Historical Saison Band 120

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HEIMLICH VERLIEBT IN DEN EARL von LOUISE ALLEN

Die perfekte Lösung? Lady Isobel geht eine Vernunftehe mit ihrem Jugendfreund Leo ein, der kürzlich den Titel des Earl of Halford geerbt hat. Doch schnell wird dieses Arrangement für sie zu einer schweren Bewährungsprobe! Denn während Isobel ihren Mann heimlich verzweifelt liebt, begehrt er die umschwärmte Lucinda …

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  • Erscheinungstag 04.10.2025
  • Bandnummer 120
  • ISBN / Artikelnummer 8090250120
  • Seitenanzahl 400

Leseprobe

Louise Allen, Jenni Fletcher

HISTORICAL SAISON BAND 120

Louise Allen

1. KAPITEL

Die kleine Ortschaft Little Bitterns, Kent, am 6. Oktober 1816

Der Herbst war da. An den Bäumen leuchtete farbenprächtig das gelbe und rote Laub, scharlachrote Beeren wuchsen an den Hecken, der Geruch nach Holzrauch und dem abgefallenen Laub von Eichenbäumen lag in der Luft. Die Sonne schien und der Wind hatte sich nach Süden gedreht. Es war ein schöner Tag. Leider.

Isobel Martyn wich einer Pfütze auf dem Pfad aus, stieg über einen Zauntritt und setzte ihren Weg unter dem Blätterdach von Tyler’s Wood fort. Welch ein Jammer, so einen schönen Morgen mit trübseligen Gedanken zu vergeuden. Sie hatte die richtige Stimmung für Dauerregen oder ein heftiges Gewitter, weil das der steigenden Frustration, die sie zu zerfressen drohte, mehr entsprach.

Sie konnte Cousin Edward nicht die Schuld geben an der jahrhundertealten Rechtsprechung. Titel und damit verbundene Ländereien wurden stets an den nächsten männlichen Verwandten vererbt, und so war Edward nach dem Tod ihres Vaters, des vierten Barons, seit einem Jahr Lord Martyn.

Doch bei aller Fairness verübelte sie ihm, dass er ein eingebildeter, selbstzufriedener Langweiler mit sehr schlechtem Geschmack in Sachen Ehefrau war. Die liebe Cousine Amelia war eine äußerst unangenehme Person.

Jemand saß auf einem umgestürzten Baumstamm auf der Lichtung vor ihr. Isobel ging langsamer und trat leise auf das feuchte Gras hinaus.

Leo. Ihr Herz begann ein wenig zu flattern, wie immer, wenn sie ihn sah. Dann fiel ihr auf, dass er den dunklen Kopf gesenkt hielt und die Schultern hängen ließ. Sie vergaß ihre eigenen Probleme und trat absichtlich auf einen trockenen Zweig. Bei dem Knacken richtete Leo sich gerade auf und drehte sich um.

„Izzy.“ Er stand auf und lächelte zur Begrüßung. Sie fragte sich, ob sie wohl der einzige Mensch war, der wusste, dass es nicht echt war. „Herrlicher Tag, nicht wahr? Bisschen Luft schnappen?“

„Wie du siehst.“ Sie erwiderte die Frage mit einer schnellen Handbewegung und trat über die Lichtung zu ihm hinüber. „Und nun sag mir, was nicht in Ordnung ist, Leo.“

„Was soll nicht in Ordnung sein? Nichts“, antwortete er, und sie setzten sich.

Er kann seine Gefühle gut verbergen, dachte sie und sah ihm in das gut aussehende Gesicht mit den großen Augen unter den starken dunklen Brauen.

„Vergiss nicht, dass ich dich kenne, seit ich ein Säugling war und du erst vier“, sagte Isobel in scharfem Ton. „Was ist es? Das Anwesen? Die Mädchen?“

Leo hatte kürzlich den Titel seines Onkels geerbt und war nun Earl of Halford. Doch auch dessen verschuldete Ländereien und die Verantwortung für die beiden fünfzehnjährigen Zwillinge von der zweiten Gattin waren auf ihn übergegangen. Er schüttelte leicht den Kopf und presste die Lippen zusammen. Sie erkannte Schmerz, nicht Sorge, und ihr Herz wurde schwer.

„Du hast Lucinda einen Heiratsantrag gemacht, nicht wahr?“, fragte Isobel geradeheraus. „Oh, Leo.“

„Ich weiß. Ich hätte noch warten sollen. Sie hat mich natürlich abgewiesen.“ Er beugte diesmal nicht den Kopf oder ließ die Schultern hängen. Dafür hatte Leo Havelock zu viel Stolz.

„Wie dumm von ihr“, sagte Isobel mit unbeschwerter Stimme und versuchte, ihre zwiespältigen und unwürdigen Gefühle zu ignorieren. Sie war in Leo verliebt seit dem Morgen vor acht Jahren, als die damals Sechzehnjährige eine Erfahrung machte, die ihr die Augen öffnete. Sie schaute zu, wie er Cricket spielte. Ausgerechnet …

Aber Leo war natürlich nicht romantisch interessiert gewesen an großen, braunhaarigen, verschlossenen und vernünftigen Mädchen, selbst wenn er ihre Freundschaft zu schätzen wusste. Er hatte sein Herz an ihre Nachbarin Lucinda Paxton gehängt, die das komplette Gegenteil von Isobel war – klein, blond und zierlich, hübsch und voller Gefühle, die sie beim geringsten Anlass sehr offen zum Ausdruck brachte.

Lucinda war schon damals das schönste Mädchen in der Nachbarschaft gewesen, und so war es geblieben, seit sie an den Tanzpartys und Picknicks für junge Ladys und Gentlemen teilnahmen, die sie auf die Einführung in die vornehme Gesellschaft vorbereiten sollten. Sie hatten alle Tanzen gelernt und wie man eine höfliche Unterhaltung führt, aber Lucinda hatte auch gelernt, umwerfend zu flirten.

So gut wie jeder Gentleman über vierzehn Jahre erlag Miss Paxtons Charme, wenn auch nicht die anderen jungen Ladys und ihre Mütter. Doch selbst die vernünftigsten jungen Männer aus Bishop’s Carsington, der nahe gelegenen Marktstadt, gerieten unter ihren Bann. Und zu Isobels Entsetzen war Leo von ihr ebenso hingerissen wie alle seine Freunde.

Sie hätte ihm mehr Verstand zugetraut. Doch anscheinend wirkte die Magie in Lucindas großen blauen Augen, in Verbindung mit der Fähigkeit, jedem Mann das Gefühl zu geben, als wäre er eine Mischung aus Sir Lancelot, Adonis und Isaac Newton. Die Männer erlagen reihenweise ihrem Zauber und konnten offenbar nicht mehr klar denken.

Wenigstens hatte Isobel genug Verstand und Stolz, um nicht abfällig über Lucinda mit Leo zu sprechen. Das wäre, wie sie sich sehr bewusst war, der einfachste Weg gewesen, seine Freundschaft zu zerstören, denn er war offensichtlich ganz und gar, zutiefst und hilflos verliebt in die zauberhafte, verwöhnte und selbstbezogene Miss Paxton.

Lucinda war jünger als Isobel. Mit knapp achtzehn Jahren war sie nun bereit für ihre allererste Saison in London. Isobel hatte schon zwei Londoner Saisons hinter sich, aber mit ihrer ruhigen, vernünftigen und klugen Art und ihrem durchschnittlichen Aussehen hatte sie keinen Verehrer gefunden, der Leo in ihrem Herzen ersetzen konnte. Inzwischen war sie vierundzwanzig und Cousine Amelia bereitete es immer wieder Freude, sie darauf hinzuweisen, dass sie sich bald zum Ladenhüter entwickeln würde.

Sie atmete tief durch, bis sie sich beruhigt hatte, und versuchte, sich teilnahmsvoll Leos Gefühlen gegenüber zu verhalten. Er war zurückgewiesen worden und zweifellos tief verletzt.

„Hat sie einen Grund für ihre Ablehnung genannt?“, fragte sie, schob eine Hand unter seinen Ellbogen und drückte tröstend seinen Arm. Dabei durfte sie nicht an die Muskeln unter ihren Fingern denken.

„Sie hat gelacht und gemeint, ich wolle sie wohl necken“, sagte er. „Ich wisse doch wohl, dass sie bald ihre erste Saison in London haben werde, wo sie viele ranghohe Gentlemen kennenlernen werde …“

„Du bist doch auch ein ranghoher Gentleman“, sagte Isobel entrüstet.

„Sie meinte reiche ranghohe Gentlemen, keine verschuldeten Earls. Offenbar gibt es noch einige unverheiratete Marquis oder deren Erben, aber verfügbare Dukes sind wohl eher dünn gesät“, erwiderte Leo mit galligem Humor. „Ich bin natürlich ihr lieber guter Freund, aber dann erwähnte sie, dass sie in diesem Monat bereits drei ihrer anderen lieben guten Freunde abgewiesen hat.“

„Leo, wenn für Lucinda nur Geld und Titel wichtig sind – bist du sicher, dass sie die richtige Frau für dich ist?“ Sie traute sich nicht, seine Liebste stärker zu kritisieren.

„Wenn sie mich lieben würde, wäre es ihr gleichgültig. Aber immerhin weiß ich jetzt, woran ich bei ihr bin“, verkündete er mit schlichter Vernunft. Sein beinahe überzeugendes Lächeln war wieder da. „Als mein Onkel starb, war sie … Nein, es ist sinnlos, zurückzuschauen. Ich habe ihr Mitgefühl für mehr gehalten, als es war.“

„Es tut mir so leid“, sagte Isobel und legte ihren Kopf an seine Schulter. Es war die Wahrheit. Sie wollte, dass er glücklich wurde, obwohl sie sich nicht vorstellen konnte, dass jemals ein Mann auf längere Zeit mit Lucinda glücklich sein könnte. Doch sie würde Leo nie für sich haben, und es war sehr selbstsüchtig, deshalb alle anderen Frauen aus dem Weg zu wünschen. Eines Tages würde er eine finden, die seiner würdig war. Eine, die ihn glücklich machte.

„Das weiß ich, Izzy, Gott segne dich dafür.“ Er legte einen Arm um ihre Schultern und drückte sie an sich. Sie musste sich fest auf die Lippen beißen, um nicht zu weinen. Wie es wohl wäre, wenn Leo sie nicht freundschaftlich, sondern voller Leidenschaft umarmen würde?

„Aber was ist mit dir?“, fragte er. Offenbar wollte er nicht mehr über seine Probleme sprechen. „Wie kommst du damit zurecht, mit deinen Cousins zu leben? Als wir das letzte Mal davon sprachen, fandest du es sehr schwierig.“

„Du drückst es zurückhaltender aus, als ich es tun würde.“ Isobel setzte sich gerade hin und rückte ein paar Zentimeter von ihm und der Versuchung ab, ihn zu umarmen. „Ich bin kurz davor, die Stellenanzeigen zu durchsuchen, um mich als Gesellschafterin bei einer Lady zu bewerben.“

Leo drehte sich auf dem Baumstamm um, damit er sie anstarren konnte. „Aber bezahlte Gesellschafterinnen sind nicht mehr als bessere Dienstboten, die nach der Pfeife von nörgeligen alten Ladys tanzen müssen.“

„Und was bin ich jetzt?“, erinnerte sie ihn. „Ich bin nur die unverheiratete Cousine, die von den Almosen ihrer Verwandten leben muss. Unter dem Dach, das früher einmal mein eigenes war. Sie sagen mir, ich müsse dankbar sein, einen anständigen und sicheren Ort zum Leben zu haben. Und ich sei undankbar, weil ich nicht für jeden kleinsten Wunsch und jede Laune meiner lieben Cousine zur Verfügung stehen will. Außerdem“, fügte sie in verbittertem Ton hinzu, „ist eine bezahlte Gesellschafterin genau das – bezahlt. Es ist mehr, als ich jetzt habe.“

„Dein Vater hat dich doch sicher gut versorgt zurückgelassen?“

„Cousin Edward, der mein Erbteil verwaltet, hat mir versichert, dass mein Erbe nicht ausreichen würde, um meinen gewohnten Standard aufrechtzuerhalten, wenn ich unabhängig leben will.“

„Ach ja? Und wann sagte er das?“ Leo konzentrierte sich nun ganz auf sie. Sein schmales Gesicht bewies seine Intelligenz, die aber offenbar nicht durch Lucindas oberflächliche Schönheit hindurchdringen konnte.

„Es war nach der letzten Belehrung über meine allgemeine Undankbarkeit und den mangelnden Enthusiasmus für meine neue Rolle im Leben. Ich erklärte ihnen, dass ich lieber allein wohnen und unabhängig sein wolle. Aber leider kann ich mir keine ordentliche Zofe leisten, geschweige denn wenigstens ein Einzelzimmer in einem tristen Mietshaus.“

„Ich bin geneigt, einen Anwalt darauf anzusetzen, wie dein Geld angelegt ist. Bekommst du eine regelmäßige Zuwendung?“

„Nadelgeld. Cousin Edward sagt, es sei töricht, meine begrenzten Mittel zu verschwenden, und außerdem habe ich freie Unterkunft und Verpflegung.“

„Du darfst jetzt nichts Voreiliges tun, Izzy. Sie haben insofern recht, dass du unter einem sehr ehrenwerten Dach lebst, in einer Gemeinschaft, die dich kennt und wertschätzt – selbst wenn deine Cousins dich nicht anerkennen. Für eine alleinstehende Lady ohne Beschützer kann das Leben draußen hart sein.“

Für eine Weile saßen sie schweigend da. Es war so still, dass Vögel herabflatterten und im Laub auf der Erde pickten. Isobel sah ein Rotkehlchen, zwei Buchfinken und eine Amsel, bevor sie plötzlich sagte: „Was hast du jetzt vor? Willst du noch einmal versuchen, Lucinda zu überzeugen? Oder gehst du nach London für die Saison und hoffst darauf, dass sie einsieht, wie viel mehr du wert bist als all die reichen Marquis?“

„Nein“, sagte er und lachte kurz auf. „Meine Lage ist schlimm genug, ohne dass ich noch Geld auf solche Unkosten verschwende.“

„Wie geht es den Mädchen?“ Isobel wechselte das Thema. Sie hatte den Eindruck, dass die Zwillinge und Leo Zeit brauchten, um sich daran zu gewöhnen, eine Familie zu sein.

„Sie brauchen dringend eine neue Gouvernante“, sagte er seufzend. „Miss Pettigrew ist eine treue Seele, aber sie wird mit den beiden nicht fertig.“

„Sie sind gerade mal fünfzehn. Ein schwieriges Alter, wenn ich mich recht erinnere.“

„Sie brauchen eine Mutter.“

Welche Lucinda ganz gewiss nicht gewesen wäre.

„Und die Schulden?“ Das sprach für ihre lange Freundschaft – Leo hatte ihr die Probleme mit seiner Erbschaft anvertrauen können. Es war unwahrscheinlich, dass er mit jemand anderem als seinen Anwälten und ihr darüber gesprochen hatte, wie schlimm es um ihn stand.

„Die dringendsten Rechnungen sind bezahlt. Nun muss ich mich entscheiden zwischen einem neuen Dach für das Hauptgebäude, einer neuen Gouvernante für die Mädchen und den armseligen Häusern der Pächter“, sagte er. „Ich habe beschlossen, die Bibliothek zu verkaufen.“

„O nein! So eine schöne Sammlung!“

Leo zuckte mit den Achseln. „Ich kann wohl kaum unter einem undichten Dach sitzen und meine Bibliothek bewundern, wenn die prächtigen Leder-Einbände feucht sind und grün anlaufen, oder? Und selbst wenn ich es könnte, darf ich die Pächter nicht ignorieren, die viel schlimmer dran sind.“ Er erhob sich und streckte ihr eine Hand entgegen. „Wolltest du in das Dorf gehen oder die Sonne genießen?“

„Nur einen Spaziergang machen. Und mich ärgern.“ Isobel legte ihre Hand in seine und ließ sich von ihm auf die Füße helfen. „Ich sollte jetzt besser nach Hause gehen, sonst wird Cousine Amelia wieder sarkastisch bemerken, dass ich meine Zeit verzettle, statt etwas Nützliches zu tun. Wie zum Beispiel Laken zu säumen.“

Sie atmete tief, als sie gemeinsam zu dem Pfad gingen, auf dem sie zu der Lichtung gekommen war. „Ich muss aufhören, mir selbst leidzutun, und mich wirklich darum bemühen, eine passende Stelle zu finden. Vielleicht in London. Oder in Bath, obwohl es dort ziemlich unelegant geworden sein soll, wie ich hörte.“

„Ja. Die modische Welt trifft sich im Sommer am Meer, und Bath ist scheußlich neblig im Winter.“

„Ich suche mir eine flotte Witwe, die ein Haus gegenüber dem Pavillon hat, und gehe nach Brighton“, sagte Isobel und zog es ein wenig ins Lächerliche, weil Leo genügend Sorgen hatte, ohne sich ihre Probleme auch noch anhören zu müssen.

„Wenigstens mangelt es dir nicht an männlicher Gesellschaft, falls du solch eine Arbeitgeberin findest“, sagte er lächelnd. „Soll ich dich nach Hause bringen?“

„Nein, mir geht es sehr gut“, sagte sie, als sie aus dem Wald traten. „Geh du zurück zu deinem Haus und schreibe an Buchhändler.“

Leo schaute der großen schlanken Frau nach, während sie über die Wiese in Richtung des gerade eben sichtbaren Dachs von Long Mead ging, wo ihre Familie wohnte.

Wenn er seine zerbrochenen Träume jemandem offenbaren musste, dann gab es keine Bessere dafür als Isobel mit ihrer ruhigen und vernünftigen, undramatischen Art. Er hatte viele männliche Freunde, aber etwas so Persönliches hätte er keinem von ihnen anvertrauen können. Izzy verstand, dass er von ihr keine Gefühlsausbrüche erwartete, sondern zuverlässige und mitfühlende Freundschaft.

Im Vergleich zu Lucindas lebhaftem Geplapper war ein Gespräch mit Isobel wie ein Glas kühles Wasser nach zu viel Champagner.

Er wünschte, er könnte mehr für sie tun, aber er hatte ihr nicht mehr als ein offenes Ohr zu bieten, dem sie ihre eigenen Probleme anvertrauen konnte. Sie erwähnte nur gelegentlich, wie schwierig ihr Leben seit dem Tod ihres Vaters geworden war. Ihre Mutter war bereits verstorben, als sie erst siebzehn war. Sechs Jahre lang war sie Herrin auf Long Mead gewesen. Es musste ärgerlich sein, von einer so unsensiblen Frau wie Lady Martyn ersetzt zu werden.

Izzys einfache Strohhaube verschwand aus seinem Blickfeld. Leo ging zurück in den Wald und versuchte das üble Gefühl in seinem Bauch zu unterdrücken. Ihm war bewusst, dass es sein eigener Fehler war. Er hätte sich die Zeit nehmen sollen, gebührend um Lucinda zu werben. Dann hätte sie ihn als ernsthaften Verehrer betrachtet und nicht nur als den Jugendlichen, der auf dem angrenzenden Anwesen eingezogen war, als vor über zehn Jahren seine Eltern einem Ausbruch von Influenza zum Opfer fielen.

Als dann sein Onkel im Sterben lag und ihm nicht nur den Titel und sein Land, sondern auch die Bürde der Schulden und Verantwortung hinterließ, hatte er sehr dringend Unterstützung gebraucht. Izzy war natürlich wundervoll gewesen, aber Lucinda hatte es geschafft, ihm mit ihren bewundernden großen Augen in seiner neuen Rolle Kraft zu geben. Das war Izzy mit ihren praktischen unaufdringlichen Ratschlägen und ihrem Mitgefühl nicht gelungen.

Leo erreichte wieder die Lichtung, verweilte dort aber nicht. Er hatte keine Zeit, auf dem Baumstamm zu sitzen und sich in Selbstmitleid zu ergehen. Ja, er hätte noch warten sollen. Aber er hatte befürchtet, Lucinda würde ihn vergessen, wenn sie einmal in die hektische Welt der Londoner Saison eintrat. Andere Männer würden ihr den Kopf verdrehen. Männer, die sie viel interessanter und glamouröser finden würde als ihn.

Und reicher. Sie hatte die Bemerkung über seine angespannte finanzielle Situation auf eine Art gemacht, die er bei jedem anderen als grausam empfunden hätte. Es machte ihm bewusst, dass sie keine Ahnung hatte, wie schlimm es um ihn stand, als er sein Erbe antrat. Es wäre töricht, sich deswegen gekränkt zu fühlen. Lucinda war jung und unbedacht. Und – wie er sich immer wieder sagte – sie liebte ihn nicht und hatte gewiss deshalb seinen Antrag nicht ernst genommen.

Er war ein Narr. Ein romantischer Narr, wie er sich immer wieder sagte. Er hätte es besser wissen müssen. Das Ausmaß seiner Probleme hatte ihn nicht völlig unvorbereitet getroffen. Leo hatte jahrelang zugesehen, wie sein Onkel nach dem Tod seiner Gemahlin immer tiefer in Depressionen versank und sich in die tödlichen Fänge von Spiel- und Alkoholsucht begeben hatte.

Leos Hilfsangebote und Vorschläge für Einsparungen und Verbesserungen hatte er von sich gewiesen. Leo – und mit ihm jeder in der Umgebung – hatte hilflos zusehen müssen, wie die Grafschaft und die einst bedeutenden Besitztümer immer mehr verfielen.

Er blieb stehen, um sich einen roten Giftpilz am Wegesrand anzuschauen, der voller Wurmlöcher war. Wie seine Situation. Was hatte er sich dabei gedacht? Selbst wenn Lucinda sich in seine Arme geworfen und ihm ihre ewige Liebe erklärt hätte, wären ihre Eltern dagegen gewesen und hätten kurzerhand seinen Antrag abgewiesen. Und das mit vollem Recht. Wenn er ihr Vater wäre, würde er so eine Ehe auch nicht gutheißen. Mr. Paxton war ein cleverer Bewahrer, obwohl seine Gattin ihrer Tochter Träume von Hermelin, Juwelen und einer tonangebenden gesellschaftlichen Position in den Kopf gesetzt hatte.

Leo hatte eine schlaflose Nacht hinter sich, in der sich vor seinem inneren Auge alle Verpflichtungen und Schulden zu einem riesigen Berg auftürmten. Es hatte ihn dazu gebracht, einen letzten Versuch zu wagen, um die Würfel noch einmal im Spiel um sein Lebensglück zu werfen.

Lucinda hatte sich bisher immer so verhalten, als hielte sie ihn für wundervoll, stark und kompetent, und sie hatte die Fähigkeit, ihn sich fühlen zu lassen, als sei er der einzige Mann, der ihr etwas bedeutete. Leo war zu sehr von ihrer Schönheit geblendet gewesen, um zu erkennen, dass es in ihrer Natur lag, sich so zu verhalten. Sie war jung und verwöhnt und flirtete gern und mit jedem. Er konnte ihr keinen Vorwurf machen, nur sich selbst.

Nun musste er aufhören zu träumen. Er würde sich dem harten Alltag widmen, um das Anwesen, seine Cousinen und sich selbst aus diesem Sumpf zu ziehen.

„Havelocks geben nicht auf“, hatte sein Vater gern gesagt. „Wir sind als Fußsoldaten mit dem Eroberer hierhergekommen, und sieh dir an, wo wir nach siebenhundert Jahren stehen.“

Es könnte noch einmal siebenhundert Jahre dauern, dachte Leo, als er an der anderen Seite des Waldes in seinen eigenen Park trat und dabei eine Herde Damhirsche aufscheuchte, die in Panik auseinanderstoben.

Der Wald dehnte sich bis in das offene Grasland aus, die kleineren Gehölze waren bereits überwuchert. Er könnte wahrscheinlich das Holz verkaufen. Aus der Tasche zog er ein Notizbuch und notierte, mit Harding zu sprechen, dem Gutsverwalter, den er von seinem Onkel geerbt hatte. Der Mann war entmutigt und pessimistisch, und Leo konnte es ihm nicht verübeln, aber entweder gab er sich einen Ruck und änderte seine Haltung, oder er musste entlassen werden. Ein Holzverwaltungsprogramm mit schnellen Ergebnissen mochte genau das Richtige sein, um den Mann eines Besseren zu belehren.

Leo fühlte sich besser und beschleunigte seinen Schritt. In der Herbstsonne sah das Haus schön aus – die grauen Steine waren ein wenig verwittert, die Türme romantisch. Aus dieser Entfernung sah man nicht die zerbröckelnden Kanten, die fehlenden Dachziegel oder die abblätternde Farbe. Eine Tages, beschloss Leo, würde es wieder perfekt sein. Eines Tages.

Das Sonnenlicht wurde von den Fensterscheiben der Countess-Suite reflektiert, und der dumpfe Schmerz in seinem Inneren kam zurück. Warum sprachen eigentlich alle von einem gebrochenen Herzen? Es fühlte sich eher an wie ein Schlag in den Magen.

Ein Mann ging über die Wiese, wo der Graben das Parkland begrenzte. Leo winkte und rief „Harding!“. Der Mann blieb stehen und wartete, bis Leo ihn erreicht hatte und hinauf zu ihm auf das Gras sprang. „Ich habe mir über das Bauholz Gedanken gemacht.“

Sie gingen gemeinsam zurück zum Haus und sprachen darüber. Hardings Körperhaltung war aufrechter, seine Stirn wirkte glatter und er nickte beistimmend zu allen Punkten, die sein Arbeitgeber ihm erklärte.

Das ist es, dachte Leo. Einen Schritt nach dem anderen, ein kleines Projekt nach dem anderen. Irgendwie werde ich es schaffen.

Es konnte für ihn nicht schlimmer sein als damals für einen Fußsoldaten des Eroberers. Eine Zielscheibe für englische Pfeile und Äxte, seekrank und an einer fremden Küste gestrandet. Nur der Traum von einer künftigen Dynastie blieb, um ihn weitermachen zu lassen.

Aber es würde eine einsame Reise sein ohne Lucinda an seiner Seite.

„Ach, da bist du.“

Und leider bist du auch hier, dachte Isobel und blieb am Fuße der Treppe stehen, um die Bänder an ihrer Haube zu lösen.

„Ja. Es ist ein schöner Tag. Du solltest auch mal einen Spaziergang unternehmen, Cousine Amelia. Es würde dir gewiss guttun.“

„Aus welchem Grund, wenn ich fragen darf? Soll ich auf dem feuchten Boden herumtrampeln wie jede Dorfbewohnerin? Vielleicht fahre ich nachher mit der Kutsche aus. Ich habe gehört, es findet ein Treffen bei der Gattin des Vikars statt, um ein Nähkränzchen zu bilden, wo Kleidung für die Bedürftigen hergestellt wird.“

Die Nicht-Bedürftigen, also diejenigen, die nicht genügend katzbuckelten bei der neuen Lady des Hauses, konnten vermutlich den Winter frierend in ihren zerlumpten Kleidern verbringen, dachte Isobel.

„Ein sehr mildtätiges Vorhaben, Cousine.“

„Ja, obwohl es natürlich nichts für mich selbst ist. Aber ich dachte, es wäre eine nützliche und passende Beschäftigung für dich.“ Lady Martyn fegte weiter bis zur Tür ihres Salons. „Du musst ja sehr viel Zeit übrig haben, Isobel, wenn du stundenlang spazieren gehen kannst. Und vergiss ja nicht die grünen Zweige in den Vasen. Ich glaube, ich habe das bereits beim Frühstück erwähnt.“

Und ich habe beim Frühstück beschlossen, die Anzeigen zu studieren wegen einer Stelle als Gesellschafterin. Vielleicht finde ich ja wirklich eine verwegene Lebedame in Brighton, die mich nimmt. Das würde Spaß machen.

Amelia drehte sich plötzlich um und kam zurück, um ihr genau ins Gesicht zu schauen. „Ich fahre ganz sicher nicht in einem offenen Wagen aus. Sieh dir deine Augen und Nase an – ziemlich gerötet. Jeder würde glauben, du hättest geweint.“

2. KAPITEL

Cousin Edward bezog eine Vielzahl von Nachrichtenblättern, die er gewissenhaft las, um immer auf dem neuesten Stand der Tagesereignisse zu sein und damit ihn jeder für gut informiert hielt.

Als hätte er jemals eine eigene Meinung zu irgendetwas, überlegte Isobel, während sie am nächsten Morgen Marmelade auf ihren Toast strich. Edward teilte grundsätzlich die Ansicht des ranghöchsten anwesenden Gentlemans.

Ich werde allmählich scharfzüngig und gehässig, dachte sie und überraschte ihren Cousin mit einem Lächeln. Wenn ich nicht aufpasse, werde ich noch eine säuerliche alte Jungfer, und das ist äußerst unattraktiv.

„Ich besuche heute Nachmittag Lady Flowers“, verkündete Amelia. „Sie lud mich gestern ein, als wir uns im Pfarrhaus trafen. Und heute Vormittag möchte ich nach Bishop Carsington fahren. Ich brauche mehr Seidengarn. Es sei denn, du benötigst selbst die Kutsche, Edward?“

„Nein, meine Teure. Du kannst sie nehmen“, sagte er hinter den Seiten von The Times hervor. „Pah, was für ein Verhalten gegenüber den Franzosen. Der König ist anscheinend sehr unpopulär. Man sollte annehmen, alle müssten ruhig und dankbar sein, dass wir sie von dem korsischen Ungeheuer befreit haben.“

„Ach wirklich, Lieber?“, murmelte seine Gattin vage.

„Brauchst du meine Begleitung, Cousine Amelia?“, fragte Isobel.

„Nein. Allerdings musst du dich darum kümmern, dass Mrs. Watts den Leinenschrank durchsieht. Die Bettlaken, mit denen gestern unser Bett bezogen wurde, sind schon ganz fadenscheinig. Ich weiß nicht, was sie sich dabei denkt. Sehr nachlässig.“

Isobel nickte und versicherte Amelia, sie werde sich darum kümmern und Mrs. Watts entsprechend instruieren. Es würde nicht länger als fünf Minuten dauern, und danach hatte sie Zeit, die Zeitungen durchzusehen, die Edward am Tag zuvor gelesen hatte.

Als Lady Martyn endlich abgefahren war und Edward sich in sein Studierzimmer zurückgezogen hatte, rettete Isobel die Zeitungen vom Vortag vor der Hausmagd und setzte sich hin, um eine Liste passender Angebote zu machen.

Wenn möglich, suchte sie eine Witwe, weil Haushalte mit Eheleuten problematisch sein konnten. Manche Ehemänner hielten Gouvernanten und Gesellschafterinnen für Freiwild. Doch auch der Haushalt einer Witwe war nicht ohne Risiko, wenn ein unverheirateter Sohn bei seiner Mama wohnte.

Ein Wohnsitz in einer Stadt versprach mehr Unterhaltung als einer mitten auf dem Lande, aber ihr missfiel der Gedanke an die verrußten Industriestädte in den Midlands oder im Norden. Eine Stadt wie Winchester würde ihr vielleicht gefallen.

Nach einer Stunde hatte Isobel eine Liste mit acht Anzeigen erstellt, alle mit genauen Adressen. Das war gut, weil sie keine andere Möglichkeit hatte festzustellen, ob dort wirklich respektable Ladys wohnten, wie behauptet wurde. Sie würde an alle schreiben und feststellen, ob ihr eine Antwort zusagte, bevor sie weitere Erkundigungen einzog.

Im Moment hatte sie keine Zeit mehr, Briefe zu schreiben, denn Amelia würde jeden Augenblick zurück sein. Sie würde es erledigen, wenn ihre Cousine am Nachmittag unterwegs war, und dann würde sie zum Spread Eagle gehen, dem Gasthof, der Briefe annahm und beförderte. Sie durfte nicht vergessen, dem Postmeister zu sagen, er solle sämtliche Antwortbriefe für sie aufbewahren, bis sie selbst sie abholte, denn Amelia hielt es nicht für unter ihrer Würde, ihre Briefe zu lesen – unter dem Deckmäntelchen der Pflicht, eine unverheiratete Lady in ihrem Haushalt zu schützen.

Gewöhnlich reagierte Isobel darauf, indem sie ihr die Briefe ihrer Freundinnen besonders langsam vorlas und ewig in die Länge zog. Das würde ihr in dieser Situation aber nicht helfen.

Drei Tage später entschuldigte sich Isobel nach dem Frühstück mit der Begründung, sie werde das Postamt aufsuchen, um das Paket mit der Stickseide zurückzusenden, die Amelia nach dem Kauf nicht behalten wollte. Es sollte an den Verkäufer zurückgehen.

„Und erkundige dich beim Krämer, ob er neue Teemischungen hat. Oh, und geh dann noch zum Pfarrhaus und frage nach, ob ich dort neulich meinen Schirm vergessen habe.“

„Ja, Amelia. Wie viel Tee soll ich kaufen?“

„Natürlich nimmst du nur eine Probe mit. Woher soll ich wissen, ob er schmeckt, ohne ihn zu probieren?“

„Ja, Amelia.“ Mit der Haube in der Hand entfloh Isobel durch die Eingangstür und knöpfte danach erst die Handschuhe zu, bevor ihrer Cousine noch mehr Aufträge für sie einfielen.

Die Hausmagd an der Tür des Pfarrhauses sagte, sie hätten den Schirm gefunden, und übergab ihn ihr. Dann ging Isobel weiter zum Krämerladen, wo sie drei Proben neuer Teemischungen erhielt. Schließlich überquerte sie die Straße bis zur Poststation.

„Vier Briefe für Sie, Miss Martyn“, sagte Miss Philpott, die älteste Tochter des Postmeisters. Dann nahm sie von Isobel das Päckchen mit dem Seidengarn entgegen. „Das macht vier Pence bitte, Miss. Oh, guten Morgen, Eure Lordschaft.“

Isobel ließ überrascht ihre Briefe fallen, und Leo hob sie für sie auf. Er lächelte die errötende Miss Philpott freundlich an und bat um seine eigene Post.

„Wir wollten Ihnen alles bringen lassen, Eure Lordschaft. Der Botenjunge sollte in wenigen Augenblicken losgehen. Es sind ziemlich viele Briefe für die Hall.“

„Das macht nichts, denn ich kam gerade hier vorbei.“ Er nahm den Lederbeutel entgegen, den sie auf den Tresen legte. „Setzen Sie alles auf meine Rechnung.“

Isobel schaute ihre Post an. Vier Briefe, also hatte die Hälfte ihrer Anfragen Interesse erregt.

„Darf ich Sie nach Hause begleiten, Miss Martyn?“ Leo hängte sich den Beutel über eine Schulter und bot ihr seinen Arm.

Isobel nahm an, und gemeinsam entfernten sie sich von dem Gasthof und möglichen Zuhörern. „Ich möchte mir dies gern ansehen, bevor ich nach Hause gehe“, sagte sie und hielt die Briefe hoch.

„In dem Fall sollten wir uns vielleicht unter das Marktkreuz setzen.“ Leo führte sie zu einem Gestell auf der Kreuzung, das freitags einigen Marktständen Schutz bot. „Ich bin sicher, meine Rechnungen sehen an der frischen Luft auch besser aus.“

Daran hatte Isobel ihre Zweifel, nickte aber zustimmend. Und selbst Amelia konnte nichts daran aussetzen, wenn sie mit ihrem Nachbarn vor den Augen des gesamten Dorfes dort saß.

Sie zerbrach die Siegel aller vier Briefe, dann breitete sie sie aus zum Lesen.

Neben sich hörte sie Leo leise vor sich hin murmeln, als er sich den Inhalt des Beutels anschaute. „Rechnung, Rechnung, Rechnung, überfällige Rechnung … Brief von Charles Standon. Ich fasse es nicht – er heiratet. Kostenvoranschlag für die Dachreparatur …“

Isobel überflog ihre erste Antwort. Birmingham. Eine der Industriestädte, die sie meiden wollte. Die zweite war aus Bath. Etwas aussichtsreicher. Ihre Pflichten würden allerdings auch die Sorge für sechs Schoßhündchen und einen alten Papagei umfassen. Hm, wohl eher nicht. Die dritte erforderte vier persönliche Empfehlungen, von denen zwei durch Geistliche erfolgen mussten, sowie die Versicherung, dass die Bewerberin aus einem gottesfürchtigen und bescheidenen Haus kam.

Niedergeschlagen las Isobel den vierten Brief von einer Mutter aus Norwich. Sie hatte drei kleine Söhne und einen Gatten, der eine Stütze der ansässigen Gemeinde war. Sie führte ein aktives gesellschaftliches Leben und suchte eine fleißige junge Person als Hilfe in allen häuslichen Angelegenheiten.

Sie seufzte. Leo legte seine Post ab und schaute zu ihr. „Keine guten Nachrichten?“

Isobel reichte ihm die vier Briefe und wartete auf sein Urteil.

„Ich muss sagen, dass selbst deine Cousine Amelia besser ist als das.“

„Ich weiß. Aber ich habe acht Anfragen abgeschickt, also kann ich noch auf weitere vier Antworten hoffen. Und wenn diese auch nicht gut sind, werde ich es eben weiter versuchen.“ Sie versuchte, optimistisch zu klingen. „Sind deine Briefe auch so deprimierend?“

„Die meisten. Obwohl mein Freund Standon eine Braut gefunden hat und mir eine Einladung zur Hochzeitsfeier schickt. Und der Preis für das Dach wird vielleicht nicht ganz so hoch sein wie befürchtet.“ Er wühlte in dem Beutel. „Außerdem zwei Briefe für die Mädchen, einer für die Haushälterin … und dies.“ Er hielt einen eindrucksvollen Umschlag aus dickem Pergament hoch. Er trug ein schwarzes Siegel und die Adresse war in sehr schönen Buchstaben geschrieben. „Ich frage mich, von wem das kommt. Es sieht besorgniserregend juristisch und förmlich aus.“

„Nun, dann öffne es. Ehrlich gesagt, finde ich Leute, die Briefe anstarren und überlegen, von wem sie wohl kommen, ziemlich nervtötend.“ Sie stieß ihn leicht in die Rippen.

„Es sieht nach Schwierigkeiten aus“, sagte Leo und zerbrach das Siegel. „Juristischen Schwierigkeiten.“ Er las schweigend, drehte das Blatt um und holte dann erst wieder Luft. „Ich kann es nicht glauben.“

„Was?“

Aber Leo las es noch einmal von vorn. „Ich glaube es immer noch nicht. Solche Wunder gibt es nicht.“

Was?“ Sie würde gleich mit Cousine Amelias Schirm nach ihm schlagen.

„Meine Großtante Honoria ist gestorben, die unverheiratete ältere Schwester meines Großvaters. Und sie hat alles mir hinterlassen.“ Er überflog noch einmal den Brief und tippte dann mit dem Zeigefinger auf eine Stelle. „Sie schrieb in ihrem Testament: ‚In der Hoffnung, er möge fleißiger, redlicher und vernünftiger sein als meine Neffen …‘.“

„Aber das ist ja wundervoll. Auch wenn es nicht besonders viel ist, wird es vielleicht für das Dach ausreichen.“

„Oh, es ist eine große Summe. Sieh selbst.“ Leo zeigte auf einen Abschnitt. „Und außerdem ihr gesamter Landbesitz mit allem, was dazugehört.“

Isobel las es und ihr wurde ein wenig schwindelig. „Allmächtiger! Das löst all deine Probleme. Du kannst deine Schulden bezahlen, das Anwesen in Ordnung bringen lassen, den Mädchen eine Mitgift geben. O Leo, ich freue mich so für dich.“

„Ja, aber sieh mal hier.“ Er zeigte auf eine andere Stelle.

„Oh, eine Bedingung. ‚Vorausgesetzt, der besagte Leo Augustus Gerald Havelock, Vierter Earl of Halford, ist zum Zeitpunkt meines Todes oder innerhalb von vier Monaten danach rechtmäßig vermählt. Aber … was passiert, wenn du es nicht bist? Oh … dann geht alles an die ‚Gesellschaft zur Unterdrückung der Lasterhaftigkeit‘.“

„Der Zeitpunkt ist nicht ideal, nicht wahr?“, sagte er mit farbloser Stimme.

„Und wenn du jetzt zurückgehst zu Lucinda und ihren Eltern und ihnen erklärst, dass du …“ Sie brach ab, als sie seinen Gesichtsausdruck sah.

„Nur über meine Leiche“, sagte Leo knapp. „Lucinda liebt mich nicht und will mich nicht heiraten. Das hat sie sehr klar gesagt, und ich werde den Teufel tun und sie dazu bestechen, ihre Meinung zu ändern.“

„Nein. Nein, natürlich nicht. Was wirst du jetzt tun?“

„Nach London gehen und mir eine Ehefrau suchen. Irgendwie. Und die Saison hat noch nicht einmal begonnen.“ Er stand auf und stopfte alles zurück in den Beutel. „Ich muss gehen, Izzy. Ich habe noch höllisch viel zu tun.“

Sie sah ihm nach, wie er mit großen Schritten über den Dorfanger ging, und war tieftraurig. Es war wundervoll, dass seine erdrückenden Geldsorgen hinter ihm liegen würden. Penelope und Prudence konnten eine Mitgift und eine gute Einführung in die feine Gesellschaft bekommen. Und die Pächter würden in Zukunft sicher und bequem leben. Aber Leo war gerade von der Frau abgewiesen worden, die er liebte, und nun … musste er kalten Blutes eine Frau zum Heiraten suchen. Eine, die er nicht lieben konnte.

Es würde ein ehrliches Arrangement sein – vermutlich besser, als zu wissen, dass Lucinda ihn nur wegen seines Geldes geheiratet hätte. Ja, es wäre nur wegen des Geldes und Titels, aber auf diese Weise konnte er vielleicht doch eine Frau finden, die er gernhatte oder die zumindest einigermaßen zu ihm passte.

Isobel faltete ihre Briefe zu kleinen Quadraten und stopfte sie tief in ihr Retikül. Dann stand sie auf und ging langsam die Straße nach Long Mead entlang. Wie konnte sie ihm helfen?

Wer wäre denn die Richtige? Es musste eine Lady sein, deren Status zu einem Earl passte, also mindestens die Tochter eines Gentlemans. Sie sollte das Landleben mögen und sich mit dem momentanen Zustand von Havelock Hall abfinden. Und sie musste die Bereitschaft aufbringen, dort alles wieder in Ordnung bringen zu lassen.

Sie musste auch bereit sein, zwei halbwüchsige Mädchen aufzunehmen, die Liebe und Aufmerksamkeit brauchten. Und sie musste einigermaßen intelligent sein sowie Humor besitzen. Vor allem anderen aber musste sie Leo gernhaben. Nicht nur als den Mann, der ihr einen Titel brachte, sondern als Mensch, denn er hatte es verdient, glücklich zu sein.

Aber welche Chancen hatte er, diese ideale Frau zu finden und heiraten zu können – innerhalb weniger Monate? Die Uhr tickte bereits, denn seine Großtante war schon vor einigen Tagen gestorben.

Doch Leo war entschlossen und ein guter Menschenkenner – abgesehen von Lucinda Paxton –, also würde er gewiss eine passende Braut finden. Für sich selbst konnte sie nur hoffen, Little Bitterns bis dahin hinter sich gelassen zu haben. Jetzt schon war es schwer, Leo zu lieben. Aber ihm zuzusehen, wie er eine Braut heimbrachte und sie heiratete, würde Folter sein.

Wenn ihr nur jemand für ihn einfiele. Eine Person, die sie mochte und der sie vertraute …

Leo kam bis zum Pförtnerhaus am Eingang zum Park, bevor er den Schock richtig spürte.

„Morgen, Mylord. Alles in Ordnung, Mylord? Sie sind ganz schön blass.“

Zum Teufel, es war der alte Simmons. Der Torhüter hinkte auf ihn zu und schaute ihn besorgt an.

„Ja, danke, Simmons. Ich habe gerade überraschende Neuigkeiten erfahren. Gute Neuigkeiten. Nichts, worüber man sich Sorgen machen müsste.“

Er fand ein Lächeln für den Mann und schritt die Einfahrt entlang bis zur Biegung, wo er auf eine steinerne Bank sank, von der aus er eine Aussicht auf das Haus hatte.

Geld. Er würde Geld haben. Genug, um alle Probleme zu lösen, seine eigene Zukunft zu sichern, und was noch wichtiger war, die der Zwillinge und der Pächter. Er müsste froh sein. Glücklich. Mehr als nur glücklich. Begeistert. Und er war es natürlich. Doch seine Erleichterung wurde erstickt von der Erkenntnis, dass er Lucinda morgen den Heiratsantrag hätte machen sollen anstatt letzte Woche. Dann hätte sie ja gesagt. Nicht, weil sie ihn liebte, sondern weil er ein vermögender Earl war.

Wann wäre ihm wohl aufgefallen, dass sie keine Gefühle für ihn hatte? Aber vielleicht hätte sie ja mit der Zeit gelernt, ihn zu lieben, so wie er sie liebte. Er schüttelte den Kopf. Nein, das war nur ein Traum. Eine Fantasie. Dafür hatte er jetzt keine Zeit. Es war seine Pflicht, eine Braut zu finden und zu heiraten innerhalb weniger kurzer Wochen. Er hatte nur dreieinhalb Monate Zeit für die Brautwerbung bis zur Hochzeit.

Richtig, sagte er sich streng. Reiß dich zusammen und entscheide dich, was du von einer Frau erwartest.

Eine Lady natürlich, die dazu erzogen worden war, die Verpflichtungen der Gattin eines Landbesitzers zu kennen und einen Haushalt zu leiten. Sie musste intelligent sein, aber auch aktiv und vorausschauend, denn es gab sehr viel zu tun. Eine Person, die nicht über den derzeitigen Zustand hinwegsehen konnte, würde nicht zurechtkommen. Sie musste mitfühlend und vernünftig sein, denn die beiden Zwillinge brauchten, wenn schon keine Mutter, dann wenigstens eine ältere Schwester als Vorbild.

Sinn für Humor wäre gut, dachte er und stand auf. Und Gesundheit, denn die würde sie brauchen. Auch Zuneigung und Verständnis, sonst würde es unangenehm und schwierig werden, sich aneinander zu gewöhnen.

Gewiss gab es irgendwo in London eine Lady, auf die diese Beschreibung passte? Er brauchte eigentlich jemanden wie Izzy … Nur, wo würde er so eine Frau fin…?

Leo blieb stehen.

Izzy?

Er drehte sich um und ging raschen Schrittes zum Pförtnerhaus. Dann begann er zu rennen. Wenn er sie abfing, bevor sie im Haus war … Irgendwie erschien es ihm wichtig, dies sofort zu tun, bevor ihn der Mut verließ. Sie würde ihn natürlich auslachen, aber vielleicht konnte er sie überreden, oder? Sie war ja momentan nicht gerade glücklich mit ihrem Leben. War eine Heirat mit ihm, einem Freund, nicht besser, als für Fremde zu arbeiten?

Er war schon halbwegs durch das Dorf, als er sie in schnellen Schritten auf das Marktkreuz zugehen sah. Sie kam ihm entgegen, mit rotem Gesicht und offenbar aufgeregt. Was war denn los? „Izzy“, rief er.

„Leo.“ Als sie einander gegenüberstanden, fuhr sie mit der Zunge über die Unterlippe und sah zur Seite, als könne sie ihm nicht in die Augen sehen. „Ich dachte … es ist natürlich lächerlich, aber …“

„Ich habe nachgedacht“, sagte er gleichzeitig. „Über die ideale Frau unter den gegebenen Umständen …“

„Ja, ich auch. Und ich habe mir überlegt …“

„Ich habe eine Liste gemacht.“ Sie redeten aneinander vorbei.

„Ich auch. Du hast nicht viel Zeit. Es könnte schwierig werden, jemand … hm … Passenden zu finden.“

„Ja.“

„Und vielleicht wäre es auch nicht ganz fair, jemanden zu heiraten, ohne zu sagen, dass du in Lucinda verliebt bist.“

„Darüber dürfte man aber eigentlich nicht sprechen, oder? So etwas tut ein Gentleman nicht.“

„Aber mir hast du es gesagt.“ Sie sah ihn direkt an. Ihre grünen Augen glänzten, so wie immer, wenn sie etwas ernst meinte.

„Weil du meine Freundin bist.“

„Ja.“

Leo holte tief Luft. „Izzy, könntest du …“

„Leo, würdest du …?“

„Mich heiraten?“, sagte er rasch, bevor sie sie komplett durcheinanderkamen.

„Ja“, sagte sie. Dann: „Oh, du meine Güte, glaubst du wirklich? Was, wenn Lucinda ihre Meinung ändert?“

„Weil ich reich sein werde?“ Er schüttelte den Kopf. „Sie liebt mich nicht. Ich muss als Gentleman ihre Entscheidung akzeptieren. Ständig geraten Menschen in so eine Situation und sterben nicht an gebrochenem Herzen. Außerdem könnte ich es nicht ertragen, jemanden zu heiraten, der nur mein Geld will. Du und ich sind Freunde, Izzy. Wir beide können das besser bewältigen als zwei Menschen, die einander kaum kennen.“ Er behielt sein Lächeln bei, seine Stimme hatte einen positiven Klang. Wenn er sich dies nur oft genug wiederholte, würde er es am Ende selbst glauben.

„Ja, natürlich.“ Izzy nickte nachdrücklich. Sie versuchte sich auch gerade davon zu überzeugen, stellte er fest.

„Aber nur, wenn du es wirklich willst. Ich habe mir gedacht, dass ich für dich vielleicht eine bessere Wahl sein könnte, als wenn du dich um einen alten Papagei kümmern oder den ganzen Tag Predigten lesen müsstest.“

„Das ist wahr. Wenigstens verteilst du nicht überall deine Federn oder deprimierst mich mit der Aussicht auf das Höllenfeuer“, sagte sie mit der ernst klingenden Stimme, die innere Erheiterung verdeckte, wie er wusste.

Leo stellte fest, dass seine Lippen zuckten. „Dies ist wirklich kein angemessener Heiratsantrag, stimmt’s?“ Anders als bei seinem letzten Versuch, lächelte er. Lizzy brachte ihn oft zum Lachen.

„Nein, und ganz gewiss hätte ich nichts sagen sollen“, sagte sie, plötzlich ernst. „Das war sehr unladylike von mir. Aber hier geht es nicht um Romantik, sondern es ist eine geschäftliche Abmachung zu unserem gegenseitigen Vorteil. Ein Vertrag. Wann und wie sollen wir es tun?“

„So schnell wie möglich, mit einer speziellen Genehmigung in London, würde ich sagen. Sollen wir morgen durchbrennen? Damit verhindern wir all die unsinnigen Einwände, die deine Cousins sicherlich vorbringen würden. Je schneller wir heiraten, desto besser. Wenn du lieber hier heiraten möchtest, ist es natürlich etwas anderes.“

„O nein. Wenn Papa noch leben würde, würde ich natürlich im Dorf heiraten wollen. Und über die eilige Hochzeit wird sowieso jeder reden, und dann möchte ich lieber nicht hier sein, um es zu hören.“

„All die Klatschtanten werden die Monate zählen, nehme ich an“, sagte er mit offenem Widerwillen. „Ja, wir kommen sehr gut ohne das gehässige Gerede aus. Hast du eine Zofe, die dich begleiten würde? Dann könntest du in ein Hotel gehen, während ich die Genehmigung besorge und mit Großtante Honorias Anwälten rede. Danach können wir heiraten, sobald wir einen Geistlichen finden.“

„Durchbrennen? Der Gedanke gefällt mir, und ich bin sicher, Nancy wird mich begleiten. Cousine Amelia droht ihr ständig mit Entlassung, weil sie ihr zu vorlaut ist. Aber was ist mit den Zwillingen? Und wo werden wir wohnen? Kommen wir anschließend sofort hierher zurück?“

„Nein. Ich muss noch sehr viel in der Stadt erledigen. Ich werde Halford House in London öffnen. Dort habe ich bisher erst zweimal übernachtet und weiß nicht, in welchem Zustand es derzeit ist – vermutlich ziemlich schrecklich. Miss Pettigrew kann die beiden Mädchen nach London bringen, sobald alles geregelt ist.“

„Kann es denn wirklich so einfach sein?“ Izzy schaute in die Runde und begann langsam über den Platz zu spazieren. „Am besten lassen wir uns nicht anmerken, dass wir über etwas Ernstes sprechen“, sagte sie, als er neben ihr ging. „Ja, es könnte alles sehr schnell gehen, wenn wir die Konventionen nicht beachten. Vielleicht verbreiten wir anschließend, dass die Hochzeit wegen des Todes deiner Großtante sehr einfach war. Wann sollen wir aufbrechen? Ich weiß gar nicht, wie so etwas vonstattengeht. Musst du zu einer unchristlichen Zeit mit einer Leiter kommen?“

„Gewiss nicht“, sagte Leo und dachte nach. „Wir setzen einen neuen Trend für zivilisierte Entführungen. Nach dem Frühstück wäre es gut, finde ich. Dann brechen wir bei Tageslicht und mit vollem Magen auf. Wenn du vorher mit Nancy deine Koffer gepackt hast, komme ich um … sagen wir … halb zehn Uhr?“

Isobel biss sich auf die Lippe, zog ein wenig die Brauen zusammen, lächelte dann und streckte ihre Hand aus. „Darauf sollten wir uns die Hand reichen.“

„O nein, sieh dir unser Publikum an.“

Leo ließ ihre Hand los und schaute umher. Ein sichtlich interessierter Gänsehirt mit seiner Schar beobachtete sie von der anderen Seite des Teichs. Zwei Häuslerinnen mit Körben an den Armen gingen sehr langsam vorbei, um so viel wie möglich zu sehen. Und alle Passagiere der Postkutsche vor dem Spread Eagle starrten ungeniert herüber.

„Lass sie starren“, sagte Leo und küsste ihre Hand. „Dann bis morgen um halb zehn Uhr.“

3. KAPITEL

Isobel blickte dem hochgewachsenen Mann nach, als er fortging. Wieder wurde ihr innerlich warm, wie immer, wenn sie bewundernd Leos breite Schultern, schmale Hüften und lange muskulöse Beine anschaute.

Doch als sie zurück zur Straße ging, spürte sie plötzlich gelinde Panik. Was habe ich nur getan? Habe ich uns beide gerettet – oder einen schrecklichen Fehler begangen?

Sie liebte Leo, aber Leo liebte Lucinda, das waren die Tatsachen. Und sie würde mit ihm leben, ihre Gefühle stets verbergen und sich stellen müssen, als sei ihr alles gleich.

„Guten Morgen, Mrs. Hooper, Mrs. Cookman.“ Die beiden neugierigen Hausfrauen spitzten die Lippen und erwiderten ihren Gruß. Wie lange würde es wohl dauern, bis dieses wunderbare Gerücht ihre Cousins erreichte? Sie musste eine einfache Erklärung parat haben, warum ein Earl ihr mitten auf dem Dorfanger die Hand geküsst hatte.

„Guten Morgen, Miss Martyn.“

O verf…lixt. Isobel setzte ein Lächeln auf und drehte sich um. Lucinda stand vor dem Dorfladen, ihre Zofe hinter sich. „Guten Morgen, Miss Paxton. Was für eine hübsche Haube. Ist sie neu?“

„Ach, das alte Ding.“ Lucinda warf den Kopf in den Nacken, wahrscheinlich, um ihre schönen goldblonden Locken besser zur Geltung zu bringen. „War das gerade Leo, der Ihnen die Hand geküsst hat?“

„Wir haben uns wegen einer kleinen geschäftlichen Abmachung die Hände geschüttelt“, sagte Isobel. „Sie kennen doch Leo – nur ein kleiner Spaß.“

„Oh. Und wie geht es dem teuren Leo? Ist er sehr niedergeschlagen?“

Lucinda erwartete, dass Isobel nach dem Grund fragte, warum Lord Halford niedergeschlagen sein sollte. Es war so offensichtlich, dass sie sie hätte schütteln können. Lucinda wusste, dass er wegen ihrer Ablehnung bekümmert sein würde, und dennoch wollte sie darüber tratschen.

„Niedergeschlagen? Warum? Nein, überhaupt nicht. Er war offenbar bester Dinge, wie mir schien. Geradezu energiegeladen. Ich wollte nicht nachfragen, aber ich hatte den Eindruck, als sei er befreit von irgendeiner Sorge. Entschuldigen Sie mich bitte, ich habe heute noch sehr viel zu tun.“

Isobel drehte sich um und sah ihr eigenes Spiegelbild im Glas des Schaufensters. Unmodisch groß, wenige Kurven, glattes braunes Haar und ein nettes ruhiges Gesicht. Und da war Lucinda: jünger, unendlich hübscher und so viel lebhafter. Die andere Frau war kaum den Kinderschuhen entwachsen, aber sie konnte von Natur aus flirten und jedem Mann das Gefühl geben, etwas Besonderes zu sein.

Lucinda hüpfte die Stufen hinunter und sah sich offensichtlich bereits nach jemand Interessanterem um als der langweiligen Miss Martyn.

Mit ihr werde ich niemals mithalten können. Isobel ging langsam zurück nach Hause. Also werde ich diese Ehe nur als freundschaftliche Beziehung ansehen, in der man füreinander da ist.

Es klang ehrenwert und nur ein kleines bisschen langweilig.

„Nancy.“

„Ja, Miss?“ Die Hausmagd richtete sich auf. Sie war gerade dabei, einen Staubwedel in Isobels Schlafzimmer auszuschütteln.

„Wärst du gern die Zofe einer Lady? Einer Countess?“

„Welche Frage! Das wäre … Aber wer würde mich nehmen? Mein Vater ist Schweinehirt, und ich bin nur eine Hausmagd. Für so etwas muss man ausgebildet sein. Und ich kann mich nicht gut ausdrücken.“

„Auch die oberste Kammerzofe hat mal klein angefangen.“ Isobel nahm ihre Haube ab und öffnete die Knöpfe ihrer Jacke. „Die beiden wichtigsten Pflichten einer Zofe sind Loyalität und Diskretion. Die Fähigkeit, die Geheimnisse ihrer Lady zu wahren.“

„Das kann ich gut, Miss Isobel. Hab mich noch nie mit Tratscherei abgegeben. Aber wer ist denn diese Countess, die eine Zofe braucht? Sie kennen doch gar keine, oder?“

„Ich werde selbst eine Countess sein, Nancy. Morgen Vormittag werde ich mit Lord Halford durchbrennen. Wir werden so bald wie möglich heiraten.“ Jetzt hatte sie es laut ausgesprochen, also musste es wahr sein.

„Meine Güte, Miss!“ Nancy ließ sich mit offenem Mund auf das Bett plumpsen, sprang aber gleich wieder auf. „Oh, entschuldigen Sie, Miss. Sagten Sie durchbrennen?“

„Ja. Und wenn du willst, kannst du mitkommen und meine Zofe sein. Aber wir müssen heute noch alles packen, ohne dass es jemand merkt, weil es große Aufregung geben wird, wenn es herauskommt.“

„Oh, ja. Das garantiere ich, Miss. Lady Martyn wird total durchdrehen. Oh, das wird schlimm – Sie eine Countess, Miss – und Seine Lordschaft nur ein Baron.“

„Darum will ich es ja noch geheim halten.“ Jetzt war vermutlich kein guter Zeitpunkt, um über Respekt gegenüber seinen Arbeitgebern zu sprechen. „Könntest du Paul und Tom bitten, meine großen Koffer vom Dachboden zu holen?“

„Aye.“ Nancy runzelte die Stirn. „Ich werde ihnen sagen, sie sollen keinen Lärm machen und den Mund halten, damit Seine Lordschaft nicht gestört wird. Und während wir warten, können wir überlegen, was Sie für morgen brauchen.“

„Und vergiss nicht, auch deine Sachen zu packen, Nancy.“

„Ja. Miss. Wohin fahren wir denn, Miss, falls es kein Geheimnis ist? Nach Schottland?“

„London, Nancy. Zuerst in ein Hotel, später, wenn ich verheiratet bin, in das Stadthaus Seiner Lordschaft.“

„Das ist großartig, Miss. Ich kann es kaum erwarten.“ Sie rückte ihre Kappe gerade und verschwand nach draußen. Isobel setzte sich in den Sessel und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen.

Glücklicherweise war Cousine Amelia den größten Teil des Nachmittags unterwegs. Und am nächsten Morgen um halb neun Uhr fühlte Isobel sich so nervös wie eine junge Lady, die um Mitternacht aus dem Fenster steigen und mit ihrem Liebsten nach Gretna Green fahren will.

Sie hatte am Abend zuvor mit dem Gedanken gespielt, ihren Cousins beim Dinner von ihren Plänen zu erzählen. Amelia war jedoch wieder einmal so unausstehlich gewesen, dass Isobel klar war, dass es nicht möglich war, ohne dass daraus ein großer Streit entstehen würde. Also hatte sie sich auf die Zunge gebissen und höflich dem Gezeter über die Fehler des Kurators und des Chors und die schlechte Qualität der Teeproben, die Isobel für sie besorgt hatte, zuzuhören.

Beim Frühstück verkündete Amelia, sie habe Kopfschmerzen. „Ich fahre nach Bishop’s Carsington und konsultiere Mr. Whyborne, den Apotheker. Letztens deutete er an, dass meine empfindliche Disposition mich wohl für Kopfschmerzen empfänglich macht, und dagegen hat er ein Mittel. Edward, du brauchst ja wohl heute Morgen die Kutsche nicht.“

Lord Martyn nickte gehorsam.

„Um welche Zeit soll der Wagen vorfahren?“ Plötzlich hatte Isobel die schreckliche Vorstellung, dass Amelia und Leo sich auf der Türschwelle begegnen könnten.

„Gleich nach dem Frühstück, bevor der Schmerz noch stärker wird.“ Amelia widmete sich tapfer einem weiteren gekochten Ei und einer Scheibe Toast.

Am Ende hatte sich der Staub des Wagens der Martyns kaum gelegt, als eine sehr viel einfachere Reisekutsche vorfuhr.

Nancy, die sich mit Feuereifer in die dramatische Situation gestürzt hatte, wirbelte umher und drängte die Diener, das Gepäck herunterzubringen.

„Leise!“ Isobel schaute ängstlich auf die geschlossene Tür des Studierzimmers. „Wir dürfen Lord Martyn nicht stören.“

„Verreisen Sie, Miss?“, fragte der Diener Tom, als er den größten Koffer zusammen mit Paul die Eingangstreppe hinunterbeförderte.

„Ja. Ein Besuch bei Freunden in … Leicestershire.“

Leo, der das Aufladen beaufsichtigte, warf ihr einen amüsierten Blick zu und erkundigte sich dann höflich bei Nancy, ob sie Miss Martyns Zofe sei.

„Ja, äh, Mylord.“

„Dann hinein mit dir.“ Leo half ihr in die Kutsche und legte die kleineren Koffer auf den Sitz neben ihr. „Ist das alles?“

Isobel kicherte nervös, als er auch ihr in den Wagen half. „Wirst du nicht mit in der Kutsche sitzen?“

„Ich werde reiten.“ Er gab de...

Autor

Jenni Fletcher
<p>Jenni Fletcher wurde im Norden Schottlands geboren und lebt jetzt mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Yorkshire. Schon als Kind wollte sie Autorin sein, doch ihr Lesehunger lenkte sie davon ab, und erst dreißig Jahre später kam sie endlich über ihren ersten Absatz hinaus. Sie hat Englisch in...
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