Historical Saison Band 118

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

DIE HAUSHÄLTERIN UND DER VERBOTENE LORD von LAURA MARTIN

Als ihr Bräutigam sie vorm Altar stehen lässt, nimmt Kate eine Stelle als Haushälterin an. In der Einsamkeit von Crosthwaite House will sie ihr gebrochenes Herz heilen. Aber ihr Plan wird jäh zunichte gemacht: Unerwartet taucht der Besitzer Lord Henderson auf und weckt gegen jede Vernunft unwiderstehliches Begehren in ihr …

LEIDENSCHAFTLICHER WETTSTREIT MIT DEM VISCOUNT von LOTTE R. JAMES

Stallmädchen Bobby muss für ihren verletzten Arbeitgeber und besten Freund bei einem Langstrecken-Pferderennen einspringen. Denn sonst ist dessen Besitz von vornherein verloren! Doch wie soll sie gewinnen, wenn ihr Rivale Viscount Hayes mindestens so attraktiv wie arrogant ist – und ihre Sinne mit jeder Meile mehr verwirrt?


  • Erscheinungstag 12.07.2025
  • Bandnummer 118
  • ISBN / Artikelnummer 8090250118
  • Seitenanzahl 400

Leseprobe

Laura Martin, Lotte R. James

HISTORICAL SAISON BAND 118

Laura Martin

1. KAPITEL

Mit einem Seufzer machte Kate es sich gemütlich auf dem bequemen Stuhl im Zimmer der Hauswirtschafterin. Für einen Moment erfreute sie sich an der Stille ringsumher. Es war spät, kurz nach elf Uhr abends, und sie war allein im Haus. Eigentlich war es nicht vollkommen still. Das alte Haus knarrte und ächzte beim kleinsten Windstoß, außerdem tickte die alte Standuhr in der Diele. All diese Geräusche waren vertraut und tröstlich. Kate gefiel die Vorhersagbarkeit und Routine hier in Crosthwaite House. Sie hatte diese Stellung erst seit sechs Monaten, aber jeder Tag verlief auf die gleiche Weise. Früher hätte sie dies langweilig gefunden, doch in den vergangenen Monaten war es genau das, was sie brauchte, um ihr gebrochenes Herz und verletztes Selbstgefühl zu heilen und herauszufinden, was ihr wirklich wichtig war.

Sie nahm die Tasse mit heißer Schokolade von dem kleinen Tisch neben sich und trank einen Schluck. Es war ihr einziger Luxus jeden Tag, und sie hatte sich darauf gefreut, seit sich die beiden jungen Mägde aus dem Dorf um sieben Uhr verabschiedet hatten. Manchmal trank sie ihre Schokolade oben in der großen Bücherei und las in einem der zahlreichen Bücher, aber an den meisten Tagen zog sie sich in ihre Kammer zurück und genoss das süße Getränk kurz vor dem Schlafengehen.

Das Zimmer war einfach, aber gemütlich. Die frühere Haushälterin hatte dreißig Jahre lang dieselben Möbel benutzt, aber als sie ging und ihr als Nachfolgerin die Schlüssel des großen Hauses übergab, empfahl sie Kate, sich Möbelstücke aus dem ganzen Haus zusammenzusuchen, um die Kammer heimeliger zu machen und ihrem Geschmack anzupassen. Nun stand hier ein Schaukelstuhl, den sie im obersten Stockwerk gefunden hatte, und sie benutzte Bettwäsche aus einem Zimmer, das möglicherweise früher einmal einer Gouvernante gehört hatte.

Dies alles war nicht mit ihrem Zimmer im Elternhaus zu vergleichen, aber es war praktisch und bequem, und für Kate war es zur Zuflucht vor der Außenwelt geworden.

Müde erhob sie sich und ging durch den langen Flur zur Küche. Ihre einzige Kerze nahm sie mit, um den Weg zu beleuchten. Sie stellte ihre Tasse neben das Waschbecken, wo sie sie zum Spülen am nächsten Morgen stehen ließ. Sie war stets früh auf den Beinen und begann ihre Arbeit, noch bevor die beiden Mägde ankamen.

Zurück in ihrer Kammer, schloss Kate die Tür hinter sich und stieg ins Bett. Die Luft hier war so angenehm, dass sie immer gut schlief, ganz besonders, wenn sie nach dem Dinner einen langen Spaziergang am See unternahm. Als sie die Kerze ausblies, fielen ihr bereits die Augen zu.

Das Gebäude lag in totaler Finsternis, als er ankam, aber George hätte sich mit verbundenen Augen zurechtgefunden. Er hatte seine Kindheit umherreisend zwischen den verschiedenen Besitztümern seines Vaters verbracht, aber Crosthwaite House war immer sein Lieblingshaus gewesen. Auf dem Gelände gab es viele geheime Verstecke, und in den Sommermonaten war es nur ein kurzer Weg zum See, um sich abzukühlen. Für einen Augenblick erlaubte er sich, in diesen glücklichen Erinnerungen zu schwelgen, denn er wusste, dass sie bald von dunkleren vertrieben werden würden.

Seit zwei Jahren war er nicht mehr hier gewesen, und selbst im Dunkeln überraschte es ihn, wie gut das Gelände und das Haus instand gehalten worden waren. Bei seiner Abreise nach Italien hatte er das Anwesen in den Händen von Mrs. Lemington, seiner betagten Haushälterin, zurückgelassen. Ihr Ehemann arbeitete als Hausbewahrer. Beide waren in den Siebzigern, und George fühlte sich fast ein wenig schuldbewusst, weil sie so lange Zeit ohne jede Anweisung hatten zurechtkommen müssen. Er hatte einen Mann eingestellt, der sich um einige seiner größeren Liegenschaften im Süden kümmerte, aber Crosthwaite war weit entfernt von London, und er bezweifelte, dass der Verwalter viel zu dessen Erhalt beigetragen hatte.

George war müde nach dem langen Ritt und freute sich auf eine angenehme Nacht in einem weichen Bett. Er suchte eine leere Box für sein Pferd und bereitete es für die Nacht vor. Alles Benötigte lag bereit, sogar eine kleine Menge Heu, und nach fünfzehn Minuten stand Odysseus mit glänzendem Fell und gutem Futter im Stall.

Nun wandte sich George dem Haus zu. Er schaute auf die Uhr – Mitternacht war bereits vorüber. Während er sich um Odysseus kümmerte, hatte er keine Bewegung und keine Geräusche wahrgenommen. Mr. und Mrs. Lemington bewohnten kleine Zimmer neben der Küche. Vermutlich würde kein weiteres Personal im Hause sein. Als er seine Absicht verkündete, das Haus für immer zu verlassen, beschloss seine Haushälterin, Mägde und einen Gärtner aus dem Dorf einzustellen, die jeden Abend heimgehen konnten. Es reduzierte die Kosten für den Unterhalt des Hauses und gab ihm mehr Freiheit, seinen Interessen auf Reisen nachzugehen. Die meisten Räume des alten Gemäuers waren daher vermutlich nicht in Benutzung, die Türen abgeschlossen und die Möbel mit Tüchern abgedeckt, bis jemand nach Crosthwaite House zurückkehrte, der es wieder lieben würde.

Obwohl er sich ein wenig schuldig fühlte, das alte Ehepaar um diese späte Stunde zu stören, ging George zur Eingangstür und betätigte laut den Messing-Türklopfer. Er hörte drinnen den Ton laut von den Wänden des leeren Hauses widerhallen. Geduldig wartete er einige Minuten, aber dann fragte er sich, wie lange die Lemingtons wohl brauchten, um aus dem Bett zu steigen und zur Haustür zu kommen. Er griff noch einmal nach dem Türklopfer.

Es war ihm nicht in den Sinn gekommen, dass er die Lemingtons nicht würde wecken können. Als er am Morgen zu dem Ritt nach Norden aufbrach, hatte er vorgehabt, das Dorf Thornthwaite sehr viel früher zu erreichen, vielleicht schon zum Abendessen. Doch auf dem letzten Teil der Reise hatten ihn Erinnerungen geplagt, und so kehrte er unterwegs in einer Taverne ein, um mit einem Drink seine Nerven zu stärken. Mehrere Stunden lang hatte er so das Unvermeidliche aufgeschoben, und erst, als er wieder in die kühle Abendluft hinaustrat, fiel ihm auf, wie spät es geworden war.

Leise fluchend, trat er einen Schritt zurück und schaute sich um. Eins der Fenster im Untergeschoss stand ein klein wenig offen, und er erinnerte sich, dass es zur Küche führte. Es befand sich über dem großen Spülbecken. Wahrscheinlich bekam er Seife an die Knie, wenn er hindurchkletterte, aber wenigstens wäre er dann drinnen im Haus.

George gab den Versuch auf, die Lemingtons zu wecken, und ging zu dem Fenster. Beim ersten Versuch, es zu öffnen, schrammte er sich die Fingerknöchel. Es dauerte eine Weile, bis es so weit offen stand, dass er hindurchklettern konnte.

Mit unelegantem Gezappel schaffte er es hinein, froh, dass niemand ihn gesehen hatte. Wie er vermutet hatte, war es noch ein kleines Stück bis zum Waschbecken hinunter, doch bald stand er auf dem Boden der Küche und war recht zufrieden mit sich.

Mit einem Ruck wachte Kate auf. Irgendetwas stimmte nicht. Für einen Moment blieb sie ganz still liegen und lauschte. Jeder Muskel war angespannt, und als sie von der Küche her lautes Klappern hörte, sprang sie aus dem Bett. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Im Stillen schalt sie sich wegen ihrer Sorglosigkeit. Sie hätte heute jemanden aus dem Dorf rufen sollen, um das defekte Küchenfenster reparieren zu lassen. Es war schon seit einiger Zeit schwergängig und ließ sich nicht mehr ganz schließen. Sie hatte bereits nach dem jungen Mann geschickt, der Gelegenheitsarbeiten rund um Crosthwaite House erledigte, wenn es nötig war. Er hatte ihr gesagt, er werde in ein paar Tagen kommen, um das Fenster zu richten. Jetzt wünschte sie, sie hätte darauf bestanden, dass er eher kam.

Sie lebten hier in Thornthwaite sehr abgelegen und hatten im Umkreis von zwei Meilen keine Nachbarn außer ein paar Enten. Der neue Hausbewahrer wohnte mit seiner Frau im Pförtnerhaus am Ende der Auffahrt, aber Kate wusste, dass er für eine Woche zu seiner Tochter und ihrem neugeborenen Baby gefahren war. Von nirgendwo war Hilfe zu erwarten. Niemand würde eine dunkle Gestalt bemerken, die um das Haus herumschlich. Kate blieb einen Moment stehen und überlegte, was sie tun sollte. Vielleicht konnte sie im Dunkeln den Eindringling davon überzeugen, dass außer einer vierundzwanzigjährigen nicht sehr kräftigen jungen Frau noch jemand im Haus war?

Am liebsten hätte sie sich versteckt, aber sie fühlte sich verantwortlich für das Haus. Wenn der Einbrecher ungehindert das Haus ausrauben konnte, würden am nächsten Morgen Kunstwerke und Möbel im Wert von Tausenden von Pfund fehlen.

Bevor sie sich selbst davon abhalten konnte, schlich Kate durch ihre Schlafzimmertür und den Gang entlang zur Küche. Der Steinboden war eiskalt, und bei jedem Schritt stieg ihre Angst.

In der Küche waren die Fenster hoch oben in den Wänden, aber von außen waren sie ebenerdig zu erreichen. Hier war es ein wenig heller. Als Kate durch die Tür spähte, sah sie eine dunkle Gestalt vom Boden aufstehen. Rasch blickte sie nach oben und stellte fest, dass er wohl durch das defekte Fenster eingedrungen war.

Der Mann hatte sie noch nicht bemerkt, weil er mit dem Rücken zu ihr stand. Ihr einziger Vorteil war die Überraschung, denn er war groß und breitschultrig und ihr sichtlich überlegen in Bezug auf Körperkraft.

Sehr leise und langsam näherte sie sich den schweren Kupferpfannen, die über der großen Feuerstelle hingen. Einige davon konnte sie kaum heben, aber selbst die kleinen würden eine gute Waffe sein. Erleichtert löste sie vorsichtig eine mittelgroße Pfanne vom Haken. Nun war sie wenigstens bewaffnet.

Der Eindringling musste die Bewegung hinter sich bemerkt haben, denn er drehte sich um. Kate zögerte nicht, weil sie wusste, dass dies ihre einzige Chance war. Sie schwang die Pfanne hoch und schmetterte sie auf den Kopf des Mannes. Der Klang von Metall auf Kopf hallte durch die Küche, und zu Kates Schreck taumelte der Mann auf sie zu, bevor er zusammenbrach.

Kate war wie gelähmt vor Angst, ihn umgebracht zu haben. Sie ließ sofort die Pfanne fallen und hockte sich neben den Mann. Vorsichtig legte sie eine Hand auf seine Brust. Zu ihrer Erleichterung atmete er noch, aber dann schnappten seine starken Finger nach ihrem Handgelenk. Er warf sie auf den Rücken und drückte sie auf den Boden. Vor Schreck schrie Kate laut auf. Der Mann lockerte ein wenig seinen Griff, aber ohne sie loszulassen. Sie begann sich nun heftig zu wehren, weil sie sich nicht in das Schicksal ergeben wollte, das dieser Schurke für sie geplant hatte, ohne bis zum Schluss zu kämpfen.

„Um Himmels willen“, sagte der Mann mit einer tiefen Stimme, die seine gute Erziehung verriet. „Ich will Ihnen nichts tun.“

Kate verstummte und schaute zu ihrem Angreifer hoch.

Als sie nun sein Gesicht in der dunklen Küche erkennen konnte, wurde ihr sehr mulmig. Er erschien ihr vertraut, sogar sehr vertraut, weil sie jeden Tag zehn Minuten damit verbrachte, den Rahmen mit seinem Bild im großen Salon zu polieren.

„Lord Henderson“, sagte sie leise und stieß geräuschvoll den Atem aus.

„Ja. Und wer sind Sie?“ Er saß immer noch auf ihr. Sein Unterkörper war gegen ihren gepresst auf eine Weise, die intim wäre, hätte sie ihn nicht eben mit einer schweren Kupferpfanne auf den Kopf geschlagen.

„Kate“, stammelte sie und versuchte ihren Herzschlag zu kontrollieren und ihre Würde zurückzugewinnen. „Kate Winters.“

„Entzückt, Sie kennenzulernen, Miss Winters. Was zum Teufel tun Sie in meinem Haus?“

Sie war etwas verärgert, und das half ihr, sich zusammenzunehmen.

„Lassen Sie mich aufstehen, dann werde ich Ihnen gern alles erklären.“

Wenigstens hatte er den Anstand, ein wenig verlegen auszusehen wegen der Position, in der sie sich befanden. Er streckte ihr eine Hand entgegen, um ihr beim Aufstehen zu helfen. Die große Pfanne, mit der sie ihn niedergeschlagen hatte, stellte er außerhalb ihrer Reichweite auf den großen Holztisch.

„Ich werde Sie ganz sicher nicht mehr schlagen“, murmelte sie.

„Ich gehe nicht gern ein Risiko ein.“

Kate strich ihre Kleidung glatt. Wahrscheinlich würde sie nach dieser Katastrophe ihre Stellung verlieren. Ihr Mut sank bei dem Gedanken, dass sie gezwungen sein würde, Crosthwaite House zu verlassen, aber sie wollte ihren Zufluchtsort nicht kampflos aufgeben.

„Kate Winters“, sagte sie knapp und in sachlichem Ton. Vielleicht konnte sie die Ereignisse der letzten paar Minuten ungeschehen machen, indem sie sich noch einmal vorstellte.

Sie sah ein amüsiertes Lächeln auf den Lippen des Earls und stellte erfreut fest, dass ihr Arbeitgeber wenigstens Sinn für Humor hatte.

„Ich bin Ihre Haushälterin.“

„Nein, sind Sie nicht“, sagte Lord Henderson in missbilligendem Ton.

Kate blinzelte. Sie hatte nicht damit gerechnet, schon bei der ersten Hürde zu stolpern.

„Sie sind doch Lord Henderson?“

„Der bin ich.“

„Und dies ist Ihr Haus?“

„So ist es.“

„Dann bin ich Ihre Haushälterin.“

„Meine Haushälterin hat deutlich mehr Falten und geht gebeugt. Ich war zwar einige Jahre fort, aber ich glaube, ich würde mich daran erinnern, wenn Mrs. Lemington wie Sie aussähe.“

„Ach so“, sagte Kate und trat von einem Fuß auf den anderen. „Dann haben Sie den Brief wohl nicht erhalten.“

„Welchen Brief?“

„Vor acht Monaten starb Mr. Lemington“, sagte Kate sanft. Zwischen den beiden Männern bestand zwar eine gesellschaftliche Kluft, aber Mrs. Lemington hatte Kate erzählt, dass der Earl ihren Mann gern mochte. Nun konnte Kate dem Earl ansehen, dass es ihn bekümmerte. „Einen Monat später wurde Mrs. Lemington krank. Sie wusste, dass sie nicht mehr arbeiten konnte, und suchte per Inserat eine Haushälterin. Ich bewarb mich auf die Stelle. Einen Monat lang arbeiteten wir noch zusammen, dann übernahm ich den Posten.“

„Geht es ihr besser?“

„Nein. Im Laufe der vergangenen Monate verschlechterte sich ihr Zustand, und nun ist sie sehr schwach. Der Doktor sagt, es sei ihr Herz.“

„Ist sie hier?“

Kate schüttelte den Kopf. „Sie ist zu ihrer Tochter nach Keswick gezogen.“

„Und so wurden Sie meine Haushälterin?“

„Ja.“

Lord Henderson zog einen Schemel unter dem Tisch hervor. Er setzte sich in einer Haltung, die seine große Müdigkeit zeigte, und zog die Brauen zusammen, bis sie sich beinahe berührten. Dazwischen erschien eine tiefe Falte.

„Ich entschuldige mich, dass ich Ihnen auf den Kopf geschlagen habe, aber ich hielt Sie für einen Einbrecher.“

Der Earl sah sie für einen Augenblick an, dann machte er eine wegwerfende Handbewegung. „Vermutlich zu verstehen.“ Es klang jedoch ganz und gar nicht verständnisvoll, und er knurrte diese Worte, als sei er ein Wolf, der ein kleineres Tier verscheucht.

„Warum haben Sie nicht geklopft?“ Schon, als sie es aussprach, merkte sie, dass es eine unhöfliche Frage war, die eine Haushälterin ihrem Herrn nicht stellen durfte. Innerlich fluchte sie. Einer der Gründe, warum sie diese Stellung unbedingt hatte haben wollen, war die Tatsache, dass sie sich hier mit keiner Mistress und keinem Master und deren Gästen auseinanderzusetzen brauchte. Sie scheute keine harte Arbeit, aber sie hätte Schwierigkeiten gehabt, sich all die Monate zu verstellen.

„Ich habe geklopft“, sagte Lord Henderson. „Ich wette, Sie haben einen festen Schlaf, Miss Winters.“

„Das ist richtig.“

Es blieb für einige Zeit still. Kate überlegte hin und her, was die Rückkehr des schwer erreichbaren Earls für ihr friedliches Leben bedeutete.

„Sie müssen müde sein“, sagte sie und besann sich auf ihre Pflichten. „Ich kann das Hauptschlafzimmer in wenigen Minuten für Sie vorbereiten.“

„Gut. Ich brauche Ruhe. In den kommenden Tagen muss ich mich mit vielen Dingen auseinandersetzen.“

„Oh?“ Kate versuchte ungezwungen zu klingen und hoffte, er würde ihr einen Hinweis auf seine Pläne geben. Doch ihr Herz war schwer, denn sie spürte, dass Lord Hendersons Rückkehr nichts Gutes zu bedeuten hatte. „Werden Sie lange hierbleiben, Mylord?“

„Nein“, blaffte er, als sei allein der Gedanke daran abstoßend. „Drei Tage, höchstens vier.“

Diese Aussage beschwichtigte nicht Kates Befürchtungen, dass dies wohl das Ende ihres angenehmen Aufenthalts in Crosthwaite House bedeutete. Er hatte eine abweisende Art, aus der sie schloss, dass er nur sehr ungern hier war. Doch irgendetwas musste ihn zurückgezogen haben, und das bedeutete wahrscheinlich eine große Veränderung für sie. Rasch schob sie die aufsteigende Panik beiseite und versuchte zu verdrängen, wie verloren sie sich gefühlt hatte, bevor sie auf diesen Job und die freundliche alte Haushälterin traf. Sie sagte sich, dass sie nicht mehr dieselbe Frau sei. Sie war nun selbstbewusster, praktischer und widerstandsfähiger, falls sie hinausgestoßen werden sollte in die kalte, unversöhnliche Welt draußen.

„Ich bin heimgekehrt, um die Hausurkunde von Crosthwaite House zu finden. Wenn ich sie habe, mache ich mich sofort wieder auf den Weg.“

Kate wandte sich ab, um ihm ihre Bestürzung nicht zu zeigen. Crosthwaite House gehörte ihr nicht. Es hatte nur ein vorübergehender Aufenthaltsort sein sollen, bevor sie sich etwas Neues aufbaute. Doch in den letzten sechs Monaten war es ihr Zufluchtsort geworden, den sie nur sehr ungern aufgeben würde.

„Dann bereite ich jetzt Ihr Zimmer vor“, sagte sie und lief die Treppe hinauf, um das Schlafzimmer ihres Arbeitgebers bewohnbar zu machen. Auf dem Weg nach oben überlegte sie, warum Lord Henderson wohl so erpicht darauf war, sein Leben in England aufzugeben, und ob es wohl eine Möglichkeit gab, ihn zu überzeugen, seine Meinung zu ändern.

2. KAPITEL

Es gab nichts Schöneres, als eine Nacht in seinem eigenen Bett zu schlafen. George war viel in der Welt herumgereist und hatte im Laufe der Jahre in Hunderten von verschiedenen Zimmern geschlafen, aber nichts konnte sich mit seinem Zimmer hier in Crosthwaite House vergleichen. Hier war ihm alles vertraut, obwohl seit seinem letzten Besuch zwei Jahre vergangen waren.

Er rekelte sich. Dabei spürte er wieder die Beule an seinem Hinterkopf und betastete sie vorsichtig. In seiner Jugend hatte er bei Reitunfällen Schlimmeres erlebt, aber dennoch war die Stelle schmerzempfindlich. Er dachte an die Ereignisse der vergangenen Nacht und die neue Haushälterin. Sie erinnerte ihn an eine winzige Kriegerin aus alten Zeiten, die bereit war, ihre Burg zu verteidigen, nur mit einer Kupferpfanne bewaffnet. Der Schreck auf ihrem Gesicht, als sie merkte, dass sie ihren Master niedergeschlagen hatte, war ihm beinahe den Schmerz wert.

George setzte sich im Bett auf und schnupperte. Ein köstlicher Duft wehte in sein Zimmer und er wollte aus dem Bett springen und die Quelle finden. Einen Augenblick später klopfte jemand leise an die Tür. Bevor er antworten konnte, ging die Tür auf und Miss Winters trat ein.

„Gut, Sie sind wach“, sagte sie und lächelte strahlend.

George blinzelte verdutzt, als sie mit der Selbstsicherheit einer viel älteren Frau begann, seine achtlos verstreuten Kleider vom Abend zuvor einzusammeln. Normalerweise war er nicht so unordentlich, aber nach der langen Reise und der Posse bei seiner Ankunft hatte er Hemd und Hose nur über eine Stuhllehne geworfen und die Stiefel in die Nähe des Feuers gestoßen.

„Es ist ein herrlicher Morgen, Mylord. Der Sonnenaufgang war sensationell.“ Sie lächelte beim Sprechen. Als sie mit Aufräumen fertig war, schaute sie ihn an. Anscheinend störte sein nackter Körper unter den Bettlaken sie nicht. Normalerweise bekam er sonst mehr Aufmerksamkeit von Frauen.

„Großer Gott, gute Frau, müssen Sie eigentlich schon am frühen Morgen so fröhlich sein?“, brummte er.

„Das Frühstück ist fast fertig, und ich nahm an, Sie würden Hunger haben nach Ihrer Reise. Möchten Sie es im Bett serviert bekommen oder lieber im Speisezimmer?“

Er blinzelte. Normalerweise ignorierte man ihn nicht. Seine winzige Haushälterin stand vor ihm und sah ihn freundlich lächelnd an, als habe sie nichts Besseres zu tun, als auf seine Antwort zu warten.

„Das Speisezimmer wäre gut.“

„Wunderbar.“ Sie sah ihn strahlend an, dann drehte sie sich um und verließ das Zimmer. Leise fiel die Tür hinter ihr zu.

Einen Moment lang bewegte George sich nicht, dann wuchtete er sich stöhnend aus dem Bett. So verführerisch es auch wäre, liegen zu bleiben und weiter zu schlafen, sollte er besser aufstehen. Je eher er sich der wichtigen Aufgabe widmete, die Hausurkunde zu finden, umso schneller konnte er England für immer verlassen und musste nie mehr an seine Vergangenheit denken. Es peinigte ihn, hier zu sein und von allen Seiten von dem bestürmt zu werden, was einmal ein besonderer Teil seines Lebens gewesen war. Heute war das Haus für ihn nur noch eine leere Hülle voll schmerzvoller Erinnerungen.

Als er angekleidet war, machte er sich auf zum Speiseraum, doch als er die Treppe zur Eingangshalle hinabstieg, hörte er eine Frauenstimme leise singen. Er zögerte. Es würde das Beste sein, sich von der Küche fernzuhalten. Während seiner letzten Besuche im Haus, als Mrs. Lemington noch Haushälterin war, hatte er mit der Tradition gebrochen und zusammen mit ihr und ihrem Mann in der Küche gefrühstückt. Die beiden kannten ihn seit seiner Kindheit und spürten seine Einsamkeit nach dem Tod seiner zweiten Frau. Sie nahmen ihn in ihre Familie auf, und er genoss die warme familiäre Atmosphäre.

Bevor er es sich anders überlegen konnte, drehte George sich um und stieg auf der schmaleren Treppe weiter zum Untergeschoss hinab. Er folgte den köstlichen Düften und dem Gesang in der Küche. Für einen Moment blieb er in der Tür stehen und sah Miss Winters bei der Arbeit zu. Letzte Nacht hatte er den Eindruck gehabt, sie sei jung, und obwohl heute Morgen ihr selbstbewusstes Verhalten Zweifel an seiner ersten Einschätzung geweckt hatte, stellte er nun fest, dass er sich nicht getäuscht hatte. Miss Winters konnte nicht älter sein als dreiundzwanzig oder vierundzwanzig. Ihre Bewegungen waren flink. Es sah aus, als wolle sie bei jedem Schritt anfangen zu tanzen, und ihre Stimme war melodisch. Wüsste er es nicht besser, würde er annehmen, sie habe früher einmal Gesangstunden genommen, denn sie traf jeden Ton perfekt. Für Frauen, die zu Haushälterinnen ausgebildet wurden, stand normalerweise Musik nicht auf dem Stundenplan. Zehn Sekunden vergingen, dann zwanzig. Obwohl er wusste, wie ungehörig es war, sie so anzustarren, konnte er nicht aufhören.

Sie sang, während sie zwischen dem brutzelnden Schinkenspeck in der Pfanne und dem Brot, das sie am Feuer röstete, hin- und hersauste. Erst, als sie die Pfanne mit dem Schinken vom Feuer zog, drehte sie sich so weit um, dass sie ihn sah. Sie schrie auf und ließ beinahe die Pfanne fallen. George sah heißes Öl aus der Pfanne auf die nackte Haut ihrer Unterarme spritzen, noch bevor er sie schreien hörte. Augenblicklich sprang er vor, nahm ihr die Pfanne ab und stellte sie vorsichtig zur Seite.

„Sofort mit Wasser kühlen, sonst bleiben Narben zurück“, sagte er unwirsch.

Miss Winters nickte, aber sie bewegte sich nicht und schaute nur stumm auf ihre Arme. Er griff rasch nach einem Tuch und tunkte es in einen vollen Wassereimer, bevor er es tropfnass zu ihr brachte.

„Setzen Sie sich.“ Er führte sie zu einem der Schemel und legte dann das kühle Tuch auf die milchweiße Haut ihrer Arme.

Dann schaute er sie an und sah in ihren Augen Tränen, die sie offenbar verzweifelt zurückzuhalten versuchte. Die Haut ihrer Arme war ansonsten makellos, und er fragte sich, wie eine junge Frau in diesem Alter Haushälterin geworden war. Unauffällig sah er sich ihre Hände an und stellte fest, dass ihre Haut hart und vom Arbeiten gerötet war.

„Vielen Dank“, sagte sie leise und schaute ihn unter dunklen Wimpern an.

„Halten Sie es noch eine Weile“, wies er sie an.

„Ich denke, es geht schon wieder“, sagte sie und wollte aufstehen.

„Mein Frühstück kann warten. Halten Sie das Tuch noch ein paar Minuten fest.“

Sie sah ihn an, als wolle sie widersprechen, doch sie war wohl vernünftig genug, um sitzen zu bleiben. Sie presste die Lippen zusammen.

„Ihr Toast wird verbrennen.“

„Ich mag ihn gut durch.“ Als er sicher war, dass sie seiner Anweisung folgen würde, stand er auf und nahm die Toastscheiben von dem Gestell am Feuer. Er sah, dass Miss Winters große Augen machte, als er ein Messer aus der Schublade nahm und damit das Brot mit Butter bestrich.

„Das kann ich tun“, sagte sie.

„Bleiben Sie sitzen und halten das Tuch auf den Armen fest.“ Er sah beim Sprechen nicht sie an, sondern den gebutterten Toast auf dem Teller.

„Es tut gar nicht mehr weh.“

„Ich gebe Ihnen einen direkten Befehl, Miss Winters. Wenn Sie aufstehen, verlieren Sie Ihren Job.“

Schweigend beobachtete sie ihn. Mit den Blicken verfolgte sie jede seiner Bewegungen, als befürchtete sie einen neuen Wutausbruch. Er nahm den Schinken, der bereits abzukühlen begann, aus der Pfanne und teilte ihn zwischen zwei Tellern auf. Ebenso verfuhr er mit den Eiern.

„So“, sagte er und stellte einen der Teller vor sie auf den Tisch. Dann zog er für sich einen Schemel unter dem Tisch hervor. „Ihrem Arm müsste es jetzt wieder besser gehen.“

„Das ist aber für Sie“, sagte sie und zeigte auf den Teller, den er vor sie gestellt hatte.

„Haben Sie schon gegessen?“

„Noch nicht.“

„Dann ist es Ihr Teller.“

„Ich kann Sie oben im Speisezimmer bedienen.“

„Ich lege keinen Wert auf Förmlichkeiten, Miss Winters. Ich bin nur für einige Tage hier und dann gehe ich wieder fort. Lassen Sie den Speiseraum meinetwegen einfach geschlossen. Mit den Abdecktüchern über den Möbeln.“

Sie blinzelte ein paarmal, dann schob sie den Teller für einen Zentimeter von sich weg. „Ich darf nicht mit Ihnen essen.“

„Warum nicht?“ Inzwischen langweilte ihn diese Diskussion bereits. Er wollte nur noch, dass sie jetzt frühstückte, damit sie beide mit ihren Plänen für den Tag fortfahren konnten. Sie war klein und zierlich und außerdem sehr schlank. Ein gutes Frühstück wäre nicht verkehrt.

„Weil ich Ihre Haushälterin bin.“

„Ich vermute, dass Sie mit den grundlegenden Tischmanieren vertraut sind.“

„Natürlich.“

„Dann werden Sie mir als Gesellschaft beim Frühstück genügen.“

Er begann seinen Schinken zu essen und fand das Fleisch genau nach seinem Geschmack. Nirgends auf der Welt gab es Schinken wie in England. Er lächelte fast. Ein gutes Frühstück war das Einzige, was er vermissen würde.

Miss Winters knabberte an einer Ecke ihres Toasts und er fragte sich, ob sie den Rest verschmähen würde. Nach einer Weile seufzte sie jedoch und stach mit der Gabel in ihr perfekt pochiertes Ei.

„Das ist wirklich nicht richtig“, murmelte sie zwischen zwei Bissen.

„Haben Sie in all Ihren Berufsjahren noch nie mit Ihrem Arbeitgeber gefrühstückt?“

„Haben Sie etwa ein Problem mit meinem jugendlichen Alter?“

Er schaute sie eine Weile genau an – von den ordentlich hochgesteckten kastanienbraunen Haaren bis zu ihrem faltenfreien Gesicht. Sie war tatsächlich sehr jung für diese Stellung. „Das Alter interessiert mich nicht, Miss Winters. Für mich zählt nur die Leistung.“

Die nächsten Minuten vergingen in Schweigen, dann lächelte Miss Winters wieder, und ihr Gesicht strahlte wie die Sonne. Er fragte sich, ob sie wohl immer so fröhlich war.

„Was sind Ihre Pläne für diesen Tag, Mylord? Werden Sie sich wieder mit dem Anwesen vertraut machen? Es ist ein schöner Tag, um durch die Landschaft zu streifen.“

„Nein“, sagte er barsch.

Miss Winters’ Lächeln flackerte ganz kurz, dann kehrte es zurück.

„Ich nehme an, Sie haben viel zu tun. Soll ich Lunch für zwei Uhr und Dinner für sieben Uhr vorbereiten?“

„Ja, das wäre gut, Miss Winters.“

„Kann ich sonst noch etwas für Sie tun, Mylord? Brauchen Sie noch irgendetwas für Ihren Aufenthalt?“

„Nein. Ich gehe davon aus, dass ich drei Tage hier sein werde, keinesfalls mehr als vier. Ich hoffe, dass mein Agent das Haus danach zügig verkaufen kann.“ Er machte eine Pause, weil ihm auffiel, was der Verkauf des Hauses für Miss Winters bedeutete. „Es wird viel zu tun sein – Einpacken und Organisieren, wo anschließend alles hingeht. Ich würde es begrüßen, wenn Sie bleiben und alles beaufsichtigen würden.“ Er räusperte sich, weil es ihm ein wenig unangenehm war, dieser jungen Frau mitzuteilen, dass es in ein paar Monaten hier keine Stellung für sie mehr geben würde.

„Aber danach werden meine Dienste nicht mehr benötigt“, beendete sie seinen Satz in ruhigem Ton.

„Sie bekommen von mir eine gute Referenz.“

„Das ist nett von Ihnen, Mylord“, sagte Miss Winters. Sie stand auf und begann die Teller abzuräumen.

George hatte sich bisher immer für einen guten Menschenkenner gehalten, aber er fand Miss Winters undurchschaubar, als sie nun seinen Teller nahm. Sie trug eine heitere Miene zur Schau, als habe sie gerade im klaren Wasser des Mittelmeers gebadet. Doch er spürte, dass sich hinter diesem ruhigen Aussehen tiefere Emotionen verbargen.

Er wusste, es blieb ihm nicht mehr für sie zu tun, als für gute Bezahlung zu sorgen und ihr ein gutes Empfehlungsschreiben zu geben. Daher versuchte George sein Gewissen zu beruhigen. Es würde nicht einfach sein, alle Verbindungen zu England zu durchtrennen. Er musste sich an solche schwierigen Entscheidungen gewöhnen. Es würde sich auszahlen, wenn er fortsegeln konnte, ohne dass Verpflichtungen ihn zwangen, jemals wieder nach England zurückzukehren.

„Wie ist er denn so?“, fragte Marigold leise, obwohl Lord Henderson sich in sein Studierzimmer zurückgezogen und die Tür geschlossen hatte.

„Ja, erzähle uns alles. Sieht er so umwerfend gut aus wie auf dem Portrait?“, fragte Mary mit glänzenden Augen.

Kate wollte gerade antworten, doch wie so oft bei diesen schwatzhaften jungen Mägden brauchte sie gar nichts zu sagen.

„Natürlich nicht“, sagte Marigold und verdrehte die Augen. „Sie sehen nie so gut aus wie auf den Gemälden.“

„Das ist wohl wahr“, sagte Mary mit enttäuschtem Gesichtsausdruck. „Wie sieht er denn wirklich aus, Miss Winters?“

Kate senkte die Stimme und schaute sich um, ob er in der Nähe war. Dann lächelte sie. „Er sieht wirklich gut aus, auf eine dunkle und strenge Art. Ihr habt bestimmt schon Leute getroffen, die abweisend aussehen, weil sie ständig finster blicken, aber wenn sie doch einmal lächeln, sind sie sehr attraktiv. Nun, so ist er auch.“

„Warum ist er wohl zurückgekommen?“, überlegte Marigold und rieb heftig an einem Fleck auf einem silbernen Kerzenleuchter. „Meine Mama sagt, er war seit zwei Jahren nicht mehr hier. Er reiste sofort nach der Beerdigung ab.“

Kate blieb still. Sie wollte den beiden jungen Frauen nicht sagen, dass sie vielleicht bald arbeitslos sein würden. Nicht, bevor alles geregelt war.

„Meine ältere Schwester arbeitete für ihn als Küchenmädchen“, sagte Mary nachdenklich. „Das war, bevor sie heiratete und ein Haus voller Kinder bekam. Sie sagt, er sei ein anderer Mann geworden, nachdem seine zweite Frau starb. Er zog sich in sein Schneckenhaus zurück und wollte mit niemandem mehr sprechen. So eine Tragödie.“

„Sie verstarb bei der Geburt ihres Kindes, nicht wahr?“, fragte Kate.

Mrs. Lemington hatte Kate kurz die Familiengeschichte erzählt, bevor sie die Stellung antrat. Die alte Haushälterin war allerdings sehr diskret gewesen, darum wusste Kate nur sehr wenig über die schrecklichen Umstände, die Lord Hendersons Eheleben zerstört hatten.

„Ja, sie und ihr Kind. Der Doktor konnte beide nicht retten. Das ist schrecklich für jeden, aber besonders für ihn, denn er hatte schon seine erste Ehefrau verloren.“

„Wie ist sie gestorben?“

Mary saugte Luft durch die Zähne und schüttelte den Kopf. „Sie war noch jung, aber eines Tages, kurz nachdem sie wusste, dass sie schwanger war, fiel sie tot um.“

Kate hielt inne bei dem, was sie gerade tat, und legte die Hand auf den Mund. „Das ist ja schrecklich.“

„Ich weiß. Lord Henderson war jung, und seine Frau noch jünger. Meine Ma sagt, er ging monatelang umher wie in Trance und wusste kaum noch, was er tun sollte.“

„Hat er die zweite Frau kurz danach geheiratet?“

„Nein, es lagen mindestens vier Jahre dazwischen. Er brachte sie auf der Hochzeitsreise hierher mit, und sie sind nie wieder abgereist. Die zweite Lady Henderson wurde recht schnell schwanger, und sie war sehr gern an der frischen Luft statt in dem Gedränge von London.“

Kein Wunder, dass Lord Henderson so lange nicht nach Crosthwaite House gekommen war. Er verband den Tod seiner beiden Ehefrauen mit diesem Ort.

Nach seiner Ankündigung von gestern Abend hatte er vor, Crosthwaite House auszuräumen und zu verkaufen. Kate überlegte, ob sie seine Meinung ändern konnte. Sie plante, ihn zum Bleiben zu überreden, indem sie ihm die Zeit im Lake District so angenehm und erfreulich wie möglich machte, damit er seine Meinung änderte und Crosthwaite House doch behalten würde.

Seine Art war zwar unwirsch, aber sie war es gewöhnt, ihre Zunge im Zaum zu halten und sittsam zu lächeln. Gewiss konnte es nicht allzu schwierig sein, ihn zum Bleiben zu überreden. Zumindest hatte sie das gestern gedacht. Doch nachdem sie nun gehört hatte, was er hatte durchmachen müssen, sollte sie ihm wohl besser erlauben, auf seine eigene Art zu trauern.

„Der arme Mann“, sagte sie leise.

„Es zeigt mal wieder, dass man für Geld nicht alles kaufen kann“, sagte Mary.

„Ach sei doch still, Mary“, sagte Marigold. Sie stand auf und holte sich ein neues Teil vom Silberbesteck, um es zu polieren. „Schlimme Dinge passieren jedem, aber ich für mein Teil hätte nichts gegen ein großes Landgut oder zwei, wo ich mich erholen könnte.“

Kate stand auf und überließ die beiden Mägde ihrem freundschaftlichen Geplänkel. Sie hatte Mary und Marigold von Anfang an gemocht. Sie waren jung und lebhaft und boten ihr die Gesellschaft, von der sie bei ihrer Ankunft in Crosthwaite House noch nicht gewusst hatte, dass sie sie brauchte.

Kate gab sich Mühe, das Tablett ordentlich zu decken, bereitete eine Tasse dampfenden Kaffees zu und stieg die Treppe zum Erdgeschoss hinauf. Lord Henderson hatte sich nach dem Frühstück in sein Studierzimmer zurückgezogen und war noch nicht wieder aufgetaucht. Von Zeit zu Zeit hörten sie dumpfe Geräusche aus seinem Zimmer kommen.

Kate klopfte an und wartete auf die Erlaubnis zum Eintreten. Dann blieb sie erst einmal stehen. Gestern war das Studierzimmer noch makellos ordentlich gewesen. Alles hatte auf seinem Platz gelegen, und nirgends war ein Stäubchen. Nun sah es aus, als wäre eine Herde wilder Stiere durch das Zimmer getobt, habe Möbel verrückt und Papiere aus den Schubladen verstreut.

„Oh“, sagte Kate. Sie konnte kein neutrales Gesicht machen. Mitten in diesem Chaos kniete Lord Henderson und wühlte in einer Truhe voller Dokumente. Seine Miene war finster.

„Miss Winters“, sagte er, stand auf und schaute sich im Zimmer um. Anscheinend fiel ihm das Durcheinander jetzt erst auf.

„Ich dachte, Sie möchten vielleicht eine Tasse Kaffee“, sagte Kate. Sie stellte das Tablett auf den niedrigen Tisch in der Mitte des Zimmers. „Sie sind schon eine ganze Weile hier drinnen.“ Sie machte eine Pause, weil sie überlegte, ob sie noch etwas sagen oder ihn seiner Suche überlassen sollte.

Als sie zu den Fenstern schaute, merkte Kate, dass er nicht einmal die Vorhänge ganz aufgezogen hatte. Vorsichtig trat Kate über die Papierhaufen hinweg und befestigte die schweren Vorhänge an den Seiten, damit mehr Licht von draußen in den Raum fallen konnte.

Als sie sich umdrehte, merkte sie erstaunt, dass Lord Henderson sie beobachtete. Sein Blick war intensiv, und sie hatte den Eindruck, er überprüfe jede ihrer Bewegungen, um sie eines Tages zu beurteilen. Im Laufe des letzten Jahres hatte sie gelernt, den neugierigen Blicken und Fragen anderer Leute zu widerstehen, und hatte geglaubt, sie sei inzwischen immun dagegen, aber bei Lord Henderson war es anders.

Er machte sie nervös, und sie ging schnell wieder zu dem Tablett, um auf dem Tischchen Platz zu machen für die Kaffeetasse … und um sich etwas zu tun zu geben.

„Mein Vater schwor immer auf eine Tasse Kaffee am Vormittag, um seinen Tag produktiv zu machen“, sagte Kate. Sobald sie die Worte ausgesprochen hatte, bemerkte sie ihren Fehler und blickte zu Lord Henderson. Er schaute sie stirnrunzelnd an und blieb eine Weile still, als müsse er entscheiden, ob er weiter nachfragen sollte.

„Ihr Vater trank jeden Morgen eine Tasse Kaffee?“

Da sie die Worte nicht zurücknehmen konnte, nickte Kate.

„Was hat Ihr Vater gemacht, Miss Winters?“

Sie hustete, um sich Zeit zu verschaffen. „Verwaltung“, sagte sie lächelnd und hoffte, er würde nicht weiter nachbohren.

„Wie ein Landverwalter?“

„So in der Art.“ Sie sah Lord Henderson wieder die Brauen zusammenziehen und wusste, dass er zu den Menschen gehörte, die unglücklich waren, bis sie die Wahrheit herausfanden. Sie musste ihn rasch ablenken.

„Darf ich fragen, was Sie suchen, Mylord?“

„Die Hausurkunde von Crosthwaite House.“ Er verzog das Gesicht und wies auf die Papiere. „Das Haus ist seit Generationen in Familienbesitz, darum haben sich viele Papiere angesammelt, die ich alle durchsehen muss.“

„Könnte ich Ihnen behilflich sein?“

Er schien bereits den Kopf schütteln zu wollen, doch er zögerte. Kate merkte, dass er nicht gern um Hilfe bat.

„Ich möchte Sie nicht gern von Ihren anderen Pflichten abhalten.“

„Ich kann eine halbe Stunde erübrigen, Mylord.“ Kate juckte es geradezu in den Fingern bei dem Gedanken an die vielen Papierstapel. Sie liebte es, Dinge zu sortieren, und hatte oft ihrem Vater beim Ordnen der Geschäftsunterlagen zu Hause geholfen. Es gehörte zu den Arbeiten als Haushälterin, die sie besonders gernhatte.

Er nickte, kam auf sie zu mit einem leeren Blatt und einem Stift und zeichnete ihr auf, wie das gesuchte Dokument ungefähr aussah.

Kate blies die Wangen auf und sagte: „So ein Dokument könnte überall im Haus versteckt sein.“

Obwohl er sie mit einem seltsamen Blick ansah, wollte sie wissen, welche der Papierstapel er bereits durchsucht habe und welche noch übrig seien.

„Ich habe mir diese beiden hier genau angesehen, aber es gibt hier noch eine weitere Truhe voller Papiere. Und die Schreibtisch-Schubladen.“

„Ich weiß, dass es lange zurückliegt – aber können Sie sich wirklich nicht erinnern, wohin Sie diese Urkunde gelegt haben, Mylord?“

Er sah sie mit einem vernichtenden Blick an. „Ich habe noch nie zuvor die Urkunde zu diesem Haus gesehen.“

„Könnte sie nicht vielleicht in einem Safe bei Ihrem Familienanwalt liegen?“

„Er versichert mir, dass es nicht so ist.“

Kate nickte und sank auf die Knie. „Wo soll ich anfangen?“

Lord Henderson zeigte auf die schwere Truhe und öffnete dann vor ihr den Deckel. Kate machte große Augen, als sie den Berg von Papier sah, der darin war. Dokumente in allen Größen lagen in einem unordentlichen Haufen, als habe man sie eilig hineingestopft.

„Jemand in Ihrer Familie hatte keine Lust, die Unterlagen in logischer Ordnung zu sortieren“, murmelte Kate. Sie nahm das oberste Blatt und sah es prüfend an. Es erstaunte sie nicht sehr, dass das Datum darauf über hundert Jahre zurücklag. Sie überflog den Text und legte es dann zur Seite. „Brauchen Sie die Unterlagen zu den Ein- und Ausgaben der Pächter vor über hundert Jahren noch?“

Lord Henderson schaute sie an, als sei sie die lästigste Person der Welt.

„Offenbar nicht“, knurrte er. „Aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um zu sortieren, was vernichtet werden und was bleiben kann.“

„Das haben offenbar Ihre Vorfahren in den letzten hundertfünf Jahren auch gesagt.“

Lord Henderson seufzte so laut, dass es wahrscheinlich bis in die Küche zu hören war. Kate presste die Lippen zusammen und ermahnte sich, dass sie ihn dazu bringen wollte, hierzubleiben und nicht bei der nächsten Gelegenheit außer Landes zu fliehen.

Sie suchten eine Stunde lang weiter. Kate drehte geduldig ein altes Schriftstück nach dem anderen um. Es waren längst vergessene Abrechnungen und Bemerkungen zu alten Streitigkeiten zwischen den Dörflern und was getan worden war, um sie beizulegen.

„Es reicht“, sagte Lord Henderson und sprang auf. „Ich kann das keine Minute länger aushalten.“

Kate setzte sich zurück auf die Hacken und dehnte ihr Genick. Bisher hatte sie nichts gefunden, was auch nur im Entferntesten einer Hausurkunde ähnelte, aber sie hatte das Gefühl, der Sache näherzukommen. Je tiefer sie in den Inhalt der muffigen alten Truhe vordrang, desto älter waren die Dokumente. Sie vermutete inzwischen, dass die gesuchte Urkunde möglicherweise irgendwo unten auf dem Boden der Kiste lag.

„Warum machen Sie nicht einen Spaziergang, Mylord“, sagte Kate und lächelte empor zu ihm. „Es ist schon bald Mittagszeit, und ich könnte Ihnen Ihren Lunch nach draußen bringen, wenn Sie gern die Aussicht und die frische Luft genießen möchten. Dabei können Sie sich gewiss erholen.“

Lord Henderson warf einen Blick auf die vielen Papiere.

„Das alles wird nach dem Lunch immer noch hier liegen“, ermahnte ihn Kate freundlich. „Vielleicht wäre es nicht schlecht, es mit erholten Augen weiter durchzugehen.“

Er nickte kurz. „Danke, Miss Winters. Ich werde einen kurzen Spaziergang machen und in einer halben Stunde auf der Terrasse zu Mittag essen.“

„Sehr wohl, Mylord.“

Kate wartete ab, bis er das Zimmer verlassen hatte, bevor sie ihr Lächeln fallen ließ. Ihr ganzes Leben lang hatte man von ihr erwartet, freundliche Liebenswürdigkeit auszustrahlen, und sie war auch gut darin. Doch sie hatte in den vergangenen sechs Monaten fast vergessen, wie anstrengend es war, wenn jemand anders mit ihr im Haus war.

„Überrede ihn, dass er nicht verkauft, und lasse ihn dann fortgehen“, sagte Kate leise zu sich selbst. Mehr brauchte sie nicht zu tun. Danach hätte sie Crosthwaite House wieder für sich allein, genau wie sie es mochte. Kate schloss die Augen und stöhnte. Konnte sie so kaltherzig sein? Der Mann war offensichtlich immer noch in Trauer. Sie wusste, wie lange es dauerte, bis solche Wunden heilten. Sie hatte in ihrem Debakel ihre Tugend und ihr Vertrauen zu den Menschen verloren, und es hatte dazu geführt, dass sie vor einem Jahr ihr Zuhause verlassen hatte. Doch sie suchte auch immer noch einen Ausweg aus ihren eigenen Problemen.

Sie schüttelte den Kopf und sagte sich, es müsse nicht immer alles oder nichts sein. Vor zwei Jahren war Lord Henderson nicht hier gewesen, und das Anwesen hatte in der Zeit nicht floriert – aber es hatte überlebt. War es klug, Entscheidungen in Zeiten großen emotionalen Aufruhrs zu treffen? Lord Henderson musste nicht hier leben, wenn er es zu schmerzhaft fand, aber ebenso wenig musste er Crosthwaite House verkaufen. Er konnte es für künftige Generationen bewahren, ohne jemals wieder einen Fuß auf das Anwesen zu setzen.

Sie schaute ein letztes Mal hinein in die Truhe, bevor sie den Deckel schließen und nach dem Lunch neu beginnen würde. Plötzlich fiel ihr ein Schriftstück auf dem Boden der Truhe in die Augen. Sie wusste nicht, was sie dazu brachte, es sich näher anzusehen, aber als sie es anfasste und spürte, wie dick und hochwertig das Papier war, wurde ihr klar, dass es sich um die gesuchte Urkunde handeln musste.

Kate zog das Dokument aus der Truhe und überflog es. Zweifellos war es die Urkunde, die Lord Henderson suchte. Sie wollte ihn gerade rufen, doch etwas ließ sie innehalten. Wenn sie Lord Henderson überreden wollte, das Haus nicht zu verkaufen, würden ein paar weitere Tage der Suche ihr mehr Zeit geben. Vielleicht könnte sie sich mit ihm zu einem vertraulichen Gespräch zusammensetzen und ihn an all die Leute erinnern, die für ihren Lebensunterhalt von Crosthwaite House abhängig waren. Sie könnte ihm sogar ein wenig über ihre eigene Situation erzählen. Vielleicht würde er dann alles mit anderen Augen ansehen.

Doch sie zögerte noch. Er erschien ihr so zielstrebig. Es fühlte sich falsch an, ihn zu täuschen, besonders, wenn ihn alles so nervös machte. Es schmerzte sie, es mit anzusehen. Mrs. Lemington hatte ihr Geschichten von Lord Hendersons Kindheit in diesem Haus erzählt. Unter seinen schlechten Erinnerungen mussten auch gute begraben sein.

Bevor sie es sich selbst ausreden konnte, steckte Kate die Urkunde in ihre Schürzentasche. Sie brauchte nur ein paar Stunden zum Nachdenken, mehr nicht. Sie würde sich den Rest des Tages nehmen, um zu entscheiden, ob sie die Urkunde noch länger behalten und Lord Henderson überreden würde, nicht zu verkaufen. Oder ob sie sie zurück unter die anderen Papiere legen würde, wo er sie finden konnte, wenn er das nächste Mal nachschaute.

3. KAPITEL

Es war später Nachmittag, die Zeit, in der die Sonne am Himmel tiefer sinkt und überall eine ganz besondere Stille herrscht. George liebte diese Tageszeit. In Italien, wo er das letzte Jahr verbrachte, hielt er oft inne bei dem, was er gerade tat, goss sich einen kleinen Drink ein und setzte sich für einige Minuten auf die Terrasse, um der Sonne beim Untergehen zuzusehen. Der flammend rote Himmel über dem wunderschönen blauen Wasser des Mittelmeers war ein herrlicher Anblick.

George sah nach der Uhrzeit. Es war später, als er gedacht hatte. Die Stunden, die er über die Papiere im Studierzimmer gebeugt verbracht hatte, machten sich im Rücken bemerkbar. Er stand auf und reckte und streckte sich, danach fühlte er sich schon ein wenig besser.

Ein paar Minuten an der frischen Luft würden ihm sicher guttun, darum beschloss er hinauszugehen. Es gab keine Diener in Crosthwaite House, nur Miss Winters und die beiden Mägde. Wenn er wegging, würde ihn niemand sehen, und niemand würde wissen, dass er fort war. Er beschloss, nur für wenige Minuten fortzugehen, und verließ das Haus.

In Italien hatte er kein Haus voller Dienerschaft gehabt. Zuletzt hatte er in einer kleinen Villa auf der Insel Ischia gelebt, die einsam auf einem Felsvorsprung direkt am Meer stand. Er wohnte dort ganz allein. Dreimal in der Woche kam eine Frau aus dem nächsten Dorf mit ihren beiden Töchtern, um sauber zu machen und einzukaufen. Diese Regelung kam ihm sehr entgegen. Es gefiel ihm, wenn niemand wusste, was er machte.

Der Abend war lau – einer dieser Abende im späten Frühling, an denen der Himmel hell und sonnig ist und schon der erste Hauch von Sommer in der Luft liegt. Als er die Tür hinter sich schloss, blieb George einen kurzen Moment stehen und überlegte, in welche Richtung er gehen sollte. Er kannte das Gelände von Crosthwaite House besser als alle seine übrigen Besitztümer. Am besten wäre wohl ein kurzer Spaziergang zum See. Es würde nur fünf Minuten dauern und er konnte dort den Blick auf das glänzende Wasser genießen.

Er ging in flottem Tempo, und nach wenigen Minuten entledigte er sich bereits seiner Jacke. Es war ein gutes Gefühl, nach einem Tag, eingepfercht im Haus, wieder draußen zu sein und sich zu bewegen.

Als er sich dem Wasser näherte, sah er eine zierliche Person am Ufer stehen und stellte überrascht fest, dass es Miss Winters war. Sie wandte ihm den Rücken zu. Mit einer Hand raffte sie das Kleid zusammen, ihre Schuhe hatte sie am Rande des Wassers stehen gelassen. Er blieb stehen und beobachtete, wie sie zögernd einen Fuß ins Wasser hineinsetzte. Lake Bassenthwaite war ruhig und die Wasseroberfläche so glatt, dass sie aussah wie Glas. George lächelte, als sie nach dem ersten kleinen Schritt stehen blieb, wohl um sich an die Kälte zu gewöhnen. Er war sein Leben lang in diesem See geschwommen, und er wusste, wie kalt das Wasser selbst an einem heißen Tag sein konnte.

Nach einem Augenblick ging sie einen Schritt weiter, dann noch einen, bis das Wasser ihre Knöchel umspülte.

Wenn er auf diesem Weg weiterging, würde er zu ihr gelangen. Er überlegte, ob er zurückgehen sollte, um seiner Haushälterin ein wenig Privatsphäre zu lassen, doch ganz plötzlich bekam er Lust, selbst das kalte Wasser zwischen den Zehen zu spüren.

„Good Afternoon, Miss Winters“, sagte er und ging auf sie zu. Sie erschrak und stolperte fast auf dem weichen Untergrund.

„Good Afternoon, Mylord.“ Sie lächelte ihn freundlich an. Nun wusste er, was besonders war an Miss Winters. Er hatte im Laufe der Zeit viele Haushälterinnen und höhere Bedienstete kennengelernt. Die meisten Diener würden ihm jetzt eilig versichern, dass sie trotz der kleinen Pause am See keinesfalls ihre Pflichten vernachlässigten. Miss Winters versuchte sich nicht zu rechtfertigen. Sie war so selbstbewusst, dass sie ihm keinerlei Erklärung anbot.

„Haben Sie gefunden, wonach Sie suchten?“, fragte sie.

„Nein, aber ich brauchte eine Pause.“

Sie lächelte ihn von unten her an, und ihre rotbraunen Haare glänzten im Sonnenlicht. Er war beeindruckt von ihrer Schönheit, vor allem, wenn sie lächelte. Ihr ganzes Gesicht strahlte von innen heraus, sodass er auch lächeln wollte.

„Sie haben sich einen wunderschönen Moment ausgesucht. Ich glaube, dies ist meine liebste Tageszeit am See. Alles ist so friedlich, so still und heiter.“

„Wie ist das Wasser?“

„Kalt, aber herrlich.“

Sie schaute wieder zu ihm hoch, als wolle sie noch etwas hinzufügen. „Ich habe jeden Tag, seit ich hier bin, meine Füße ins Wasser getaucht.“

„Jeden Tag?“

„Tatsächlich jeden Tag.“ Sie machte eine kleine Grimasse. „Ich kam an einem herrlichen Tag Anfang Oktober an und versprach mir leichtfertigerweise selbst, dass ich jeden Tag meine Füße benetzen würde. Natürlich bedachte ich nicht, wie es Mitte Januar sein würde, wenn es hagelte und der See halb zugefroren war.“

„Und Sie haben nicht zwischendurch den einen oder anderen Tag ausfallen lassen?“

Mit großen Augen blickte sie ihn an. „Nein. Ich breche meine Versprechen nicht, nicht einmal die vor mir selbst.“

„Bewundernswert.“

„Gebrochene Versprechen können Menschenleben ruinieren“, sagte sie leise. George hörte heraus, dass jemand ein sehr ernsthaftes Versprechen ihr gegenüber gebrochen hatte. Doch sie lächelte gleich wieder und schaute ihn freundlich an. „Wollen Sie sich mir anschließen, Mylord?“

Die Frage überraschte ihn und er blinzelte. Noch nie hatte eine Haushälterin ihn gefragt, ob er mit ihr im Wasser plantschen wolle. Ganz kurz überlegte er, ob sie wohl irgendwelche Hintergedanken hatte, aber ihr Gesichtsausdruck war arglos. Offensichtlich bewegte sie wirklich nur die Frage, ob er mit ihr zusammen etwas tun wollte, das ihr gefiel.

„Besser nicht.“

Er blickte über das Wasser und geriet kurz in Versuchung. In Ischia war er oft im Wasser, sprang schon vor dem Frühstück von den Felsen und schwamm am Ufer entlang, um sich für den Tag zu stärken. Doch hier war es anders. Als er so auf das Wasser schaute, kamen keine glücklichen Erinnerungen an Wasserspiele in seiner Kindheit zurück, sondern an Ereignisse, die ihn traurig machten. Er erinnerte sich, wie er Elizabeth, seine erste Frau, zum ersten Mal mit zum See nahm, und wie ihr Gesicht vor Freude strahlte. Und er dachte daran, wie er mit ihr in dem kleinen Ruderboot saß und sie die Finger durch das Wasser zog. Und er musste daran denken, wie er tief gebeugt vom Schmerz zum See ging, nachdem er von ihrem Tod erfahren hatte. Bis zu diesem Tag war sein Leben behütet verlaufen, doch in einem einzigen Moment hatte sich alles verändert.

Abrupt wandte er sich ab. Er wollte kein Mitleid von Miss Winters, und sie sollte seinen Kummer nicht sehen. Dies war der wirkliche Grund, warum er Crosthwaite House verkaufen wollte. All seine Erinnerungen waren befleckt, die glücklichen Zeiten überschattet von Tragik und Melancholie.

„Wir sehen uns nachher im Haus“, sagte er über die Schulter, und seine Stimme klang beherrscht.

Kate schaute ihm nach, bis er nur noch ein kleiner Fleck war, der zwischen den Bäumen verschwamm. Sie wusste nicht, was sie von diesem Mann halten sollte. Mrs. Lemington hatte immer mit liebevollen Worten über den Knaben gesprochen, der hier in Crosthwaite House aufgewachsen war, und die Dorfbewohner sprachen von ihm als einem anständigen, aber ständig abwesenden Lord.

Die meiste Zeit erschien er ihr freundlich, wenn auch ein wenig ruppig zu sein, zum Beispiel als er ihr half, nachdem sie sich beim Frühstückmachen den Arm verbrannt hatte. Manchmal jedoch schien sich eine Dunkelheit auf ihn herabzusenken, als werde er von Trauer verzehrt. Dann wurde er kalt, abweisend und barsch.

Es war gewagt von ihr gewesen, ihn zum Waten im Wasser einzuladen, aber in dem Moment dachte Kate, es würde ihm vielleicht guttun. Sie glaubte, dass er früher einmal hier in Thornthwaite sehr glücklich gewesen sein musste, doch sie konnte auch verstehen, dass die Erinnerungen an seine verstorbenen Ehefrauen ihn mit einem schmerzlichen Gefühl der Einsamkeit erfüllten. Ob sie wohl einen Teil jener alten Liebe zu dem Haus und dem Gelände wiedererwecken konnte? Gerade genug, damit er es noch nicht verkaufen würde?

Seufzend entstieg Kate dem Wasser und setzte sich auf einen flachen Stein, wo sie die Füße trocknen ließ und ihre Stiefel wieder anzog. Es war keine Lüge gewesen, als sie davon sprach, jeden Tag ein paar Schritte in den See zu gehen. Es war nun beinahe ein Jahr her, dass sie ihr Zuhause verlassen hatte, und die meiste Zeit hatte sie sich wie ein neuer Mensch gefühlt. Es war nicht einfach gewesen, und sie hatte für ihr Glück kämpfen müssen. Ein Grund für sie, hierherzukommen, war der abgelegene Standort inmitten der Natur gewesen. Hier konnte sie ruhig den Geräuschen des Sees lauschen, wenn die Wellen an das Ufer plätscherten, und sich entspannen beim Blick über das in der Sonne glänzende Wasser. Solche kleinen Dinge erinnerten sie daran, dass auch ihr Leben nur ein kleiner Teil der Welt war. Kummer und Sorgen in ihrem Kopf hielten die Blumen und Bäume nicht v...

Autor