Heimliche Küsse für die falsche Braut

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Wie kann seine Verlobte es wagen, ihn vorm Altar stehen zu lassen? Empört verlangt Milliardär Leandro, dass Brautmoden-Designerin Celia mit ihm nach der Flüchtigen sucht. Die Hochzeit muss stattfinden, er hat diese arrangierte Ehe lange geplant! Doch während Leandro mit der hübschen Celia durch Schottland reist, knistert es überraschend immer erregender zwischen ihnen. Gegen jede Vernunft verbringen sie verboten sinnliche Stunden zu zweit. Danach kehrt jeder von ihnen in sein altes Leben zurück! Aber Leandro hat die Rechnung ohne seine Gefühle gemacht …



  • Erscheinungstag 07.02.2023
  • Bandnummer 2583
  • ISBN / Artikelnummer 9783751518321
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Wie bitte?“ Es dauerte einige Sekunden, ehe Celia begriff, was ihre Kundin da gesagt hatte. „Was meinst du damit, dass du nicht mehr heiraten willst?“

Sie richtete sich aus der Hocke auf und ließ den Saum des Kleides, das sie gerade abgesteckt hatte, fallen.

Es war ein Hochzeitskleid. Nicht im traditionellen Weiß, denn für Julie Raymond wäre es bereits die zweite Ehe, sondern eine blasslila Kreation, wunderschön und mit Hunderten von winzigen Perlen besetzt, von denen jede einzelne mühsam von Hand aufgenäht worden war.

Drei Monate Hin und Her mit dem Entwurf, vier weitere Monate zeitaufwendiges Arbeiten mit Dutzenden von Anproben, bei denen immer etwas geändert werden musste. Allein die Beschaffung des richtigen Stoffs von einer Fabrik mit überzeugender Umweltverträglichkeitserklärung war ein Horror gewesen. Eine echte Achterbahnfahrt, immer von der Angst begleitet, dass das Werk nicht rechtzeitig zum großen Tag fertig wird, weil immer wieder Hindernisse auftauchten.

Und jetzt, nur eine Woche vor der Hochzeit …

Celia starrte ihre Kundin fassungslos und mit fragendem Blick an. Doch Julies Gesichtsausdruck reichte aus, um jeden Verdacht zu zerstreuen, dass sie sich verhört haben könnte. Die Hochzeit des Jahres war abgesagt worden!

Hätten die Alarmglocken nicht schon vor Monaten läuten müssen? Hätte sie den unbedachten Äußerungen, die sich in den letzten Wochen gehäuft hatten, mehr Aufmerksamkeit schenken müssen?

Es war ja nicht so, dass Julie ihr nicht einiges über ihre Vergangenheit und die lieblose Ehe, die sie vier Jahre lang ertragen hatte, anvertraut hätte. Sie hatte einen Grafen geheiratet, nur um festzustellen, dass mit dem Titel auch die Erwartung verbunden war, dass er seine frauenverachtenden Junggesellengewohnheiten fortsetzen durfte – unbehelligt von der eintönigen Monotonie des Ehelebens. Die anschließende Scheidung sei langwierig und anstrengend gewesen, hatte Julie verbittert zugegeben.

Ja, Celia hatte Einblicke in das Leben ihrer Kundin erhalten, und allmählich hatte sich dabei eine Freundschaft entwickelt. Eine Nähe, die manchmal zwischen zwei Menschen entstand, deren Leben trotzdem auf völlig unterschiedlichen Gleisen verlief. Die nicht die gleiche soziale Plattform teilten.

Für Julie war diese Freundschaft ein willkommener sicherer Ort, denn die mit Celia geteilten Geheimnisse liefen nie Gefahr, an gemeinsame Freunde weitergegeben zu werden.

„Ich kann das nicht durchziehen.“

Celia lehnte sich zurück und wartete, bis Julie von dem Hocker heruntergestiegen war, den sie zum Abstecken des Kleides benutzt hatten. Dann führte sie ihre Freundin die Treppe hinauf in die winzige Küche, weit weg von den Haupträumen des Ladens, dem geschäftigen Treiben ihrer beiden Assistentinnen und den übrigen Kunden.

Julie Raymond war eine absolut atemberaubend schöne, hochgewachsene Blondine. Ein Traum von einem Model, das auch in einer Mülltüte spektakulär ausgesehen hätte. Celia bewunderte sie insgeheim, angefangen von ihrem gepflegten glatten Bob bis hin zu den tadellos manikürten Nägeln.

Die Schleppe des langärmeligen Hochzeitskleids, das sich eng an den gertenschlanken Körper schmiegte, schleifte, halb aufgesteckt, über den Boden und sammelte dabei Staub auf.

„Du bist nur ein bisschen nervös“, beruhigte Celia sie und ging somit nahtlos in den Kummerkastentanten-Modus über. „Die Hochzeit ist doch schon in ein paar Tagen. Dann wird sich zwar dein ganzes Leben ändern, aber … Julie, du darfst nicht zulassen, dass deine Vergangenheit eine wunderbare Zukunft ruiniert. Ich weiß, du hattest eine ziemlich enttäuschende erste Ehe, aber das ist jetzt Jahre her. Leandro wird ganz bestimmt ein wunderbarer Ehemann sein!“

„Vielleicht.“ Julie lachte kurz und ließ die Tasse Tee, die ihr gereicht worden war, auf ihrem Schoß ruhen. „Aber bestimmt nicht für mich.“

Was sollte Celia dazu sagen? Wie konnte sie ein Loblied auf jemanden singen, den sie nie persönlich getroffen hatte?

Kein einziges Mal hatte der zukünftige Ehemann seine Verlobte abgeholt, um sie nach einer der vielen spätabendlichen Anproben zu einem romantischen Essen auszuführen. Auch Julie hatte nie viel von ihm gesprochen, sondern nur vage angedeutet, dass sie ihn schon seit Ewigkeiten kannte. Und Celia hatte sie nicht bedrängen wollen, freundschaftliche Gefühle hin oder her. Schließlich wurde sie in erster Linie dafür bezahlt, dass sie einen Job erledigte, und zwar einen sehr wichtigen.

Es war ein großer Auftrag für eine extravagante Hochzeit, bei der ihr Kleid der Star der Show sein würde. Eine echte Chance für jeden, der in der wettbewerbsorientierten Welt des Modedesigns die Karriereleiter erklimmen wollte.

„Du würdest es nicht verstehen“, erklärte Julie sanft, und Celia runzelte die Stirn – vor allem wegen der kleinen Teeflecken auf dem kostbaren Stoff des Kleides.

„Natürlich würde ich das“, versicherte sie. „Du hast einfach kalte Füße bekommen. Das passiert häufig. In der einen Minute freust du dich auf eine glänzende Zukunft, und in der nächsten hast du Angst, dass du all die Freiheiten aufgibst, die das Singledasein mit sich bringt. So geht es vielen …“

„Und hast du das auch schon erlebt, Celia? Hin- und hergerissen zu sein zwischen einer strahlenden, aufregenden Zukunft und den Verlockungen des Singledaseins?“

Celia errötete und spürte für einige Sekunden, wie ihr der Atem stockte. War sie jemals an diesem Punkt gewesen? An der Schwelle zu einer Ehe mit all ihren Möglichkeiten, Träumen und Hoffnungen?

Ja. Damals war sie gerade neunzehn gewesen und verlobt mit einem Jungen, der buchstäblich nur ein paar Türen weiter gewohnt und den sie schon ewig gekannt hatte. Er war ihr bester Freund gewesen, ihr Vertrauter und dann – als sie beide sechzehn Jahre alt gewesen waren – ihr fester Freund. In dem kleinen Dorf auf dem Land, in dem sie beide aufgewachsen waren, waren sie einfach eine Verbindung eingegangen, die beide Elternpaare von ihnen erwartet hatten.

Inzwischen wusste Celia, wie klug es von Martin gewesen war, die ganze Sache abzublasen, dennoch hatte es extrem wehgetan. Damals hatte sie tapfer gelächelt, den Kopf oben gehalten und buchstäblich die Zähne zusammengebissen. Sie hatte ihren Eltern versichert, dass es eine gemeinsame Entscheidung gewesen sei, dass sie beide sowieso viel zu jung wären, dass sie überstürzt gehandelt hätten und so weiter. Und war es nicht ein Segen, dass sie rechtzeitig zur Vernunft gekommen waren?

Aber sie konnte sich immer noch an die Enge in ihrer Brust und die Traurigkeit darüber erinnern, dass das Hochzeitskleid, das sie seinerzeit mit viel Liebe genäht hatte, niemals zum Einsatz kommen würde. Es war das erste Stück gewesen, das sie angefertigt hatte, nachdem sie gerade erst ihren Nähkurs bestanden hatte. Was für eine Freude war es gewesen, ihre neu erworbenen Fähigkeiten auszuprobieren!

Das Kleid lag heute noch, fein säuberlich gefaltet, in einer Tüte im Schrank. Eine ständige Erinnerung daran, dass sie ihr Herz erst mit klarem Verstand verschenken würde, wenn es so weit war. Was man für Liebe hielt, stellte sich nur allzu oft als Irrtum oder Missverständnis heraus. Als eine Fehlinterpretation anderer Gefühle. Und wenn man darauf hereinfiel, endete man eben mit einem unbenutzten Hochzeitskleid, das im Schrank einstaubte.

Für Celia hatten der Nervenkitzel der Verlobung und die Hochzeitsvorbereitungen die stumpfe Realität überdeckt, nämlich dass sie und Martin im Grunde nie ernsthaft ineinander verliebt gewesen waren. Er hatte in Rekordzeit eine andere Partnerin gefunden, eine sportliche Frau, die all die Aktivitäten im Freien liebte, die Celia vorher nur stoisch ertragen hatte. Die andere war seine Seelenverwandte, und Celia war später sogar zu seiner Hochzeit eingeladen worden, was sie allerdings höflich abgelehnt hatte.

Martin hatte sich weiterentwickelt, aber sie haderte mit ihrem Schicksal. Es spielte keine Rolle, wie sehr sie sich einredete, dass sie als Single besser dran war als in einer Ehe – die höchstwahrscheinlich in Verbitterung geendet hätte. Irgendwann wäre die Realität in ihre jugendliche, unrealistische Seifenblase eingedrungen, und sie wären keine Freunde geblieben, so viel war sicher!

Und was, wenn zu dem Zeitpunkt ein Kind involviert gewesen wäre? Eine Horrorvorstellung!

Doch diese Erfahrung hatte Celia ihre unbekümmerte Sicht auf Romantik und Liebe genommen. Sie war jetzt vorsichtig, zurückhaltend, und Julies beiläufige Frage brachte das alles wieder an die Oberfläche.

„Wir reden nicht über mich, Julie.“ Sie lächelte steif, bemüht, die Aufmerksamkeit von sich wegzulenken. „Versuch also nicht, das Thema zu wechseln!“

Plötzlich fiel ihr auf, dass Julie ihren Verlobungsring abgelegt hatte. Wann war das passiert, und warum hatte sie es nicht früher bemerkt? Celia verspürte einen Anflug von Verärgerung und verdrängte ihn schnell.

Ja, Julies erste Ehe war eine Katastrophe gewesen. Aber sie hatte einen anderen Mann gefunden, den sie anscheinend so sehr liebte, dass sie seinen Heiratsantrag angenommen hatte. Und jetzt war sie hier und schlug mit ein paar lässigen Sätzen die ganze Hochzeit in den Wind. Keine einzige reumütige Träne in Sicht!

„Ich habe mit vielen zukünftigen Bräuten zusammengearbeitet, Julie, und jede einzelne von ihnen war im Vorfeld nervös.“

„Eigentlich war ich bisher ziemlich entspannt dem Ganzen gegenüber …“

„Was sagt denn Leandro dazu?“ Celia wollte endlich wissen, aus welchem Grund diese Hochzeit in letzter Minute abgesagt werden sollte. „Er muss untröstlich sein.“

Natürlich hatte auch Celia ein Motiv, die Trauung durchzuziehen. Es war ihr wichtig, dass ihr atemberaubendes Hochzeitskleid die erhoffte Berichterstattung erhielt. Dadurch könnte sie in ihrer Branche in eine höhere Liga aufsteigen.

Aber nicht nur das: Celia und ihr Bruder stammten aus einer höchst traditionellen Familie. Ihre Eltern hatten jung geheiratet und waren noch Jahrzehnte später schwer verliebt. Wenn sie jetzt an den Kummer und das Unglück dachte, das sich zu Julies und Leandros Füßen auftat, empfand Celia einen Anflug von Traurigkeit für sie beide.

Wie konnte es sein, dass Julie sich der Tragweite ihrer krassen Entscheidung so wenig bewusst war? Erkannte sie denn nicht, was sie da leichtfertig aufgab? Wusste sie nicht, wie viel Glück sie hatte, mit einem Mann zusammen zu sein, der sie liebte? Dass wahre Liebe ein ganz besonderes Geschenk war? Das warf man nicht fort, nur weil man glaubte, um die nächste Ecke etwas Besseres zu finden! Wusste sie nicht, dass es durchaus Frauen gab, deren unbenutzte Hochzeitskleider halb vergessen im Kleiderschrank lagen? Melancholische Zeugnisse von Träumen, die sich nie erfüllt hatten?

„Wenn du Leandro kennen würdest …“, begann Julie nachdenklich. „Keine Ahnung, ob er so etwas wie Liebeskummer empfinden würde.“

„Ich bin ihm nie begegnet“, warf Celia ein.

„Er ist ein viel beschäftigter Mann.“

Celia runzelte die Stirn. Sie war versucht, weiter nachzufragen, war sich aber bewusst, dass Julies Entscheidung sie eigentlich nichts anging – auch wenn sie enttäuscht darüber war.

Sie war keine Therapeutin, und es war nicht ihre Aufgabe, jemandem etwas auszureden. Aber was für eine Schande und Verschwendung!

Ironischerweise hatte Celia sich ja auf Brautkleider spezialisiert, obwohl ihr eigenes niemals zum Einsatz gekommen war. Die Liebe zum Detail, die kleinen persönlichen Wünsche einiger zukünftiger Bräute, perlenbestickte Miederoberteile, zarte Spitze …

Kein einziges Mal war sie auf eine ihrer Kundinnen neidisch gewesen, auf ihr Leben voller Hoffnung und Glück an der Seite eines Seelenverwandten, während sie selbst … Aber wer wusste schon, wann Celias eigener großer Tag kommen würde?

Doch während sie Julie zuhörte, die ihr freundlich versicherte, wie sehr ihr das Kleid gefiel – die an dem teuren Stoff zupfte, den sie kurz zuvor mit ihrer Teetasse befleckt hatte –, konnte Celia nicht anders, als einen Anflug von Selbstmitleid zu verspüren. Sie hatte sich entschieden, in Liebesdingen übervorsichtig zu sein, was bedeutete, dass sie seitdem auf sich allein gestellt war. Das Alleinsein war ein selbst gewähltes Schicksal. Und Julie stand in diesem befleckten Hochzeitskleid vor ihr, das wahrscheinlich bald entsorgt werden würde, und warf ihre Chance auf Glück mit einem Achselzucken über Bord.

„Natürlich wirst du trotzdem für deine Mühe bezahlt“, versprach ihre Kundin nun. „Du hast großartige Arbeit geleistet, und ich werde dich allen meinen Freunden empfehlen. Das bringt ganz sicher viele neue, lukrative Aufträge, Celia, das kann ein richtiger Durchbruch sein!“

Celia lächelte schwach und gab es auf, die Kummerkastentante spielen zu wollen.

Sie fühlte sich ausgelaugt. Die Erinnerungen an früher quälten sie, und sie wollte nur noch den Laden schließen und in das kleine Haus zurückkehren, das sie in Shepherd’s Bush gemietet hatte.

„Es tut mir wirklich leid, Julie“, sagte sie sanft, nahm der Freundin die Tasse ab und stellte sie neben das Waschbecken. „Es ist Zeit für mich, für heute Feierabend zu machen.“

„Ich sollte vielleicht erwähnen, dass ich jemanden kennengelernt habe“, platzte Julie heraus, ohne sich vom Fleck zu bewegen.

„Du hast jemanden kennengelernt?“

„Nun … ja.“

„Aber wann denn? Und wie? Ich hatte ja keine Ahnung! Natürlich geht es mich nichts an, aber vielleicht hättest du dann früher mit Leandro Schluss machen sollen? Hör zu, Julie, ich muss gleich den Laden schließen. Die Details wegen des Kleids können wir später klären. Und es ist nicht nötig, dass du mir von deinem Privatleben erzählst. Natürlich ist es sehr traurig, dass du Leandro nicht mehr heiraten willst, aber das ist allein deine Entscheidung, und ich wünsche dir natürlich alles Gute.“

Sie wischte zügig den Küchentisch ab und ging zur Tür, um das Ende des Gesprächs einzuläuten. Hinter ihren Schläfen breiteten sich Kopfschmerzen aus.

„Diese neue Sache ist echt, Celia. Ich erkenne an deinem Gesichtsausdruck, dass du es nicht gutheißt, aber ehrlich gesagt ist dieser andere Mann das einzig Wahre.“

„Ich freue mich für dich, Julie, das tue ich wirklich. Nur finde ich …“

„Da gibt es noch etwas, was du wissen solltest.“

Erwartungsvoll hob Celia die Augenbrauen. Sie fragte sich, was wohl noch auf der Tagesordnung stehen könnte. Eine letzte Anprobe hatte sich völlig unerwartet in das Geständnis aller Geständnisse verwandelt, was für Julies armen Verlobten bestimmt ein absoluter Albtraum war, und nun musste man die Hochzeit des Jahres wieder absagen. Was für ein ungeheurer Aufwand!

„Der Typ, mit dem ich mich treffe … Er ist zufällig dein Bruder.“

Als Celia zwei Tage später damit beschäftigt war, ihre Sachen in der Nähwerkstatt wegzuschließen, um sich auf den Weg zur U-Bahn zu machen, war sie immer noch geschockt von diesem einschneidenden Satz ihrer Freundin.

Fassungslos und mit wachsendem Entsetzen hatte sie zugehört, während Julie ihr mehr über ihre lebensverändernde Affäre mit Dan anvertraut hatte. Wie um alles in der Welt hatte sich ihr Bruder in dieses Szenario einschleichen können?

Inzwischen wusste sie es. Die beiden waren sich ganz zufällig begegnet. Vor ein paar Monaten war Julie zu einer Anprobe erschienen und dort auf Dan getroffen, in seiner ganzen gut aussehenden Pracht. Er war mit seinem Motorrad vorgefahren, um Celia ein Buch zu bringen, das er ihr versprochen hatte.

Celia erinnerte sich noch genau an den Tag, denn sie hatte ihr Bestes getan, um ihn sofort wieder aus dem Haus zu drängen. Sie liebte ihren älteren Bruder zwar, aber sein Leben verlief nach einem anderen Zeitplan als ihres, und sie hatte damals noch etliche Dinge zu erledigen gehabt.

Waren er und Julie ins Gespräch gekommen? Natürlich! Celia hatte es kaum bemerkt. Julie war schließlich eine verliebte zukünftige Braut … gewesen. Warum hätte Celia darauf achten sollen, dass ihr Bruder sich nicht länger als nötig in der Nähe ihrer Kundin aufhielt?

Dan war ein gesprächiger Mensch! Er war fünf Jahre älter und völlig anders als Celia, angefangen bei seinem Aussehen bis hin zu seiner Persönlichkeit. Er war groß, sie eher klein. Sein Haar war dunkel, ihres rot. Und er war sorglos und unbeschwert in einer Weise, um die sie ihn immer beneidet und für die sie ihn bewundert hatte.

War Julie darauf hereingefallen? Sie hatte mal gesagt, dass Leandro eine Art Workaholic war. Hatte Dans Unbekümmertheit einer zögerlichen Braut den Kopf verdreht? Bei ihr in letzter Minute Zweifel an dem Mann gesät, den sie eigentlich heiraten wollte?

Dan hatte sich selbstständig gemacht, weil er die Tyrannei eines Nine-to-Five-Arbeitsplans verschmähte. Hatte diese Einstellung eine Frau bezaubert, die eigentlich einen Mann heiraten wollte, der sich im übertragenen Sinn an seinen Schreibtisch kettete? Immerhin hieß es doch, dass Gegensätze sich anzogen.

Auf jeden Fall wurde Celia von heftigen Schuldgefühlen geplagt. Wäre Dan nicht gewesen, würde Julie immer noch vor den Altar treten wollen. Doch stattdessen …

Celia hatte versucht, ihren Bruder telefonisch zu erreichen, aber er war untergetaucht. Ihre Eltern wussten auch nicht, wo er steckte.

„Du kennst doch deinen Bruder“, hatte Lizzie Drew mit mütterlicher Nachsicht gesagt. „Man weiß nie genau, wo er sich herumtreibt!“

Doch Celia begann sich zu fragen, ob sie ihren Bruder überhaupt kannte.

Seit zwei Tagen war sie bereits in ihre Gedankenwelt vertieft, und so nahm sie das Klingeln an der Tür erst wahr, als es immer hartnäckiger und fordernder wurde.

Schnell eilte sie die kurze Treppe hinunter in den Ausstellungsbereich ihres Ladens und schaltete das Licht ein.

Draußen war es kalt und dunkel, und in der Januarluft lag die Verheißung von Schnee, der zwar vorhergesagt, aber bisher noch nicht gefallen war. Die Menschen hatten sich mit dicken Strickjacken, Mänteln und wasserdichten Parkas für den täglichen Kampf gegen die Elemente gewappnet, um zur U-Bahn zu gelangen.

Das Geschlossen-Schild hing für jedermann sichtbar an der Tür.

Trotzdem öffnete Celia, um den Besucher persönlich auf das Schild hinzuweisen, doch sie wich sofort erschrocken zurück … und starrte hoch in ein Gesicht, das in seiner olivfarbenen Symmetrie absolut perfekt war. Ihr blieb vor Erstaunen der Mund offen stehen, und für wenige Sekunden konnte sie keinen klaren Gedanken mehr fassen.

Leandro starrte die rothaarige Frau vor sich stumm an.

Sie war nicht ganz das, was er erwartet hatte, nachdem man ihm monatelang von ihr erzählt hatte. Obwohl, um ehrlich zu sein, hatte er gar kein klares Bild von ihr im Kopf gehabt.

„Kann ich Ihnen helfen?“ Sie zeigte auf die Außenseite ihrer Tür, um ihn auf ein Schild hinzuweisen. „Ich wollte gerade Feierabend machen. Vielleicht kann das, was Sie wollen, bis morgen früh warten? Meistens bin ich um Punkt acht Uhr hier.“

Er bemerkte einen Hauch von Verärgerung in ihrer Stimme und räumte ein, dass sie allen Grund dazu hatte, genervt zu reagieren. Aber es musste sein. Er wollte genauso wenig hier stehen, wie sie ihn hier haben wollte.

„Lieber nicht“, murmelte er.

„Wie jetzt, lieber nicht?“

„Ich möchte lieber nicht warten.“ Er milderte seine Unverblümtheit mit einem kleinen Lächeln ab, obwohl ihm gar nicht danach zumute war. Kein bisschen. Dann fuhr er sich mit den Fingern durchs Haar, wandte stirnrunzelnd den Blick ab und fügte heiser hinzu: „Glauben Sie mir, ich habe nicht die Angewohnheit, unangemeldet irgendwo aufzutauchen. Aber ich versichere Ihnen: Es ist wichtig, und ich muss dringend mit Ihnen sprechen.“

Aufmerksam beobachtete er, wie sie das Gesagte aufnahm. Man konnte es an dem Ausdruck auf ihrem hübschen Gesicht erkennen.

Diese offene Mimik war ein großer Vorteil bei einer Hochzeitskleid-Designerin, dachte er bei sich. Vermutlich wünschte sich jede zukünftige Braut in dieser emotionalen und aufregenden Zeit eine einfühlsame Verbündete. Das Happy End schon in Sichtweite. Ein Märchen, das kurz davor stand, wahr zu werden. Da passte es hervorragend, sich auf jemanden zu verlassen, der mit strahlendem Blick und einem ermutigenden Lächeln eifrig an der Nähmaschine saß. Genau so stellte er sich das vor.

Diese Frau hatte höchst attraktive Augen in der Farbe von grünem Glas, das vom Meer an den Strand gespült worden war. Alles an ihr strahlte eine beruhigende Sanftheit aus, die jede aufgeregte Braut ermutigen musste, sich zu öffnen und all ihre Geheimnisse zu teilen.

Leandro hatte zwei Tage zuvor eine Nachricht von Julie erhalten, die nur aus drei Sätzen bestand. Doch er war sicher, dass die zierliche rothaarige Brautmodendesignerin eine Erklärung für das haben würde, was hier vor sich ging. Und er würde nicht eher gehen, bis er die Wahrheit kannte.

Wo zum Teufel war seine Verlobte?

Er hatte gedacht, dass er und Julie die Situation ziemlich gut im Griff hätten – offenbar hatte er sich geirrt.

Es tut mir so leid, aber ich kann die Hochzeit nicht durchziehen, Leandro. Es liegt nicht an dir. Es liegt an mir.

Was hatte das zu bedeuten?

Ihr Vater wusste auch nichts Genaueres, und allein das hatte Leandro unsagbar wütend gemacht, denn der alte Mann hatte etwas Besseres verdient. Wie ließ sich dieses rätselhafte Puzzle zusammensetzen? Übersah er etwas? Das entsprach eigentlich nicht seiner Natur. Also was war hier los?

„Sie sind daran interessiert, ein Kleid in Auftrag zu geben, Herr …?“

„Ich interessiere mich für den Aufenthaltsort von jemandem, der kürzlich ein Kleid bei Ihnen bestellt hat, Miss Drew“, erklärte er leise.

„Wer sind Sie?“ Celias Herz klopfte wie wild. Sie war es nicht gewohnt, dass ein Mann eine so starke Aura hatte, eine fast greifbare Anziehungskraft, und es gefiel ihr nicht. Sie fühlte sich bloßgestellt und hilflos.

Schon lange hielt sie sich vom anderen Geschlecht eher fern und wartete einfach ab. Irgendwann würde der Richtige auftauchen. Sie war bereits einmal verletzt worden, und das sollte ihr nie wieder passieren. Es war besser, wenn sie sich zurückhielt und niemanden wirklich an sich heranließ.

Sie hatte sich noch nicht von der Stelle gerührt, weil der fremde Mann ihre Aufmerksamkeit fesselte. Eine Art düstere Anspannung ging von ihm aus. Eine kraftvolle, selbstbewusste und männliche Präsenz, die sie nicht gewohnt war, aber äußerst faszinierend fand.

„Lassen Sie mich bitte rein, Miss Drew!“

„Tut mir leid, aber nein.“

„Ich muss dringend mit Ihnen reden, und dieses Gespräch sollte nicht auf dem Bürgersteig geführt werden“, beharrte er.

„In diesem Fall können Sie gern einen Termin vereinbaren, wie jeder andere auch. Wie ich schon sagte, bin ich meistens ab acht Uhr morgens hier.“

„Ich muss mit Ihnen über Julie sprechen. Mein Name ist Leandro. Ich bin ihr Verlobter.“ Er lächelte ironisch. „Oder sollte ich lieber Ex-Verlobter sagen? Die Situation ist ziemlich verzwickt.“

Schweigend starrte sie ihn an, die Lippen zusammengepresst und die Arme vor der Brust verschränkt.

Optisch war sie weit von den Frauen entfernt, mit denen er sonst zu tun hatte. Ihre Kleidung wirkte bequem und eher unförmig: eine weite Hose und ein extrem ausgewaschenes Hemd unter einer dünnen Strickjacke; außerdem hatte sie sich ein Maßband um den Hals gelegt. Die Kleidung war in verschiedenen Grau- und Schwarztönen gehalten, was allerdings gut zu der erstaunlichen Lebendigkeit ihrer kupferfarbenen Haare, die sich in Locken um ihr herzförmiges Gesicht schlängelten, und den kristallklaren grünen Augen passte. Und sie hatte Sommersprossen. Jede Menge davon.

„Sie sind Leandro?“

„Lassen Sie mich nun rein, Miss Drew?“

Sie zögerte kurz, dann nickte sie. „Nennen Sie mich Celia.“

„Danke, Celia, ich weiß das sehr zu schätzen“, versicherte er ihr. „Immerhin ist es schon dunkel, und Sie wollen gerade Feierabend machen. Aber, wie ich schon sagte, ich wäre nicht hier, wenn es nicht wirklich wichtig wäre.“

Ihr Atem stockte, als er an ihr vorbeiging und die kalte Luft mit sich hereinbrachte.

Unter dem grellen Licht der Deckenbeleuchtung konnte sie sich nun aus nächster Nähe ein Bild davon machen, wie groß und attraktiv dieser Mann war. Er überragte sie bei Weitem, und sein rabenschwarzes, kurz geschnittenes Haar betonte die rauen Konturen seines Gesichts mit dem sinnlichen Mund sowie die gerade Nase und die markanten Wangenknochen.

„Bitte kommen Sie mit nach oben.“ Ihr Herz schlug schneller, und ihre Nerven lagen blank, aber irgendetwas an der Aufrichtigkeit seiner Worte ließ sie erkennen, dass man diesem Mann vertrauen konnte.

Und was sollte er auch mit ihr vorhaben? Ein Blick auf seine elegante, schöne Verlobte genügte, und jeder Narr hätte erkennen können, dass er sich niemals für eine Frau wie Celia interessieren würde.

Sie drehte sich auf dem Absatz um und ging vor ihm die Treppe hoch.

Als Julie zwei Tage zuvor den Laden verlassen hatte, war Celia zu geschockt gewesen, um genauere Fragen zu stellen. Sie hatte nur fassungslos zugehört, während Julie – endlich befreit davon, alles geheim halten zu müssen – voller Enthusiasmus von ihrer aufregenden Affäre mit Dan berichtete.

Und nun stand der betrogene Verlobte vor Celia und verlangte Antworten!

„Möchten Sie vielleicht einen Tee oder Kaffee?“, bot sie an und drehte sich zögernd zu ihm um.

Erneut war sie von seinen perfekt geschnittenen Gesichtszügen beeindruckt. Er nahm viel Platz in der winzigen Küche ein und schien den gesamten Sauerstoff aus der Luft zu saugen, sodass Celia sich atemlos und benommen fühlte.

„Kaffee. Schwarz. Und am besten reden wir nicht länger um den heißen Brei herum, sondern kommen gleich zur Sache: Was genau hat Julie zu dir gesagt? Ich darf doch du sagen?“

„Wie bitte?“ Sein veränderter Tonfall ließ sie aufhorchen. Und er gefiel ihr nicht. „Okay … Leandro.“

Er hob fragend die Augenbrauen und saß völlig entspannt auf seinem Stuhl.

„Der einzige Name, der meiner Ex-Verlobten in den letzten Monaten über die Lippen gekommen ist, war deiner“, begann er. „Wie es scheint, habt ihr euch angefreundet, was mich wiederum zu dem Schluss führt, dass du wissen könntest, wo sie ist.“

Klare Worte. Celia spürte, wie die wertvolle Selbstbeherrschung, die sie sich antrainiert hatte, bröckelte. Sie wurde schlicht und einfach von der schieren Kraft seiner Persönlichkeit überrollt.

Autor

Cathy Williams

Cathy Willams glaubt fest daran, dass man praktisch alles erreichen kann, wenn man nur lang und hart genug dafür arbeitet. Sie selbst ist das beste Beispiel: Bevor sie vor elf Jahren ihre erste Romance schrieb, wusste sie nur wenig über deren Inhalte und fast nichts über die verschiedenen Schreibtechniken. Aber...

Mehr erfahren