Julia Best of Band 268

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SCHLOSSERBE SUCHT FRAU FÜRS LEBEN!
Susan ist entsetzt! Hamish Douglas, neuer Besitzer von Loganaich Castle, will das Schloss an eine Hotelkette verkaufen! Kann Susan das alte Gebäude retten? Der attraktive Börsenmakler scheint auf ihre Vorschläge einzugehen – bis plötzlich seine Verlobte auftaucht!

GESTÄNDNIS UNTER SÜDLICHER SONNE
Wie ein Ritter auf seinem weißen Pferd hat Ramón Jenny aus dem grauen Alltag entführt. Als Köchin auf seiner Luxusjacht segelt sie mit ihm in den Sonnenuntergang, und in seinen Armen fühlt sie sich sicher und geborgen. Aber ist Ramón wirklich der, für den er sich ausgibt?

IM STURM ZÄRTLICHER GEFÜHLE
Ein verheerender Hurrikan bricht über Hideaway Island herein – da entdeckt Mary einen verletzten Mann am Strand. Mit letzter Kraft kann sie ihn in eine Höhle bringen. Gerettet! Aber als der Fremde die Augen aufschlägt, verliert Mary ihr Herz im Sturm der Gefühle …


  • Erscheinungstag 04.08.2023
  • Bandnummer 268
  • ISBN / Artikelnummer 0812230268
  • Seitenanzahl 400

Leseprobe

Marion Lennox

JULIA BEST OF BAND 268

1. KAPITEL

Können Sie uns Auskunft erteilen über Dougal Douglas (oder einen direkten Nachkommen), den Bruder von Lord Angus Douglas, Earl of Loganaich? Dann bitten wir Sie in Ihrem eigenen Interesse, sich umgehend bei den unterzeichneten Anwälten Baird und O’Shannasy, Dolphin Bay, Australien, zu melden.

„Mr. Douglas, Sie sind ein Earl!“

Hamish stöhnte leise auf. Er war um Stunden im Verzug. Die Vertreter von „Harrington Trust“ sollten in einer halben Stunde eintreffen, und seine naseweise Sekretärin auf Probe trieb ihn zum Wahnsinn.

„Kümmern Sie sich bitte nur um die Post, Jodie.“

„Das tue ich ja, und diesen Brief müssen Sie lesen. Darin steht, dass Sie ein Earl sind.“

„Ich lese auch keine E-Mails aus Nigeria, in denen mir Millionengewinne versprochen werden. Das sind Schwindler, die nur Daten über fremde Bankkonten ermitteln wollen.“

„Das mag sein“, gab Jodie widerwillig zu.

Hamish Douglas war wirklich ein Spielverderber, aber sie war ihm deswegen nicht böse. Wer hätte einem Mann wie ihm, der dazu noch ein reizender Chef war, jemals böse sein können?

Jodie Carmody hatte sich glücklich geschätzt, als ihre Vorgängerin Marjorie in Rente ging und sie als Nachfolgerin vorschlug. Sekretärin bei Hamish Douglas, dem dreiunddreißigjährigen Traummann mit ungebändigten schwarzen Locken, dunkelbraunen Augen, aus denen der Schalk blitzte, und einem hollywoodreifen Lächeln …

Wenn er lächelte, was selten geschah. Er zählte zwar zu den jüngsten und erfolgreichsten Börsenmaklern in Manhattan, aber das Leben schien ihm nicht viel Spaß zu machen. Warum lächelte er nicht wenigstens bei der Nachricht, dass er jetzt ein Earl war?

„Dieser Brief fällt wirklich aus der Reihe, Mr. Douglas“, versuchte Jodie es von neuem. „Wenn Sie der sind, den diese Herren meinen, haben Sie ein bedeutendes Anwesen geerbt … So jedenfalls drücken es die Anwälte aus. Vermutlich ist damit ein riesiges Vermögen gemeint.“

„Ich habe nichts geerbt, Jodie. Das Ganze ist ein Schwindel.“

„Was ist ein Schwindel, Hamish? Belästigt Jodie dich mit sinnlosen Briefen?“

O weh! Jodie war gerade aufgestanden, um ihrem Chef den Brief zu bringen, aber bei Marcias Eintritt setzte sie sich schlagartig wieder hin. Marcia Vinel war Hamishs Verlobte und Jodies erklärte Gegnerin. Jodie war mehrfach heimliche Zeugin gewesen, wenn Marcia verlangte, sie fristlos zu entlassen.

„Sie ist nur eine kleine Tippse, Darling“, hatte es da unter anderem geheißen. „Kannst du dir wirklich nichts Besseres leisten?“

„Ich mag sie“, war regelmäßig die Antwort gewesen. „Sie ist intelligent, einfallsreich und zuverlässig … Und sie bringt mich zum Lachen.“

„Das ist eigentlich nicht die Aufgabe einer guten Sekretärin“, hatte Marcia daraufhin erklärt, ohne allerdings etwas zu ändern.

Jodie legte den fraglichen Brief in die Ablage mit der Aufschrift „Unerledigt“. Diese Frau versteht nichts vom Leben, dachte sie dabei. Geld machen ist alles für sie.

„Was ist das für ein Brief?“, fragte Marcia, die Jodie von der Seite beobachtet hatte. Es gefiel ihr gar nicht, dass eine Sekretärin mehr über ihren Verlobten wusste als sie selbst. „Und wieso sprichst du von Schwindel?“

Jodie wusste, wann sie die brave Sekretärin herauskehren musste. Sie setzte ihre Kopfhörer auf und konzentrierte sich wieder auf ihre Computertastatur. Eine Antwort schenkte sie sich.

„Der Brief, Hamish.“ Diesmal wandte sich Marcia direkt an ihren Verlobten.

„Nichts als Unsinn“, antwortete er ungeduldig. „Und Jodie belästigt mich nicht mehr als jeder andere Mensch auch. Meine Güte, Marcia … ich habe zu tun.“

„Ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass sich die Leute von ‚Harrington‘ verspäten“, erwiderte Marcia spitz. „Die Maschine aus London landet erst in zwei Stunden.“

„Ich werde Ihre Termine verschieben.“ Jodie hatte die Kopfhörer abgenommen und erntete einen dankbaren Blick ihres Chefs. „Aber den Brief sollten Sie trotzdem lesen.“

„Wozu, Jodie?“ Hamish runzelte die Stirn. „Wenn darin steht, dass ich einen Adelstitel und ein Vermögen geerbt habe, gehört er in den Bereich der Fantasie.“

„Auch wenn keine Auskünfte über Ihr Bankkonto verlangt werden, Chef? Der Brief kommt von zwei Anwälten und klingt eher altmodisch als kriminell.“

„Zeigen Sie mal her.“ Marcia Vinel streckte gebieterisch die Hand aus. Sie war Anwältin und arbeitete für dieselbe Firma wie Hamish. Sie hat den Verstand und er das Geld, hieß es manchmal, aber Jodie wusste, dass sich Hamish nicht hinter seiner Verlobten zu verstecken brauchte. Er besaß ebenfalls Verstand, was öfter zu Kollisionen zwischen den beiden führte.

Während Marcia las, herrschte Schweigen. Der Brief war auf offiziellem Anwaltpapier gedruckt und wirkte keineswegs wie eine Fälschung. Marcia war offenbar derselben Ansicht, denn sie las den Brief zweimal und ließ ihn dann mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck sinken.

„Hattest du in Australien einen Onkel namens Angus Douglas?“, fragte sie Hamish.

„Nein.“ Er schüttelte den Kopf. „Zumindest glaube ich das.“

„Sie müssen doch Ihre Onkel kennen“, warf Jodie ein. Marcia bestrafte sie dafür mit einem kalten Blick, aber Jodie setzte die Kopfhörer nicht wieder auf.

„Mein Vater kam aus Schottland herüber, als er fast noch ein Kind war“, erzählte Hamish. „Es hatte einen Familienstreit gegeben … worum es dabei ging, weiß ich nicht. Er hat später nie mehr über seine Familie gesprochen und starb, als ich drei Jahre alt war.“

„Hast du denn nie Erkundigungen eingezogen?“, fragte Marcia überrascht. So viel Gleichgültigkeit schien ihr unverständlich zu sein.

„Erkundigungen? Worüber denn?“

„Über den familiären Hintergrund deines Vaters. Über seine Vermögenslage …“

„Dad war nicht reich, das weiß ich genau. Er verließ Schottland kurz nach dem Krieg, als die halbe Welt in Aufruhr und Bewegung war. Später heiratete er meine Mutter, aber sie besaßen fast nichts.“ Hamish zögerte. „Es sei denn …“

„Es sei denn?“, wiederholte Marcia gespannt.

„Im College hatte ich einen Zimmergenossen, der gerade seine historische Examensarbeit schrieb. Er benutzte dazu alte Passagierlisten, auf denen sich auch der Name meines Vaters befand. Demnach verließ er Glasgow im Jahr 1947 auf der ‚Maybelline‘. Ein anderer ‚Douglas‘ stand nicht auf der Liste. Daher nahm ich an, dass er allein war.“

„Vielleicht hatte er ja einen Bruder, der mit ihm auswanderte“, überlegte Marcia laut. „Vielleicht ging dieser Bruder nach Australien. Wie auch immer, Darling … In diesem Brief steht, dass ein Mann namens Angus Douglas, Earl of Loganaich, vor sechs Wochen in Australien gestorben ist. Man sucht jetzt nach Nachkommen von Dougal Douglas, der dein Vater war. Das stimmt doch?“

Hamish schwieg und sah wie geistesabwesend vor sich hin.

„Das stimmt doch?“, wiederholte Marcia. Jodie erkannte an ihrem Gesicht, dass sie angebissen hatte und das ganz große Geld witterte.

„Der Vorname Dougal dürfte nicht allzu häufig sein“, sagte Hamish langsam. „Auf der Passagierliste war ‚Loganaich‘ als Wohnort meines Vaters angegeben. Ich hatte den Namen nie gehört, und auf der Landkarte war er kaum zu finden. Ich träumte immer davon, einmal hinüberzufahren …“

„Und stattdessen hast du gearbeitet.“ Marcia war stolz auf die Karriere ihres Verlobten, der die Harvard Universität mit einer Eins in Wirtschaftsrecht verlassen hatte. Wenig später war eine der renommiertesten New Yorker Maklerfirmen auf ihn aufmerksam geworden und hatte ihm die ganz große Karriere ermöglicht. Mit dreiunddreißig Jahren war Hamish nicht nur gleichberechtigter Teilhaber der Firma, sondern auch mehrfacher Millionär. Für romantische Ausflüge nach Schottland war da keine Zeit gewesen. „Trotzdem könnte an dieser Erbgeschichte etwas dran sein.“

„Unglaublich!“ Jodie ließ sich trotz ihrer Abneigung gegen Marcia von deren Eifer anstecken. „In dem Brief steht, dass sie sich vielleicht in der Person irren, aber alles stimmt genau. Ihr Vater wanderte mit zwei Brüdern 1947 aus Schottland aus. Die beiden älteren Brüder gingen nach Australien, während Ihr Vater hierher kam.“

„Er kann selbst lesen“, fuhr Marcia ihr über den Mund und reichte Hamish den Brief.

„So ein Unsinn …“

„Lies!“, befahl Marcia.

Hamish gab nach, zeigte sich indessen wenig beeindruckt. „Das alles hat gar nichts zu bedeuten“, meinte er, aber aus seiner Stimme klang leichte Unsicherheit. „Nur der Name ‚Loganaich‘ … Vielleicht sollten wir uns doch genauer erkundigen.“

„Ich erkundige mich zuerst nach den beiden Anwälten“, erklärte Marcia. „Jetzt gleich.“

„Das ist nicht nötig …“

„O doch.“ Jodie verdrehte schwärmerisch die Augen. „In dem Brief steht, dass Sie ein Earl sind, Mr. Douglas, und ein Schloss mit allem Drum und Dran geerbt haben. Wäre das nicht fantastisch? Als schottischer Lord müssten Sie einen Kilt tragen …“

„Keiner soll meine Knie zu sehen bekommen“, murmelte Hamish und musste gleich darauf lachen. Wenig später ging ein Telefax ein, das eine wichtige Nachricht brachte.

Schottische Titel und Schlösser mussten warten.

„Anscheinend haben sie ihn gefunden.“

Susan Douglas, geborene McMahon, saß in der Eingangshalle von Loganaich Castle vor dem Kamin und spielte mit ihrer Tochter. Rose Kirsteen Douglas war vierzehn Monate alt. Sie hatte mit Boris, dem Hund ihrer Tante, gespielt, aber inzwischen waren beide müde geworden und hatten sich nebeneinander auf den Teppich gekuschelt, sodass sich die Zwillingsschwestern in Ruhe unterhalten konnten.

„Die Anwälte haben ganz Amerika abgesucht“, erzählte Susan. „Jetzt glauben sie, den neuen Earl gefunden zu haben. Es wird Zeit für mich, an Heimkehr zu denken.“

„Ausgeschlossen“, protestierte Kirsty. „Dies ist doch dein Heim.“

„Es ist mir hier gut gegangen“, gab Susan zu und umfasste die fantasievoll geschmückte Halle mit einem liebevollen Blick. Schon die beiden Rüstungen rechts und links von der Freitreppe waren echte Kuriositäten. Susan unterhielt sich jeden Tag mit ihnen. Guten Morgen, Eric. Guten Morgen, Ernest. „Trotzdem kann ich nicht für immer hierbleiben, denn das Schloss gehört mir nicht. Ich hätte Angus nie verlassen, aber jetzt ist er tot, und damit schließt sich der Kreis.“ Sie lächelte wehmütig. „Eric und Ernest gehören dem neuen Lord Douglas. Für mich ist hier kein Platz mehr.“

„Wie kannst du das sagen?“, ereiferte sich Kirsty, aber insgeheim gab sie ihrer Schwester recht. Der Augenblick, den sie immer gefürchtet hatte, war da.

Susan hatte einen mühsamen Weg hinter sich. Sie hatte bei dem Unfall, der ihren Ehemann Rory das Leben gekostet hatte, schwere seelische und körperliche Schäden erlitten. Kirsty war mit ihr nach Australien gefahren, um sie Rorys Onkel vorzustellen – Lord Angus Douglas, Earl of Loganaich. Der alte, schwer kranke Mann hatte den klangvollen Namen würdig getragen. Er war Susan ein treuer Freund gewesen, und unter seinen Augen hatte sie sich erholt. Sie hatte ihre Tochter zur Welt gebracht und wieder Mut zum Leben gefasst.

Zu einem Leben in der alten Umgebung? Susan war Landschaftsgärtnerin. Sie kam aus New York, und dort lagen auch ihre beruflichen Interessen. Ohne Angus hatte Dolphin Bay ihr kaum noch etwas zu bieten.

Während Susan langsam ins Leben zurückkehrte, hatte Kirsty sich in den einzigen Arzt des kleinen Küstenorts verliebt und ihn geheiratet. Sie bewohnte jetzt mit Jake und seinen beiden Zwillingstöchtern aus erster Ehe ein romantisches, etwas baufälliges Haus am Ortsrand – umgeben von einem großen Garten mit einer Schar gackernder Hühner und dem melancholischen Hund Boris. Ihr Heim war hier. Für sie gehörte New York der Vergangenheit an.

„Ich will nicht, dass du uns verlässt“, sagte sie mit Nachdruck. „Angus hätte das Schloss dir vererben sollen.“

„Das durfte er nicht.“

„Warum nicht?“

„Weil das Geld, mit dem es gebaut wurde, aus Treuhandvermögen stammte. Nachdem das schottische Originalschloss abgebrannt war, wurde ein Neubau beschlossen. Es war eine Laune von Angus, das neue Schloss hier in Australien zu bauen, aber er hätte es nie einem Fremden hinterlassen. Hätte ich einen Sohn geboren, wäre er über Rory der rechtmäßige Erbe gewesen, aber jetzt gehen Schloss und Titel an einen Neffen, den niemand kennt. Er heißt Hamish Douglas und ist Amerikaner.“

Susan sprach das letzte Wort mit so deutlichem Widerwillen aus, dass Kirsty hell auflachte. „Das klingt, als wären alle Amerikaner Ungeheuer“, sagte sie. „Vergiss nicht, dass du selbst Amerikanerin bist.“

Susan seufzte. „Ich fühle mich nicht mehr als Amerikanerin, Kirsty.“ Sie hob ihre Tochter vom Boden auf und drückte sie an sich. „Ich habe jetzt meine eigene kleine Australierin.“

„Halb Amerikanerin, halb Schottin … und nur hier geboren“, korrigierte Kirsty. „Aber du hast recht. Rosie gehört hierher.“

„Gilt das auch für mich?“, fragte Susan und seufzte wieder. „Angus hat mir genug Geld hinterlassen, um mir hier ein kleines Haus zu kaufen und sorglos darin zu leben, aber was ist mit meinem Beruf? Ich muss arbeiten, und in Dolphin Bay besteht wenig Bedarf für Landschaftsgärtnerei.“

„Ich bin auch noch da“, erinnerte Kirsty sie.

Susan nickte. „Ich weiß, und das zählt natürlich am meisten. Trotzdem muss ich wieder anfangen zu arbeiten. Rory ist seit zwei Jahren tot, und meine Verletzungen sind so gut wie geheilt. Es war wunderbar, für Angus zu sorgen, aber ohne ihn kommt mir das Schloss ganz verwaist vor. Vorläufig genügt es mir noch, Schloss und Garten in Ordnung zu halten, aber wenn der neue Earl da ist …“

„Hast du eine Ahnung, wann er kommt?“

„Nein.“ Susan schüttelte den Kopf. „Aber die Anwälte haben ihn aufgespürt und über die Erbschaft unterrichtet. Sei ehrlich, Schatz. Würdest du nicht mit dem erstbesten Flugzeug herüberkommen, wenn du dieses Schloss und dazu einen alten Adelstitel geerbt hättest?“

„Wahrscheinlich“, gab Kirsty zu, obwohl sie wusste, wie viel Kummer mit dem Vermögen und dem Titel verbunden war.

„Sobald er kommt, gibt es hier nichts mehr für mich zu tun“, fuhr Susan fort und strich ihrer halb schlafenden Tochter die Locken aus der Stirn.

„Und wenn er nicht kommt?“, fragte Kirsty hoffnungsvoll. Der Gedanke, ihre Schwester wieder zu verlieren, war ihr unerträglich. „Oder wenn er dich als Verwalterin einsetzt?“

„Nur so? Ohne mit dem Schloss Geld zu machen?“ Das überzeugte Susan nicht. „Sei ehrlich. Was würdest du tun, wenn du Loganaich Castle geerbt hättest?“

„Ich würde es als Hotel verkaufen“, antwortete Kirsty, ohne zu überlegen. Angus hatte das Schloss seiner Ahnen nicht im kühlen, nebligen Schottland, sondern an der Küste von Neusüdwales wieder aufgebaut, wo das Klima warm und angenehm war. Jetzt stand es hier, ein Märchenschloss hoch über dem Meer, und war als Familiensitz kaum noch geeignet. „Dabei empfinde ich es nach wie vor als unser Heim.“

„Ein Heim mit vierzehn Schlafzimmern, sechs Badezimmern, einem Bankettsaal, einem Ballsaal, einem Wintergarten und zwei Bewohnern – Rosie und mir. Selbst wenn du mit Jake und den Zwillingen zu uns ziehen würdest, kämen auf jeden drei Schlafzimmer. Es wäre verrückt, zu bleiben.“

„Susie, Schatz. Du kannst nicht einfach mir nichts, dir nichts nach Amerika zurückfahren.“

„Ich fürchte, ich habe keine Wahl.“

„Bleib wenigstens, bis du den neuen Earl kennengelernt hast“, schlug Kirsty vor. „Vielleicht hat er andere Pläne und will das Schloss gar nicht verkaufen. Vielleicht beauftragt er dich, den Garten neu zu gestalten.“

„Du weißt genauso gut wie ich, dass das Wunschträume sind.“

„Aber du musst hier sein, um diesen Hamish Douglas zu empfangen. Das hätte Angus gewollt.“

„Der gute Angus.“ Susan sah traurig vor sich hin. „Ich vermisse ihn so sehr.“

„Oh, Darling!“ Kirsty rückte dicht neben sie und legte ihr den Arm um die Schultern. „Natürlich vermisst du ihn.“

„Der neue Lord mag vielleicht keine Kürbisse“, fuhr Susan bedrückt fort.

„Das wäre eine unverzeihliche Sünde!“

„In diesem Jahr gewinnt unser Kürbis den ersten Preis. In der Nacht, bevor Angus starb, bin ich heimlich in Ben Boyces Garten geschlichen und habe seinen Kürbis ausgemessen. Verglichen mit Priscilla, ist er nichts. Angus starb in dem Bewusstsein, dass er seinen alten Freund in diesem Jahr schlagen würde.“

„Na also.“ Kirsty betrachtete ihre Schwester voller Stolz. „Der neue Lord braucht nur seinen Kürbis zu nehmen und in Angus’ Rechte einzutreten.“

„Die Anwälte sagen, dass er auf dem Finanzmarkt arbeitet. Kannst du dir einen New Yorker Finanzmann vorstellen, der Sinn für preisgekrönte Kürbisse hat?“ Susan verzog das Gesicht. „Da müssten wir in einer anderen Welt leben.“

„Vielleicht auch nicht.“ Kirsty ließ sich ihren Optimismus nicht nehmen. „Er wird kommen, sich in das Schloss verlieben und sofort eine Verwalterin einstellen, die darüber hinaus noch eine begabte Landschaftsgärtnerin ist. Und wenn wir Glück haben, zählt Kürbisauflauf zu seinen Lieblingsgerichten.“

„Bestimmt verabscheut er Kürbisauflauf“, sagte Susan sehr traurig.

„Warte wenigstens, bis er dir das selber sagt“, bat Kirsty. „Bitte, Susie. Gib ihm eine Chance.“

„Urlaub?“ Hamish sah seine Sekretärin entsetzt an. „Sie scherzen wohl.“

„Durchaus nicht, Mr. Douglas. Ihr Urlaub beginnt nächste Woche … und ich kündige.“

„Sie reden Unsinn.“ Hamish musste dringend zu einem Meeting und hatte für Jodies Scherze nicht den geringsten Sinn.

„Ihr Urlaub beginnt nächste Woche“, wiederholte sie seelenruhig. „Und ich kündige.“

„Das geht nicht“, erklärte Hamish nervös.

„Doch, das geht, denn ich bin nur auf Probe eingestellt. Seit ich vor zwei Jahren nach New York kam, hat mir niemand einen festen Vertrag angeboten.“

„Aber man verschwindet nicht einfach …“

„Natürlich nicht, wenn das Gehalt stimmt“, gab Jodie zu. „Trotzdem herrscht auch in dieser Firma ein ständiges Kommen und Gehen. Die Leute sind gestresst, lassen sich krankschreiben und bleiben schließlich ganz weg. Dann entlässt man sie und wundert sich, dass qualifizierte Mitarbeiter fehlen. Dem will ich zuvorkommen. Warum ist Marjorie wohl so früh in Rente gegangen? Als ich vorhin hörte, was Sie und Ihre Verlobte …“

„Marcia und ich?“

„Jawohl, Marcia und Sie. Der neue Titel schmeichelt ihr. Sie möchte möglichst schnell heiraten, um Lady Douglas zu werden … noch bevor Sie Ihr neues Schloss gesehen haben.“

„Mein neues Schwindelschloss“, verbesserte Hamish.

„Ein Schloss ist ein Schloss“, beharrte Jodie. „Es ist vielleicht nicht sechshundert Jahre alt, aber es existiert. Miss Vinels Vorschlag, es an eine Hotelkette zu verkaufen, ohne es gesehen zu haben, ist absurd. Ich habe mit Nick darüber gesprochen, und er sagt …“

„Nick?“

„Mein Lebensgefährte“, erläuterte Jodie. „Er ist gelernter Zimmermann. Früher hat er mit behinderten Kindern gearbeitet, aber mit der Zeit schlägt das aufs Gemüt. Ich habe schon viel von ihm erzählt, aber Sie hören ja nie zu.“

Hamish sah auf seine Uhr. Er kam jetzt ohnehin zu spät, da lohnte es sich, noch einige Minuten in eigenem Interesse einzusetzen. Jodie war eine unkonventionelle, aber erstklassige Sekretärin, außerdem hasste er es, neue Kräfte einzuarbeiten.

„Sie denken nur an Ihre Arbeit“, fuhr Jodie unbeirrt fort. „Bei meinen Kolleginnen heißt es, Sie hätten Pech in der Liebe gehabt. Das würde erklären, warum Ihre Wahl auf Miss Vinel gefallen ist, aber darüber will ich mir nicht den Kopf zerbrechen. Ich weiß nur, dass Sie sich absichtlich taub stellen. Sie verschenken freiwillig eine einmalige Gelegenheit.“

Hamish seufzte und setzte sich wieder hin. „Was Sie da sagen …“

„… ist unverschämt, ich weiß.“ Jodie lächelte umwerfend. „Aber einer muss es Ihnen schließlich sagen. Nick soll in einer alten Kirche in Neuengland das Chorgestühl erneuern. Auf einen solchen Auftrag wartet er seit Jahren, und natürlich werde ich ihn begleiten. Darum muss ich kündigen, aber vorher wollte ich Ihnen noch etwas Gutes antun. Ein Schloss zu erben und es ungesehen zu verkaufen ist Wahnsinn. Ich habe für die nächsten drei Wochen alle Ihre Termine abgesagt und auf einen späteren Zeitpunkt verlegt. Wenn Sie so klug sind, wie ich glaube, werden Sie die Gelegenheit nutzen.“

„Das kann ich nicht“, stöhnte Hamish.

„Doch, Euer Lordschaft, das können Sie.“

„Jodie …“

„Ja, bitte?“ Jodie strahlte, als wäre sie gekommen, um den Weihnachtsmann zu spielen. „Ich habe bereits Flugplätze nach Sydney gebucht. Dort steht ein Mietwagen für Sie bereit, mit dem Sie direkt nach Dolphin Bay fahren können. Übrigens habe ich den Platz für Miss Vinel nur provisorisch gebucht. Ich nehme an, dass Sie lieber allein fliegen.“

„Marcia würde niemals mitkommen.“

„Eben. Sie arbeiten jetzt seit zehn Jahren in dieser Firma, ohne jemals Urlaub gemacht zu haben. Woher ich das weiß? Fragen Sie mich nicht. Sie sind gelegentlich aus New York herausgekommen, aber nur, um an Fachkonferenzen teilzunehmen, mit einem Schweizer Bankier Ski zu laufen oder mit einem millionenschweren Investor durch die Karibik zu kreuzen. Sie müssen einmal richtig ausspannen, ehe Sie einen so wichtigen Entschluss fassen wie den, Miss Vinel zu heiraten.“

„Ich kann nicht“, wiederholte Hamish, aber es klang nicht mehr ganz so überzeugt.

„Alle fraglichen Geschäftspartner sind verständigt“, erklärte Jodie abschließend. „Sie haben von Ihrem neuen Titel gehört und begrüßen es, dass Sie Ihr Erbe persönlich in Augenschein nehmen wollen. Natürlich erwartet jeder eine Ansichtskarte von dem neuen Schloss. Wozu also drei Wochen untätig in diesem Büro herumsitzen und mich indirekt der Lüge bezichtigen? Sie machen Urlaub … und damit basta!“

2. KAPITEL

„Hör mal, du dummer Regenwurm! Wenn du nicht herauskommst, wirst du mit Beton übergossen.“

Eine Haarsträhne war aus dem Stirnband geschlüpft und hing Susan ins Gesicht. Sie strich sie energisch zurück und fühlte, dass schlammiges Wasser von ihrer Hand tropfte. Na, wunderbar!

In der Erde zu graben, im Schlamm zu wühlen war Susans Lieblingsbeschäftigung. Heute war sie dabei, den Weg von der Küchentür zum Wintergarten aufzugraben. Er sollte mit Beton ausgegossen und dann mit Steinplatten belegt werden.

„Ich bringe dich zum Komposthaufen“, versprach sie dem Regenwurm, der sein Erdloch nicht verlassen wollte. „Dort hast du es gut …“

Eine Hand legte sich von hinten auf ihre Schulter. Da sie Kopfhörer trug, hatte sie niemanden kommen hören und sprang erschrocken auf. Aber der Schreck dauerte nicht lange, denn der Mann, der sich ihr unbemerkt genähert hatte, machte einen zivilen Eindruck.

Einen äußerst zivilen Eindruck. Er sah aus, als käme er geradewegs von seiner Luxusjacht. Er trug eine helle Khakihose mit weißem Polohemd, auf dem vorn ein diskretes Logo eingestickt war. Susan konnte es nicht erkennen, hätte aber geschworen, dass es auf einen exklusiven Golfklub hinwies. Eine Jacke aus rehfarbenem Handschuhleder, die lässig über einer Schulter hing, und Wildlederschuhe in der gleichen Farbe vollendeten das Outfit.

Wildlederschuhe … hier im aufgeweichten Garten!

Nicht nur die Kleidung lag weit über dem Durchschnitt, sondern auch der Mann selbst. Er war groß, auffallend schlank und durchtrainiert, mit tiefschwarzem Haar, dunklen Augen und einem umwerfenden Lächeln.

„Sind Sie die Gärtnerin?“

Der neue Earl! durchfuhr es Susan. Fast hätte sie den Spaten genommen und damit salutiert.

„Ja, ich bin die Gärtnerin“, antwortete sie, „und alles andere auch. Haushälterin, Verwalterin, Burgfräulein, Schlossgespenst … alles, was Sie wollen. Was kann ich für Sie tun?“

Der Mann antwortete nicht, denn er hatte etwas entdeckt, das ihn ablenkte – eine riesige orangerote Frucht von etwa zwei Metern Durchmesser.

„Was ist das?“, fragte er neugierig.

Susan strahlte. „Ein Kürbis. Er heißt Priscilla. Ist er nicht toll?“

„Kaum zu glauben …“

„Das sollten Sie aber glauben. Er gehört zur Sorte ‚Dills Atlantic Giant‘. Sonst haben wir ‚Queensland Blues‘ angebaut, aber in diesem Jahr wollten wir ganz sichergehen. ‚Dills Atlantic Giants‘ werden am größten … ein Tipp aus dem Internet. Leider schmecken sie nicht besonders, aber als Viehfutter lassen sie sich gut verwenden.“

„Da bin ich aber froh.“ Der Mann zeigte in Richtung des Schlosses. „Ist sonst noch jemand da?“

„Außer mir und Rose niemand.“

„Rose?“

„Meine Tochter. Und Sie sind …“

„Hamish Douglas. Ich bin auf der Suche nach einer Susan Douglas, geborener McMahon.“

„Oh.“ Es war wirklich der neue Earl, aber er sah nicht so aus, wie Susan erwartet hatte. Sie hatte geglaubt, er würde sie an Rory oder Kenneth erinnern, aber er war größer, schlanker und feingliedriger – einfach eleganter als die andern Männer der Familie Douglas.

„Ich bin Susan Douglas.“ Sie ging mit ausgestreckter Hand auf ihn zu und ließ dabei ein leichtes Hinken erkennen. Das eine Bein war immer noch etwas steif, aber gemessen an dem, was sie nach dem Unfall ausgestanden hatte, fühlte sie sich wieder kerngesund. „Guten Tag.“

Sie hatte die Hand vorher an ihrem Overall abgewischt, aber Hamish Douglas ergriff sie trotzdem nur zögernd. „Guten Tag.“

„Die Hand ist fast sauber“, bemerkte Susan mit leisem Vorwurf. „Es ist höchstens etwas Erde daran … gute, saubere Erde. Ich war gerade dabei, Regenwürmer auf den Komposthaufen umzusiedeln, damit sie nicht im Beton ersticken. Wir brauchen sie noch, damit Priscilla weiterwachsen kann. Der Weg, den ich ausbessere, führt übrigens zum Wintergarten. Möchten Sie ihn sehen?“

„Warum nicht?“

„Schließlich haben Sie den ganzen Kram hier geerbt, und der Wintergarten gehört dazu. Er war ziemlich baufällig, als ich ankam, aber ich habe viel Arbeit hineingesteckt, und jetzt gleicht er fast einer Orangerie, wie man sie in englischen Landhäusern findet.“

„Sie sind Amerikanerin, nicht wahr? Dabei erwecken Sie den Eindruck …“

„Als wäre ich die Beschließerin … ich weiß. Warten Sie einen Moment. Ich muss etwas nachsehen.“

Sie ging zum nächsten Fenster und stellte sich auf Zehenspitzen, um hineinsehen zu können. „Alles in Ordnung. Sie schläft noch.“

„Wer schläft noch?“

„Meine Tochter.“ Susan zeigte auf die Kopfhörer, die jetzt im Schlamm lagen. „Ich habe bei der Arbeit nicht etwa Musik gehört. Rosies Atemzüge zu verfolgen ist weitaus beruhigender.“ Sie schlug die Richtung zum Wintergarten ein. „Beschließerinnen nannte man früher die treuen Seelen, die nach dem Tod ihres Herrn weiter das Haus hüteten“, sagte sie dabei über die Schulter.

„Und wer war Ihr Herr?“

„Zuletzt Ihr Onkel Angus und davor Ihr Vetter Rory. Er war Australier schottischer Herkunft, aber wir lernten uns in den Vereinigten Staaten kennen.“

„Ich weiß nichts über meine Onkel und Vettern.“ Trotz Susans leichter Behinderung hatte Hamish Mühe, mit ihr Schritt zu halten.

„Und über die Familie im Allgemeinen?“

„Genauso wenig. Ich habe erst durch die Anwälte von meiner Familie erfahren.“

„Von Ihrer Familie und von Ihrem neuen Titel.“ Susan lachte leise vor sich hin. „Ganz wie im Märchen. Sie müssten aus einer ärmlichen Dachwohnung kommen, aber ein New Yorker Börsenmakler kann sich bestimmt eine bessere Bleibe leisten.“

„Wenn Sie unter Dachwohnung auch ein Penthouse verstehen, haben Sie sogar recht“, meinte Hamish. Sie hatten den Wintergarten erreicht, und Susan öffnete die Doppeltür. „Donnerwetter!“

Der Wintergarten nahm eine Fläche von drei bis vier großen Wohnzimmern ein und war fast zehn Meter hoch. Er wirkte wie eine grüne, lichtdurchflutete Kathedrale und machte entschieden Eindruck auf den neuen Besitzer.

„Die tragenden Balken stammen aus der St. Mary’s Cathedral südlich von Sydney“, erklärte Susan. „Sie brannte kurz nach Kriegsende ab, und Angus konnte der Versuchung nicht widerstehen, die beim Brand schwarz gewordenen Balken hier neu zu verwenden. Während der letzten Jahre ließ er alles ein bisschen verfallen, aber ich habe es zu neuem Leben erweckt. Es ist mein Lieblingsort.“

Das hört man an ihrer Stimme, dachte Hamish. Und sie gleicht keiner Beschließerin, wie sie in Märchen oder romantischen Geschichten vorkommen.

Susan trug einen Overall, wie immer, wenn sie im Garten arbeitete. Sie war klein und zierlich und hatte ein fröhliches, offenes Gesicht. Die braunen Augen hatten einen kindlich fragenden Ausdruck, und die kastanienbraunen Locken ließen sich weder durch das Stirnband noch durch den Pferdeschwanz bändigen.

Bei aller Naivität verriet das Gesicht mehr Lebenserfahrung als bei anderen Frauen ihres Alters. Susan Douglas hatte Schweres erlebt und war dadurch geprägt worden, ohne ihr heiteres Wesen zu verlieren. Ihr Mann Rory war bei einem Autounfall ums Leben gekommen, und sie selbst litt immer noch an den Folgen, wie ihr leichtes Hinken verriet. So viel hatte Hamish von den Anwälten erfahren.

„Wissen Sie wirklich gar nichts über Ihre Familie?“, fragte Susan, als hätte sie seine Gedanken erraten.

„Nur sehr wenig“, gestand er. „Angus war der letzte Earl und starb kinderlos. Rory und Kenneth, die Söhne seines jüngeren Bruders David, leben beide nicht mehr. Daher kam der jüngste Bruder Dougal an die Reihe, dessen Sohn ich bin. Stimmt es so weit?“

„Ziemlich genau“, antwortete Susan. Sie griff nach einer halb reifen Zwergorange und betrachtete sie liebevoll. Es gab Hunderte von diesen Orangen, wie Hamish feststellte. Der Wintergarten glich einem botanischen Wunder. „Das Stammschloss der Douglas’ wurde gegen Kriegsende von einer Brandbombe getroffen und brannte bis auf die Grundmauern aus. Es war hässlich und düster gewesen, und niemand trauerte ihm nach. Die drei Brüder wanderten gleichzeitig aus, zwei gingen nach Australien, und einer blieb in Amerika. Das muss Ihr Vater gewesen sein. Es war eine Laune von Angus, das Schloss nicht drüben in Schottland, sondern hier an der australischen Küste wieder aufzubauen. Damit gab er den Bewohnern von Dolphin Bay Arbeit, und sie dankten es ihm bis zum letzten Tag.“

„Man hat mir erzählt, dass Kenneth für den Tod seines Bruders verantwortlich gewesen sei“, fuhr Hamish fort, denn früher oder später musste dieser Punkt zur Sprache kommen.

Susan griff nach einem andern, von Früchten beschwerten Ast und ließ ihn sanft hin und her schwingen. „Es gab viel Hass in der Familie. David und Dougal hassten Angus, weil er der alleinige Erbe war. Kenneth hasste Rory aus demselben Grund und trieb ihn dadurch nach Amerika, wo er mich kennenlernte. Trotzdem blieb Rory der Erbe … Grund genug für Kenneth, ihn umzubringen. Als er später merkte, dass er dadurch nichts erreicht hatte, nahm er sich selbst das Leben.“

„Und so kam ich ins Spiel“, sagte Hamish, der an Susans Stimme hörte, wie schmerzlich die Erinnerungen für sie waren.

„Und so kamen Sie ins Spiel“, bestätigte sie mit einem tiefen Atemzug und drehte sich zu ihm um. „Willkommen auf Loganaich Castle, Mylord. Ich hoffe, Sie werden Angus’ Erbe würdig verwalten. Möge der Hass für immer begraben sein.“

„Ich hoffe, dass Sie mir dabei helfen.“

„Ich fahre nach Hause“, erwiderte Susan. „Dies alles geht mich jetzt nichts mehr an. Es ist Ihr Erbe. Rory und Angus haben mir genug hinterlassen, damit ich angenehm leben kann. Der Rest ist Ihre Sache.“

„Wir wollen trotzdem nichts überstürzen, Mrs Douglas. Ich suche mir im Ort eine Unterkunft. Morgen früh komme ich wieder, dann können wir in Ruhe über alles sprechen.“

„Sie wollen nicht im Schloss übernachten?“, fragte Susan erstaunt.

„Noch wohnen Sie hier. Ich habe nicht die Absicht, Sie vor die Tür zu setzen.“

„Wir verfügen über vierzehn Schlafzimmer, Euer Lordschaft.“

Hamish zögerte. „Haben Sie keine Angst, ich könnte wie Kenneth sein?“

Susan sah ihn mit einem schalkhaften Lächeln an. „Sie sind nicht wie Kenneth … schließlich habe ich Augen im Kopf. Hass hinterlässt Spuren im Gesicht.“

„Es widerstrebt mir, als alleiniger Erbe …“

„Wie ich bereits sagte, Rory und Angus haben mich sichergestellt.“ Leichter Unwillen klang aus Susans Stimme. „Niemand schuldet mir etwas, und es kümmert mich nicht, ob Erbgesetze gerecht oder ungerecht sind. Für Geld zu töten …“

„Wenn Sie statt Ihrer Tochter einen Sohn hätten, wäre er der Erbe“, erinnerte Hamish sie. „Das ist ungerecht.“

„Glauben Sie wirklich, dass mir das etwas ausmacht?“

„Nein.“

„Danke für Ihre gute Meinung. Sie brauchen sich also nicht die geringsten Sorgen zu machen. Die Erbfolge ist auf die männliche Linie beschränkt. Es wäre sinnlos, Sie nachts zu erstechen oder Ihnen Arsen in die Hafergrütze zu tun.“

„In die Marmelade“, verbesserte Hamish. „Ich esse morgens Toast, keine Hafergrütze.“

Was für eine Unterhaltung, dachte Susan belustigt. Als ob wir Kinder wären, aber muss man immer erwachsen sein?

„Sie essen keine Hafergrütze?“, fragte sie gespielt entrüstet. „Was für ein Lord sind Sie eigentlich?“

„Gar keiner“, erklärte Hamish entschieden.

„O doch, Sie sind einer.“ Susan wunderte sich, wie schnell sie die Scheu vor dem neuen Schlossherrn verlor. „Das erkennt man trotz Ihrer Luxusgarderobe.“

Susans leichter Spott bestärkte Hamish in seinem ursprünglichen Plan. „Ich übernachte im Ort und komme morgen früh wieder“, sagte er noch einmal. „Dann können wir alles Nötige besprechen.“

„Es gibt kaum etwas zu besprechen“, sagte Susan, „und zum Übernachten kommt nur das Schloss infrage. Im ‚Black Stump‘ findet heute das Darts-Turnier statt, da würden Sie vor drei Uhr früh kein Auge zutun. Wenn jemand das Feld räumt, müsste ich es sein. Schließlich gehört das Schloss Ihnen.“

„Aber Sie bleiben doch?“, fragte Hamish hoffnungsvoll. „Wer soll mir sonst alles erklären?“

„Haben Sie denn schon Pläne für das Schloss?“

„Ich werde es verkaufen.“

„Dürfen Sie das?“

Hamish nickte. „Wenn ich das Geld treuhänderisch festlege, ja. Ich habe mich erkundigt.“ In Wirklichkeit hatte Marcia das für ihn getan.

„Dann können Sie auf meine Hilfe verzichten“, entschied Susan. Es kränkte sie, wie kühl und unbeteiligt Hamish den Verkauf ins Auge fasste. „Ich bleibe noch bis morgen früh, dann ziehe ich zu meiner Schwester und plane von dort meine Rückreise.“

„Das ist wirklich nicht nötig, Mrs Douglas …“

„Doch, das ist nötig.“ Ein verzweifelter Ausdruck lag in Susans Stimme.

„Und warum?“

„Weil ich mich sonst nur wieder verliebe“, platzte sie heraus. „Ich liebte Rory so sehr, dass mir sein Tod fast das Herz brach. Später liebte ich Angus, und jetzt liebe ich dieses alberne Schloss, das nicht einmal mir gehört. Ich liebe Eric und Ernest, die beiden lebensgroßen Rüstungen in der Halle, die immer zu einem Schwätzchen aufgelegt sind. Ich liebe diesen künstlichen Orangenhain, in dem man die Welt vergisst, und ich liebe den Garten, in dem man Blumen, Riesenkürbisse und anderes Gemüse ziehen kann, seit ich das Kompostsystem gründlich umgestellt habe. Ich muss endlich aufhören, mich zu verlieben, und zu meiner Landschaftsgärtnerei zurückkehren.“ Sie holte tief Luft. „Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen … ich muss weiter an meinem Weg arbeiten. Bringen Sie getrost Ihr Gepäck herein. Das ganze erste Stockwerk steht Ihnen zur Verfügung. Rose und ich schlafen unten. Gegessen wird um sieben Uhr … es ist genug da. Wir treffen uns in der Küche.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, verließ Susan den Wintergarten. Sie ging sehr aufrecht, scheinbar entschieden, aber Hamish ließ sich nicht täuschen. Er hatte die Tränen in ihren Augen bemerkt, die ebenso von Zorn wie von Kummer herrühren konnten.

Was auch der Grund sein mochte … Hamish nahm sich vor, seine „Beschließerin“ nicht so bald herzugeben.

Das Schloss machte Eindruck auf Hamish. Während Susan weiter an ihrem Weg arbeitete, nahm er sein Erbe genauer in Augenschein und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Loganaich Castle II war eine fabelhafte Mischung aus Erhabenheit und Kitsch. Der alte Earl hatte beim Wiederaufbau keine Kosten gespart, als sollte das neue Schloss abermals fünfhundert Jahre überdauern. Nur der Inneneinrichtung fehlte jede Spur von Erhabenheit. Hamishs Tante Molly hätte ihre Freude daran gehabt, und er dachte immer wieder an sie, während er die scheußlichen Plastiklüster in den Korridoren, die künstlichen Grünpflanzen und die billigen Goldtische und Goldstühle im Stil Ludwigs XIV. betrachtete. Bis hin zu den geschwungenen Sofas auf vergoldeten Krokodilbeinen war alles von unüberbietbarer Hässlichkeit.

In einem Badezimmer sah er sich plötzlich Queen Victoria gegenüber, die missbilligend aus einem üppigen Goldrahmen auf ihn hinunterblickte. Laut lachend zog er sich zurück, ohne seinen ursprünglichen Vorsatz ausgeführt zu haben. In so königlicher Gesellschaft wäre ihm das unmöglich gewesen.

Im nächsten Badezimmer hing ein Lüster von der Decke herab, der so groß war, dass man die Tür gerade noch öffnen und schließen konnte. Hier regierte Heinrich der Achte, vor dem sich Hamish weniger genierte.

Dann ging es an die Auswahl des Schlafzimmers. Die Entscheidung fiel ihm nicht leicht, aber am Ende wählte er das Zimmer mit dem kitschigsten Himmelbett und dem schönsten Blick, der den Garten und das dahinterliegende Meer einschloss.

Er holte sein Gepäck herauf, hängte Anzüge und Hemden sorgfältig in den Schrank, stellte die Schuhe in einer Reihe auf und legte Strümpfe und Unterwäsche in die Kommode. Die erste Woche würde er damit auskommen, danach musste er eine Wäscherei ausfindig machen.

Nachdem alles ordentlich verstaut war, trat er ans Fenster und sah in den Garten hinunter. Susan arbeitete nach wie vor mit ungebremster Energie. Ab und zu fuhr sie sich mit dem Ärmel über das Gesicht, als könnte sie nicht aufhören zu weinen.

Sollte er doch lieber im „Black Stump“ übernachten – trotz des Darts-Turniers? Nein, das hätte wie Flucht ausgesehen. Er war jetzt Lord Hamish Douglas, und dieses Schloss mit dem herrlichen Blick und dem großen Garten gehörte ihm. Es hatte keinen Zweck, davonzulaufen.

Susan weinte, und seine Mutter hätte auch geweint. Tränen, immer wieder Tränen. Hamish konnte sie nicht ausstehen. Als er drei Jahre alt war, hatte sein Vater Selbstmord begangen. Das war seine früheste Kindheitserinnerung. Zu viele Frauen, zu viele Tränen, endloses Schluchzen …

Das hatte niemals aufgehört. Seine Mutter hatte ihrem toten Mann nachgetrauert, ohne Rücksicht auf den Sohn. Sie trauerte heute noch, und so würde es bis an ihr Lebensende bleiben.

Wasch deine Knie, Hamish. Dein Vater könnte es nicht ertragen, dich mit schmutzigen Knien zu sehen. Oh, warum kann er nicht mehr bei uns sein?

Tränen.

Mach deine Schularbeiten, Hamish. Wenn ich mir vorstelle, du würdest bei der Prüfung durchfallen …

Tränen.

Oh, Darling, wie stolz dein Vater jetzt auf dich wäre!

Tränen. Fluten von Tränen. Von seiner Mutter, seinen Tanten und ihren Freundinnen. Er war fast darin ertrunken, ehe er sich gewaltsam befreit und sein eigenes Leben begonnen hatte. In New York, weit weg von Kalifornien. Weit weg von den Tränen.

Hamish hasste nicht nur Tränen, sondern auch jede Art von Gefühlsausbrüchen. Darum war er Finanzmann geworden. An der Börse ging es um Fakten und nicht um Gefühle. Darum hatte er sich mit Marcia Vinel verlobt. Marcia war nüchtern, sachlich und kühl. Er hatte sie niemals weinen sehen. Das war seine Welt.

Vielleicht hätte er doch nicht herkommen sollen. Dieser Titel war doch nur ein Witz. Er würde ihn niemals tragen, und beruflich konnte er ihn nicht verwerten. Marcia dachte anders. Sie hatte nichts dagegen, eine „Lady“ zu sein. Bitte, von ihm aus …

Hamish zog sein Handy aus der Tasche und wählte ihre Nummer. Es war jetzt vier Uhr nachmittags, bei Marcia also genau Mitternacht. Sie würde im Bett liegen, aber noch lesen. Sie las vor dem Einschlafen mit Vorliebe schwierige juristische Schriftsätze, wie andere Kriminalromane lasen.

Marcia meldete sich schon nach dem ersten Klingeln. „Hamish? Nett, dass du gleich anrufst. Du bist also schon da. Muss ich dich jetzt Lord Douglas nennen?“

„Spar dir das, Marcia“, antwortete er gereizt, und Marcia reagierte sofort. Darin war sie Meisterin. Sie zwang ihn nie, seine persönlichen Stimmungen zu erklären.

„Entschuldige, Darling. Wie war der Flug?“

„Danke, angenehm.“

Eine kurze Pause folgte. Marcia wartete darauf, dass Hamish etwas sagen würde, aber er stand immer noch am Fenster und beobachtete Susan, die in der Erde wühlte, als ginge es um ihr Leben.

„Wie ist das Schloss?“, fragte Marcia schließlich, ohne irgendwie gekränkt zu wirken.

„Verrückt. In einem Badezimmer hängt ein Ölporträt von Queen Victoria.“

„Der Queen Victoria?“

„Keine Sorge, ich zeige mich nur Heinrich dem Achten.“

„Wovon redest du, Darling?“

„Von den Porträts in den Badezimmern. Das ganze Schloss ist eine Ansammlung von Kitsch.“

„Warum nimmst du die Bilder nicht herunter?“

Das würde er tun, es war das einzig Vernünftige. Er würde die Bilder an Tante Molly schicken – sobald Susan abgereist war.

„Wurdest du von jemandem erwartet?“, fragte Marcia weiter.

„Von Susan, Rory Douglas’ Witwe. Die Anwälte haben uns über Rory geschrieben.“

„Ich erinnere mich.“ Hamish konnte hören, wie Marcia in Papieren blätterte. „Ja, hier ist der Brief. Er wurde von seinem Bruder ermordet, darum bist du jetzt der Erbe. Wie ist sie?“

„Sehr gefühlsbetont.“

„Also eine weinende Witwe. Armer Hamish, wie unangenehm für dich. Wird sie Schwierigkeiten machen?“

Hamish runzelte die Stirn. „Schwierigkeiten? Wie meinst du das?“

„Wohnt sie schon länger dort? Hat sie vielleicht lebenslanges Wohnrecht? Das würde den Verkauf erschweren.“

„Sie wollte schon heute Abend ausziehen.“

„Umso besser!“

„Das habe ich aber nicht zugelassen.“

„Nein, natürlich nicht.“ Marcia verbot sich jede Kritik. „Musst du sie entschädigen oder irgendwie finanziell abfinden? Woher kommt sie überhaupt?“

„Aus New York, und dahin geht sie auch zurück.“

„Sehr vernünftig“, lobte Marcia. „Eine Frau mit eigenen Plänen. Und was ist mit dir? Wie lange wirst du brauchen, um das Objekt auf den Markt zu bringen?“

„Ich schreibe morgen mit Ölfarbe ‚Zu verkaufen‘ ans Tor.“

„Bleib ernst, Darling … es steckt viel Geld darin. Wenn die Einrichtung wirklich so kitschig ist, solltest du alles leer räumen, damit mögliche Interessenten keinen falschen Eindruck bekommen. Glaubst du, dass sich ein Hotel daraus machen lässt?“

„Ja.“ In dem Punkt war sich Hamish sicher.

„Ausgezeichnet, da gibt es spezielle Makler. Ich werde dir die wichtigsten Namen besorgen.“

„Danke, Marcia, das wäre am besten.“

Wirklich am besten? Natürlich, und außerdem am vernünftigsten. Marcias Vorschläge waren immer vernünftig.

Er würde Queen Victoria an Tante Molly schicken.

Susan arbeitete immer noch im Garten.

„Es gibt Steaks mit Pommes frites und grünem Salat.“

Hamish hatte die Küchentür erst halb geöffnet, als Susan ihm schon das Menü ankündigte. Doch zunächst galt seine ganze Aufmerksamkeit der Küche selbst, deren Ausmaße an eine Kasernenküche erinnerten. Die Decke wurde von schweren dunklen Balken getragen, der Fußboden war kostspielig mit Fliesen belegt, der Gasherd entsprach modernsten Anforderungen und wurde durch einen altmodischen Kohleherd ergänzt.

„Wie möchten Sie Ihr Steak?“, fragte Susan.

„Halb durchgebraten“, antwortete Hamish und lächelte.

Susan sah ihn unsicher an. „Wirklich halb durchgebraten?“

„Ja, wirklich. Ist das ein Problem?“

„Möglicherweise“, gab sie zögernd zu. „Es kommt darauf an.“

„Worauf?“

„Ob ich den richtigen Augenblick abpasse. Eigentlich sollte es heute gebackene Bohnen aus der Dose und Toast geben. Da kann man wenig falsch machen.“

„Man kann die Bohnen anbrennen lassen“, gab Hamish zu bedenken.

„Bitte ärgern Sie mich nicht“, bat Susan. „Das tut Kirsty schon genug.“

„Kirsty?“

„Meine Schwester. Sie und ihr Ehemann Jake sind die Ärzte im Ort. Kirsty war der Meinung, ich müsste den neuen Lord am ersten Abend gut bewirten. Sie war vor wenigen Minuten da, um Steaks vorbeizubringen. Sie hätte Sie natürlich gern begrüßt, aber die Sprechstunde war wichtiger. Dafür hat sie Boris dagelassen.“

Boris war ein Hund von undefinierbarer Rasse. Er war mittelgroß, eher mager als dünn und hatte Schlappohren, die wunderbar zu den traurigen Augen passten. Im Moment lag er unter einem Babystuhl, auf dem ein kleines Mädchen saß und einen Zwieback hin und her schwenkte. Diesem Zwieback galt Boris’ ganze Aufmerksamkeit. Für Hamish interessierte er sich nicht.

„Ein tüchtiger Wachhund“, lobte Hamish. „Wenn ich nun ein Einbrecher wäre?“

„Dann würde ihm bestimmt etwas einfallen.“ Susan stellte eine Pfanne auf den Herd und sah misstrauisch auf die Steaks. „Er ist ein Hund mit Ideen.“

„Wo sind die Pommes frites?“, fragte Hamish, der Susans Unsicherheit bemerkte.

„Schon im Ofen. Kirsty hat sie ebenfalls mitgebracht, und ich muss sie nur nach zwanzig Minuten herausnehmen. Da kann selbst ich nichts falsch machen.“

Susan bemühte sich um einen heiteren Ton, und Hamish beschloss, sie dabei zu unterstützen.

„Wer ist für Queen Victoria verantwortlich?“, fragte er.

Susan lachte. Hamish mochte ihr Lachen. Es erinnerte ihn irgendwie an Jodie. Jodie passte hierher. Loganaich Castle war wie für sie geschaffen.

„Tante Lydia ist für Queen Vic verantwortlich“, erklärte Susan. „Angus ließ ihr bei der Inneneinrichtung völlig freie Hand, bewilligte ihr aber nur wenig Geld. Gemessen daran, finde ich das Ergebnis fabelhaft.“

„Schon möglich“, gab Hamish zögernd zu.

Susan hatte nach der Gartenarbeit geduscht. Da sie ständig hin und her lief, konnte Hamish ihren zarten, frischen Duft wahrnehmen, der ihn an Limonen und Freesien erinnerte. Statt des Overalls trug sie Jeans und ein pinkfarbenes T-Shirt, das aufregend zu ihrem Haar passte.

„Mama“, ließ sich das kleine Mädchen vernehmen. „Mama.“

„Ja, Sweetheart?“

Die Antwort genügte, um Hamishs romantische Anwandlung zu verscheuchen. Seine Mutter hatte ihn immer „Sweetheart“ genannt, wenn sie ihm ihren Willen aufzwingen wollte. Er vergaß das pinkfarbene T-Shirt und den Duft von Limonen und Freesien und dachte stattdessen an Marcia, die ihrer beider Leben kontrollierte und ihn vor allem bewahrte, was mit Tränen zu tun hatte.

An seinen Vater erinnerte er sich kaum. Natürlich hatte er eine vage Erinnerung an ihn, aber sie glich mehr der Erinnerung an einen Geist als an einen lebendigen Menschen. Die Fotos, die es von ihm gab, sagten ihm wenig. Dougal Douglas hatte ganz anders ausgesehen als er selbst.

„Ich fühle mich nicht wie ein Douglas“, sagte er, ohne daran zu denken, wie seltsam das klingen musste.

Susan hatte inzwischen Salat gewaschen und begann, die Sauce anzurühren. „Aber Sie sind ein Douglas.“

„Nur dem Namen nach.“

„Dann wollen Sie kein Douglas sein?“

Nicht, wenn man dabei zu viel Gefühl entwickeln muss, dachte Hamish. Laut sagte er: „Wo finde ich Fett zum Braten? Während Sie den Salat vorbereiten, kümmere ich mich um die Steaks. Vier Minuten auf jeder Seite … nicht mehr und nicht weniger. Was machen die Pommes frites?“

Susan hockte sich vor den Backofen und schaltete das Licht ein. „Noch fünf Minuten, würde ich sagen.“

„Dann sollten wir jetzt aufhören, Unsinn zu reden, und uns auf das Essen konzentrieren.“

„Reden Sie nicht gerne Unsinn?“

„Nein.“

„Dann sind Sie doch ein Douglas, und mit Männern dieser Familie habe ich genug erlebt. Bringen wir den Abend also möglichst schnell hinter uns. Morgen früh trennen sich unsere Wege ohnehin wieder.“

3. KAPITEL

Susan erwachte, weil jemand sang.

Ich träume, dachte sie und wollte weiterschlafen, aber die Melodie klang ihr weiter in den Ohren.

Als König der Meere sing ich mein Lied. Nichts gleicht dem Korsaren, der niemals entflieht.

Susan kannte die Arie aus Sullivans Piratenoper, aber wem gehörte die warme Baritonstimme, die durch das offene Fenster hereindrang? Doch nicht etwa seiner Lordschaft?

Das Meer ist mein Leben, es hebt sich die Brust. In Freiheit zu sterben ist meine Lust.

Susan öffnete die Augen und sah auf die Uhr. Noch nicht sechs … der Mann musste verrückt sein. Wie kam er dazu, um diese Zeit im Garten zu singen?

Eine volle, für einen Laien ungewöhnlich schöne Stimme. Also gut. Einen Blick konnte sie ja riskieren.

Sie stand auf, schlich sich gebückt zum Fenster und hob den Kopf knapp über das Fensterbrett …

Was war das? Hamish Douglas grub ihren Weg um. Ihren Weg … zu ihrem Wintergarten!

Die Vorhänge waren zugezogen, aber das Fenster stand offen. Mit einem Sprung war Susan draußen.

„Was machen Sie da?“

Hamish hielt mitten in der Bewegung inne. Er trug Shorts und Stiefel … sonst nichts.

Wie ein Börsenmakler sieht er nicht aus, dachte Susan. Ein Börsenmakler hat keinen solchen Körper. Er ist nicht so gebräunt und nicht so muskulös, als hätte er auf einer Farm anstatt in einem Büro gearbeitet. Und er hat nicht so prächtige Beine!

„Wem gehören die Stiefel?“, fragte sie. Eine dumme Frage, wie sie zugeben musste, aber die Stiefel waren alt und passten nicht zu seiner übrigen Garderobe.

„Ich habe sie in der Waschküche gefunden“, antwortete Hamish. „Da liegen die Stiefel nur so herum, und weil mir hier angeblich alles gehört, habe ich mir ein Paar ausgesucht. Es ist zu groß, aber mit doppelten Socken geht es gerade. Was meinen Sie? Würde ich in Manhattan damit Aufsehen erregen?“ Er hob einen Fuß, damit Susan den Stiefel bewundern konnte.

Ausgerechnet in diesem Moment kam Boris angesprungen und begann, an dem Stiefel zu lecken. Die Situation war so albern, dass Susan zu kichern anfing, aber sie verstummte gleich wieder, denn ein Blick von Hamish machte ihr klar, wie sie selber aussah.

„Reizende Elefanten“, meinte er. „Mein Kompliment.“

Susan blickte an sich hinunter. Sie trug einen selbst genähten Pyjama, der aus einer kurzen – sehr kurzen – Hose und der dazugehörigen Jacke bestand, beides aus violettem, mit gelben und roten Elefanten bedrucktem Satin.

Der Stoff hatte eine Geschichte. Susans Stiefnichten, Alice und Penelope, hatten sich Pyjamas mit Elefantenmuster gewünscht. Da Harriet Grey, die Leiterin der Poststelle, gerade nach Sydney gefahren war, um eine kranke Schwester zu besuchen, hatte sie den Auftrag erhalten, einen Stoff mit entsprechendem Muster mitzubringen. Das Ergebnis ihrer Suche war dieser violette Satin mit gelben und roten Elefanten gewesen. Um den Mengenrabatt auszunutzen, hatte Harriet gleich den ganzen Ballen genommen, und jetzt schlief halb Dolphin Bay in bunter Elefantennachtwäsche.

„Eigene Handarbeit“, gestand Susan verlegen. „Ich kenne eine Schneiderin, wenn Sie auch so einen Pyjama haben wollen. Es ist noch reichlich Stoff da.“

„Ich verzichte“, antwortete Hamish so entsetzt, dass Susan lachen musste. Ihr Lachen gefiel ihm, wie er nicht zum ersten Mal feststellte.

„Mit so einem Pyjama würden Sie nicht nur Manhattan, sondern ganz New York in Aufregung versetzen.“

„Ich fürchte, dafür ist selbst New York noch nicht reif.“

Einen Moment herrschte Schweigen. Susan bemühte sich, Hamishs athletischen Körper zu ignorieren, und er versuchte, über ihren violetten Elefantenpyjama hinwegzusehen.

„Was tun Sie hier eigentlich?“, fragte sie endlich. Sie wollte das unangenehme Schweigen beenden, denn was Hamish tat, war klar zu erkennen. Er grub weiter an dem Weg zum Wintergarten, genau da, wo sie gestern Abend aufgehört hatte. Aus den zwanzig Metern, für die sie zwei Tage gebraucht hatte, waren inzwischen fünfunddreißig Meter geworden.

„Ich wollte Ihnen einen Teil der Arbeit abnehmen“, antwortete Hamish. „Oder sollte nicht weitergegraben werden?“

„O doch“, antwortete Susan. „Es ist nur …“

„Ich habe die überflüssige Erde zum Komposthaufen gebracht“, fuhr er fort, denn er ahnte, was sie beschäftigte. „Sie können sie später nach eigenem Gutdünken untermischen.“

Damit war Susan die erste Sorge genommen.

„Die Regenwürmer sind übrigens in dem gelben Eimer“, fuhr Hamish fort und nahm ihr damit auch die zweite Sorge. Dass er dabei heimlich über sie lachte, konnte ihr gleichgültig sein.

„Regenwürmer sind wichtig“, verteidigte sie sich. „Übrigens haben Sie schon mehr geschafft als ich an einem ganzen Tag. Ich wusste gar nicht, dass man am Schreibtisch solche Muskeln bekommt.“

Jetzt hatte sie doch auf seinen nackten Oberkörper angespielt, obwohl sie sich geschworen hatte, es nicht zu tun!

„Ich trainiere regelmäßig“, lautete Hamishs Erklärung.

„Sie haben ein Fitnessstudio?“

„Es gehört zu dem Büro, in dem ich arbeite.“

Natürlich. Ein Superbörsenmakler brauchte Superarbeitsbedingungen.

Hör doch endlich auf, seine Muskeln anzustarren, Susan Douglas! Warum? Männer drehen sich immerzu nach hübschen Frauen um. Wozu haben wir schließlich die Gleichberechtigung?

„Dann habe ich nichts falsch gemacht?“, fragte Hamish, als das Schweigen schon wieder peinlich wurde.

„Natürlich nicht. Ich bin Ihnen sehr dankbar.“

„Wie soll es nach dem Umgraben weitergehen?“

Susan zeigte auf die Steinplatten, die unter einem Obstbaum aufgestapelt waren. „Ich gieße den Weg mit Beton aus und füge die Steinplatten ein, solange er noch feucht ist.“

Hamish musterte den nicht unbeträchtlichen Stapel. „Steinplatten sind schwer. Wollten Sie sie selbst legen?“

„Wer sollte es sonst tun?“

„Sie waren schwer verletzt. Die Anwälte haben mir berichtet …“

„Es geht mir gut … vielen Dank.“

„Aber Sie hinken.“

„Nicht wirklich. Das eine Bein ist noch etwas steif, aber es wird täglich besser.“

„Susan …“ Hamish sagte zum ersten Mal nicht „Mrs Douglas“. „Müssen Sie wirklich schon abreisen?“

„Nun …“

„Ich erhielt heute Morgen einen Anruf aus den Vereinigten Staaten. Darum bin ich so früh auf. Jetlag und ein Anruf um vier Uhr früh sind kein gutes Schlafmittel. Um dieses Schloss günstig zu verkaufen, braucht man einen Makler, der auf exklusive Liegenschaften spezialisiert ist. Ich habe bereits mit einem entsprechenden Mann Kontakt aufgenommen. Er wird nächste Woche herkommen, und Marcia meint, Sie sollten so lange bleiben.“

Marcia? Susan vermied es, nach dem Namen zu fragen. „Warum möchten Sie, dass ich bleibe?“, erkundigte sie sich stattdessen.

„Sie kennen die Geschichte des Schlosses … das ist wichtig für den Makler. Er möchte die Familiengeschichte kennenlernen und erfahren, wie es zu diesem Bau gekommen ist.“

„Ich kann alles Wissenswerte für Sie aufschreiben.“

„Es wäre mir lieber, Sie würden dem Makler für eine persönliche Schlossführung zur Verfügung stehen. Als verwitwete Nichte des Erbauers …“

„Wenn Sie glauben, aus Rorys Ermordung Kapital schlagen zu können …“

„Das habe ich nicht gesagt.“

„Weil es nicht nötig war.“

Hamish ließ sich durch Susans Empörung nicht beirren. „Bleiben Sie, wenn ich Sie bezahle?“

„Warum wollen Sie das tun?“

„Nun …“ Hamish zögerte. „Als Gärtnerin haben Sie Anspruch auf Gehalt. Sie wollen den Weg doch fertig machen?“

„Allerdings“, gab Susan widerwillig zu.

„Dann zahle ich Ihnen den Stundenlohn, den Sie als Landschaftsgärtnerin beanspruchen können. Denken Sie darüber nach.“

Hamish wandte sich wieder seiner Arbeit zu und überließ Susan sich selbst. Es wäre dumm, zu bleiben, dachte sie, während sie seinen breiten Rücken betrachtete. Und gefährlich. Sie hatte seit Rorys Tod keinen anderen Mann angesehen, und so sollte es bleiben. Leider war Hamish Douglas genau der Typ, der es ihr schwer machte, diesem Grundsatz treu zu bleiben.

Er wird Blasen an den Händen bekommen, dachte sie. Er ist stark und motiviert, aber nicht gewohnt, mit einem Spaten umzugehen. Umgraben ist nichts für einen New Yorker Finanzmann.

Die Bewohner von Dolphin Bay würden einen Finanzmann niemals als neuen Earl anerkennen. Nicht nach Angus, der ihnen im Lauf der Jahre zum Ideal geworden war. Vielleicht lag da ihre Chance. Vielleicht konnte sie erreichen, dass sich die Tradition der Lairds of Loganaich doch fortsetzte …

„Ich bleibe“, sagte sie laut, „aber ohne Bezahlung.“

Hamish drehte sich überrascht um. Er schien ihre Anwesenheit völlig vergessen zu haben. „Wirklich?“

„Ja, wirklich. Ich werde sogar versuchen zu kochen …“

„Steaks und Pommes frites?“

„Ich kann auch toasten und Hafergrütze kochen, wenn Sie abenteuerlustig sind.“

Darüber musste Hamish lächeln. Er lächelte, wie Rory und Angus gelächelt hatten, aber er sah nicht wie Rory oder Angus aus. Er war ein Douglas und auch wieder keiner. Es war eine beunruhigende Mischung!

„Ihren Toast werde ich gern essen, Mrs Douglas“, sagte er förmlich, „aber auf Ihre Hafergrütze bin ich nicht neugierig.“

Susans Befangenheit wuchs. Hamish hatte zu wenig an, sie hatte auch zu wenig an, und es war zu früh am Tag. Viel zu früh.

„Morgen wird in Dolphin Bay Thanksgiving gefeiert“, sagte sie. „Da brauchen wir einen Laird.“

„Wie bitte?“

„Der Laird – das ist die schottische Form von Lord – eröffnet das Fest. So will es die Tradition. Im letzten Jahr hat Angus das noch getan, aber morgen bleibt sein Platz leer. Vielleicht könnten Sie an seine Stelle treten.“

„Was hätte ich da zu tun?“, fragte Hamish misstrauisch.

„Sie müssten einige Worte zur Eröffnung sprechen … nachdem die Dudelsackpfeifer abmarschiert sind.“

„Die Dudelsackpfeifer?“

Er ist nicht dumm, dachte Susan belustigt. Das erkenne ich an seinem Blick. Er ahnt, wohin ihn das Ganze führt.

„Es ist ein sehr hübscher Kilt“, versicherte sie mit strahlendem Lächeln.

Hamish stieß den Spaten in die Erde und setzte einen Fuß darauf. „Verlangen Sie das nicht von mir, Susan. Ich habe hässliche Knie.“

„Soweit ich erkennen kann, sind es aber sehr ansehnliche Knie.“

„Die ich nur weiblichen Familienmitgliedern zeige.“

„Sie meinen, mir?“

„Ihnen und meiner Mutter.“

„Nicht … Marcia?“

„Marcia würde nicht hinsehen“, erklärte er. „Sie hat Geschmack und Verstand.“

Susan tat, als wollte sie gehen. „Gut, dann packe ich.“

„Susan, bitte.“ Ein Anflug von Verzweiflung klang aus Hamishs Stimme. „Dies ist eine Geschäftsreise für mich. Ich bin kein Earl. Ich bin nicht Lord oder Laird Douglas. Heutzutage ist solch ein Titel wertlos, und ich würde ihn nie benutzen. Ich muss das Schloss verkaufen und weiterleben wie bisher.“

„Das klingt, als hätten Sie Angst.“

„Angst?“ Sein Blick verriet, dass sie der Wahrheit ziemlich nahegekommen war. „Wovor sollte ich Angst haben?“

„Davor, in einem Kilt aufzutreten und einige Worte zur Begrüßung zu sagen.“

„Man würde erwarten …“

„Gar nichts würde man erwarten. Die Leute liebten Angus, denn viele von ihnen verdanken ihm ihre Existenz. Sie lebten vom Barramundifang, bis die Bestände aus ungeklärter Ursache plötzlich zurückgingen. Die Fischkutter waren nicht für Hochseefischerei ausgerüstet, und die Leute wären weggezogen, wenn Angus ihnen nicht Arbeit verschafft hätte. Er verliebte sich in den Ort und überredete die Treuhänder des Familienvermögens, Loganaich Castle nicht in Schottland, sondern hier wieder aufzubauen. Das gab den Leuten über Jahre hinaus Arbeit und damit genug Zeit und Geld, ihre Kutter hochseetüc...

Autor

Marion Lennox
Marion wuchs in einer ländlichen Gemeinde in einer Gegend Australiens auf, wo es das ganze Jahr über keine Dürre gibt. Da es auf der abgelegenen Farm kaum Abwechslung gab, war es kein Wunder, dass sie sich die Zeit mit lesen und schreiben vertrieb. Statt ihren Wunschberuf Liebesromanautorin zu ergreifen, entschied...
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