Julia Exklusiv Band 175

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KOMM ZURÜCK NACH KORFU von BAIRD, JACQUELINE
Voller Sehnsucht erinnert sich Anne an die wunderbare Zeit, die sie mit Nikos auf Korfu verbrachte. Sie trafen sich, liebten einander und heirateten. Das Glück aber zerbrach, und Anne verließ die Insel. Nun sucht Nikos sie auf - mit einem ungeheuerlichen Anliegen ...

SONNE MEINES LEBENS von GORDON, LUCY
Bis jetzt hat Briony ihren Chef für einen unausstehlichen Mann gehalten. Nun aber sieht sie, wie liebevoll Carl sich bemüht, seiner kranken Tochter Emma ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Brionys Herz fliegt ihm zu - doch er hat nur Augen für Emma.

IM HOCHLAND ERWACHT DIE LIEBE von RYDER, ALEX
Wie soll Shona den Küssen ihres Erzrivalen Dirk MacAllister nur widerstehen? Nie hat sie ihm verziehen, dass er einst wegen einer Familienfehde ihre leidenschaftliche Liebe verriet. Als er zurückkehrt, fühlt sie sich zwischen Hass und Sehnsucht zerrissen.


  • Erscheinungstag 20.05.2008
  • Bandnummer 175
  • ISBN / Artikelnummer 9783863495367
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

JACQUELINE BAIRD

KOMM ZURÜCK NACH KORFU

Enttäuscht reist Anne mit ihrem kleinen Sohn von Korfu zurück nach England: Sie erträgt es nicht mehr, wie ihr geliebter Ehemann Nikos sie hintergeht. Dabei waren sie so glücklich und zärtlich miteinander! Nun vergeht keine Nacht, in der sie nicht sehnsüchtig an Nikos denkt, bis er eines Tages tatsächlich vor ihr steht. Oder träumt sie das etwa nur?

LUCY GORDON

SONNE MEINES LEBENS

„Tu es für Emma!" Als Briony von ihrem Chef Carl Brackman einen Heiratsantrag bekommt, weiß sie, dass sie nicht von Liebe träumen darf: Ihm geht es nur darum, dass seine kranke Tochter Emma noch einmal echtes Familienglück genießt. Trotzdem stimmt Briony zu – doch das Wichtigste verschweigt sie Carl: Schon lange hat sie ihr Herz an ihn verloren!

ALEX RYDER

IM HOCHLAND ERWACHT DIE LIEBE

Eine zärtliche, aber verbotene Liebesnacht war es, die Shona und Dirk vor Jahren erlebten. Weil ihre Familien verfeindet sind, begegneten sie sich danach nie wieder. Bis jetzt, da sie sich erneut gegenüberstehen und Shona sich in einem Zwiespalt sieht: Die Familienehre verlangt, dass sie Dirk leidenschaftlich hasst – doch ihr Herz sagt etwas ganz anderes.

1. KAPITEL

St. Ives glänzte im frühen Morgensonnenlicht. Der von der Ebbe rein gewaschene Strand wirkte jetzt im September fast einsam. Die Urlauber waren abgefahren, und die Kinder gingen wieder in die Schule.

Anne wischte sich verstohlen die Tränen aus den Augen, als sie an einem älteren Ehepaar vorbeischlenderte, das Schnappschüsse von der Bucht machte. Sie hatte gerade ihren dreijährigen Sohn Jonathan in den Kindergarten gebracht und fühlte sich, als hätte er sie verlassen.

„Du meine Güte“, schalt sie sich selbst, „wie soll das dann erst werden, wenn er mit der Schule anfängt?“ Seufzend riss sie sich zusammen und ging schneller die Promenade entlang. Der Wind verfing sich in ihrem Haar und ließ es um ihre Schultern wehen.

Anne hatte mit neunzehn Jahren geheiratet und eine viel versprechend begonnene Karriere als Mannequin aufgegeben, aber mit ihren Fünfundzwanzig sah sie immer noch umwerfend aus. Sie vermittelte jene Sinnlichkeit, der nur wenige Männer widerstehen konnten. Sie war groß und vollbusig, hatte eine schlanke Taille und schöne, lange Beine. Neben den gut proportionierten weiblichen Kurven besaß sie ein atemberaubend attraktives Gesicht mit großen, dunkelgrünen Augen, einer kleinen geraden Nase und fein geschwungenen Lippen. Es war umrahmt von einer wilden Mähne roten Haares, das in dichten Locken über den Rücken fiel.

Anne schenkte den bewundernden Blicken der Passanten keine Beachtung. Denn seit ihre Ehe vor vier Jahren geschieden wurde, hatte sie aufgehört, Wert auf ihr Aussehen zu legen. Sie wollte nie mehr ihr Leben danach ausrichten, einem Mann zu gefallen. Nikos Kardis, ihr Ex-Mann, hatte sie gelehrt, dass das nicht funktionierte …

Sie stieß eine schmale Glastür mit den aufgedruckten Goldbuchstaben Hope Gallery auf.

„Brauchst du ein Taschentuch?“, fragte ihre Freundin und Geschäftspartnerin Iris.

Anne lächelte. „Zu spät. Ich habe mich schon zum Trottel gemacht und den ganzen Rückweg über geheult. Aber eine Tasse Kaffee wäre nicht zu verachten.“

Iris lachte. „Ich weiß genau, wie du dich fühlst. Es ging mir damals auch so, als meine beiden mit dem Kindergarten anfingen. Der erste Schritt los vom Elternhaus schmerzt eben immer wieder. Setz dich, gib vor, beschäftigt zu sein, und ich mache den Kaffee.“

Zärtlich schaute Anne ihr nach, wie sie durch eine Tür hinten in der Galerie verschwand. Sie setzte sich seufzend auf den eleganten cremefarbenen Drehstuhl hinter dem Schreibtisch und stützte das Kinn in die Hände. Iris war beinahe doppelt so alt wie Anne, und ohne sie wären die letzten Jahre bestimmt nicht so glücklich verlaufen. Sie hatte Anne nach der Scheidung wieder aufgebaut, war Mutter und beste Freundin zugleich. Auch Jonathan liebte sie herzlich.

Mit einem Anflug von Stolz betrachtete Anne ihre Umgebung. Die Galerie bestand aus einem langen Raum. In der Mitte wurde er durch eine Treppe geteilt, die zu den Wohnräumen führte. An den Wänden hingen Gemälde von hiesigen Künstlern, darunter auch ein oder zwei von Anne. Den Blickfang bildete ein Tisch mit Bronzeskulpturen, und in einer Ecke befand sich eine kleine Abteilung für den künstlerischen und fotografischen Bedarf. Die Galerie konnte Anne zwar niemals reich machen, aber sie warf einen beträchtlichen Gewinn ab. Im Sommer herrschte bei den Touristen eine rege Nachfrage an Gemälden, und im Winter hielten die zahlreich in St. Ives lebenden Künstler ihr Geschäft durch den Kauf von Arbeitsmaterial über Wasser. Und durch die Einzelausstellungen, die Anne im Winter für einige Künstler organisierte, gewann die Galerie allmählich auch außerhalb Cornwalls einen Namen.

Anne lächelte. Sie konnte mit ihrem Leben wirklich zufrieden sein. Und es war töricht, sich niedergeschlagen zu fühlen, nur weil ihr Sohn nun in den Kindergarten ging. Aber sie wusste auch, dass diese Traurigkeit eigentlich einen anderen Grund hatte. Es waren die plötzlich wachgerufenen Erinnerungen, die sie für immer hatte vergessen wollen: Da war ihr übergroßes Glück, als die Schwangerschaft festgestellt wurde, das schon zwei Monate später einer unendlichen Qual weichen musste.

Mr. Farlow, ihr Anwalt, hatte sie in sein Büro gebeten. Nikos wollte sich wegen böswilligen Verlassens von ihr scheiden lassen. Sie war so entsetzt gewesen, dass sie ohnmächtig geworden war. Mr. Farlow hatte sofort ihren Zustand erkannt und darauf bestanden, Nikos gleich über die Schwangerschaft zu informieren, weil Anne nun neben der Scheidungsabfindung auch Unterhalt für das Kind zustand.

So rief Anne gleich von der Kanzlei aus bei Nikos an und platzte mit ihren Neuigkeiten heraus. Seine Antwort prägte sich für immer in ihrem Gedächtnis ein: „Glückwunsch, aber es interessiert mich nicht. Soweit es mich betrifft, bist du nicht länger meine Frau. Und falls du glaubst, dass ich die Zahlungen erhöhe – vergiss es. Gib mir deinen Anwalt.“

Kurze Zeit später hatte sie die Scheidungsurkunde und eine Kopie von Nikos’ offizieller Ablehnung des Kindes. Wie sie die folgende Zeit überstanden hatte, wusste Anne nicht mehr genau. Denn sie lebte außerhalb der Realität, in einer eigenen zwielichtigen Welt, gefangen in Schmerz und Verzweiflung. Doch mit Beginn des neuen Jahres hatte sich plötzlich alles geändert …

Sie schlenderte die Regent Street ohne festes Ziel hinunter, als ihr in einem Schaufenster ein Ölgemälde auffiel. Es zeigte eine Landschaft in Cornwall und erinnerte sie an glücklichere Zeiten – an die Ferien, die sie dort mit ihren Eltern verbracht hatte, an Iris, eine Frau aus Cornwall, die ihren Eltern während des Urlaubs im Haushalt und als Kindermädchen geholfen hatte. Bei ihr hatte Anne sich als Kind immer geborgen gefühlt.

Dann ging alles sehr schnell. Anne beauftragte einen Immobilienmakler mit dem Verkauf ihres Apartments, packte ihre Habe zusammen und stand ein paar Tage später vor Iris’ Haus in Trevlyn Cove, in Tränen aufgelöst und im siebten Monat schwanger. Anne wurde herzlich aufgenommen, rührend umsorgt und gebar auch ihr Baby in diesem Haus. Als dann einige Monate später das dreistöckige Terrassengebäude mit dem Eckgeschäft in St. Ives angeboten wurde, übernahm Anne es in Pacht und richtete sich eine Galerie ein. Von da an hatte sie nie wieder zurückgeblickt …

„Hier, der wird dir guttun. Du siehst schrecklich aus.“ Iris servierte den Kaffee und sah Anne mitfühlend an.

„Oh, vielen Dank, sehr nett“, entgegnete Anne gespielt gekränkt. Dankbar trank sie den Kaffee und gab sich dann einen Ruck. „So, jetzt machen wir uns besser an die Arbeit. Die ganzen Kisten warten schon seit gestern darauf, ausgepackt zu werden.“

Sie arbeiteten schweigend, denn nach dem Sommeransturm war vieles aufzufüllen, doch schließlich meinte Iris: „Nun mach dich schon auf den Weg und hol deinen Spross ab. Du schaust ohnehin dauernd zur Uhr. Den Rest schaffe ich auch ganz gut allein.“

Anne hatte Jonathan gerade zu seinem Mittagsschlaf gelegt, als das Telefon läutete.

„Hope Gallery“, meldete sie sich und lauschte dann nur noch andächtig, und gleich darauf spielte ein Lächeln um ihren Mund. „Das ist großartig, einfach fantastisch!“, rief sie schließlich begeistert aus. „Ja, ja, bestimmt, ich werde fertig sein“, versprach sie. Dann legte sie den Hörer auf und rannte die Treppe hinunter.

„Iris, Iris!“ Anne umfing ihre Freundin an der Taille und tanzte mit ihr ausgelassen in der Galerie herum. „Harry Trevlyn hat eben angerufen. Seine Verhandlung war ein Riesenerfolg. Der Chef des Konsortiums kam persönlich und …“ Sie holte tief Luft. „Sie übernehmen die Finanzierung. Trevlyn Cove ist gerettet.“

„Das ist einfach wunderbar“, sagte Iris leise. „Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viel mir das bedeutet. Ich habe mein ganzes Leben in Trevlyn Cove verbracht, und mein Mann hat bis zu seinem Tod in der Mine gearbeitet. Ich hatte solche Angst, dass das Dorf …“ Mit Tränen in den Augen brach sie ab. Anne wusste, was Iris fühlte. Trevlyn Cove war ein winziges, malerisches Bergarbeiterdorf am Rande der Klippen. Es bestand aus zwei Reihen kleiner Steinhäuser, einer kleinen Kirche und einem Pub. Nach der Scheidung war es Annes Zufluchtsort gewesen und würde immer, genauso wie die Menschen dort, einen besonderen Platz in ihrem Herzen behalten. Als es feststand, dass die Zinnmine in wenigen Monaten geschlossen werden musste, hatte Anne mit ihren Freunden um die Zukunft des Dorfes gebangt. Harry Trevlyn, ein fünfzigjähriger Witwer, war der Minenbesitzer und Eigentümer des Landes, das sich meilenweit um das Dorf herum erstreckte. Es gehörte seiner Familie schon seit Generationen, und er kämpfte darum, es seinen beiden Söhnen Michael und David zu erhalten. Er kam auf die Idee, aus Trevlyn Cove ein Ferienparadies zu machen, in dem auch seine Minenarbeiter gleich neue Arbeitsplätze erhielten. Und nun hatte er endlich den Geldgeber für dieses Projekt gefunden.

Am Abend machte Anne sich sorgfältig zurecht. Harry Trevlyn wollte den erfolgreichen Vertragsabschluss mit seinem neuen Geschäftspartner bei einem Essen feiern und hatte sie gebeten mitzukommen.

Sie steckte ihr Haar an einer Seite mit einem Goldkamm zurück und ließ den Rest in einem Wirrwarr von Locken über die Schulter fallen. Dann wählte sie ein knielanges, rückenfreies Kleid aus cremefarbener Seide, das noch aus ihrer Mannequinzeit stammte. Es hatte einen gewagten V-Ausschnitt und war hauteng geschnitten.

Anne warf ihrem Spiegelbild einen unzufriedenen Blick zu. Wegen des tiefen Ausschnitts konnte sie keinen Büstenhalter tragen, und ihre Brust war wesentlich voller als vor fünf Jahren. Wenn sie sich zu unbedacht bewegte, hatte sie das scheußliche Gefühl, dass ihre Brüste aus dem dünnen Stoff des Kleides herausschlüpfen könnten. Es war wirklich nicht ihr gewohntes Image, doch Glamour war das Gebot des Abends. Denn Harry hatte am Telefon gesagt: „Vielleicht kannst du heute Abend zeigen, was du als Mannequin gelernt hast.“

Also, weshalb nicht? Sie schlüpfte in hochhackige bronzefarbene Sandaletten, verteilte noch die letzten Tropfen eines sündhaft teuren Parfüms hinter den Ohren und am Dekolleté und eilte hinunter.

„Wow, Mummy! Du siehst umwerfend aus!“

„Danke, Liebling.“ Anne lächelte und strich zärtlich über den dunklen Lockenkopf ihres Sohnes. „Und du bist wirklich ganz brav bei Tante Iris, versprochen?“

„Ich bin doch immer brav“, antwortete er entrüstet, während seine großen grauen Augen spitzbübisch aufblitzten.

Sekundenlang war Anne überwältigt, wie sehr er seinem Vater ähnelte. Aber rasch verdrängte sie den Gedanken wieder, denn in diesem Augenblick traf Harry ein. Überraschenderweise hatte er Michael mitgebracht.

„Nein, Anne! Bist du es wirklich? Bei diesem Kleid ist es für meinen Vater bestimmt ein zu großes Risiko, mit dir auszugehen. In seinem Alter ist vielleicht das Herz einer so großen Anstrengung nicht mehr gewachsen.“

Eine schroffere Stimme mischte sich ein: „Du frecher Bengel! Pass auf, was du sagst, sonst gebe ich dir den Wagen nicht.“

„Ach, deshalb ist Michael hier.“ Anne lächelte Harry zu. „Wir haben heute Abend also einen Chauffeur.“

„Ich hoffe, du hast nichts dagegen. Bei der Verhandlung heute Mittag hatte ich schon ein paar Drinks, und um gesellschaftsfähig zu sein, brauche ich bestimmt auch heute Abend noch einige.“

Sie fuhren zum Hotel Cove Country House. Harrys Geschäftspartner und seine Begleiterin übernachteten dort, und es war berühmt für sein gutes Essen und die exzellente Bedienung. Anne spürte allmählich eine kribbelnde Aufregung und betrachtete die beiden Männer im Fond des Wagens zärtlich. Es versprach wirklich, ein angenehmer Abend zu werden.

Dann drehte sich Harry zu ihr um und warf ihr einen seltsam unsicheren Blick zu. „Nur eine Sache noch. Ich – ich habe ihnen erzählt, dass du meine Verlobte bist.“

Das Auto schlingerte, als Michael lauthals lachte. „Aber Dad, wozu das? Du bist doch alt genug, um ihr Vater zu sein.“

„Das weiß ich selbst“, gab Harry ungehalten zurück. „Doch dieser Kardis hat es mir förmlich aufgezwungen. Er nahm an, dass ich meine Frau mitbringe. Als er erfuhr, dass ich Witwer bin, meinte er anzüglich, ich solle eben mit irgendeiner Freundin kommen. Diese ausländischen Burschen sind ziemlich unmoralisch. Wahrscheinlich hat er auch ein Verhältnis mit seiner Sekretärin. Verstehst du, Anne? Ich musste deinen Ruf schützen.“ Anne war zu geschockt, um antworten zu können. Der Name Kardis dröhnte in ihrem Kopf und riss wieder alte Wunden auf. Sie musste sich verhört haben, es konnte einfach nicht wahr sein!

„Anne? Alles okay? Du bist ja ganz blass geworden. Ich habe nur gedacht … Ach, zum Teufel! Ein Mann meines Alters kann nicht sagen, dass er eine Freundin hat. Verlobte klingt viel besser, und es ist doch nur für heute Nacht.“

Anne ballte ihre Hände so fest, dass sie die Fingernägel schmerzhaft in den Handflächen spürte. Aber schließlich hatte sie sich wieder so weit in der Gewalt, dass sie sprechen konnte. „Hast du gesagt, der Name dieses Mannes sei Kardis? Ist es Nikos Kardis?“, fragte sie und hatte Mühe, ihren Ärger nicht zu zeigen.

„Ja“, antwortete Harry. Er war erleichtert, dass es ihr nicht um die Verlobungsgeschichte ging. „Ihm gehört Troy International. Er war gerade in London. Deshalb hat er auch keinen Vertreter geschickt, sondern sich in Trevlyn Cove gleich persönlich umgeschaut. Für mich ist das wirklich ein glücklicher Zufall.“

Doch für Anne war es alles andere als eine glückliche Fügung. In wenigen Minuten würde sie ihrem Ex-Mann gegenüberstehen. Sie zermarterte sich das Gehirn. Weshalb hatte Harry nur niemals vorher den Namen des Konsortiums erwähnt? Aber nun war es zu spät. Und plötzlich wusste sie, weshalb sie sich beim Zurechtmachen so unerklärlich unbehaglich gefühlt hatte. Wäre sie doch nur ihrer Intuition gefolgt und lieber zu Hause geblieben.

In ihr sträubte sich alles bei der Vorstellung, wieder Nikos begegnen zu müssen. „Halt den Wagen an!“, schrie sie voller Panik und umklammerte Michaels Schulter.

„Verdammt!“ Michael trat auf die Bremse, fuhr an den Straßenrand und drehte sich wütend um. „Was ist los mit dir? Ich weiß, dass Dad kein Adonis ist, aber die Rolle als Verlobte ist nur für diese eine Nacht. Niemand wird etwas davon erfahren, also warum stellst du dich so an?“ Er war von ihrer heftigen Reaktion sichtlich verwirrt.

Anne winkte heftig ab. „Es geht mir nicht um die Verlobung, das ist vielleicht eine gute Idee.“ Anne lächelte ziemlich verkrampft und spürte erleichtert, dass sich ihre Panik etwas gelegt hatte. „Nikos Kardis ist mein Ex-Mann.“

„So?“, meinte Michael unbeeindruckt und mit einem gelassenen Achselzucken. „Scheidung ist heutzutage doch nichts Ungewöhnliches. Und hast du mir nicht erzählt, dass deine ganz zivilisiert abgelaufen ist? Der Mann hat dir das alleinige Erziehungsrecht für Jonathan zugestanden und dich nie belästigt. Er scheint recht vernünftig zu sein. Weshalb hast du dann einen Horror davor, ihn wiederzusehen?“

Ja, warum eigentlich? Mit seiner jugendlichen Selbstverständlichkeit hatte Michael ihre Situation perfekt beschrieben. Nikos bedeutete ihr nichts mehr. Ihre Liebe zu ihm war vor langer Zeit gestorben. Die Verleugnung seines eigenen Kindes hatte ihr gezeigt, wie herzlos er war. Sie war für alle Zeiten von ihm kuriert. Es gab also keinen Grund, weshalb sie nicht mit ihm zusammen essen sollte. Die Vergangenheit existierte nicht mehr.

Anne atmete tief ein und riss sich zusammen. „Du hast recht, Michael“, räumte sie ein. „Es kam nur so unerwartet. Nun fahr schon weiter, sonst kommen wir zu spät!“

Harry schaute sie forschend an. „Bist du wirklich sicher, Anne?“, fragte er weich.

Sie lächelte zärtlich. „Ja, keine Sorge. Und in der Gegenwart meines ‚Verlobten‘ wird Nikos die Vergangenheit bestimmt nicht erwähnen. Außerdem waren wir nur kurze Zeit verheiratet. Wahrscheinlich hat er sogar alles schon vergessen.“

„Das kann ich mir nicht vorstellen. Du bist eine sehr reizvolle Frau, Anne. Aber irgendwie kann ich nicht verstehen, dass du mit ihm zusammen warst. Er ist ein harter Geschäftsmann und er wirkt auf mich wie ein Playboy. Überhaupt nicht dein Typ“, stellte Harry schließlich mit einem Kopfschütteln fest.

Anne wurde einer Antwort enthoben, weil der Wagen gerade vor dem Hotel hielt. Als sie in das Foyer gingen, nahm Harry ihren Arm. Sie war dankbar für diesen Halt und unsagbar froh, dass Harry sie vorgewarnt hatte. Denn nun hatte sie zwar ein flaues Gefühl in der Magengegend und etwas zittrige Beine, aber unvorbereitet hätte sie Nikos’ Anblick wahrscheinlich völlig aus der Fassung gebracht.

„Das traute Paar!“ Antonio und seine Frau Maria, die italienischen Hotelbesitzer, kamen ihnen freudestrahlend entgegen.

„Woher wisst ihr das?“ Harry war durch diese Begrüßung sichtlich verstört.

„Mr. Kardis sagte, dass er auf Mr. Trevlyn und seine Verlobte in der Cocktailbar warte. Du hättest uns auch etwas erzählen können, Anne, wir sind Freunde.“

Anne war wie gelähmt. Am liebsten hätte sie laut gelacht, denn der Abend schien sich zusehends zu einer Farce zu entwickeln. Aber bevor sie reagieren konnte, mischte Harry sich ein. „Später Antonio, später“, sagte er kurz und drängte Anne in die Bar.

Anne musste ihre ganze Willensstärke aufbieten, um nicht auf dem Absatz kehrtzumachen und zu flüchten, als sie das Paar sah, das mit dem Rücken zur Tür am Tresen stand. Nikos Kardis. Es gab keinen Zweifel. Seine breitschultrige, geschmeidige Gestalt schuf noch dieselbe Aura reiner Männlichkeit, die sie – Anne – vor Jahren so betört hatte.

Nikos hatte sie bemerkt und drehte sich um. Anne schluckte und hielt sekundenlang den Atem an. Aber sie schaffte es, ein strahlendes Lächeln aufzusetzen. Sie vermied es jedoch, Nikos anzuschauen, und richtete stattdessen ihre Aufmerksamkeit auf seine Begleiterin: Melanie.

Anne war nicht überrascht. Es gab offenbar Dinge, die sich nie änderten. Melanie war Nikos’ Sekretärin und schon vor, während und nach Annes Ehe mit ihm auch seine Geliebte. Melanies Gegenwart erleichterte es Anne, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten.

„Anne, das ist aber eine Überraschung“, zwitscherte Melanie überschwänglich.

„Melanie“, antwortete Anne höflich und registrierte aus den Augenwinkeln, wie die beiden Männer sich die Hand reichten.

„Trevlyn. Wie schön, dass Sie kommen.“ Nikos’ Stimme hatte noch immer denselben Klang, tief und kehlig. „Und Anne, schöner denn je, meine Liebe.“

Da Nikos nun genau vor ihr stand, blieb Anne keine andere Wahl, sie musste ihn ansehen. Er schien verärgert zu sein, denn sie fing ein kurzes Aufflackern brennender Wut in seinen Augen ein, bevor er wieder seine typische Pokermiene aufsetzte.

„Hallo, Nikos“, erwiderte Anne kühl und reichte ihm höflich die Hand zur Begrüßung. Sein Händedruck war fest und dauerte länger als nötig. Gleichzeitig ließ er ungeniert einen lüsternen Blick über ihren Körper gleiten.

Anne war froh, dass sie sich für diesen Abend so sorgfältig zurechtgemacht hatte. Sie wusste, dass sie gut aussah und hielt der unverschämten Musterung gelassen stand. Früher hätte Nikos sie mit einem solchen Blick in Verlegenheit gebracht. Doch das war lange vorbei. Sie entzog ihm die Hand, warf selbstbewusst den Kopf in den Nacken und lächelte herablassend.

Nikos sah noch immer atemberaubend gut aus, und in dem eleganten dunkelblauen Anzug wirkte seine fast zwei Meter große Gestalt sehr beeindruckend. Aber er war schlanker, als Anne ihn in Erinnerung hatte. Sein dichtes dunkles Haar war inzwischen von grauen Strähnen durchzogen, und in seinem Gesicht hatten sich steile Falten zwischen Mund und Nase eingefurcht. Am nächsten Geburtstag wurde er vierzig, und dieses Alter sah man ihm mittlerweile an. Anne verbarg ihre Überraschung, indem sie sich mit einem strahlenden Lächeln an Harry wandte.

„Bist du so nett und bestellst mir meinen Drink, Lieber?“

„Wenn du erlaubst, übernehme ich das“, mischte Nikos sich ein. „Gin and Tonic, nicht wahr?“

„Aber nein“, erklärte Harry entrüstet. „Anne trinkt immer nur ein Glas Wein.“

Nur mühsam konnte Anne ein Grinsen unterdrücken. Harry schien ein Naturtalent zu sein. Er reagierte so gut, als wenn sie es vorher abgesprochen hätten. Zufrieden notierte sie Nikos’ wütend zusammengepressten Mund. Sie hatte einen traumatischen Abend befürchtet. Doch solange sie ihre kühle Haltung bewahrte, konnte er nun sogar recht viel versprechend und amüsant werden. Nikos würde sehr schnell feststellen, dass sie nicht mehr das törichte junge Mädchen war, das um seine Liebe bettelte.

„Dann hat sich dein Geschmack also verändert, Anne“, bemerkte Nikos anzüglich und warf einen viel sagenden Blick auf Harry. „In jeder Beziehung, wie mir scheint.“

„Das gebe ich gern zu. Als ich dich kannte, war ich noch sehr jung, ein Teenager, der versuchte, reif und erfahren zu wirken. Jetzt brauche ich keine Rolle mehr zu spielen.“

Diese Reaktion schien Nikos nicht zu gefallen. Aber er verbarg seinen Ärger, drehte sich zu dem Barkeeper um und bestellte die Drinks.

„Es ist wirklich ein überraschender Zufall“, ließ Melanie dann vernehmen. „Ich hätte niemals erwartet, Sie in einem so rückständigen Nest zu treffen. Ich war davon überzeugt, dass Sie wieder als Mannequin arbeiten würden. Oder haben Sie für diesen Beruf nicht mehr ganz die richtigen Maße?“

Hexe! dachte Anne, aber sie ignorierte diese Frechheit und dachte nicht daran, sich auf diese Ebene des Gesprächs zu begeben. „Nun“, antwortete sie gelassen, „ich hatte einige Angebote bekommen, aber ich wollte eine größere Herausforderung. Deshalb habe ich mir ein Geschäft aufgebaut. Besuchen Sie doch einmal meine Galerie. Ich bin sicher, dass Sie Ihnen gefällt.“

„Dann verkaufen Sie Bilder an Touristen? Wie urig.“ Melanie lachte höhnisch.

Diese abfällige Bemerkung konnte Anne nur noch mit großer Anstrengung ruhig hinnehmen. Nikos lehnte lässig am Tresen und verfolgte den Disput mit unverhohlener Belustigung. Aber wenn es um ihre hart erworbene Unabhängigkeit ging, konnte Anne keine Kritik vertragen. Und schon gar nicht eine Verunglimpfung von so arroganten Jet-Settern wie Melanie und Nikos. Doch als sie antwortete, schwang keinerlei Unmut in ihrer Stimme mit.

„Ja, und es macht mir viel Freude. Besonders interessant sind die Einzelausstellungen für die Künstler. Zum Beispiel Ian Harkness. Er hat seine Ausbildung auf der Royal Academy absolviert und ist sehr erfolgreich. Seine dritte Ausstellung in meiner Galerie ist für diesen Winter geplant. Wir bekommen allmählich einen weit reichenden Ruf.“ Die Erwähnung, dass Ian auch ein persönlicher Freund war, schluckte sie hinunter.

„Dein Drink“, warf Nikos schnell ein, reichte Anne das langstielige Glas und streifte dabei wie zufällig ihre Hand.

Versuchte er etwa zu flirten?

Anne musterte Nikos gelassen. „Danke“, sagte sie kühl. Sie war stolz, dass seine Berührung überhaupt keine Wirkung auf sie hatte und registrierte schadenfroh seine offensichtliche Enttäuschung. Dann wendete er sich wieder an Harry.

„Es ist wirklich ein äußerst glücklicher Zufall, dass sich Ihre Verlobte als meine Ex-Gattin entpuppt hat, Trevlyn – Anne, hast du ihm erzählt, dass wir verheiratet waren?“

Anne kochte innerlich vor Wut. Wenn sie nun wirklich mit Harry verlobt wäre und ihm nichts erzählt hätte? Nikos scheute sich nicht, ihr Unannehmlichkeiten zu bereiten. Aber weshalb? Schließlich ging die Scheidung damals von ihm aus. Und sie war verletzt worden, nicht er.

„Ja, natürlich. Anne hat viel von ihrer kurzen Ehe erzählt“, antwortet Harry an Annes Stelle. „Sie war damals viel zu jung. Ich halte nichts von Teenager-Ehen und warne auch immer meine Söhne davor. Ein Mann sollte mehr Verstand haben.“

Anne hätte Harry am liebsten umarmt, als sie Nikos’ zornigen Gesichtsausdruck sah. Das geschieht ihm recht, dachte sie schadenfroh. Und Harry merkte gar nicht, dass er Nikos beleidigt hatte, sondern redete noch munter weiter.

„Ich bewundere, wie vernünftig Sie sich bei der Scheidung verhalten haben. Es ist Ihnen doch bestimmt nicht leicht gefallen, auf Ihren Sohn zu verzichten, aber für das Kind ist es besser so. Es kann sich jetzt leicht an einen anderen Mann als Vater gewöhnen. Und Jonathan ist wirklich ein feiner Kerl. Sie brauchen sich um seine Zukunft keine Sorgen zu machen.“

Nun konnte Nikos seinen Ärger kaum noch verbergen – während Anne darum kämpfte, ihre Belustigung nicht zu zeigen. Allmählich genoss sie diesen Abend. Sie durfte zuschauen, wie Nikos Kardis zur Abwechslung auch einmal Beleidigungen einstecken musste, statt sie auszuteilen.

„Ich bin sicher, dass Sie recht haben“, entgegnete Nikos gefährlich ruhig. Dann leerte er sein Glas in einem Zug und wechselte das Thema. „Ich denke, unser Tisch ist fertig. Wollen wir?“

Er hielt Anne am Arm zurück, so dass Harry und Melanie vor ihnen den Raum verließen. „Er hält mich für den Vater deines Kindes. War das nicht etwas dreist von dir, meine liebe Anne?“, fragte er zynisch.

„Ich weiß nicht, was du meinst. Und lass meinen Arm los!“, forderte Anne eisig. Aber seine Berührung beunruhigte sie, und Anne merkte, dass sie etwas zu sehr auf ihre kühle Überlegenheit vertraut hatte. Ohne Harrys Schutz wirkte Nikos’ Nähe regelrecht bedrohlich.

Nun zeigte sich in seinen Augen eiskalte Wut, doch ehe er etwas sagen konnte, rief Melanie von der Tür zurück: „Kommst du, Nikos-Darling? Ich verhungere.“

Anne nahm die Tischunterhaltung nur am Rande wahr. Sie konzentrierte sich auf die Muscheln und den Fasan, obwohl sie überhaupt nichts davon schmeckte. Nikos saß ihr gegenüber und ließ sie nicht aus den Augen. Er hatte Anne damals so tief verletzt, dass sie in den letzten Jahren nur noch voller Hass und Abscheu an ihn hatte denken können. Und er bedeutete ihr nichts mehr. Aber jedes Mal, wenn er sie anschaute, ging von seinem Blick ein seltsamer Zwang aus und weckte in ihr Erinnerungen, die sie lieber vergessen hätte, und es bestand die Gefahr, dass sie ihre Selbstbeherrschung verlor.

„Noch Champagner, Anne?“, fragte Nikos mit einschmeichelnder Stimme.

Da war Anne gezwungen, vom Teller aufzusehen. Rasch legte sie eine Hand aufs Glas. „Nein danke, nicht mehr“, antwortete sie kühl.

„Das klingt gar nicht nach dir, meine Liebe. Du warst doch nie einem Drink abgeneigt. Und ich weiß noch sehr genau, dass das sogar immer eine sehr liebenswerte Wirkung auf dich hatte.“ Er warf einen anzüglichen Blick auf den tiefen Ausschnitt ihres Kleides und schaute sie dann spöttisch an.

Es kostete Anne viel Mühe, diesen Blick kühl und gelassen zu erwidern. Ihr war sehr wohl klar, worauf Nikos anspielte. In der letzten Zeit ihrer Ehe hatte sie ihre Abende allein zu Hause verbringen müssen, während Nikos sich mit seinen Freundinnen amüsierte und erst spät nachts heimkam. Die Einsamkeit schmerzte, und Anne begann zu trinken. Gin Tonic, nicht zu viel, aber genug, um alles ertragen zu können. Eines Nachts schluckte sie schließlich ihren Stolz hinunter und bat Nikos, mit ihr zu schlafen. Seine abfällige Bemerkung hallte noch immer in ihrem Kopf wider: „Ich schlafe nicht mit Betrunkenen, mein Liebes.“ Danach hatte sie nie wieder einen Tropfen Alkohol angerührt …

Plötzlich hatte Anne ein beklemmendes Gefühl in der Magengegend. Weshalb reizte Nikos sie absichtlich? Sie hatte ihm nie etwas bedeutet, und trotzdem war er den ganzen Abend verdrossen und ließ abfällige Bemerkungen über ihre Verlobung fallen. Er hatte zahlreiche Fehler, war unmoralisch und rücksichtslos, aber Eifersucht gehörte nicht dazu. Also warum?

„Anne!“ Erschrocken zuckte sie zusammen, als sie Harrys vorwurfsvolle Stimme hörte. „Ich habe dich gefragt, ob du noch einen Kaffee möchtest, Liebling.“

„Ja, bitte.“ Sie schenkte ihm ein entschuldigendes Lächeln und bemerkte sein gerötetes Gesicht. Dann sah sie entsetzt die drei Champagnerkorken auf dem Tisch liegen. Ihre Gedanken hatten sie so gefangen genommen, dass ihr entgangen war, mit welcher Geschwindigkeit die Gläser gefüllt wurden. Harry und Melanie hatten schon einen verdächtig glasigen Blick. Dieser Schuft! Das war Absicht, dachte sie voller Wut, als sie Nikos’ arrogantes, selbstgefälliges Lächeln registrierte. Er selbst hatte ganz offensichtlich nur wenig getrunken.

Harry befand sich inzwischen in einer rührseligen Stimmung und hielt Nikos für einen guten Freund. „Wissen Sie, Nikos, altes Haus, als ich Sie das erste Mal sah, wusste ich gleich, dass Sie mich an jemanden erinnern. Nur nicht an wen.“ Er kicherte albern. „Dabei ist das ganz einfach. Der kleine Jonathan ist genau Ihr Ebenbild. Ja, der ist wirklich von Ihnen gemacht.“

Anne wäre am liebsten im Erdboden versunken. Jeden Augenblick konnte Harry erzählen, dass sie nicht wirklich verlobt waren. Verzweifelt überlegte sie, wie sie der Unterhaltung eine andere Richtung geben konnte. Aber zum Glück wurde Harry schon von Melanie gestoppt. Sie legte eine Hand auf Nikos’ Arm und sagte: „Ach bitte, ich möchte jetzt gern tanzen.“

„Gute Idee, Melanie. Aber wir können unsere Gäste nicht vernachlässigen. Harry ist bestimmt ein hervorragender Tänzer“, ließ Nikos mit samtweicher Stimme wissen. Und bevor Anne wusste, wie ihr geschah, fand sie sich mitten auf der Tanzfläche in Nikos’ Armen wieder.

Anne verspürte den übermächtigen Wunsch, ihm gegen das Schienbein zu treten und einfach alleine stehen zu lassen. Doch sie wusste, dass Nikos arrogant und eingebildet war. Womöglich sah er eine solche Reaktion als Herausforderung an, und sie wollte ihn nicht ermutigen. So blieb ihr nichts anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Aber sie war entschlossen, sich nicht von der vertrauten Wärme seines Körpers beeindrucken zu lassen und hielt sich so steif wie möglich in seinen Armen.

„Du meine Güte, entspann dich, Anne“, forderte Nikos ungehalten. „Ich werde dich bestimmt nicht mitten auf der Tanzfläche vergewaltigen.“

„Das könnte ich mir bei dir auch wirklich nicht vorstellen“, gab Anne schnippisch zurück.

„Dann ist es ja gut“, gab er spöttisch zurück. „Und ich dachte schon, du hättest Angst vor mir.“ Dann zog er sie fester an sich heran.

Anne war sich schlagartig wieder Nikos’ imposanter Männlichkeit bewusst. Sie spürte die Wärme seiner Hand auf ihrem nackten Rücken und die muskulösen Oberschenkel, mit denen er in erregenden Bewegungen ihre Beine streifte. Und sekundenlang war sie versucht, der sinnlichen Einladung seines Körpers zu folgen.

„Es tut so gut, dich wieder in meinen Armen zu spüren, Anne“, raunte Nikos an ihrem Ohr. „Wenn du wüsstest, wie ich das vermisst habe.“

Der erotische Zauber war sofort gebrochen und Anne schreckte in die Realität zurück. Dieser Mann hatte wirklich kolossale Nerven! „Heb dir das Süßholz für deine Freundinnen auf“, zischte sie verächtlich. „Ich habe das schon alles gehört und weiß, was für ein Lügner du bist.“

Nikos warf ihr einen halb verwunderten, halb ärgerlichen Blick zu. „Wenn wir schon von Lügnern reden, meine liebe Anne, dann gebührt dir doch der Oskar.“ Abfällig verzog er die Mundwinkel. „Soll ich deinem Verlobten erzählen, dass dein Sohn gar nicht von mir ist? Dass du mit irgendwelchen Männern ins Bett gegangen bist, noch bevor wir geschieden waren?“

Anne ignorierte diese Frage und schnaubte verächtlich. „Es ist unglaublich, wie du dich sogar selbst belügst. Beruhigst du damit dein Gewissen?“ Sie löste sich aus seinen Armen, als sie Michael hereinkommen sah. „Nein, gib dir keine Mühe, ich habe wirklich kein Interesse an deiner Antwort. Entschuldige mich bitte.“

Aber Nikos ließ sie nicht gehen. „Warte noch!“, sagte er schroff und hielt sie fest. „Wenn irgendein Gewissen beruhigt werden müsste, so ist es deins. Du hast mich genarrt. Ich schulde weder dir noch dem Kind etwas.“

Anne zuckte unter seinem eisigen Blick zusammen. Aber dann wurde ihr plötzlich bewusst, worum es ihm ging, weshalb er den ganzen Abend schon so gewesen war. Natürlich, das Geld. „Ich verstehe nicht, was du meinst“, entgegnete sie mit vorgetäuschter Ahnungslosigkeit.

„Ach, komm schon, Anne. Ich habe dir eine anständige Abfindung gezahlt. Du kannst dir schmeicheln, der einzige Mensch zu sein, der mich jemals ausgenommen hat. Aber weshalb arbeitest du? Das Geld hast du doch bestimmt nicht nötig. Oder hat Ian Harkness dich ausgebeutet?“

Anne lachte leise auf. „Dann willst du also wissen, was mit deinem Geld passiert ist? Hast du wirklich geglaubt, dass ich mich wie die romantische Heldin eines Romans verhalte und keinen Cent davon anrühre?“ Anne wusste genau, dass Nikos so etwas Ähnliches von ihr erwartet hatte. Nur deshalb hatte er diese großzügige Geste gemacht. Zwar war er ihr gegenüber niemals knauserig gewesen, aber die beträchtliche Abfindungssumme war auch für einen so reichen Mann wie Nikos sehr viel Geld.

Und Anne wollte es zuerst nicht annehmen. Doch ihr Anwalt Farlow hatte darauf bestanden, erst einmal in Ruhe darüber nachzudenken. Heute war sie froh, dass sie auf ihn gehört hatte.

„Aber nein, ich habe es dir gern gegeben. Damals habe ich geglaubt, dass du es verdienst. Du warst ein ausgesprochen sinnlicher Bettpartner, sehr einfallsreich.“

„Dann wird es dich ja freuen, dass ich es auch auf sehr einfallsreiche Weise ausgegeben habe.“ Anne nahm belustigt Nikos Worte auf, aber innerlich kämpfte sie heftig gegen die Erinnerungen, die er geweckt hatte.

„Du hast alles ausgegeben? Das ist eigentlich fast unmöglich. Aber ich habe mich schon gefragt, warum Trevlyn so viel außenstehende Hilfe braucht, wenn seine Verlobte eine wohlhabende Frau ist.“

„Alles, was ich besitze, habe ich mir selbst erarbeitet. Von deinem Geld ist kein Cent mehr übrig. Es war in nicht ganz zwei Monaten ausgegeben.“ Welch ein erhebendes Gefühl! Rache war wirklich süß.

„Und du kannst es kaum erwarten, mir zu erzählen, wie“, gab Nikos sarkastisch zurück.

„Ich hatte etwas Hilfe dabei. Mr. Farlow hat alles arrangiert. Die Nutznießer waren ein Seniorenheim für Schauspieler und – bei deinem Lebenswandel kommt dir das sicher sehr entgegen – ein Hilfsfonds für Aidskranke.“

Nikos starrte sie fassungslos an. Aber Anne wartete keine weitere Reaktion ab, löste sich aus seinem Griff und kehrte an den Tisch in die sichere Gesellschaft der anderen zurück. Michael begrüßte sie sofort mit einem komisch verzweifelten Gesichtsausdruck. „Dad scheint sich königlich zu amüsieren, aber für meinen Geschmack etwas zu viel. Lass uns lieber mit ihm verschwinden, bevor er das singende Stadium erreicht.“

Anne war einverstanden. Sie bedachte Nikos mit einem flüchtigen Seitenblick. Zu ihrer Überraschung schien er überhaupt nicht wütend zu sein. Plötzlich fühlte sie sich erschöpft. Weshalb machte sie sich die Mühe, ihn zu quälen? Sie würde ihn niemals verstehen und er bedeutete ihr nichts mehr. Er war noch nicht einmal ihren Hass wert.

Anne atmete erleichtert die kühle Nachtluft ein. Der Abschied hatte sich noch ziemlich in die Länge gezogen. Nikos war der perfekte, charmante Gastgeber und Anne fragte sich schon, ob sie sich sein gemeines Verhalten ihr gegenüber nur eingebildet hatte. Er versprach Harry, gleich am nächsten Morgen nach London zurückzukehren und die Ausarbeitung der Vertragsdokumente zu veranlassen. Alles schien auf einmal in bester Ordnung zu sein. Weshalb spürte sie dann dieses nagende Gefühl von Unbehagen?

„Es tut mir leid wegen deines Verlobten“, raunte plötzlich eine tiefe Stimme an ihrem Ohr.

Anne zuckte zusammen. Nikos stand dicht hinter ihr und warf Harry einen abfälligen Blick zu. Sofort war sie auf der Hut. „Dein Geliebter wird dir heute Nacht nicht sehr viel zu bieten haben, mein Liebes“, fügte er noch anzüglich hinzu.

Doch ehe Anne darauf reagieren konnte, mischte sich Melanie mit leicht lallender Stimme ein: „Nikos-Darling, mir ist kalt. Können wir nicht endlich nach oben gehen?“

„Aber nein, Nikos-Darling“, nahm Anne diesen Ausdruck spöttisch auf und sah Nikos unschuldig an. „Auch du hast dich wirklich verändert, und bist zu betrunkenen Bettpartnern abgesunken. Wie traurig.“

„Touché“, gab Nikos sanft zurück. Sekundenlang hätte Anne schwören können, so etwas wie Leid in seinen Augen zu sehen. Aber dann drehte er sich um und ging hinein.

2. KAPITEL

Anne rollte sich auf ihrem Bett zusammen, wickelte die geblümte Bettdecke fest um sich herum und schloss die Augen. Aber sie fand keinen Schlaf. Es war, als würde die Stille des Hauses sie stören. Sie fühlte wieder die bodenlose Einsamkeit, die sie zum ersten Mal empfunden hatte, als ihre Eltern bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen waren.

Sie hatten beide als Schauspieler gearbeitet und nur wenig Zeit für Anne. So hatte sie schon in früher Kindheit erfahren müssen, dass sie sozusagen ein Versehen war, mit dem die Eltern nichts Rechtes anzufangen wussten. Im Wesentlichen hatten sich nur Kindermädchen um Anne gekümmert, bis sie mit acht Jahren dann alt genug war, um in ein Internat abgeschoben zu werden. Der einzige Versuch der Eltern, ihr eine normale Kindheit zu geben, waren die Ferien in Cornwall gewesen.

Anne war fünfzehn, als ihre Eltern starben. Tony Bonajee, der Agent ihrer Eltern, war zu Annes Vormund ernannt worden, und Farlow, der Familienanwalt, hatte das Vermögen verwaltet – ein Apartment in Kensington und gerade so viel Geld, um Annes Schulausbildung zu finanzieren. Und Anne hatte sich einsam und verlassen gefühlt, obwohl sich ihr Leben kaum verändert hatte. Der einzige Unterschied hatte nur darin bestanden, dass sie nun auch die Ferien im Internat verbrachte …

Anne musste unwillkürlich lächeln, als sie an Tony Bonajee dachte. Für einen vierzigjährigen Junggesellen war es bestimmt ein großer Schock, dass er sich plötzlich um einen Teenager kümmern sollte. Aber Tony bemühte sich redlich. Er rief sie öfter im Internat an, lud sie gelegentlich zum Essen ein und verbrachte Weihnachten mit ihr zusammen in seiner Wohnung in Mayfair. Und er ließ sie ihre Zukunft nach Wunsch gestalten. Sie durfte die Kunsthochschule besuchen, und er machte auch keine Einwände, dass sie nach zwei Semestern wieder abging, weil sie an ihrem Talent zweifelte. Als sie sich dann entschloss, Mannequin zu werden, konnte sie Tonys weit reichenden Einfluss für den Start ihrer Karriere nutzen.

In all den Jahren hatten sie nur ein einziges Mal Streit. Tony weigerte sich, Annes Heirat mit Nikos Kardis zuzustimmen. Anne sollte warten, bis er einige Auskünfte eingeholt hätte. Er wusste, dass Nikos’ Vater einen zweifelhaften Ruf – was junge Mädchen betraf – genoss, und sagte warnend: „Wie der Vater, so der Sohn.“

Wenn sie doch nur nicht so schrecklich naiv gewesen wäre und auf Tony gehört hätte! Wie viel Leid hätte sie sich ersparen können …

Anne wälzte sich unruhig im Bett hin und her. Sie hatte sich mit Jonathan ein glückliches, zufriedenes Leben aufgebaut, in der kein Platz mehr für die Vergangenheit war. Doch das unverhoffte Wiedersehen mit Nikos hatte die alten Wunden wieder aufgerissen. Auf sie stürzte eine wahre Flut quälender Erinnerungen ein, an die sie eigentlich nie wieder hatte denken wollen.

Sie hatte Nikos im Ritz Hotel in London kennen gelernt, auf der Hochzeit ihrer Freundin Agnes, mit der sie als Mannequin zusammenarbeitete. Es war ein ganz großes gesellschaftliches Ereignis gewesen, weil Eric, der Bräutigam, ein junger angesehener Diplomat war.

Anne war Brautjungfer gewesen und hatte draußen auf der Hoteltreppe gestanden, um das junge Paar zu verabschieden. Sie wäre von der riesigen Menschenmenge umgestoßen worden, als ihr irgendjemand von hinten seine Hand schützend auf die Schultern legte …

„Auf den musst du aufpassen, Liebes, der ist gefährlich“, rief Agnes lachend, warf ihr den Brautstrauß zu und schlüpfte schnell in den wartenden Rolls Royce.

Anne errötete, zerdrückte nervös die Blumen in ihrer Hand und wünschte, in ihr Hotelzimmer flüchten zu können. Im selben Augenblick raunte eine tiefe Männerstimme an ihrem Ohr: „Wollen Sie mich heiraten?“

Plötzlich wurde sie sich der Hände auf ihrer Schulter bewusst und drehte sich ruckartig um. „Nein danke“, antwortete sie eisig und hatte eigentlich die Absicht, diesen unverschämten Fremden mit ihrem Blick regelrecht einzufrieren. Aber stattdessen blieb sie wie vom Blitz getroffen stehen und starrte ihn fassungslos an. Denn sie stand einem hünenhaften, breitschultrigen Mann gegenüber, der einfach fantastisch aussah. Und er strahlte eine Faszination aus, die Anne den Atem nahm und sie gefangen hielt. Er hatte schwarzes lockiges Haar und ein markantes Gesicht. Seine silbergrauen Augen bildeten einen ungewöhnlich vorteilhaften Kontrast zu dem sonnengebräunten Teint.

„Ich habe doch nicht etwa zwei Köpfe?“, fragte er mit einem spitzbübischen Lächeln.

„Nein, natürlich nicht“, antwortete Anne leise. „Wirklich nur einen, aber einen sehr attraktiven.“ Sie war noch immer so verwirrt, dass ihr diese ungewöhnliche Antwort einfach herausrutschte. Und beide mussten lachen.

„Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Nikos Kardis. Und wer sind Sie?“

„Anne Jones.“

„Nun, Anne Jones – wir beide werden heute die ganze Nacht durchtanzen. Ich warte schon seit Stunden darauf, Sie endlich allein anzutreffen.“

„Tatsächlich?“ Anne lächelte verzaubert. Sie war völlig überrumpelt von seinem Charme. Nikos legte einen Arm um ihre Schultern und führte sie hinein. Sie spürte erregt seinen Oberschenkel ganz dicht an ihrem. Noch nie hatte ein Mann sie so unmittelbar berührt, und sie genoss den unbekannten, wohligen Schauer, der sie durchströmte.

„Aber ja. Ich lüge nie“, antwortete er leicht spöttisch, als sie auf der Tanzfläche standen. Er umfasste sie an der Taille und zog sie dichter an sich heran. „Nun gehören Sie mir, die ganze Nacht.“ Und Anne stimmte ihm freudig zu.

Es war ein wundervoller, märchenhafter Abend. Beim Tanzen in Nikos Armen glaubte sie wie auf Wolken zu schweben. Es war, als würde Nikos’ Nähe sie verzaubern. Sie war einfach unbeschreiblich glücklich.

Schließlich spielte die Band den letzten Walzer und sie mussten aufbrechen. Eng umschlungen gingen sie durchs Foyer zur Rezeption. Anne konnte die Spannung in Nikos Körper spüren und glaubte naiv, dass er genauso verliebt wie sie war. Gespannt wartete sie darauf, dass er sie um ein Wiedersehen bitten würde. Doch dann wurde ihr Traum jäh zerstört.

Nikos beugte sich zu ihr herunter und flüsterte an ihrem Ohr: „Ich denke, wir nehmen meine Suite. Das Bett dort hat königliche Maße.“

Die Enttäuschung war so niederschmetternd, dass Anne nichts sagen konnte. Sie handelte einfach ganz impulsiv und gab Nikos eine schallende Ohrfeige. Dann stürmte sie, ohne auf die belustigten Gesichter der anderen Gäste zu achten, aus der Hotelhalle und sprang in ein Taxi.

Auf der Heimfahrt verkroch sie sich so tief wie möglich im Fond des Wagens. Wie hatte sie nur so dumm sein können? Als Nikos sie bat, die ganze Nacht mit ihm zu verbringen, wäre sie niemals auf die Idee gekommen, dass er das wörtlich meinen könnte. Er war auch nicht besser als all die anderen Männer, die sie als Mannequin kennen gelernt hatte!

Aber diese Erkenntnis brachte keine Erleichterung. Anne fühlte sich schrecklich unglücklich.

Am nächsten Tag wurde ein riesiger Strauß roter Rosen in Annes Apartment abgegeben. Auf der Karte stand: Es tut mir leid. Nikos.

Anne schnaufte verächtlich, zerriss die Karte und schenkte die Blumen der älteren Dame, die über ihr wohnte. Anne war entschlossen, Nikos zu vergessen.

Am darauf folgenden Abend kam sie erst spät von der Arbeit nach Hause. Sie war müde und hungrig, eilte die kleine Treppe hoch und kramte in der Handtasche nach dem Schlüssel. Dann blieb sie erschrocken stehen.

Vor ihrer Wohnungstür stand Nikos Kardis.

Unwillkürlich musste sie schlucken. Sie war ihm in ihrer Erinnerung nicht gerecht geworden. Er sah nicht nur umwerfend, sondern gefährlich gut aus. Und das etwas unsichere Lächeln, das er ihr zur Begrüßung schenkte, verlieh seinem Gesicht einen fast unwiderstehlichen Charme. „Was machst du hier?“, fragte sie schroff. Doch sie konnte den Anflug von Freude, den das Wiedersehen in ihr auslöste, nicht leugnen.

„Ich möchte mich für mein Verhalten entschuldigen. Es war nicht angebracht, ich weiß. Aber weil du Agnes’ Freundin bist, dachte ich …“

Anne umklammerte den Schlüssel. Sie wusste, dass Agnes nicht als Jungfrau in die Ehe gegangen war, doch diese Andeutung war einfach abscheulich. Aber konnte sie Nikos wirklich dafür tadeln? Es war schließlich eine weit verbreitete Meinung, dass man sich Mannequins einfach nehmen konnte.

„Es tut mir schrecklich leid.“ Nikos umfasste ihr Handgelenk, wobei Annes Rückenhaut angenehm prickelte. „Gewöhnlich bin ich nicht so krass. Aber du hattest eine so umwerfende Wirkung auf mich, dass ich nur noch den Wunsch verspürte, dich ganz zu besitzen. Und ich dachte – du fühlst genauso. Entschuldigung angenommen?“

Anne schaute ihn forschend an. Er schien es ehrlich zu meinen. Schließlich nickte sie lächelnd.

„Fein. Gehst du dann mit mir essen? Bitte.“

„Gut, in Ordnung.“ Anne war völlig überrumpelt. „Wenn es dir nichts ausmacht, in einer halben Stunde wiederzukommen? Dann bin ich fertig.“

„Jetzt habe ich hier schon drei Stunden lang auf dich gewartet, da macht eine halbe Stunde mehr auch nichts aus.“

„Drei Stunden?“ Anne sah ihn ungläubig an.

„Ich wollte dich einfach nicht verpassen“, erzählte Nikos vergnügt. „Und ich warte auch weiterhin wie ein liebeskranker Schwan hier draußen, bis ein gewisses reizendes Mädchen sich meiner erbarmt und mir einen Drink anbietet.“

„Also gut, komm schon rein“, sagte Anne und lachte.

Sie führte ihn ins Wohnzimmer, holte den Whisky aus der Bar und füllte ein Kristallglas halb voll. Sie selbst trank nur ganz selten. Ihr Vater hatte immer eine gut gefüllte Bar gehabt, und sie setzte diese Angewohnheit, ohne darüber nachzudenken, fort. Als sie Nikos das Glas reichte, schaute er sie seltsam spöttisch an.

„Diese Wohnung ist toll. Du musst ein sehr erfolgreiches Mannequin sein“, bemerkte er mit feinem Zynismus. Er ließ seinen Blick herumschweifen und schließlich viel sagend auf einem Pfeifenständer ruhen.

Anne hatte sich nie Gedanken über ihr Apartment gemacht, doch plötzlich wurde ihr klar, was Nikos meinte. Das Apartment bildete die untere Ebene eines klug umgebauten dreistöckigen Hauses, war sehr großzügig geschnitten und der ganze Stolz ihrer Eltern gewesen. Sie hatten es mit den Jahren stilvoll und elegant eingerichtet. Ein paar wertvolle Antiquitäten waren scheinbar wahllos über den Raum verteilt. Anne hätte fast gelacht, denn Nikos schien wirklich zu glauben, dass ihr ein Mann bei der Finanzierung dieser Wohnung geholfen hatte.

Aber aus irgendeinem unerklärlichen Grund machte es ihr Spaß, ihm die Wahrheit zu verheimlichen. „Danke. Doch ich trage die Kosten nicht allein. Ich teile die Wohnung mit zwei Freunden. Zurzeit reisen sie gerade quer durch Europa.“ Das hörte sich interessant an, und sie war sehr mit sich zufrieden. Diesem anspruchsvollen Mann konnte sie nicht einfach erzählen, dass ihre Freunde bettelarme Studenten waren, die sich gerade in den Ferien bei der Weintraubenernte etwas Geld verdienten. Das hätte ihr eigenes Image geschmälert.

Anne duschte schnell, zog sich um, und sie fuhren los. In dem kleinen Sportwagen spürte Anne Nikos’ Nähe, seine faszinierende Männlichkeit, fast übermächtig. Ihre überdrehten Sinne reagierten auf den Duft seines Rasierwassers wie auf ein Rauschmittel. Sie vergaß die Enttäuschung der vorletzten Nacht. Es zählte nur noch der Augenblick.

Als sie in dem kleinen Restaurant an den Ufern der Themse ankamen, hatte Anne das Gefühl, im siebten Himmel zu sein. Sie saßen bei gedämpftem Licht an einem abgelegenen Tisch und Anne konnte die Wirkung, die Nikos auf sie hatte, nicht mehr verbergen. Sie lächelten sich an und ihre Blicke versanken ineinander.

Nikos berührte sanft ihre Hand. „Ich darf bestellen, ja?“

Anne nickte selbstvergessen, und Nikos gab die Bestellung in fließendem Französisch auf. Kurze Zeit später wurde ein Essen serviert, das für Augen und Gaumen eine wahre Freude war. Doch Anne nahm es überhaupt nicht wahr. Nur Nikos existierte noch. Jeder einzelne Blick von ihm war wie eine Liebkosung.

„Auf uns und eine zweite Chance“, sagte er mit seltsam rauer Stimme, hob sein Champagnerglas, und Anne stieß benommen mit ihm an.

Beim Kaffee erzählte er etwas über sein Leben. Er stammte aus einer reichen griechischen Familie und wohnte eigentlich in Athen. Aber seine Schulausbildung hatte er in London erhalten, auf derselben Privatschule wie Erics Bruder.

Deshalb war er also einer der Hochzeitsgäste, dachte Anne und sagte laut: „Wie gut, sonst hätte ich dich niemals kennen gelernt.“

Nikos lächelte. „Ich bin sowieso für einige Zeit in London. Mein Vater hatte einen Herzanfall, und ich muss ihn bei einem wichtigen Geschäft vertreten. Ich weiß, dass London groß ist, aber wir beide wären uns bestimmt irgendwie begegnet.“

Dann berichtete er von seiner Arbeit in dem großen Familienunternehmen. Er konnte so amüsant und unterhaltsam erzählen, dass Anne interessiert zuhörte. Aber plötzlich brach er ab.

„Bitte entschuldige, Anne. Dieser ganze Geschäftskram muss dich ja furchtbar langweilen. Aber du bist so ein guter Zuhörer, und jetzt ist der Abend schon vorbei.“ Er sah sie zerknirscht an.

„Aber nein, du kannst mich überhaupt nicht langweilen, Nikos“, versicherte sie ihm schnell. Sie war von dem samtigen, tiefen Klang seiner Stimme so fasziniert gewesen, dass sie gar nicht bemerkt hatte, wie die Zeit verging. Nun stellte sie erstaunt fest, dass außer ihnen niemand mehr im Restaurant war. Es war schon weit nach Mitternacht.

„Wollen wir noch irgendwo anders hin? Annabels zum Beispiel? Oder vielleicht etwas Intimeres?“ Er schaute sie so sinnlich an, dass es ihr den Atem nahm und sie verlegen den Blick senkte.

Anne wusste, dass sie mit ihm ins Bett ging, wenn es noch intimer wurde. Aber in dieser Beziehung war sie hoffnungslos altmodisch. Sie war einfach noch nicht dazu bereit. Das Bild ihrer nackten, ineinander verschlungenen Körper tauchte vor ihren Augen auf und trieb ihr die Röte ins Gesicht. Schlagartig kehrte sie in die Realität zurück, so als würde sie plötzlich aus einem langen Traum erwachen.

Nein! Sie kannte diesen Mann doch kaum.

„Es tut mir leid, aber ich bin schrecklich müde. Ich fahre lieber nach Hause.“

Auf der Rückfahrt nach Kensington herrschte Schweigen zwischen ihnen. Anne war sich Nikos’ Nähe intensiv bewusst und wurde von einer seltsamen sexuellen Spannung ergriffen. Anne wusste nicht, wie sie mit dieser Spannung umgehen sollte, verspürte aber ein unbändiges Verlangen, ihre Hand auszustrecken und Nikos zu berühren. Verstohlen betrachtete sie ihn von der Seite. Er hatte einen sehr sinnlichen Mund, und unwillkürlich fragte sie sich, wie es wäre, richtig von Nikos geküsst zu werden, nicht nur diese zarten Küsse auf Stirn und Wange, die sie bisher erhalten hatte.

In dieser Sekunde schaute Nikos sie an. Er lächelte verführerisch, und in seinen Augen konnte sie lesen, wie brennend groß sein Begehren war. Anne fühlte sich ertappt, wandte schnell ihren Blick ab und starrte aus dem Fenster. Sie schämte sich ihrer abwegigen Gedanken und war verlegen, dass Nikos sie so leicht durchschaute.

Als Nikos den Wagen vor ihrer Wohnung parkte, klopfte Annes Herz wie wild. Es war ihr unmöglich, sich zu bewegen.

Wird Nikos mich jetzt küssen? Oder soll ich es wagen, ihn noch in meine Wohnung einzuladen.

Nikos nahm ihr die Entscheidung ab. „Bittest du mich noch auf einen Kaffee herein?“ Er schaute sie zärtlich an, beugte sich langsam zu ihr herunter und ließ seine Zunge zart über ihre Lippen gleiten, zeichnete sanft ihren Mund nach.

Es war die größte erotische Erregung, die Anne jemals erfahren hatte. „Ja, ich mache uns noch einen Kaffee“, antwortete sie seufzend.

Aber kaum waren sie im Wohnzimmer, zog Nikos sie in die Arme und sagte heiser: „Vergiss den Kaffee! Ich verzehre mich schon den ganzen Abend nach dir.“ Und er verschloss ihren Mund in einem leidenschaftlichen, alles verlangenden Kuss.

Anne war auch schon vorher geküsst worden und sehr geschickt darin, zu leidenschaftliche Männer abzuwehren, doch bei Nikos kam es ihr überhaupt nicht in den Sinn. Sie umklammerte seine Schultern, drängte ihm entgegen und öffnete begierig ihren Mund unter dem Druck seiner fordernden Zunge. Noch nie hatte sie ein so großes Verlangen empfunden. Eine wahre Flut bisher unbekannter Gefühle erfasste sie so mächtig, dass sie glaubte, von ihnen mitgerissen zu werden.

Eng umschlungen sanken sie auf die große Samtcouch. Nikos bedeckte Annes Hals mit kleinen, fiebernden Küssen. Ihre Haut schien in prickelnder Erregung zu vibrieren, und atemlos spürte sie, wie Nikos seine Hände sanft über ihre Schultern zur Brust gleiten und in den tiefen V-Ausschnitt ihres Kleides schlüpfen ließ. Die Brustspitzen wurden steif, sobald Nikos sie nur mit den Fingern streifte. Anne stöhnte unwillkürlich und stieß wimmernde Laute der Lust aus, als Nikos sie mit meisterhafter Kenntnis am ganzen Körper küsste und streichelte.

„Du bist schön Anne, so wunderschön. Lass mich dich ansehen“, raunte Nikos heiser und schob sanft die dünnen Träger des Kleides von den Schultern. Seine Augen wurden dunkel vor Begierde, als er auf ihre nackten Brüste starrte. „Ich will dich, Anne“, stöhnte er. „Lass mich dich lieben, bitte. Ich muss dich lieben.“

Anne spürte seine große Erregung und war hypnotisiert von dem mächtigen Begehren in Nikos leidenschaftlichem Blick. Das Wort „Ja“ lag ihr schon auf den Lippen, wurde aber nie ausgesprochen, denn draußen jagte ein Auto mit aufheulendem Motor durch die Straßen, durchschnitt die angespannte Stille wie ein Gewehrschuss und brachte Anne ganz plötzlich in die Wirklichkeit zurück …

Bei dieser Erinnerung musste Anne unwillkürlich lachen. Es war auch einfach zu komisch. Nikos war auf dem Boden gelandet, als sie erschrocken von der Couch hochgesprungen war. Sie würde niemals seinen Gesichtsausdruck vergessen. Nikos saß mit gespreizten Beinen da und schaute sie ungläubig an. Oder verwirrt, verwundert, verletzt. Nein, jammervoll. Ja, das war genau die treffende Bezeichnung. Derselbe Ausdruck zeigte sich immer auf Jonathans Gesicht, wenn sie ihm sein Lieblingsspielzeug wegnahm und ihn ins Bett schickte.

Mit dem Handrücken wischte Anne sich die Lachtränen aus den Augen und zog die Decke etwas fester um sich herum. Es war das erste Mal nach ihrer Scheidung, dass sie zurückblickte und über den großen Nikos Kardis lachen konnte. Bisher hatte sie immer versucht, alles zu vergessen, sich einzureden, dass diese Zeit niemals existiert hätte. Vielleicht war sie endlich in der Lage, sich der Erinnerung an ihre verheerende Ehe zu stellen und damit abzuschließen. Ja, es wurde Zeit, die Vergangenheit endlich zu verarbeiten. Entschlossen ließ Anne ihre Gedanken wieder zurückschweifen …

Es dauerte nur Sekunden, bis Nikos’ Verwirrung – oder Verletzung – einer Furcht erregenden Wut wich. Er sprang auf und beschimpfte Anne als boshafte Flirterin, zusammen mit einer wahren Tirade griechischer Ausdrücke, die sie glücklicherweise nicht verstand.

An der Tür drehte er sich um und sah Anne verächtlich an. „Ich hätte es wissen müssen“, sagte er grimmig und ließ seinen Blick im Zimmer umherschweifen. „Du möchtest zuerst den Schmuck, die Diamanten. Doch ich bin mir nicht sicher, ob ich dich so sehr will. Ich lasse es dich wissen.“ Dann knallte er die Tür hinter sich zu.

Für Anne stand fest, dass sie Nikos nie wiedersehen würde. Am nächsten Morgen kramte sie ausgeblichene Jeans und einen weiten Pullover aus ihrem Schrank hervor. Es war das erste Mal seit langer Zeit, dass sie keine Lust verspürte, sich zurechtzumachen. Sie brauchte einfach nur frische Luft. Vielleicht gelang es ihr auf einem langen Spaziergang, die romantischen Träume von einer märchenhaften Liebe loszuwerden.

Der nächstgelegene Park war der Zoo, und entschlossen eilte sie durch die bevölkerten Straßen dorthin.

Sie war ganz in Gedanken versunken und achtete auf niemanden, so dass sie erschrocken zusammenzuckte, als sie dicht neben sich eine tiefe, melodische Stimme vernahm: „Es tut mir schon wieder leid.“

Anne blieb stehen. Ihr Herz klopfte rasend schnell. Dann blickte sie langsam hoch. „Nikos“, sagte sie kühl und zögerte. Sollte sie einfach weitergehen?

„Es scheint eine Gewohnheit zu werden, mich bei dir zu entschuldigen. Ich war wohl wieder einmal zu stürmisch, hm?“ Er schenkte ihr ein zaghaftes Lächeln. „Aber man sagt doch, dass aller guten Dinge drei sind. Gibst du mir noch eine Chance?“

Sekundenlang schaute Anne ihn an und war sofort wieder in dem Zauber, der von ihm ausging, verfangen. Nikos trug Jeans und einen Lammwollpullover und wirkte diesmal irgendwie jünger, nicht mehr ganz so selbstsicher. Anne vergaß, was geschehen war. Nikos war wieder da, etwas anderes zählte nicht mehr.

„Nun, Sweetheart, gibt es eine dritte Chance?“, wiederholte er seine Frage erwartungsvoll.

„Das hoffe ich“, antwortete sie schließlich und strahlte. Anne war plötzlich unsagbar glücklich.

„Na, dann los!“ Er lachte befreit auf und nahm sie an der Hand.

Anne genoss es, mit Nikos durch den Zoo zu schlendern. Es wurde ein wundervoller Tag. Am Löwengehege hob Nikos einfach einen kleinen Jungen auf seine Schultern, damit er besser sehen konnte, denn die Mutter musste sich um zwei noch kleinere Kinder kümmern.

„Das war sehr nett von dir“, meinte Anne, als sie weitergingen.

„Nein, ich mag Kinder einfach. Meine Schwester erwartet gerade ihr drittes. Aber meine Neffen sind sehr wild. Als ich letzten Monat ein paar Tage mit ihnen zusammen war, fühlte ich mich total ausgelaugt.“

„Du? Ich glaube nicht, dass dich überhaupt etwas anstrengen könnte.“

„Aber es stimmt. Ich war ganz blass, als ich nach Athen zurückkehrte.“

„Du meinst, deine Sonnenbräune war etwas verblasst“, neckte Anne ihn.

„Pass auf, was du sagst, Mädchen! Du siehst heute selbst noch fast wie ein Kind aus. Ich könnte versucht sein, dich übers Knie zu legen.“

„Dazu müsstest du mich erst einmal kriegen.“ Sie lachte und lief schnell weiter, als er nach ihr greifen wollte.

Schließlich landeten sie vor den Affenkäfigen. Sie hatten viel Spaß bei diesen spaßigen kleinen Kerlen, bis zwei von ihnen anfingen, etwas ernsthaftere Possen zu machen. Normalerweise hätte Anne auch darüber gelacht, aber Nikos’ Nähe machte sie verlegen. Sie wurde rot und schaute zur Seite. Überrascht hörte Nikos auf zu lachen. Anne glaubte zu ahnen, wie es in seinem Kopf arbeitete. Sie wollte rasch weitergehen, aber Nikos hielt sie am Arm zurück.

„Das ist es also. Du bist noch eine Jungfrau“, stieß er plötzlich hervor.

„Wirst du wohl ruhig sein!“, fauchte Anne und schaute sich unsicher um. „Das muss ja schließlich nicht gleich ganz London erfahren.“

„Oh, entschuldige.“ Nikos legte einen Arm um ihre Schulter und führte sie zu der nächsten Bank.

Anne hielt den Kopf gesenkt. Sie kam sich richtig albern vor. Aber als sie es schließlich schaffte, Nikos anzuschauen, war sie überrascht. Er lächelte sie zärtlich an.

„Du musst nicht verlegen sein, Anne. Du beschämst mich. Es tut mir leid, dass ich gestern Nacht nicht bemerkt habe, dass du Angst hattest. Aber mein Verlangen nach dir war so groß, und – mir ist niemals in den Sinn gekommen, dass du noch unschuldig sein könntest. Du wirkst immer so selbstsicher, so elegant. Aber heute … Wie alt bist du?“

„Neunzehn.“

„Oh je“, seufzte Nikos. „Fünfzehn Jahre jünger als ich. Ist das ein zu großer Altersunterschied, Anne?“

„Nein, gerade richtig“, antwortete sie leise. Und in ihren Augen konnte Nikos alles lesen, was er wissen musste.

Drei Wochen später heirateten sie. Nach der standesamtlichen Trauung in London flogen sie nach Paris. Und diese Flitterwochen waren alles, was Anne sich jemals erträumt hatte.

3. KAPITEL

Anne schaute wie erstarrt auf das riesige Himmelbett in der Braut-Suite. In den letzten Wochen hatte sie sich schmerzlich danach gesehnt, mit Nikos intim zu sein. Er hatte Gefühle in ihr erweckt, wie noch kein Mann zuvor in ihrem Leben. Aber plötzlich schien ihre brennende Leidenschaft erloschen zu sein und wurde ersetzt durch eine tiefe Scheu. Anne verkrampfte die Hände ineinander und schluckte nervös, als Nikos anfing, sie langsam auszuziehen.

„Hab keine Angst, Liebes. Ich verspreche dir, dass es schön wird. Vertrau mir“, flüsterte er zärtlich, nahm sie auf seine Arme und trug sie zum Bett.

Er umfing ihr Gesicht mit den Händen, beugte sich hinunter und verschloss ihren Mund in einem unendlich sanften Kuss. Anne schob alle Bedenken beiseite. Sie schloss die Augen, schlang die Arme um Nikos’ Nacken und erwiderte diesen Kuss mit all ihrer Liebe.

Nikos stöhnte leicht und zog Anne fester an sich heran. Sein Kuss wurde fordernder und schließlich so stürmisch, dass es ihr fast die Sinne raubte. Alle Ängste waren verflogen, es zählte nur Nikos und der Sturm der Gefühle, den er in ihr entfachte. Sie drängte ihm entgegen und seufzte, als er sie sanft wegschob, um sich auch auszuziehen.

Doch nur Sekunden später lag er schon neben ihr. Anne hielt unwillkürlich den Atem an, als sie die Wärme seiner Haut so dicht an ihrer fühlte. Ihr Herz klopfte rasend schnell, und sie wagte nicht, sich zu bewegen. Aufgepeitscht spürte sie die Berührung seiner Hände, die er langsam, in sinnlich streichelnden Bewegungen über sie gleiten und dann unter ihren Brüsten verweilen ließ. Ihr ganzer Körper schien elektrisiert zu sein, mitgerissen von einem Orkan der Gefühle.

Sie empfand ein übermächtiges Verlangen, Nikos überall zu betasten, mit ihm zu verschmelzen und stöhnte unwillkürlich, als er sich ganz auf sie legte, seine Beine zwischen ihren.

Atemlos registrierte sie die sinnliche Reizung seiner Hüften, die er in langsamen, kreisförmigen Bewegungen an ihrem Becken rieb. Seinen Mund, mit dem er an ihrem Hals hinunterglitt, um dann abwechselnd an den Knospen ihrer Brüste zu saugen.

Ein glühendes Begehren strömte so quälend durch ihren Körper, dass Anne glaubte, es nicht mehr ertragen zu können. Dann fühlte sie einen kurzen, stechenden Schmerz, als Nikos in sie eindrang, sie ganz besaß, und kurz darauf wonnige, pulsierende Erfüllung. Die alles verzehrende Spannung entwich in einem Schrei, und ihr Körper bebte von millionenfachen explosiven Empfindungen.

Dann fühlte sie das Zucken in Nikos Körper und wusste, dass auch er Erfüllung gefunden hatte. Sie wurde überflutet von dem Bewusstsein, mit ihm eins zu sein, ein so unbeschreiblich tiefes Gefühl, dass ihr unwillkürlich die Tränen kamen.

„Ich habe dir doch nicht wehgetan?“, fragte Nikos.

„Du könntest mir niemals wehtun. Ich liebe dich.“ Sie schluchzte und schloss glücklich die Augen.

So traumhaft wie die Hochzeitsnacht verlief auch das erste Jahr ihrer Ehe. Nach den Flitterwochen reisten sie noch monatelang durch Europa, denn Nikos wollte die Hotelkette, die einen Zweig des Familienunternehmens bildete, reorganisieren. Im Sommer ließen sie sich dann in Athen nieder. Sie lebten zunächst in Nikos’ Apartment und entwarfen Pläne für ein gemeinsames Haus, für das sie ein Grundstück in den Bergen außerhalb der Stadt kauften.

Feiertage und Urlaub verbrachten sie in der Familienvilla auf Korfu. Das war eine Tradition in der Kardisfamilie, und Anne nahm es stillschweigend hin, obwohl sie sich dort nie richtig wohl fühlte. Nikos’ Schwester Katerina fand nicht die Zeit, sich mit Anne zu unterhalten, weil sie ständig mit ihrer eigenen Familie beschäftigt war. Und außer der Frage, ob sie schon schwanger sei, hatte auch Nikos’ Vater Anne nur wenig zu sagen.

Mit ihm konnte Anne sich nur sehr schwer abfinden. Seine Frau war vor einigen Jahren gestorben, und er frönte dem Nachtleben in Athen. So lief er ihnen auch häufig über den Weg, wenn sie zum Essen gingen. Jedes Mal hatte er irgendein junges Mädchen im Arm und vergaß niemals, Anne seine spezielle Frage zu stellen. Das war so abscheulich, dass Anne die Treffen mit ihm zu hassen begann.

Neben diesem kleinen Wermutstropfen auf ihr märchenhaftes Glück kam ihre Unfähigkeit, ein Kind zu empfangen. Sie konnte sich einfach nicht erklären, woran es lag. Denn es verging kaum eine Nacht, in der sie sich nicht ein oder zwei Mal liebten. Anne war erstaunt über ihre stark ausgeprägte Sinnlichkeit. Aber Nikos war wirklich ein wahrer Meister der Erotik und Anne eine sehr willige Schülerin.

Nikos sprach mit ihr nicht über die Kinderlosigkeit und war noch genauso zärtlich und leidenschaftlich wie am Anfang ihrer Ehe. Er überhäufte Anne mit Schmuck und ausgefallenen Geschenken, las ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Aber Anne wusste, wie sehr er sich Kinder wünschte und hatte das Gefühl, als würde er sie häufiger verstohlen betrachten und nach irgendwelchen Anzeichen suchen, die auf eine Schwangerschaft hindeuten konnten.

Deshalb hatte sie sich als Weihnachtsgeschenk etwas ganz Besonderes ausgedacht. Am Weihnachtsmorgen überreichte sie ihm noch im Bett einen Überraschungsknallbonbon, den sie gemeinsam auseinanderzogen. Nikos öffnete den herausfallenden Briefumschlag und las. Anne beobachtete ihn voller Spannung. Es war ein umfassender Bericht des Gynäkologen, den sie heimlich aufgesucht hatte. Er bestätigte, dass bei ihr körperlich und organisch alles in Ordnung war. Sie sollte jeden Morgen die Temperatur messen und in eine Tabelle eintragen. Aufgeregt erklärte sie Nikos, wie sie daraus dann die optimale Empfängniszeit ablesen konnten.

Nikos zog Anne in seine Arme und grinste frech. „An der Temperatur kann es nicht liegen. Meine ist immer auf dem Siedepunkt, wenn ich in deiner Nähe bin. Wir brauchen nur Praxis.“

Und dann liebten sie sich leidenschaftlich – ein wahres Traumspiel der Wonne, das Anne niemals vergessen würde. Umso unverständlicher traf es sie, als plötzlich alles anfing, falsch zu laufen.

Nikos machte immer häufiger und immer länger Überstunden. Oft kam er erst so spät nach Hause, dass er im Gästezimmer schlief, um Anne nicht zu stören. Und Anne glaubte ihm. Sie vertraute ihm vollkommen. Aber so nach und nach, als die Wochen vergingen, begann ihr Vertrauen zu wanken.

Zuerst versuchte sie noch, sich gegen ihren Argwohn zu wehren, denn eigentlich konnte sie Nikos nichts vorwerfen. Er war auch weiterhin liebevoll, zuvorkommend, charmant und herzlich. Und doch hatte sich sein Verhalten fast unmerklich verändert. Plötzlich fehlte in ihrer Beziehung jegliche Spontaneität. Auch Sex existierte nur noch am Rande und schien für Nikos zur reinen Pflichterfüllung geworden zu sein. Mit klinischer Präzision führte er Anne zum Orgasmus, um sich dann kalt von ihr abzuwenden und einzuschlafen.

Anne war überzeugt, dass es an ihr liegen musste. So versuchte sie alles nur Erdenkliche, um wieder Nikos’ Aufmerksamkeit zu erregen. Sie probierte neue Frisuren aus, kaufte neue Kleider, und verbrachte die meiste Zeit des Tages damit, so perfekt wie möglich für Nikos auszusehen. Aber es half nichts.

Schließlich konnte sie sich nichts mehr vormachen. In einer der seltenen Nächte, die Nikos bei ihr im Bett verbrachte, fasste sie sich ein Herz und versuchte, mit ihm darüber zu reden.

Nikos wurde furchtbar wütend und schrie sie an. „Für was hältst du mich eigentlich? Einen Zuchthengst, der auf Befehl hin funktioniert, wenn du deine blöde Karte studiert hast?“

Doch es sollte noch schlimmer kommen, denn nach dieser Nacht schien Nikos jedes Interesse an ihrem gemeinsamen Leben verloren zu haben. Sogar für ihr Traumhaus, das bald fertiggestellt war, hatte er nur noch abfällige Bemerkungen: „Die Inneneinrichtung interessiert mich nun wirklich nicht. Es liegt zu weit außerhalb der Stadt, so dass ich sowieso höchstens an den Wochenenden dort sein werde.“

Kurz darauf erschien auf der Klatschseite einer großen Tageszeitung ein Foto von ihm, das ihn in Begleitung der Schauspielerin Dolores Stakis zeigte. Sie kamen gemeinsam aus einem Nachtklub. Anne warf ihm vor, sie zu betrügen, aber Nikos lachte nur. „Es ist nur ein Geschäft, Sweetheart. Ich finanziere Dolores’ neuen Film. Und was deine Eifersucht betrifft, du bist auf dem besten Weg, dich zu einer Klette zu entwickeln, genau der Frauentyp, den ich am meisten verabscheue.“

Anne war tief verletzt, dass Nikos sie so leicht und ohne Skrupel belügen konnte. Was war nur mit ihnen geschehen? Die anfängliche Märchenehe entwickelte sich allmählich zu einem schrecklichen Albtraum.

Ihre Beziehung war nur noch eine Farce. So sehr sie sich in den folgenden Wochen auch bemühte, sie konnte die lauten Gerüchte über Nikos’ unmoralischen Lebenswandel nicht mehr ignorieren. Und bald darauf erhielt sie den konkreten Beweis für seine Untreue.

Es war auf einer Party für Nikos’ Angestellte in dem Athener Hauptbüro von Troy International. Mit Nikos tanzte Anne nur ein einziges Mal. Dann erfüllte sie gehorsam ihre gesellschaftliche Pflicht und widmete sich den anderen Gästen. Als sie zwei Stunden später auf den Balkon ging, um sich etwas abzukühlen, blieb sie plötzlich wie erstarrt stehen.

Ihr Blick war wie gebannt auf ein eng umschlungenes Paar gerichtet. Nikos und Melanie, seine Sekretärin. Anne musste mit ansehen, wie er dieser Frau ein Goldarmband anlegte und sie dann lange und innig küsste.

Nur mit Mühe konnte Anne einen Schreikrampf unterdrücken. Sie wandte sich ab und rannte in den Puderraum. Wie betäubt ließ sie sich auf den Hocker vor dem Frisiertisch sinken und schreckte wieder hoch, als sie das Öffnen der Tür hörte.

Plötzlich stand Melanie neben ihr und schaute sie mitleidig an. „Also wirklich, Anne. Sie sollten sich die Sache mit Nikos nicht so zu Herzen nehmen. Ich kenne ihn schon seit Jahren. Er wird niemals nur einer Frau gehören, sonst hätte ich ihn schon längst geheiratet. Aber er ist immerhin ein großartiger Liebhaber. Und sehr großzügig. Also genießen Sie dankbar, was Sie von ihm erhalten!“

Anne wandte sich gequält ab. Wie viele dankbare Frauen mochte es neben Melanie noch geben? War es das, was Nikos auch von ihr erwartete? Dankbarkeit? Plötzlich wurde Anne von einer tiefen Traurigkeit erfüllt. Ja, auch sie war dankbar gewesen. Dankbar für das Glück einer großen, märchenhaften Liebe. Hatte sie sich denn wirklich so getäuscht? War sie für Nikos auch nie mehr gewesen als nur eine Sexgespielin?

Anne wusste selbst nicht, woher sie die Kraft nahm, auf der Heimfahrt ruhig und beherrscht zu bleiben. Nikos war in einer ausgesprochen heiteren Stimmung. Er summte die ganze Zeit vor sich hin und fragte schließlich: „Das war wirklich ein sehr gelungener Abend. Findest du nicht auch, mein Liebes?“

Anne nickte nur, aber als sie zu Hause angekommen waren, brach alles aus ihr heraus. „Schenkst du jetzt auch schon deinen Sekretärinnen Schmuck?“, fragte sie ohne Umschweife und blickte ihn vorwurfsvoll an.

Nikos’ Antwort war betäubend. „Oh, du hast uns gesehen? Kein Grund, gleich so kindisch zu reagieren, Anne. Was bedeutet schon ein Geschenk oder ein kleiner Kuss unter Freunden?“, meinte er gelassen. Und als er merkte, dass sie ihm nicht glaubte, fügte er mürrisch hinzu: „Ich habe dich schon einmal davor gewarnt, zu besitzergreifend zu werden. Ich gehe jetzt schlafen. Gute Nacht.“

Mit tränenverschleiertem Blick starrte Anne noch lange auf die Tür zum Gästezimmer, die er demonstrativ hinter sich zugeknallt hatte.

Am nächsten Nachmittag saß Anne schweigend auf dem Bett und wartete mit gemischten Gefühlen, dass Nikos aus dem Bad kam. Sie waren gerade auf Korfu angekommen, um die Ostertage mit Nikos’ Familie zu verbringen. In dem Haus seines Vaters mussten sie das Zimmer miteinander teilen, und Anne fragte sich, wie er sich verhalten würde.

Schließlich war Nikos fertig, und Anne musste unwillkürlich schlucken, als er nackt ins Zimmer kam, um sich fürs Abendessen anzuziehen. Wie gebannt verfolgte sie jede seiner Bewegungen und konnte ihren Blick nicht von seinem geschmeidigen Körper wenden, als wollte sie jedes kleine Detail in sich aufnehmen. Am liebsten hätte sie ihre Frustration laut herausgeschrien. Seit Wochen schon hatte Nikos sie nicht mehr berührt und selbst seine Untreue konnte ihr Verlangen nach ihm nicht mindern.

Anne umklammerte ihre hochgezogenen Knie. Bei dem Anblick von Nikos’ nackter Männlichkeit war der Schmerz der unterdrückten Begierde kaum noch zu ertragen. Und Nikos wusste das!

Mit wütender Hilflosigkeit müsste sie seinen spöttischen Blick ertragen, als er sich an der Tür umdrehte und sagte: „Ich lasse dich jetzt allein, damit du dich umgestört umziehen kannst. Bis nachher.“ Als Anne eine halbe Stunde später mit der ganzen Familie an dem großen Esstisch saß, stellte Nikos’ Vater wie üblich die unvermeidliche Frage: „Na, Mädchen, noch immer nicht schwanger?“

Anne schluckte und schaute Nikos über den Tisch hinweg fragend an. Er reagierte nicht, und plötzlich kam der ganze Groll, alles Leid der letzten Monate in ihr hoch. Sie warf den Kopf stolz zurück und antwortete eisig: „Nun, Mr. Kardis, dazu gehören zwei. Und Ihr Sohn ist augenblicklich zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt.“

Sofort herrschte betretenes Schweigen. Sogar Katerinas Kinder hörten auf zu plappern und sahen Anne erschrocken an. Aber sie kümmerte sich nicht darum, stand ganz ruhig auf und ging hinaus. Sollten doch alle verdammt noch einmal denken, was sie wollten.

Nikos lief ihr nach und holte sie ein, als sie gerade in ihrem Zimmer war. Er schloss die Tür hinter sich, dann kam er langsam auf Anne zu. Sie zitterte, als sie in seine zornig funkelnden Augen schaute, hielt aber tapfer seinem Blick stand. Es geschah ihm recht. Warum sollte sie jedes Mal die Verachtung seines Vaters ertragen, während sein Nikos-Liebling eine reine Weste behielt? Jedoch im nächsten Moment schon hätte sie alles darum gegeben, ihre Worte rückgängig machen zu können.

„Wie kannst du es wagen, meine Männlichkeit öffentlich in Frage zu stellen?“, fragte er ruhig.

„T…tut mir leid“, stammelte sie, denn der gefährlich sanfte Klang seiner Stimme machte ihr Angst.

„Das ändert leider überhaupt nichts, mein loyales Weib.“ Er zog sie dicht an sich heran und fixierte sie scharf.

Autor

Jacqueline Baird
Wenn Jacqueline Baird nicht gerade an einer Romance schreibt, dann liest sie viel und spielt gern Karten. Falls das Wetter es erlaubt, schwimmt sie häufig im Meer und bedauert, dass sie seit einer schweren Knieverletzung nicht mehr Segeln kann.

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