Julia Best of Band 291

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MITTELMEERTRÄUME MIT EINEM PRINZEN

Um seiner Tochter zu helfen, hat Prinz Alexius die hübsche Therapeutin Dottie engagiert. Schon bald blüht das Kind auf und Alexius spürt: Auch er braucht Dotties Nähe. Mit einem großzügigen Angebot will er sie an sich binden. Warum nur zögert sie?

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Irena ist nach Italien gereist, um eine Reportage zu schreiben. Als sie den reichen Geschäftsmann Vincenzo trifft, ist es um sie geschehen: In seinen Armen erlebt sie unvergessliche Stunden. Doch zu Hause wartet ein Mann, dem sie die Ehe versprochen hat …

EIN CHARMANTER PLAYBOY

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  • Erscheinungstag 10.05.2025
  • Bandnummer 291
  • ISBN / Artikelnummer 0812250291
  • Seitenanzahl 384

Leseprobe

Rebecca Winters, Rebecca Winters, Rebecca Winters

JULIA BEST OF BAND 291

Rebecca Winters

1. KAPITEL

Prinz Alexius Kristof Rudolph Stefano Valleder Constantinides, Herzog von Aurum und zweiter Thronfolger von Hellenica, hatte den ganzen Vormittag in seinem Büro gearbeitet, als es an der Tür klopfte. „Ja?“, rief er.

„Königliche Hoheit? Könnte ich kurz mit Ihnen sprechen?“

„Was gibt’s, Hector?“

Hector, sein ihm treu ergebener Privatsekretär, war seit beinahe fünfzig Jahren in der Palastverwaltung tätig und schon die rechte Hand seines Vaters und seines Großvaters gewesen. Normalerweise störte er ihn nur in dringenden Fällen.

„Ich gehe gerade einige wichtige Verträge durch. Kann es nicht bis nach dem Mittagessen warten?“

„Der Landesleiter des Klinikverbunds möchte sich bei Ihnen für die finanzielle Unterstützung bei dem Bau der vier Krankenhäuser bedanken. Hätten Sie kurz Zeit für ihn?“ Abwartend blieb Hector an der Tür stehen.

Für Alex war es selbstverständlich gewesen zu helfen, denn ihm lag sehr am Ausbau des Gesundheitssystems seines Landes. „Ja, natürlich“, erwiderte er sofort. „Führen Sie ihn in den Speisesaal. Ich komme gleich.“

„Er wird sich sehr freuen. Da wäre noch etwas, Königliche Hoheit.“

„Dann kommen Sie doch herein, Hector.“

Der gewichtig wirkende Mann mit dem grau melierten Haar betrat den Raum. „Die Königin lässt Ihnen ausrichten, dass Prinzessin Zoe heute wieder einen ihrer komischen Momente hat.“

Alex hob den Kopf. Seine vierjährige Tochter Zoe bedeutete ihm alles. Und aus diesem Grund beunruhigten ihre Wutanfälle in letzter Zeit ihn zutiefst.

Da es der Königin gesundheitlich nicht gut ging, musste er die Regierungsgeschäfte für seinen Bruder Stasio führen, während dieser außer Landes war. In den letzten vier Monaten hatten die Trotzanfälle seiner Tochter zugenommen, und drei Kindermädchen hatten kurz nacheinander gekündigt. Momentan hatte Zoe keins. In seiner Verzweiflung hatte er sich an seine Großmutter, Königin Desma, eine ausgesprochen autoritäre alte Dame, gewandt. Seit dem Tode seines Großvaters König Kristof fungierte sie als nominelle Regentin von Hellenica, einem Inselstaat in der Ägäis und im Thrakischen Meer.

Da ihre Urenkelin ihr ans Herz gewachsen war, hatte sie Sofia, eine ihrer Zofen, mit der Betreuung betraut, bis sich ein neues Kindermädchen fand. Eigentlich erwartete sie jedoch von ihm, dass er wieder heiratete. Und da er einem königlichen Erlass zufolge nur wieder eine Prinzessin zur Frau nehmen konnte, hatte er beschlossen, allein zu bleiben. Eine arrangierte Ehe hatte ihm gereicht.

In letzter Zeit hielt sich Zoe vorwiegend in der Suite ihrer Urgroßmutter auf, die sie auf eine neue Mutter vorzubereiten suchte. Seine Großmutter hatte auch die Verbindung zwischen ihm und seiner verstorbenen Frau Teresa arrangiert, die wie sie dem Adelsgeschlecht der Valleder entstammte.

Momentan verhandelte sie mit dem Haus Helvetia, um eine Ehe zwischen ihm und Prinzessin Genevieve zu arrangieren. Seiner Meinung nach hätte sie sich die Mühe sparen können.

„Ich habe heute mit ihr zusammen gefrühstückt und hatte den Eindruck, dass alles in Ordnung ist“, erklärte Alex. „Warum ist sie Sofia gegenüber wütend geworden?“

„Nicht Sofia“, erwiderte Hector. „Aber es haben sich zwei ganz neue Situationen ergeben. Darf ich offen sprechen?“

Nur zwei? Frustriert presste Alex die Lippen zusammen. Er hoffte, es wäre nur eine Phase. „Das tun Sie doch immer.“

„Zoes neuer Englischlehrer, Dr. Wyman, hat gerade gekündigt. Und ihr Griechischlehrer, Kyrie Costas, droht auch damit aufzuhören. Wie Sie ja wissen, können die beiden sich nicht über den idealen Lehrplan einigen. Dr. Wyman wartet im Flur und möchte noch kurz mit Ihnen sprechen, bevor er den Palast verlässt.“

Alex stand auf. Vor zwei Wochen hatte er seine Tochter aus der Vorschule nehmen müssen, weil sie sich geweigert hatte, am Unterricht teilzunehmen. Er hatte sie sogar von seinem Arzt untersuchen lassen, aus Sorge, ihre Probleme könnten eine körperliche Ursache haben. Dieser hatte allerdings nichts gefunden.

Und nun hatte ihr Englischlehrer gekündigt? Seine Frau hatte als Teenager einige Jahre in den USA verbracht. Bevor sie ihrem schweren Herzleiden erlegen war, hatte sie ihm das Versprechen abgenommen, dafür zu sorgen, dass Zoe Englisch lernte. Deshalb hatte er den Lehrer engagiert. Gelegentlich sprach er sogar selbst Englisch mit ihr.

Alex atmete tief durch. „Lassen Sie ihn hereinkommen.“

Der vierzigjährige Amerikaner war vorher für Alex’ Cousin zweiten Grades tätig gewesen, Alexandre Philippe, Fürst von Valleder. Dieser war eng mit Stasio befreundet und hatte Dr. Wymans Dienste für seinen Sohn nicht mehr benötigt.

„Königliche Hoheit.“ Der Lehrer deutete eine Verbeugung an.

„Dr. Wyman? Hector sagte, Sie hätten gekündigt. Werden Sie wirklich nicht mehr mit meiner Tochter fertig?“

„In letzter Zeit läuft sie immer vor mir weg, sobald sie mich sieht. Sie spricht kaum, und wenn ja, verstehe ich sie nicht. Sie scheint vor irgendetwas Angst zu haben“, berichtete Dr. Wyman. „Mr. Costas meinte, es würde an meinen Unterrichtsmethoden liegen, aber meiner Ansicht nach liegt der Grund woanders.“

Alex hatte sogar schon erwogen, einen Kinderpsychologen zu konsultieren. Auch er war der Meinung, dass seine Tochter vor irgendetwas Angst hatte. Bisher hatte er angenommen, es wäre die Folge einer Entwicklungsverzögerung, weil Zoe als Frühchen zur Welt gekommen war. Vielleicht lag es aber auch an dem Verlust, den sie in so jungen Jahren erlitten hatte.

„Was würden Sie tun, wenn Zoe Ihr Kind wäre, Dr. Wyman?“

„Ich würde zuerst einen Logopäden aufsuchen, um herauszufinden, ob ihre Sprachprobleme psychischer Natur sind.“

„Und wo finde ich einen guten Therapeuten?“

„Das Stillman Institut in New York hat einen ausgezeichneten Ruf.“

„Ich werde es mir durch den Kopf gehen lassen. Vielen Dank für den Rat und Ihre gute Arbeit, Dr. Wyman. Ich werde Sie auf jeden Fall weiterempfehlen.“

„Danke, Königliche Hoheit. Ich hoffe, Sie werden bald Antworten bekommen. Ich mag die Kleine sehr.“

Ich auch, dachte Alex.

Nachdem der Lehrer gegangen war, warf Alex einen Blick auf seine Uhr und beschloss, gleich nach dem Mittagessen den Leiter des Stillman Instituts anzurufen.

Dottie Richards war noch nie mit einem Hubschrauber geflogen. Nach der Landung in Athen hatte man ihr gesagt, es sei nicht mehr weit nach Hellenica.

Der Leiter des Stillman Instituts hatte sie mit einem zeitlich befristeten Eilvisum hierhergeschickt, weil es sich seinen Worten zufolge um einen dringenden Fall handelte. Bei einem vierjährigen Mädchen sollte so schnell wie möglich eine Diagnose gestellt werden. Aus Sicherheitsgründen hatte sie erst am Hubschrauberlandeplatz von dessen Identität erfahren. Ein Palastsprecher namens Hector hatte sie informiert, dass es sich bei der Kleinen um Prinzessin Zoe handelte, die einzige Tochter von Prinz Alexius Constantinides, einem Witwer, der stellvertretend für den Thronerben die Regierungsgeschäfte führte.

„Wenn Kronprinz Stasio von seiner Geschäftsreise zurückkehrt, wird er am fünften Juli Prinzessin Beatriz heiraten“, hatte er hinzugefügt. „Dann wird Königin Desma, Prinzessin Zoes Urgroßmutter, abdanken, und Prinz Stasio wird zum König von Hellenica gekrönt. Bis dahin vertritt Prinz Alexius ihn. Er hat Ihnen seinen Privathubschrauber zur Verfügung gestellt, damit Sie sich auf dem Flug zu seinem Palast, der sich auf der Insel Hellenica befindet, die Gegend ansehen können.“

Offenbar war das ein Privileg, das nur wenigen Menschen zuteilwurde. „Das ist sehr freundlich von ihm.“ Dottie war in den Hubschrauber gestiegen und hatte sich von der Übelkeit abzulenken versucht, die gleich nach dem Start in ihr aufgestiegen war. „Können Sie mir sagen, welches Problem Prinzessin Zoe hat?“

„Das besprechen Sie am besten mit dem Prinzen.“

„Ja, natürlich.“

Sicher wurde Diskretion am Königshof groß geschrieben, und zweifellos hatte man Hector deswegen mit dieser Aufgabe betraut. Er war nicht der Typ, der den Dienst am Hof quittierte und dann ein Buch über die dunklen Geheimnisse der Familie Constantinides veröffentlichte. Dottie bewunderte Hector für seine Loyalität und hätte es ihm auch gern gesagt, doch ihr war so übel, dass sie nicht mehr sprechen konnte.

Vor einigen Jahren hatte sie einige Berichte über die Brüder Constantinides gesehen, erinnerte sich allerdings kaum noch daran, wie diese aussahen. Beide hatten damals wie so viele Söhne aus adeligen Familien als Playboys gegolten. Sie hatte noch nie mit Mitgliedern irgendwelcher königlichen Familien zu tun gehabt, aber in ihren Augen waren diese Menschen wie alle anderen auch.

Sie selbst war von einer alleinstehenden und inzwischen verstorbenen Tante großgezogen worden, die ausgesprochen praktisch veranlagt gewesen war, und so hatte es in ihrer Welt nicht viele Märchen gegeben. Als kleines Mädchen hatte sie sich manchmal gewünscht, zu erfahren, wie es war, eine Königin oder eine Prinzessin zu sein. Und nun bot sich ihr die Gelegenheit, es herauszufinden.

Sie hatte genug über verschiedene Mitglieder von Königshäusern gelesen, die in Skandale verwickelt waren, um diese zu bemitleiden. Ständig standen sie im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses.

Ein Prinz oder eine Prinzessin blieb immer Mitglied einer königlichen Familie und konnte nicht einmal geboren werden oder sterben, ohne das Interesse der Medien zu wecken. Wie Dottie aus eigener, leidvoller Erfahrung wusste, erregten Normalsterbliche allerdings auch manchmal unerwünschtes Interesse.

Da sie selbst als Kind gestottert hatte, konnte sie erahnen, wie es sein musste, wenn ein Mitglied einer königlichen Familie einen Sprachfehler hatte. Inzwischen war sie neunundzwanzig, hatte das Stottern längst überwunden und liebte ihre Anonymität. Obwohl sie die mutterlose kleine Prinzessin noch nicht kannte, empfand sie schon jetzt Mitgefühl für sie. Selbst in ihrem zarten Alter wurde diese sicher auf Schritt und Tritt überwacht, und daran würde sich nichts mehr ändern.

Sobald sie alt genug wäre, würde sie die Erfahrung machen, dass sie immer im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehen würde. Falls sie tatsächlich ein körperliches Handicap oder ernsthafte psychische Probleme hatte, würde die Presse dies gnadenlos ausschlachten. Dottie schwor sich, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um dem kleinen Mädchen zu helfen.

Da ihre Übelkeit sich nicht legte, musste Dottie gleich nach der Landung das Bad aufsuchen, sobald man sie in ihre Suite geführt hatte. Und so unangenehm es ihr auch war, sie brauchte jetzt ihren Schlaf. Wenn ihr Auftrag hier beendet wäre, würde sie nicht mehr in den Hubschrauber steigen, sondern die Insel mit dem Flugzeug verlassen.

Nachdenklich betrachtete Alex seine gesundheitlich stark angeschlagene Großmutter, deren silbergraues Haar trotz ihrer fünfundachtzig Jahre immer noch sehr dicht war. In letzter Zeit hielt sie sich vorwiegend in ihrer Suite auf, weil sie schnell müde wurde. Er wusste, wie sehr sie Stasios Rückkehr herbeisehnte, damit sie endlich abdanken konnte.

Aber niemand erwartete seinen Bruder sehnsüchtiger als er. Dieser war am ersten April abgereist und hatte eigentlich Mitte Mai wiederkommen wollen. Inzwischen war es allerdings schon Ende des Monats. Er war fest entschlossen, seine Arbeit zu reduzieren, um mehr Zeit mit seiner Tochter verbringen zu können. Da diese von Tag zu Tag unglücklicher zu werden schien, hoffte er sehr, die Sprachtherapeutin würde ihm einige Antworten geben.

„Vielen Dank für das Frühstück“, sagte er nun auf Griechisch. „Wenn ihr beide mich jetzt entschuldigt … Ich habe zu tun, aber ich komme bald zurück.“ Er gab seiner kleinen Tochter, die nur mit ihrem Brötchen spielte, einen Kuss auf die Wange. „Sei Yiayia zuliebe ganz brav.“

Sie nickte.

Nachdem er seiner Großmutter gegenüber eine Verbeugung angedeutet hatte, verließ er die Suite und eilte in sein Büro, das sich in einem anderen Flügel des Palasts befand. Leider hatte er am Vorabend nicht mehr mit Mrs. Richards sprechen können. Hector zufolge war sie noch nie mit einem Hubschrauber geflogen, und ihr war unterwegs übel geworden. So hatte er sich gedulden müssen und sich gefragt, ob ihr Unwohlsein bereits ein schlechtes Zeichen war.

Da Hector so diskret war, hatte er darauf verzichtet, ihn zu fragen, was er von ihr hielt. Diese eigentlich lobenswerte Eigenschaft trieb seinen Bruder manchmal in den Wahnsinn.

Jahrelang hatte dieser Hector vorgeworfen, dass er geradezu unmenschlich wäre. Alex vermutete, dass der Grund für die Abneigung viel tiefer lag: Hector führte Stasio ständig vor Augen, dass es dessen Pflicht war, Prinzessin Beatriz zu heiraten und dem Land einen Thronfolger zu schenken.

Genau wie seine Großmutter, die sich noch mehr Urenkel wünschte, freute Alex sich darauf, dass sein Bruder Zoe Cousins oder Cousinen schenken würde. Es würde ihr guttun, einige Spielkameraden im Palast zu haben.

In seinem Büro las Alex mit finsterer Miene das Fax von Stasio, das aus Valleder gekommen war:

Tut mir leid, kleiner Bruder, aber ich habe so viel zu tun, dass ich noch eine Woche bleiben muss. Richte Yiayia bitte aus, dass ich bald wieder zu Hause bin. Gib Zoe einen Kuss von ihrem Onkel. Und Du mach so weiter, Du leistest hervorragende Arbeit. Stasio

„Darf ich Ihnen Mrs. Richards vorstellen, Königliche Hoheit?“

Unvermittelt blickte Alex auf. Hector hatte unbemerkt sein Büro betreten und räusperte sich nun. In seiner Begleitung befand sich eine typische Amerikanerin – groß, das blonde Haar zu einem lockeren Knoten hochgesteckt. Er war so verärgert über die Nachricht seines Bruders, dass er den Termin mit Hector ganz vergessen hatte. Stasio hatte ihre Abmachung ausgenutzt.

„Ein Monat, Bruderherz“, hatte er vor seiner Abreise verkündet. „Mehr brauche ich nicht, um mit den Banken zu verhandeln. Philippe unterstützt mich dabei.“ Inzwischen waren auch die Königin, der Premierminister und der Erzbischof verstimmt, weil sie mit ihm die Einzelheiten für die Krönung und die königliche Hochzeit besprechen mussten.

Schnell verdrängte Alex seinen Unmut und stand auf. „Willkommen in Hellenica, Mrs. Richards.“

„Danke, Königliche Hoheit.“

Verlegen machte sie einen Hofknicks, den Hector zweifellos mit ihr einstudiert hatte. Widerstrebend musste Alex sich eingestehen, dass sie attraktiv war. Sie trug eine hellblaue Bluse und einen cremefarbenen Rock, und unwillkürlich ließ er den Blick über ihre Brüste und ihre langen, schlanken Beine gleiten.

Dann betrachtete er wieder ihr Gesicht, fasziniert von ihren vollen Lippen und den blauen Augen, die ihn an die Kornblumen erinnerten, die auf seiner Heimatinsel Aurum wuchsen.

Er sehnte sich nach seinem Palast dort, denn Aurum war, anders als Hellenica, nicht von Touristen überlaufen. Natürlich hatte er nichts gegen die ausländischen Gäste, zumal der Tourismus eine der Haupteinnahmequellen seines Landes war, aber da es Zoe nicht gut ging, machte ihm in letzter Zeit alles zu schaffen. Auch die Frau, die jetzt vor ihm stand.

Zum einen wirkte sie viel zu jung angesichts der Aufgabe, die sie erwartete. Kein Wunder, dass Hector nichts über sie erzählt hatte!

„Ich habe gehört, dass der Flug Ihnen nicht bekommen ist. Hoffentlich geht es Ihnen jetzt besser.“

„Viel besser. Es tut mir leid, dass ich die Aussicht nicht genießen konnte, aber ich weiß Ihre Großzügigkeit zu schätzen“, erklärte sie überraschend offen. „Lerne ich Ihre Tochter heute Vormittag kennen?“

„Ja.“ Alex warf Hector einen flüchtigen Blick zu. „Würden Sie Sofia bitten, Zoe herzubringen?“

Nachdem dieser das Büro verlassen hatte, bedeutete Alex Mrs. Richards, auf dem kleinen Sofa Platz zu nehmen. „Möchten Sie Tee oder Kaffee?“

„Weder noch, danke. Ich hatte gerade Tee. Aber nehmen Sie sich nur, wenn Sie möchten.“

Wenn er mochte? Ihre lockere Art verblüffte ihn immer mehr, denn er war es nicht gewohnt, dass Fremde ihm so unbefangen begegneten.

„Mein Chef hat mir erzählt, dass Ihre Tochter Kommunikationsschwierigkeiten hat, mir aber keine weiteren Informationen gegeben. Wann ist Ihre Frau verstorben?“

„Vor zwei Jahren.“

„Und jetzt ist Zoe vier. Sie erinnert sich also kaum noch an sie. Ist sie zum errechneten Termin zur Welt gekommen?“

„Nein, sechs Wochen zu früh. Und sie musste fast einen Monat im Krankenhaus bleiben, weil ihr Zustand kritisch war. Vielleicht ist das der Grund für ihre Sprachprobleme.“

„Hatte sie schon von Beginn an Schwierigkeiten?“

„Schwer zu sagen, ich habe ja keinen Vergleich. Auf jeden Fall versteht man sie schlecht. Außerdem ist sie seit einigen Monaten so schwierig, dass mehrere Lehrer und drei Kindermädchen gekündigt haben. Auch die Lehrerin in der Vorschule ist mit ihr nicht fertig geworden.“

„Normalerweise ist es die wichtigste Bezugsperson, der die Probleme zuerst auffallen. War das Ihre Frau?“

„Ja. Aber da sie Herzprobleme hatte, musste das Kindermädchen oft übernehmen. Ich habe mich vorwiegend abends nach der Arbeit um Zoe gekümmert. Richtig alarmiert war ich allerdings erst, als ich sie vor zwei Wochen von der Vorschule abmelden musste.“

„Haben Sie alle Vorsorgeuntersuchungen beim Kinderarzt machen lassen?“

„Ja.“

„Sie hat also keine Herzprobleme.“

Alex schüttelte den Kopf. „Ich habe mir sogar eine zweite Meinung bei meinem Internisten eingeholt. Beide Ärzte haben mir einen Kinderpsychologen empfohlen. Aber bevor ich mit ihr dorthin gehe, wollte ich erst den Rat von Dr. Wyman befolgen und mich mit Ihrem Institut in Verbindung setzen.“

„Verstehe. Und wie äußern sich ihre Verhaltensauffälligkeiten?“

„In letzter Zeit verweigert sie den Unterricht und bekommt Schrei- oder Wutanfälle. Am liebsten möchte sie sich in ihrem Bett verkriechen oder Trost bei ihrer Urgroßmutter suchen.“

„Wie ist ihr Appetit?“

Auch an diesem Morgen hatte Zoe kaum etwas gegessen – für ihn ein weiterer Grund zur Besorgnis. „Leider nicht so gut.“

Forschend betrachtete Mrs. Richards ihn. „Bestimmt sind Sie verzweifelt.“

„Ja“, bestätigte Alex leise. Offenbar war sie sehr scharfsinnig und machte anders als alle anderen – mit Ausnahme seiner Großmutter und seinem Bruder – ihm gegenüber auch keinen Hehl aus ihrer Meinung.

„Dann stellen Sie sich vor, dass es Ihrer Tochter noch viel schlechter geht.“

Alex blinzelte. Offenbar wusste diese Frau genau, wovon sie redete. Er schreckte aus seinen Gedanken, als im nächsten Moment seine Tochter in Begleitung von Sofia und gefolgt von Hector erschien.

„Komm her, Zoe“, ermunterte Alex sie auf Englisch, woraufhin sie zögernd auf ihn zukam. „Das ist Mrs. Richards. Sie ist extra deinetwegen aus New York angereist. Magst du ihr Guten Tag sagen?“

Sofort verzog sie gequält das Gesicht. Er kannte diesen Ausdruck. Gleich würde sie die Flucht ergreifen. Er stellte ihr dieselbe Frage noch einmal auf Griechisch. Nachdem sie erwidert hatte, dass sie zu ihrer Yiayia wollte, brach sie in Tränen aus und rannte aus dem Raum. Sofia eilte ihr nach.

„Lassen Sie sie“, riet Mrs. Richards ihm unerwartet, als er Zoe zurückholen wollte.

Abgesehen von seinem verstorbenen Vater, hatte ihm bisher noch nie jemand Anweisungen erteilt, schon gar nicht, was seine Tochter betraf. Es schien Alex, als wären die Rollen vertauscht.

„Wahrscheinlich glaubt sie, ich wäre ihr neues Kindermädchen“, fügte Mrs. Richards etwas versöhnlicher hinzu. „Ich kann es ihr nicht verdenken. Ich möchte Sie darum bitten, sie erst einem HNO-Arzt vorzustellen.“

Alex musste an sich halten. Er runzelte die Stirn. „Ich sagte Ihnen doch, dass Zoe schon von zwei Ärzten untersucht wurde.“

„Aber nicht von einem Facharzt“, konterte sie ruhig. „Kinder mit Sprachproblemen haben oft einen Paukenerguss, und den kann nur ein HNO-Arzt feststellen. Hat sie oft Mittelohrentzündungen?“

„Mehrmals im Jahr.“

„Dann deutet alles auf einen Paukenerguss hin.“

Das ergab einen Sinn. Unwillkürlich ballte er die Hände zu Fäusten. Warum war er nicht selbst darauf gekommen?

Nun zog sie die fein geschwungenen Brauen hoch. „Nicht einmal ein Prinz kann alles wissen.“ Sie hatte seine Gedanken gelesen, und ihre Bemerkung verärgerte ihn noch mehr. „Kümmern Sie sich darum? Und bitte möglichst schnell, denn ich kann erst mit der Therapie beginnen, wenn das geklärt ist. Und sie braucht dringend Hilfe.“

Als hätte er das nicht gewusst … Er fühlte sich schuldig, weil er es zu lange mit angesehen hatte, ohne alle Möglichkeiten auszuschöpfen, und das machte ihm zu schaffen. Außerdem ließ er sich nicht gern kritisieren oder Vorschriften machen. „Ich versuche, noch heute einen Termin zu bekommen.“

„Gut. Teilen Sie mir das Untersuchungsergebnis mit, dann können wir anfangen.“ Mrs. Richards wandte sich zum Gehen.

„Ich habe Sie noch nicht entlassen, Mrs. Richards.“

Daraufhin wirbelte sie wieder zu ihm herum. „Entschuldigen Sie. Und bitte sagen Sie Dottie zu mir.“ In ihren blauen Augen lag ein unschuldiger Ausdruck. „Mit einem Prinzen zusammenzuarbeiten ist eine ganz neue Erfahrung für mich.“

Unwillkürlich fragte sich Alex, ob er ihr auf Anhieb unsympathisch gewesen war.

„Prinz hin oder her, gehen Sie immer, bevor eine Unterhaltung beendet ist?“

„Ich dachte, wir wären fertig“, erwiderte sie ruhig. „Die meisten meiner Patienten sind Vorschulkinder, und Ihre Tochter ist so süß, dass ich hoffe, ihr schnell helfen zu können. Ich fürchte, ich bin sehr auf meine Arbeit fixiert. Königliche Hoheit“, fügte sie hinzu, als wüsste sie nicht genau, ob sie es sagen sollte oder nicht.

Noch nie war ihm ein Mensch wie ihr begegnet. Alex wusste nicht, was er von ihr halten sollte. Doch ihr schien viel an Zoe zu liegen. Deshalb beschloss er, den Rat zu befolgen, den seine Mutter ihm früher gegeben hatte, und nicht nach dem ersten Eindruck zu urteilen.

„Dass Sie so engagiert sind, freut mich“, gestand er. „Sie ist für mich das Wichtigste im Leben.“

Für einen Moment glaubte er, einen gequälten Ausdruck in ihren Augen zu erkennen. „Sie können sich glücklich schätzen, sie als Tochter zu haben, selbst wenn Sie ein Prinz sind.“

Er runzelte die Stirn. „Selbst wenn ich ein Prinz bin?“

Mrs. Richards schüttelte den Kopf. „Tut mir leid. Ich meinte … jeder denkt, ein Prinz hätte alles im Leben und wäre immer glücklich. Aber Sie haben es noch besser, weil Sie so eine süße Tochter haben.“

Ihr Lächeln täuschte ihn nicht über ihren traurigen Unterton hinweg. Noch lange, nachdem er sie entlassen und einen Termin bei einem HNO-Arzt vereinbart hatte, musste er an den Ausdruck in ihren blauen Augen denken.

2. KAPITEL

Die nächsten Stunden verbrachte Dottie in ihrer Suite und ärgerte sich über eine Situation, die sie nicht ändern konnte. Ich habe Sie noch nicht entlassen.

Der unterschwellige Vorwurf war aus dem Mund eines überaus attraktiven Prinzen gekommen. Groß und muskulös, mit schwarzem Haar, hatte er sie an einen griechischen Gott erinnert. Auch seine markanten Züge und sein energisches Kinn machten ihn zu etwas Besonderem.

Selbst wenn er kein Mitglied einer königlichen Familie gewesen wäre, so verkörperte er die Vorstellung aller Frauen von einem Prinzen. In seinem Büro hatte er vor der Flagge seines Landes gestanden und in dem blauen Hemd und der weißen Hose wahrhaft königlich gewirkt.

Außerdem hatte er gut gerochen. Solche Dinge fielen ihr auf, und Dottie wünschte, es wäre nicht der Fall gewesen, denn es erinnerte sie daran, dass er ein Mann war.

Schon jetzt fürchtete sie, sich für diesen Auftrag nicht zu eignen. Seinen Worten zufolge hatte Dr. Rice sie wegen ihrer eigenen Erfahrungen dafür ausgesucht. Nur warum hatte er sie nicht darauf vorbereitet, dass er sie an einen Königshof schicken würde?

Sie musste sich erst einmal an die neue Umgebung gewöhnen – an das Protokoll und die steife Atmosphäre, die Zofen, die Lehrer, an einen Vater, der ein Prinz war, und eine Prinzessin als Patientin …

Ein normales Kind wäre in den Raum gelaufen und hätte seinen Vater spontan umarmt. Zoe hingegen hatte sich an die Etikette gehalten und war auf der Schwelle stehen geblieben. Schließlich war ihr Temperament mit ihr durchgegangen, und sie war weggelaufen, sichtlich überfordert mit der Situation.

Dottie empfand Mitgefühl mit der Kleinen, deren goldbraune Augen sich mit Tränen gefüllt hatten. Offenbar hatte sie ihre Augen- und Haarfarbe von ihrer verstorbenen Mutter geerbt, die sehr zierlich gewesen sein musste, und den dunklen Teint von ihrem Vater. Sie war ein bildhübsches Kind.

Die einzigen Fotos, die sie von Prinz Alexius und dessen Bruder gesehen hatte, waren nicht besonders scharf und schon etwas älter gewesen. Beide waren in ganz Europa sehr begehrte Junggesellen gewesen. Dann hatte Prinz Alexius geheiratet und viel zu früh seine Frau verloren. Ein tragischer Verlust, vor allem für die kleine Zoe.

Dottie war sich darüber im Klaren, dass sie sehr behutsam vorgehen musste, weil das Mädchen sie offenbar als Feindin betrachtete. Schon bald würde sie herausfinden, ob Zoes Probleme psychisch oder körperlich bedingt waren oder vielleicht sogar beides.

Sie seufzte tief, bevor sie mit dem Mittagessen begann, das ein Zimmermädchen ihr auf einem Tablett gebracht hatte. Später erschien eine andere, um ihr beim Auspacken zu helfen, aber sie lehnte dankend ab. Sie wollte noch gar nicht alles auspacken, denn falls Zoe ein Problem hatte, bei dem sie ihr nicht helfen konnte, würde sie bald wieder abreisen.

Um fünf klingelte das Telefon auf dem Nachttisch neben dem großen Bett. Hector war am Apparat, der ihr ausrichtete, dass der Prinz sie in seinem Büro zu sprechen wünschte und ihr eine Hausangestellte schicken würde, die sie begleitete. Am liebsten hätte sie dem Mann gesagt, dass sie den Weg in sein Allerheiligstes auch allein fand, doch sie musste an ihren Aufenthalt in Rom denken … Außerdem wollte sie ihn nicht noch mehr gegen sich aufbringen.

Nachdem sie sich bei Hector bedankt hatte, machte sie sich frisch. Wenige Minuten später erschien das Hausmädchen und führte sie eine andere Treppe hinunter ins Erdgeschoss. Dort erwartete der Prinz sie in seinem Büro, die Hände in die Hüften gestemmt und den Blick forschend auf sie gerichtet.

„Bitte setzen Sie sich.“

Gespannt nahm Dottie Platz.

„Als wir Zoe endlich zum Mitmachen bewegen konnten, hat der Arzt festgestellt, dass sich – vermutlich durch die häufigen Mittelohrentzündungen – übermäßig viel Ohrenschmalz angesammelt hat. Nachdem er es entfernt hatte, hat sie sogar gelächelt, als er sie gefragt hat, ob sie jetzt besser hören könnte. Auch die Untersuchungen haben ergeben, dass sie jetzt sehr gut hört.“

„Das sind ja wundervolle Neuigkeiten!“, rief sie erfreut.

„Ja. Schon auf dem Rückweg habe ich festgestellt, dass sie alles viel besser versteht.“

Trotz seiner Zurückhaltung merkte sie ihm die Erleichterung deutlich an. Ein Prinz konnte Berge versetzen, und das hatte Alexander getan, indem er seiner Tochter so schnell einen Termin bei einem Facharzt besorgt hatte. Außerdem hatte er sie als Spezialistin einfliegen lassen. Konnte es einen besseren Beweis dafür geben, dass er seine Tochter liebte?

„Das ist ein sehr guter Anfang, Königliche Hoheit.“

„Wann wollen Sie mit den Untersuchungen beginnen?“

„Morgen früh. Sie soll sich erst einmal richtig ausschlafen. Der Arztbesuch war sicher alles andere als angenehm für sie.“

„Einverstanden.“ Dieses eine Wort verriet so viele Gefühle. Sie konnte gut nachvollziehen, welche Sorgen er sich um seine Tochter gemacht hatte. „Und wo möchten Sie die Tests durchführen?“

Da der Prinz immer noch stand, erhob sie sich. Doch sie musste immer noch zu ihm aufblicken. „Wo spielt sie denn am liebsten?“

Nachdem er kurz überlegt hatte, erwiderte er: „Auf der Terrasse vor meinem Schlafzimmer.“

Das überraschte sie nicht. Anscheinend wollte die Kleine in seiner Nähe sein. „Ist sie oft dort?“

Nun atmete er scharf ein. „Nein. Sie darf es nur während meiner Anwesenheit. Und normalerweise arbeite ich noch, wenn sie schlafen geht.“

„Und morgens?“

„Seit wir hier im Palast sind, frühstücken wir immer zusammen in der Suite der Königin. Dort fühlt Zoe sich am wohlsten.“

„Und vor dem Frühstück?“

„Da bin ich normalerweise im Fitnessraum, und sie hat Schwimmunterricht.“

Dottie musste einen bestürzten Ausruf unterdrücken, weil der Tagesablauf der Kleinen so streng geregelt war. „Und wann kann sie dann mit Ihnen auf der Terrasse spielen?“

Flüchtig presste der Prinz die Lippen zusammen. „Am Sonntagnachmittag nach dem Essen. Warum fragen Sie das alles?“

Sie wählte ihre Worte mit Bedacht, um ihn nicht wieder zu brüskieren. „Damit ich mir ein Bild von ihrem Tagesablauf und ihrer Beziehung zu Ihnen machen kann. Wann findet ihr Griechischunterricht statt?“

„Bevor sie zu Mittag isst.“

„Dann nehmen Sie die Mahlzeit nicht zusammen ein?“

„Nein.“

Die arme Zoe! „Sie sagten, bis vor zwei Wochen wäre Zoe zur Vorschule gegangen?“

„Ja, dreimal die Woche für zwei Stunden – montags, mittwochs und freitags.“

„Und wann spielt sie mit Freunden?“

„Außerhalb der Schule, meinen Sie?“

„Ja. Hat sie Freunde hier im Palast?“

„Nein, aber auf Aurum, wo wir eigentlich wohnen.“

„Verstehe. Sind Sie damit einverstanden, dass ich die Untersuchungen auf Ihrer Terrasse durchführe? Ich glaube, sie wird dort besser mitmachen, und es würde bestimmt helfen, wenn Sie auch dabei wären. Allerdings lässt Ihr Terminplan …“

„Ich werde mir die Zeit nehmen“, unterbrach der Prinz sie.

Egal, was sie sagte, sie schien ihm immer zu nahe zu treten. „Das wäre schön, dann kann ich Sie beide zusammen beobachten. Ich bräuchte vorher einige Minuten, um etwas vorzubereiten.“

Der Prinz zog die Brauen hoch. „Wie viel Zeit brauchen Sie?“

„Ein paar Minuten nur.“

„Ich schicke Ihnen um acht ein Hausmädchen vorbei und komme dann zwanzig Minuten später mit Zoe. Sind Sie damit einverstanden?“

Um acht Uhr zwanzig? Nicht acht Uhr einundzwanzig? Lass dass, ermahnte Dottie sich dann. Du bist jetzt in einer anderen Welt. „Nur wenn Sie es sind, Königliche Hoheit.“

An seiner Wange zuckte ein Muskel, und der Prinz presste die Lippen zusammen. „Meine Tochter ist für mich das Wichtigste in meinem Leben. Also steht sie an erster Stelle.“

„Ich weiß“, erwiderte Dottie leise. „Und solange ich hier bin, tut sie das auch für mich.“

Nachdem er einen Moment geschwiegen hatte, wandte er sich ab. „Ich habe Hector angewiesen, Ihnen den Aufenthalt hier so angenehm wie möglich zu machen. Sie können entweder in dem kleinen Speisesaal für Gäste im zweiten Stock zu Abend essen oder in Ihrer Suite. Und wenn Sie etwas brauchen, rufen Sie ihn an, dann kümmert er sich darum.“

„Vielen Dank. Er ist so perfekt, dass er fast übermenschlich auf mich wirkt.“

„Das sagen mein Bruder und ich schon seit Jahren über ihn.“ Zum ersten Mal funkelten seine dunklen Augen amüsiert. Der Prinz war also auch nur ein Mensch. Diese Erkenntnis weckte ebenso unerwartete wie unerwünschte Gefühle in ihr.

„Wenn du dein Rührei aufisst, habe ich eine Überraschung für dich.“ Zoe wandte den Kopf und sah Alex aufgeregt an. „Ich möchte heute Vormittag mit dir auf meiner Terrasse spielen. Deswegen habe ich Sofia auch gebeten, dir heute eine Hose anzuziehen.“

Sofort aß sie einige Bissen, woraufhin seine Großmutter ihm einen erfreuten Blick zuwarf. Offenbar hoffte sie, die Sitzung mit der Sprachtherapeutin wäre keine Zeitverschwendung. Und so ging es ihm auch. Niemand wünschte sich ein konstruktives Feedback mehr als er.

Nachdem Zoe ihren Saft ausgetrunken hatte, rutschte sie vom Stuhl und wollte weglaufen. Doch Alex hielt sie zurück, indem er ihr zurief: „Du musst erst fragen, ob du aufstehen darfst.“

„Darf ich mit Papa weggehen, Yiayia?“, fragte sie ihre Urgroßmutter.

Diese nickte. „Viel Spaß.“

Alex stöhnte im Stillen, als er daran dachte, wie Zoe am Vortag aus seinem Büro geflüchtet war, nachdem sie Dottie gesehen hatte.

Während sie Hand in Hand zu seiner Suite gingen, hüpfte Zoe vergnügt. Als er sah, wie gut es ihr tat, mit ihm zusammen zu sein, wuchs sein Groll gegen Stasio.

Sobald er aus Valleder zurückkehrt, werde ich weniger arbeiten und mehr Zeit mit Zoe verbringen, nahm Alex sich erneut vor. Da er dessen Aufgaben zusätzlich zu seinen übernommen hatte, blieb ihm kaum noch eine Minute für sie. Vielleicht würde er sogar einen Kurzurlaub mit ihr machen.

Die Vorhänge im Schlafzimmer waren zurückgezogen. Zoe lief vor, blieb jedoch auf der Schwelle zur Terrasse unvermittelt stehen, sobald sie Dottie auf den Fliesen sitzen sah.

„Hallo, Zoe.“ Lächelnd begrüßte sie das Mädchen auf Englisch. Heute trug sie das Haar offen und war lässig in T-Shirt, Jeans und Turnschuhe gekleidet. „Meinst du, dein Vater kann den hier fangen?“ Sie warf ihm einen Tischtennisball zu.

Als er ihn mit der rechten Hand auffing, stieß Zoe einen überraschten Schrei aus. Er warf ihn zurück zu Dottie, die ihn mit der Linken fing. Bei der Vorstellung, was ihn noch in ihrem Beisein erwartete, beschleunigte sich aus irgendeinem unerfindlichen Grund sein Puls.

„Super!“ Ihre blauen Augen funkelten. „Sie und Zoe setzen sich auch hin und spreizen die Beine, und dann rollen wir uns die Bälle zu.“ Aus einer großen Tasche nahm sie einen größeren bunten Plastikball und spreizte die langen Beine.

Zoe war offenbar so verblüfft über Dotties Verhalten, dass sie ihre Angst völlig vergaß und es ihr nachtat. Dann rollte Dottie den Ball zu ihr, und Zoe parierte. Schließlich war er an der Reihe. Nachdem sie eine Weile so weitergemacht hatten, brachte Dottie einen Gummiball ins Spiel.

Lachend bemühte sich seine Tochter, beide Bälle in Bewegung zu halten, indem sie einen zu ihm und einen zu Dottie rollte.

„Toll machst du das!“, lobte Dottie. „Sollen wir es mal mit drei Bällen versuchen?“

Als Zoe begeistert zustimmte, förderte Dottie einen weiteren Tischtennisball zutage, und sie fuhren fort, bis die Kleine vor Lachen ganz außer Atem war.

„Du machst das so gut, dass wir jetzt etwas anderes ausprobieren“, erklärte Dottie. „Wollen wir mal sehen, wer besser springt?“ Sie nahm ein Springseil mit roten Griffen aus der Tasche und stand auf. „Los, Zoe. Du fasst dieses Ende an und ich das andere. Dein Vater springt zuerst. Du musst weit ausholen, so wie ich, sonst bekommt er das Seil an den Kopf.“

„Oh nein …“, rief die Kleine.

„Keine Angst“, beruhigte Dottie sie. „Dein Vater ist ein großer Junge. Es tut ihm nicht weh.“

Ihr war also aufgefallen, dass er groß war. Sprach das in ihren Augen auch gegen ihn?

Forschend betrachtete seine Tochter ihn. „Du bist ein Junge?“

„Ja. Ein sehr großer sogar“, antwortete Dottie an seiner Stelle und brachte Zoe damit zum Lachen.

Schon bald war sie konzentriert bei der Sache, und nachdem sie das Seil viermal hintereinander geschwungen hatte, rief sie: „Du kannst jetzt reinspringen, Papa.“

Alex bückte sich und schaffte es zweimal, bis er sich mit den Schultern im Seil verhedderte. Er war richtig enttäuscht, als Dottie verkündete: „So, nun ist Zoe an der Reihe. Wie viele Sprünge schaffst du?“

Seine Tochter neigte den Kopf zur Seite. „Vielleicht fünf …“

„Na, das möchte ich sehen. Guck genau zu. Wenn du glaubst, du bist bereit, spring einfach rein“, ermunterte Dottie sie. „Es macht nichts, wenn du mehrere Versuche brauchst. Dein Vater läuft nicht weg, stimmt’s?“

Beim letzten Satz blickte sie ihn nicht an, und Alex hatte den Eindruck, dass sie es absichtlich machte.

„Sie haben uns beide in der Hand, Dorothy.“ Da er ihre Personalakte gelesen hatte, wusste er, dass dies ihr richtiger Name war.

„Den Namen benutze ich nicht“, erklärte sie Zoe, während sie weiter das Seil schwang. „Du kannst Dottie zu mir sagen.“

„Das bedeutet ‚verrückt‘, stimmt’s?“, fragte Alex, gespannt, wie sie reagieren würde.

„Ihr Englisch ist wirklich bemerkenswert, Königliche Hoheit.“

„Ist sie verrückt?“ Zögernd stand Zoe da.

„Passen Sie auf, was Sie antworten“, warnte Dottie ihn. „Sie hört jetzt richtig gut.“

Er lachte und blickte seine Tochter dann lächelnd an. „Sie ist herrlich komisch, nicht?“

„Ja“, erwiderte Zoe kichernd.

„Komm, spring.“ Nach acht tränenreichen Versuchen gelang Zoe schließlich ein perfekter Sprung. Begeistert klatschte Dottie in die Hände. „Prima, Zoe! Nächstes Mal schaffst du noch mehr.“

Dann legte sie das Seil beiseite und langte in ihre große Tasche. „Für dieses Spiel müssen wir uns auf den Bauch legen.“

Verblüfft beobachtete Alex, wie Zoe sofort gehorchte. Nachdem Dottie vierundzwanzig Karten in vier Reihen auf den Boden gelegt hatte, drehte sie eine um. „Weißt du, was das ist, Zoe?“

Seine Tochter nickte. „Ein Schwein.“

„Richtig. Und es gibt jede Karte zwei Mal. Du musst dir jede Karte merken und dann die passende dazu finden. Wenn du ein Paar hast, kannst du es behalten. Einmal darfst du noch.“

Zoe drehte eine weitere Karte um.

„Was ist das?“

„Ein Wal.“

„Genau. Also kein Schwein. Du musst sie wieder weglegen. Jetzt ist dein Vater dran.“

Alex drehte eine Karte um.

„Ein Tiger, Papa.“

Bevor Alex etwas sagen konnte, sah er, wie beide zur Tür blickten. Frustriert drehte er sich um. Wer musste sie ausgerechnet jetzt stören?

„Verzeihung, Königliche Hoheit.“ Hector stand auf der Schwelle. „Ein dringender Anruf für Sie aus Argentum.“

Es musste sich tatsächlich um einen Notfall handeln, denn sonst hätte Bari ihm eine E-Mail geschickt. Barisou Jouflas war der leitende Bergbauingenieur auf Argentum und sein engster Freund seit Studienzeiten. Als Alex aufstand, stellte er verblüfft fest, dass Zoe konzentriert weitermachte.

„Ich komme zurück, so schnell ich kann.“

Dottie quittierte seine Worte mit einem Nicken, ohne ihn anzusehen.

„Bis später, Papa.“ Auch seine Tochter würdigte ihn keines Blickes.

Als Dottie aus den Augenwinkeln beobachtete, wie der Prinz sich entfernte, tat Zoe ihr ein wenig leid. Allerdings war ihr klar, dass es ihm schwergefallen war und die Staatsgeschäfte manchmal Vorrang hatten.

Da sie die nächsten Tests außerhalb des Palasts durchführen wollte, beschloss sie, die Gelegenheit zu nutzen, solange Zoe so zugänglich war. Obwohl das Mädchen immer noch sehr undeutlich sprach, konnte Dottie es aufgrund ihrer jahrelangen Berufserfahrung gut verstehen.

„Hast du Lust, mit mir an den Strand zu gehen?“, schlug sie vor, sobald Zoe das letzte Paar gefunden hatte.

Begeistert klatschte die Kleine in die Hände.

„Dann lass uns aufbrechen.“ Dottie stand auf und nahm eine Tüte aus der großen Tasche. „Gleich von hier aus?“

„Oh ja!“ Zoe sprang auf und lief die Treppe am anderen Ende der Terrasse hinunter.

Dottie folgte ihr und stellte fest, dass die Stufen direkt an den Strand führten. Es war ein warmer, sonniger Tag. Unten angekommen, nahm sie eine Flasche Sonnenschutz aus der Tasche und cremte Zoe und sich ein. Dann förderte sie zwei Hüte sowie eine Schaufel zutage.

„Zeigst du mir, wie du eine Sandburg baust?“

Sofort machte die Kleine sich an die Arbeit und schüttete einen Wall auf.

„Toll! Und wo kommt diese Flagge hin?“ Dottie reichte ihr eine kleine Flagge, die Zoe oben in den Wall steckte.

„Perfekt. Und nun mach ein Loch an die Stelle, an der sich das Tor befindet.“

Zoe gehorchte. Unterdessen nahm Dottie ein kleines Segelboot aus der Tasche und gab es ihr.

„Das ist das Boot deines Vaters. Was meinst du, wohin es segelt?“

„Hierhin.“ Die Kleine steckte es seitlich vor dem Wall in den Sand.

„Gut gemacht.“ Dottie reichte ihr eine kleine Plastikfigur. „Und nun stell dir vor, das ist dein Vater. Wo wohnt er im Palast?“

Nachdem Zoe etwa eine Minute überlegt hatte, platzierte sie die Figur im oberen Teil des Walls.

„Und wo schläfst du?“ Dottie reichte ihr eine zweite Figur in Gestalt eines kleinen Mädchens.

„Hier.“ Zoe steckte die Figur neben der anderen in den Wall.

„Schläfst du bei deiner Yiayia?“

„Nein.“

„Kannst du mir zeigen, wo sie schläft?“ Dottie gab ihr eine dritte Figur, die Zoe neben den anderen beiden in den Sand steckte. Alle schliefen im zweiten Stock.

„Dein Palast gefällt mir“, lobte Dottie sie. „Komm, ziehen wir die Schuhe aus und gehen ans Wasser. Vielleicht finden wir ein paar hübsche Steine, mit denen du die Wände schmücken kannst. Hier hast du einen Eimer.“

Die nächsten zehn Minuten verbrachten sie damit, kleine bunte Steine zu sammeln. Als sie zu der Sandburg zurückkehrten, sagte Dottie: „Kannst du sie ausschütten und nach Farben sortieren? Wir machen kleine Haufen daraus.“

Zoe nickte eifrig und begann, die Steine gewissenhaft nach Farben zu sortieren.

„Prima! Fang doch mit den Rosafarbenen an und leg sie in die Mitte des Palasts.“ Zoe erledigte die Aufgabe im Handumdrehen. „Und nun platziere die Orangefarbenen nach oben und die braunen nach unten.“

Während die Kleine ihr Werk beendete, machte Dottie einige Aufnahmen mit ihrem Smartphone. „Du musst die Fotos unbedingt deinem Vater zeigen. Und nun ziehen wir unsere Schuhe wieder an und kehren zum Palast zurück. Ich habe jetzt richtig Hunger und Durst, und du bist bestimmt auch hungrig. Komm, ich mache deine kleinen Schweinchen sauber.“

Fasziniert blickte die Kleine sie an. „Meine was?“

„Die hier.“ Dottie kitzelte sie an den Zehen. „Das sind deine kleinen Schweinchen. Sie quieken.“ Sie ahmte ein quiekendes Ferkel nach.

Als Zoe begriff, lachte sie. Es erinnerte Dottie schmerzlich an das Lachen ihres kleinen Sohnes, und prompt schnürte sich ihr die Kehle zu.

„Mrs. Richards?“, ließ sich im nächsten Moment eine Männerstimme vernehmen.

Mit den Tränen kämpfend sprang sie auf und blickte sich um. Ein Patrouillenboot mit zwei Wachen war an den Strand geglitten, ohne dass sie es gehört hatte. „Ja?“ Schützend legte sie Zoe, die auch aufgestanden war, den Arm um die Schultern. „Was ist?“

„Prinz Alexius hat nach Ihnen gesucht. Bleiben Sie hier. Er kommt gleich.“

Offenbar hatte sie wieder einen Fehler gemacht.

Dann sah sie den Prinzen die Treppe herunterlaufen. Er erinnerte sie an einen schwarzen Panther, der seine Beute verfolgte. Ein Schauer lief ihr über den Rücken.

Am Strand angekommen, nickte er den Wachen grimmig zu, die daraufhin wegfuhren.

„Guck mal, was ich gemacht habe, Papa“, rief Zoe, die die unterschwellige Spannung nicht bemerkte.

Er atmete schneller, für Dottie der Beweis dafür, dass er große Angst um seine Tochter gehabt hatte. Und während Zoe ihm von ihrem Aufenthalt am Strand erzählte, packte Dottie den Eimer und die Schaufel wieder ein. Als sie sich umdrehte, sah sie, dass er sich hingehockt hatte und Zoes Werk gebührend bewunderte.

Schließlich warf er Dottie einen durchdringenden Blick zu und sagte leise: „Es gibt in diesen Gewässern Piraten, die nur auf eine Gelegenheit wie diese warten …“

„Verstehe“, fiel sie ihm ins Wort. Ihr war übel geworden, denn sie hatte sich so etwas bereits gedacht. „Bitte entschuldigen Sie. Es wird nicht wieder vorkommen.“

„Da haben Sie recht.“

Dottie erstarrte, während er die Hand seiner Tochter nahm und mit dieser zur Treppe eilte.

„Komm mit“, rief Zoe ihr über die Schulter zu.

Den Blick auf den Prinzen gerichtet, der in dem weißen Poloshirt und der dunkelblauen Hose sehr maskulin wirkte, folgte Dottie ihnen. Auf halber Höhe hob er Zoe kurzerhand hoch und trug sie zur Terrasse.

„Die Königin wartet mit dem Mittagessen auf Zoe“, informierte er sie, als sie sie dort einholte. „Ich habe Ihr Essen in Ihre Suite schicken lassen. Ein Zimmermädchen wird Sie dorthin bringen. Wir unterhalten uns später.“

Dottie hörte, wie Zoe lautstark protestierte, als er sich mit ihr entfernte. Mit der großen Tasche in der Hand folgte sie der Frau, die sie zu ihrer Suite begleitete. Sobald sie allein war, eilte sie unter die Dusche, um sich den Sand abzuspülen und ihre Gefühle in den Griff zu bekommen.

Auch wenn sie es unwissentlich getan hatte, so hatte sie die Prinzessin in große Gefahr gebracht. Die Vorstellung, dass man die Kleine hätte kidnappen können, war unerträglich. Deshalb hätte sie es dem Prinzen nicht verdenken können, wenn er sie sofort nach Hause schickte.

Das war ein Problem, für das sie keine Lösung wusste. Zoe zu bemitleiden reichte nicht. Sie wollte ihr wirklich helfen. Die kleine Prinzessin hatte alle Tests mit Bravour bestanden. Sie hingegen hatte auf ganzer Linie versagt.

Nachdem sie sich abgetrocknet hatte, zog sie ein weißes Leinenkleid und Sandaletten an und machte sich darauf gefasst, dass man sie gleich zum Flughafen bringen würde. Als sie ins Schlafzimmer zurückkehrte, klopfte es an der Tür.

Es war ein Zimmermädchen mit dem Essen, das sie auf den Tisch in der Nische stellte. Während Dottie ohne großen Appetit aß und dazu Eistee trank, beantwortete sie einige E-Mails von zu Hause. Kurz darauf klopfte es wieder. Diesmal kam Hector herein.

„Seine Königliche Hoheit hat mich gebeten, Sie in sein Büro zu führen, wenn Sie mit dem Essen fertig sind, Mrs. Richards.“

Sie verdiente es nicht anders. „Das bin ich.“

Als sie im Büro ankamen, hatte Dottie beschlossen, es dem Prinzen leicht zu machen und noch an diesem Tag abzureisen. Er war allerdings nicht dort. „Bitte setzen Sie sich“, sagte Hector. „Seine Königliche Hoheit kommt gleich.“

„Danke.“ Nachdem er gegangen war, nahm sie auf dem kleinen Sofa Platz. Als der Prinz hereinkam, sprang sie gleich wieder auf. „Es tut mir schrecklich leid.“

Er schien sich inzwischen beruhigt zu haben. „Es ist meine Schuld, denn ich habe Sie nicht gewarnt. Letzten Herbst hat man versucht, Zoe aus der Vorschule zu kidnappen.“

„Oh nein …“, rief sie entsetzt.

„Zum Glück konnte die Entführung vereitelt werden. Danach habe ich die Sicherheitsvorkehrungen verschärft. Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, dass Sie mit Zoe an den Strand gehen könnten. Zum Glück haben die Wachen Sie die ganze Zeit im Auge behalten. Sie sind genauso ein Ziel wie Zoe, und solange Sie hier in Hellenica sind, bin ich für Sie verantwortlich.“

„Verstehe.“

„Bitte setzen Sie sich wieder, Mrs. Richards.“

„Ich … ich kann nicht“, erwiderte Dottie stockend. Beim gemeinsamen Spiel hatte er „Dorothy“ zu ihr gesagt und damit eine ganz andere, viel menschlichere Seite offenbart. Nun schien es ihr, als wäre es nie passiert.

Forschend betrachtete er sie. „Haben Sie sich verletzt?“

„Nein, und das wissen Sie“, erwiderte sie leise. „Ich wollte Ihnen nur sagen, dass sie mich nicht entlassen müssen, denn ich gehe, sobald mich jemand zum Flughafen fahren kann.“

Nun runzelte er die Stirn. „Wie kommen Sie darauf, dass Ihre Dienste nicht länger erwünscht sind?“

Verwirrt blinzelte sie. „Sie sagten das am Strand.“

„Das müssen Sie mir erklären“, verlangte der Prinz.

„Als ich Ihnen versicherte, dass es nie wieder vorkommen würde, sagten Sie, da hätte ich recht.“

Sein Blick war durchdringend. „Und Sie haben daraus geschlossen, dass ich Ihnen meine Tochter nicht mehr anvertraue. Sind Sie immer so unsicher?“

Dottie schluckte mühsam. „Nur Mitgliedern von Königshäusern gegenüber, die sich Sorgen wegen Piraten und Kidnappern machen müssen. Für Sie muss es heute wie ein Déjà-vu-Erlebnis gewesen sein. Es tut mir furchtbar leid.“

Alex atmete tief durch. „Bitte informieren Sie mich von jetzt an über all Ihre Pläne, egal, ob Sie etwas mit Zoe oder allein unternehmen wollen. Dann gibt es auch keine Probleme mehr.“

„Einverstanden.“ Dass er ihr eine zweite Chance gab, nötigte ihr großen Respekt und Bewunderung ab. Und als sie sich wieder ansahen, spürte sie etwas zwischen ihnen, das sie nicht benennen konnte. Ihr wurde heiß, und sie konnte den Blick nicht von ihm abwenden.

3. KAPITEL

Der Prinz brach den Bann, indem er sich räusperte. „Nachdem Sie den Vormittag mit meiner Tochter verbracht haben, würde ich gern von Ihnen wissen, wie Ihr Eindruck von ihr ist.“

Dottie riss sich zusammen. Aus Angst davor, dass sie den Prinzen vollends verprellt hatte, hatte sie beinah vergessen, warum sie nach Hellenica gekommen war.

„Zuerst die schlechte Nachricht“, begann sie. „Sie hat Schwierigkeiten bei der Aussprache. Dafür kann es verschiedene Ursachen geben, aber das spielt keine Rolle. Tatsache ist, dass es ihr zu schaffen macht. Und nun die gute Nachricht. Zoe ist hochintelligent und hat überdurchschnittliche motorische und kognitive Fähigkeiten. Ihr Wortschatz ist bemerkenswert. Sie versteht Präpositionen und wendet die richtigen Methoden an, um Probleme zu lösen. Beim Spielen ist sie erstaunlich geschickt. Sie haben ja selbst gesehen, wie sie mit den Bällen und dem Springseil hantiert hat. Sie hat eine hervorragende Koordination, und ihr Gleichgewichtssinn ist sehr gut.

Auch Richtungsanweisungen befolgt sie mühelos. Wenn Sie sich ihre Sandburg genau angesehen haben, ist Ihnen sicher aufgefallen, dass sie über ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen verfügt. Sie begreift ihre Welt und versteht, was sie hört. Wie ich schon sagte, hat Zoe nur ein einziges Problem, aber ein großes, denn sie kann sich meistens nur Ihnen, der Königin und teilweise vermutlich auch Sofia gegenüber verständlich machen.“

Alex nickte. „Und deswegen zieht sie sich zurück.“

„Genau. Ihren Schilderungen zufolge ist sie in den letzten Monaten schwieriger geworden. Sie wird älter und verliert das Vertrauen in Gegenwart derer, die keine Sprachprobleme haben. Sie ist klug genug, um zu wissen, dass sie anders ist. Um Situationen zu vermeiden, in denen der Unterschied zutage tritt, läuft sie weg und versteckt sich. Das ist ein ganz normales Verhalten.

Zoe möchte sich verständlich machen. Und je weniger es ihr gelingt, desto hilfloser fühlt sie sich, daher die Wutanfälle. Sie hat keine psychischen Probleme, die sich nicht in Wohlgefallen auflösen würden, sobald sie sich genauso verständlich machen kann wie alle anderen. Sie weist andere Menschen von sich und klammert sich an Sie und Ihre Großmutter, weil Sie beide sie bedingungslos lieben. Ihr ist allerdings klar, dass alle anderen es nicht tun und fühlt sich deshalb wie eine Außenseiterin.“

Sein ernster Gesichtsausdruck verbarg eine große Angst, das sah Dottie an seinen Augen.

„Kann sie das überwinden?“

„Natürlich. Sie braucht Hilfe bei der Aussprache, vor allem bei den Mitlauten. Sie kann das H und das T nicht aussprechen. Deshalb ist sie zutiefst frustriert. Aber wenn wir regelmäßig üben, wird sie bald genauso gut sprechen wie ich.“

Geistesabwesend strich der Prinz sich über den Nacken. „Heißt das, Sie hatten früher dasselbe Problem?“

„Ein noch größeres sogar. Ich habe so stark gestottert, dass mich in der Grundschule alle gehänselt haben. Kinder können sehr grausam sein. Ich habe oft krank gespielt, um nicht hingehen zu müssen.“

„Und wie haben Sie das durchgestanden?“, erkundigte er sich mitfühlend.

„Ich bin bei meiner Tante aufgewachsen. Sie hat großen Wert auf Disziplin gelegt und mich jeden Tag zu einer Logopädin geschickt, die mit mir geübt und mir die richtigen Atem- und Entspannungstechniken gezeigt hat. Mit den Jahren ist es besser geworden, und auf der weiterführenden Schule habe ich nur noch ganz selten gestottert.

Zoe hat ein anderes Problem und muss jeden Tag ihre Aussprache trainieren. Wenn Sie auch mit ihr üben, wird sie schneller Fortschritte machen. Je kreativer Sie dabei sind, desto besser. Ich habe Spielsachen und Spiele mitgebracht, die Sie benutzen können. Wenn sie mit Ihnen kommuniziert, wird sie Sie nachahmen und ihre Aussprache langsam, aber sicher verbessern.“

„Sie werden doch auch hier sein?“

„Selbstverständlich. Wir beide werden uns abwechselnd mit ihr befassen und manchmal auch zu dritt spielen. Ich kann gar nicht genug betonen, wie gut es Zoe tun wird, wenn Sie sich regelmäßi...

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