Historical Exklusiv Band 117

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VERSCHLEPPT VOM RUCHLOSEN HIGHLANDER von TERRI BRISBIN

Verschleppt von einer Horde Verbrecher, bangt die junge Fia Mackintosh um ihre Unschuld. In ihrer Situation muss sie sich dem Verlangen des unbekannten Highlanders beugen: Doch nur für einen Kuss! Obwohl Iain Dubh eine wild-süße Sehnsucht in ihr weckt, ahnt sie, dass er ein doppeltes Spiel treibt. Und tatsächlich, als Iain unerwartet schwer verletzt wird, entdeckt sie, wer er wirklich ist …

DER HIGHLANDER UND DIE STOLZE KRIEGERIN von MAYA BANKS

Caelen McCabe muss die schöne Rionna heiraten, um das Bündnis mit ihrem Clan zu besiegeln. Die stolze Kriegerin passt ganz und gar nicht in sein Bild von einer fügsamen Gattin – und entfacht ein glühendes Verlangen in ihm. Doch dann fällt er seinem Erzfeind in die Hände, und ein entsetzlicher Verdacht wird wach: Die Frau, die er liebt, hat ihn verraten …


  • Erscheinungstag 25.05.2024
  • Bandnummer 117
  • ISBN / Artikelnummer 0859240117
  • Seitenanzahl 448

Leseprobe

Terri Brisbin, Maya Banks

HISTORICAL EXKLUSIV BAND 117

PROLOG

Brodie Mackintosh, Oberhaupt des mächtigen Chattan-Bündnisses, sah seinen Vetter grimmig mit zusammengekniffenen Augen an. Beißender Rauch stieg aus der verkohlten Ernte und dem verendeten Vieh auf und brannte in seinen Augen, während er das Ausmaß der Verwüstung um sich herum begutachtete.

„Wann ist es passiert?“

„Letzte Nacht“, antwortete Rob, sein Vetter und Kommandant aller Mackintosh-Krieger.

„Gibt es Verletzte? Tote?“ Brodie rechnete mit dem Schlimmsten. In den letzten Tagen hatte es mehrere solcher Überfälle gegeben, und das Ausmaß an Gewalt hatte immer mehr zugenommen. Es war also unvermeidlich, dass irgendwann ein Mitglied seines Clans zu Schaden kommen würde.

„Sie haben die Bauern davongejagt, doch der alte Angus hat sich geweigert zu gehen.“ Brodie stieß einen leisen Fluch aus, und Rob nickte zustimmend. Der alte Mann war ein Sturkopf gewesen, sie wussten beide, dass er mit voller Absicht zurückgeblieben war und nicht, weil ihn sein Alter oder seine Gebrechen am Gehen gehindert hatten.

Brodie beugte sich hinab und sah sich die Fußspuren in dem aufgeweichten Boden an. Dann blickte er sich in der Umgebung um. Dabei stellte er sich den Ablauf des Überfalls ganz genau vor.

Es war bereits der vierte Angriff dieser Art in den letzten zwei Wochen. Sie hatten sich jedes Mal in einem anderen Teil seiner Ländereien ereignet, und jedes Mal hatte man die gesamte Ernte niedergebrannt und das Vieh getötet. Die Dorfbewohner selbst waren jedoch verschont worden.

Bis letzte Nacht! Der alte Angus war das erste Opfer.

„Was denkst du, Rob?“, fragte Brodie, als er zurück zu seinem Vetter ging. „Wer oder was steckt hinter diesen Angriffen?“ Rob antwortete nicht, und Brodie wandte ihm fragend den Kopf zu. In Robs Augen stand die Antwort geschrieben, die sie beide so sehr fürchteten, dass keiner von ihnen es wagte, sie laut auszusprechen.

Über Jahre, nein, Jahrzehnte hatte es Krieg zwischen ihrem Clan und den Camerons gegeben. Erst als Brodie sich mit Arabella Cameron vermählt hatte, war Frieden eingekehrt. Seit ihrer strategischen Eheschließung vor sechs Jahren waren die feindlichen Übergriffe zunächst immer weniger geworden, bis sie schließlich ganz zum Erliegen gekommen waren. Einerseits lag das daran, dass sie gut verhandelt hatten, und andererseits daran, dass sie großzügige Ausgleichszahlungen erhalten hatten. Doch für viele der Clanältesten war es fast undenkbar, keine Zerstörung mehr auf der anderen Seite anzurichten, so sehr war die alte Fehde in ihren Köpfen eingebrannt.

„Kann das wirklich sein, Brodie?“, fragte Rob. „Meinst du, dass sie tatsächlich den Frieden gebrochen haben?“ Kaum hatte er die Frage ausgesprochen, stieß er sogleich eine Reihe von Schimpfwörtern aus, die so derbe waren, dass Brodie vor Schreck zusammenfuhr. „Doch wer von ihnen könnte es sein? Wer würde so etwas tun?“

„Ich weiß es nicht. Aber ich muss genauere Informationen einholen, bevor ich Laird Cameron mit einer solchen Anschuldigung konfrontieren kann.“

Brodie war der Gedanke verhasst, dass die Camerons sich tatsächlich wieder gegen sie gewandt haben könnten. Alles, was sie während ihres Waffenstillstands ausgehandelt hatten und all die Opfer, die sie auf dem Weg dahin gemacht hatten, wären damit umsonst gewesen.

„Schick unsere Fährtensucher hinter ihnen her.“

Rob nickte und ging davon, um den Männern ihre neue Aufgabe mitzuteilen. Brodie begann wieder, im Umkreis des Geschehens nach Hinweisen zu suchen, die auf die Täter deuten konnten. Ein Stück Stoff hing an einem abgebrochenen Ast am Rand des Weges, der aus dem Dorf hinausführte. Er riss es herunter und betrachtete es.

Er kannte die Farben dieses Musters ganz genau, denn er hatte seine geliebte Arabella bereits darin gesehen, wenn sie das Plaid ihres Clans trug oder sich eine Schärpe umgelegt hatte. Und auch die Decke, die am Fußende ihres gemeinsamen Bettes lag, war im gleichen Muster und in denselben Farben gewebt.

Es handelte sich eindeutig um den Tartan des Cameron-Clans.

Kopfschüttelnd betrachtete Brodie den zerfetzten Stoff, Bestürzung und Unglauben machten sich in ihm breit. Schnell stieg er auf sein Pferd und ritt zurück zu seiner Burg. Noch immer hielt er das zerrissene Stück Stoff fest umklammert.

Er wollte, dass seine Frau es von ihm selbst erfuhr. Wenn ihre Familie tatsächlich so unehrenhaft war und ihr Abkommen gebrochen hatte, dann sollte sie zumindest die Erste sein, die davon wusste. Das war er ihr schuldig.

1. KAPITEL

Fia Mackintosh versuchte verzweifelt, den Blick abzuwenden, doch sie schaffte es einfach nicht. Dabei wusste sie, wenn sie ehrlich war, dass ihre Anstrengungen, die liebevolle Szene, die sich vor ihr abspielte, nicht zu beobachten, nur halbherzig waren. In Wahrheit sehnte sie sich nämlich von ganzem Herzen danach, endlich das gleiche zu erleben wie das, was gerade direkt vor ihren Augen passierte. Natürlich nicht mit dem Mann, um den es sich hier handelte, Gott bewahre! Nein, mit einem Mann, der sie auf die gleiche Weise ansah, wie ihr Vetter, der Laird, seine Gemahlin anblickte.

Brodie überragte Arabella um mehr als Haupteslänge, genau wie die meisten Männer des Clans war er hochgewachsen. Die Lady selbst war klein und zierlich, und es hieß, dass es in den schottischen Highlands keine schönere und anmutigere Dame gab als sie. Dennoch schien Arabella nicht im Geringsten von dem Hünen eingeschüchtert zu sein, der nun dicht vor ihr stand und sich zu ihr hinunterbeugte. Fia spürte, wie ihre Lippen zu kribbeln begannen, als Brodie zärtlich seinen Mund auf Arabellas legte. Doch das war noch nicht das Schlimmste.

Nein, das Schlimmste war, dass ihr, ohne es zu wollen, ein lauter Seufzer entfuhr, der nun die Stille des Gemachs durchschnitt.

Das Geräusch war laut genug gewesen, um Brodies Aufmerksamkeit von seiner Gemahlin abzulenken und sich stattdessen nun zu ihr umzudrehen. Und es war sogar so laut gewesen, dass Ailean, die Kusine und Kammerfrau der Lady, amüsiert auflachte. Glücklicherweise war Tante Devorgilla nicht hier und somit nicht Zeugin ihres peinlichen Ausrutschers geworden. Zum wiederholten Mal hatte Fia die Regel gebrochen, die besagte, dass diejenigen, die in den Diensten des Lairds standen, weder gehört noch gesehen werden durfte, solange er einen nicht ansprach. Ihre Mutter hatte sich schon häufig über diese Schwäche ihrer Tochter beklagt, und auch jetzt hatte sich Fia deswegen wieder Ärger eingehandelt.

„Ich bitte vielmals um Verzeihung, Laird, Mylady“, begann sie mit leiser Stimme, ohne den Blick zu heben. „Ich wollte nicht neugierig sein und bei so einem … privaten Moment zusehen.“

„Wenn mein Ehemann einen privaten Moment mit mir hätte haben wollen, dann hätte er mich schon vorher in unseren Gemächern aufgesucht, Fia“, sagte Arabella lachend.

Fia riskierte einen weiteren Blick und sah, wie sich die Lady fest gegen die breite Brust ihres Gemahls drückte. Doch der Laird machte einen Schritt zurück, verschränkte die Arme und sah seine Frau tadelnd an.

„Brodie, ich sagte doch, es geht mir gut. Du musst nicht ständig nach mir schauen.“

Fia sah zu Ailean herüber und wusste sofort Bescheid. Aileans Miene verriet alles – die Lady war erneut guter Hoffnung. Fia konnte es sich nicht verkneifen, erneut einen Blick auf das Ehepaar zu werfen. Es war offensichtlich, dass der Laird sich um seine Gemahlin sorgte und sie beschützen wollte, in ihrem jetzigen Zustand sogar noch mehr als sonst. Als sie sich vorstellte, dass sich ein Mann eines Tages derartig um sie sorgen würde, entfuhr ihr ein weiteres Seufzen. Ailean lachte erneut laut auf, und Fia spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg.

„Geh jetzt“, forderte Arabella ihren Gemahl auf, der sich jedoch keinen Deut bewegte. „Du hast unsere Fia in Verlegenheit gebracht, und ich möchte, dass sie sich ganz auf ihre Pflichten konzentriert.“

Die Näharbeit lag vollkommen vergessen auf ihrem Schoß, und Fia hob sie hastig wieder hoch, um wenigstens den Anschein zu erwecken, dass sie beschäftigt war und gar keine Zeit hatte, sich ihren Fantasien hinzugeben. Doch der Laird lachte herzlich auf.

„Ich glaube, unsere Fia hat Verständnis dafür, meine Liebste.“ Brodie beugte sich vor und gab Arabella einen zärtlichen Kuss auf die Stirn. „Aber du hast recht, ich lasse euch weiterarbeiten.“

Ein neckisches Funkeln in den Augen des Lairds verriet ihr, dass er jedoch nicht so ohne Weiteres gehen würde. Stürmisch schloss er seine Gemahlin in die Arme und küsste sie voller Leidenschaft. Fia hätte genug Zeit gehabt, um den Blick abzuwenden … Doch sie schaffte es einfach nicht.

Es war so romantisch, wie sehr er seine Gemahlin begehrte. Fia wünschte sich von ganzem Herzen, dass sie eines Tages das gleiche erleben würde. Der Seufzer, der ihr bei diesem Gedanken entwich, war wenigstens so leise, dass niemand ihn hörte.

„Einen guten Tag, liebste Arabella“, sagte Brodie zu seiner Gemahlin, als er sich von ihr löste und einen Schritt zurücktrat. „Und einen guten Tag, Ailean. Fia.“

Er nickte ihnen beiden zu und ging schnellen Schritts aus dem Raum. Die Tür schloss sich mit einem Knall, sodass alle drei Frauen zusammenzuckten. Schnell zog sich die Lady ihr Gewand glatt und steckte ein paar Haarsträhnen, die sich gelöst hatten, zurück in ihren Zopf, der ihr bis zu den Hüften reichte. Ailean stand auf und füllte den Becher der Herrin auf. Fia konnte ihre Freude über die wundervolle Neuigkeit, die sie während dieser kurzen Zusammenkunft aufgeschnappt hatte, nicht verbergen. Und auch Arabella konnte sich das Lächeln nicht verkneifen, als sie sah, wie Fia strahlte.

„Ich möchte aber nicht, dass die anderen schon davon erfahren“, sagte sie mit sanfter Stimme und strich sich beschützend mit der Hand über den Bauch. „Erst in ein paar Wochen“, fügte sie hinzu. „Wenn Brodie sich jedoch weiterhin so besorgt verhält, dann weiß bald ohnehin jeder Bescheid.“ Als die Lady das letzte Mal guter Hoffnung gewesen war, hatte dieser Zustand leider ein jähes, tragisches Ende gefunden, daher überraschte es Fia nicht, dass sie und der Laird diesmal mit der Verkündung der frohen Botschaft warten wollten.

„Ich werde nichts sagen, Mylady“, versprach sie. Als Kammermagd der Lady sah oder hörte sie oft Dinge, von denen niemand anders wissen durfte, daher hatte sie schnell gelernt, wie man ein Geheimnis für sich behielt.

Der restliche Tag verging wie im Flug, denn Fia hatte, so wie immer, wieder eine Vielzahl von Aufgaben zu erledigen. Dazu gehörte, sich ununterbrochen um das Wohl der Lady zu kümmern und sie bei jedem Gang durch die Burg und nach draußen zu begleiten. Fia konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, wenn der Laird wieder einmal wie zufällig auftauchte, wenn sie und Arabella auf dem Weg ins Dorf waren. Und die Lady strahlte jedes Mal, sobald sie ihrem Gemahl in die Augen sah.

Und jedes Mal musste Fia vor Sehnsucht seufzen.

Ailean und die Lady lachten amüsiert über sie, doch niemand machte sich über ihre romantischen Anwandlungen lustig. Fia wusste selbst nicht, was mit ihr los war. Diese Gefühle waren vollkommen neu für sie. Sie stand seit über zwei Jahren im Dienst der Lady, und zuerst waren ihr die romantischen Gesten zwischen dem Laird und seiner Gemahlin zunächst gar nicht aufgefallen. Erst seit ein paar Monaten schenkte sie den zärtlich geflüsterten Worten und den liebevollen Küssen der Eheleute mehr Beachtung.

Fia erinnerte sich, dass ihre Mutter nur gelacht hatte, als sie ihre Reaktion gesehen hatte. Sie war der Ansicht, dass ihr Verhalten daher rührte, dass sie nun ein Alter erreicht hatte, in dem auch sie sich mit jemandem verheiraten sollte. „Und daher fallen dir ‚solche Dinge‘ nun stärker auf als früher, Fia“, hatte sie erklärt.

Doch in Wahrheit hatte sie schon in sehr jungen Jahren erkannt, dass die Gefühle zwischen Brodie Mackintosh und Arabella Cameron etwas … Besonderes waren. Etwas Wunderschönes. Selbst als ihre Clans noch verfeindet waren und Fia mit ihren Eltern fliehen musste, hatte sie bemerkt, auf welche Weise ihr Vetter die junge Frau, die er entführt hatte, behandelte. Obwohl sie selbst erst zehn Jahre alt gewesen war, war es ihr nicht entgangen.

In den darauffolgenden Jahren, und besonders seit die Lady ihr Versprechen eingelöst und sie zu sich in die Burg geholt hatte, hatte Fia erkannt, wie außergewöhnlich das Verhältnis der beiden war. Welche Frau würde sich nicht einen solchen Gemahl wünschen? Eine solch liebevolle Ehe? Wieder seufzte sie auf. Solche Leidenschaft?

Sie war gerade damit beschäftigt, die letzten Aufgaben für die Lady zu erledigen, damit diese sich zurückziehen und sich um ihren Gemahl und ihre Kinder kümmern konnte, als Arabella sich an sie und Ailean wandte.

„Morgen werde ich Brodie nach Achnacarry begleiten, um meinen Vetter zu besuchen“, verkündete sie mit ruhiger Stimme. „Wir werden niemanden von dieser Reise unterrichten, daher benötige ich euch beide auch nicht.“

„Arabella …“, setzte Ailean an, und Fia wusste, dass die beiden Frauen sich nun ein Duell liefern würden, in dem es darum ging, wer den stärkeren Willen hatte. „Aber Ihr seid doch …“

„Mein Gemahl wird für mein Wohl und meine Sicherheit sorgen“, erklärte Arabella.

„Aber die Überfälle?“ Ailean schüttelte voller Sorge den Kopf und presste angespannt die Hände auf ihrem Schoß zusammen.

„Es hat seit Wochen keine Angriffe mehr gegeben, Ailean.“ Arabella lächelte stolz und nickte. „Wer wäre so töricht, den bewaffneten Begleittrupp von Brodie Mackintosh anzugreifen? An seiner Seite bin ich vollkommen sicher.“

Fia wartete darauf, dass Ailean das nächste Gegenargument vorbrachte. Doch zu ihrem Erstaunen lenkte die junge Frau ein.

„Nun gut“, sagt Ailean mit sanfter Stimme und wandte den Blick ab.

„Deine Mutter wird sich sicher über einen Besuch von dir während meiner Abwesenheit freuen, Fia“, schlug die Lady vor und sah ihr in die Augen. „Ich habe dich in der letzten Zeit sehr beansprucht.“

Fia wusste, dass die Entscheidung feststand, daher erhob sie auch keine Einwände.

„Nein, das habt Ihr nicht, Mylady“, erwiderte sie. „Aber ich weiß Eure Umsicht zu schätzen.“ Auch die Menschen im Dienst des Lairds, die keine Familienangehörigen waren, wurden in dessen Haushalt als solche behandelt. „Nachdem Ihr morgen aufgebrochen seid, gehe ich ins Dorf.“ Fia ging zu dem Tisch und holte den Kamm, der darauf lag. „Soll ich mich jetzt um Euer Haar kümmern?“

„Das mache ich, Fia.“ Die tiefe Stimme des Laird erklang mit einem Mal in der Kammer. Fia lief rot an, und ihre Wangen begannen, heiß zu glühen.

„Natürlich, Mylord“, stieß sie hervor, beinahe hätte sie gestottert. Sie reichte dem Clanoberhaupt den Kamm. „Ich komme morgen früh wieder, Mylady.“

Sie öffnete die Tür und ging mit Ailean hinaus. Als sie die Tür hinter sich zuzog, hörte Fia, wie die Lady ihren Gemahl lachend dafür ausschimpfte, dass er ihre junge Kammermagd erneut in Verlegenheit gebracht hatte.

Ailean ging zu ihrer Schlafkammer, und auch Fia suchte den Raum auf, den sie mit einigen anderen Mädchen teilte. Während sie möglichst lautlos in ihr Schlafgewand schlüpfte, dachte sie darüber nach, Lady Eva morgen zu fragen, ob sie ihre Hilfe benötigte. Nessa, Lady Evas Kammerfrau aus Durness, hatte kürzlich geheiratet und stand daher nicht mehr im Dienst der Dame, und die neue junge Kammermagd war noch dabei, ihre Aufgabe zu erlernen. Sie könnte sicher ein paar gute Ratschläge gebrauchen.

Dann kroch sie unter ihre Bettdecke. Fia wusste, was sie zu Hause erwarten würde. Ihre Mutter würde ihr die ganze Zeit in den Ohren liegen, dass sie doch endlich den Heiratsantrag des Müllersohns annehmen sollte. Er war eine gute Partie für ein Mädchen wie sie. Die Tochter eines einfachen Bauern konnte nicht erwarten, über ihren Stand hinaus zu heiraten, und wenn sie ehrlich war, dann hegte sie auch keine derartigen Wünsche.

Sie träumte von einem Mann, der ihr mit seinem Blick die Hitze ins Gesicht treiben konnte, so wie Brodie es bei Arabella tat. Oder Rob bei Eva. Fia wollte spüren, wie es war, im Sturm von einem Mann erobert zu werden, der sie beschützte, Tag für Tag, und der sie liebte und auf die gleiche Weise begehrte, wie diese beiden Männer ihre Gemahlinnen begehrten. Wieder seufzte sie voller Sehnsucht auf, zog sich die Decke bis unters Kinn und schloss die Augen. Wenn sie Dougal, den Sohn des Müllers, heiratete, dann würde sie das alles niemals erleben. Es würde nie mehr sein als eine Sehnsucht.

In der Nacht hatte sie einen Traum. Ein Mann stand im Dunkeln und streckte eine Hand nach ihr aus. Fia ging auf ihn zu, doch dann blieb sie stehen, denn sie wollte sein Gesicht sehen, das von einem tiefen Schatten verdeckt war. Das Einzige, was sie erkennen konnte, war, dass er schwarzes Haar hatte, aber sein Gesicht blieb im Dunkeln verborgen. Noch einmal streckte er ihr seine Hand entgegen. Sie lächelte ihn an und wollte sie ergreifen und damit auf sein Angebot eingehen.

Doch in dem Moment wachte sie unruhig auf, noch ehe sie erfahren hatte, was danach passieren würde, und wälzte sich die restliche Nacht ruhelos umher.

Ihre Mutter glaubte an die Macht der Träume, so wie die meisten der Clanmitglieder. Bedeutete das, dass sie den Mann ihrer Träume tatsächlich finden würde? Dass sie Dougals Antrag ablehnen und darauf warten sollte, dass der schwarzhaarige Mann aus ihrem Traum eines Tages vor ihr stehen würde?

Bei Sonnenaufgang war sie noch immer wach und dachte darüber nach, ob sie den Antrag annehmen sollte oder nicht. Doch nachdem sie Lady Arabella für die Abreise fertiggemacht und sich von ihr verabschiedet hatte und sich auf den Weg zum Haus ihrer Eltern befand, konnte Fia sich nicht vorstellen, ihr Leben an der Seite von Dougal, dem Müllersohn, zu verbringen.

„Du darfst sie nicht immer so ärgern, Brodie“, sagte Arabella vorwurfsvoll.

Doch in diesem Moment kümmerte ihn nichts auf der Welt. Das Einzige, woran er denken konnte, war, wie schön es war, die geflochtenen Haare seiner Ehefrau sanft zu lösen. Arabella war sein Ein und Alles, und er nahm mit Genuss wahr, wie ihre seidigen Locken über seine Hände und seine Arme strichen. Bei der Vorstellung, dass diese Locken gleich einen ganz anderen Teil von ihm streicheln würden, wurde er sofort hart.

„Ich wollte sie nicht ärgern, Liebste“, sagte er und schmiegte das Gesicht in ihr Haar, um ihren Duft nach wilder Heide und der Honigseife, die sie immer verwendete, einzuatmen. „Sie ist noch ein unerfahrenes Ding, da wird man wegen jeder Kleinigkeit rot.“

„Unsere Fia ist eine junge Frau, Brodie“, sagte Arabella und wandte ihm das Gesicht zu. „Und sie ist schon immer in dich vernarrt gewesen.“

„Ist das meine Schuld? Ich versichere dir, dass ich nichts getan habe, um irgendwelche Hoffnungen in ihr zu wecken.“

Er ließ seine Hände auf ihre Schultern hinabgleiten und zog sie zu sich heran. Großer Gott, würde sein Verlangen nach ihr denn niemals gestillt sein? Seit sechs Jahren waren sie Mann und Frau, sie hatten bereits zwei Kinder, ein weiteres Baby war auf dem Weg, und dennoch hatte er nach wie vor ununterbrochen den Drang, sie ständig zu sehen, sie zu berühren, mit ihr zu sprechen, jeden Tag, am liebsten die ganze Zeit. Brodie neigte den Kopf und küsste sie sanft. Sofort öffnete sie die Lippen, wie sie es immer tat, sodass er ihren süßen Geschmack kosten konnte.

„Ich denke doch gar nicht, dass es an dir liegt“, versicherte Arabella ihm und zog den Kopf ein klein wenig zurück. Offensichtlich wollte sie das Thema noch weiter vertiefen, bevor sie sich den anderen, wichtigeren Dingen widmen würden.

„Woran liegt es dann?“ Brodie nahm seine Hände von ihren Schultern und trat einen Schritt zurück. Vielleicht würde sein Verlangen ein wenig nachlassen, wenn er Abstand zu ihr hielt. Doch noch im selben Augenblick wurde ihm klar, dass es ein sinnloses Unterfangen war.

„In ihren Augen sehe ich die Hoffnung einer jeden jungen Frau, die sich danach sehnt, die große Liebe zu erleben“, sagte seine Gemahlin und seufzte, genau wie ihre junge Kammermagd zuvor. „Sie findet unsere Geschichte und die von Rob und Eva romantisch.“

„Ich habe dich entführt und dich gegen deinen Willen festgehalten. Und Rob hat Eva gejagt, sie gefangen genommen und anschließend gegen ihren Willen geheiratet. Was ist daran romantisch?“, fragte Brodie kopfschüttelnd. Er war zwar bereits seit mehreren Jahren verheiratet und sollte in dieser Zeit einiges gelernt haben, doch er würde die Frauen niemals verstehen. „Ich weiß beim besten Willen nicht, was sie meint.“

Arabella kam auf ihn zu, und er erschauerte in freudiger Erwartung auf ihre Berührung. Sie hob eine Hand und strich ihm mit einem Finger über den Arm, hinauf zu seiner Schulter und von dort hinab über seine Brust. Er ärgerte sich, dass er noch seine Kleider trug. Wie gern hätte er ihre Liebkosung direkt auf seiner Haut gespürt.

„Du verstehst also nicht, dass es reizvoll ist, von einem gut aussehenden Highland-Krieger gerettet zu werden, der noch dazu der nächste Chief seines Clans ist.“ Er versuchte, ihr in die Augen zu sehen, doch sein Blick blieb an ihrem Finger hängen, der nun, langsam und genüsslich, tiefer und tiefer hinabwanderte. „Von einem starken Mann auserwählt zu werden, der dich gegen alle deine Feinde beschützt und der dir genau den Teil von deiner Seele gibt, der dir immer gefehlt hat?“ Schon wollte er widersprechen, denn bei Rob und Eva war es nicht ganz so passiert, doch dann spürte er, wie sie über seinen Gürtel fuhr, die Hand tiefer gleiten ließ und seine Hose öffnete. Sofort vergaß er jeglichen klaren Gedanken.

Als sie ihn umfing, stöhnte er vor Begierde auf. Da hielt sie inne, seinen aufgerichteten, pulsierenden Schaft in ihrer Hand, und sah ihm direkt in die Augen. Sie wartete darauf, dass er etwas sagte, doch Brodie hatte Mühe, sich überhaupt daran zu erinnern, worüber sie gesprochen hatten. Ach ja … das Mädchen. Und Fias romantische Träume … oder etwas in der Art.

„Ich … oh … werde versuchen … zum Teufel, Arabella! Ich kann mich nicht konzentrieren, wenn du mich so berührst!“ Sie lachte laut auf, und sein Herz flog ihr entgegen.

„Sei nett zu ihr, Brodie. Sie ist so jung, und sie verdient es, noch ein wenig träumen zu dürfen, bis sie sich dem wahren Leben stellen muss.“

„Soll ich ihr jemanden suchen, der sie entführt? Der sie im Sturm erobert, so wie ich dich erobert habe, meine Liebste?“ Er hob seine Frau auf die Arme und trug sie zum Bett, wo er sie sanft ablegte. „Dann weiß sie, wie romantisch es bei uns war.“

Er legte sich zu ihr und rutschte sofort zwischen ihre Schenkel. Arabella konnte spüren, wie erregt er war, und freute sich darüber, dass sie ihn wieder einmal mit nicht viel mehr als einem Kuss und einer Berührung in diesen Zustand gebracht hatte. Sie drückte ihre Hände gegen seine Brust und schob seinen Oberkörper von sich weg.

„Brodie, sie wird ihre Liebe schon finden, auch ohne entführt zu werden. Sei einfach ein bisschen rücksichtsvoll mit ihr, sie ist im Moment sehr empfindsam.“

„Gut. Aber jetzt, meine liebe Gemahlin, solltest du dich um mich und meine Gefühle kümmern. Ich bin nämlich auch sehr empfindsam“, neckte er sie. Langsam und genüsslich rieb er sich an ihr und betrachtete zufrieden, wie sie auf diese Bewegungen reagierte.

„Ja, mein schöner Highland-Krieger“, sagte sie und spreizte die Beine ein wenig mehr, damit er noch besser an die Stelle ihres Körpers herankam, die sich, wie er wusste, bereits heftig danach sehnte, endlich von ihm berührt zu werden. „Dann zeig mir deine Gefühle …“

Für seinen Geschmack kam der Morgen viel zu schnell, doch glücklicherweise würde er sie bis an sein Lebensende jede Nacht im Arm halten können. Wenn sie aus Achnacarry zurückkehrten, würde er nach einem Bräutigam für das Mädchen Ausschau halten. Er konnte zwar keine Entführung für sie arrangieren, aber vielleicht wenigstens eine standesgemäße Ehe.

2. KAPITEL

Wenige Tage später …

Niall Corbett hatte die Arme über der Brust verschränkt und sah dabei zu, wie die wilde Truppe ausschwärmte und jeder sich einen guten Schlafplatz suchte. So wie jedes Mal, wenn sie einen Ort zum Lagern gefunden hatten, begannen auch jetzt sogleich wieder die üblichen Streitereien darüber, welches die beste Schlafstätte war und wem sie zustand. Anndra war zwar der Größte und Stärkste von ihnen, doch Micheil war schneller und hinterhältiger.

Das vertraute Gebrüll noch im Ohr, lief Niall auf eine kleine Erhöhung am Rande der Lichtung, auf der ein Baum wuchs. Fürs Erste würde es reichen.

Er ließ seine wenigen Besitztümer auf den Boden fallen und setzte sich auf einen Baumstumpf, um zu beobachten, wie sich der Kampf unter den Männern weiterentwickelte. Wie erwartet war Micheil auch heute wieder siegreich. Er versetzte Anndras Satteltaschen einen Tritt, sodass sie von dem kleinen Grasflecken direkt neben der Feuerstelle flogen, und legte seine eigenen stattdessen dorthin.

Auch Lundie beobachtete das Schauspiel aufmerksam, wie Niall bemerkte. Mit verschränkten Armen sah er den Streithähnen zu, sein Gesicht zeigte deutlich seine Missbilligung darüber. Es war hoffnungslos, Lundie hatte den Männern schon hundertfach eingebläut, dass sie nicht streiten sollten. Und doch, an jedem neuen Ort, an dem sie ihr Lager aufschlugen, ging es wieder von vorne los. Niall zog schon über sechs Monate mit diesen Männern umher, er hatte in dieser Zeit also bereits so einige Kämpfe miterlebt. Außer ein paar blauen Augen und einigen gebrochenen Rippen war dabei allerdings nicht viel passiert, daher duldete Lundie die Streitereien.

Niall stand auf, ging ein wenig umher und sah sich um. Hier musste sich irgendwann einmal ein richtiges, gut organisiertes Lager befunden haben, denn in den Höhlen in den Felsen, die eine Seite der Lichtung begrenzten, befanden sich noch einige Dinge, die dafür sprachen, dass hier einmal Menschen gelebt hatten. Abgeschirmt durch die Wälder und durch die hohe Lage in den Bergen, war es ein idealer Ort, um sich für längere Zeit zu verstecken. Lundie kam auf ihn zu, daher blieb Niall stehen.

„Jemand hat diesen Ort zuvor bereits genutzt“, sagte Lundie. „Als Lagerplatz oder Versteck.“ Niall nickte zustimmend.

„Ja, das ist etwas anderes als die morschen Berghütten, in denen die Clanmitglieder Unterschlupf suchen, wenn sie ihre Schafe hüten“, fügte er hinzu. „Die Höhlen bieten einen perfekten Unterschlupf.“

„Denkst du, es ist sicher hierzubleiben, Niall?“ Lundie hatte das Kommando über diese Horde, und er hatte sich in den letzten Monaten angewöhnt, seinem Rat zu vertrauen. Das war ein Teil seines Plans, und zumindest in dieser Hinsicht war er bisher erfolgreich gewesen.

„Mit dem toten Alten bei unserem letzten Überfall befürchte ich, dass wir an keinem Ort mehr lange sicher sind“, erwiderte Niall.

Der Mackintosh war dafür bekannt, dass er bei Unrecht gnadenlos durchgriff, genau wie für seinen Scharfsinn und seine Stärke. Durch den Tod eines seiner Clanmitglieder konnte er die Vorfälle auf seinem Land nicht mehr ignorieren, er würde diejenigen, die das getan hatten, hart bestrafen. Niall blickte noch einmal auf die Lichtung zu den Männern. Er hatte versucht, sich einzureden, dass das Ganze bloß passiert war, weil die Dinge außer Kontrolle geraten waren, doch eine nagende Stimme in ihm sagte ihm, dass es nicht so war. Und wenn er sich in Gedanken rief, wie der Überfall abgelaufen war, dann wusste er es eigentlich bereits. Lundies nächste Worte bestätigten alle seine Zweifel.

„War klar, dass so etwas passieren würde“, sagte er mit einem Achselzucken.

Wer auch immer Lundie die Befehle für die Überfälle gab, hatte also auch diesen Befehl gegeben.

Mit dem Tod des alten Mannes hatten sie eine Grenze überschritten. Sie hatten die Leute nur einschüchtern wollen, sie bedrohen wollen, doch jetzt war das Ganze mit einem Mal viel ernster. Wenn der Tod des Mannes zu einem größeren Plan gehörte, was würde dann als Nächstes passieren?

„Wir bleiben nicht länger als ein paar Tage hier. So lange wird es schon sicher sein.“ Lundie hatte seine Entscheidung offensichtlich getroffen. Niall nickte nur, und Lundie trat in die Mitte der Lichtung, damit die Männer ihn sehen konnten.

Er war zwar der Anführer dieser Truppe, doch der eigentliche Drahtzieher, der Mann, der den Befehl für diese Überfälle gegeben hatte, war jemand anderes. Jemand mit mehr Macht als Lundie, jemand, der in irgendeiner Form von ihren Taten profitierte. Nach jedem Angriff ritt Lundie davon, traf sich mit dem Befehlsgeber und kehrte mit dem nächsten Auftrag zurück. Niall musste herausfinden, wer dieser Mann war, der darauf aus war, Zwietracht zwischen den Camerons und den Mackintoshs zu säen.

Sein eigener Auftraggeber erlaubte ihm zwar, alles zu tun, was nötig war, um sowohl unerkannt zu bleiben als auch herauszufinden, wer hinter den Angriffen steckte. Doch dass Menschen zu Schaden kamen, konnte er auf keinen Fall tolerieren. Vor allem nicht, wenn es sich um unschuldige Dorfbewohner handelte. Nach Lundies Bemerkung zu urteilen, war dieser Mord nur der Anfang gewesen. Es würden weitere Opfer folgen. Lundie zog einen Beutel aus der Tasche an seinem Gürtel und wiegte ihn in den Händen. Man konnte die Münzen darin klimpern hören, und die Männer kamen grinsend näher. Niall blieb reglos stehen und wartete.

„Ihr habt gute Arbeit geleistet. Hier ist eure Belohnung.“ Lundie warf den Beutel Iain Ruadh zu, damit der den Inhalt verteilte. Jeder von ihnen würde einige Goldmünzen bekommen. Wenn sie ehrlicher Arbeit nachgingen, würden sie so viel nicht in mehreren Jahren verdienen.

„Iain Dubh“, rief Lundie. Das war der Name, den Niall benutzte, solange er bei dieser Truppe war. „Nach dem nächsten Angriff bist du derjenige, der eine besondere Belohnung erhält.“ Die anderen protestierten aufgebracht, weil sie fanden, dass sie für die vielen Entbehrungen alle eine Prämie verdient hatten. „Such dir etwas aus, und es gehört dir.“

Niall nickte lächelnd, als er seine Goldmünzen entgegennahm. Wenn alles nach dem inzwischen gewohnten Muster verlief, dann würde Lundie ihnen jetzt das nächste Ziel verraten, und sie würden am nächsten Morgen angreifen. Wegen des toten Mannes hatten sie eine kurze Pause zwischen den Attacken eingelegt. Schnell steckte er die Münzen in seinen Lederbeutel und wartete auf weitere Erklärungen.

„Der Mackintosh hat sein Land verlassen und ist zum Cameron geritten“, erklärte Lundie. „Morgen früh statten wir dem Dörfchen Drumlui einen Besuch ab.“

Niall zwang sich dazu, genauso erfreut zu reagieren wie die anderen Männer. Dieser Überfall war eine echte Herausforderung, und die Männer klopften sich gegenseitig ermutigend auf die Schultern. Offensichtlich waren sie glücklich, dass ihr Anführer ihnen so viel zutraute. Niall hingegen empfand Sorge bei dem Gedanken, wie waghalsig dieses Unterfangen war.

Selbst wenn Brodie Mackintosh nicht vor Ort war, sein Kommandant und unzählige Krieger würden bereitstehen, um die Burg und das Dorf zu verteidigen. Drumlui verfügte über hervorragende Verteidigungsanlagen, und wenn der Chief abwesend war, würde man die Anzahl der Soldaten sicher noch erhöht haben. Großer Gott! Es würde ein schreckliches Desaster werden!

„Bei Einbruch der Dunkelheit, wenn sie die Tore schließen, machen wir ein bisschen Ärger.“ Die Männer jubelten erfreut, doch Lundie bedeutete ihnen mit einem Zeichen, dass sie schweigen sollten. „Nichts Großes, nur eine klitzekleine Aufregung … sozusagen eine Überraschung.“

In anderen Worten, ein paar Männer niederschlagen, einige Hütten in Brand setzen und anschließend die Flucht ergreifen. Niall erschauderte bei dem Gedanken daran, dass er sich in unmittelbarer Nähe der Burg des Lairds der Mackintoshs befinden würde. Er wusste, dass irgendjemand es darauf anlegte, dem Mackintosh Ärger zu bereiten, doch er selbst wollte lieber nicht in dessen Nähe sein, wenn es passierte.

„Ruht euch aus. Wir reiten vor Sonnenaufgang los, jeder auf einem anderen Weg, und ihr werdet das Dorf einzeln betreten.“

Lundie nickte den Männern zu, die sogleich ihre Schlafstätten aufsuchten. Sie würden kein Feuer anzünden, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, selbst hier, in dieser abgelegenen, unwegsamen Gegend. Vorsichtshalber hielten sie des Nachts abwechselnd Wache.

Niall war nicht wohl bei ihrem neuesten Plan, daher entschloss er sich, noch einmal mit Lundie zu sprechen.

„Das ist gefährlich, und du weißt es, Lundie“, sagte er so leise, dass die anderen ihn nicht hören konnten. „Es ist etwas anderes, den Mackintosh ein wenig zu ärgern, aber sein Dorf anzugreifen, seine Burg … das grenzt schon an Wahnsinn.“

„Aber so lautet der Befehl“, gab Lundie achselzuckend zurück. „Keine Sorge. Die Bezahlung macht das Risiko wieder wett, Iain.“ Lundie war offensichtlich der Überzeugung, dass auch Niall nur von der Gier nach Gold getrieben war wie die anderen Männer.

„Na gut.“ Niall nickte. Sollte Lundie doch glauben, was er wollte, was die Belohnung betraf. Er selbst war entschlossen, am morgigen Tag bei dem Überfall besonders auf der Hut zu sein.

Nachdem sie sich den ganzen Tag in der Höhle versteckt gehalten hatten, machten sie sich an den Abstieg zum Dorf hinunter. Niall passierte das Tor der hohen, breiten Mauer, die das Dorf schützend umgab, und wandte den Blick von der noch viel höheren Mauer ab, hinter der sich die Burg befand. Er stieg ab und band sein Pferd fest. Da er hungrig war, kaufte er einen Laib Brot und brach ein Stück davon ab. Während er aß, beobachtete er die Dorfbewohner.

Es dauerte nicht lange, da bemerkte er sie.

Eine junge Frau, groß und schlank, ging an ihm vorbei, gefolgt von einem Mann. Sofort hatte er die Situation durchschaut: Der Bursche, ein schlaksiger, unbeholfener Kerl, war verliebt in die junge Frau. Doch sie schenkte ihm so gut wie keine Beachtung. Plötzlich drehte sie sich um, und Niall konnte zum ersten Mal einen richtigen Blick auf sie werfen.

Mein Gott! Sie war eine echte Schönheit!

Sie trug ein schlichtes, schmuckloses Kleid, doch der Rest von ihr war alles andere als unscheinbar. Ihre Augen leuchteten hellgrün wie ein junger Frühlingswald, in ihrem hellbraunen Haar schimmerten goldene Strähnen. Ihre Nase war zierlich, ihre Lippen hatten die Farbe von reifen Kirschen. Es waren die schönsten Lippen, die er jemals gesehen hatte. Sie waren … einfach perfekt. Er stellte sich vor, wie diese Lippen wohl schmecken würden, wie es sich anfühlen würde, sie zu küssen. Oder wie ihre Stimme klingen würde, wenn sie voller Lust seinen Namen flüsterte …

Niall schüttelte den Kopf. Woher kam dieses seltsame Verlangen nur? Er steckte sich das letzte Stück Brot in den Mund und dachte darüber nach, was diese heftige Reaktion in ihm ausgelöst haben mochte. Er war nicht unerfahren, was Frauen betraf, im Gegenteil. Bevor er zu Iain Dubh geworden war, hatte er verschiedene Gespielinnen gehabt, und selbst jetzt noch, wo er als Räuber durch die Lande zog, teilten die Frauen mit größtem Vergnügen sein Bett.

Nein, an seiner Unerfahrenheit konnte es nicht liegen. Er trat vom Weg hinüber in eine schattige Ecke, wo man ihn nicht sehen konnte, damit er die Szene, die sich zwischen den beiden abspielte, weiter verfolgen konnte.

Ohne dass er auch nur ein Wort davon hören konnte, was sie sagten, konnte er sich ein Bild von der Lage machen. Der Mann versuchte, die Frau davon zu überzeugen, ein Angebot, das er ihr gemacht hatte, anzunehmen. Er trat nervös von einem Fuß auf den anderen und vermied es, bis auf wenige kurze Male, den Blick zu heben und in ihre schönen Augen zu sehen.

Dann nahm die junge Frau seine Hand. Es war offensichtlich, dass sie versuchte, seinen Vorschlag möglichst behutsam auszuschlagen. Hatte er ihr womöglich einen Heiratsantrag gemacht? Dann war er weitaus mutiger, als Niall gedacht hatte.

„Dougal!“, sagte die schöne Frau nun etwas lauter. Aha, der Kerl heißt also Dougal. „Ich habe mich klar ausgedrückt, was eine Verbindung zwischen uns beiden angeht. Bitte, tu mir den Gefallen und sprich nicht mehr davon.“

Der unglückselige Bursche schnappte ein paar Mal nach Luft, offensichtlich suchte er nach Worten. Was würde er auf diese Ablehnung wohl entgegnen? Doch die energische junge Frau – wie hieß sie wohl, Isabel oder Margaret? – gab ihm keine Möglichkeit dazu. Sie ließ seine Hand los und trat ein paar Schritte zurück. Deutlicher konnte ihre Antwort nicht ausfallen.

Niall seufzte und sah diesem unerwarteten Schauspiel weiter zu. Wenigstens war es unterhaltsam und verkürzte ihm die Wartezeit.

Verdammt! Er musste gleich seinen Posten einnehmen. Doch plötzlich bemerkte er, dass das Mädchen und auch der Bursche sich inmitten der Gefahrenzone befinden würden, wenn er und seine Kumpane gleich für Aufruhr sorgten. Er sah sich um und überlegte, wie er sie von hier weglocken konnte. Niemand hatte ihn bemerkt. Vielleicht würden sie von hier weggehen, wenn sie ihn sahen, und sich in eine andere Richtung wenden.

Er hatte in den Monaten, seit er mit dieser Bande unterwegs war, vor den Überfällen schon viele Männer und Frauen gesehen und nie gedacht, dass er einen von ihnen warnen müsste. Warum also jetzt? Warum gerade bei ihr? Denn wenn er ehrlich war, ging es ihm nur um das Mädchen.

Ohne weiter darüber nachzudenken trat er aus dem Schatten hervor und pfiff laut vor sich hin, damit sie ihn bemerken mussten. Als sie ihn sah, wich sie noch weiter vor dem jungen Dougal zurück, hob den Kopf und sah stattdessen zu ihm herüber, direkt in seine Augen. Niall stockte der Atem, als sich ihre Blicke trafen. Sofort wurde er von heftigem Verlangen gepackt.

Er sog den Atem hörbar ein und nickte ihr zu, blieb aber stehen. Er wollte sie dazu bringen, den Weg zu nehmen, der vom Dorf wegführte, und der befand sich zu seiner Rechten. Sein Pferd hinter sich herziehend ging er langsam an ihr vorbei. Dabei starrte sie ihn an, als würde sie überlegen, ob sie sich bereits einmal begegnet waren. Schließlich drehte sie sich zu ihrem Begleiter um und ging dann davon, so wie er es geplant hatte.

Er würde sich ganz bestimmt an sie erinnern, wenn sie sich schon einmal getroffen hätten. Doch nein, es war nicht der Fall. Vor den Überfällen war er noch nie auf dem Land der Mackintoshs oder der Camerons gewesen.

Nun blieb sie überraschend stehen und wandte sich zu ihm um. Dann kam sie auf ihn zu.

Aus der Nähe sah er, dass ihre Augen sogar noch eindrucksvoller waren als aus der Ferne. Sie leuchteten hell im Sonnenlicht, funkelten wie edle Steine. Während sie ihn fragend anschaute, spürte er Erregung in sich aufsteigen. Er wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und versuchte, nicht die Beherrschung zu verlieren.

„Guten Tag“, sagte sie ruhig und sah ihm noch immer direkt ins Gesicht. „Braucht Ihr etwas?“

Warum musste sie ihn ausgerechnet das fragen? Ein bestimmter Teil von ihm fasste ihre unschuldige Frage sehr wörtlich auf. Ihre Stimme klang sanft und melodisch zugleich, genauso sinnlich, wie er sie sich vorgestellt hatte. Doch bevor er ihr eine Antwort geben konnte, war der unglückselige Dougal schon an ihrer Seite und trat noch einen Schritt näher zu ihr, als wolle er sie beschützen. Der arme Bursche würde keine Chance haben, seiner Bande Widerstand zu leisten, wenn sie gleich loslegten.

„Guten Tag euch beiden“, erwiderte Niall. „Nein, ich bin nur auf der Durchreise und wollte da an dem Brunnen etwas trinken.“ Niall deutete mit dem Kopf auf den steinernen Brunnen. Das war eine plausible Erklärung.

„An der Seite hängt ein Eimer mit einer Schöpfkelle“, erwiderte das schöne Mädchen. Der unglückselige Dougal warf ihm einen wütenden Blick zu und verschränkte die Arme vor seiner mageren Brust.

Vielleicht hat er meine Blicke besser gedeutet als sie selbst, dachte Niall.

Er zog sein Pferd weiter und ging in Richtung des Brunnens. Mit einem Mal erklangen Schreie und Kampfgeräusche, und das Mädchen und der junge Mann blickten unruhig umher, um die Quelle des Lärms auszumachen. Dann machte die junge Frau einen Schritt in die Richtung, aus der die Geräusche kamen, und Niall packte sie ohne nachzudenken bei den Schultern. Sie sog ängstlich die Luft ein, doch Niall achtete nicht darauf und schob sie auf den anderen Pfad.

„Geh! Weg von hier! Jetzt!“, flüsterte er ihr eindringlich zu, sodass nur sie die Worte hören konnte.

Stolpernd lief sie einige Schritte davon und prallte mit dem unglückseligen Dougal zusammen, der sie festhielt. Niall konnte nicht noch mehr Zeit hier verschwenden. Er musste sich unter die anderen mischen, damit sie sahen, dass er bei dem Überfall mitmachte. Schließlich hatte er eine Rolle zu spielen. Daher wandte er den Blick von ihr ab, stieg auf sein Pferd und ritt auf den nun immer lauter werdenden Tumult zu.

Sie würde allein zurechtkommen müssen, so gerne er, oder besser gesagt sein Körper, sich auch um sie kümmern würde. Nur mit viel Mühe schaffte er es, sich nicht umzudrehen und sie noch einmal anzusehen. Dieses Mädchen mit den wundervollen Augen und dem verlockenden Mund stellte wirklich eine Gefahr für ihn dar, eine weitaus schlimmere als alles, was ihm bislang auf seiner Mission widerfahren war. Und das, obwohl die letzten Monate ihn vor unzählige Herausforderungen gestellt hatten.

Doch jetzt musste er seine ganze Aufmerksamkeit auf den Kampf lenken. Die Schreie wurden immer lauter und ängstlicher. Er konnte nicht weiter über das verführerische Mädchen mit den grünen Augen nachdenken, so schwer es ihm auch fiel.

3. KAPITEL

Im ersten Moment verwirrte der Fremde sie.

Sie war es gewohnt, mit Leuten zu sprechen, die sie nicht kannte, wenn sie für Lady Arabella tätig war. Viele Menschen aus ganz Schottland kamen zu ihnen, um mit dem mächtigen Oberhaupt des Chattan-Bündnisses zu sprechen. Doch dieser Mann war ganz anders als die Männer, die Brodie Mackintosh gewöhnlich aufsuchten. Er hatte zwar oft Besuch von Dorfleuten und Bauern, doch nicht von Männern, die so aussahen, als ob sie auf der anderen Seite des Gesetzes standen.

Der Mann war ebenso hochgewachsen und muskulös wie Brodie. Obwohl seine Kleidung vollkommen dreckverschmiert war, wirkte dieser Aufzug irgendwie aufgesetzt an ihm, so als wäre es nur eine Verkleidung. Seine Augen leuchteten blau in dem markanten Gesicht, das ebenso schmutzig war wie die Sachen, die er am Leib trug. Wie lange hatte er wohl schon dort im Schatten gestanden? Hatte er ihr Gespräch mit Dougal etwa belauscht und wusste, dass er ihr einen Heiratsantrag gemacht hatte?

Warum nur hatte er sie gerade eben aufgefordert, wegzulaufen? Als ob sie in ihrem eigenen Dorf den Worten eines Fremden vertrauen würde.

Doch dann hörte Fia die Schreie! Ängstlich blickte sie sich um und sah, dass die Tore, durch die man zur Burg gelangte, bereits geschlossen waren. Sobald die Sonne unterging, waren die Dorfbewohner bei einem Überfall so lange schutzlos und auf sich allein gestellt, bis Soldaten aus der Burg eintrafen. Die Geräusche, die aus dem westlichen Teil des Dorfes zu ihnen herüberdrangen, waren so besorgniserregend, dass Fia nicht länger tatenlos abwarten konnte.

„Dougal! Lauf zur Burg und hol Hilfe!“, rief sie und blickte in die Richtung, aus der der Lärm kam. „Los, Dougal! Lauf!“

Fia wartete nicht ab, ob er ihr antwortete, sondern rannte so schnell sie konnte den Weg entlang, am Brunnen vorbei. Die Dorfbewohner kamen ihr panisch entgegengelaufen. Was war bloß geschehen? Fia erreichte die Weggabelung, der eine Pfad führte zu den Feldern, der andere zu einigen Hütten und zur Mühle. Voller Schreck sah sie, dass sich der Tumult immer weiter ausbreitete, Pferdewagen wurden umgeworfen, und einige der Dorfbewohner versuchten verzweifelt, sich den Angreifern entgegenzustellen. Als zwei von ihnen an ihr vorbeigaloppierten, um die anderen Räuber zu unterstützen, stockte Fia vor Angst der Atem.

In dem Moment kam alles wieder in ihr hoch, und die schmerzhaften Erinnerungen an den Überfall auf das Lager vor einigen Jahren prasselten auf sie ein. Sie war erst zehn Jahre alt gewesen, als Caelans Männer sie bedroht hatten. Und jetzt, beim Anblick der Männer, die jeden zu Boden warfen, der sich ihnen in den Weg stellte, war sie mit einem Mal wieder das zehnjährige, zu Tode erschrockene Mädchen von damals. Sie war vor Angst vollkommen gelähmt, und der Lärm und die Schreie, die nun auf sie eindrangen, vermischten sich in ihrem Kopf mit den Schreckensschreien von damals.

Mit einem Mal hörte sie ein Kind vor Angst laut weinen.

Damals hatte Lady Arabella sie gerettet, indem sie sie aus dem Weg gezerrt und in ein sicheres Versteck gebracht hatte. Fia wusste, dass sie handeln musste, sonst würden die Angreifer dem Kind etwas antun. In gebückter Haltung lief sie in die Richtung, aus der das Weinen erklang, und suchte nach dem Kind. Inzwischen stiegen bereits Rauchfahnen aus den mit Stroh gedeckten Dächern auf, die das Raubgesindel angezündet hatte. Zum Glück entdeckte sie das weinende Mädchen, ehe die Schwaden dicker wurden und die Sicht versperrten.

„Komm, Meggy!“, rief sie und lief auf die Kleine zu. Sie nahm sie bei der Hand und zog sie schnell hinter sich her in den Wald, weg vom Kampf und von den Bränden. „Wo ist deine Mam?“, fragte sie. Doch das Mädchen weinte so heftig, dass es nicht sprechen konnte. Fia nahm es auf den Arm und versteckte es unter einem dichten Busch. „Ich gehe sie suchen und bringe sie zu dir. Bleib hier, bis ich wiederkomme!“

Fia zog ein paar Zweige über das Mädchen und rannte davon, um Meggys Mutter zu finden. Plötzlich stolperte sie über die reglose Anice, die mitten auf dem Weg lag. Fia kniete sich neben sie, strich ihr über die Stirn und sagte ein paar Mal leise ihren Namen. Anice bewegte sich leicht, sie war jedoch bewusstlos. Gott sei Dank! Sie war am Leben! Fia rollte sie auf den Rücken und sah nach, ob sie irgendwelche Verletzungen hatte. Dann machte sie sich daran, die Frau in die Büsche zu ziehen. Doch sie hatte kaum die Arme der Frau gepackt, da kamen plötzlich zwei Reiter auf sie zu und umkreisten sie bedrohlich.

„Was haben wir denn da?“, rief der eine und kam ihr so nahe, dass sein Pferd gegen ihren Rücken stieß. Beinahe hätte Fia das Gleichgewicht verloren, doch sie fing sich sogleich wieder und umgriff Anices Handgelenke noch fester.

„Nicht doch, Mädchen“, sagte der andere Mann höhnisch, er hatte ein rattenartiges, verschlagenes Gesicht. Er lenkte sein Pferd so dicht an sie heran, dass es sie wegdrückte und sie Anice loslassen musste. Sie stand einen Moment lang da, strich sich ein paar lose Haarsträhnen aus dem Gesicht und blickte zur Burg. Kamen die Soldaten den Dorfbewohnern bald zu Hilfe? Dann wandte sich Fia den Männern zu.

„Oh, es dauert noch, bis sie hier sind“, sagte der erste Mann, stieg von seinem Pferd und ging auf sie zu. Jetzt, wo er neben ihr stand, bemerkte sie erst, wie groß er war. Gegen ihren Willen erschauderte sie vor Angst. „Dafür haben wir gesorgt.“

Dougal? Hatten sie Dougal erwischt, bevor er die Burg erreicht hatte? War er etwa …? Langsam wich sie zurück, Schritt für Schritt, bis sie nicht mehr weitergehen konnte. Das Rattengesicht war jetzt hinter ihr, sie war zwischen den beiden Männern gefangen. Fia versuchte verzweifelt, nicht in Panik auszubrechen, doch die lüsternen Blicke der Angreifer sagten ihr, dass sie keine Chance hatte.

„Ach, Anndra, jetzt hast du der Kleinen Angst eingejagt“, sagte das Rattengesicht.

Ja, das hatte er. Fia stand reglos da und hoffte, dass sie sie nicht packen würden, denn dann wäre sie verloren. Die beiden waren viel zu stark, sie konnte sie unmöglich abwehren.

Der Größere der beiden trat noch einen Schritt auf sie zu, und ihr stockte vor Angst der Atem. Fia betrachtete voller Panik seine massige Gestalt und seine riesigen Pranken. Der Lärm im Dorf wurde jetzt immer lauter, doch diese beiden machten keinerlei Anstalten, zu ihren Kumpanen zurückzukehren und ihnen bei ihrem Raubzug zu helfen. Nein, im Gegenteil, sie verschlangen sie förmlich mit bohrenden, lüsternen Blicken, und Fia bekam es nun wirklich mit der Angst zu tun. In dem Moment nickte der Mann, der Anndra hieß, dem Rattengesicht zu, und sie wusste, dass ihre Stunde geschlagen hatte.

Riesige Hände schlossen sich schmerzhaft um ihre Schultern und hielten sie mit eisernem Griff gefangen, sodass sie sich nicht mehr bewegen konnte. Verzweifelt versuchte sie, sich loszumachen, doch das machte alles nur noch schlimmer. Als sie den Mund öffnete, um zu schreien, steckte das Rattengesicht ihr einen faulig riechenden Stofffetzen in den Mund und zog sie fest zu sich heran.

„So, Mädchen, jetzt zeigen wir dir, wie es ist, von einem echten Mann beglückt zu werden“, flüsterte er, leckte ihr über den Hals und biss ihr in die Schulter. Sie stieß einen gedämpften Schrei aus, doch das schien die beiden nur noch mehr zu erregen.

„Du? Ein richtiger Mann, Micheil?“ Anndra lachte laut auf und durchtrennte die Bänder ihres Mieders mit einem Messer. Dann packte er den Stoff und riss ihn auseinander. Fia versuchte mit aller Kraft sich zu wehren und wand sich verzweifelt hin und her, um sich loszureißen. Wegen des Lappens in ihrem Mund konnte sie kaum atmen, geschweige denn um Hilfe rufen. „Ich zeige ihr, was ein richtiger Mann ist, und du kannst zuschauen, damit du es lernst.“

Mit einem Ruck zog er ihr das Mieder bis zur Taille hinunter, und sie spürte einen kalten Lufthauch auf ihrer Haut. Sie stemmte sich mit aller Kraft gegen ihn, doch dadurch wurde sie nur noch dichter an den Mann hinter ihr gedrückt. Der Größere starrte grinsend auf ihre entblößten Brüste, deren Spitzen sich durch die Kälte zusammengezogen hatten, und streckte die Hand nach vorne, um sie anzufassen. Fia hielt den Atem an und schickte ein Stoßgebet gen Himmel. Wenn ihr doch nur jemand helfen würde! In dem Moment hörte sie, wie ein Schwert gezogen wurde, und sie sah, wie die Strolche verwundert innehielten.

„Vielen Dank, Kumpels“, erklang eine kräftige Männerstimme hinter dem Rücken des größeren Mannes. „Ihr habt sie also gefunden.“

Micheil stieß einen Fluch aus, die Worte waren so derbe, dass sie gar nicht verstand, was er meinte. Anndra drehte sich halb um, ließ sie jedoch nicht los.

„Wen gefunden?“, fragte er aufgebracht.

„Das Mädchen, das ihr da zwischen euch habt.“

Anndra drehte sich diesmal ganz zu dem Mann um, und Fia nutzte die Gelegenheit und ließ sich auf die Knie fallen, damit sie davonkriechen konnte. Sie kam allerdings nicht weit, denn Anndra packte sie an den Haaren und zog sie hoch, bis sie wieder auf ihren Füßen stand. Einen Moment lang herrschte absolute Stille, und ihr wurde schlagartig bewusst, dass die Männer sie anstarrten. Schnell versuchte sie, sich mit ihrem zerrissenen Gewand notdürftig zu bedecken. Dabei fiel ihr Blick auf den dritten Mann.

Der Fremde. Er gehörte also auch zu ihnen. Hatte er in dem Tumult etwa nach ihr gesucht? Fia konnte vor lauter Angst und Schmerzen kaum denken. Der fremde Mann kam auf sie zu, sein Schwert noch immer erhoben. Fia konnte nicht sagen, ob er Freund oder Feind war. Er hatte sie gewarnt und ihr so die Möglichkeit gegeben, der Gefahr zu entfliehen, selbst wenn sie sich nicht an seine Worte gehalten hatte. In dem Moment erklang ein schriller Pfiff, und alle drei wandten ruckartig die Köpfe um.

„Das war’s, Zeit zu gehen“, sagte der Fremde.

„Es dauert doch bloß ein oder zwei Minuten.“ Anndra zog sie wieder fest zu sich heran.

„Nein, sie gehört mir.“ Micheil zerrte sie zurück zu sich.

Fia schaffte es, den Lappen aus dem Mund zu nehmen, und begann, sich nun mit aller Kraft zu wehren. Sie rammte den Kopf fest gegen Micheils lange, spitze Nase, und zu ihrer Genugtuung hörte sie, wie er vor Schmerz aufheulte. Doch da packte Anndra sie erneut.

„Nein!“ Der Fremde kam mit erhobenem Schwert näher. „Lundie hat gesagt, dass ich mir dieses Mal eine Belohnung aussuchen kann. Und ich habe mir sie ausgesucht.“

Er nahm sie am Arm und zog sie von seinen beiden Kumpanen weg. Ihren Mienen nach zu urteilen würden sie sich nicht so schnell geschlagen geben. Der Fremde starrte sie unverwandt an, selbst als er mit den anderen sprach.

„Es stimmt doch, ich habe die Wahl, oder, Lundie?“

„Aye.“ Ein Mann, den Fia zuvor gar nicht bemerkt hatte, trat mit seinem Pferd aus dem Schatten heraus. „Wenn du mein großzügiges Angebot für ein Stück Hintern verschwenden willst, dann nur zu.“

Lundie sah die beiden anderen an und bedeutete ihnen mit einer Handbewegung, dass sie verschwinden sollten. Sofort setzten sie sich in Bewegung und rannten davon.

„Dir ist klar, dass sie Probleme machen wird, oder?“ Er deutete mit dem Kopf in ihre Richtung. Dann ließ er den Blick über ihren Körper hinabgleiten, an ihrem Bauch machte er halt, anschließend musterte er genussvoll ihre Brüste. Schnell zog sie den zerrissenen Stoff ihres Gewands noch fester an sich. „Wär’ besser, wenn du dich jetzt gleich mit ihr vergnügst und sie anschließend hierlässt.“

Der Fremde ging auf sie zu, legte eine Hand unter ihr Kinn und hob es an. Sie zitterte am ganzen Körper, denn sie wusste, dass ihre spärlichen Kampfkünste bei ihm nichts bewirken würden. Doch er hatte ihr vorhin bereits die Möglichkeit gegeben, wegzulaufen. Vielleicht würde er es ja wieder tun.

„Oh ja, ich werde mich mit ihr vergnügen“, flüsterte er, bevor er seinen Mund auf ihre Lippen presste und ihre stille Frage damit beantwortete.

Fia hatte nicht mit einem solchen Ansturm an Empfindungen gerechnet, die dieser Kuss in ihr auslöste. Er war vollkommen anders als jeder Kuss, den sie in ihrem Leben bekommen hatte, denn die waren vollkommen harmlos und unschuldig gewesen. Nein, dieser Kuss war feurig und zog sie ganz in seinen Bann, und es dauerte einen Moment, ehe ihr klar wurde, dass der Fremde nicht vorhatte, sie gehen zu lassen.

Er fuhr ihr mit einer Hand durch das Haar und spielte mit den seidigen Strähnen. Dabei zog er sie noch fester zu sich heran und umspielte mit seiner Zunge ihre Lippen. Sie öffnete sie leicht, um zu protestieren, doch in diesem Moment ließ er sie schon in ihre Mundhöhle gleiten und löste damit einen solchen Strudel der Gefühle in ihr aus, dass sie keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Sie vergaß, wo sie war und was um sie herum passierte, und sie nahm nichts mehr wahr außer das immer stärker werdende Feuer, das er in ihrem Inneren entflammte.

Doch dieses Gefühl hielt nur einen kurzen Moment an, denn auf einmal prasselte alles wieder auf sie ein, und ihr fiel ein, was gerade vor sich ging. Sie biss mit voller Kraft zu, und er schrie vor Schmerzen auf. Wie sie gehofft hatte, ließ er von ihr ab.

„Verdammt!“ Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.

„Große Probleme, sag ich dir“, rief Lundie. Wieder erklang ein Pfiff, und beide Männer sahen zur Burg hinüber. „Nimm sie jetzt auf der Stelle oder lass sie hier, aber mach schnell. Wir müssen weg.“ Lundie wendete sein Pferd und ritt davon.

„Ich flehe Euch an, lasst mich gehen“, sagte Fia und wich vor ihm zurück. „Meine Freundin braucht Hilfe.“ Sie deutete mit dem Kopf auf die bewusstlose Anice.

Ohne eine Antwort abzuwarten, ging sie langsam rückwärts zu ihrer Freundin. Die Kampfgeräusche hatten ein wenig nachgelassen, und aus Richtung der Burg war jetzt lautes Gebrüll zu hören. Die Soldaten rückten aus, um ihnen Beistand zu leisten und die Angreifer zu vertreiben.

„Lauft! Weg von hier! Jetzt!“, beschwor sie ihn mit den gleichen Worten, die er vorhin zu ihr gesagt hatte, und lief zu Anice. Doch sie hatte nicht bemerkt, dass der große Mann namens Anndra zurückgekehrt war. Er packte mit einem seiner dicken Arme ihre Hüfte und schleuderte sie in Richtung seines Kumpans.

„Wenn du nicht mit ihr fertig wirst, dann nehme ich sie mir vor.“

Jede Hoffnung, doch noch fliehen zu können, löste sich in Luft auf. Der Fremde kam auf sie zu, sein Blick war eiskalt und hart, die Begierde war nun vollkommen aus seinen Augen gewichen. Und auch jegliches Zeichen, das darauf hindeutete, dass er sie gehen lassen würde.

„So macht man das“, hörte sie Anndras Stimme hinter sich.

Noch bevor sie sich zu ihm umwenden konnte, spürte sie einen heftigen Schlag gegen ihren Hinterkopf. Und dann wurde alles um sie herum schwarz wie die Nacht.

Niall stieß einen Fluch aus, als das Mädchen nach dem Hieb zusammensackte. Anndra grinste ihn höhnisch an und hielt die Ohnmächtige weiterhin fest. Schnell lief Niall zu seinem Pferd, stieg auf und ritt auf die beiden zu. Mit sicherem Griff zog er das Mädchen zu sich auf den Sattel.

Da erklang ein weiterer Pfiff, und er wusste, dass sie sofort von hier verschwinden mussten. Es blieb keine Zeit, zu überlegen, was er mit ihr tun sollte, also wendete er sein Pferd und ritt in Richtung Westen davon. Er, Anndra und Lundie folgten einem Pfad, der sie an die Furt durch einen kleinen Fluss führte, sodass man ihre Fährte nicht weiter verfolgen konnte.

Er versuchte, die Frau auf seinem Schoß nicht weiter zu beachten, obwohl er sie die ganze Zeit festhalten musste, damit sie nicht hinunterrutschte. Es war schwierig, mit ihrem wie leblosen Körper auf den Beinen zu reiten, doch es ging nicht anders. Zum Glück war sie nur bewusstlos und nicht tot. Wenn sie wieder aufwachte, würde es erst richtig schwierig für ihn werden.

Lundie hatte gesagt, dass sie Probleme bereiten würde. Und, ja, es hatte bereits welche gegeben, und das würde auch so bleiben, bis er sie loswurde. Eine einzelne Frau in einer Horde von Männern würde nichts Gutes bringen. Er blickte Anndra von der Seite an und wusste, dass er sie nicht ewig vor ihm und den anderen beschützen konnte, indem er sie als seine Belohnung für sich beanspruchte. Nein, die Situation würde außer Kontrolle geraten.

Eine Weile folgten sie dem Fluss in Richtung Nordosten, dann nahmen sie einen schmalen Pfad, der immer tiefer in die Wälder hineinführte. Als es dunkel wurde, ritten sie langsamer, doch Lundie führte sie auch im schwachen Mondlicht auf Umwegen sicher weiter zu ihrem Versteck in den Bergen. Das Mädchen hatte sich nicht bewegt, seit sie das Dorf verlassen hatten.

Als sie das Lager erreichten, forderte Lundie ihn auf, zu ihm zu kommen, und Niall ritt vor an seine Seite.

„Du hättest sie dalassen sollen“, sagte der Anführer und spuckte auf den Boden. Er hatte so leise gesprochen, dass Anndra ihn nicht hören konnte.

„Du weißt, was Anndra mit ihr vorhatte“, erwiderte Niall ausweichend.

„Du bist zu weich, Iain, das wird dich noch mal das Leben kosten.“

Niall wusste nicht, was er Lundie entgegnen sollte. Er war schon so lange nicht mehr der Mann, der er einmal gewesen war, und dadurch, dass er das Mädchen gerettet hatte, fühlte er sich zum ersten Mal seit Langem wieder wie der ehrenhafte Mann, der er früher gewesen war. Wie ein Mann von adeliger Herkunft mit edlen Absichten. Doch wenn er sich auf ihrer Mission wie ein Nobelmann verhielt, dann würden die anderen ihm auf die Schliche kommen und ihn töten.

Er sah, wie Lundie abstieg und die Zügel seines Pferds an einem Baum festband. Nachdem er Anndra aufgetragen hatte, zum Bach zu gehen und Wasser zu holen, kam er zu Niall und streckte ihm die Arme entgegen, um ihm die immer noch Bewusstlose abzunehmen. Sie zeigte keinerlei Reaktion, als er sie hinunterhob. Niall stieg ebenfalls ab, zog eine Decke aus seiner Satteltasche und breitete sie auf dem Boden in einer der Höhlen aus. Lundie legte das Mädchen darauf. Dann nahm er eine Fackel aus seinem Gepäck und zündete sie an.

Der Zopf des Mädchens hatte sich gelöst, und die Haarpracht umrahmte ihr schönes Gesicht. Niall sah, dass einige Strähnen im Feuerschein golden aufleuchteten, und er musste sich beherrschen, um sie nicht zu berühren. Stattdessen konzentrierte er sich auf das, was tatsächlich wichtig war, und untersuchte die Stelle an ihrem Hinterkopf, an der Anndra sie mit dem Ast geschlagen hatte. Als er seine Hand wieder zurückzog, klebte frisches Blut daran.

Lundie kam zu ihm und reichte ihm einen Trinkbeutel. Niall nahm einen tiefen Schluck und gab ihn anschließend wieder zurück.

„Zwei Wochen. Mehr gebe ich ihr nicht. Wenn sie dann überhaupt noch lebt, musst du sie loswerden. Oder ich übernehme das.“ Lundie sah ihn mit Nachdruck an, und Niall nickte. „Anndra bringt frisches Wasser, damit kannst du sie säubern. Ich übernehme die erste Wache, schlaf ein wenig.“

Niall nickte und wandte sich wieder der Ohnmächtigen zu. Nach kurzer Zeit hatte er ihren Kopf verbunden und ihr Gewand notdürftig wieder zusammengeflickt. Noch immer lag sie reglos da, und Niall legte sich hinter sie, nachdem Lundie die Fackel gelöscht hatte. Langsam wurde es immer kühler, und das Mädchen begann, in seinen Armen zu zittern. Schnell deckte er sein Plaid über sie, und sie stöhnte leise auf. Sofort versuchte er, sie zu beruhigen.

„Nicht doch. Keiner tut dir etwas“, flüsterte er.

Er spürte, dass sie sofort wieder das Bewusstsein verlor, und dachte an sein Versprechen. Erneut fragte er sich, wie lange die anderen sie wohl in Ruhe lassen würden. Die Mission wurde langsam immer gefährlicher.

Doch er wusste, dass er keine andere Wahl hatte. Es stand zu viel auf dem Spiel.

4. KAPITEL

Die Schmerzen waren so unerträglich, dass sie davon aufwachte.

In ihrem ganzen Leben hatte sie sich nicht so schlecht gefühlt, ihr Magen rebellierte von dem bohrenden Stechen in ihrem Kopf. Fia wollte sich umdrehen, sie konnte nicht auf dem Rücken liegenbleiben, doch der Schmerz schoss in Wellen durch sie hindurch, sodass sie reglos liegenblieb und laut aufstöhnte.

„Nicht doch“, flüsterte jemand im Dunkeln.

Sie spürte starke Hände, die sich u...

Autor

Terri Brisbin
Das geschriebene Wort begleitet Terri Brisbin schon ihr ganzes Leben lang. So verfasste sie zunächst Gedichte und Kurzgeschichten, bis sie 1994 anfing Romane zu schreiben. Seit 1998 hat sie mehr als 18 historische und übersinnliche Romane veröffentlicht. Wenn sie nicht gerade ihr Leben als Liebesromanautorin in New Jersey genießt, verbringt...
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Maya Banks
Die Nr.1-New York Times-Bestsellerautorin Maya Banks lebt mit ihrer Familie und einer ganzen Schar von Haustieren in Texas und ist ein echtes Südstaatenmädchen. Wenn sie nicht an einem ihrer packenden Romane schreibt, trifft man sie beim Jagen und Fischen oder beim Pokerspielen.
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