Julia Ärzte zum Verlieben Band 89

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SCHRITT FÜR SCHRITT INS GROßE GLÜCK? von ROBERTS, ALISON
Auch Väter dürfen weinen - vor Glück: Dr. Alex Vavunis ist so erleichtert, dass seine Tochter nach ihrer schweren Krankheit wieder laufen kann. Das ist der Verdienst der schönen Physiotherapeutin Susie. Wenn er es nur wagen würde, einen winzigen Schritt auf sie zuzumachen …

VERSTECK DICH NICHT VOR DER LIEBE! von LENNOX, MARION
"Cathy!" Jack traut seinen Augen nicht. Die Ärztin, die seinem kleinen traumatisierten Neffen helfen soll, ist Cathy Heineman, mit der er studiert hat. Die genauso hinreißend ist wie früher! Aber warum nennt sie sich jetzt Kate Martin? Und scheint Angst vor Zärtlichkeit zu haben?

SCHWESTER MARNI UND DER WÜSTENPRINZ von WEBBER, MEREDITH
Wie soll Marni sich bloß konzentrieren, wenn Dr. Gaz sie mit seinen samtbraunen Augen im OP anschaut? Und als er sie küsst, weiß sie, dass sie ihr Herz verloren hat! Wovon sie allerdings nichts weiß, ist sein Doppelleben. Er ist nicht nur Chirurg - sondern auch ein Kronprinz …


  • Erscheinungstag 29.07.2016
  • Bandnummer 0089
  • ISBN / Artikelnummer 9783733707552
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Alison Roberts, Marion Lennox, Meredith Webber

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 89

ALISON ROBERTS

Schritt für Schritt ins große Glück?

„Weine nicht, weil es vorbei ist. Lächle, weil es passiert ist.“ An diesen weisen Spruch muss die Physiotherapeutin Susie unter Tränen denken. Denn was für sie Liebe auf den ersten Blick mit Dr. Alex Vavunis war, war für ihn nur ein Ferienflirt. Jedenfalls behauptet das seine Teenagertochter. Wie soll Susie lächeln, wenn ihr Herz bricht?

MARION LENNOX

Versteck dich nicht vor der Liebe!

Für Dr. Kate Martin ist es die schönste Belohnung, wenn ihre kleinen Patienten wieder gesund werden. Doch noch nie hatte sie einen so schwierigen Fall wie Harry, der mit seinem Onkel in ihr Therapiezentrum gekommen ist. Denn Harrys Onkel ist Jack Kincaid, in den Kate an der Uni so verliebt war – und der jetzt weiß, dass sie unter falschem Namen arbeitet …

MEREDITH WEBBER

Schwester Marni und der Wüstenprinz

Er darf sie niemals haben: Kronprinz Ghazi weiß genau, dass er mal eine Frau aus seinem Kulturkreis heiraten wird. Und nicht die wunderschöne australische Krankenschwester Marni Graham, die nur ein halbes Jahr in Ablezia arbeitet und ihm im OP zur Seite steht! Bis er mit Marni in die Wüste fährt und sie unter tausend hellen Sternen küsst …

1. KAPITEL

Dies war absolut seltsam.

Als wäre sie in einem Traum gelandet. Natürlich hatte Wallaby Island diese Wirkung immer auf Neuankömmlinge. Die größte Insel des tropischen Archipels vor der Küste Westaustraliens bot mit ihren üppig grünen Regenwäldern, den feinen, weißen Sandstränden, dem warmen, türkisblauen Meer und der alles golden überglänzenden Sonne einen bildschönen Anblick.

Susie Jackson war allerdings kein Neuankömmling. Diese Umgebung war ihre vertraute Realität, und die nervöse Spannung, die sich in ihr aufgebaut hatte, während sie das privat gecharterte Wasserflugzeug bei der Landung und dem sanften Anlegen am Steg beobachtete, lag einzig an ihrem Mitgefühl für das junge Mädchen an ihrer Seite. Es stand so eng an sie gedrückt, dass sein Zittern sich auf ihren Körper übertrug. Sie legte ihren Arm enger um die Schultern des Mädchens und zog es beruhigend an sich.

Hinten am Steg lösten sich Gestalten aus dem kleinen Flugzeug. Der Pilot blieb am Flugzeug, um es festzumachen, und eine einzelne Person machte sich auf den Weg über die Holzplanken des schmalen Steges.

Da passierte es. Die Realität begann zu verschwimmen. Das war nicht die gesichtslose Elternfigur, die sie erwartet hatte. Die ermutigenden Worte, die sie dem Mädchen an ihrer Seite eben noch zuraunen wollte, erstarben auf Susies Lippen, und sie konnte den Mann, der auf sie zustrebte und dabei den Landesteg in einen Laufsteg verwandelte, nur unverwandt anstarren.

Er war in Armani gekleidet, mit der passenden Ausstrahlung von Macht und Eleganz. Wundervoll geschnittene dunkle Hosen. Eine dunkle Krawatte, die gelockert, und ein makelloses weißes Hemd, dessen oberer Knopf geöffnet worden war. Das Jackett lässig über einen Arm geworfen, in der Hand eine schmale, schwarze Aktentasche. Mit der anderen Hand hielt er ein Mobiltelefon ans Ohr.

War es sein Gang? Natürliche Anmut, gepaart mit dem selbstbewussten Auftreten eines Menschen, der es absolut gewohnt ist, im Scheinwerferlicht zu stehen. Der es beinahe erwartet. Gut, vielleicht war der Mann tatsächlich ein hochdotierter Neurochirurg aus Sydney und eine Schlüsselfigur in der morgigen Eröffnungszeremonie. Immerhin hatte er genügend Geld gespendet, um die großartige neue medizinische Ausstattung zu ermöglichen, nachdem der Zyklon Wille sechs Monate zuvor das gesamte Areal verwüstet hatte.

Aber hier ging es schließlich nicht um ihn. Es ging um Stella. Das Mädchen, das nervös an ihrer Seite stand. Ohne die Hilfe ihrer Krücken. Stella, die darauf wartete, dass der wichtigste Mensch in ihrem Leben freudig zur Kenntnis nehmen würde, welch riesige Fortschritte sie gemacht hatte.

Die Aufregung des Mädchens war ansteckend, oder vielleicht war es ein Anflug von Sorge, der dazu führte, dass sich ein Klumpen in Susies Magen bildete und ihr Mund trocken wurde, als Alex Vavunis näher kam.

Er klappte das Telefon in seiner Hand zu, und nun war er nahe genug, dass Susie seine klar geschnittenen Gesichtszüge erkennen konnte. Sein markanter Kiefer wurde leicht durch einen Bartschatten gemildert, aber weit mehr durch ein charmantes Lächeln, das sein Gesicht erhellte. Dunkles Haar, dunkle Augen, olivfarbene Haut, angedeutete Linien auf der Stirn, die nahelegten, dass dieser Mann häufig die Stirn runzelte.

Momentan allerdings runzelte er keineswegs die Stirn. Susie war unsichtbar, sie stand außerhalb des Kraftfeldes, das sich zwischen Vater und Tochter aufgebaut hatte. Wie würde es sich wohl anfühlen, fragte sie sich ein wenig wehmütig, im Leben so eines Mannes eine Rolle zu spielen? Aber dann vertieften sich die Linien doch, und das freudig stolze Lächeln verblasste, als er seiner Tochter näher ins Gesicht schaute. Für einen kurzen Augenblick wirkte er verwirrt, als erkenne er die Person nicht, die vor ihm stand, beinahe, als sähe er einen Geist.

„Stella! Was um alles in der Welt …?“

Stellas zaghaftes Lächeln wich einem erwartungsvollen Strahlen. Schau mich an, Dad, sagte es. Sag mir, dass es in Ordnung ist, dass ich so stolz auf mich bin. Auch Susies Lächeln vertiefte sich. Sie hat das ganz allein geschafft; ist das nicht wunderbar?

Alex Vavunis jedoch schien das Fehlen der Krücken nicht einmal zu bemerken. Er starrte auf Stellas Gesicht. Susie beobachte ihn gebannt, sah den Wandel in seinen Zügen und konnte nicht fassen, was da passierte. Die Freude in seinem Gesicht erstarb, als er seine Tochter prüfend fixierte, Stolz wandelte sich in Enttäuschung.

Bitte nicht. Wie niederschmetternd würde das sein?

„Du bist …“, Alex hielt inne, und die Verwandlung vom liebenden Vater zum gestrengen Vormund war perfekt. „Hast du dich geschminkt?“

Stellas Lächeln wurde unsicher. „Ich … Heute ist Disconacht. Ich hatte es dir erzählt …“

„Und was hast du da an? Wessen Sachen sind das?“

„Meine.“

Ihr Vater schnaubte verärgert, als würde er den Inhalt des Kleiderschranks seiner halbwüchsigen Tochter genau kennen und wüsste, dass die Stücke, die sie jetzt trug, nicht dazugehörten. Was ihn in Susies Augen eher als Kontrollfreak denn als besorgten Vater auswies. Andererseits unterschied sich Stellas heutige Aufmachung tatsächlich grundlegend von allem, was sie mit ins Camp gebracht hatte – aber welches Mädchen würde denn auch bei ihrem ersten Discobesuch in Jeans und weitem T-Shirt auftauchen wollen?

„Es gibt einen Laden im Camp“, fuhr Stella tapfer fort. „Du hast gesagt, ich könnte alles kaufen, was ich brauche, und auf deine Rechnung setzen lassen.“

„Ja, aber …“, Alex warf einen weiteren Blick auf seine Tochter und seufzte.

Er war ein Mann, der problemlos mit jeder Art von Stress umgehen konnte, der jede Minute Entscheidungen auf Leben und Tod treffen musste und der sichtlich verstimmt war, sich mit diesem Thema auseinandersetzen zu müssen. Stella klang nun nicht mehr so zuversichtlich. Mit unsicherer Stimme fragte sie: „Was ist falsch an dem, was ich trage?“

„Nichts“, murmelte Susie. Der Rock war wunderhübsch und fiel in mehreren luftigen Lagen bis halb über die Waden. Das würde Stella den ersten öffentlichen Auftritt mit ihrer Beinprothese etwas erleichtern. Das weiße Spitzentop war ebenfalls perfekt – genau, was die meisten Mädchen heute trugen, und Susie wusste, dass Stella insgeheim entzückt war über den hebenden Effekt des leicht gepolsterten und verstärkten Bikinioberteils.

„Es sieht aus wie Unterwäsche“, urteilte Alex Vavunis. Er schüttelte ungläubig den Kopf. „Anständige griechische Mädchen gehen nicht in Unterwäsche in die Öffentlichkeit, Stella.“

„Aber …“ Susie fühlte, dass Stellas Zuversicht schwand. Die Aufregung und freudige Erwartung, mit der sie darauf gewartet hatte, ihren Fortschritt und ihren erwachsenen Look zu präsentieren, verpufften wie Luft aus einem angestochenen Ballon. Sie funkelte Stellas Vater an. Wie konnte er das tun? Hatte er irgendeine Vorstellung, wie schwer es gewesen war, diesen Punkt zu erreichen? Wie zerbrechlich das Selbstvertrauen seiner Tochter war?

Ein gewisses Maß an Missfallen wäre verständlich gewesen, sogar akzeptabel; sie war darauf vorbereitet gewesen, nachdem Stella mehr als einmal erwähnt hatte, wie streng ihr Vater sein konnte, aber sie hatte die Warnungen beiseitegewischt. Sie hatte gesehen, wie stolz Stella auf ihren berühmten Vater war und wie sehr sie ihn liebte; er musste doch etwas Gutes an sich haben, wenn er so intensive Gefühle hervorrufen konnte. Es war leicht gewesen, sich einzureden, dass er von Stellas außerordentlichen Fortschritten der letzten Woche ebenso begeistert sein würde wie sie.

Oh Gott! Dies war alles ihre Schuld. Susies Arm lag noch immer auf Stellas Schultern, und sie fühlte, wie das Mädchen sich versteifte. Jede Sekunde würde ihr Arm abgeschüttelt werden, wenn Stella erkannte, wer hierfür verantwortlich war. Es würde Tränen geben, keine Frage. Was ein glückliches Wiedersehen hätte werden sollen, würde für alle Beteiligten eine elende Enttäuschung sein.

„Charles Wetherby wartet auf mich, um alles Weitere zu arrangieren“, sagte Alex. „Wir werden direkt zum Hotel gehen, und du kannst dich umziehen.“ Er warf stirnrunzelnd einen Blick auf sein Telefon und sah dann über Stellas Schulter. Susie folgte seinem Blick. Dort, auf dem Weg, der zum medizinischen Zentrum führte, saß Charles in seinem Rollstuhl. Wie lange wartete er da schon? Wie viel hatte er gehört? Genug, nahm sie an, und spürte eine Woge der Erleichterung.

Der ärztliche Direktor des Crocodile Creek Hospital war das Herz dieser Gemeinschaft. Er führte nicht nur eine Versorgungsklinik, die einen Rettungsdienst für ganz Nord Queensland bereithielt, sondern auch alle zugehörigen Einrichtungen auf Wallaby Island. Diese waren deutlich modernisiert und vergrößert worden waren, was sie in die Lage versetzte, ihre Camps für kranke Kinder und deren Familien erheblich auszuweiten. Er hatte stets den Finger am Puls des Geschehens und schien außerdem alles mitzubekommen, was sich in der Belegschaft abspielte.

Susie lächelte ihn an, eine wahrscheinlich unnötige Bitte um Unterstützung, diese Situation zu entschärfen. Charles war vor zwei Jahren der Ansprechpartner für Alex Vavunis gewesen, als der Neurochirurg nach einer Erholungsmöglichkeit für seine Tochter gesucht hatte, die wegen Knochenkrebses einer intensiven Chemotherapie unterzogen worden war. Er wusste mehr über die Persönlichkeit des Griechen als Susie, und er würde die richtigen Worte finden.

Alle hatten gesehen, wie sehr sich Susie von Beginn an um das mürrische junge Mädchen gekümmert hatte. Erst gestern hatte Charles erwähnt, wie viele Überstunden Susie diesmal machte, aber sein Augenzwinkern war voller Anerkennung gewesen. Ihm war nicht entgangen, wie nahe sich die junge Physiotherapeutin und ihre neue Patientin standen.

Charles rollte auf den Steg und näherte sich ihrer kleinen Gruppe von hinten, während von der anderen Seite der Pilot des Wasserflugzeugs, der seine Sicherheitsvorkehrungen beendet hatte, mit einem Koffer in der Hand auf sie zukam. Bei so viel männlicher Energie, die sie von allen Seiten umgab, war es kein Wunder, dass Stella an ihrer Seite unsicher wurde und das Gleichgewicht zu verlieren drohte. Alleine zu stehen, war schon unter günstigeren Bedingungen nicht leicht für sie. Darum hielt Susie die Krücken vorsichtshalber in der freien Hand hinter ihrem Rücken versteckt. Zu ihrem Erstaunen fing sich das Mädchen jedoch wieder und straffte sich.

Entschlossen hob sie das Kinn. „Nein“, erwiderte sie ihrem Vater.

„Nein?“, fragte er ungläubig. „Was soll das heißen?“

„Ich komme nicht mit ins Hotel.“

„Es ist alles arrangiert.“ Ungeduld schwang in seiner Stimme mit. „Wir haben eine Suite. Du wolltest nicht mit den anderen Kindern im Schlaftrakt bleiben, weißt du nicht mehr?“

Natürlich wollte sie das nicht, dachte Susie ungehalten. Sie muss schließlich zum Schlafen ihre Prothese abnehmen und hat sich dabei bestimmt kein Publikum gewünscht.

„Du wolltest dieses Jahr überhaupt nicht hierherkommen“, fuhr Alex fort. „Du hast nur eingewilligt, weil ich schon so viel Mühe darauf verwendet hatte, ein Zeitfenster zu schaffen, um an der Eröffnung des medizinischen Zentrums teilnehmen zu können.“

Charles zog eine Augenbraue hoch. Unsere Einladung war eine Geste der Freundlichkeit, sagte seine Miene, keine Unannehmlichkeit, die man irgendwie bewältigen muss.

„Du warst begeistert von der Aussicht, in einer Luxussuite zu wohnen“, erinnerte er seine Tochter. „Und davon, am Samstag mit mir zurückzufliegen und die zweite Woche ausfallen zu lassen. Es ist alles arrangiert. Und nun komm!“

„Ich will aber nicht“, sagte Stella. Sie holte tief Luft. „Der Schlafsaal gefällt mir jetzt gut. Und ich liebe meine neuen Sachen … und … ich darf mich schminken, wenn ich das will. Ich bin beinahe vierzehn, und Susie hat gesagt …“

„Susie?“, schnappte er. „Wer zum Teufel ist Susie?“

„Ich“, sagte Susie und war entsetzt, wie leise ihre Stimme klang. Alex schaute sie zum ersten Mal direkt an und bedachte sie mit einem so bohrenden Blick, dass sie sich fühlte wie ein Insekt im Schaukasten. Sie stand wie festgenagelt, unfähig, ihren Blick abzuwenden … nicht, dass sie das überhaupt wollte. Stella brauchte eine Verbündete, und sie würde sie nicht im Stich lassen. Sie würde das Hämmern ihres Herzens und die aufsteigende Furcht einfach ignorieren müssen.

„Susie Jackson.“ Charles’ Stimme war bestimmt und klar und beruhigte Susie sofort. „Unsere geschätzte Physiotherapeutin, Alex. Sie und Stella haben diese Woche wunderbar zusammengearbeitet.“

„Charles!“ Alex steckte sein Handy in die Hosentasche und ging mit ausgestreckter Hand auf den Mann an Susies Seite zu. „Schön, Sie zu sehen.“

„Sie auch, Alex. Wir sind froh, dass Sie kommen konnten.“

„Es trifft sich gut, dass die Eröffnung stattfindet, während Stella hier ist. Es ist höchste Zeit, dass ich den Ort kennenlerne, der ihr Leben so entscheidend verändert hat.“

„Von den Menschen hier gar nicht zu sprechen.“ Charles lächelte Susie an und bezog sie so in die Unterhaltung mit ein. „Wir haben großes Glück, dass Sie dieses Mal nicht von einem dringenden Notfall in Sydney festgehalten worden sind.“

Alex klopfte auf das Telefon in seiner Tasche. „Es gibt immer einen Notfall, Charles, wie Sie selbst sicher am besten wissen.“ War er noch mit den Problemen auf seiner Station befasst gewesen, während er den Steg entlanggekommen war? „Dieses Mal habe ich ihnen gesagt, dass sie alleine klarkommen müssen.“

Er hatte sein charmantes Lächeln wieder aufgesetzt, aber Susie war unbeeindruckt. Seine beruflichen Anforderungen entschuldigten seinen Auftritt nicht. Sie hatte begonnen, sich ein Bild von ihm zu machen, und sah einen Mann, der sich selbst und seine Karriere ungeheuer wichtig nahm. Wo blieb Stella auf seiner Liste? Es war ganz einfach nicht in Ordnung.

„Vielleicht schalte ich sogar mein Telefon aus“, bemerkte Alex. Susie unterdrückte ein Schnauben.

„Eine gute Idee“, antwortete Charles freundlich. Er warf einen Blick über die Schulter. „Gleich kommt ein Wagen, der Sie zum Hotel bringen wird, aber wenn Ihnen nicht zu warm ist, könnte ich Sie rasch durch das Zentrum führen.“

Susie nickte zustimmend. Verschwinde für eine Weile, ermutigte sie ihn in Gedanken. Dann kann ich hier die Scherben auflesen. Aber sie hatte kein Glück.

„Wir gehen zuerst ins Hotel“, beharrte Alex. „Ich kann meine Tochter hier nicht herumlaufen lassen wie eine …“

„Wie eine was?“, unterbrach Stella ihn empört und den Tränen nahe. „Was stimmt nicht mit meinem Aussehen, Papa? Susie hat gesagt, ich bin …“ Sie verstummte. Sie schien das Wort „wunderhübsch“ nicht über die Lippen zu bringen.

„Was hat Susie gesagt?“ Alex warf der Physiotherapeutin seiner Tochter einen weiteren Blick zu. Von ihrem offenen, schulterlangen Haar, das sich durch Sonne und Salzwasser immer etwas zu sehr lockte, hinunter auf ihr weiches Trägertop, über dem sie ein offenes Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln trug, und weiter auf ausgefranste Jeansshorts, die ihre langen, gebräunten Beine nicht verbargen.

Susie wurde rot. Sie war nicht sonderlich professionell gekleidet, aber in Crocodile Creek wurde auf Formalitäten kein großer Wert gelegt. Außerdem befand sie sich mit einer Horde von Ferienkindern auf einer Urlaubsinsel, die ihnen eine Pause vom Alltag bescheren sollte, der von schwerer, manchmal unheilbarer Krankheit geprägt war.

Sie waren hier, um Spaß zu haben, und ihre Aufgabe war es, ihnen nur so weit zu helfen, wie es nötig war. Atemübungen für Kinder, die an Asthma litten, Erhaltungstherapie für ihre kleinen Patienten mit Mukoviszidose oder zerebraler Kinderlähmung. Und ja, ihr Kontakt mit Stella war über die reine Erhaltungstherapie hinausgegangen, aber das war nötig gewesen. Hätte sie sich nicht so intensiv mit ihr beschäftigt, wäre Stella in ihrem Schneckenhaus geblieben und hätte sich weiterhin vor den anderen Kindern und vor ihrem eigenen Leben versteckt.

Wollte ihr Vater sie in diese Dunkelheit zurückschicken? Susie hob ebenso kämpferisch das Kinn wie vorher Stella. Sie räusperte sich, und ihre Stimme war fest, als sie sprach. „Ich habe gesagt, dass sie absolut entzückend aussieht.“

Dass sie sich ihm widersetzte, machte Alex noch wütender. „Sie sieht aus wie ein Flittchen!“, stieß er hervor.

Stella schnappte nach Luft. „Das ist schrecklich. Wie kannst du so etwas sagen?“

Alex schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch. Als er sie wieder öffnete, wirkte er ruhiger. Er hob entschuldigend die Hand. „Es tut mir leid, mein Herz, aber du bist dreizehn Jahre alt, und ich finde dich hier, wie du in Unterwäsche herumläufst und dein Gesicht mit Make-up zukleisterst. Was hast du denn erwartet?“

Es war nicht zugekleistert. Das Make-up war dezent und natürlich. Sie hatten ziemlich viel Zeit darauf verwendet und viel Spaß dabei gehabt. Susie öffnete den Mund, um zu protestieren, aber Stella kam ihr zuvor.

„Wärst du bloß niemals hergekommen!“ Das Mädchen drehte sich unter Susies Arm, um ihre Krücken zu greifen. Sollte Susie ihr die Gehhilfen verweigern? Sie zwingen, ihrem Vater zu zeigen, dass sie mit ihrer Prothese laufen konnte – etwas, das sie bis zu dieser Woche nicht einmal hatte versuchen wollen?

Nein. Stella war viel zu aufgebracht, um ihr Gleichgewicht zu halten. Jetzt hinzufallen, würde ihre Demütigung unerträglich machen. Susie half ihr, die Krücken anzulegen, was nur einige Sekunden in Anspruch nahm.

Tränen strömten über Stellas Gesicht, als sie ihren Vater ansah. „Geh nach Hause“, rief sie. „Ich hasse dich!“ Sie drehte sich weg, drückte sich an Charles vorbei und lief den Steg herunter.

„Stella!“ Das war ein Befehl, den sie geflissentlich ignorierte. Sie hatte jetzt den Weg erreicht und wurde schneller. Sie rannte so schnell, wie es mit einem Paar Krücken und einer Wadenamputation nur möglich war. Ihre hochmoderne, technisch ausgefeilte Prothese berührte nicht den Boden. Sie war wieder, was sie von Anfang an gewesen war: nur ein ästhetisches Accessoire. Susie drehte sich zu Alex um. „Wie konnten Sie nur?“

Hatte er eben noch entgeistert seiner Tochter nachgeblickt, so wurde sein Ausdruck völlig neutral, als er sich Susie zuwandte. „Wie bitte?“

„Ihre Tochter ist noch heute Morgen beinahe fünfzig Meter ohne diese Krücken gelaufen. Vor einer Woche konnte sie ohne ihre Krücken nicht einmal stehen, und wir haben unglaublich hart gearbeitet, um so weit zu kommen“, sagte sie vorwurfsvoll. „Das hätten Sie bemerken und kommentieren sollen, statt sie zu beschimpfen, nur weil sie sich ein bisschen geschminkt hat!“ Sie funkelte ihn an. „Wie konnten Sie nur!“, wiederholte sie.

Alex schwieg. Susie hatte ihn zusammenzucken sehen, sie wusste, dass ihre Worte ihn getroffen hatten. Offensichtlich überlegte er, wie er auf diesen persönlichen Angriff reagieren sollte.

Der Pilot war in einiger Entfernung stehen geblieben und schaute mit gespieltem Interesse auf irgendetwas im Wasser, er musste ihren gereizten Wortwechsel mitbekommen haben und zog es vor, sich diskret im Hintergrund zu halten.

In der plötzlichen Stille wurden all die kleinen Geräusche um sie herum überdeutlich. Das sanfte Brechen der Wellen am nahe gelegenen Strand. Der Schrei exotischer Vögel im Regenwald. Ein entfernter Ruf, gefolgt von Kinderlachen.

Die Hitze war unerträglich.

Es war aber nicht die tropische Sonne, die Susie zu verbrennen drohte. Die Hitze ging von dem Mann vor ihr aus. Seine Energie war überwältigend. Kein schlichter Ärger – jeder konnte ärgerlich werden, besonders ein Vater, der gerade in der Öffentlichkeit zurückgewiesen und dann kritisiert worden war, nein, das hier war Wut, gepaart mit einem betäubenden Cocktail aus Intelligenz, Lebenserfahrung und … der stärksten männlichen Ausstrahlung, der Susie Jackson je begegnet war.

In ihrem ganzen Leben hatte sie so jemanden noch nicht getroffen. Was in aller tat sie hier eigentlich?

Seine Stimme beendete ihre Überlegungen. Ein tiefes, mühsam beherrschtes Grollen. „Stella ist meine Tochter, Miss Jackson. Ich habe sie allein großgezogen, seit sie drei Monate alt war. Ich glaube kaum, dass mir irgendjemand sagen muss, was ich zu tun habe.“

Ganz offensichtlich musste ihm das sehr wohl jemand sagen, aber Susie brachte die trotzige Entgegnung, die ihr auf der Zunge lag, nicht heraus. Ihr Mund war zu trocken, und sie fühlte sich den Tränen nahe. Sie war versucht, wie Stella einfach wegzulaufen, aber das würde sie nicht. Auf keinen Fall!

Ein schnurrendes Geräusch unterbrach die neuerliche Stille. Es kam von dem kleinen Elektroauto, das in diesem Moment vorfuhr. Diese umweltfreundlichen Inselfahrzeuge fuhren Schrittgeschwindigkeit, hatten zwei Sitzplätze und konnten einen kleinen Gepäckanhänger ziehen.

„Ah … mein Wagen.“ Alex wandte sich ab und ließ Susie mit dem Gefühl zurück, ein Ärgernis zu sein, das erfolgreich beseitigt worden war. Seine Selbstsicherheit schwand allerdings etwas, als er den Wagen genauer ansah.

„Was zum Teufel ist das?“

„Garf“, antwortete Charles knapp. „Unser Maskottchen.“ Wie so oft, hatte der große, wuschelige Hund einen freien Platz in einem Wagen erspäht und sich freudig hineingesetzt.

„Aber was ist er? Ich habe so etwas noch nie gesehen.“

„Labradoodle, eine Kreuzung aus Labrador und Pudel. Hypoallergen. Wir müssen vorsichtig mit Haustieren sein und alles vermeiden, was Asthmaanfälle hervorrufen könnte. Was den engen Kontakt mit einigen Kindern angeht, ist er immer noch auf Bewährung.“

Garf war das egal. Er hatte offensichtlich darauf gewartet, dass der Wagen anhielt, und sprang nun vom Sitz und rannte in die Richtung, in der Stella verschwunden war. Susie lächelte. Garf hatte eine eingebaute Antenne für unglückliche Kinder und war jetzt wahrscheinlich die beste Medizin für Stella.

Alex nickte zufrieden, als der Hund den Pfad hinauf verschwand. „Ich treffe Sie hier in einer halben Stunde, wenn Ihnen das recht ist“, sagte er an Charles gewandt. „Also, wo ist Stellas Schlafsaal?“

Susie öffnete den Mund und schloss ihn nach einem Blick auf Charles wieder.

„Erlauben Sie mir, Sie zu einem schönen kalten Drink einzuladen“, schlug er Alex vor. „Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich könnte einen gebrauchen.“ Er lächelte. „Vergessen Sie nicht, dass wir auf einer Insel sind. Niemand geht irgendwohin, und nichts muss übereilt werden.“

Diplomatisch, befand Susie. Viel besser, als wenn sie vorgeschlagen hätte, Stella ein bisschen Zeit zu lassen, ehe sie ihrem Vater wieder begegnete. Und Charles war niemand, dessen Einladung man ausschlug. Er mochte im Rollstuhl sitzen, aber das schmälerte seine Präsenz keineswegs, und er hatte ohnehin Oberhand – dies war sein Reich.

Alex hatte die Güte, zumindest einen Aufschub zu bewilligen. Er nickte. „Ein kaltes Bier würde ich nicht ausschlagen. Ich muss zugeben, dass der Tag eher lang und anstrengend war.“

„Davon bin ich überzeugt“, sagte Charles. „Lassen Sie uns Ihr Gepäck ins Hotel schicken, und wir schauen mal, was der Kühlschrank in meinem Büro hergibt.“

„Ich folge Ihnen.“

„Wir gehen zuerst kurz in die Klinik, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Ich möchte nach Lily sehen.“

„Lily? Ihre Tochter?“

„Es geht ihr nicht gut.“

„Das tut mir sehr leid.“

„Es ist nichts Ernstes, aber Sie wissen, wie ein Virus ein Kind umwerfen kann. Ich behalte sie den Nachmittag über in der Klinik, sodass wir ein Auge auf sie haben können.“

Die Stimmen der beiden Männer verklangen, als sie sich entfernten. Der Pilot hörte auf, ins Wasser zu starren, und gesellte sich zu Susie. „Idiot“, murmelte er. „Hält sich für ein Gottesgeschenk. Alles in Ordnung, Susie?“

„Es geht mir gut, danke, Wayne.“

„Das arme Kind.“

„Hmm. Ich sollte sie suchen und sehen, wie es ihr geht.“

„Mach das.“ Wayne stellte den eleganten schwarzen Koffer auf den Rücksitz des Elektrokarrens und begrüßte den Fahrer. „Unter dem Steg treiben ein paar tote Vögel. Diese lauten Sturmtaucherdinger. Irgendjemand sollte sie beseitigen, bevor sie an den Strand gespült werden oder die Kinder zum Schwimmen kommen.“

Der Fahrer nahm ein Funkgerät vom Armaturenbrett. „Ich gebe es weiter, aber ich glaube, die Ranger sind noch mit ein paar Kindern im Wald unterwegs.“

Die Kutschfahrt durch den Regenwald war gerade zu Ende gegangen, wie Susie bemerkte, als sie ins Camp zurückging. Gruppen von Kindern mit ihren Eltern und Betreuern waren bereits zum Strand unterwegs, um den Spätnachmittag im Wasser zu verbringen. Sie winkte Benita Green zu, einer Krankenschwester, die mit ihren Schützlingen zum Strand zog, und strahlte den kleinen Danny an, der von seiner Chemo noch völlig kahl war und sie breit angrinste.

Es war schwierig, in dieser Umgebung an seiner Wut festzuhalten. Hoffentlich hatte Stella einen ruhigen Platz gefunden, wo der Zauber der Insel auf sie wirken und sie beruhigen konnte. Oder würde sie böse auf Susie sein und ihr die Schuld am Zusammenstoß mit ihrem Vater geben? Wahrscheinlich fühlte sie sich einfach elend. Unverstanden und nicht liebenswert.

Wo würde sie sie finden? Sicher nicht im Schlafraum, wo ein fröhliches Chaos herrschte und die älteren Kinder sich voller Vorfreude für die Disco fertigmachten, das wäre Salz in Stellas Wunden.

War sie vielleicht sie zu der Hütte gegangen, die Susie zugeteilt worden war, damit sie zur morgigen Eröffnungszeremonie und dem anschließenden Galadinner auf der Insel bleiben konnte? Stella kannte die Hütte, denn genau da hatten sie ihr an diesem Nachmittag die neuen Sachen angezogen und sie geschminkt. Aber Stella wusste, dass Susie sich die Hütte mit Kollegen teilen würde, und hatte bestimmt keine Lust, sich irgendwelchen Fremden zu erklären.

Susie verließ den breiten Weg, der sich vor ihr gabelte. In einer Richtung führte er zu den Schlafsälen, dem Speisesaal und den Gemeinschaftsräumen, in der anderen zu den neuen Holzbungalows im Regenwald. Sie kam zu einem schmalen, ausgetretenen Pfad, der zurück zum Strand führte, und folgte ihm. Ihr war eingefallen, wo sich der beste Ort zum Nachdenken befand.

Da war sie. Versteckt zwischen mehreren umgedreht auf dem Sand liegenden Ruderbooten kauerte sie im Sand. Neben ihr saß Garf, der mit großen Augen aufs Meer hinaussah, nahe genug, um sofort zum Kuscheln heranzukommen, aber mit dem nötigen Abstand, um Stella Raum zu geben.

Susie hockte sich neben einen der Bootsrümpfe. „Bist du okay, Süße?“

Die einzige Antwort war ein verstocktes Schniefen. Susie nahm eine Handvoll weißen Sand und ließ ihn durch die Finger rieseln.

„Ich glaube, dein Vater hatte einen sehr anstrengenden Tag“, begann Susie. „Er war nicht darauf gefasst, dich so schick angezogen zu sehen, das ist alles. Er wird darüber hinwegkommen.“

„Nein, das wird er nicht.“

„Er kann dich nicht davon abhalten, in die Disco zu gehen.“

„Ich will gar nicht hin.“

Sie erwartete doch wohl nicht, dass Susie das glaubte? Vielleicht war ihr nicht klar, dass Susie sie am Morgen mit dem vierzehnjährigen Jamie hatte reden hören.

„Kommst du in die Disco?“

„Weiß nicht. Vielleicht.“

„Du musst! Alle gehen hin!“

„Ja … Okay …“

„Super. Dann sehe ich dich da!“

Selbst wenn sie wüsste, dass Susie zugehört hatte, so wäre ihr nicht bewusst, was ihr Lächeln verraten hatte, nachdem Jamie grinsend davongezogen war. Stella war dabei, sich zum ersten Mal zu verlieben, und Susie hatte ihr Wissen genutzt, um die letzte Abwehr zu überwinden und Stella dazu zu bringen, wieder ohne Hilfe gehen zu lernen. Damit hatte der ereignisreiche Tag seinen Anfang genommen. Diese unglaublich erfolgreiche Physiostunde, das Einkaufen und Schminken hatten eine frohe und leichte Stimmung aufgebaut, die nun zerstört worden war.

Susies Ärger flammte wieder auf. „Dein Dad hat unrecht“, sagte sie fest. „Er hat das über dein Äußeres nur gesagt, weil er nicht einsehen will, dass du langsam erwachsen wirst. Die anderen Kinder denken so was nicht, glaub mir.“ Jedenfalls nicht Jamie, aber das konnte sie nicht sagen.

Stella zog die Schultern hoch. „Ist mir auch egal.“ Unbeholfen zog sie sich am Bootsrumpf hoch, bis sie stand. Sie schnappte ihre Krücken, ohne Susie anzusehen. „Wer will schon in die blöde Disco gehen?“

Die abwehrende Körperhaltung, der vorwurfsvolle Ton und die Weigerung, ihr in die Augen zu sehen, waren Susie schrecklich vertraut. Sie waren wieder genau da, wo sie zu Beginn der Woche gestanden hatten.

Susie beobachtete traurig, wie Stella langsam durch den Sand hinkte. Die letzten Tage waren wunderbar gewesen. Susie war von einem Zauber erfüllt gewesen, der weit über alle Freude hinausging, die ihre Arbeit sonst für sie bereithielt. Dieser Zauber war nun dank Alex gründlich zerstört worden. Nicht einmal Garfs Kopf auf ihrem Knie konnte sie trösten.

Susie streckte ihre Beine und kraulte Garf unter dem Kinn, als sie sich aufrichtete. Sie sah, dass zwei Jungen an Stella vorbei zum Strand liefen. Sie waren nicht aus dem Camp, aber Susie hatte sie während der letzten zwei Tage im Camp herumhängen sehen und war absolut nicht begeistert von ihnen.

„Hey, Zach, schau mal!“, rief der eine. „Da ist einer von den Krüppeln aus dem Kindercamp.“

„Krüp-pel!“, sang sein Kumpel. „Hüpf weiter! Zurück in den Wald zu all den anderen ekligen Kröten!“ Lachend rannten die Jungs in ihren Designershorts weiter, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, welche Wirkung ihre Worte haben mochten.

Susie ballte die Fäuste. Sie war drauf und dran, den beiden nachzugehen und ihnen deutlich zu sagen, was sie von ihnen hielt, aber aus dem Augenwinkel sah sie eine weitere Gruppe junger Leute herankommen. Dies waren Kinder aus dem Camp, mit Jamie an der Spitze.

Er musste die Jungs gehört haben, und Stella würde wissen, dass Jamie sie gehört hatte, und das machte alles noch schlimmer. Der lange, schlaksige Teenager, braun gebrannt nach vielen Stunden am Strand, nahm Tempo auf. Seine sonnenblonden Haare waren zerzaust und wippten beim Laufen auf und ab. Susie konnte gut verstehen, warum die Mädchen ihn mochten.

Mit einem fröhlichen Bellen und einem entschuldigenden Blick auf Susie ließ Garf sie stehen, um sich ins Getümmel zu stürzen. Sie beobachtete, wie Jamie sich hinunterbeugte, um den Hund zur Begrüßung zu streicheln.

Sollte sie Jamie bitten, ihr zu helfen, Stella wieder aufzumuntern? Konnte sie das tun, ohne dass es auffiel? Durfte sie es überhaupt versuchen? Susie kannte die Antwort bereits, aber fast hätte sie aus lauter Verzweiflung doch mit dem Jungen gesprochen.

Das Klingeln ihres Handys unterbrach ihre Gedanken. Es war Charles.

„Könnten Sie ein paar Minuten erübrigen, um in mein Büro zu kommen?“, fragte er. „Alex möchte Sie sprechen.“

„Ich bin aber überhaupt nicht sicher, ob ich mit ihm sprechen möchte.“ Susie sah noch immer zu Jamie hinüber. Er hatte die fremden Jungen eingeholt und sagte ihnen offensichtlich all die Dinge, die Susie ebenfalls hatte sagen wollen. Sie lächelte in sich hinein. Stella hatte sich den Richtigen ausgesucht.

„Susie!“ Charles Tonfall war gleichermaßen amüsiert, verständnisvoll und tadelnd. Charles würde sie nicht zu diesem Gespräch bitten, wenn er nicht davon überzeugt wäre, dass es denen, die ihm am Herzen lagen, helfen würde.

Wie ihr. Und Stella.

Susie seufzte. „Bin schon unterwegs.“

2. KAPITEL

„Das ist die beste Lösung.“

„Ich bin absolut Ihrer Meinung.“

Susie sah weniger überzeugt aus. „Verstehe ich das richtig“, sagte sie langsam, den Blick immer noch auf Charles geheftet. „Ich soll das Wochenende in der Penthouse-Suite verbringen, die für Stella und Mister Vavunis reserviert worden ist? Und Mister Vavunis wird in meiner Blockhütte wohnen?“

„Nennen Sie mich Alex.“ Er hatte gar nicht bemerkt, was für erstaunlich blaue Augen Stellas Physiotherapeutin hatte; andererseits hatte er ihre äußere Erscheinung am Landungssteg auch kaum wahrgenommen. Oder lag es daran, dass sie sich jetzt in der neutralen Umgebung des klimatisierten medizinischen Zentrums befanden und das intensive Blau des Himmels und des Ozeans nicht länger mit Susies Augen konkurrierten?

Wie auch immer, diese Augen blickten nicht sonderlich beeindruckt, und sie zeigte auch keinerlei Reaktion auf seine Einladung, ihn beim Vornamen zu nennen. Verdammt! Er wusste, dass sein Auftreten beim Eintreffen eher grob gewesen war, aber sie hatte ihn zu sehr herausgefordert. Ganz sicher würde er jetzt nicht durch Reifen springen, um einen Waffenstillstand zu erzielen.

„Die Hütte steht dem Schlaftrakt der Mädchen am nächsten“, entgegnete Charles ruhig. „Es würde Stella erlauben, Zeit mit ihrem Vater zu verbringen und trotzdem bei ihren Freundinnen zu sein.“ Seine Augenbraue hob sich leicht. „Es ist auch die letzte verfügbare Hütte mit zwei Schlafzimmern.“

„Aber was ist mit Mike und Emily?“

Alex unterdrückte ein Seufzen. Er hatte erwartet, dass der Plan, den Charles und er bei einem kühlen Bier geschmiedet hatten, freudig angenommen werden würde. Welche Frau würde eine simple Waldhütte nicht begeistert gegen eine luxuriöse Suite eintauschen? Aber nein. Miss Jackson würde Schwierigkeiten machen. Wie üblich.

Er klopfte mit den Fingern auf die Armlehnen seines Stuhls. „Mike und Emily?“, wiederholte er fragend.

„Mike ist einer unserer Hubschrauberpiloten“, erwiderte Charles. „Außerdem ist er Rettungssanitäter. Emily ist Anästhesistin in unserem Krankenhaus.“

„Meine beste Freundin“, warf Susie ein.

„Und?“ Alex leuchtete nicht ein, was das mit der Angelegenheit zu tun hatte, aber ihm entging nicht, mit welchem Nachdruck Susie gesprochen hatte. Sie schien den Menschen gegenüber, die sie als Freunde betrachtete, von bedingungsloser Loyalität zu sein. Das gefiel ihm.

„Und sie kommen morgen zur Eröffnungsfeier“, fuhr Susie fort. „Sie werden ebenfalls in meiner Hütte übernachten.“

„Alles schon geregelt“, warf Charles ein. „Mach dir keine Sorgen.“

Gleichmäßige, weiße Zähne wurden sichtbar, als Susie auf ihrer Unterlippe kaute. „Aber das Hotel liegt ganz unten am Südende der Insel. Es ist weit vom Kindercamp entfernt.“

„Ganz genau“, sagte Alex zufrieden. Wenn Stella darauf bestand, im Camp zu bleiben, wäre er im Hotel so weit von ihr entfernt, dass er genauso gut auf einem anderen Planeten sein könnte. Vielleicht war er das in den Augen seiner Tochter sowieso schon. Was zum Teufel war hier in diesem Camp passiert?

„Es ist nicht so weit entfernt wie das Festland“, erinnerte Charles Susie. „Und du bist die ganze Woche zwischen Festland und Insel gependelt. Wie wäre es, wenn ich dir ein Golfmobil zur Verfügung stelle?“

Susie grinste ihn an. „Ein Fahrrad tut’s auch.“

Alex atmete erleichtert aus. „Vielen Dank, Miss Jackson. Ich weiß Ihr Entgegenkommen zu schätzen.“

Ihr Mundwinkel zuckte, aber es war kein wirkliches Lächeln, nicht vergleichbar mit dem, das sie Charles geschenkt hatte. Sie schien sich eher über seine Förmlichkeit lustig zu machen.

„Nennen Sie mich Susie.“

„Das werde ich.“ Er könnte sogar noch weitergehen, um dieses neue Einvernehmen zwischen ihnen zu festigen. Er könnte einen neuen Anfang vorschlagen. Alex erhob sich und streckte die Hand aus. „Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Susie.“

Sie folgte seinem Beispiel und stand auf, als sie ihm die Hand reichte, aber sie tat es zögerlich, als wäre diese Formalität unangemessen. Ihre Hand war warm und weich. Ihr Griff war überraschend fest.

Warum lächelte sie immer noch nicht? Blaue Augen musterten ihn misstrauisch. Sie mochte Frieden mit ihm schließen, aber sie schien nicht überzeugt. Er würde sich ihren Respekt verdienen müssen.

Alex Vavunis war nicht daran gewöhnt, dass man ihm misstraute. Ganz im Gegenteil. Die meisten Frauen warteten nicht auf seine Einladung, um ihm näherzukommen. Sie nutzten jedes Mittel, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und hatten es mehr als einmal sogar über seine Tochter versucht. Es sollte ihn freuen, dass hier jemand bereit war, sich Stellas wegen mit ihm anzulegen, aber Susie war nicht die Einzige, die misstrauisch sein konnte.

Was hatte Charles gleich noch gesagt? Dass Susie und Stella letzte Woche ein großartiges Team gewesen wären? Alex musste erst einmal einschätzen können, wie eng die Beziehung zwischen dieser Frau und seiner Tochter wirklich war, und wenn er an den heftigen Streit bei seiner Ankunft dachte, schien es klüger, jede weitere Unstimmigkeit zu vermeiden, bis er klar sah.

Wenn es stimmte, was Charles ihm erzählt hatte, schuldete er dieser Frau eine Menge, und er war kein Mann, der seine Schulden nicht bezahlte, aber er musste zuerst sicher sein, welche Motive sie hatte.

„Kann ich es Ihnen überlassen, Alex zur Hütte zu begleiten, Susie?“, fragte Charles jetzt. „Jill will rüberkommen, um nach Lily zu sehen. Es ist zu spät für den üblichen Fähr- oder Flugverkehr, aber ich habe versprochen, etwas für sie zu organisieren.“

Der schwarze Koffer war bereits ins Hotel geschickt worden.

„Ich lasse ihn zurückschicken“, versprach Susie. „Sowie ich es über mich bringe, mich vom Champagner und Kaviar loszueisen.“

Er lächelte nicht, sondern wandte sich sogar von ihr ab, den Blick auf den Ozean gerichtet, als sie sich auf den Weg zur Blockhütte machten. Hatte der Mann vielleicht keinen Sinn für Humor? Nicht, dass er bei seinem Aussehen auch noch Humor brauchen würde. Die Frauen lagen ihm wahrscheinlich in Scharen zu Füßen, auch ohne den zusätzlichen Anreiz, den sein enormes Vermögen und sein internationaler Ruf als einer der besten pädiatrischen Neurochirurgen der Südhalbkugel boten.

Susie schüttelte leicht den Kopf. Ihr würde das nicht reichen. Sie brauchte Menschen, mit denen sie lachen konnte.

Andererseits … Susie warf einen raschen Blick auf den Mann, der an ihrer Seite ging. Es fiel ihr ein bisschen zu leicht, sich vorzustellen, welche Wirkung Alex auf das weibliche Geschlecht haben musste. Sie verspürte tatsächlich selbst einen seltsamen Schauder, was ihr seit langer Zeit nicht mehr passiert war. Großer Gott … fühlte sie sich etwa zu ihm hingezogen?

Mit einem weitaus stärkeren Kopfschütteln warf sie ihr Haar zurück. Unmöglich. Nicht, nachdem er Stella so unglücklich gemacht hatte. Und ganz besonders nicht, wenn sie daran dachte, mit welch verächtlicher Betonung er sie Miss Jackson genannt hatte. Er war so sicher gewesen, dass sie unverheiratet sein würde, und warum? Weil er ihr Aussehen und ihre Persönlichkeit beurteilt und entschieden hatte, dass niemand an ihr interessiert sein könnte? Zumindest konnte er nicht wissen, wie recht er hatte.

Der leise Klang klassischer Musik kam aus dem Nichts. Erst als Alex stehenblieb, erkannte sie, dass die Töne aus seiner Tasche kamen.

„Entschuldigen Sie mich einen Moment“, sagte er, während er sein Telefon herauszog. Das Telefon, von dem er gesagt hatte, dass er es ausschalten würde.

„Ich gehe besser ran“, fügte er hinzu, nachdem er einen Blick auf das winzige Display geworfen hatte. „Es ist einer meiner Ärzte.“

Susie ging noch zwei Schritte weiter und blieb stehen, ohne sich umzudrehen. Ihr Rücken könnte ein kleiner Protest dagegen sein, dass er seine Aufmerksamkeit noch immer nicht ausschließlich auf Stella konzentrierte.

Ein rasch hervorgesprudelter Schwall medizinscher Fachbegriffe war leicht zu ignorieren, aber als der Ton der Unterhaltung plötzlich wechselte, merkte Susie, dass sie zu lauschen begann.

„Wollen die Eltern wieder mit mir sprechen?“ Stille, während Alex zuhörte. „Bitte sag ihnen, wie leid es mir tut.“

Er hörte sich an, als täte es ihm wirklich leid. Susie gab sich alle Mühe, ihre Meinung über den Mann nicht auf der Stelle zu ändern. Warum hatte er nicht so geklungen, als er mit seiner eigenen Tochter sprach?

Es war schwer, den tiefen Seufzer zu ignorieren, den sie hörte. Eine Stille folgte, die Bände sprach. Aber dann räusperte Alex sich und sprach im normalen Tonfall weiter.

„Kannst du mir ein rasches Update über Melanie geben? Ich werde eine Zeit lang nicht über mein Handy erreichbar sein. Wie sieht das ICP aus?“

Es folgte ein weiterer medizinischer Austausch, eine Verabschiedung und dann ein Piepen, das anzeigte, dass das Telefon tatsächlich ausgeschaltet wurde.

„Tut mir leid“, murmelte Alex. Er schloss zu Susie auf. „Es war ein höllischer Tag in meiner Abteilung. Ich habe heute früh einen vierzehnjährigen Jungen operiert“, erklärte er.

„Er und sein Bruder wurden letzte Nacht von einem betrunkenen Teenager mitgenommen, der die Kontrolle über sein Auto verlor. Der Bruder war sofort tot. Wir haben für Sean getan, was wir konnten, aber in den Morgenstunden wussten wir, dass es keinen Sinn hatte, die lebensverlängernden Maßnahmen aufrechtzuerhalten. Wir hatten mehrere Patienten, die auf Spenderorgane warteten. Als ich hier ankam, sprach ich noch einmal mit den Eltern. Mein Kollege erzählte mir gerade, dass die Eltern beschlossen haben, die Maschinen abschalten zu lassen … und sie haben eingewilligt, Seans Organe zu spenden.“

„Oh …“ Susie wusste nicht, was sie sagen sollte. Wie leichtfertig sie ihn in Gedanken als Wichtigtuer bezeichnet hatte! Der Schmerz in seiner Stimme war nicht zu überhören gewesen, als er den Eltern des Jungen sein Beileid aussprach. Alex sorgte sich um seine Patienten. Wie viel von seinen Gedanken und seinem Herzen war in diesem Moment anderswo? Neben einem Bett auf der Intensivstation, wo eine Familie sich versammelt hatte, um ihren letzten Abschied von einem Kind zu nehmen, das sie niemals hätten verlieren dürfen?

Alex sah sie forschend an. Vielleicht versuchte er, ihre Reaktion auf seine Worte einzuschätzen.

Verstand Susie, warum er so erschüttert gewesen war, als er seine Tochter sah, die sich binnen weniger Tage in einen Teenager verwandelt hatte?

Natürlich verstand sie. Und sie konnte jeden respektieren, der so viel Anteil an seinen Patienten nahm. Aber Stella war seine Tochter. Sein einziges Kind. Zusätzlich zu allem, was ihr Alter ohnehin an Schwierigkeiten mit sich brachte, musste sie auch noch mit einer lebensbedrohlichen Krankheit fertig werden.

Stella war … besonders, und wenn Susie hier Stellung zu beziehen hatte, so würde sie keinesfalls auf Alex’ Seite wechseln. Sie kannte diesen Mann nicht. Vielleicht war er raffiniert und wusste, wie er die Menschen um sich herum manipulieren konnte. Das würde auch erklären, warum er angesichts des Verhaltens seiner Tochter so aus der Haut gefahren war.

Susie versuchte die warmen Gefühle zu dämpfen, die in ihr aufwallten und ihre ablehnende Haltung Alex gegenüber aufzuweichen drohten. Sie wandte ihren Blick ab und schaute auf die hufeisenförmige Bucht, die vor ihnen lag.

„Wer ist Melanie?“, fragte sie schließlich und gab damit sowohl ihrer Neugier nach als auch dem Bedürfnis, ein erneutes beklemmendes Schweigen zwischen ihnen zu verhindern.

„Eine weitere Patientin. Ein Einzelkind. Sie ist zehn Jahre alt und hatte heute Morgen einen chirurgischen Eingriff. Wir haben festgestellt, dass Ihr Gehirntumor inoperabel ist. Wenn wir ihn nicht mit einer Chemotherapie verkleinern können, wird es nicht lange dauern, bis er ihr Stammhirn befällt. Außerdem ist sie in weit schlechterer Verfassung, als ich es mir nach dem Eingriff wünschen würde.“

Zu ihrer Linken kamen die ersten Wohnhütten in Sicht. Sie waren auf kurzen Pfählen errichtet worden, um die Bewohner vor eindringenden Tieren zu schützen, bestanden aus verwittertem Holz, das sich hervorragend in den umgebenden Regenwald einfügte, und wirkten winzig und einladend wie Puppenhäuser. Eine Illusion, die meilenweit von der bitteren Realität entfernt war, von der Alex gerade gesprochen hatte.

Zwei der Hütten wirkten verlassen, die Fenster nicht verglast und ohne schützendes Netz um die Veranda, aber die dritte war eindeutig bewohnt. Ein rot-weißer Liegestuhl stand neben einem kleinen Holztisch. Ein altes Sofa mit leuchtend bunten Kissen beanspruchte den Rest der Fläche, und Tisch und Geländer waren mit Muscheln und Treibholzstückchen dekoriert. Ein Windspiel klingelte leise in der leichten Brise.

Alex blieb stehen, drehte sich langsam, um den Blick auf das Meer in sich aufzunehmen, und wandte sich wieder der Hütte zu. „Atemberaubend!“, rief er. „Es wirkt, als würde sie hier hingehören!“

„Sie gehört Beth“, erzählte Susie. „Sie ist die zuständige Ärztin für das medizinische Zentrum, und sie hat sich in diese Hütte verliebt. Es ist die einzige der ursprünglichen Hütten, die man nach dem Wirbelsturm noch benutzen konnte. Alle anderen sind nur noch Hüllen und werden zum Töpfern benutzt.“

„Sehen Sie?“ Sie deutete auf eine weitere Veranda, die mit unförmigen Tonschalen übersät war.

„Ihre Hütte ist ganz neu“, fuhr sie fort. „Aber es wurde großer Wert darauf gelegt, die gleichen Materialien zu benutzen.“ Sie lächelte Alex an. „Die Moskitonetze werden wahrscheinlich auch eine ganze Ecke mehr Schutz bieten.“

„Ich hatte überhaupt nicht an Moskitos gedacht.“ Alex klang irritiert. „Sind sie ein großes Problem?“

„Alles unter Kontrolle“, erwiderte Susie. „Außerdem werden Sie umweltfreundliches Insektenspray in der Hütte finden.“

„Was ist mit durch Moskitos übertragenen Krankheiten? Wie Dengue-Fieber oder das Ross-River-Virus?“

„Es hat seit Jahren keinen derartigen Fall gegeben.“

„Kein Grund, nachlässig zu werden.“ Alex eilte mit langen Schritten voran. „Ich werde Stella noch einmal darauf hinweisen, wie wichtig es ist, dass sie gut auf sich aufpasst.“

Er war ihr mittlerweile weit voraus, so dass er nicht mitbekam, wie Susie den Kopf schüttelte und resigniert aufseufzte.

Zu Alex’ großer Erleichterung befand sich Stella bereits in der Hütte, zu der Susie ihn schließlich führte. Er konnte ihre Stimme hören, als sie die Stufen zur Veranda hinaufgingen, und ihm schoss der Gedanke durch den Kopf, wie viel schöner es sein würde, hier zu wohnen, als in einer Hotelsuite. Das Netz, das um Hütte und Veranda herum gespannt war, war so fein, dass man es fast nicht sah, und die umgebenden Bäume vermittelten den Eindruck, man säße mitten im Wald.

Weit deutlicher aber war er sich der Stimme seiner Tochter bewusst, die in der Hütte lachte, und er fühlte, wie sich die Anspannung, unter der er den ganzen Tag gestanden hatte, endlich legte.

Wann hatte er sie zuletzt so frei und herzlich lachen hören? Es war so lange her, wahrscheinlich in den Tagen vor ihrer Krebsdiagnose, die über zwei Jahre zurücklag. War dies ein Ergebnis dessen, was hier im Camp mit ihr passiert war? Falls ja, so hatte sich seine Spende für den Wiederaufbau des Camps bereits zehnfach ausgezahlt. Und die Belegschaft musste erfahren, wie dankbar er war.

Alex versuchte, Susies Blick einzufangen, um seiner Wertschätzung Ausdruck zu verleihen, aber sie ging bereits durch die offene Schiebetür ins Innere der Hütte. Ein breites Lächeln erhellte ihr Gesicht.

„Mike! Em! Was macht ihr beiden denn hier!“

„Wir haben nach dir gesucht!“, antwortete eine weibliche Stimme.

Alex trat in einen geräumigen, offenen Wohnraum und sah Susie eine blonde Frau umarmen. Neben ihnen stand ein Mann, der fröhlich zu Stella herüberblickte, die auf einem Rattan-Sofa saß. Stellas Strahlen verblasste sofort, als sie ihren Vater hereinkommen sah, und wich einem angespannten Gesichtsausdruck, der Alex erschreckte und den er sich nicht erklären konnte. Dann blickte sie zur Seite, und er verstand.

Er blitzte den Jungen an, der lässig am anderen Ende von Stellas Sofa stand. Er hatte ein Handtuch über die Schulter geworfen, das seine nackte Brust ebenso wenig verdeckte wie die feuchten Shorts, die an seinen Hüften klebten.

„Tag“, sagte der Junge. „Sie müssen Stars Dad sein.“

„Was? Wer?“

Susie löste sich aus der Umarmung. „Das ist Alex“, sagte sie, an die Gruppe gewandt. „Stellas Vater. Alex, dies sind Mike und Emily, von denen du schon gehört hast.“

„Hi!“ Mike streckte die Hand aus. „Schön, dich kennenzulernen, Alex.“

Emily lächelte freundlich und nickte Alex zu.

Susie strahlte den Jungen an. „Hallo, Jamie! Warst du schwimmen?“

„Es war toll.“

Alex zog seine Hand aus Mikes Griff und hörte auf, Emily zuzulächeln. Mit gerunzelter Stirn schaute er den Jungen an. „Wie hast du meine Tochter eben genannt?“

Jamie wurde rot. Er versuchte, etwas zu sagen, doch seine Stimme brach, und sein Gesicht verfärbte sich noch mehr. Stella sah zu ihrem Vater herüber, während Mike fröhlich einwarf: „Star – Stern. Das ist es doch, was Stella bedeutet.“

„Ja“, antwortete Alex trocken. „Das ist mir wohl bewusst.“

„Mir nicht!“, rief Stella. „Das hast du mir nie gesagt!“

„Mike kommt auch aus Griechenland“, sagte Susie eilig und offensichtlich bemüht, eine weitere Vater-Tochter-Konfrontation zu vermeiden. Dachte sie wirklich, dass Stella und er dauernd streiten würden?

„Mike Poulos“, ergänzte Mike. „Meine Eltern führen das beste griechische Restaurant in ganz Westaustralien. Das Athina. Gleich drüben in Crocodile Creek.“

„Nur einen Steinwurf entfernt“, schaltete Emily sich ein und richtete ihre Augen auf Mike, der sie angrinste. Anscheinend ein kleiner privater Witz zwischen den beiden.

Alex fühlte sich ausgeschlossen. Der Deckenventilator schien nicht merklich zu kühlen, ihm war heiß. Er legte seine Tasche ab, warf seine Jacke über einen Stuhl, krempelte seine Ärmel hoch und gab jeden Versuch, gesellig zu erscheinen, auf.

Alles, was er wollte, war eine Dusche, frische Kleidung und etwas Zeit mit seiner Tochter. Stattdessen fand er seine Hütte von Fremden bevölkert, die sich über ihn lustig machten, seine Tochter trug noch immer dasselbe entsetzliche Outfit und wurde dabei auch noch von einem testosterongesteuerten Teenager angestarrt. Es war unerträglich.

Zu allem Überfluss konnte er Susies Blicken entnehmen, dass sie genau wusste, wie er sich fühlte, und offenbar der Ansicht war, es geschehe ihm recht.

Dann bemerkte er, dass sie sich auf die Lippen biss. Er hatte das zuvor erst einmal bei ihr gesehen, aber er wusste sofort, dass sie gerade zu irgendeinem Entschluss gekommen sein musste.

„Hey“, sagte Susie zu ihren Freunden. „Hat man euch gesagt, dass ihr woanders untergebracht werdet?“

Emily nickte. „Wir sind nur hergekommen, um sicherzugehen, dass Charles alles mit dir abgesprochen hat.“

„Dein Dad bekommt diese Hütte“, erklärte Susie an Stella gewandt. „Wir ziehen ins Hotel. Das Häuschen hier hat zwei Schlafzimmer, du kannst also auch hierbleiben.“ Sie lächelte aufmunternd. „Die Schlafsäle sind ganz in der Nähe, und ich bin sicher, dass das Bett hier viel bequemer ist.“

Stella machte ein rebellisches Gesicht, und Jamie schob sich zur Tür. „Ich gehe jetzt besser“, sagte er. „Sehe dich in der Disco, Stel …“, er grinste. „Ich meine, Star.“

Alex stöhnte innerlich. Der neue Spitzname seiner Tochter klang wie aus einer Hollywood-Klatschkolumne, aber es war die Auseinandersetzung nicht wert. Nicht, wenn Stella ihn so anschaute und eindeutig mit Streit rechnete.

„Darf ich in die Disco gehen, Dad?“

Es war eine Herausforderung. Es war aber auch eine gute Gelegenheit, die Spannung zwischen ihnen zu entschärfen. Schließlich war die Disco nicht das Problem.

„Natürlich“, antwortete er.

Stella war die Überraschung anzusehen. Sie freute sich, aber sie blieb misstrauisch. „Und ich kann meine neuen Sachen anziehen?“

„Aber ich muss ein anderes Oberteil finden!“, stöhnte Emily in gespielter Verzweiflung. „Wir können unmöglich dasselbe tragen.“

„Warum nicht?“ Susies Blick war ebenfalls auf Alex gerichtet, und sie sah ihn genauso herausfordernd an wie vorher seine Tochter. „Es ist wunderschön.“

„Finde ich auch.“ Mike nickte. „Was denkst du, Jamie?“ Aber Jamie grinste nur und verschwand mit einem Winken.

Die gesamte Aufmerksamkeit war nun auf Alex gerichtet. Alle warteten zuversichtlich auf sein Einverständnis – sogar Susie und Stella, die doch wissen mussten, dass es gegen seine Prinzipien war. Er seufzte.

„Vielleicht“, sagte er. „Ich muss darüber nachdenken.“

Es war zu heiß, um Entscheidungen zu treffen, die unangenehme Auswirkungen nach sich ziehen konnten. Er brauchte eine Dusche. Noch ein Bier. Und etwas Ruhe.

„Ich hole meine Sachen“, sagte Susie ins Schweigen hinein. „Warum gehen wir nicht rüber ins Hotel und lassen die beiden für eine Weile allein?“

„Danke.“ Alex deutete mit dem Kopf auf seine Aktentasche. „Ich muss vor der Eröffnungsfeier noch eine Rede schreiben.“

„Vielleicht wollen Sie das heute Abend machen, während Stella in der Disco ist.“

Diese Frau ließ wirklich keine Gelegenheit aus, ihm vorzuschreiben, wie er mit seiner Tochter umzugehen hatte. Erwartete sie wirklich von ihm, dass er in der Hütte blieb und Stella in Unterwäsche herumlaufen und mit Jungs tanzen ließ?

Außer dass sie ja gar nicht tanzen konnte, oder? Alex ging zu seiner Tochter und setzte sich neben sie. Der Hals war ihm plötzlich eng, und er bemühte sich, ein Lächeln hervorzubringen.

Er bekam kaum mit, wie die anderen die Hütte verließen. Die Camp-Disco war für die älteren Kinder und würde nicht vor acht Uhr abends beginnen, wenn es dunkel genug war, um die Lightshow am Strand gebührend zu würdigen. Einer der Ranger war Amateur-DJ. Er besaß sein eigenes Sound- und Lichtsystem und würde, wie die meisten Angestellten hier auf der Insel, seine Talente nur zu gern einsetzen, um den Kindern eine Freude zu machen.

Es gab auch eine ganze Reihe Erwachsener auf der Insel, die sich auf einen Tanzabend freuten, unter ihnen Susie, Emily und Mike, aber als sie an diesem Abend auf ihren Fahrrädern vom Hotel zurück ins Camp fuhren, klingelte zuerst Mikes und dann Susies Handy. Mike beendete seinen Anruf als Erster und sprach mit Emily, als Susie ihr Telefon zuklappte. Emily runzelte die Stirn. „Charles will, dass du um diese Uhrzeit nach Crocodile Creek zurückfliegst? Nur, um Jill abzuholen?“

„Es gibt keine andere Möglichkeit, wie sie vor morgen früh hierherkommen kann. Lily geht es schlecht.“

„Wie schlecht?“, fragte Emily besorgt.

„Charles sagte heute Nachmittag, es sei nur eine Erkältung“, warf Susie ein. „Es kann nichts allzu Ernstes sein.“

„Charles scheint auch nicht übermäßig besorgt“, stimmte Mike zu, „aber anscheinend konnte er Jill nicht davon überzeugen. Er findet, dass Jill überreagiert, aber Beth hat sich eingeschaltet und ist der Meinung, dass jedes Kind seine Mutter braucht, wenn es ihm schlecht geht.“

Emily nickte. „Das leuchtet mir ein. Und wir schulden es Charles.“

„Tun wir das?“

„Natürlich!“ Emily stieß ihren Ehemann an. „Er hat dafür gesorgt, dass wir alles geregelt bekommen haben, falls du dich erinnerst. Und wo ich jetzt daran denke, haben wir damals auch einen Hubschrauberflug gebraucht, und zwar ebenfalls nach Wallaby Island.“ Sie grinste. „Betrachte dich einfach als Charles Wetherbys persönlichen Piloten. Ich kann ohne dich tanzen.“ Das Grinsen richtete sich jetzt an Susie. „Ich habe meine beste Freundin als Tanzpartnerin dabei.“

„Ich fürchte, daraus wird nichts“, sagte Susie entschuldigend. „Jedenfalls für eine Weile. Mein Anruf kam von Miranda Carlisle. Du hast sie gestern Abend getroffen, glaube ich. Sie ist Fachärztin für Atemwegserkrankungen und in Sorge wegen eines Jungen, der einen Virus aufgeschnappt hat. Ich muss rüber ins medizinische Zentrum und schauen, wie ich ihm helfen kann. Ich versuche, zum Strand zu kommen, bevor der Tanz zu Ende ist.“

„Ich auch“, versprach Mike.

Emily zuckte gelassen mit den Schultern. „Kein Problem. Tut, was ihr tun müsst.“

Für einen Freitagabend war das neue medizinische Zentrum auf Wallaby Island erstaunlich bevölkert. Überall waren Leute, und der Flur, den Susie durchqueren musste, um zu den Krankenzimmern zu gelangen, wurde von einer größeren Gruppe versperrt, in deren Mitte Charles’ Rollstuhl stand.

Obwohl deutlich zu erkennen war, dass sie eine vertrauliche Besprechung führen wollten, drang die schrille Stimme von Lauren Allandales Mutter Kirsty an ihr Ohr. Lauren litt an Mukoviszidose. Der hübsche, zerbrechlich wirkende Teenager war erst gestern hier gewesen, um sich eine hässliche Wunde am Kinn nähen zu lassen, aber das schien nicht der Grund für Kirstys momentane Erregung zu sein.

„Wir müssen sie evakuieren, Dr. Wetherby“, sagte sie in dringendem Tonfall, wobei sie immer noch versuchte, ihre Stimme ruhig zu halten. „Um Himmels willen, sie steht auf der Warteliste für eine Lungentransplantation. Jede Art von Atemwegsinfektion könnte … könnte …“ Die Frau wandte sich ab und ließ sich von ihrem Mann in die Arme nehmen. Sie barg ihr Gesicht an seiner Schulter und weinte leise.

Rick Allandale war nicht so überbehütend wie seine Frau, aber die Entschlossenheit, für seine Familie einzustehen, stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben, als er Charles fixierte.

„Sie zeigt kein Zeichen einer Infektion“, sagte Charles.

Kirsty löste sich aus der Umarmung. „Sie ist beinahe kollabiert! Ihre Hände wurden ganz taub!“

„Hyperventilierung.“ Die ruhige Stimme kam von Miranda, der Atemwegsspezialistin, die neben Charles stand. „Es geht ihr wieder absolut gut. Ich vermute, es lag nur an der Aufregung, sich für die Disco zurechtzumachen.“

„Sie kann unmöglich zu dieser Discoveranstaltung gehen“, verkündete Kirsty. „All die Kinder zusammen, während hier ein Grippevirus umgeht.“

Ganz in der Nähe wurde eine Tür geöffnet. Offensichtlich hatte der Gegenstand der Unterhaltung das Gespräch belauscht. Susie konnte nur hoffen, dass sie nicht alles mitbekommen hatte, aber Lauren sah ganz und gar nicht glücklich aus.

„Ich gehe zur Disco“, ließ sie vernehmen. „Ihr könnt mich nicht abhalten.“

Lauren war genauso alt wie Stella, aber ihre einzige Gemeinsamkeit war, dass sie beide eine Schwäche für Jamie hatten. Jetzt konnte man Auflehnung gegen elterliche Anweisungen hinzufügen, dachte Susie mit einem ironischen Lächeln. Vielleicht würden die Mädchen am Ende noch Freundinnen.

„Susie!“ Miranda hatte sie kommen sehen. „Du hast Lauren heute Morgen geholfen, die Atemwege freizumachen. Was denkst du über ihren Zustand?“

„Kein Unterschied zu gestern“, antwortete Susie. Sie lächelte Lauren an. „Ich denke, ihre Technik hat sich diese Woche ebenfalls verbessert. Sie hat sehr gut mitgearbeitet.“

„Dr. Wetherby?“ Eine große Frau mit einer beeindruckenden Kollektion von Goldschmuck trat an Susie vorbei. „Bitte, können Sie noch einmal nach Eddie sehen? Er hat sich übergeben und sagt, dass die Schmerzen in seiner Brust schlimmer werden.“

Der Rollstuhl wurde herumgedreht. „Ist Dr. Stuart bei ihm?“

„Sie hat Tests gemacht. Das Elektroirgendwas.“

„Elektrokardiogramm?“

„Ja. Und sie hat eine Menge Blut abgenommen. Ich glaube, sie ist unterwegs, um die Proben abzuliefern.“

Charles rollte auf Miranda zu. „Sie sind hier die Spezialistin“, sagte er zu ihr. „Wir haben genügend Platz, um Lauren über Nacht in der Klinik zu behalten, und ich bin sicher, dass wir morgen einen Flug nach draußen organisieren können, wenn nötig.“

„Nein!“ Laurens Gesicht verzog sich. „Ihr könnt mich nicht nach Hause schicken. Ich will hierbleiben.“

„Es ist zu gefährlich, mein Schatz“, flehte ihre Mutter. „All diese Viren!“

„Das ist mir egal! Ich war noch nie in einer Disco. Bitte, Mummy! Was, wenn …?“ Laurens Augen weiteten sich theatralisch. „Was, wenn dies die einzige Gelegenheit ist, die ich jemals haben werde?“

„Oh Schatz. Sag so etwas nicht!“ Kirsty nahm ihre Tochter in die Arme. Miranda schloss für eine Sekunde die Augen.

„Wo ist Jack?“, fragte Susie. „Wenn ich mit seiner Therapie fertig bin, kann ich selbst in die Disco gehen und ein Auge auf Lauren haben.“

„Zimmer 4“, antwortete Miranda ruhig. „Ich komme zu dir, sowie wir hier durch sind.“

„Ich sehe besser mal nach Jack“, sagte Susie. „Ihm geht es wirklich schlecht.“

Das schien für die Allandales das Aufbruchssignal zu sein. „Na gut“, seufzte Kirsty. „Wir sprechen draußen über die Disco.“

Jack Havens war zwölf und sehr selbständig. Er war ohne elterliche Begleitung im Camp angereist und verfügte auch über eigene Techniken, seine Atemwege frei zu halten, aber jetzt fühlte er sich elend.

„Mein Kopf tut weh“, erzählte er Susie. „Mir ist so heiß, und alles tut weh.“

„Hört sich ganz nach einer Grippe an, du Ärmster.“ Susie fühlte seine Stirn. „Fällt dir das Atmen schwer?“

Jack nickte trübselig mit dem Kopf. „Dr. Miranda hat gesagt, ich muss heute Nacht hierbleiben. Wegen Medikamenten und Sauerstoff und all dem.“

„Wir kümmern uns um dich“, versprach Susie. „Ich bin hier, um dir zu helfen. Bist du bereit, dich tüchtig durchklopfen zu lassen? Ich werde vorsichtig sein, und vielleicht fühlst du dich danach besser.“

„Okay.“

Susie klopfte ihn so sanft wie möglich ab und bewegte ihre Hände behutsam über die schmale Brust und den dünnen Rücken des Jungen. Langsam und unter Schmerzen hustete er ab, doch es schien nicht viel zu bewirken.

„Versuch zu pusten“, sagte Susie. „Als wolltest du einen Spiegel beschlagen, erinnerst du dich? Manchmal funktioniert das besser als Husten.“

Miranda schaute herein, und die Behandlung wurde unterbrochen, damit sie ihm seine Medikamente geben und ihn untersuchen konnte. Sie vernebelte ein Antibiotikum, und Susie half ihr, Jack in eine bequeme Schlafposition zu bringen.

Als Susie ihre Ausrüstung weggeräumt hatte, war es halb zehn. Sie verließ die Klinik und eilte nach draußen in die warme Dunkelheit. Sie war viel später dran, als sie geplant hatte, aber sie hatte Lust, ein bisschen zu tanzen, und Ben würde nicht vor zehn mit der Musik aufhören. Sie konnte sie jetzt hören, rhythmische Beats, die sogar auf die Entfernung sofort ihre Laune hoben.

Nur, dass sich ein anderes Geräusch dazwischenschob. Unwillig zog sie ihr Handy aus der Tasche und nahm den Anruf entgegen.

„Tut mir leid, Sie zu stören …“ Der Anrufer zögerte. Offenbar hatte er ihre Verstimmung bemerkt. „Charles hat mir Ihre Nummer gegeben. Hier ist Alex Vavunis.“

Susie hatte seine Stimme sofort erkannt. Sie atmete tief ein. „Keine Ursache. Was kann ich für Sie tun, Alex?“

„Es geht um Stella.“

„Was ist passiert?“

„Ich weiß es nicht. Sie … äh … spricht nicht mit mir.“

Susie sah hinunter auf den Strand, wo sie die Lichteffekte blinken sah. „Ist Stella nicht in der Disco?“

„Nein. Sie … äh … hat sich im Badezimmer eingeschlossen.“

Sie mussten sich schon wieder gestritten haben. Wahrscheinlich über die Frage, was Stella zur Disco anziehen würde. Aber das hätte doch bereits seit Stunden geklärt sein müssen. Wie lange saß Stella schon im Badezimmer? Und warum hatte Alex sie angerufen?

„Susie?“ Die Stimme war jetzt weicher. Sie hatte einen Beiklang, den sie nur als verwirrt bezeichnen konnte. „Ich glaube, ich brauche Ihre Hilfe.“

3. KAPITEL

Bei der Geschwindigkeit, mit der sie fuhr, brauchte sie nur kurze Zeit, um die Hütte zu erreichen, aber es reichte, um sich das Schlimmste auszumalen.

Warum war Stella im Badezimmer eingeschlossen? War sie verletzt? Vielleicht sogar bewusstlos? War ihr Vater so damit beschäftigt gewesen, eine Rede zu schreiben, dass er gar nicht bemerkt hatte, wie lange sie schon weg war?

Oder hatte er sich wieder zum allmächtigen Vater aufgeschwungen und seiner Tochter Vorhaltungen über ihr Outfit gemacht? Wenn ja, würde Susie ihm schon deutlich sagen, was sie davon hielt. Sie würde ihm auch zeigen, welche Aufmachung sie selbst für angebracht hielt. Sie hatte das weiche kurze Top bewusst gewählt und trug dazu enge, ausgewaschene Jeans, die er wahrscheinlich noch schrecklicher finden würde als einen Rock. Nicht, dass sie erwartet hatte, Alex in der Disco zu begegnen. Sie hatte vielmehr Stella unterstützen wollen.

Sie war versucht, die Daumen in den Bund ihrer Jeans einzuhaken und ungeduldig mit dem Fuß zu klopfen, während sie darauf wartete, dass Alex ihr die Tür öffnete. Sein Lächeln und seine Begrüßung waren so freundlich, als wäre nichts Ungewöhnliches passiert. Er wirkte so gelassen, verdammt!

„Vielen Dank, dass Sie gekommen sind“, sagte er.

Sie war drauf und dran, ihm vorzuwerfen, dass er streitsüchtig sei und seine Tochter vernachlässigen würde, doch als sie ins Zimmer trat und ihn genauer ansah, erstarben die Worte auf ihren Lippen.

Er war gar nicht so gelassen, wie sie angenommen hatte. Zwar trug er noch sein weißes Hemd, aber die vorher so sorgfältig aufgekrempelten Ärmel hingen nun lose und mit geöffneten Manschetten herab. Ein paar Knöpfe am Hals standen offen, und er war barfuß.

Seine Augen, die sie dunkelbraun in Erinnerung hatte, schimmerten jetzt in tiefem Schwarz. Sein Kiefer war so angespannt, dass die Bartstoppeln deutlich hervortraten, und wie oft war er sich mit den Fingern durch die Haare gefahren, dass sie jetzt dermaßen stachelig hochstanden?

Sie sah einen Vater vor sich, der krank vor Sorge war. Das war das Letzte, was sie erwartet hatte, und plötzlich wusste sie, dass sie diesen Chirurgen falsch beurteilt hatte. Sie könnte jetzt eine wirkliche Verbindung zu ihm herstellen, und sie musste sich beherrschen, um nicht die Hand auszustrecken und ihn zu berühren.

Alex würde das hassen. Er war kein Mensch, der es gewohnt war, um Unterstützung zu bitten, und Susie wusste instinktiv, dass sie keinen Deut von ihrer professionellen Haltung abweichen durfte, wenn sie nicht wollte, dass Alex sie gönnerhaft und herablassend fand.

„Was ist passiert?“, fragte sie sanft. „Wie kann ich helfen?“

„Sie ist ins Badezimmer gegangen, oh …“, Alex warf einen kurzen Blick auf seine Uhr. „Vor zwei Stunden. Ich dachte, sie wäre mit dem Make-up beschäftigt, das Sie ihr besorgt haben.“

Susie öffnete den Mund, eine passende Erwiderung auf den Lippen, doch dann schloss sie ihn wieder und hob ermutigend die Augenbrauen.

„Als sie nach einer halben Stunde noch nicht wieder rausgekommen ist, habe ich an die Tür geklopft und gefragt, ob alles in Ordnung ist.“

„Und?“ Susie wurde kalt bei dem Gedanken, was sie gleich hören würde. „War alles okay?“

„Sie sagte mir, ich sollte …“, ein Ausdruck des Abscheus malte sich auf Alex’ Gesicht, und er fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Susie verstand augenblicklich, warum sie so wirr abstanden. „Sie hat sehr deutlich gemacht, dass meine Anwesenheit nicht erwünscht war.“

„Ist die Tür abgeschlossen?“

„Tut mir leid, aber ich habe alles versucht. Das Fenster ist zu, und ich kann nicht hindurchsehen. Die Tür ist von innen verriegelt, so dass ich nicht hineinkommen kann. Außer die Tür aufzubrechen – und ja, ich habe daran gedacht – konnte ich nichts weiter tun, als zu versuchen, mit ihr zu sprechen.“

„Und sie antwortet nicht?“

„Nein.“

„Glauben Sie, sie hat sich etwas angetan?“

„Nein. Sie hat geweint, aber es klang nicht, als hätte sie körperliche Schmerzen.“

„Haben Sie irgendeine Idee, was sie so aufgeregt haben könnte?“

Alex seufzte tief und hob frustriert die Hände. „Ich habe absolut keine Ahnung. Ich habe ihr gesagt, sie könne anziehen, was sie will.“

Er ließ seinen Blick über Susie wandern, als würde er erst jetzt wahrnehmen, was sie trug. Sie sah ihn schlucken. „Ich hab ihr gesagt, dass ich ihr viel Spaß wünsche. Und dass … dieser Junge ein Idiot wäre, wenn er sie nicht umwerfend finden würde.“

Susie grinste. „Das haben Sie wirklich gesagt?“

„Wirklich.“ Alex lächelte zurück, und sein Gesicht wurde weich. „Sie … ich … Es ist, als wäre ich auf einem fremden Planeten gelandet, Susie. Ich habe ein kleines Mädchen hier ins Camp geschickt, und jetzt komme ich und finde eine junge Frau. Eine junge Frau, die denkt, ich bin plötzlich ihr Feind geworden.“

Susie sah ihn freundlich an. „Ich verstehe Sie, Alex. Machen Sie sich keine Sorgen. Es geht Ihnen nicht anders als allen anderen Teenagereltern.“

Sie wandte sich der geschlossenen Tür am Ende des Wohnzimmers zu. „Gut, ich war ja selbst einmal ein Teenager. Ich werde sehen, was ich tun kann.“

„Sie war so glücklich, als sie hineinging“, sagte Alex besorgt. „Ich verstehe das einfach nicht.“

Susie klopfte an die Tür. „Stella?“

Keine Antwort

„Ich bin’s, Susie“, sprach sie weiter. „Geht es dir gut, Süße?“

Dumme Frage. Kein Wunder, dass sie mit einem gedämpften Schluchzen beantwortet wurde.

„Ich kann dir helfen“, bot Susie an und hoffte sehr, dass das stimmte. „Was auch immer es ist, wir kriegen das wieder hin.“

Das Schweigen hinter der Tür dauerte an, aber Susie hatte den Eindruck, dass Stella ihr zuhörte. „Ich bin allein“, fügte sie hinzu. Sie drehte sich zu Alex um und bedeutete ihm hinauszugehen. Er zögerte nur einen Moment, ehe er kurz nickte und auf die Veranda hinaustrat, die Tür hinter sich zuziehend.

„Ich gehe nirgendwohin, Stella. Du kannst durch die Tür mit mir sprechen, wenn du das möchtest, aber vielleicht wäre es besser, wenn du mich hereinkommen lässt.“

Susie musste sich auf die Lippen beißen, um die darauffolgende Stille so lange auszuhalten, bis Stella sich entschieden hatte. Endlich, als sie schon dachte, dass sie keinen Erfolg haben würde, hörte sie schleifende Geräusche und ein seltsames Rumsen hinter der Tür.

„Was ist los? Hast du dich verletzt?“

„Ich benutze meine Krücke.“ Stellas Stimme war dumpf. Sie hatte so lange geweint, dass sie klang, als wäre sie schwer erkältet. „Um das Schloss aufzumachen.“

Ein weiterer Rums und ein Knall, und dann hörte Susie, dass der Riegel sich bewegte. Sie probierte die Klinke und konnte die Tür öffnen.

„Schließ wieder ab“, verlangte Stella.

„Okay.“ Susie gehorchte, nachdem sie rasch einen prüfenden Blick auf das Mädchen geworfen hatte, das in dem gut ausgestatteten Badezimmer auf dem Fußboden zwischen der Toilette und dem Bidet saß. Sie sah erschöpft und verstört aus, aber nicht verletzt.

Nachdem sie die Tür wieder verriegelt hatte, setzte Susie sich auf den Toilettendeckel und sah Stella in die Augen. „Was ist passiert, mein Herz?“, erkundigte sie sich vorsichtig. „Warum bist du nicht in die Disco gegangen?“

Stella brach erneut in Tränen aus, und Susie streckte automatisch die Hand aus. Und dann lag Stellas Kopf in ihrem Schoß, und sie konnte nichts weiter tun, als das dünne Haar des Mädchens zu streicheln, während Stella unkontrolliert schluchzte.

„Es ist schrecklich“, brachte sie schließlich hervor. „Mein neuer Rock ist ruiniert …“

„Warum denn?“

„Es ist … es ist …“ Stellas Stimme erstarb. „Das Blut!“

Susie stockte das Herz. Stella hatte sich etwas angetan. Dann ging ihr ein Licht auf. Kein Wunder, dass das Mädchen nicht mit Alex hatte sprechen wollen!

„Hast du deine Periode bekommen, Süße?“ Susies Jeans war von Tränen durchweicht, und nun rieb Stella ihre Nase an ihrem Bein, als sie unglücklich nickte.

„Zum ersten Mal?“

„Sie hatten gesagt, wegen der Chemo könnte es noch Jahre dauern. Ich hatte nicht gedacht, dass es im Camp passieren würde. Und ganz bestimmt nicht heute Abend!“

„Nein.“ Susie streichelte sie weiter. „Das ist wirklich blöd. Es tut mir so leid, dass du die Disco verpasst hast.“

„Ich wette, Lauren war da.“

Susie strich ihr ein paar feine Haare aus dem Gesicht. „Du bist die, die Jamie mag“, sagte sie.

„Woher willst du das wissen?“

„Er ist hier gewesen, oder? Um sich zu vergewissern, dass du in die Disco kommst?“

Stella hatte aufgehört zu weinen. Sie hob den Kopf weit genug, um Susie zweifelnd anzuschauen.

„Ich verrate dir jetzt etwas“, fuhr Susie fort. „Jungs geben einem Mädchen nur dann einen Spitznamen, wenn sie es wirklich mögen … Star.“

„Jetzt wird er mich nicht mehr mögen.“

„Er wird enttäuscht sein, dass du heute Abend nicht da warst, aber er wird darüber hinwegkommen.“ Susie lächelte. „Sich rar zu machen, ist gar nicht dumm, und zumindest hat er dich am Nachmittag in deinen neuen Kleidern gesehen.“

Stella setzte sich auf. „Glaubst du, dass er noch mit mir spricht?“

„Geh morgen Vormittag an den Strand. Lächle und warte ab, was passiert.“

„Aber ich kann nicht!“

„Warum nicht?“

„Weil … Du weißt schon.“

Autor

Marion Lennox
Marion wuchs in einer ländlichen Gemeinde in einer Gegend Australiens auf, wo es das ganze Jahr über keine Dürre gibt. Da es auf der abgelegenen Farm kaum Abwechslung gab, war es kein Wunder, dass sie sich die Zeit mit lesen und schreiben vertrieb. Statt ihren Wunschberuf Liebesromanautorin zu ergreifen, entschied...
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Bevor Meredith Webber sich entschloss, Arztromane zu schreiben, war sie als Lehrerin tätig, besaß ein eigenes Geschäft, jobbte im Reisebüro und in einem Schweinezuchtbetrieb, arbeitete auf Baustellen, war Sozialarbeiterin für Behinderte und half beim medizinischen Notdienst.
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Sie fand eine Stelle...
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