Eisige Herzen, heiße Küsse?

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Ein prasselndes Kaminfeuer, ein geschmückter Tannenbaum – so will Chloe ihre Eltern per Videocall im fernen Neuseeland überzeugen, dass sie wunderschöne Weihnachten verbringt! Dabei ist das gelogen: Der jungen Haushälterin auf dem Landsitz des Dokumentarfilmers Beau Diamond ist nach einem schrecklichen Verlust nicht nach Feiern zumute. Aber ausgerechnet ihr Boss, sonst eher schroff und abweisend, setzt alles daran, ihr den romantischen Zauber nahezubringen. Warum nur ist es Beau wichtig, dass sie wieder an das Fest der Liebe glaubt?


  • Erscheinungstag 12.12.2023
  • Bandnummer 252023
  • ISBN / Artikelnummer 9783751518994
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Chloe stieß einen lauten Fluch aus. Der mit Kopfstein gepflasterte Weg zwischen der zum Wohnen umgebauten Garage und dem Hintereingang des großen Hauses war vom Nieselregen gefährlich rutschig geworden. Die Füße drohten unter ihr wegzurutschen, und sie ruderte wild mit den Armen, bis sie im letzten Moment die Türklinke zu fassen bekam. Dann hämmerte sie gegen die Tür und murmelte dabei eine Reihe Flüche vor sich hin.

Willkommen in Devon, Chloe.

Sie zog den Mantel vor der Brust zusammen und trat von einem Fuß auf den anderen, um zu verhindern, dass ihr die Kälte bis in die Knochen kroch. Es war eiskalt. Dabei war es noch nicht einmal Dezember. Wie war eine solche Kälte möglich?

Noch einmal trommelte sie energisch mit den Fäusten an die Tür. Dann tastete sie in ihrer Tasche nach ihrem Telefon und drückte mit fast steif gefrorenen Fingern auf die Wahlwiederholung. Sie hatte schon einmal hier anrufen müssen, nachdem sie sich aufgrund von Wegbeschreibungen der Einheimischen total verirrt hatte. Anscheinend hatten die Menschen in diesem Teil der Welt überhaupt keinen Orientierungssinn.

Im Haus hörte sie das Telefon klingeln, dann wurde die Tür geöffnet. Mit zitternden Händen schaltete sie ihr Telefon wieder aus.

„Chloe, was ist mit Ihnen passiert? Sie sind ja völlig durchnässt!“ Stephanie Gladstone, die Haushälterin, zog sie hinein und schloss hinter ihnen die Tür. „Kommen Sie herein! Wir müssen Sie aufwärmen!“

Ja bitte!

Kurz darauf saß Chloe vor dem Ofen in der Küche, die nassen Haare in ein Handtuch gewickelt und die Kleidung gegen einen dicken, flauschigen Bademantel getauscht. Mit beiden Händen umfasste Chloe den Becher mit dampfendem Kakao, den Stephanie inzwischen gemacht hatte.

Als sie hineinpustete, wärmte der Dampf ihr Gesicht, und kurz schloss sie die Augen, um den ersten Schluck zu genießen. Doch bevor sie dazu kam, stürmte ein Bär von einem Mann mit grimmigem Gesichtsausdruck in die Küche. „Was, in Gottes Namen, ist das für ein höllischer Krach?“

Sein Körper schien vor Empörung zu zittern. Bei Chloes Anblick erschien eine steile Falte auf seiner Stirn. „Und wer zum Teufel sind Sie?“

Sie wusste sofort, wen sie vor sich hatte. Wütend sprang sie auf. „Ich bin Chloe Ivy Belle Jennings, und wenn Sie immer so mit Ihren Angestellten sprechen, Mr. Beau Diamond, können Sie sich Ihren Vertrag dahin schieben, wo die Sonne nicht scheint, und sich jemand anders als Lakaien suchen.“

Sie benutzte ihren vollen Namen selten, aber es klang eindrucksvoller und schien ihr in diesem Moment angemessen.

Neben ihr lachte Stephanie laut auf. „Das wird dir eine Lehre sein, Beau. Hör auf, zu jammern! In Chloes Zimmer über der Garage ist ein Wasserrohr geplatzt. Ich habe George darauf angesetzt, aber du wirst den Klempner bestellen müssen.“

„Und wahrscheinlich auch jemanden, der die durchweichte Wand repariert, und der Teppich wird auch ruiniert sein“, fügte Chloe hinzu.

Er fuhr herum. „Warum hat niemand daran gedacht, den Haupthahn zuzudrehen?“

Chloe machte sich nicht mehr die Mühe, ihr Temperament zu zügeln. Der heutige Tag war in jeder Hinsicht anstrengend gewesen, und das hier war der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. „Und warum wollen Sie mich überhaupt mit einer so schäbigen Unterkunft abspeisen?“ Die Unterkunft war Teil des Vertrages. Sie brauchte nicht viel, aber warm und trocken war nicht verhandelbar.

Ihr wurde gelegentlich nachgesagt, dass sie grimmig aussehende Augenbrauen hätte. Die versuchte sie, jetzt so gut wie möglich einzusetzen, indem sie die Stirn runzelte. Aber dann wurde ihr klar, wie lächerlich sie in diesem riesigen, flauschigen Bademantel und dem Handtuch auf dem Kopf aussehen musste.

Ihr unvermitteltes Lachen klang nicht lustig. Ohne ein weiteres Wort drehte sie dem griesgrämigen Mann den Rücken zu, trank einen großen Schluck Kakao und genoss die wohlige Wärme, die sie durchdrang.

„Hier können Sie jedenfalls nicht bleiben.“

Erbost fuhr sie herum. „Wenn Sie glauben, dass ich mitten in der Nacht ins Dorf wandere, um mir eine andere Unterkunft zu suchen, muss ich Sie bitter enttäuschen, Mr. Diamond.“

Während sie wütend auf ihn zuging, bemerkte sie sein zerknittertes Äußeres und das zu lange Haar. Er sah aus, als wäre er gerade aus dem Bett gestiegen. Aber wenigstens hatte er nicht durch eiskaltes Wasser in seinem Schlafzimmer waten müssen. Sie blieb dicht vor ihm stehen. „Wissen Sie, wie lange ich gebraucht habe, um von meiner Tür zu Ihrer zu kommen?“

Er schüttelte den Kopf und beäugte sie, als wäre sie ein wildes Tier aus Afrika.

„Es dauerte vierunddreißig Stunden von meinem Haus in Sydney, bis ich in Heathrow aus dem Flugzeug stieg. Dann brauchte ich eine Stunde mit der U-Bahn bis zum Bahnhof Paddington und von dort vier Stunden mit dem Zug bis Barnstaple. Dort gab es ein Problem mit meiner Mietwagenbuchung, das mich fast eine Stunde aufhielt. Laut Navi sollte es eine einfache, siebzehnminütige Sonntagsfahrt zu dem angeblich idyllischen Dorf Ballingsmallard sein und zwei weitere Minuten zu Dawncarden Court.“

Er räusperte sich und nickte. „Das ist richtig.“

„Leider hat sich das Navi geirrt!“, stieß sie wütend hervor. Sie schüttelte den Kopf so heftig, dass sich das Handtuch von ihrem Kopf löste und ihre wilde Haarmähne über die Schultern fiel. Wahrscheinlich wirkte sie von Minute zu Minute mehr wie ein wildes Biest auf ihn.

Als wollte sie ihn erstechen, deutete sie mit dem Finger auf ihn. „Die Leute in diesem Teil der Welt wissen offensichtlich nicht, wo links und rechts ist“, fuhr sie wütend fort. „Ich wurde in drei sinnlose Umleitungen geschickt, und niemand hat mich gewarnt, wie schwach die Satellitensignale hier sind.“

Er trat einen Schritt zurück. „Wie lange haben Sie gebraucht, um Dawncarden Court zu finden?“

„Drei Stunden, achtzehn Minuten und dreiunddreißig Sekunden!“

Er zuckte zusammen und sah Stephanie vorwurfsvoll an. „Ich dachte, du hättest …“

„Und ich dachte, du hättest.“

Chloe ignorierte beide. „Jetzt weiß ich nicht, ob ich gerade angekommen bin oder schnell wieder gehen soll! Ich habe Jetlag, bin müde, kalt, nass und hungrig. Wenn Sie glauben, dass ich wieder da hinausgehe …“, sie deutete in Richtung der Straße, „… um ein Zimmer im Gasthaus zu suchen, liegen Sie falsch!“

Sie funkelten sich mit wütenden Blicken an. Zu ihrem Erstaunen zuckte er schließlich mit den Schultern. „Nun, ich bin sicher, wir können zumindest etwas gegen den Hunger tun, nicht wahr, Steph?“

„Bin schon dabei“, erwiderte Stephanie und schlug Eier in eine Bratpfanne.

Chloe spürte, wie ihre Kräfte langsam nachließen. „Ich will aber keine Umstände machen.“ Sie befeuchtete ihre Lippen mit der Zunge und kämpfte gegen eine Welle der Erschöpfung an. „Ich möchte mich nur etwas aufwärmen und …“

„… und ausruhen“, beendete die ältere Frau den Satz für sie. „Und das ist völlig verständlich. Setzen Sie sich hin, und trinken Sie Ihren Kakao aus. Inzwischen mache ich Ihnen etwas zu essen, und danach werden Sie sich besser fühlen. Möchtest du auch etwas, Beau?“

„Ja, gut.“ Mit mürrischem Gesicht zog er sich einen Stuhl an den Tisch.

Chloe rang weiter um Fassung. Hatte sie gerade wirklich ihren Arbeitgeber wie ein Marktweib beschimpft?

Im Geist spielte sie noch einmal durch, was sie gerade gesagt hatte, und spürte, dass ihr die Hitze ins Gesicht stieg. „Wenn mein Verstand morgen hoffentlich wieder einigermaßen funktioniert, werde ich versuchen, mich dafür zu entschuldigen, dass ich gerade wie ein Knallfrosch in die Luft gegangen bin“, murmelte sie, ohne aufzuschauen. Wenn sie ihm nur beweisen könnte, dass sie normalerweise ein sehr ausgeglichener Mensch war.

„Sie dürfen mich ruhig ansehen, wenn Sie mit mir sprechen“, fuhr er sie an. „Ich werde nicht beißen.“

Aber er klang schon nicht mehr ganz so aggressiv, und die steile Falte zwischen seinen Augen begann, sich zu glätten.

„Sie sagen also, dass Ihr Bellen schlimmer ist als Ihr Biss?“

„Es freut mich zu sehen, dass Sie ihn durchschaut haben.“ Stephanie stellte einen Teller mit Rührei und Toast vor sie hin. „Und du hör auf, das arme Mädchen zu belästigen, Beau, und lass sie jetzt essen. Sie ist viel zu müde für deinen Unsinn.“

In diesem Moment beschloss Chloe, dass sie Stephanie liebte.

„Wo willst du Ms. Jennings denn nun unterbringen, Steph?“, fragte Beau.

„Chloe!“, sagte Chloe mit vollem Mund. „Bitte nennen Sie mich Chloe! Mrs. Jennings ist meine Mutter.“ Dann wies sie mit ihrer Gabel auf den Teller. „Dies sind die besten Rühreier aller Zeiten!“

„Sie kann im Osterglockenzimmer wohnen.“

„Aber …“

„Oh, das klingt wunderbar“, murmelte Chloe. Sie hatte plötzlich Mühe, die Gabel zum Mund zu führen. „Osterglocken sind die schönsten Blumen, finden Sie nicht auch? Sie sind so warm und gelb. Osterglocken und Sonnenblumen und …“

„Hoppla“, hörte sie Steph wie aus der Ferne sagen, während sie gleichzeitig eine warme, starke Hand an ihrem Oberarm spürte.

Augenblicklich wurde sie wieder wach. Selbst durch den dicken Frotteemantel hindurch konnte sie spüren, wie kräftig Beau Diamonds Finger waren.

Sie richtete sich unvermittelt auf. „Entschuldigung!“

„Kein Problem.“ Er nahm seine Hand wieder weg.

„Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Ich fühle mich wie betrunken, dabei habe ich seit Wochen keinen Alkohol …“ Sie schüttelte den Kopf.

„Das wird an der langen Flugreise liegen“, stellte Beau fest. „Außerdem sind Sie zwei Tage lang mit sehr wenig Schlaf unterwegs gewesen und haben wahrscheinlich auch nicht viel gegessen.“

Er deutete auf ihren Teller, woraufhin sie sich eine weitere Ladung Rührei in den Mund schob und zur Sicherheit noch eine halbe Scheibe Toast aß.

„Und Sie müssen viel trinken!“ Er schenkte ihr ein Glas Wasser ein, und sie trank es gierig aus. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie durstig sie war.

„Und jetzt müssen Sie schlafen, und zwar so lange, bis Ihnen nicht mehr nach Schlafen zumute ist.“

Wie göttlich das klang! Sie machte den halbherzigen Versuch aufzustehen und rang sich ein kleines Lächeln ab. „Wissen Sie, wie gut sich das anhört?“

„Ich kann es mir vorstellen.“

Für einen winzigen Augenblick blitzte etwas in seinen Augen auf. Chloe seufzte. „Ihre Augen sind so blau wie das Meer. Das ist mir im Fernsehen nie aufgefallen.“

Sein angedeutetes Lächeln verschwand wieder, und sie zwang sich, sich aufzurichten. „Während ich anscheinend, so hat man mir gesagt, grimmig aussehende Augenbrauen habe.“

Er sah sie verständnislos an.

„Ich glaube, die haben Sie vorhin davon abgehalten, mich anzubellen. Also bin ich ihnen ziemlich dankbar.“

Sie ertappte sich dabei, dass sie die Stirn runzelte. „Warum lasst ihr mich eigentlich solchen Unsinn weiterquasseln?“

Stephanie lachte. „Weil es so erfrischend direkt ist. Aber du hast recht. Es wird Zeit, dass du ins Bett gehst. Komm mit. Ich zeige dir dein Zimmer.“

Leicht schwankend stand Chloe auf. „Gute Nacht, Beau. Ich darf Sie doch Beau nennen, oder? Oder müssen wir beim furchtbar förmlichen Mr. Diamond und Ms. Jennings bleiben?“

„Beau reicht“, kam die mürrische Antwort. „Wir duzen uns hier alle.“

Mit einem angedeuteten Gruß wandte Chloe sich um und folgte Stephanie aus dem Zimmer. „Ich glaube, ich werde tausend Tode sterben, wenn ich mich morgen an all das erinnere“, flüsterte sie.

„Blödsinn!“ Stephanie lachte. „Du bist genau das, was ihm der Arzt verordnet hat. Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, dich in Dawncarden Court zu haben.“

Chloe hoffte inständig, dass sie ihrem Arbeitgeber nicht begegnen würde, als sie am nächsten Morgen die Küche betrat. Als Erstes griff sie zum Wasserkocher. Einen Kaffee konnte sie jetzt gut gebrauchen.

„Guten Morgen, Chloe.“

Mit einem Aufschrei wirbelte sie herum, als unvermittelt die tiefe Stimme hinter ihr erklang. „Oh Gott! Du hast mir gerade zehn Jahre meines Lebens geraubt.“ Sie rang sich ein Lächeln ab. „Guten Morgen … Beau.“

Er zog eine Augenbraue hoch. „Bist du gerade auf Zehenspitzen durch mein Haus geschlichen?“

„Ja, bin ich. Ich dachte, ich hätte euch letzte Nacht schon genug gestört, und wollte beweisen, dass ich bei Bedarf so leise sein kann wie die sprichwörtliche Maus.“

Er lachte nicht, lächelte nicht einmal.

Sie schluckte. „Ist es in Ordnung, wenn ich mir noch einen Kaffee mache, bevor ich mir im Dorf eine andere Unterkunft suche?“ Er mochte ein riesiges Haus haben, aber es war klar, dass er es nicht teilen wollte.

„Mach dir ein anständiges Frühstück! Das hilft deiner inneren Uhr, sich anzupassen.“

„Oh, vielen Dank. Möchtest du auch einen Kaffee?“

Er schüttelte den Kopf, aber er verließ die Küche nicht. Er stand einfach nur da und beobachtete sie.

Im kalten Licht des späten Morgens erkannte sie, dass sie sich am vergangenen Abend hinsichtlich seiner Größe nicht getäuscht hatte. Auch seine Energie schien noch vorhanden zu sein, mit der er einst seine Naturdokumentationen präsentiert hatte. Aber jeglicher Humor, den sie in seinen Berichten so geschätzt hatte, war verschwunden.

Chloe unterdrückte einen Seufzer, machte sich einen Kaffee und setzte sich an den Tisch. „Habe ich noch einen Job?“

Er ging hinüber zur Küchenbank. „Ja, natürlich.“

Erleichtert schloss sie die Augen. Der Zuschlag für die Neugestaltung des ummauerten Gartens von Dawncarden Court war ihre Rettung. Nur so konnte sie den Verlust des Hauses vermeiden, für das sie und Marc so hart gespart hatten. Ganz viel Arbeit hatte sie in ihre Bewerbung gesteckt und sich zuvor über alles informiert, was mit englischen Landgärten zu tun hatte. Es hatte sich gelohnt.

Vermassel es jetzt nicht!

Sie zwang sich, die Augen zu öffnen, nippte an ihrem Kaffee und blickte wieder zu Beau auf. Obwohl sein letzter Auftritt im Fernsehen zwölf Monate her war, hatte sie ihn trotz der von seinem Unfall zurückgebliebenen Narben sofort erkannt. „Soll ich mich jetzt in aller Form für meinen gestrigen Auftritt entschuldigen, oder …?“

„Lass den Quatsch!“, kam es aus der Küchenecke, in der er sich gerade selbst einen Tee bereitete. „Wir schieben deine schlechte Laune auf den Jetlag.“

Chloe trank einen weiteren Schluck Kaffee. „Du warst doch selbst Weltenbummler. Was sind deine Tipps und Tricks, um den Jetlag zu überwinden?“, fragte sie.

Bevor er antworten konnte, kam Stephanie in die Küche gestürmt. Sie hatte sich mit den Klempnern herumgeärgert, die wegen des geplatzten Rohrs im Nebengebäude gekommen waren. „Du musst anfangen, deine Mahlzeiten in dieser Zeitzone einzunehmen und nicht erst dann, wenn du Hunger hast“, mischte sie sich ein. „Außerdem solltest du viel Wasser trinken und in der Sonne spazieren gehen“, erklärte sie.

Chloe hätte sich fast an ihrem Kaffee verschluckt. „In der Sonne?“ Sie deutete auf das Fenster. „Das bisschen Licht nennst du Sonne?“

Beau hätte am liebsten laut aufgelacht, aber genau wie am Abend zuvor unterdrückte er diesen Impuls. „Raus ans Licht zu gehen, hilft deiner inneren Uhr, sich neu einzustellen“, stimmte er Stephanie zu.

Chloe nickte zögernd. „Okay, aber … Ich hatte keine Ahnung, wie kalt es hier sein würde.“

Beau und Stephanie tauschten einen verständnisvollen Blick. Es würde bestimmt ein paar Tage dauern, bis Chloe sich akklimatisiert hatte. Sie war schließlich aus einem australischen Sommer in einen englischen Winter geflogen.

Wie zum Trost holte Stephanie einen Kuchen aus dem Schrank und schnitt drei großzügige Stücke ab.

„Oh, aber …“, begann Chloe zu protestieren.

„Esst!“, befahl Stephanie. „Ich habe einen Vorschlag für euch beide, und der Kuchen wird ihn euch versüßen.“

Augenblicklich verkrampfte sich Beau. Er ahnte sofort, worauf sie hinauswollte. Sie würde vorschlagen, dass diese Chloe Ivy Belle Jennings für die Dauer ihres Vertrags hier im Herrenhaus wohnen sollte.

Aus den Augenwinkeln sah er Chloe genüsslich ein Stück vom Kuchen abbeißen. Ein kurzer Ausdruck von Glückseligkeit huschte über ihr Gesicht. Als sie mit der Zunge einen Krümel aus dem Mundwinkel fischte, regte sich etwas fast Vergessenes in seinen Lenden. Erschrocken wandte er sich ab und biss finster dreinblickend in sein Kuchenstück.

„Diesen Gesichtsausdruck kannst du dir sparen, Beau Diamond“, ließ sich Stephanie unmissverständlich vernehmen. „Und du wirst mir zuhören!“

„Habe ich dich jemals daran hindern können, deine Meinung zu sagen?“, gab er zurück. Als wollte er sie ablenken, fügte er hinzu: „Was haben die Handwerker gesagt?“

„Die Sanitäranlagen im Nebengebäude sind alt“, berichtete Stephanie. „Um ganz sicherzugehen, wollen sie alle Rohre austauschen. George meinte, es sei ein Glück gewesen, dass zufällig jemand im Haus war.“

„George ist unser Universalhandwerker“, erklärte sie, an Chloe gerichtet. „Wenn er nicht gerade Zäune ausbessert oder Dachziegel auf den Nebengebäuden ersetzt, mäht er den Rasen, hält das Gemüsebeet in Ordnung und erledigt, was sonst so anfällt. Er wohnt im Dorf. Ich werde euch später miteinander bekannt machen.“

Danach wandte Stephanie sich wieder Beau zu. „Ich habe gestern Abend mit Julia telefoniert.“ Ein Unterton in dieser Aussage ließ Beau aufhorchen.

„Julia ist meine Tochter“, erklärte sie Chloe. „Sie ist schwanger.“

„Das ist eine schöne Nachricht. Herzlichen Glückwunsch!“, rief Chloe fröhlich aus.

Beau wollte diese Chloe Jennings nicht mögen, aber er konnte nicht leugnen, dass sie ein schönes Lächeln hatte. Wenn sie nicht gerade einen Wutanfall hatte, sah sie überhaupt nicht grimmig aus.

Er verdrängte die unwillkommenen Gedanken. „Ist denn mit Julia alles in Ordnung?“

„Die morgendliche Übelkeit ist noch nicht vorüber, und sie wirkt ein wenig bedrückt.“

„Aber sie und das Baby …?“

„Den beiden geht es gut“, beruhigte Stephanie rasch. „Aber ich mache mir dennoch Sorgen. Sie möchte, dass ich Weihnachten mit ihnen in Newcastle verbringe.“ Sie sah ihn herausfordernd an. „Ich möchte etwas Urlaub nehmen. Den hatte ich seit Jahren nicht mehr.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich habe mir wirklich eine Auszeit verdient.“

Im ersten Moment wollte er widersprechen, aber sie hatte recht. Er konnte ihr die Auszeit nicht verwehren, wenn sie sich Sorgen um ihre Tochter machte. Außerdem stand Weihnachten bevor. Ihm selbst war das Fest zwar nicht wichtig, aber für andere Menschen schien es eine große Bedeutung zu haben. Dennoch setzte er eine grimmige Miene auf.

„Sieh mich nicht so finster an!“, befahl sie, offensichtlich nicht im Geringsten eingeschüchtert. „Ich habe die perfekte Lösung gefunden.“

Jetzt war es an ihm, die Arme zu verschränken. Gleichzeitig bemerkte er Chloes Blick von der anderen Seite des Tisches. Zweifellos überprüfte sie neugierig seine Arme. Die ganze Welt war darauf erpicht, Nachrichten und Fotos von seinen Narben zu erhalten.

Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Stephanie. „Die perfekte Lösung?“ Er ahnte, dass die aus seiner Sicht alles andere als perfekt sein würde.

„Wenn Chloe einverstanden ist, könnte sie für ein paar Wochen als Haushälterin einspringen“, erklärte Stephanie ungerührt.

Chloe richtete sich auf. „Oh, ich …“ Sie schluckte. „Was würde das denn bedeuten?“

„Nicht viel. Die Mahlzeiten zubereiten und ein bisschen putzen. Alles, was gebraucht wird, liefert der Supermarkt im Dorf, und …“

„… und nichts!“, mischte sich Beau ein. „Ich kann genauso gut kochen und putzen wie jeder andere.“

Steph zog nur eine Augenbraue hoch. „Und du bist auch bereit, dich mit den Handwerkern und dem Reinigungsdienst auseinanderzusetzen?“

„Nein, natürlich nicht!“

„Das habe ich auch nicht erwartet“, sagte sie. „Und komm nicht auf die Idee, mir zu kündigen. Dies ist das Anwesen deiner Großmutter, und obwohl du es eines Tages erben wirst, ist sie meine Arbeitgeberin. Ich befolge ihre Anweisungen, nicht deine.“

„Wie lange willst du denn wegbleiben?“, fragte er sichtlich beeindruckt.

„Bis nach Neujahr.“

„Aber das sind sechs Wochen!“

„Ich habe sie mir verdient, Beau! Ich brauche einfach mal eine Pause.“

Von der anderen Seite des Tisches verfolgte Chloe die Szene. Steph gestikulierte in ihre Richtung. „Du hast Chloe gestern Abend in Aktion gesehen. Sie ist keine Frau, über die die Handwerker oder die Presse einfach so hinweggehen können.“

Im ersten Moment sah er Stephanie an, als wollte er jeden Moment losbrüllen, doch dann hielt er sich lieber zurück. Er wusste, dass ihr der Urlaub zustand.

„Wenn euch die Lösung nicht gefällt, kann ich eine Aushilfshaushälterin von einer seriösen Agentur organisieren.“

„Auf keinen Fall!“ Nun brüllte er doch. Er wollte nicht noch eine weitere Person in seinem Haus haben. Fremden war nicht zu trauen. Das hatte er leidvoll erfahren müssen. Auch dieser Chloe Jennings konnte man wahrscheinlich nicht trauen, aber wenigstens hatte er sie eine wasserdichte Datenschutzklausel unterschreiben lassen. Sollte sie versuchen, Fotos von ihm an die Boulevardpresse weiterzugeben, würde er sie sofort verklagen.

„Wirst du jetzt vernünftig, Beau?“

„Chloe hat deinem Vorschlag noch nicht zugestimmt, Steph. Und ich wüsste nicht, warum sie das tun sollte.“

„Natürlich wird sie das, nicht wahr, Chloe? Du wirst natürlich großzügig bezahlt, zusätzlich zu dem, was du bereits für die Umgestaltung des Gartens bekommst.“

Chloes Augen leuchteten auf, und Beau ballte innerlich die Hände zu Fäusten. Würde er das Familiensilber einschließen müssen, während sie hier war?

„Ich bin einverstanden mit dem Plan.“ Chloe warf ihm einen unsicheren Blick zu. „Ich bin eine ganz passable Köchin, und es macht mir nichts aus, auch ein bisschen zu putzen. Aber du scheinst nicht gerade erpicht auf meine Dienste zu sein.“

Stephanie hob in gespielter Verzweiflung die Arme. „Kann ich also jetzt gehen und meine Koffer packen, oder muss ich die Agentur anrufen?“

Beau unterdrückte einen Fluch und wandte sich zu Chloe. Ihm war klar, dass er so schlecht gelaunt und mit all den Narben im Gesicht wahrscheinlich Furcht einflößend wirkte. So sah er sich jedes Mal, wenn er in den Spiegel schaute. Er musste Chloe allerdings zugestehen, dass sie sich bisher nichts hatte anmerken lassen.

„Über eines sollten wir uns im Klaren sein!“ Er schlug so fest mit der Hand auf den Tisch, dass das Teegeschirr klirrte. „Die Vertraulichkeitsklausel, die du in Bezug auf den Garten unterschrieben hast, gilt auch für diese vorübergehende Tätigkeit als Haushälterin. Habe ich mich klar ausgedrückt?“

„Vollkommen.“

„Ich werde dich noch ein entsprechendes Dokument unterschreiben lassen.“

„Okay.“ Chloe schaute Stephanie an. „Privatsphäre wird hier also großgeschrieben.“

„Auf jeden Fall.“ Stephanie begann, den Tisch abzuräumen. „Seine Lordschaft ist ein echter Quälgeist in Sachen Privatsphäre. Wenn es nach ihm ginge, würde er diesen Ort nie verlassen und sich weigern, fremde Menschen zu sehen. Deshalb musst du dich um die Handwerker und alle anderen kümmern, die an die Tür klopfen könnten.“

„Klopft denn jemand?“

„Nicht mehr so oft, aber ab und zu kommt ein Journalist, der nach einer Story sucht und hofft, einen Blick auf Beau werfen zu können.“ Stephanie schnitt ein Gesicht. „Angeblich soll der Preis für ein aktuelles Bild von Beau inzwischen bei mehr als zwanzigtausend Pfund liegen.“

Chloe beugte sich unvermittelt auf ihrem Sitz vor. „Das soll wohl ein Scherz sein! Das ist ja …“

„Genau deshalb bestehe ich darauf, dass du eine Vertraulichkeitsklausel unterschreibst.“ Beau war höchst alarmiert. Würde diese junge Frau ihn verraten, wenn sie die Chance dazu bekam?

„Und wenn du diese Klausel brichst, werde ich dich sofort verklagen. Hast du das verstanden?“

Nun wurde Chloe wütend. „Ich habe nicht die Absicht, meinen Vertrag zu brechen. Aber es steht dir frei, dir eine andere Haushälterin zu suchen. Ich kann dann statt mit dir gern mit der über die Arbeiten im Garten sprechen.“

So weit wollte er es nicht kommen lassen. „Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr Sinn macht Stephanies Vorschlag.“ Im Stillen fügte er hinzu, dass es wohl besser war, Chloe hier im Auge zu behalten, statt sie ins Dorf zu schicken. Dort würde sie womöglich mit den Leuten tratschen.

Stephanie klatschte begeistert in die Hände: „Ausgezeichnet! Der Herr und Meister hat gesprochen.“

Erleichtert sank Chloe in ihrem Stuhl zurück. „Aber richtig glücklich sieht er mit dieser Vereinbarung nicht aus.“

„Seit dem Unfall ist das sein ständiger Gesichtsausdruck“, warf Stephanie ein. „Wenn er nicht aufpasst, wird sich diese Miene in seinem Gesicht festsetzen.“

„Was hast du gesagt, wann du abreist?“, sagte Beau grimmig.

Chloe lachte laut auf. „Ich werde diese Scharmützel vermissen. Gehören die mit zur Stellenbeschreibung?“

„Auf jeden Fall“, bestätigte Stephanie, während er im gleichen Moment sagte: „Denk nicht einmal daran!“ 

Aber er klang nicht mehr so finster wie zuvor.

„Bist du wirklich ein Lord?“, fragte Chloe.

Autor

Michelle Douglas

Das Erfinden von Geschichten war schon immer eine Leidenschaft von Michelle Douglas. Obwohl sie in ihrer Heimat Australien bereits mit acht Jahren das erste Mal die Enttäuschung eines abgelehnten Manuskripts verkraften musste, hörte sie nie auf, daran zu arbeiten, Schriftstellerin zu werden.

Ihr Literaturstudium war der erste Schritt dahin, der...

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