Julia Ärzte zum Verlieben Band 131

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KÜSS MICH UNTERM MISTELZWEIG! von CAROL MARINELLI
Hebamme Louise ist betörend schön, witzig, sexy - und tabu für Dr. Anton Rossi! Nach einer schlechten Erfahrung hält er Job und Privatleben strikt getrennt. Auf der Weihnachtsfeier kann er trotzdem nicht widerstehen, Louise zu küssen - ausgerechnet unterm Mistelzweig!

EINE FAMILIE FÜR DR. CONNELLY von ALISON ROBERTS
Als ein attraktiver Fremder mit süßen Zwillingen bei Sophie auftaucht, steht ihre Welt Kopf. Nicht nur, dass Dr. Finn Connelly der Erste nach dem tragischen Verlust ihres Mannes ist, der sie ungewollt magisch anzieht, er behauptet auch, Sophie sei die Mutter der Kinder …

DAMALS, HEUTE UND FÜR IMMER? von ROBIN GIANNA
Den Traum von einer eigenen Familie hat Aurora längst begraben. Da trifft sie ihre große Liebe Dr. Jacob Hunter wieder. Als sie entdeckt, dass er einen Sohn hat, erwachen schmerzliche Erinnerungen - und die heimliche Sehnsucht nach einem Neuanfang mit dem Single-Dad …


  • Erscheinungstag 18.10.2019
  • Bandnummer 131
  • ISBN / Artikelnummer 9783733713553
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Carol Marinelli, Alison Roberts, Robin Gianna

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 131

CAROL MARINELLI

Küss mich unterm Mistelzweig!

Louises neuer Kollege Dr. Anton Rossi ist atemberaubend sexy und gleichzeitig so unnahbar, dass Louise ungeniert mit ihm flirten kann. Natürlich nur, um ihr Selbstbewusstsein nach einer gescheiterten Beziehung aufzupolieren! Bis Anton sie unter dem Mistelzweig mit einem verlangenden Kuss überrascht, der ihr Herz ungewollt höher schlagen lässt …

ALISON ROBERTS

Eine Familie für Dr. Connelly

Wie soll Dr. Finn Connelly als überzeugter Junggeselle sich ganz allein um seine beiden verwaisten Nichten kümmern? Da die Zwillinge dank einer Eizellspende gezeugt wurden, macht er sich spontan auf die Suche nach der Spenderin Dr. Sophie Bradford. Schon beim ersten Blick in ihre Augen spürt er eine rätselhafte Verbundenheit. Mit ungeahnten Folgen …

ROBIN GIANNA

Damals, heute und für immer?

Zorn, Trauer, Schmerz und leidenschaftliches Begehren: Widerstreitende Gefühle überwältigen Dr. Jacob Hunter, als seine Ex Aurora in ihren Heimatort zurückkehrt, um sich um ihre kranke Mutter zu kümmern. Doch Aurora hat ihn damals ohne ein Wort des Abschieds verlassen. Egal, wie sehr er sie begehrt, er darf ihr nicht noch einmal sein Herz anvertrauen!

1. KAPITEL

„Tun Sie mir einen Gefallen, Anton?“

Beim Klang ihrer Stimme blieb Anton Rossi stehen. Er hatte versucht, Louise nicht zu beachten, als er eilig die Entbindungsstation des Londoner Krankenhauses The Royal betrat.

Aber natürlich hatte er sie gesehen.

Louise stand auf einer Trittleiter und hängte noch mehr Weihnachtsdekoration auf. Schmal und zierlich, versank sie fast in der formlosen dunkelblauen OP-Kleidung, unter der sie ein langärmeliges blassrosa T-Shirt trug. Ihr blondes Haar hatte sie oben auf dem Kopf zu einem Pferdeschwanz gebunden, und um ihren Hals hingen mehrere glitzernde Girlanden.

Außerdem war ihm aufgefallen, wie blass sie war. Ja, ob er es wollte oder nicht, er hatte sie bemerkt.

Er bemerkte Louise Carter ziemlich oft.

„Worum geht es denn?“, fragte er, während er sich widerstrebend umdrehte.

„In dem Karton da drüben liegen goldene Girlanden.“ Sie deutete Richtung Stationstresen.

Da er sich nicht rührte, überlegte Louise, ob er vielleicht nicht verstanden hatte, was sie von ihm wollte. „Gir-lan-den …“, sagte sie langsam mit dem italienischen Akzent, den sie gelegentlich annahm, wenn sie versuchte, ihm ein Wort zu erklären. Anton beobachtete sie verhalten amüsiert, als sie an dem Glitzerflitter um ihren Hals zupfte. „Gir-lande, go-hold.“

„Und?“

Louise gab es auf mit dem Akzent. „Holen Sie sie mir bitte. Mir sind die goldenen ausgegangen.“

„Ich bin hier, um nach Anna Evans zu sehen.“

„Dauert nur eine Sekunde“, betonte Louise. „Sehen Sie, wenn ich jetzt runtersteige, muss ich wieder von vorn anfangen.“ Mit einer Hand hielt sie eine knallig grüne Girlande vor die Wand. „Ich versuche, ein Muster zu bilden.“

„Genau, Sie versuchen es.“ Anton marschierte los.

„Ach, Humbug!“, rief sie ihm nach.

Anton war von Mailand nach London gezogen und hatte nie Weihnachten in England erlebt. Er würde später herausfinden, was Humbug bedeutete.

Ja, er befand sich nicht gerade in vorweihnachtlicher Feststimmung. In den letzten Jahren hatte er Weihnachten sogar gefürchtet. Leider gab es hier am Royal kein Entrinnen. Der Kalender zeigte den 1. Dezember, und in seinen Posteingang flatterten Einladungen zu Weihnachtslunchs, Weihnachtsdinners und – partys, bei denen er erwartet wurde. Als er heute Morgen das Gebäude betreten hatte, blendete ihn buchstäblich ein mächtiger, grell geschmückter Tannenbaum im Foyer. Und nun war auch Louise zur Tat geschritten, als wollte sie auf der Entbindungsstation Santa Claus persönlich empfangen!

Ungern, höchst ungern machte er sich auf den Weg zu besagtem Karton, fischte eine lange goldglänzende Girlande heraus und brachte sie Louise.

„Vielen Dank“, sagte sie mit einem zuckersüßen, leicht triumphierenden Lächeln.

„Bitte sehr.“ Damit wandte er sich ab.

Eins wusste Anton genau: Wenn er sich jetzt umdrehte, würde er Louise dabei erwischen, wie sie ihm die Zunge herausstreckte.

Geh einfach weiter, sagte er sich. Dreh dich nicht um. Er würde sie nur ermutigen, und dabei tat er alles, um Louise zu entmutigen!

Eine Frau wie sie war ihm noch nicht begegnet. Flirten schien ihre zweite Natur zu sein. Zuerst hatte er gedacht, dass sie mit jedem Mann so umging. Bis er dann verwundert und angenehm überrascht feststellte, dass sie nur mit ihm so offensiv flirtete.

Natürlich zeigte er es Louise nicht, aber insgeheim genoss er es.

Beachte sie nicht.

Es gelang ihm nicht.

Anton drehte sich um und ertappte Louise, wie sie auf der Leiter stand und ihm tatsächlich die Zunge zeigte. Sie erstarrte kurz und stieß dann ein nervöses Lachen aus, als Anton mit grimmiger Entschlossenheit auf sie zuging. So als sei er drauf und dran, Louise von der Leiter zu zerren und sie sich über die Schulter zu werfen.

Stattdessen blieb er dicht vor ihr stehen, das Gesicht auf Höhe ihrer Hüften, und sah hoch in ihre himmelblauen Augen.

Louise starrte auf ihn hinunter, einen Mann, so unnahbar und unmöglich arrogant und gleichzeitig atemberaubend sexy, wie ihn das Royal noch nicht erlebt hatte.

„Ich habe Ihnen Ihre Girlande geholt“, erklärte er streng, schien sich jedoch nur mit Mühe ein Lächeln zu verkneifen.

„Ja, das haben Sie.“ Louise fragte sich, ob er wohl die Funken wahrnahm, die zwischen ihnen sprühten. Er mochte abweisend und launisch sein, aber ihr Körper reagierte auf ihn, als würde jemand die Heizung aufdrehen, sobald Anton Rossi in der Nähe war.

Andererseits ärgerte sie sich oft über ihn. Weil er alles, was sie tat, prüfte und noch einmal überprüfte, als wäre sie jemand, der für einen Tag zur Aushilfe einsprang – und nicht eine staatlich geprüfte Hebamme!

„Warum dann das hier?“ Er schnitt eine Grimasse und streckte ihr die Zunge heraus.

Louise lächelte über seinen Versuch, sie nachzuahmen. Anton sah trotzdem klasse aus mit seiner olivfarbenen Haut, dem schimmernden schwarzen Haar, das stets perfekt geschnitten und tadellos frisiert war. Am liebsten hätte sie ihre Finger hineingeschoben, um herauszufinden, ob es sich so seidig anfühlte, wie es aussah. Seine Augen waren tief dunkelblau, und sie wünschte sich schon lange, sie einmal lächeln zu sehen.

Genau das geschah gerade. Zwar war seine Miene immer noch grimmig, aber seine Augen blitzten amüsiert. Louise beschloss, die Gunst der Stunde zu nutzen, um ihm ein paar bittere Wahrheiten zu sagen.

„Es ist Ihre Art, Anton. Warum haben Sie nicht einfach gesagt: ‚Gern, Louise‘; und mir die Girlande gebracht?“

„Weil ich, wie ich bereits sagte, auf dem Weg zu einer Patientin bin.“

„Okay, warum haben Sie nicht gelächelt, als Sie auf die Station kamen und die Deko sahen, für die ich zwei Stunden gebraucht habe, und gesagt: ‚Oh, das ist aber hübsch!‘ …?“

„Wollen Sie eine ehrliche Antwort?“

„Klar.“

„Weil ich finde, dass es zu viel des Guten ist.“ Als er sich dafür einen nicht gerade freundlichen Blick einfing, fügte er hinzu: „Sie haben mich gefragt.“

„Stimmt“, sagte sie. „Okay, dann die dritte Frage: Warum haben Sie nicht Hallo gesagt, als Sie an mir vorbeigegangen sind?“

Das war nicht einfach zu beantworten. „Weil ich Sie nicht gesehen habe.“

„Oh, bitte!“ Louise verdrehte die Augen. „Natürlich haben Sie mich gesehen. Sie hatten nur beschlossen, mich zu ignorieren – so wie ich jetzt Ihre Ansicht wegen der Dekoration ignorieren werde. Weihnachtsschmuck kann man nie genug haben.“

„Glauben Sie mir, Louise, man kann.“ Anton blickte sich um. Rote, grüne und goldene flirrend glitzernde Sterne bedeckten die Wände. Von der Decke hingen riesige Kugeln aus Silberfolie, und am Fuß der Wände klebten tanzende Plastik-Schneemänner. Die Fenster zu den Patientenzimmern waren zur Hälfte mit Kunstschnee besprüht. Louise hatte wirklich ganze Arbeit geleistet. „Hier passt nichts zusammen. Das übergeordnete Thema fehlt.“

„Das übergeordnete Thema ist Weihnachten, Anton“, belehrte sie ihn. „Ich hatte ein glanzloses Weihnachtsfest im letzten Jahr und bin wild entschlossen, in diesem alles nachzuholen. Die Krippe baue ich heute Nachmittag auf.“

„Viel Spaß“, sagte Anton und ging davon.

Diesmal zeigte sie ihm nicht die Zunge. Und selbst wenn, so hätte er es nicht gesehen, weil er sich nicht umdrehte.

Anton wollte nicht mit Louise reden. Er wollte nicht herausfinden, warum sie glanzlose Weihnachten verbracht hatte.

Eigentlich wollte er es doch wissen.

Louise war unbekümmert, witzig, sexy und deshalb alles, was Anton nicht brauchte, weil es ihn von der Arbeit ablenkte. Er war nicht hier, um Freundschaften zu schließen, und er trennte sein Privat- fein säuberlich von seinem Berufsleben. Deshalb bemühte er sich nach Kräften, innerhalb der Krankenhausmauern Distanz zu wahren. Was allerdings nicht für seine Patienten galt.

„Hallo, Anna.“ Lächelnd betrat er das Vierbettzimmer.

Aber Anna erwiderte sein Lächeln nicht. Anton zog die Vorhänge um ihr Bett zu, bevor er ihr seine Fragen stellte. „Wie geht es Ihnen?“

„Ich mache mir Sorgen.“

„Warum?“

„Vielleicht ist es dumm, aber … Brenda war heute Morgen hier, und ich habe erzählt, dass das Baby sich bewegt hat. Ich war so sicher, doch dann hat es sich nicht mehr gerührt.“

„Also haben Sie hier gelegen und sich das Schlimmste ausgemalt?“

„Ja“, gab Anna zu. „Ich wünsche mir schon so lange ein Kind, und jetzt habe ich Angst, dass etwas schiefgeht.“

„Ich weiß, was Sie hinter sich haben“, sagte Anton behutsam.

Anna war über eine künstliche Befruchtung schwanger geworden, und er hatte sie zum Ende ihrer schwierigen Schwangerschaft hin stationär aufnehmen lassen. Ihr Blutdruck war zu hoch, und der Fruchtwasserwert niedrig, sodass Anton ihr Bettruhe verordnete. Er war Spezialist für Risikoschwangerschaften und hörte seiner Patientin nun aufmerksam zu.

„Lassen Sie mich einmal sehen“, sagte er. „Wahrscheinlich schläft es.“

So unnahbar er sich gegenüber Kolleginnen und Kollegen verhielt, so zuwendend war er zu seinen Patientinnen. Anton tastete Annas Bauch ab und fand mit dem Schallkopf des Ultraschallgeräts auf Anhieb die kindlichen Herztöne.

„Sehr schön“, meinte er, und sie lauschten beide einen Moment lang. „Haben Sie schon gefrühstückt?“, fragte er dann. Ein niedriger Blutzuckerspiegel bei Anna könnte eine Erklärung für verlangsamte Bewegungen des Kindes sein.

„Ja.“

„Wie viele Bewegungen spüren Sie?“

„Eine, gerade eben.“

„Bei meiner Untersuchung habe ich Ihr Baby aufgeweckt.“ Anton studierte die Patientenkarte. Wie sollte er vorgehen? Annas Blutdruck war erhöht und gerade noch im normalen Bereich. Und auch wenn der Uterus der beste Platz für den Fetus war, so gab es dennoch Umstände, unter denen er außerhalb der Gebärmutter bessere Überlebenschancen hatte. Abgesehen davon hatte Anton ein besonderes Interesse an dieser Schwangerschaft, und das sagte er Anna auch. „Wissen Sie, dass Sie meine erste Patientin sind, der ich geholfen habe, mittels künstlicher Befruchtung schwanger zu werden, und der ich helfen werde, dieses Kind zur Welt zu bringen?“

„Nein“, antwortete sie verwundert. „Ich dachte, dass das im Rahmen Ihrer Arbeit ständig vorkommt.“

„Nein.“ Anton schüttelte den Kopf. „Erinnern Sie sich daran, wie aufgebracht Sie waren, als ich anstelle des Arztes, den Sie erwartet hatten, die Eizellen-Entnahme vornehmen wollte? Der Kollege war krank geworden.“

Anna wurde rot. „Ich war nicht besonders freundlich.“

„Weil Sie nicht von einem Vertretungsarzt behandelt werden wollten.“ Anton lächelte. „Was ich völlig verstehen kann. In Italien war ich ursprünglich Gynäkologe und Geburtshelfer, habe mich dann aber der Reproduktionsmedizin zugewandt und meinen Facharzt gemacht. Meiner Ansicht nach kann man nicht beides gleichzeitig ausüben, es handelt sich um völlig unterschiedliche Gebiete. In jener Woche bin ich nur eingesprungen, weil Richard plötzlich erkrankte. Gelegentlich helfe ich zwar immer noch aus, auch um auf dem Laufenden zu bleiben, aber man kann nicht beides machen.“

„Wie kommt es, dass Sie zur Geburtshilfe zurückgekehrt sind?“

„Mir hat die Arbeit gefehlt. Zwar berate ich Patientinnen zum Thema Fruchtbarkeit, aber wenn sie sich für eine künstliche Befruchtung entscheiden, überweise ich sie weiter.“ Anton lächelte. „Zurück zu Ihrem Kleinen. Es könnte sein, dass er so weit ist.“

Er ging nach draußen und bat Brenda hereinzukommen.

„Ich werde Anna gründlich untersuchen“, sagte er, als sie zu dritt im Zimmer waren. „Ihr Muttermund wird dünner und ist bereits auf drei Zentimeter geöffnet.“ Anton blickte Brenda an. „Seit gestern lassen die Kindsbewegungen deutlich nach. Ich denke, wir sollten uns an die Arbeit machen.“

„Jetzt?“

„Ja.“ Anton erklärte Anna seine Entscheidung. „Wir haben schon darüber gesprochen, dass Ihre Plazenta sich dem Ende ihrer Haltbarkeit nähert. Manchmal geht es dem Baby dann draußen besser als drinnen, und ich glaube, dass dieser Punkt erreicht ist. Ich werde Ihnen eine Infusion legen, niedrig dosiert, um die Geburt langsam einzuleiten.“

Anna rief ihren Mann an, und bald darauf wurde die werdende Mutter in ein Entbindungszimmer gerollt.

Jede Geburt war etwas Besonderes, aber bei Anna machte sich Anton bereits seit zwei Wochen Gedanken, weil das Baby kleiner als die Norm war. Ja, er würde froh sein, wenn es den Mutterleib wohlbehalten verlassen hatte.

Als Anna am Tropf hing, an den Babymonitor angeschlossen war und ihr Mann Luke an ihrem Bett saß, fand Anton, dass er einen Kaffee gebrauchen könnte. Er sah nach einer weiteren Patientin, die bald entbinden sollte, und stattete auch seinen übrigen Patientinnen auf der Station einen Besuch ab.

Seine Kollegin Stephanie hatte gestern Nachtdienst gehabt und ihn genau informiert. Anton respektierte Stephanie, doch er hatte gelernt, sich nicht auf Übergaben zu verlassen. Er musste sich mit eigenen Augen davon überzeugen, wie es seinen Schützlingen ging. Ihm war klar, dass er manche damit gegen sich aufbrachte, aber es war seine Art zu arbeiten, und daran würde er auch nichts ändern.

Zufrieden, dass es nirgends Probleme gab, wollte er sich im Personalraum einen Kaffee gönnen. Da entdeckte er Louise, die immer noch auf der Trittleiter stand. Diesmal machte sie keine schnippischen Bemerkungen und bat ihn auch nicht um Hilfe. Stattdessen presste sie die Finger auf die Augen, als wäre ihr schwindlig.

Nicht mein Problem, sagte Anton sich.

Natürlich war es das doch.

„Louise …“ Anton ging zu ihr und sah, dass sie nicht mehr blass, sondern kreideweiß war. „Louise, kommen Sie von der Leiter herunter.“

Der Klang seiner Stimme brachte die Sternchen, die vor ihrem inneren Auge tanzten, zum Halten. Louise nahm die Hand weg und sah auf Anton hinunter. Sie würde ja von der Leiter steigen, aber die Beine gehorchten ihr nicht.

„Kommen Sie.“ Als sie sich nicht rührte, hob er sie eigenhändig herunter, legte ihr den Arm um die Taille und führte Louise zum Personalraum.

Nachdem er sie auf ein Sofa gedrückt hatte, marschierte er zum Kühlschrank, holte Orangensaft heraus und füllte ein Glas.

„Hier, trinken Sie das.“

Dankbar nahm sie einen großen Schluck und dann noch einen und atmete tief aus. „Entschuldigen Sie, ich bin ein bisschen benommen.“

„Haben Sie heute Morgen gefrühstückt?“

„Ja.“ Sie merkte an seinem Blick, dass er ihr kein Wort glaubte.

Wortlos ging er wieder in die Küche, und Louise hörte, wie er den Toaster bestückte.

Oje, dachte sie und verdrehte die Augen. Gleich kommt die Standpauke.

Kurz darauf erschien er wieder auf der Bildfläche, in der Hand einen Teller mit zwei frisch gerösteten Toastscheiben, die praktisch in geschmolzener Butter und Honig schwammen.

„Ich sagte doch, ich habe gefrühstückt.“

„Das hier sollten Sie trotzdem essen.“

„Dann wird mir schlecht. Ich muss mich nur ein paar Minuten hinlegen.“

„Steht bei Ihnen ein Fotoshooting an?“, fragte er streng.

Louise seufzte. „Ja, an Heiligabend, aber das hat mit diesem Schwächeanfall nicht das Geringste zu tun.“

Sie modelte gelegentlich für feine Dessous und liebte ihren Nebenjob. Jeder fand das lustig. Jeder bis auf Anton. Na ja, der schien dieser Tage gar nichts lustig zu finden.

„Sie sind zu dünn.“

Wahrscheinlich war er besorgt, aber das gab ihm nicht das Recht, so direkt zu sein. Außerdem wusste sie nur zu gut, warum sie fast von der Leiter gefallen wäre.

„Nein, das bin ich nicht“, widersprach sie ihm. „Mir ist ein wenig schwindlig geworden. Kein Grund, mich zu behandeln, als hätte ich eine Essstörung, nur weil ich ab und zu als Model arbeite.“

„Meine Schwester in Mailand modelt hauptberuflich.“

Das hätte sie sich denken können. Eine Schwester von Anton musste hinreißend schön sein. Louise legte sich hin, weil sie schon wieder Sterne sah. Aber Anton brauchte das nicht zu wissen. Am liebsten wäre ihr, wenn er endlich verschwinden würde, und sie wusste auch genau, wie sie ihn loswurde. Sie brauchte nur mit ihm zu flirten!

„Ist mein Becken nicht gebärfreudig genug für Sie?“, neckte sie.

Anton blickte auf sie hinunter. Ein Baby war es nicht, was er sich zwischen diesen langen, schlanken Beinen vorstellte!

Sofort versetzte er seiner Fantasie einen Klaps.

Louise hatte im OP gearbeitet und war bei seinem ersten Notkaiserschnitt hier am Royal zufällig die Instrumentierschwester gewesen. Seine erste Notoperation, seit er Alberto verloren hatte. Natürlich konnte Louise nicht wissen, wie nervös er an jenem Tag gewesen war. Und erst recht nicht, wie ihre Anwesenheit ihm geholfen und ihn gleichzeitig verwirrt hatte.

Während des Eingriffs war er dankbar für eine Instrumentierschwester, die jeden seiner Handgriffe vorauszuahnen schien und mit der er hervorragend zusammenarbeiten konnte. Als er nach dem Kaiserschnitt nach dem Baby sehen wollte, war Louise da und turtelte lächelnd mit dem neuen Erdenbürger. Sie gratulierte Anton, dass er das Kleine rechtzeitig herausgeholt hatte, und er vergaß doch tatsächlich, ihr für die Hilfe im OP zu danken.

Stattdessen hatte er ihr eine scharfe Anordnung an den Kopf geworfen. Wahrscheinlich nur, um nicht zu zeigen, dass er sie mochte.

Und er mochte sie wirklich.

Vor wenigen Monaten hatte Louise beschlossen, ihre Fähigkeiten als Hebamme stärker einzusetzen, und auf der Entbindungsstation angefangen. In seinem Reich! Es verging kaum ein Tag, an dem er ihr nicht begegnete. Ihr zu widerstehen, trieb ihn langsam, aber sicher in den Wahnsinn!

Sie nahm kein Blatt vor den Mund, war ein bisschen flippig und betörend schön. Wäre sie nicht eine Kollegin gewesen, Anton hätte keinen Augenblick gezögert.

Wenn du nicht mit ihr zusammen arbeiten würdest, hättest du nie erfahren, wie klug und lustig sie ist!

Anton sah auf sie hinunter, als sie mit geschlossenen Augen auf dem Sofa lag. Ihre Wangen hatten wieder etwas mehr Farbe, und sie atmete tief und gleichmäßig. Sein Blick fiel auf ihre Brüste, die sich hoben und senkten, und als er aufschaute, blickte er direkt in ihre strahlend blauen Augen.

„Wirklich, Anton, mir ist nicht schwindlig geworden, weil ich eine Essstörung habe“, sagte sie. Und da sie sich auf der Entbindungsstation befand, wo über solche Themen offen gesprochen wurde, erklärte sie ihm ihr Problem. „Wenn Sie es genau wissen wollen … ich habe die schlimmste Periode seit Menschengedenken.“

„Okay.“ Er betrachtete ihr blasses Gesicht und bemerkte, dass sie eine Hand auf den Bauch gelegt hatte. Louise schien die Wahrheit zu sagen.

„Brauchen Sie Schmerzmittel?“

„Habe ich schon genommen.“ Sie schloss die Augen. „Sie helfen nicht.“

„Wollen Sie nach Hause gehen?“, fragte Anton.

„Schreiben Sie mich krank, Doktor?“ Ein neckendes Lächeln umspielte ihre Lippen, doch dann schüttelte Louise den Kopf. „Nein, mir geht es gleich besser. Ich möchte nur noch ein paar Minuten liegen bleiben.“

„Soll ich Brenda Bescheid sagen?“

„Ja, bitte.“

„Sind Sie sicher, dass ich Ihnen nichts holen kann?“

„Eine Wärmepackung wäre schön.“ Louise ließ die Augen fest geschlossen. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, was für ein Gesicht er machte, weil sie von ihm verlangte, einen Schwesternjob zu erledigen. „Sie braucht zwei Minuten in der Mikrowelle!“, rief sie ihm nach, als sie ihn hinausgehen hörte.

Anton brauchte fünf Minuten, um die Packungen zu finden, sodass er erst nach sieben Minuten zurückkehrte. Louise lag mit angezogenen Knien da, die Augen immer noch zu. Er legte ihr das Wärmepack auf den Bauch.

„Sie würden eine nette Hebamme abgeben“, meinte sie und genoss die wohlige Wärme.

„Mit Brenda habe ich gesprochen“, sagte Anton. „Sie sollen sich Zeit lassen und zurückkommen, wenn Sie dazu in der Lage sind.“ Er wollte gehen, überlegte es sich jedoch anders, da er sich immer noch Sorgen um sie machte.

Louise spürte, wie er sich neben sie setzte und nach ihrer Hand griff. Sie wusste, dass er ihre Fingernägel auf Anzeichen für eine Anämie untersuchte. Spontan wollte sie ihn necken, sie hätte ja gar nicht gewusst, dass er so besorgt um sie sei. Aber seine Nähe verwirrte sie, sodass sie keinen Ton herausbrachte. Louise schlug die Augen auf, und er zog die unteren Lider herunter, inspizierte sie mit erfahrenem Medizinerblick. Oh, wie sehr wünschte sie sich, dass er sie anders ansah und seine Finger ihr Gesicht zärtlich berührten.

„Sie sind anämisch“, konstatierte Anton.

„Ich nehme Eisen- und Folsäurepräparate.“

„Sind Sie in Behandlung?“

„Ja, aber ich …“ Einigen wenigen engen Freunden hatte sie zwar erzählt, was sie vorhatte, aber sie war noch nicht bereit, die ganze Welt daran teilnehmen zu lassen. Andererseits drängte es sie, mit Anton darüber zu reden. Nicht auf persönlicher, sondern fachlicher Ebene. Wenn sie sich doch nur trauen würde! „Ich habe mit meiner Hausärztin gesprochen.“

Sein Pager klingelte, er las die Nachricht, blieb jedoch sitzen. Dennoch war die Gelegenheit verpasst, und Louise beschloss, nichts zu sagen.

„Sie hat Ihnen bestimmt erklärt, dass Sie nicht leiden müssen. Es gibt die Pille, und auch eine Spirale könnte helfen, Ihnen …“

„Anton“, unterbrach sie ihn. „Ich bin Hebamme, was bedeutet, dass ich mindestens zehn Mal am Tag über solche Sachen rede.“

„Dann sollten Sie wissen, dass Sie sich damit nicht herumzuschlagen brauchen.“

„Natürlich. Danke für Ihre Hilfe.“ Das klang knapp, fast abweisend, und sie besann sich. Er wollte doch nur, dass es ihr besser ging. „Sie haben etwas gut bei mir.“ Louise lächelte. „Ich gebe Ihnen heute Abend einen Drink aus.“

„Heute Abend?“

„Auf der Weihnachtsfeier der Chirurgie.“

Anton stöhnte stumm auf, als ihn sein Gehirn mit Bildern versorgte, die er am liebsten wieder in der Versenkung hätte verschwinden lassen. Er hatte Louise schon einige Male außerhalb der Dienstzeit erlebt, in heißen Outfits und eine verführerische Augenweide! In weiser Voraussicht hatte er sich schon für die Weihnachtsfeier der Entbindungsstation ein Date besorgt, um an dem Abend in zwei Wochen nicht teilnehmen zu müssen. Leider war es ihm nicht in den Sinn gekommen, dass Louise heute Abend dabei sein würde!

„Gehen Sie denn hin?“, fragte er. „Obwohl Sie sich nicht wohlfühlen?“

„Selbstverständlich. Ich habe fünf Jahre lang dort gearbeitet.“ Sie öffnete die Augen und lächelte liebenswürdig, obwohl sie sah, dass der besorgte wieder dem grantigen Anton Platz gemacht hatte. „Bis später, Anton.“

Stoppen Sie die Infusion, wollte Anton anweisen, als er nach Anna sah. Er hätte einen Grund gebrauchen können, den Rest der Nacht im Krankenhaus zu verbringen!

Natürlich sagte er nichts, und bei Anna ging es zügig voran.

„Louise, kannst du nach dem Mittag bei einer Entbindung helfen?“

Brenda kam zu ihr, als Louise in ihrer Mittagspause letzte Hand an die Krippenszene legte. Sie hatte sich einen Hähnchen-Avocado-Salat geholt und aß ihn, während sie die Figuren arrangierte.

„Angie hat sich krankgemeldet, und wir versuchen, eine Vertretungsschwester zu bekommen“, erklärte Brenda.

„Klar.“

„Sie könnten wirklich ein Paar Hände mehr gebrauchen.“

Louise beschloss, nicht darauf hinzuweisen, dass sie erst seit einer Viertelstunde Pause machte. Schließlich hatte sie sich heute Morgen eine halbe Stunde ausruhen können. Also legte sie das niedliche Jesuskind ins Stroh der Krippe, deckte es mit einem kleinen Teppich zu und eilte zum Kreißsaal.

Dort ließ sie sich informieren, las Annas Unterlagen und ging hinein, um die werdenden Eltern zu begrüßen. Anna lag seit zwei Wochen auf der Entbindungsstation, sodass sie sich nicht lange vorstellen musste.

Die Patientin lag auf der Seite und fühlte sich sichtlich unwohl. „Das tut wirklich weh.“

„Ich weiß“, sagte Louise beruhigend und zeigte Luke eine Stelle am unteren Rücken, die er sanft reiben sollte, um seiner Frau Linderung zu verschaffen. Doch Anna schob seine Hand weg.

„Möchten Sie ein bisschen auf und ab gehen?“, bot Louise an. Zuerst schüttelte Anna den Kopf, entschied sich dann aber doch dafür.

Louise kümmerte sich um die Infusion und half Anna aus dem Bett. Langsam gingen sie im Flur hin und her, blieben immer wieder stehen, sodass sich Anna während einer Wehe an die Wand lehnen konnte.

„Ich kann immer noch nicht glauben, dass unser Kind zu Weihnachten auf die Welt kommt“, sagte sie schwer atmend.

„Wie aufregend.“ Louise lächelte. „Haben Sie für Ihr Kleines schon alles eingekauft?“

„Nein! Nicht, dass es noch Unglück bringt.“ Wieder suchte sie Halt an der Wand, stöhnte leise und dann noch einmal.

„Lassen Sie uns ins Zimmer zurückkehren“, sagte Louise und schob den Infusionsständer, während Luke seiner Frau half.

Anna wollte nicht auf einem Geburtsball sitzen, sondern sich wieder hinlegen. Louise horchte die Herztöne des Babys ab.

„Alles in Ordnung“, verkündete sie. „Sie machen das wundervoll, Anna.“

„Wir haben schon so lange alles versucht, um ein Baby zu bekommen.“

„Ich weiß.“

„Was für ein Glück, dass wir Anton haben. Er hat mich schwanger gemacht.“

Louise blickte zu Luke hinüber, und er erwiderte ihr Lächeln. Unter Wehen sagten Schwangere die seltsamsten Dinge! Doch dann hörte sie verwundert, wie Luke erklärte: „Anton hat den Embryo eingesetzt …“

„Oh!“ Das hatte sie nicht gewusst, und es war mehr als ungewöhnlich!

„Er war Reproduktionsspezialist in Mailand, einer der besten“, fuhr Luke fort. „Wir dachten, wir bekommen einen Vertretungsarzt, als Richard, Annas behandelnder Arzt, krank wurde. Wie sich herausstellte, hatten wir mit Anton das große Los gezogen!“ Er sah auf, als Anton hereinkam. „Ich habe Louise gerade erzählt, dass Sie Anna zu dieser Schwangerschaft verholfen haben.“

Anton lächelte und wandte sich an Louise. „Wie geht es ihr?“

„Sehr gut.“

Daraufhin nickte er nur und machte sich daran, die Schwangere zu untersuchen.

Von da an wurde es spannend. Um vier, als sie eigentlich nach Hause hätte gehen sollen, um sich für heute Abend zurechtzumachen, war Louise auf Anna konzentriert, sprach ihr Mut zu und stand ihr mit vollem Einsatz zur Seite.

„Alles okay bei dir, Louise?“ Brenda steckte den Kopf ins Zimmer und bot an, sie von einer Kollegin der Spätschicht ablösen zu lassen.

„Alles im Lot, danke, Brenda“, antwortete Louise lächelnd. „Wir haben es gleich geschafft.“

So dicht vor dem Ziel würde sie ihre Patientin niemals allein lassen. Anton wusste das und hatte sie bei jeder Entbindung voller Begeisterung erlebt. Sogar, wenn die werdende Mutter unter Narkose auf dem OP-Tisch lag.

„Wie lange noch?“ Anna stöhnte auf.

„Nicht mehr lange“, versicherte Louise. „Nicht pressen, hecheln Sie nur …“ Sie sah zu, wie das Köpfchen austrat und Anton vorsichtig die dünne Nabelschnur vom Hals des Babys wand.

Sie arbeiteten hervorragend zusammen. Anton gefiel, wie sehr Louise mitging und die Mutter immer wieder ermunterte. Aber sie wusste auch, wann sie es langsamer angehen lassen musste – so wie jetzt, bei einem Frühchen von fünfunddreißig Wochen, das selbst für dieses Alter sehr klein schien.

„Oh, Anna!“, rief Louise begeistert aus, als die Schultern herauskamen und Anton den glitschigen Winzling schließlich auf Annas Bauch legte. Sie rieb dem kleinen Jungen den Rücken, und dann tat er seinen ersten Atemzug.

Für Anna und Luke war ein Traum wahr geworden!

„Er ist wunderschön!“ Ehrfürchtig berührte sie die zarte Hand ihres Sohnes.

Er war wirklich sehr klein, und als Louise die Nachgeburt sah, wurde ihr auch klar, warum. Das Kind hätte nicht länger im Mutterleib bleiben dürfen. Jetzt würde es mit der Muttermilch die Ernährung bekommen, die es brauchte, um ordentlich zuzunehmen.

Der Kinderarzt war gerade mit seiner Untersuchung fertig, als Anton zu ihnen trat, um sich das Neugeborene anzusehen.

„Er sieht gut aus“, meinte er.

„Ausgesprochen gut.“ Louise lächelte, während sie das runzlige Gesichtchen betrachtete. Es trug die sorgenvollen Züge aller Frühchen, die für ihren Entwicklungsstand zu schmal waren. „Und er hat Hunger!“

Der Kinderarzt ging zu den Eltern, um mit ihnen über Babypflege zu sprechen, und Louise wickelte den Kleinen in ein Tuch und setzte ihm ein Mützchen auf.

„Wie fühlt sich das an?“, wandte sie sich an Anton. „Sie waren bei der Zeugung und bei der Geburt dabei.“ Sie musste lachen. „Oh, wie sich das anhört! Entschuldigung, Sie wissen ja, was ich meine.“

„Gerade heute Morgen habe ich Anna erzählt, dass ich das noch nicht erlebt habe. Deshalb ist dieses Baby etwas ganz Besonderes für mich“, gab er zu. „So, ich werde meinen Bericht schreiben und später noch einmal nach Anna sehen.“

„Ich gehe bald nach Hause, aber ich werde es weitergeben.“ Sie lächelte das Baby an. „Komm, kleiner Mann, ich bringe dich zu deiner Mum.“

Allerdings hatte sie es nicht eilig. Louise half Anna, ihn an die Brust zu legen. Er wurde schnell müde, sodass er wahrscheinlich zusätzlich künstlich ernährt werden musste. Nachdem sie ihn in einen Wärmeschlafsack und neben seine Mutter gelegt hatte, ging Louise in die Küche, um Anna eine große Tasse Tee zu kochen.

Anton, der sich auch gerade einen Tee machte, beobachtete, wie Louise in ihre Kitteltasche griff und einen Teebeutel herauszog.

„Warum tragen Sie Teebeutel mit sich herum?“

„Würden Sie das Zeug …“, sie deutete mit dem Kopf auf den Krankenhaustee, „… trinken wollen, wenn Sie eine anstrengende Geburt hinter sich haben?“

„Nein.“

„Eben. Ich sorge dafür, dass meine Mütter nach der Entbindung einen leckeren Tee bekommen. Auch wenn sie sich später wundern, warum jeder Tee, den sie danach bekommen, scheußlich schmeckt“, sagte Louise, holte einen zweiten Beutel aus ihrer Kitteltasche und reichte ihn Anton. Er nahm ihn, weil der Krankenhaustee wirklich grässlich schmeckte. „Damit ist aber nicht der Drink gemeint, den ich Ihnen wegen heute Morgen schulde. Den bekommen Sie später.“

Ja, dachte Anton. Wir sehen uns heute Abend, aber es wird nicht geflirtet.

2. KAPITEL

Louise wohnte in der Nähe des Krankenhauses und hörte das Telefon klingeln, als sie die Haustür aufschloss.

Es war schon nach fünf, und für einen Moment überlegte sie, nicht ranzugehen. Doch dann sah sie, dass es ihre Mum war, und nahm den Hörer ab.

„Ich kann nicht lange reden“, warnte sie – und unterhielt sich dann eine halbe Stunde lang über Weihnachten.

„Mum!“, rief Louise zum zwanzigsten Mal. „Von Heiligabend bis Neujahr habe ich frei. Natürlich bin ich Weihnachten bei euch.“

„Das hast du letztes Jahr auch gesagt“, betonte Susan.

„Lass uns nicht wieder davon anfangen, ja?“ Louise bereute noch immer, wie viel Kummer sie ihrer Familie bereitet hatte. „Ich habe nur versucht, …“

„Tu das bitte nicht wieder“, sagte ihre Mutter. „Ich ertrage es immer noch kaum, dass du Weihnachten allein und traurig in einem Hotel verbracht hast, statt nach Hause zu deiner Familie zu kommen.“

„Du weißt, warum, Mum.“ Doch dann gab sie zu: „Aber du hast recht, ich hätte nach Hause kommen sollen.“ Sie knipste die Weihnachtsbeleuchtung ihres Christbaums an und lächelte, als die Lichter erstrahlten. „Mum, ich kann es wirklich kaum erwarten, Weihnachten bei euch zu sein.“

„Ich auch nicht. Den Truthahn habe ich schon bestellt, und für den zweiten Weihnachtstag habe ich mir etwas Besonderes ausgedacht … Kedgeree …“

„Das mit Räucherfisch und gekochten Eiern?“

„Und Currypulver.“

„Lecker.“ Louise verzog das Gesicht. Ihre Mutter konnte vieles, aber Kochen gehörte nicht dazu. Das Problem war nur, dass sie sich für eine großartige Köchin hielt! Sicher auch deshalb, weil ihr die anfänglichen Komplimente ihres Mannes zu Kopf gestiegen waren. Ihr Dad tat Louise oft leid. Er war einer der freundlichsten, geduldigsten Männer, die sie kannte, aber was Susans Kochkünste anging, hatte er sich damit keinen Gefallen getan. „Mum, ich würde gern noch ein bisschen quatschen, aber ich muss mich fertig machen. Heute Abend ist die Weihnachtsfeier der Chirurgie. Wir reden bald, okay?“

„Viel Spaß.“

„Danke, werde ich haben.“

„Ach, eins noch. Hat deine Ärztin dich schon an einen Spezialisten überwiesen?“

„Leider nicht.“ Louise seufzte. „Sie hat gesagt, ich soll erst ein halbes Jahr lang die Pille nicht genommen haben, bevor sie mich überweist …“ Sie überlegte kurz. So richtig glücklich war sie mit ihrer Hausärztin nicht. „Ich weiß, ich habe gesagt, dass ich mich nicht im Royal behandeln lassen will, doch jetzt scheint es mir der beste Weg zu sein.“

„Das finde ich auch“, antwortete Susan. „Damals wollte ich es nicht sagen, aber ich glaube, sie nimmt dich nicht besonders ernst.“

Louise nickte und sah zur Uhr. „Ich muss mich anziehen, Mum.“

„Wenn du ins Royal gehst, sag Bescheid, ich begleite dich.“

„Das mache ich, danke“, sagte Louise. Dann folgte das übliche „Hab dich lieb“ und „Willst du kurz mit Dad sprechen?“, und schließlich legte sie lächelnd auf. Von den miserablen Kochkünsten einmal abgesehen, hatte sie die beste Mum und die beste Familie der Welt.

Ihr Dad mit seiner ruhigen Ausgeglichenheit war wie ein Fels in der Brandung, und ihre beiden jüngeren Schwestern waren wundervolle junge Frauen, die oft bei ihr anriefen. Ja, sie verstand sich fantastisch mit ihrer Familie.

Auch das war ein Grund gewesen, warum sie ihnen im letzten Jahr nicht das Weihnachtsfest verderben wollte. Damals erschien es ihr besser zu sagen, dass sie im Krankenhaus einspringen musste, als kreuzunglücklich zu Hause aufzutauchen und allen das Fest zu ruinieren.

Ihre Schwestern blickten zu ihr auf und fragten sie häufig um ihre Meinung, wenn es um Männer ging. Zuzugeben, dass sie sich in Wesley bitter getäuscht hatte, war ihr unendlich schwergefallen. Dabei hatte sie nur einen Teil preisgegeben und schon damit für Entsetzen gesorgt. Und ihr Dad wäre gestorben, hätte er auch nur die Hälfte dessen erfahren, was sie mitgemacht hatte.

Louise lag auf dem Bett, während Wasser in die Badewanne lief, und dachte an die schreckliche Zeit zurück. Nicht nur die Trennung von Wesley war furchtbar gewesen, sondern auch die Zeit davor.

Während der Beziehung waren ihr nach und nach die Flügel gestutzt worden. Bis hin zu dem Punkt, dass sie ihren Modeljob aufgab, der ihr so viel Spaß machte. Schleichend und ohne dass sie sagen konnte, wie es passierte, waren ihre Kleidersäume länger geworden und ihre Haare dunkler, bis ihr lebensfrohes Funkeln zu erlöschen drohte.

Bei einer Betriebsfeier hatte sich Wesley darüber aufgeregt, dass sie mit Rory geredet hatte, einem der Anästhesisten, mit dem sie vor langer Zeit einmal zusammen gewesen war.

Nach diesem ersten heftigen Streit hatte sie trotzdem Verständnis für Wesley aufgebracht. Sie kannten sich noch nicht lange, da konnte er schon mal eifersüchtig werden, weil sie sich mit ihrem Exfreund so gut verstand. Von da an machte sie einen Bogen um Rory, auch wenn es ihr schwerfiel.

Damit war der Frieden allerdings nicht gesichert.

Wesley mochte auch Louises enge Freundin Emily nicht. Es passte ihm nicht, dass sie sich regelmäßig zu einem Mädelsabend verabredeten, häufig lange telefonierten oder sich Nachrichten schrieben. Also hatte Louise das ebenfalls eingeschränkt.

Irgendwann wurde ihr klar, dass sie sich wie auf rohen Eiern bewegte, abwägte, was sie sagen oder tun sollte, um nicht einen neuen Streit heraufzubeschwören. Sie erkannte sich selbst nicht wieder. Von da an brauchte sie nicht lange, um einen Entschluss zu fassen: Sie musste sich von Wesley trennen. Was jedoch leichter gesagt als getan war. Sie kannte Wesleys Wutausbrüche inzwischen und wusste, dass die Beziehung nicht im Guten enden würde.

Was noch untertrieben war.

Am Heiligabend verkündete Wesley, ihre Familie könnte ihn nicht leiden, und es sei vielleicht besser, wenn sie Weihnachten zu zweit feierten. Das brachte für Louise das Fass zum Überlaufen. Sie wollte nur noch weg von ihm. Ein Wort gab das andere, und der Streit eskalierte.

Bald war der grässlichste Heiligabend ihres Lebens ein Jahr her, und in den vergangenen Monaten hatte Louise zu sich zurückgefunden – zu der Frau, die sie vor Wesley gewesen war, fröhlich und optimistisch. Allerdings hatte es eine Weile gedauert.

Natürlich hatte ihr Selbstvertrauen in Bezug auf Männer stark gelitten, doch ihr Dad, ihre Onkel, Rory, Emilys Mann Hugh, alle, auf die Wesley so eifersüchtig gewesen war, stärkten ihr bedingungslos den Rücken. Einer wie Wesley sei die Ausnahme, betonten sie immer wieder. Irgendwann hatten sie sie überzeugt, sie selbst zu sein mit ihrem strahlenden Wesen, mit ihren verrückten Ideen und ihrer Lebenslust!

Ohne ihre Familie und ihre Freunde hätte sie die Episode mit Wesley nicht verkraftet, davon war sie überzeugt. Nie, nie wieder sollte jemand einen Keil zwischen sie treiben.

Im März war Anton am Royal aufgetaucht, und sie hatte sich auf den ersten Blick stark zu ihm hingezogen gefühlt. Lust und Lebensfreude, die im Dornröschenschlaf gelegen hatten, erwachten schlagartig wieder. Vielleicht forderte seine distanzierte Art sie heraus, oder sie fühlte sich sicher, weil er unnahbar war. Louise fing an, ungeniert mit ihm zu flirten.

Anton reagierte praktisch nicht, verbat sich ihre Andeutungen aber auch nicht. Er ließ sie einfach sein, und das gefiel ihr. Es machte Spaß und stärkte ihr Selbstbewusstsein, das nach der Sache mit Wesley viele Streicheleinheiten nötig hatte.

In letzter Zeit jedoch schien sich die Atmosphäre zunehmend zu erhitzen …

Louise stand auf und sah sich in ihrem Schlafzimmer um. Wirklich ein sexy Boudoir, dank der Geschenke, die sie nach Fotoshootings mit nach Hause hatte nehmen dürfen: ein mit rotem Samt bezogener Sessel und dazu passend der schwere samtene Bettüberwurf. Louise lächelte jedes Mal glücklich, wenn sie sich in den Sessel setzte. Noch mehr lächelte sie bei der Vorstellung, Anton in diesem Zimmer zu haben. Doch sie schob den Gedanken schnell beiseite. Zum Flirten war er göttlich, aber über seine Arroganz hätte sie sich stundenlang aufregen können! So wie er Louise bei ihrer Arbeit immer wieder kontrollierte, kam er für eine Beziehung absolut nicht infrage.

Abgesehen davon wusste sie ja nicht einmal, ob er sie überhaupt mochte.

Ja, Anton Rossi war ein verwirrender Mann.

Doch das Flirten machte Spaß!

Nachdem sie gebadet und sich abgetrocknet hatte, schminkte sie sich sorgfältig, krönte ihr Make-up mit einem leuchtend roten Lippenstift und föhnte sich die Haare.

Sie fielen immer noch zur rechten Seite, obwohl sie sie seit fast einem Jahr nach links kämmte.

Louise betrachtete die rote Narbe auf ihrem Kopf. Die Spuren der Naht waren immer noch zu sehen. Da die Wunde nicht sofort hatte genäht werden können, hatten die Fäden zehn Tage drinbleiben müssen. Rasch schob sie die Erinnerung von sich und griff zum Lockenstab, um sich eine wilde Lockenmähne zu zaubern. Dann zog sie die mit Weihnachtsilex gemusterte zarte Spitzenwäsche an, die sie vor Monaten bei einem Fototermin getragen hatte, und die passenden Seidenstrümpfe aus derselben Kollektion. Sie waren knallrot mit grünen Stechpalmenzweigen und kleinen roten Beeren.

Hinreißend!

Genau wie das rote Kleid und die High Heels.

Draußen auf der Straße hupte jemand, das musste Emily sein. Louise warf sich im Spiegel ein Lächeln zu, fest entschlossen, sämtliche Feiern in ihrer Lieblingszeit des Jahres zu genießen. Egal, wie schlapp sie sich fühlte.

„Hi, Emily.“ Louise glitt auf den Rücksitz. „Du gibst eine nette Taxifahrerin ab – danke, dass ihr mich mitnehmt. Hi, Hugh, was bist du doch für ein Glückspilz, dass deine Frau in der Weihnachtszeit schwanger ist. Du hast bei allen Feiern einen Chauffeur!“

„Ja, sie ist mein großes Glück“, antwortete er lächelnd. „In jeder Beziehung.“

„Du siehst umwerfend aus, Louise.“ Emily warf einen bewundernden Blick in den Rückspiegel.

„Danke, aber mir geht’s miserabel. Ich habe ganz schlimm meine Tage, und ich kann nur einen Eierpunsch trinken, weil ich morgen früh Dienst habe.“

Bei dieser offenherzigen Auskunft warf Hugh Emily einen Blick zu, und dann lächelten sie beide.

Ja, sie liebten Louise genau so, wie sie war!

An der Garderobe vor dem festlich geschmückten Raum konnte Louise Emily von Kopf bis Fuß betrachten. „Du siehst wundervoll aus, und ich will auch eins …“ Sie lächelte die Babykugel ihrer Freundin an, die heute Abend in einem eleganten schwarzen Kleid steckte.

„Das wirst du bald“, antwortete Emily, weil Louise ihr schon anvertraut hatte, dass sie im nächsten Jahr schwanger sein wollte.

„Das hoffe ich sehr.“

Louise sah sich um. Der Saal war geschmackvoll geschmückt – roségoldene Zweige steckten in den Vasen, die auf den Tischen standen. Dazu glitzernde Lichter und roségoldene Dekorationen. Anton stand mit Alex, Hughs Chef, und Rory zusammen.

Perfekt, dachte Louise, als sie zu dritt zu ihnen gingen, um sie zu begrüßen.

„Ist die Deko nicht wunderschön?“, meinte Emily, aber Louise verzog das Gesicht.

„Etwas mehr Farbe hätte ich besser gefunden. Was hat Rosa mit Weihnachten zu tun?“ Als ein Kellner mit einem Silbertablett vorbeikam, nahm sie sich eine kleine blassrosa Praline. Auch die Kokosfüllung war rosa. „Rosa ist das Thema!“, sagte sie und lächelte Anton an. Doch ihr Lächeln traf die Wand, weil Anton sie nicht anblickte.

„Wo ist Jennifer?“, fragte Hugh erstaunt, weil Alex’ Frau ihn zu solchen Anlässen immer begleitete.

„Zu Hause, Josie hat Fieber.“ An Anton gewandt, erklärte er: „Josie ist unser Jüngstes. Meine Frau Jennifer hast du noch nicht kennengelernt, oder?“

„Nein, aber viel Gutes über sie gehört.“

Da Louise ihr Forschungsobjekt Anton so aufmerksam studiert hatte, dass sie hätte Vorlesungen halten können über seine Mimik, seinen Akzent, seine Wortwahl, also nahezu alles, was er ausdrückte oder nicht ausdrückte, wunderte sie sich über seine vage Antwort. Allerdings befasste sie sich nicht länger damit, weil er im Abendanzug fantastisch aussah.

Sie ließ den Blick über seinen athletischen Körper gleiten, die langen Beine, die schwarzen Lederschuhe, und sah auf, bevor sie auf verbotene Gedanken kam. Das weiße Hemd betonte seine olivfarbene Haut, und Anton wirkte so unnahbar, dass sie sich ihm am liebsten auf den Schoß gesetzt und ihm die Arme um den Hals geschlungen hätte. Um ihm all die Dinge ins Ohr zu flüstern, die er mit ihr machen durfte. Weil bald Weihnachten war …

Oh, an eine Beziehung dachte sicher keiner von beiden, aber so deutlich, wie Anton sie ignorierte, dachte er bestimmt genau wie sie an Sex.

„Sind das Stechpalmen, da auf deinen Strümpfen?“, fragte Rory, und alle blickten ihr auf die Beine.

Außer Anton.

„Ja, ich habe sie vor zwei Monaten nach einem Fotoshooting geschenkt bekommen“, antwortete sie. „Und ich konnte es kaum erwarten, sie zu tragen. Genau das Richtige, um in Weihnachtsstimmung zu kommen. Apropos, möchte jemand einen Drink?“

„Nein, danke“, sagte Alex.

„Ich nehme einen Tomatensaft.“ Emily seufzte. „Eine Virgin Bloody Mary.“

„Hugh?“, fragte Louise.

„Sehr gern einen Eierpunsch.“

„Sehr gut. Anton?“

„Nichts, danke.“

„Sind Sie sicher? Ich hatte Ihnen einen Drink versprochen.“

„Danke, nicht nötig“, erwiderte er, sah sie dabei kaum an. „Ich glaube, Saffarella holt mir schon etwas zu trinken. Da ist sie ja …“

Und wie sie da war!

Dichte schwarze Locken, schokoladenbraune Augen und eine Figur wie ein Topmodel. Eine rassige Schönheit, neben der sich Louise wie eine graue Maus vorkam. Und ihre Stimme erst! Weich wie dunkler Samt, mit diesem verführerischen italienischen Akzent.

„Em-il-ii, Luu-iise.“ Sie nickte ihnen zu, nachdem Anton sie vorgestellt hatte.

Louise richteten sich die Nackenhärchen auf. Es war, als würden sich zwei Katzen im Hinterhof treffen, bereit, mit ausgefahrenen Krallen ihr Revier zu verteidigen.

Aber sie lächelte höflich. „Verzeihung, Ihren Namen habe ich nicht verstanden.“

„Saffarella“, entgegnete die andere mit ihrer Sirupstimme. „Wie Cinderella.“

Oder Safranreis, dachte Louise, aber zum Glück kannte Rory Louises Humor und beschloss, sie aus der Gefechtszone zu zerren.

„Ich helfe dir mit den Getränken“, verkündete er, hakte sich bei ihr unter und bugsierte sie zur Bar.

„Mein lieber Schwan!“, stieß sie hervor, sobald sie außer Hörweite waren.

„Kein Wunder, dass du bei ihm nicht weiterkommst.“ Rory lachte. „Sie ist umwerfend.“

„Ach, wirklich?“ Louise war ernsthaft erschüttert. Schließlich war sie viel zu sehr daran gewöhnt, die attraktivste Frau im Raum zu sein. „Saffarella, was ist das denn für ein Name? Tja, da geht mein schöner Abend dahin. Ich dachte, ich könnte wenigstens mit ihm tanzen.“ Sie seufzte abgrundtief. „Ich werde wie ein Mauerblümchen dahocken.“

„Keine Sorge, Louise.“ Rory lächelte. „Ich tanze mit dir.“

„Das musst du auch. Ich sterbe, wenn er mich allein am Tisch sitzen sieht, während alle anderen tanzen. Und ich dachte, er mag mich.“

Louise brachte Emily ihre alkoholfreie Bloody Mary, entdeckte jedoch Connor und Miriam und entschuldigte sich, um mit ihren ehemaligen Kollegen zu plaudern. Es wurde zwar kein fantastischer, aber ein angenehmer Abend, und Rory hielt sein Versprechen und tanzte mit ihr.

Er war ein sympathischer Mann und der letzte richtig nette Freund, den Louise gehabt hatte. Vor drei Jahren waren sie in aller Freundschaft auseinandergegangen. Die meisten getrennten Paare schwindelten, wenn sie das behaupteten, doch in ihrem Fall stimmte es tatsächlich.

Rory und sie waren erst ein paar Wochen zusammen gewesen, als Louise eine bedrückende Neuigkeit verkraften musste. Wegen ihrer unregelmäßigen Periode hatte sie sich gründlich durchchecken lassen und erfuhr schließlich, dass es für sie nicht so einfach werden würde, schwanger zu werden.

Die Nachricht schlug zwar nicht gerade wie eine Bombe ein, da Louise auf so etwas gefasst gewesen war, aber trotzdem war sie untröstlich. Eines Tages hatte Rory die Hände gehoben und ihr erklärt, dass sie ihm zwar etwas bedeute, aber nicht so viel, dass er von morgens bis abends über Babys sprechen könnte.

Als Freunde verstanden sie sich weitaus besser.

„Und, wie ist die Weihnachtszeit für dich?“, fragte er, während sie über die Tanzfläche glitten.

„Schöner als im letzten Jahr.“

„Du wirkst viel glücklicher.“

„Es tut mir leid, dass unsere Freundschaft kaputtgegangen war.“

„Das ist sie nie“, sagte Rory. „Von meiner Seite her jedenfalls nicht. Ich habe mir große Sorgen um dich gemacht, als du mit ihm zusammen warst.“

„Ich weiß. Danke, dass du für mich da warst.“ Louise lächelte geheimnisvoll. „Kann sein, dass ich bald gute Neuigkeiten habe.“

„Was führst du im Schilde, Louise?“

„Ich werde versuchen, ein Baby zu bekommen“, verriet sie ihm. „Allein.“

„Warum wundert mich das nicht?“ Rory lächelte.

„Bitte frag mich nicht, ob ich mir das auch gut überlegt habe.“

„Natürlich nicht. Ich weiß, dass du kaum an etwas anderes denkst.“

„Es ist schlimmer geworden, seit ich auf der Entbindungsstation arbeite“, gestand Louise. „Meine Eierstöcke möchten all die kleinen Babys stehlen.“

„Du könntest dir die Chance verbauen, dass es mit dir und Anton etwas wird“, meinte Rory sanft.

Louise zuckte nur mit den Schultern. „Er wäre der Letzte, mit dem ich ernsthaft etwas anfangen würde. Der Mann ist ein Kontrollfreak und für meinen Geschmack zu launisch. Ich hätte mich nur gern ein, zwei Nächte an diesem Körper erfreut.“ Sie lächelte. „Nein, nein, ich will ein Baby. Gescheiterte Beziehungen hatte ich genug. Das Risiko gehe ich nicht mehr ein.“

„Kann ich verstehen.“

Sie tanzten weiter, und Louises Gedanken kreisten um Anton und seine Begleitung. Es gefiel ihr gar nicht, wie die beiden lachten und redeten, während sie tanzten. Eifersüchtig beobachtete sie, wie Saffarella die Finger in seine Haare schob oder seine breite Brust streichelte. Am schlimmsten war es, Antons tiefes Lachen zu hören, nachdem sie irgendetwas gesagt hatte.

„Ich habe ihn bisher nicht ein einziges Mal lachen sehen, und ich weiß, dass ich witziger bin als sie“, murrte sie. „Muss sie auch noch so wahnsinnig schön sein? Wie hat er sie noch mal vorgestellt?“

„Als Saffarella.“

„Nicht als ‚Freundin‘? Oder ‚meine Frau‘ …?“ Louise griff nach dem letzten Strohhalm, als ihr einfiel, dass seine Schwester Model war. „Sie ist nicht seine Schwester, oder?“

„Wenn sie seine Schwester ist, sollten wir die Polizei rufen! Tut mir leid, Louise, aber die beiden haben etwas miteinander.“

Ein bisschen später kamen gute Neuigkeiten! Louise und Rory bewegten sich langsam zu John Lennons Imagine, sie dachte an Anton, und Rory dachte an eine Frau, die heute Abend nicht hier sein konnte. Er blickte auf und bemerkte, wie Anton sie betrachtete. Es blieb nicht das einzige Mal.

„Anton sieht immer wieder rüber“, flüsterte Rory Louise ins Ohr.

„Echt?“

„Ja. Ich glaube, ich habe bei ihm vergeigt. Dem Blick nach zu urteilen, den er mir gerade zugeworfen hat, würde er mich gern nach draußen zerren und mir das Licht auspusten.“

„Ernsthaft?“ Ihr Herz jubelte.

„Nun ja, ganz so mörderisch war der Blick nicht, aber ich glaube, du hast recht, Louise. Anton mag dich.“

„Habe ich dir doch gesagt. Sieht er immer noch her?“

„Er versucht, es nicht zu tun.“

„Du musst mich küssen.“

„Nein.“

„Bitte! Nur einen Kuss, einen langen – geschieht Anton recht, wenn er versucht, mich eifersüchtig zu machen. Komm schon, Rory“, drängte sie, als er den Kopf schüttelte. „Es wäre ja nicht das erste Mal, und beim Modeln mache ich es ständig. Es bedeutet gar nichts.“

„Nein“, sagte Rory.

„Weißt du noch, wie ich dich vor zwei Jahren vor Gina gerettet habe? Als sie betrunken war und dich angemacht hat?“

Gina war eine Anästhesistin am Royal, die sich zurzeit wegen ihres Alkohol- und Drogenproblems einer Entziehungskur unterzog. Damals hatten er und Louise sich geküsst und dann so getan, als würden sie zusammen nach Hause gehen.

„Ach, komm, Rory.“

„Nein.“ Als sie ihn bittend ansah, seufzte er unterdrückt und nannte ihr widerstrebend seine Gründe. „Ich mag jemanden.“

„Wen?“ Louises Neugier war geweckt.

„Jemanden.“

„Ist sie hier?“

„Nein, aber ich möchte nicht, dass ihr erzählt wird, ich hätte mit meiner Ex rumgeknutscht.“

„Kenne ich sie?“

„Lass gut sein, Louise. Bitte.“

Konnte der Abend noch frustrierender werden? Erst Anton und Saffarella, und jetzt Rory mit seinem Geheimnis!

Hugh und Emily saßen an ihrem Tisch und beobachteten aus der Ferne, was auf der Tanzfläche vor sich ging.

„Anton hält Saffarella wie einen Schutzschild vor sich“, meinte Hugh, aber Emily lachte etwas verzögert.

„Ist alles okay?“ Er blickte seine Frau an, die auf einmal ungewohnt still war.

„Ich bin ein bisschen müde.“

„Sollen wir nach Hause fahren?“

Emily nickte. „Aber ich habe Louise versprochen, sie mitzunehmen.“

„Sie kommt zurecht.“ Hugh sah Louise und Rory von der Tanzfläche zurückkommen und stand auf. „Wir brechen auf“, erklärte er. „Emily ist müde.“

„Emily?“ Stirnrunzelnd sah Louise ihre Freundin an. „Geht’s dir nicht gut?“

„Darf ich nicht müde sein?“, fuhr Emily auf, beruhigte sich aber schnell wieder. „Entschuldige, Louise. Ich weiß, ich hatte versprochen, dass du mit uns fahren kannst …“

„Mach dir keinen Kopf“, unterbrach Louise sie. „Leg dich ins Bett.“

„Ich bringe Louise nach Hause“, sagte Rory, und Hugh nickte ihm dankbar zu.

Sie verabschiedeten sich voneinander, doch als die beiden gegangen waren, ertappte Rory Louise dabei, wie sie ihnen besorgt nachblickte.

„Louise!“ Er ahnte, was sie dachte. „Emily geht es gut. Sie muss ja müde sein, sie ist im sechsten Monat schwanger und arbeitet Vollzeit. Im OP war heute der Teufel los.“

„Kann sein, dass es daran liegt …“ Louise wusste nicht, was sie sagen sollte. Rory besaß nicht ihre Intuition, wenn es um Schwangere ging.

Obwohl sie nicht versuchte, es ihm zu erklären, ahnte er anscheinend, was ihr durch den Kopf ging. „Sag nicht, dein sechster Hexensinn spricht wieder zu dir?“ Rory seufzte.

„Wir Hebammen spüren so etwas. Ich mache mir wirklich Sorgen.“

„Komm, ich hole dir einen Drink. Einen zweiten Eierpunsch.“

Louise schüttelte den Kopf. „Ich möchte auch nach Hause. Bleib ruhig, ich nehme ein Taxi.“

„Quatsch“, sagte Rory und legte, ohne nachzudenken, den Arm um sie.

Zusammen verließen sie den Saal, gefolgt von Antons düsterem, sehr missbilligendem Blick.

Rory setzte sie zu Hause ab, und obwohl sie hundemüde war, konnte Louise nicht einschlafen. Sie sah zu dem Kinderbettchen hinüber, das sie in ihrem Zimmer versteckt hatte für den Fall, dass Emily unverhofft auftauchte. Louises Geschenk zur Geburt des Babys. Es war ein entzückendes Möbelstück, das sie zu ihrer großen Freude auch noch im Ausverkauf erstanden hatte. Da sie wusste, wie abergläubisch Erstgebärende sein konnten, hatte sie Emily nichts davon erzählt.

Ihre Freundin hatte aufregende Zeiten hinter sich. Im zweiten Monat musste sie eine Blinddarmoperation über sich ergehen lassen, dann hatte sie Hugh geheiratet und mit ihrer komplizierten Familie einiges klären müssen. Am Neujahrstag sollte ihr Mutterschutz beginnen, und Louise wünschte ihr sehr, dass sie die letzten Wochen ihrer Schwangerschaft entspannt genießen konnte.

Leider wurde sie dieses mulmige Gefühl nicht los. Es war schwer zu verstehen und noch schwieriger zu erklären, aber Emily hatte diesen Blick gehabt, den Louise nur zu gut kannte.

Bitte nicht!

Es wäre viel zu früh.

3. KAPITEL

Anton fühlte sich in Gegenwart von Frauen selten unbehaglich.

Selbst bei hinreißenden Schönheiten nicht.

Saffarella und er kannten sich schon länger, waren locker befreundet. Kennengelernt hatte er sie vor zwei Jahren über seine Schwester. Da er wusste, dass sie über die Festtage in London sein würde, war sie die perfekte Wahl, um ihn auf die Weihnachtsfeier der Entbindungsstation zu begleiten. Auch heute Abend hatte sie Zeit für ihn gehabt.

„Wohin fahren wir?“ Anscheinend hatte Saffarella angenommen, dass sie zu ihm in die Wohnung gehen würden, und sah nun, dass er die entgegengesetzte Richtung einschlug.

„Ich dachte, ich bringe dich zurück ins Hotel.“

„Kommst du mit rein?“ Als er ihr die Antwort schuldig blieb, gab sie einen spöttischen Laut von sich. „Vermutlich heißt das Nein.“

„Es war ein langer Tag …“

Damit kam er bei ihr nicht durch. Saffarella wusste um die Vorzüge ihrer Freundschaft, und auf diesen Teil des Abends hatte sie sich am meisten gefreut. Genau das äußerte sie in temperamentvollem Italienisch.

„Komm mir nicht damit, Anton! Wann warst du jemals zu müde? Ich habe gesehen, wie du diese blonde Schnepfe angestarrt hast …“

„Vorsicht!“, warnte Anton. Aber dass er Louise sofort verteidigte, verbunden mit der Tatsache, dass sie beide wussten, wen er meinte, bestätigte nur, dass Anton mit den Gedanken heute Abend woanders gewesen war.

Vor dem Hotel angekommen, beschloss Saffarella, Salz in die Wunde zu streuen. „Ich bezweifle, dass dieser Rory sie zu Hause abgesetzt hat. Die hatten es ziemlich eilig, allein zu sein. Sie haben nicht einmal das Ende der Feier abgewartet!“

Als der Hotelportier ihr die Wagentür öffnete, stieg sie wutschnaubend aus. „Mach das nie wieder mit mir!“ Damit riss sie dem verdutzten Mann die Tür aus der Hand und knallte sie krachend zu.

Anton wusste, dass er das verdient hatte. Es war nie seine Absicht gewesen, Saffarella zu benutzen. Sie waren gut zusammen … gewesen. Gelegentlich.

Bis jetzt hatte er sich nie eingestanden, wie sehr er sich zu Louise hingezogen fühlte. Nicht nur körperlich, das wäre kein Problem gewesen. Aber er mochte sie. Und zwar sehr. Ihr Humor gefiel ihm und wie sie auf Teufel komm raus mit ihm flirtete. Genau wie ihre erfrischende Art, offen das auszusprechen, was ihr gerade in den Sinn kam. Allerdings hätte er das ihr gegenüber niemals zugegeben!

Doch jetzt hatte sie etwas mit Rory und war mit ihm nach Hause gegangen. Anton wollte nur allein sein und schmollen.

Vor Monaten schon hätte er Louise fragen sollen, ob sie mit ihm ausgehen wollte. Er hatte sich zurückgehalten, sich immer wieder daran erinnert, warum er sich niemals wieder mit einer Kollegin einlassen konnte, durfte, würde.

Vor knapp vier Jahren war Weihnachten zu einem Albtraum geworden, als er einem jungen Elternpaar am ersten Feiertag sagen musste, dass ihr Baby nicht überlebt hatte.

Solche Momente gehörten zu den schlimmsten im Leben eines Arztes, und jeder erlebte sie immer wieder. Was Anton jedoch bis heute verfolgte, war das Wissen, dass dieses Baby nicht hätte sterben müssen.

In manchen Nächten, wenn er nicht einschlafen konnte, hörte er die Schreie und Anklagen des am Boden zerstörten Vaters. Der Gerichtsmediziner erklärte die Ursache mit einer Verkettung unglücklicher Umstände aufgrund von Kommunikationsfehlern, wies die Schuld jedoch nicht einer bestimmten Person zu. Anton kannte den Bericht auswendig, weil er ihn wieder und wieder gelesen hatte, um herauszufinden, was er hätte anders machen können.

Die Erinnerungen an das quälend lange Jahr zwischen Albertos Tod und der Berichtsveröffentlichung waren unerträglich gewesen.

Anton nahm den Fuß vom Gas, als er merkte, dass er unbewusst das Pedal durchgetreten hatte, und fuhr an den Straßenrand. Es war gefährlich, an jene Zeit zu denken, wenn er am Steuer saß.

Seine Beziehung hatte das Drama auch nicht überlebt. Dahnya, seine damalige Freundin, war an besagtem Weihnachtsmorgen eine der diensthabenden Hebammen gewesen. Statt für ihr Verhalten Verantwortung zu übernehmen, fand sie immer wieder neue Ausflüchte, warum sie ihn nicht verständigt hatte. Eine Belastung, der ihre Beziehung nicht lange standhielt.

Tratsch vergiftete die Atmosphäre der Freunde und Kollegen untereinander. Jeder versuchte, sich selbst zu schützen, indem er mit dem Finger auf andere zeigte. Die einst von vertrauensvoller Zusammenarbeit geprägte Abteilung verwandelte sich in ein Kriegsgebiet.

Auch Anton war wütend gewesen.

Außer sich.

Er hatte getobt, als er herausfand, dass Informationen nicht an ihn weitergegeben worden waren. Informationen, woraufhin er sofort nach dem Rechten gesehen und die werdende Mutter in den OP gebracht hätte – viel früher, als es letztendlich geschehen war.

Die Geburtshilfe verlor ihren Zauber, und noch bevor der Gerichtsmediziner seinen Bericht vorgestellt hatte, wechselte Anton in die Reproduktionsmedizin. Er stürzte sich auf das neue Fachgebiet, bildete sich beständig fort, sammelte Erfahrungen und Erfolge. Die Arbeit machte ihm wieder Freude, vor allem in den guten Zeiten, wenn eine Frau, die nicht mehr daran geglaubt hatte, jemals schwanger zu werden, ein Kind austragen konnte. Dennoch fehlte ihm die Geburtshilfe zunehmend.

Ihm war klar, dass er nur dorthin zurückkehren konnte, wenn er irgendwo neu anfing. Seinen alten Kollegen traute er nicht mehr. Also wechselte er nach London und gab sein Bestes, alles hinter sich zu lassen.

Allerdings merkte er schnell, dass ihm das nicht leichtfiel. Er neigte dazu, die Kontrolle zu übernehmen, für alles und jedes, was in seiner Abteilung geschah. Anton dachte an seinen ersten Notkaiserschnitt im Royal. Louise war schnell und effizient, und sie arbeiteten wie ein lange eingespieltes Team, als sie um das Leben von Mutter und Kind kämpften.

In der Nacht danach hatte er ruhiger geschlafen.

Vielleicht wären die Dinge von da an besser gelaufen, vielleicht hätte er es gewagt, die Zügel auch einmal anderen fähigen Händen zu überlassen. Doch dann war ihm Gina auf dem Krankenhausparkplatz hinten in den Wagen gefahren.

Anton stieg aus, sah sie nur kurz an, parkte ihren Wagen, kassierte die Schlüssel ein und fuhr Gina nach Hause.

Zwanzig Minuten später meldete er sie beim Chef der Anästhesie, und Anton selbst blieb weiterhin hypervorsichtig und verfolgte alle Vorgänge auf der Station mit Argusaugen.

Er blickte die Straße entlang auf die glitzernde Weihnachtsbeleuchtung. Andere mochten dem Zauber dieser besonderen Zeit erliegen, voller Vorfreude auf Feiern mit den Liebsten und glückliche Kinderaugen. Für Anton wurde es nur schlimmer. Er fand Weihnachten unerträglich. Der kleine Alberto hatte nie eins erleben dürfen.

Anton startete den Wagen wieder, fuhr nach Hause und betrat seine Wohnung, in der kein Fitzelchen Weihnachtsdekoration zu finden war. Ja, er hatte sehr gute Gründe, sich weder mit Louise noch sonst jemandem von der Arbeit einzulassen!

Er griff nach seinem Diensthandy und rief auf der Station an, um sich nach zwei Patientinnen zu erkundigen. Froh, dass alles ruhig war, legte er wieder auf.

Dann goss er sich einen Drink ein und checkte sein privates Smartphone. Saffarella hatte ihm eine wütende Nachricht geschrieben, dass er sich für die Feier der Entbindungsstation jemand anders suchen könne. Anton nahm wieder sein Diensthandy zur Hand und scrollte durch die Nachrichten. Kolleginnen und Kollegen wussten, dass sie ihn jederzeit kontaktieren durften, und manchmal war es einfacher, eine SMS loszuschicken, um Vitalzeichen zu melden oder einfach nur Bescheid zu geben, dass man unterwegs war.

Anton sah sich ein paar von Louises alten Nachrichten an.

Blutdruck 140/60 – und ja, Santa, bevor Sie fragen, ich habe zwei Mal gemessen. Immer noch 140/60. Ihr kleiner Helfer.

Als er das las, hatte er keine Ahnung, was – von dem Blutdruckwert abgesehen – gemeint war. Bis er eines Tages ein Kaufhaus betrat, beschallt von plärrendem Christmas-Gedudel, und einen Song über die kleinen Helfer von Santa Claus hörte. Anton hatte an Ort und Stelle schallend gelacht. Gleichzeitig war ihm aufgegangen, wie lahm seine Antwort damals gewesen war.

Rufen Sie mich, wenn er wieder steigt.

Von Louise kam nur:

Ach, Humbug!

Und dann:

Ja, Anton, ich weiß.

Ich muss herausfinden, was dieses „Ach, Humbug!“ bedeutet, dachte er und las eine noch länger zurückliegende Nachricht, die ihn unwillkürlich zum Lächeln brachte. Nicht wegen Louises Humor, sondern weil sie bewies, wie aufmerksam sie war.

Ich weiß, es ist Ihr dienstfreies Wochenende, tut mir leid, aber Sie hatten gesagt, ich soll Ihnen Bescheid sagen, wenn ich mir Sorgen um eine Patientin mache. Könnten Sie zufällig reinschneien?

Eine halbe Stunde später „schneite er zufällig herein“ und fand Louise am Bett der sonst so ernsten Mrs. Calini, die ungewohnt aufgekratzt wirkte.

„Oh, da ist ja Dr. Rossi“, empfing Louise ihn mit einem strahlenden Lächeln.

„Dr. Rossi!“ Überschwänglich schwärmte Mrs. Calini in schnellem Italienisch von ihrem wundervollen Baby, ihrem so süßen kleinen Jungen.

Was nicht weiter verwunderlich gewesen wäre, hätte Anton seine Patientin nicht gut gekannt. Louise hatte recht. Mrs. Calini verhielt sich auffällig.

Zwölf Stunden und eine Reihe genauer Beobachtungen später war Mrs. Calinis Euphorie in Paranoia umgeschlagen. Laut beschwerte sie sich darüber, dass die anderen Mütter alle eifersüchtig wären und ihr schönes Baby stehlen wollten. Man hatte sie nach oben in die Psychiatrie verlegt, und das Kind blieb auf der Entbindungsstation.

Zwei Wochen später kamen die beiden auf der Mutter-Kind-Station der Psychiatrie wieder zusammen, und vor einem Monat waren sie nach Hause entlassen worden.

Anton tippte „Humbug“ in die Suchmaschine ein und fand bald heraus, dass Louise nicht die glänzenden schwarz-weiß gestreiften Pfefferminzbonbons gemeint hatte. Er las ein bisschen in Charles Dickens’ Christmas Carol über den alten Scrooge, der Weihnachten hasste, und musste wieder lächeln.

Ach, Louise.

Am liebsten hätte er ihr geschrieben, natürlich quasi versehentlich. In seinen Kontakten stand Louise gleich hinter Labour Ward – Entbindungsstation.

Es machte ihm zu schaffen, dass sie mit Rory zusammen war. Andererseits hatte sie natürlich jedes Recht der Welt, glücklich zu sein. Er hatte seine Chancen in den letzten Monaten gehabt und nicht genutzt. Deshalb entschloss er sich gegen eine „versehentliche“ Nachricht – und wunderte sich über sich selbst, dass er so etwas überhaupt in Betracht gezogen hatte.

Normalerweise hatte er für Spielchen nicht viel übrig.

Allerdings gefiel ihm gar nicht, dass die Spielchen mit Louise jetzt vorbei waren.

Louise sah nach dem Aufwachen sofort auf ihr Handy. Nur für den Fall, dass sie einen Anruf oder eine Nachricht von Emily verpasst hatte. Aber es hatte sich niemand gemeldet.

Viel Schlaf hatte sie nicht bekommen, und es war noch nicht einmal fünf Uhr. Louise lag im Dunkeln da, wünschte, sie könnte wieder einschlafen, und ahnte, dass daraus nichts werden würde.

Also stand sie auf, kochte sich eine große Tasse schwarzen Tee und ging damit wieder ins Bett.

In Gedanken schon wieder bei Anton, ärgerte sie sich, dass sie so unverschämt mit ihm geflirtet hatte. Aber woher hätte sie wissen sollen, dass es eine atemberaubende Saffarella in seinem Leben gab?

Hatte sie sich in ihm getäuscht, war alles einseitig gewesen?

Das konnte sie nicht glauben. Louise gab es auf, sich zu quälen. Er war schon immer unerreichbar, dachte sie. Vor allem emotional.

Sie schlug die Bettdecke zurück und ging unter die Dusche. Nachdem sie sich abgetrocknet und die Haare geföhnt hatte, legte sie Rouge auf ihre blassen Wangen, wischte es aber gleich wieder ab, weil sie aussah wie ein Clown.

Brav schluckte sie ihre Eisen- und Vitaminpillen und beschloss, sich aufzumuntern, indem sie die wunderschönste Unterwäsche der Welt zur Arbeit anzog! Ursprünglich wollte sie sie auf der Weihnachtsfeier ihrer Abteilung das erste Mal tragen, aber jetzt musste sie die feinen Dessous heute einweihen. Sie stammten aus der Mistelzweig-Kollektion … hauchdünne Spitze mit Blättern aus grüner Seide, die mit cremeweißen Beeren bestickt und mit einer hübschen roten Schleife verziert waren. Der passende Push-up-BH zauberte ein verführerisches Dekolleté, und Louise liebte die kleine rote Schleife in der Mitte.

Für die Arbeit war die Wäsche viel zu glamourös, aber wenn Louise es recht besah, war all ihre Unterwäsche zu edel für die Arbeit.

Statt eine zweite Tasse Tee zu trinken und sich die TV-Nachrichten anzusehen, beschloss Louise, einfach früher im Krankenhaus aufzutauchen. Und hoffentlich beruhigt feststellen zu können, dass Emily nicht dort war!

Sie wohnte nahe genug am Krankenhaus, um zu Fuß zu gehen. Draußen war es eisig. Louise drapierte gleich zwei lange Schals um ihren Hals und marschierte durch den dunklen, neblig feuchten Morgen.

Es war herrlich, auf die Entbindungsstation zu kommen. Dort war es immer heimelig warm.

Anton saß an der Stationszentrale und trug, umgeben vom „Klub der unartigen Babys“, Notizen ein. Das waren die quengeligen Winzlinge, die hierhergebracht worden waren, damit ihre Mütter sich ein, zwei Stündchen Schlaf gönnen konnten.

Louise studierte die Wandtafel mit den Neuzugängen, suchte nach Emilys Namen und seufzte erleichtert auf, als sie ihn nirgends fand.

„Warum sind Sie so früh hier?“, fragte sie Anton. Ob er sich auch Sorgen um Emily machte?

„Ich konnte nicht schlafen“, antwortete er. „Ich dachte, ich arbeite etwas Papierkram ab.“

Beide waren mürrisch, beide eifersüchtig, dass der andere eine bessere Nacht verbracht hatte.

„Ich koche Tee, möchten Sie auch eine Tasse?“

„Ja, bitte.“

„Evie?“ Louise blickte die Nachtschwester an, doch die schüttelte den Kopf. „Tara?“

„Nein danke, wir hatten gerade eine.“

Louise zog sich ihre Hebammenkleidung an, eilte in die Küche und setzte Wasser auf. In eine Tasse ließ sie einen Beutel aus ihrer Kitteltasche fallen, Anton bekam diesmal einen aus dem Krankenhausvorrat.

Beim ersten Schluck wusste er, dass er bei ihr nicht gerade einen Stein im Brett hatte.

Nun, sie bei ihm auch nicht!

„Sie sind gestern mit Rory ziemlich schnell verschwunden“, sagte er. „Ich wusste nicht, dass Sie …“

„Wir sind nicht zusammen“, unterbrach sie ihn. „Na ja, wir waren es vor drei Jahren, haben aber nach ein paar Wochen wieder Schluss gemacht. Wir sind gute Freunde.“

„Aha.“

„Ich habe Rory gebeten, mich früh nach Hause zu bringen, weil ich mir um Emily Sorgen mache. Sie hat nicht angerufen, oder? Sie sind nicht hier, weil Sie auf sie warten?“

„Nein.“ Verwundert sah er sie an. „Warum machen Sie sich Gedanken? Gestern Abend schien es ihr gut zu gehen.“

„Anfangs ja, doch dann war sie plötzlich müde und wollte nach Hause. Rory meinte, sie hätte einen anstrengenden Tag im OP hinter sich, aber …“

„Aber was?“

„Sie hat mich angefahren, und sie hatte diesen Blick“, fügte sie hinzu. „Sie wissen schon …“

„Klar“, sagte Anton, denn im Gegensatz zu Rory wusste er genau, was Louise meinte, und nahm ihre Bedenken ernst.

„In der wievielten Woche ist sie jetzt?“

„Siebenundzwanzigste.“

„Und wie viele Tage?“ Anton rief an seinem PC Emilys Daten auf. „Nein, heute sind es achtundzwanzig Wochen.“ Er studierte die Eintragungen. „Letzte Woche war sie bei mir, und es war alles in Ordnung. Die Schwangerschaft hat sich normal entwickelt. Die einzige Komplikation war die Appendektomie in der sechsten Woche.“

„Könnte das jetzt zu Problemen führen?“

„Wenn, dann hätte ich irgendwelche Folgen der OP früher erwartet“, antwortete er und schenkte ihr ein dünnes Lächeln. „Vielleicht war sie tatsächlich nur müde …“

„Ich werde im OP anrufen und fragen, wann sie Dienst hat. Am besten gleich.“

Louise wurde durchgestellt und erfuhr, dass Emily heute Spätdienst hatte.

„Vielleicht mache ich hier Wirbel um nichts“, meinte sie dann.

„Hoffen wir es.“

Ein Baby wachte auf, als Tara sich gerade auf den Weg zur morgendlichen Vitalzeichenkontrolle machte.

„Ich nehme es.“ Louise hob den kleinen Schreihals aus dem Bettchen und schmiegte ihn an ihre Brust. „Wie ich diesen Duft liebe!“ Sie steckte die Nase ins Haar des Babys und blickte dann zu Anton hinüber. „Hatte Safran eine schöne Nacht?“

Er lächelte schwach. „Wahrscheinlich nicht“, sagte er und setzte hinzu: „Sie heißt Saffarella.“

„Oh, Entschuldigung, das habe ich wohl verwechselt. Safran ist das, was man in den Reis rührt, damit er gelb wird“, erklärte sie mit Unschuldsmiene. „Teures Zeug, kostet ein Vermögen, und man bekommt dafür nur eine winzige …“

„Louise“, warnte Anton. „Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen, aber bitte, seien Sie kein Biest.“

„Ich kann nicht anders, Anton. Wenn Sie vor meinen Augen eine andere Frau abschleppen, lernen Sie meine biestige Seite kennen.“

Anton musste tatsächlich grinsen. Louise sagte ihm unverblümt und so irritierend offen, dass sie auf ihn stand. „Ich habe Saffarella, wie Sie es ausdrücken, nicht abgeschleppt. Wir haben getanzt.“

„Oh, bitte“, spottete sie.

Vielleicht, weil er erleichtert war, dass sie und Rory nur befreundet waren, beschloss Anton, sie auch zu erlösen. „Ich habe Saffarella nur zu ihrem Hotel gebracht.“

„Wirklich?“ Louise lächelte erfreut und bedeckte die Ohren des Babys. „Sie haben nicht miteinander …“

„Louise!“

„Der Kleine hört nichts, ich halte ihm die Ohren zu. Also haben Sie nicht …“

„Nein, haben wir nicht.“

„War sie sauer?“, fragte Louise munter nach.

Anton verzog leicht das Gesicht. Der Knall der zuschlagenden Autotür war ihm in deutlicher Erinnerung geblieben. „Ja.“

„Oh, arme Safran, ich meine Saffarella … jetzt, da ich weiß, dass Sie nichts mit ihr haben, mag ich sie.“

Beide lächelten, wenn auch mit leichtem Bedauern. Die letzte Nacht hätte so viel schöner sein können …

„Danke dir.“ Tara kam zu ihnen und warf einen Blick auf den Säugling. „Er schläft, Louise, du kannst ihn wieder in sein Bettchen legen.“

„Möchte ich aber nicht.“ Sie betrachtete den süßen Kleinen. Er hatte sich in ihre Arme geschmiegt, die Knie angezogen, als wäre er noch im Mutterleib. Die Füßchen schauten unter der Babydecke hervor, und Louise streichelte sie liebevoll.

„Weich wie Katzenpfoten“, schwärmte sie, während die winzigen Zehen sich krümmten.

„Du bist wirklich gluckig“, meinte Tara.

„Oh, mehr als gluckig. Ich laufe immer wieder zur Weihnachtskrippe und sehe mir Baby Jesus an. Ich will auch eins.“

„Deine Modelkarriere kannst du dann vergessen.“

Louise lachte auf. „Ich bin sicher, dass auch schwangere Frauen sexy Unterwäsche tragen können. Mein Agent hat sogar vor, bei einigen Labels anzufragen, ob sie etwas für mich haben, wenn ich schwanger bin.“

„Allerdings fehlt dir noch etwas, wenn du ein Kind willst …“ Tara spielte auf Louises nichtexistentes Liebesleben an.

Aber da sie es ihrer Mum und auch Rory erzählt hatte, und weil auch Emily Bescheid wusste, fand Louise es an der Zeit, ihren Plan an die große Glocke zu hängen.

Autor

Robin Gianna
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