Ein Streit, ein Kuss und ganz viel Liebe

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Oft wünscht Gemini, sie hätte es nicht getan: Um ihrem damaligen Freund Danny eins auszuwischen, der sie mit ihrer Schwester betrogen hat, sagte sie Ja, als Dannys Bruder Fletcher ihr einen Heiratsantrag machte. Und obwohl sie sich sehr gut vertragen, ist von Liebe oder sogar von Leidenschaft in ihrer Ehe keine Rede. Dabei hat Gemini längst erkannt, dass Fletcher die richtige Wahl war. Bloß wie soll sie es ihm sagen? Insgeheim ist sie davon überzeugt, dass er noch immer ihre Schwester Jemima liebt. Als dann eines Tages deren Baby bei ihnen abgegeben wird, weil Jemima dringend verreisen muss, werden Geminis Zweifel fast unerträglich: Die kleine Jessica hat grüne Augen - genau wie Fletcher ...


  • Erscheinungstag 03.11.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733759698
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Ein Baby! Auf ihrer Türschwelle! Nein, das konnte nicht sein. Hier musste ein Irrtum vorliegen.

Gemini starrte die junge Frau an, die neben der Babytrage stand. Warum hatte Mrs. James ausgerechnet heute ihren freien Tag? Sie wäre spielend mit dem Problem fertig geworden, ohne jemanden zu belästigen.

Gemini schüttelte den Kopf, ihr schulterlanges dunkles Haar schwang anmutig hin und her. „Ich habe nie an den Klapperstorch geglaubt“, sagte sie vorsichtig. „So ungern ich Sie auch enttäusche, dies muss ein Irrtum sein.“

„Keineswegs“, versicherte die Frau ungerührt. „Jemima hat mir genau erklärt, wie ich herkomme und wo ich das Baby lassen soll. Nachdem ich Sie gesehen habe, ist ohnehin kein Zweifel mehr möglich.“ Sie lachte. „Sie beide sind sich ja zum Verwechseln ähnlich!“

Die Erwähnung ihrer Zwillingsschwester genügte, um Gemini in Abwehrstellung zu bringen. Jemima und sie mochten gleich aussehen, aber damit endete auch die Gemeinsamkeit! Allerdings … Wenn ihre Schwester hinter diesem Besuch steckte, kam sie nicht umhin, die Frau anzuhören.

Sie trat zur Seite und machte die Tür weiter auf. „Würden Sie bitte hereinkommen? Mit dem Baby natürlich.“ Ob es ein Junge oder ein Mädchen war? Nun, das interessierte sie wenig und änderte nichts an der Situation.

„Ich bin Janey Reynolds, Jessicas Kindermädchen“, erläuterte die Frau, während sie den weich ausgelegten Korridor entlanggingen. Im Wohnzimmer angekommen, stellte sie die Babytrage auf die Couch und musterte neugierig die elegante Umgebung.

„Gemini Stone“, stellte sich Gemini vor und betrachtete die Babytrage, als wäre sie ein Ding aus einer anderen Welt. Irgendwie stimmte das ja auch. Sie selbst hatte keine Kinder, und die ihrer Schwester gingen sie nichts an.

Ob sich jemand einen Scherz mit ihr erlaubte? Nein, es war Juni und nicht April, und keiner ihrer Freunde würde ein unschuldiges Baby für einen dummen Streich missbrauchen.

Aber gab es überhaupt ein Baby? Sie beugte sich über die Babywippe und sah misstrauisch hinein.

„Süß, nicht wahr?“, fragte Janey stolz.

Für Gemini sah das Baby wie jedes andere aus: sehr rosig, sehr runzlig, mit wenig dunklem Haar und, wenigstens im Moment, fest geschlossenen Augen. Jessica schlief.

Gemini sah Janey prüfend an. „Sie behaupten also, für meine Schwester zu arbeiten?“

Janey war etwa Anfang zwanzig, hatte ein nettes, offenes Gesicht und vereinzelt Sommersprossen und rotblondes, aus der Stirn zurückgekämmtes Haar. Sie trug Jeans und T-Shirt, eine bei ihrer zierlichen Figur vorteilhafte und für die Babypflege geeignete Kombination, was man von Geminis selbst entworfenem kobaltblauen Seidenanzug nicht behaupten konnte.

„Als Jessicas Kindermädchen“, bestätigte Janey und runzelte die Stirn. „Es wundert mich, dass Jemima das nicht erwähnt hat.“

Da Gemini ihre Schwester über ein Jahr nicht gesehen hatte und das Baby nur wenige Wochen alt sein konnte, wunderte sie sich nicht. Wenn sie richtig rechnete, war Jemima bei ihrer letzten Begegnung noch nicht einmal schwanger gewesen. Was zu der Frage führte … wer war der Vater?

Gemini wies auf die Couch. „Machen Sie es sich bequem“, forderte sie Janey auf und setzte sich in den Sessel gegenüber. „Arbeiten Sie schon lange für meine Schwester?“

Janey schüttelte den Kopf. „Erst seit ihrer Entlassung aus der Klinik. Das ist jetzt sechs Wochen her.“

„Ich verstehe“, sagte Gemini, obwohl sie weiter im Dunkeln tappte.

Jemima hatte also vor sechs Wochen ein Kind zur Welt gebracht, und ihre Schwester hatte so wenig davon erfahren wie von ihrer Schwangerschaft. Zugegeben, die Kinderjahre, in denen sie seelisch eng verbunden gewesen waren, lagen weit zurück, aber hätte sie nicht trotzdem etwas spüren müssen?

Das fröhliche Lachen war inzwischen von Janeys Gesicht verschwunden. „Jemima ist in den Vereinigten Staaten aufgehalten worden“, berichtete sie, „zumindest über das Wochenende. Hat sie Sie wirklich nicht angerufen?“

„Mich angerufen?“ Gemini schüttelte den Kopf. Sie hatte Jemima über ein Jahr weder gesehen noch gesprochen. Aber woher sollte Janey das wissen? Typisch Jemima, die Entfremdung zwischen ihnen zu verschweigen!

„Um Sie zu bitten, sich bis zu ihrer Rückkehr um Jessica zu kümmern. Sehen Sie …“

„Wie bitte?“ Gemini war mit einem Sprung auf den Beinen. Groß und schlank stand sie da, mit der typischen Figur eines Models, bei dem jedes Kleid perfekt zur Wirkung kam. Aber Gemini führte keine Kleider vor – sie entwarf sie. „GemStone“ begann sich in der Modewelt einen Namen zu machen, und Gemini war selbst ihr bestes Aushängeschild. Ihre elegante Erscheinung kam bei der Presse so gut an wie jede neue Kollektion.

Diese kühle Eleganz war jetzt allerdings etwas beeinträchtigt, wie immer, wenn ihre Schwester im Spiel war.

„Sie haben Jemima bestimmt falsch verstanden“, sagte sie betont höflich. Es ging nicht an, vor diesem fremden jungen Ding in Panik auszubrechen. Wenn sie in der Lage war, in jeder Saison eine neue Kollektion herauszubringen, musste ein so nebensächliches Problem rasch zu lösen sein.

„Das glaube ich nicht“, beharrte Janey. „Wie gesagt, Jemima ist in den Staaten aufgehalten worden und …“

„So weit konnte ich Ihnen folgen“, unterbrach Gemini ihre unerwünschte Besucherin. „Ich verstehe nur nicht, was das mit mir zu tun hat. Haben Sie nicht gerade gesagt, dass Sie Jessicas Kindermädchen sind?“

„Oh ja, das stimmt.“ Janey begann unruhig zu werden. „Aber morgen ist mein Hochzeitstag, deshalb kann ich nicht länger bei Jessica bleiben. Ihre Schwester hat mir versichert, dass es Ihnen nichts ausmachen würde, sich einige Tage um die Kleine zu kümmern.“

„Jemima hat gemeint, dass es ihr nichts ausmachen würde“, verbesserte Gemini kühl. „Mir dagegen …“ Sie hatte nicht die leiseste Ahnung von Babys und war keineswegs gewillt, Jemima die Verantwortung für ihr eigenes Leben abzunehmen. „Haben Sie eine Telefonnummer, unter der man meine Schwester erreichen kann? Dann lässt sich das ganze Problem sicher im Handumdrehen lösen.“

Welche Ausreden Jemima auch erfinden mochte … Gemini würde darauf bestehen, dass sie zurückkam und sich um ihre Tochter kümmerte!

Janey schüttelte den Kopf. „Sie ist hinter einer bestimmten Geschichte her und ruft meist selbst an.“

Meist?, dachte Gemini. Wie oft das wohl sein mag. In ihrem Beruf kannte Jemima keine Nachlässigkeit. Um einen Exklusivbericht zu bekommen, war ihr alles recht. Das galt übrigens auch in anderer Hinsicht, wie Gemini aus eigener trauriger Erfahrung wusste.

„Wie lange hält sich meine Schwester schon in Amerika auf?“, erkundigte sie sich.

„Fast eine Woche“, gab Janey zögernd zu.

„Eine Woche?“ Jessica war erst gut einen Monat alt! „Und Sie haben keine Möglichkeit, sie zu erreichen? Morgen ist Ihr Hochzeitstag, da haben Sie verständlicherweise keine Lust, sich weiter um das Baby zu kümmern …“ Gemini ließ den Satz in der Schwebe und sah Janey erwartungsvoll an.

„Wir machen eine zweiwöchige Hochzeitsreise nach Barbados“, antwortete Janey, die einzusehen begann, wie überraschend das alles für Gemini kam.

Trotz ihrer neunundzwanzig Jahre hatte Gemini nie den Wunsch verspürt, Kinder zu haben. Sie sah sich ausschließlich als Karrierefrau, ihre Entwürfe waren die einzigen „Kinder“, an denen ihr etwas lag. Jedenfalls bis heute. Jetzt sah es so aus, als müsste sie ihr Interesse auf ihre sechs Wochen alte Nichte Jessica ausdehnen, ob ihr das nun gefiel oder nicht.

Zur Hölle mit Jemima! Und zur Hölle mit Fletcher, der über diese ganze unmögliche Geschichte in helle Wut geraten würde. Wenn er sich an diesem Wochenende allerdings wieder nicht blicken ließ … Das tat er seit Monaten nicht, und diesmal würde es ihr sogar recht sein. Dann würde er weder merken, dass ein Baby im Haus gewesen war, noch dass es Jemimas Baby war.

Natürlich würde sich Gemini nicht persönlich um Jessica kümmern. Sie wusste nichts über Babys, jedenfalls nicht genug, um die Pflege selbst zu übernehmen.

„Könnte man nicht eine Aushilfe engagieren, bis Jemima zurückkommt?“, fragte sie.

Janey verzog das Gesicht. „Freitagabend um sechs Uhr? Das dürfte hoffnungslos sein. Mir tut das alles aufrichtig leid, Miss Stone, aber glauben Sie mir …“

Gemini hob abwehrend die Hände. „Bitte, Miss Reynolds. Ich bin mir völlig darüber im Klaren, dass Sie keine Schuld trifft. Sicher haben Sie es eilig, deshalb holen Sie in Gottes Namen Jessicas übrige Sachen herein.“

Janey stand auf und ging zögernd zur Tür. „Jessica muss in wenigen Minuten gefüttert werden. Möchten Sie, dass ich so lange bleibe und Ihnen zeige, welches die richtige Mischung ist und wie sie die Flasche bekommt?“

Gemini nickte erleichtert. Was, um alles in der Welt, hatte eine fanatische Reporterin wie Jemima dazu veranlasst, ein Kind zu bekommen? Zugegeben, als kleines Mädchen hatte sie mehr mit Puppen gespielt, während Gemini draußen herumgestreift und mit den Nachbarsjungen auf Bäume geklettert war, aber Jessicas Geburt schien doch eine Störung von Jemimas wohldurchdachter Karriere zu sein.

Gemini war dankbar, dass Janey sich trotz der bevorstehenden Hochzeit die Muße nahm, ihr die Grundregeln der Babypflege zu erklären und anschaulich vorzuführen.

„Soll ich Ihnen für alle Fälle meine Telefonnummer dalassen?“, fragte sie, nachdem sie Jessica gefüttert, frisch gewindelt und wieder zum Schlafen hingelegt hatte. Offenbar fürchtete sie um das Wohlergehen ihres Schützlings – ein rührender Zug, wenn man an die leibliche Mutter dachte!

„Das wäre sehr freundlich“, erklärte Gemini, schrieb die Nummer auf einen Zettel und legte ihn neben das Telefon. Sie würde das Wochenende dazu benutzen, sich eine passende Strafe für Jemima auszudenken. So übel hatte sie ihr noch nie mitgespielt! „Allerdings bin ich ziemlich sicher, dass ich ohne Ihre Hilfe zurechtkommen werde.“

Vier Stunden später war sich Gemini in dieser Hinsicht nicht mehr so sicher. Beim Zusehen hatte alles verhältnismäßig einfach gewirkt, aber die Praxis erwies sich als tückisch.

Zunächst kam Gemini nicht dahinter, wie sie Jessica gleichzeitig halten und füttern sollte. Dann wollte die Windel nicht richtig sitzen, sodass Gemini sie schließlich an Jessicas Leibchen befestigte.

Zu guter Letzt, nach über einer Stunde – Janey hatte nur einen Bruchteil davon gebraucht –, lag Jessica gefüttert und frisch gewindelt wieder in ihrer Babywippe. Gemini konnte sich anderen Aufgaben zuwenden und endlich erschöpft schlafen gehen.

Doch es sollte keine friedliche Nacht werden. Sobald Gemini eingeschlafen war, wurde sie durch leises Wimmern aus dem Nebenzimmer geweckt. Das Wimmern steigerte sich, und bevor sie ganz zu sich gekommen war, hatte es eine unerträgliche Lautstärke angenommen.

Wie hielten junge Mütter das wochen- ja monatelang aus?, fragte sich Gemini, während sie mit der einen Hand Jessica hielt und mit der anderen die Flasche wärmte. Nicht, dass diese sichtbaren Vorbereitungen das Schreien eingedämmt hätten. Es gellte immer lauter durch die Küche und hallte in Geminis gequältem Kopf wider.

Endlich war die Milch warm. Gemini setzte sich erleichtert an den Küchentisch, nahm Jessica bequemer in den Arm und gab ihr die Flasche. Leider wollte Jessica nicht trinken. Sie schob sie mit ihrer kleinen rosa Zunge immer wieder weg und fuhr mit ihrem ohrenbetäubenden Geschrei fort.

Die andauernde akustische Belästigung setzte Geminis Nerven zu. Was sollte sie tun? Fast hätte sie Janey Reynolds angerufen, um sich Rat zu holen, aber ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass man um ein Uhr früh niemanden anrufen konnte. Schon gar nicht jemanden, der am nächsten Tag heiraten wollte.

Ein Uhr?

Janey hatte gesagt, dass Jessica alle vier Stunden gefüttert werden müsse, und seit ihrer letzten Mahlzeit waren erst drei Stunden vergangen. Warum hatte sie dann angefangen zu weinen? War sie vielleicht krank? Hatte sie Fieber? Gab es …

„Was, zum Teufel, ist hier los?“

Gemini drehte sich erschrocken um und sah ihren Mann in der offenen Tür stehen. Ausgerechnet jetzt, wo sie sich in so großer Verlegenheit befand und sicher nicht zum Besten aussah!

Wann war Fletcher zurückgekommen? Offenbar schon vor Stunden, denn sein dunkles Haar war vom Schlafen zerdrückt, und unter dem schwarzen, locker zugebundenen Seidenmantel schien er nackt zu sein.

Gemini hatte sich nicht die Zeit genommen, einen Morgenmantel überzustreifen, und ihren hellgrauen Pyjama hatte Jessica mit Milch voll gespuckt. Hatte sie wirklich geglaubt, ihre vorübergehende Anwesenheit vor Fletcher geheim halten zu können?

Sie stand auf, ohne das schreiende Baby loszulassen. „Was hier los ist?“, wiederholte sie gereizt. „Drei Mal darfst du raten.“

Fletcher blinzelte, dann kniff er die grünen Augen zusammen. „Was du da auf dem Arm trägst, sieht wie ein Baby aus, aber das muss ein böser Traum sein. Wir haben kein Baby.“

Da Gemini und Fletcher seit ihrer Hochzeit vor gut einem Jahr getrennte Schlafzimmer benutzten, war diese Feststellung nur logisch. Ihre Ehe ließ sich am besten als geschäftliche Abmachung bezeichnen, aus der sie beide Vorteile zogen. Jedenfalls hatte es vor einem Jahr so ausgesehen. Inzwischen war ihnen diese Abmachung eher lästig geworden, wenn auch aus verschiedenen Gründen.

„Eine scharfsinnige Feststellung“, sagte Gemini mit kaum verhohlenem Spott. „Allerdings hilft sie uns nicht, Jessica zur Ruhe zu bringen.“ Halb vorwurfsvoll fügte sie hinzu: „Ich hatte dich noch nicht zurückerwartet.“

„Meine Geschäfte waren rasch erledigt.“ Fletcher kam in seiner lässig-geschmeidigen Art näher, nahm Gemini das Baby ab und betrachtete sein winziges Gesicht. „Was ist los, Jessica?“, fragte er dabei leise. „Wir können dir nicht helfen, wenn du …“ Er unterbrach sich und sah Gemini fragend an. „Hast du die Windel gewechselt?“

Gemini beobachtete fasziniert, wie ihr großer, meist herrisch und überheblich wirkender Mann mit der kleinen Jessica durch die Küche ging. Er war der attraktivste und anziehendste Mann, den sie kannte, aber das war ihr bei ihrer Hochzeit kaum bewusst gewesen. Inzwischen hatte sich das geändert. Die starke Sinnlichkeit, die Fletcher ausstrahlte, ließ sie das Entscheidende in ihrer Ehe immer mehr vermissen.

„Nun?“, fragte er ungeduldig, als keine Antwort kam.

Der arrogante Ton reizte Gemini aufs Neue. „Janey hat mir geraten, die Windel erst nach dem Füttern zu wechseln.“

„Und diese Janey – wer immer sie sein mag – weiß natürlich genau Bescheid. Da spielt es keine Rolle, dass Jessica längst völlig durchnässt ist.“ Fletcher nahm das Tragetuch ab, in dem Gemini das Baby gehalten hatte, und zeigte auf den durchnässten Schlafanzug.

Gemini errötete vor Verlegenheit. Sie hasste es, einer Situation nicht gewachsen zu sein, besonders wenn Fletcher dabei war. Sie zog Jessica aus und stellte zu ihrem Ärger fest, dass die Windel beim Schlafen verrutscht und beinahe trocken war, während der Schlafanzug alle Flüssigkeit aufgesaugt hatte. Und die ganze Zeit stand Fletcher neben ihr und beobachtete sie aus schmalen grünen Augen. Nein, das würde sie Jemima nie vergeben!

„Komm, lass mich das machen.“ Fletcher war es leid, Geminis vergeblichen Wickelversuchen zuzusehen, und nahm die Sache selbst in die Hand – mit fast perfektem Ergebnis, wie Gemini wütend feststellte. Gab es denn gar nichts auf dieser Welt, das Fletcher nicht konnte?

„Wann hast du gelernt, Babys zu betreuen?“, fragte sie und sah neidisch zu, wie er Jessica einen trockenen Anzug überstreifte. Sie hatte inzwischen aufgehört zu weinen und war Sekunden später in seinen Armen eingeschlafen.

„Ich habe nur meinen gesunden Menschenverstand benutzt“, antwortete Fletcher gleichgültig. „Und vergiss nicht … ich bin zehn Jahre älter als Danny. Als Kind hat es mir Spaß gemacht, ihn mit zu betreuen.“

Die Erwähnung von Fletchers jüngerem Bruder irritierte Gemini, denn seit ihrer Hochzeit vermieden sie es in stillschweigendem Einverständnis, Danny oder Jemima zu erwähnen. Der Grund dafür war einfach: über beide gab es nichts mehr zu sagen. Dass Fletcher jetzt von seinem Bruder sprach, war ungewöhnlich, aber es erleichterte ihr die nächste Bemerkung.

„Jessica ist Jemimas Tochter“, erklärte sie und wartete gespannt auf Fletchers Reaktion.

Es kam keine – jedenfalls keine erkennbare. Doch das durfte sie bei Fletcher nicht wundern. Dabei spürte Gemini, dass ihn in diesem Augenblick etwas heftig bewegte. Es musste einfach so sein. Hätte Jemima damals in ihrer Selbstsucht nicht alles zerstört, hätte Fletcher Jessicas Vater sein können!

„Ich schlage vor, dass wir das Baby wieder hinlegen“, sagte er rau. „Anschließend kannst du mir erklären, was das alles zu bedeuten hat.“

Gemini konnte sich gut in Fletcher hineinversetzen. Vor fünfzehn Monaten war er mit Jemima verlobt gewesen, aber das hatte sie nicht daran gehindert, sich nach anderen Männern umzusehen.

„Sollten wir Jessica nicht vorher zu trinken geben?“

„Jetzt nicht“, entschied Fletcher. „Sie schläft fest.“

Er trug Jessica in ihr Zimmer hinauf, legte sie in die Babywippe und deckte sie mit Geminis Hilfe zu. Als wären wir die zärtlichsten und liebevollsten Eltern, dachte Gemini verwirrt. Dabei werden wir das niemals sein. Nicht, solange unsere Ehe nur ein leerer Schein ist.

„Ich glaube, ich brauche jetzt einen Brandy“, erklärte Fletcher, als das Baby endlich versorgt war.

„Ich hole nur rasch meinen Morgenmantel.“ Gemini hatte wenig Lust, sich noch länger in ihrem von Milchflecken übersäten Pyjama zu zeigen.

Fletcher musterte sie spöttisch. „Ich habe Frauen schon freizügiger gesehen, Gemini.“

„Mich nicht“, antwortete sie und strich sich mit einer heftigen Bewegung das Haar aus der Stirn.

„Das stimmt“, gab er zu, „aber du bist trotzdem meine Frau.“

Daran musste Gemini nicht erinnert werden. Auch nicht daran, dass Fletcher vor ihr andere Frauen gekannt hatte. Und jetzt? In den ersten Monaten ihrer Ehe hatte sie kaum darüber nachgedacht, aber inzwischen fragte sie sich immer häufiger, wie sein Privatleben aussah. Natürlich führten diese Fragen zu nichts. Sie quälte sich nur, wenn sie nachts wach lag und darüber nachgrübelte, ob Fletcher wirklich geschäftlich unterwegs war oder aus anderen Gründen tagelang von zu Hause fortblieb. Er war ein äußerst attraktiver Mann, und es wäre vermessen gewesen, ihn sich enthaltsam vorzustellen.

Fletcher hatte zwei Gläser gefüllt, als Gemini ins Wohnzimmer herunterkam. Das Gasfeuer im Kamin hätte gemütlich wirken können, wenn die Atmosphäre zwischen ihnen nicht so angespannt gewesen wäre.

„Also wieder einmal Jemima“, begann Fletcher grimmig, „und diesmal hat sie auch noch ihr Baby bei dir abgeladen.“

„Nicht ganz.“ Gemini nippte dankbar an ihrem Brandy. Sie hätte sich denken können, dass Fletcher gleich zur Sache kommen würde! „Sie hat Jessica nicht selbst hergebracht. Du musst verstehen …“

„Ich verstehe gar nichts“, unterbrach er sie heftig, „aber das ist immer so, wenn es um deine verantwortungslose Schwester geht.“

Gemini machte keinen Versuch, ihre Schwester zu verteidigen. Sie waren so grundverschieden, dass ihr das schwergefallen wäre. Jemima jagte durch die Welt, immer auf der Suche nach der neuesten Sensation, und hielt sich selten länger als einige Tage an demselben Ort auf. Gemini hatte London nie verlassen und hart und zielstrebig daran gearbeitet, sich in der Modewelt einen Namen zu machen.

Nein, sie hatte kein Verständnis für Jemimas Sucht nach Abwechslung und Sensationen, aber dennoch war sie ihre Zwillingsschwester. Mit Zwillingen war das so eine Sache …

„Jemima ist in Amerika“, fuhr sie fort. „Das Kindermädchen, das sie für Jessica engagiert hat, heiratet morgen und kann sich daher vorübergehend nicht um das Baby kümmern.“

„Ein einleuchtender Grund“, gab Fletcher höhnisch zu.

Gemini nahm sich zusammen, denn sein Zorn war mehr als gerechtfertigt. Jemima würde einiges zu hören bekommen, wenn sie zurückkam. Und wenn nicht … Nein, so weit würde auch Jemima nicht gehen.

„Das Kindermädchen hat mir versichert, dass Jemima Montag zurückkommt“, erklärte Gemini mit mehr Hoffnung als Überzeugung. Wenn Jemima bis dahin nicht ihre Story hatte, konnte niemand genau sagen, wann sie zurückkam.

„Und bis dahin darfst du dich um das Baby zu kümmern.“

„Zugegeben, das Ganze passt mir nicht …“

„Passt dir nicht?“, wiederholte Fletcher und schüttelte fassungslos den Kopf. „Bedenkt man, dass ihr über ein Jahr nicht miteinander gesprochen habt, ist die Situation einfach unmöglich! Doch was sage ich … bei deiner Schwester gibt es dieses Wort nicht.“

Er hängt immer noch an ihr, dachte Gemini traurig. Vor fast fünfzehn Monaten hatte Jemima ihre Verlobung mit Fletcher leichtfertig gelöst, aber seine Verbitterung zeigte deutlich, dass diese Kränkung keineswegs vergessen war. Weder vergessen noch vergeben.

Und warum auch? Schließlich waren sie und Fletcher aus diesem Grund heute miteinander verheiratet …

2. KAPITEL

Fletchers und Jemimas Romanze kam so unerwartet, dass beide erst bei dem festlichen Verlobungsessen ihren gegenseitigen Familien vorgestellt wurden. Eltern gab es weder hier noch dort, und so bildeten Gemini auf Jemimas und Danny auf Fletchers Seite den spärlichen Rest der Verwandtschaft.

Gemini misstraute der plötzlich entbrannten Leidenschaft und hielt sie für eine von Jemimas überstürzten – und meist in einer Katastrophe endenden – Launen. Doch zu ihrer Überraschung erwies sich Fletcher Drummond als ein Mann, wie man sich ihn nur wünschen konnte: er war wohlhabend, sah sehr gut aus und verfügte über die natürliche Autorität, die jeden, der ihm nahe stand, schützte. Jemima, zehn Jahre jünger als ihr Verlobter, war das absolute Gegenteil: Sie sprühte vor Fröhlichkeit und Lebenslust, liebte die Abwechslung und sehnte sich nach Abenteuern.

Das Verlobungsessen verlief in gelöster Stimmung. Danny Drummond, Fletchers zehn Jahre jüngerer Bruder, war gelernter Naturfotograf und arbeitete freiberuflich für mehrere bekannte Zeitschriften. Er ähnelte seinem Bruder kaum, war knapp ein Meter achtzig groß und hatte langes blondes Haar und lustige braune Augen.

Was ihnen an diesem ersten gemeinsamen Abend hätte auffallen müssen, war, dass Danny ebenfalls vor Lebenslust sprühte, dass er wie Jemima die Abwechslung liebte und sich genauso nach Abenteuern sehnte.

Gemini geriet sofort in seinen Bann. Die spannenden Geschichten über seine Fotosafaris in Afrika faszinierten sie, und der Tag endete damit, dass sie sich bereitwillig für den nächsten Abend in ein Restaurant einladen ließ.

Es folgte ein Monat, wie Gemini ihn nie zuvor erlebt hatte. Danny war durch und durch unkonventionell, und dasselbe ließ sich von ihren Begegnungen sagen. Er kam immer überraschend und unangemeldet. Einmal entführte er sie kurzerhand übers Wochenende auf eine schottische Insel, nur um dort Vogelaufnahmen zu machen.

Gemini war völlig aus der Bahn geworfen. Danny brauchte nur aufzutauchen, und ihr eigenes Leben und ihre Karriere existierten nicht mehr. Bis zu dem Tag, an dem sie Danny in seinem Apartment besucht und Jemima bei ihm entdeckt hatte …

Gemini sah zu Fletcher hinüber, der mit seinem Glas am Kamin stand. Wie betroffen waren sie beide gewesen, wie gedemütigt hatten sie sich gefühlt, als herausgekommen war, dass ihre Geschwister heimlich eine Affäre miteinander hatten!

„Ich hätte es wissen müssen“, sagte Fletcher mehr zu sich selbst.

Gemini runzelte die Stirn. „Was hättest du wissen müssen?“

„Jemima hat mich heute angerufen …“

„Wie bitte?“, fuhr Gemini auf. Soviel sie wusste, sprachen Jemima und Fletcher nicht mehr miteinander, und jetzt hatte sie ihn plötzlich angerufen?

„Über mein Handy. Offenbar hatte sie es vorher hier versucht und keinen Anschluss bekommen.“

„Ich war unterwegs.“ Gemini konnte es immer noch nicht fassen. Jemima hatte Fletcher angerufen. Zum ersten Mal in diesem Jahr, oder war es schon öfter vorgekommen?

„Und Mrs. James hatte passenderweise ihren freien Tag.“ Fletcher seufzte. „Jemima fragte, ob wir an diesem Wochenende zu Hause sein würden. Wie sollte ich ahnen, dass sie uns ihr Baby aufhalsen wollte?“

Geminis Gefühle waren gemischt. Immerhin hatte Jemima einen Rest von Verantwortungsgefühl bewiesen und sich vergewissert, dass jemand da war, bevor sie Jessica herbringen ließ! Aber was bedeutete der Anruf noch? Gemini war zwar mit Fletcher verheiratet, aber ihr Verhältnis erlaubte es nicht, ihn danach zu fragen.

„So neugierig es auch klingen mag“, fuhr Fletcher in dem zynischen Ton fort, der seit Dannys und Jemimas Betrug typisch für ihn war. „Wer ist Jessicas Vater?“

Autor

Carole Mortimer
Zu den produktivsten und bekanntesten Autoren von Romanzen zählt die Britin Carole Mortimer. Im Alter von 18 Jahren veröffentlichte sie ihren ersten Liebesroman, inzwischen gibt es über 150 Romane von der Autorin. Der Stil der Autorin ist unverkennbar, er zeichnet sich durch brillante Charaktere sowie romantisch verwobene Geschichten aus. Weltweit...
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