicht der Zeitpunkt, um sich über die Nachlässigkeit von Eltern, die ihre Kinder nicht sicher beförderten, aufzuregen. Oder um sich zu fragen, warum ein Siebenjähriger um zwei Uhr morgens überhaupt unterwegs war.

„Vitalfunktionen?“

„Puls kaum tastbar, nicht ansprechbar.“

„Atemwege?“

„Nicht gesichert. Wegen der schweren Verletzungen im Gesicht haben wir es gerade so geschafft, einen Oropharyngialtubus zu legen, damit die Zunge nicht zurückfällt. Mehr konnten wir nicht tun.“

Der Junge musste umgehend intubiert werden. Die Sicherstellung der Beatmung hatte oberste Priorität bei einer schweren Kopfverletzung. Hannah spürte, wie ihr Adrenalinspiegel anstieg. Die Kollegen um sie herum hörten ebenfalls aufmerksam zu, und die Anspannung im Raum war förmlich greifbar. Auch Ryan war zu ihnen gekommen und blickte sie interessiert an.

Beschämt stellte Hannah fest, dass sie sich freute, als Erste am Funkgerät gewesen zu sein. Nun war es ihr Fall und nicht Ryans. Sie würde zeigen können, dass sie alle Voraussetzungen und Fähigkeiten für den neuen Oberarztposten besaß.

„Wie ist die Sauerstoffsättigung?“, erkundigte sie sich.

„84 Prozent.“

Das war viel zu niedrig. „Blutdruck?“

„130 zu 65. Vor zehn Minuten war er noch bei 110.“

Zu hoch für einen Siebenjährigen. Und der rasche Anstieg konnte ein Zeichen für steigenden Hirndruck sein.

„Herzfrequenz?“

„Auf 100 gesunken. Vorhin lag sie noch bei 130.“

Das war zu langsam. „Wann werdet ihr hier sein?“

„In ungefähr fünf Minuten.“

„Wir bereiten alles vor.“ Hannah sah, dass Ryan in den Schockraum ging, den sie kurz zuvor mit Jennifer aufgeräumt hatte. Natürlich würde sie seine Hilfe nicht ablehnen, aber sie würde es nicht zulassen, dass Ryan den Fall übernahm. Schließlich gab es noch ein zweites Opfer, das in Kürze eintreffen würde. Sie drückte noch einmal den Mikrofon-Knopf.

„Wisst ihr, wann der Hubschrauber hier eintreffen wird?“

„Negativ. Die Feuerwehr muss die Patientin erst aus dem Wagen schneiden.“

„Ist sie auch lebensgefährlich verletzt?“

„Ja. Ihr Brustkorb ist zertrümmert. Es ist übrigens die Mutter von unserem Patienten.“

Diesen Fall würde dann Ryan übernehmen. Schnell überlegte sie, was zu tun war.

„Piep bitte den Anästhesisten an“, bat sie Wayne, einen der Krankenpfleger. „Und natürlich den Neurochirurgen. Einen Kollegen aus der plastischen Chirurgie brauchen wir ebenfalls. Jenny, du kommst mit mir.“

Hannah war bereits auf dem Weg in den Schockraum. Ryan folgte ihr. „Die Atemwegssicherung könnte schwierig werden“, sagte er.

„Hm. Ich habe schon einen Anästhesisten rufen lassen. Mal sehen, wie es läuft.“ Der entschlossene Ausdruck, mit dem sie Ryan ansah, zeigte ihm deutlich, dass sie nicht vorhatte, sich die Leitung dieses Notfalls aus der Hand nehmen zu lassen. Mit einem kurzen Nicken ließ Ryan sie wissen, dass er ihre Botschaft verstanden hatte.

„Ich werde hierbleiben, bis die Mutter eintrifft“, erklärte er. „Nur für den Fall, dass du Unterstützung brauchst.“

„Danke.“ Hannahs Antwort war vollkommen ernst gemeint. Es ging hier um das Leben eines Kindes, und sie würde es niemals erlauben, dass ihre Professionalität unter persönlichen Unstimmigkeiten litt. Wenn sie der Meinung war, dass Ryan den Patienten besser versorgen konnte als sie selbst, würde sie ihm, ohne zu zögern, den Vortritt lassen.

Doch Ryan hatte sich schon abgewandt. Aufmerksam betrachtete er die Kollegen, die sich im Eingangsbereich der Notaufnahme eingefunden hatten. Eine stetig steigende Spannung lag in der Luft. Die wenigen Minuten, bevor ein angekündigter Notfall tatsächlich eintraf, waren eine eigenartige Zeit. Wie die Ruhe vor einem Sturm mit unbekannter Stärke. Alle Geräte waren einsatzbereit, das Rettungsteam trug bereits sterile Handschuhe und OP-Kleidung. Jetzt konnte man nichts anderes mehr tun als warten.

Auch Hannah hatte ihre Handschuhe übergestreift und schob nervös die Beatmungsmasken auf dem Edelstahltisch hin und her. Die meisten Kollegen standen einfach nur herum. Wartend. Es gab nichts Sinnvolles zu tun. Alle starrten auf die große Flügeltür, durch die in wenigen Augenblicken der Patient hereingebracht werden würde.

In Situationen wie dieser vermieden sie es, über die Verletzungen zu sprechen, um sich ihre Objektivität zu bewahren. Auch Unterhaltungen über andere Themen waren unüblich, da sie die Konzentration stören würden. Meist wurde über Belanglosigkeiten geplaudert, um die Anspannung ein wenig zu mildern.

Wenn Ryan dabei war, konnte man sich darauf verlassen, dass er einen Witz erzählen würde, über den die Kollegen meist herzhaft lachten.

Alle außer Hannah. Sie lachte aus Prinzip niemals über Ryans Witze, denn üblicherweise ging es dabei um Blondinen. Und ihr Haar war hellblond.

Auch jetzt gab er einen seiner Witze zum Besten.

„Kennt ihr den mit der Blondine in Geldnot? Also: Cindy, eine Blondine, ist pleite. Verzweifelt betet sie: Bitte, lieber Gott, lass mich im Lotto gewinnen. Ich muss sonst mein Auto und mein Haus verkaufen.“

Alle hingen gebannt an Ryans Lippen. Außer Hannah natürlich. Sie überprüfte noch einmal, ob alle Instrumente an ihrem Platz lagen. Es war auch gar nicht nötig, dass sie zu Ryan blickte, denn sie wusste genau, wie er in diesem Moment aussah. Er würde locker und entspannt – mit einem ironischen Lächeln auf den Lippen – am Empfangstresen lehnen und mit einem Augenzwinkern die Pointe ankündigen. Selbst wenn der Witz überhaupt nicht komisch war, würden alle lachen. Irgendwie schaffte Ryan es immer, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Und er war beliebt. Sehr beliebt sogar.

Hannah presste ihre Lippen zusammen, während sie noch einmal das Beatmungsgerät inspizierte. Ryan war ihr nicht nur als konkurrierender Kollege ein Dorn im Auge. Viel mehr störte es Hannah, dass sie sich – genau wie alle anderen Frauen in der Abteilung – zu ihm hingezogen fühlte, seitdem er vor drei Monaten im Krankenhaus angefangen hatte. Warum war er nicht einfach in Sydney geblieben?

Es hatte sie wirklich kalt erwischt. Er war der Inbegriff eines Männertyps, dem sie bisher konsequent und erfolgreich aus dem Weg gegangen war. Sie verabscheute Kerle wie ihn, denn sie hatte nur zu deutlich miterlebt, welchen Schaden sie bei ihrer Mutter und ihrer Schwester angerichtet hatten. Vermutlich war sie die erste Frau, die sich nicht von Ryans Charme einwickeln ließ. Versuchte er deshalb so beharrlich, ihre Aufmerksamkeit zu erregen? Betrachtete er sie als eine besondere Herausforderung?

„Woche um Woche verstreicht, doch Cindy gewinnt nicht“, fuhr Ryan fort. „Wieder einmal fleht sie auf Knien um Hilfe, und diesmal antwortet Gott ihr auch: ‚Cindy‘, sagt er, ‚ein wenig musst du mir schon helfen. Kauf dir endlich ein Los!‘“

Natürlich bogen sich alle vor Lachen. Allerdings nur für einige Sekunden, denn plötzlich war das näher kommende Geräusch der Rettungswagen-Sirenen zu hören. Kurz darauf wurde die Trage mit dem Verletzten hereingeschoben.

Autor

Alison Roberts
<p>Alison wurde in Dunedin, Neuseeland, geboren. Doch die Schule besuchte sie in London, weil ihr Vater, ein Arzt, aus beruflichen Gründen nach England ging. Später zogen sie nach Washington. Nach längerer Zeit im Ausland kehrte die Familie zurück nach Dunedin, wo Alison dann zur Grundschullehrerin ausgebildet wurde. Sie fand eine...
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Alison Roberts
<p>Alison wurde in Dunedin, Neuseeland, geboren. Doch die Schule besuchte sie in London, weil ihr Vater, ein Arzt, aus beruflichen Gründen nach England ging. Später zogen sie nach Washington. Nach längerer Zeit im Ausland kehrte die Familie zurück nach Dunedin, wo Alison dann zur Grundschullehrerin ausgebildet wurde. Sie fand eine...
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