Julia Gold Band 70

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  • Erscheinungstag 16.09.2016
  • Bandnummer 0070
  • ISBN / Artikelnummer 9783733707446
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Alex Ryder, Helen Brooks, Catherine George

JULIA GOLD BAND 70

1. KAPITEL

Carrie hatte gefleht, gut zugeredet und gedroht, aber es hatte nichts genützt. Sie drückte ein letztes Mal auf den Anlasserknopf, doch der alte Dieselmotor wollte einfach nicht anspringen. Carrie stieß einen unterdrückten Fluch aus, verließ den Maschinenraum und kletterte an Deck.

Eigentlich müsste ich das überhaupt nicht tun, dachte sie verärgert. Es ist Jimmys Job, sich um die Maschine zu kümmern, und er wollte schon vor einer Stunde zurück sein. Carrie beschattete mit der Hand die Augen und suchte den Pier ab. Von ihrem jüngeren Bruder war jedoch keine Spur zu sehen. Ich werde ihm den Kopf abreißen, wenn ich ihn in die Finger bekomme, schwor sie sich.

Ihr Blick schweifte über die weiß getünchten Häuser und Läden auf der anderen Seite des Hafens. Wahrscheinlich saß Jimmy in einer Taverne und schaute seelenvoll einer jungen Dorfschönheit in die schwarzen Augen. Nun, schließlich war er neunzehn und fast ein erwachsener Mann. Es war nur natürlich, dass er sich für Mädchen interessierte. Trotzdem, es wurde höchste Zeit, dass er sich auf seine Pflichten besann. Sie mussten Geld verdienen. Wenn die Fracht nicht wie versprochen heute Abend an das archäologische Team auf Desvos ausgeliefert wurde, würden sie wieder einen Kunden verlieren.

Ein Schweißtropfen perlte Carrie den Nacken hinunter. Sie hätte auch gern in einer Taverne gesessen und sich an einem kühlen Drink gelabt. Im August konnte es in der Ägäis verdammt heiß sein. Carrie blickte über Bord und war versucht, in das klare blaue Wasser zu springen und sich zu erfrischen.

Die Miranda schaukelte leicht im Kielwasser eines Bootes, das gerade den Hafen verließ. Mit einem Öllappen wischte sich Carrie den Schweiß von der Stirn. Sie brauchten eine neue Maschine. Nein, dachte sie. Mach dir nichts vor, Carrie Stevens. Die Miranda wird langsam alt. In Wirklichkeit müsste sie gründlich überholt und gestrichen werden, aber wie immer waren Zeit und Geld das Problem. Um finanziell zu überleben, mussten sie weiter für einen regelmäßigen und zuverlässigen Frachtdienst zwischen den kleineren und etwas abgelegeneren Inseln sorgen. Eine gründliche Überholung der Miranda würde mindestens einen Monat dauern. Das war zu lange. Ein Konkurrent würde einspringen und ihr Geschäft übernehmen.

Carrie blickte wieder den Pier entlang. Schließlich runzelte sie verärgert die Stirn, stieg noch einmal in den Maschinenraum und drückte hoffnungsvoll auf den Anlasser. Doch der Motor spuckte nur ein paar Mal und war dann still. Das war vorher auch schon vorgekommen. Jimmy hatte dann einfach den Schraubenschlüssel genommen, seine Arbeit gemacht, und die Maschine hatte wieder funktioniert.

Ich hätte besser aufpassen sollen, dachte Carrie. Aber was technische Dinge anging, hatte sie eine Art geistige Sperre. Selbst ihr Vater, als er noch lebte, hatte ihr nicht helfen können, sie zu überwinden. Er hatte Carrie alles beigebracht, was man auf See wissen musste. Sie kannte sich mit dem Wetter aus, wusste über Tiden und Strömungen Bescheid und konnte Karten lesen. Sie würde mit einem Chronometer und einem Sextanten durch die Weltmeere navigieren können, wenn nötig, aber Ventile, Pumpen und Kolben waren ihr ein Buch mit sieben Siegeln.

Das muss von jetzt an anders werden, sagte sich Carrie. Um im Notfall allein mit der Miranda klarzukommen, die ihr und ihrem Bruder zu gleichen Teilen gehörte, musste jeder den Job des anderen lernen. In letzter Zeit hatte Carrie jedoch das Gefühl, dass Jimmy andere Dinge im Kopf hatte. Der Tag würde kommen, an dem er es leid war, mit dem alten Kahn zwischen den Inseln hin- und herzufahren. Vielleicht würde er nach England zurückkehren, sich dort ein nettes Mädchen suchen und heiraten. Und wer wollte ihm das verdenken?

Wenn das wirklich passierte, würde sie einfach die Zähne zusammenbeißen und allein weitermachen. Sie hatte jedenfalls nicht die Absicht, je wieder nach England zurückzugehen. Dort gab es zu viele bittere Erinnerungen für sie. Die Miranda hatte bestimmt schon bessere Tage gesehen, aber sie hatte etwas zu bieten, was Carrie über alles zu schätzen gelernt hatte: Unabhängigkeit. Einmal hatte sie sie um eines Heiratsversprechens willen aufgeben wollen, aber Victors Wort hatte sich als genauso wertlos erwiesen wie alles andere an ihm.

Mit wachsender Verzweiflung betätigte Carrie noch ein paar Mal den Anlasser, aber nach dem üblichen kurzen Aufheulen, trat wieder Stille ein.

„Wenn Sie so weitermachen, wird die Batterie bald leer sein“, erklang eine Stimme von Deck.

Carrie wandte den Kopf und sah auf der anderen Seite der Luke eine hoch gewachsene Gestalt stehen. Sie runzelte die Stirn, verärgert, dass der Fremde unerlaubt ihr Boot betreten hatte. Doch dann beruhigte sie sich wieder. Es könnte ja auch ein potenzieller Kunde sein. Im Augenblick brauchte sie jeden Auftrag, den sie bekommen konnte.

Sie kletterte an Deck und blinzelte gegen die Sonne. „Der Motor will nicht …“ Verwirrt hielt sie inne.

„Will was nicht?“, fragte der Fremde mit tiefer Stimme.

„Nicht anspringen“, antwortete Carrie. Was war mit ihr los? Warum benahm sie sich wie ein nervöses Schulmädchen? Lag es an der Art, wie der Fremde sie von Kopf bis Fuß musterte?

Er war groß, schlank und breitschultrig, aber es waren vor allem seine Augen, die ihre Aufmerksamkeit erregten. Helle jadegrüne Augen, die bei einem Südländer mit dunkler Haut besonders überraschten. Er trug eine schwarze Hose und ein blütenweißes Hemd, das vorne offen stand und eine kräftige, muskulöse Brust freigab.

In Carries Innerem verkrampfte sich alles vor Verlegenheit. Wenn der Mann wirklich ein neuer Kunde war, graute ihr bei dem Gedanken, was für einen Eindruck er vermittelt bekam. Ein altes, umgebautes Fischerboot, bei dem die Farbe abblätterte, und eine Maschine, die nicht funktionierte, waren schon schlimm genug, aber ihr eigenes Aussehen wirkte auch nicht gerade Vertrauen einflößend. Ihr blondes, ungekämmtes Haar steckte unter einer fleckigen Baseballkappe, Jimmys Overall hing ihr in losen Falten um den Körper, und ihr Gesicht war ölverschmiert.

Nach längerem betretenen Schweigen sagte der Fremde: „Ich suche Miss Stevens, die Besitzerin dieses … schwimmenden Wracks. Wo ist sie?“

Sein verächtlicher Ton und die Beschreibung von Miranda ärgerten Carrie, doch sie schluckte ihren Stolz hinunter. „Ich bin Carrie Stevens“, erklärte sie würdevoll. Sie machte eine verlegene Geste in Richtung Maschinenraum. „Es ist nichts Ernstes. Mein Bruder wird jeden Augenblick kommen und die Maschine wieder in Ordnung bringen.“

Er machte ein enttäuschtes Gesicht. „Sie sind die ältere Schwester von James Stevens?“

Was fiel diesem Mann ein, in so einem Ton mit ihr zu reden? Und was hatte er mit Jimmy zu tun? Ihr Bruder hatte nie erwähnt, dass er einen großen, dunklen Mann mit grünen Augen und verächtlichem Gehabe kennengelernt hatte.

Carrie richtete sich gerade auf und erkundigte sich frostig: „Weswegen wollen Sie mich denn sprechen, Mr. … äh?“

„Das werden Sie schon noch erfahren“, teilte er ihr kühl mit. „Darf ich vielleicht vorschlagen, dass Sie sich etwas Passenderes anziehen und sich das Gesicht waschen. Danach werde ich Ihre Fragen beantworten.“

Carrie wurde rot. „Ich habe niemanden erwartet. Eigentlich wollten wir jetzt ablegen. Und wie ich mich kleide, geht nur mich etwas an, niemanden sonst.“

Der Fremde ignorierte ihren Ausbruch, ging zum Maschinenraum und warf einen Blick hinein. „Wo haben Sie denn die Maschine her?“, fragte er kopfschüttelnd. „Aus einem Museum?“

Sie biss sich auf die Lippe. „So schlecht ist sie gar nicht. Ich gebe zu, dass sie vielleicht ein bisschen alt ist, aber wenn sie einmal läuft, ist sie vollkommen in Ordnung. Jimmy kann sie reparieren. Er hat das schon oft genug getan, ohne dass es irgendwelche Schwierigkeiten gab.“

Ein grimmiges Lächeln umspielte die Lippen des Fremden. „Ah, ja. James Stevens. Oder Jimmy, wie Sie ihn so liebevoll nennen. Leider ist er nicht da, wenn Sie ihn brauchen.“ Er blickte auf die Uhr. „Man erzählte mir, es sei unerlässlich, dass Sie Ihre Fracht gegen acht heute Abend in Desvos anliefern. Für ein Schiff in diesem Zustand ist das mindestens eine Sechs-Stunden-Fahrt, und jetzt ist es schon nach zwei.“

„Das schaffen wir schon“, versicherte Carrie trotzig. Verdammter Jimmy! Wenn er pünktlich zurückgekommen wäre, hätten sie schon längst auf dem Weg nach Desvos sein können.

Der Fremde zog sein Hemd aus und hängte es sorgfältig über die Reling. Völlig überrascht über sein Tun, betrachtete Carrie fasziniert seinen sonnengebräunten, muskulösen Körper. Die Haut schimmerte wie dunkle Seide im Sonnenlicht.

„Was … was haben Sie vor?“, fragte Carrie, nachdem sie ihre Sprache endlich wieder gefunden hatte.

„Ich will die Maschine reparieren“, erklärte er knapp. „Und Sie, Miss Stevens, werden jetzt nach unten gehen und sich herrichten, damit ich sehen kann, wie Sie wirklich aussehen.“

Sie öffnete den Mund, um zu protestieren – und schloss ihn schnell wieder. Der Ausdruck in seinen grünen Augen jagte ihr eine Gänsehaut über den Rücken. Er war nicht der Mann, dem man widersprechen durfte. Offenkundig war er es gewohnt, dass man seinen Anweisungen sofort nachkam. Obwohl er kein Recht hatte, an Bord zu sein, wollte Carrie jetzt nicht mit ihm über die Unrechtmäßigkeit diskutieren. Er würde sowieso nicht zuhören.

„Ich wollte mich gerade duschen, als Sie an Bord kamen. Und wenn es Sie glücklich macht, an der Maschine herumzufummeln – nur zu. Ich will Ihnen nicht den Spaß verderben.“

Sie lief nach unten und schloss die Tür fest hinter sich. Wer, zum Teufel, war dieser Mann? Was wollte er? Leute, die so aussahen, mieteten sich keine Boote wie die Miranda. Sie gingen eher die Küste entlang, dorthin, wo die Spirakis-Familie ihre Schiffe hatte, und mieteten sich eine ihrer schönen Motorjachten.

Carrie runzelte die Stirn. Es sei denn, der Mann hatte etwas Zwielichtiges vor. Schmuggeln zum Beispiel. Zwielichtig genug sah er dafür aus. Nun, sobald Jimmy zurück wäre, würden sie ihm sagen, dass sie an solchen Geschäften nicht interessiert seien, und ihn wieder seiner Wege schicken.

Carrie zog sich in ihrer kleinen Kabine aus und nahm in dem winzigen Badezimmer eine heiße Dusche. Danach trocknete sie sich schnell ab, schlüpfte in saubere Jeans und in ein weißes T-Shirt und bürstete sich das Haar.

Nach einer Weile legte sie die Bürste hin und nahm das verblichene Foto ihres Vaters in die Hand, das an der Kabinenwand hing. Es war kurz vor seinem Tod aufgenommen worden und zeigte ihn auf Deck der Miranda. Er lachte und schien unbesiegbar. Wenn Carrie mal niedergeschlagen war, brauchte sie nur das Bild zu betrachten, und schon fühlte sie sich besser. Es gab ihr Kraft, für das, was ihr und Jimmy gehörte, zu kämpfen.

Die Miranda war der ganze Stolz ihres Vaters gewesen. Als ehemaliges Mitglied der Marine hatte er immer davon geträumt, ein eigenes Boot zu haben, doch seine Heirat hatte den Traum vorerst unmöglich gemacht. Als Carries Mutter noch lebte, hatte ihr Vater im Büro gearbeitet. Er hatte den Job gehasst, sich aber nie beklagt.

Sie war zwölf und Jimmy erst sechs gewesen, als ihre Mutter ums Leben kam. Sie hatte nur ein paar Einkäufe gemacht und war auf dem Weg nach Hause, da hatte ein betrunkener Firmendirektor sie auf seinem Heimweg nach einem Mittagessen, bei dem es reichlich zu trinken gegeben hatte, überfahren.

Der plötzliche Tod hatte sie alle schwer mitgenommen. Der Fahrer war mit einer Fünfhundert-Pfund-Strafe und zwei Jahren Bewährung davongekommen. Das nannte sich nun Gerechtigkeit! Die Entschädigung, die die Versicherung des Autofahrers gezahlt hatte, war genauso erbärmlich gewesen. Von alledem angewidert, hatte ihr Vater sie und Jimmy nach Griechenland entführt. Später hatte er ihr erzählt, es habe ihn zu viel an ihre Mutter erinnert, und er habe den Gedanken nicht ertragen können, den Rest seines Lebens in einem Büro zu verbringen.

Die Miranda hatte er an einem Kai in einem Ort namens Kiparissia entdeckt. Sie war ein umgebautes sechzig Fuß langes Fischerboot und ziemlich heruntergekommen. Dennoch hatten sie sich alle auf den ersten Blick in sie verliebt. Ihr Vater hatte den Besitzer ausfindig gemacht, und beide waren sich noch am selben Tag handelseinig geworden. Zwei Tage später hatten sie Kurs nach Süden genommen und waren um das Kap Matapan herum nach Osten in die Ägäis gefahren mit ihren Tausenden von Inseln, die wie grüne Smaragde in der weiten blauen See verstreut lagen.

Zwei Monate lang war ihr Vater nach Lust und Laune durch die See gekreuzt. Insgeheim musste er sich gefragt haben, wovon sie leben sollten, wenn ihr Geld einmal aufgebraucht sein würde. Doch er hatte es einfach dem Schicksal überlassen, und das Schicksal hatte es tatsächlich gut mit ihm gemeint.

Eines Nachmittags, sie hatten vor einer kleinen Insel geankert, winkte ihnen von der Küste aus verzweifelt ein Mann mit einem Taschentuch zu. Ihr Vater war mit einem Schlauchboot an Land gerudert, um herauszufinden, was los war. Er kehrte mit der Nachricht zurück, man habe ihn beauftragt, eine Hochzeitsgesellschaft von fünfzehn Personen zur nächsten Insel zu bringen. Offenbar hatte der Bootseigner, der sie übersetzen sollte, in der Nacht zuvor zu ausgiebig gefeiert und war noch nicht wieder einsatzbereit.

Sie hatten den Auftrag kaum ausgeführt, da wurden sie von einem anderen Gast der Hochzeitsgesellschaft gebeten, ein Dutzend Schafe zum nächsten Markt zu transportieren.

Durch Mundpropaganda kamen sie ins Geschäft. Zwischen den größeren Inseln gab es einen regelmäßigen Fährverkehr, doch die kleineren und abgelegeneren wurden nicht angefahren und brauchten dringend einen Transportdienst, wie die Miranda ihn bieten konnte.

Die nächsten zwei Jahre waren die schönsten in Carries Leben, aber sie konnten nicht ewig währen. Ihr Vater erkannte, dass ihre Ausbildung sträflich vernachlässigt wurde, und zu ihrer aller Kummer schickte er sie und ihren Bruder auf verschiedene Internate nach England zurück.

Nach dem freien und ungezwungenen Leben an Bord der Miranda war die strenge Disziplin, die auf den Schulen herrschte, wie eine kalte Dusche. Doch da Griechenland nur wenige Flugstunden entfernt war, flogen sie und Jimmy in den Schulferien zu ihrem Vater und verbrachten herrliche Wochen mit ihm.

Dann machte Carrie den größten Fehler ihres Lebens. Selbst jetzt, nach sieben Jahren, wurde ihr noch übel, wenn sie daran dachte. Sie war achtzehn gewesen und hatte beschlossen, in England zu bleiben und zu studieren, aber sie war nicht einmal so weit gekommen, sich zu immatrikulieren.

Carrie heftete das Bild ihres Vaters wieder an die Wand und betrachtete sich im Spiegel. Nein. Sie wollte nicht an Victor denken. Das gehörte der Vergangenheit an. Sie hatte keine Lust, alte Wunden wieder aufzureißen.

Damals, verwirrt und verletzt, wie sie war, war ihr erster Gedanke gewesen, zu ihrem Vater zurückzukehren, aber dann hatte sie es sich anders überlegt. Zum einen ging Jimmy noch zur Schule, und für ihn hätte es so aussehen können, als wollte man ihn allein lassen und vergessen. Es gab jedoch noch einen anderen, tieferen Grund: Schuld und ein Gefühl des Selbstekels. Eine missglückte Beziehung bedeutete doch nicht, dass man selbst nichts taugte, oder? Um das herauszufinden, wollte Carrie bleiben und versuchen, es allein zu schaffen.

Sie begann ein zweijähriges Studium der Betriebswirtschaft, und nachdem sie das Diplom in der Tasche hatte, sah sie sich voll Zuversicht nach einem Job um.

Arbeit gab es reichlich, nur keine, die ihrer Qualifikation entsprach. Schließlich fand sie eine Stelle in einem Reisebüro, wo sich ihre Kenntnisse über die griechischen Inseln als vorteilhaft erwiesen. Obwohl der Anblick all der verlockenden Reiseprospekte erneut den Wunsch in ihr aufkommen ließ, wieder die Planken der Miranda unter den Füßen zu spüren, hielt sie durch.

Zwei Jahre später kam ihr Vater bei einem Unfall ums Leben. Jimmy hatte die Schule inzwischen beendet und eine Lehre in einer Autowerkstatt begonnen. Sie flogen beide zur Beerdigung nach Griechenland. Die Nähe des anderen war ihnen in ihrem Kummer ein großer Trost.

Nach der Beerdigung schüttelten sie die Hände der vielen Freunde ihres Vaters, die gekommen waren, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Danach fuhren sie mit dem Anwalt ihres Vaters in sein Büro.

Es sei wenig Geld da, erklärte er, aber er könne die Miranda für sie verkaufen, wenn sie es wollten. Einen Käufer, der bereit sei, einen guten Preis dafür zu bezahlen, würde er bestimmt finden.

„Nein!“, sagten Carrie und Jimmy wie aus einem Mund. Die Miranda war der Traum ihres Vaters gewesen, sie zu verkaufen würde eine Beleidigung seines Andenkens sein. Davon abgesehen, hielt sie beide nichts mehr in England. Sie wollten die Miranda behalten und die Geschäfte, die ihr Vater begonnen hatte, weiterführen.

Der Anwalt sah sie zweifelnd an, aber nachdem Carrie ihm versichert hatte, dass sie und Jimmy leicht mit der Miranda fertig werden würden, gab er widerstrebend nach und versprach, sich um die notwendigen Formalitäten zu kümmern.

Drei Tage später waren sie, voll Zuversicht und mit einer Liste der Stammkunden ihres Vaters, mit der Miranda ausgelaufen, um eine Ladung Rohre und eine Wasserpumpe auszuliefern, die den Bewohnern einer kleinen Insel südlich von Naxos das Leben erleichtern sollte …

Ein Geräusch schreckte Carrie aus ihren Gedanken auf, und sie spürte ein leichtes Vibrieren, als die Schiffsmaschine in Gang kam. Gut. Jimmy war also wieder da. Jetzt konnte Carrie den Fremden auffordern zu gehen und ihn bitten, sich um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern.

Kritisch blickten ihr ihre blauen Augen aus dem Spiegel entgegen. Die Jahre in der Sonne hatten ihr helles Haar zu einem Platinblond gebleicht. Aus praktischen Gründen ließ sie es sich immer kurz schneiden, aber sie war schon seit Monaten nicht mehr bei einem Friseur gewesen. Jetzt band sie es mit einer schwarzen Schleife locker nach hinten. Make-up benutzte Carrie nie, auch dann nicht, wenn sie einmal eine der großen Inseln in der Touristensaison anliefen. Teint und Haarfarbe verdankte sie einzig und allein ihrem Leben im Freien.

Schließlich schlüpfte Carrie in ihre Sandalen und ging an Deck. Einen Moment lang blieb sie vor Überraschung wie erstarrt stehen. Der Fremde hatte nicht nur die Maschine wieder in Gang gebracht, er hatte auch die Leinen an Bug und Heck gelöst, stand jetzt im Ruderhaus, und sie waren hundert Meter vom Pier entfernt und nahmen Kurs auf die offene See.

Verzweifelt sah sich Carrie auf Deck und im Maschinenraum um, aber von ihrem Bruder war keine Spur zu sehen.

„He! Sie da!“, rief sie wütend zum Ruderhaus hinauf. „Was, zum Teufel, glauben Sie eigentlich, was Sie da tun? Wenden Sie sofort das Boot!“

Der Fremde ignorierte sie, studierte ruhig den Kompass, sperrte dann das Ruder und stieg langsam zu ihr hinunter an Deck. Mit einigem Unbehagen stellte Carrie fest, dass er sich sein Hemd noch nicht wieder angezogen hatte.

Sie blickte ihn finster an. „Wenden Sie das Boot! Mein Bruder ist noch nicht da.“

Er betrachtete sie interessiert aus grünen Augen. Seine dunklen, fragend in die Höhe gezogenen Augenbrauen ließen seine Gesichtszüge noch bedrohlicher erscheinen.

„Sie sind doch sicher nicht die Frau, mit der ich vor einigen Minuten gesprochen habe, oder?“, fragte er. „Sie war unförmig und ölverschmiert. Sie können unmöglich die Carrie Stevens sein, die ich hier treffen wollte.“

Unter seinem unverhohlen begehrlichen Blick kam Carrie sich wie nackt vor. „Sie … Sie haben kein Recht …“, sagte sie stockend.

„Eine so anziehende Person hatte ich nicht erwartet, Miss Stevens“, fuhr er fort, als hätte sie nichts gesagt. „Das wird meine Mission eher zu einem Vergnügen als zu einer bloßen Pflichtübung machen.“

Carrie hatte keine Ahnung, wovon er sprach, aber es klang, als würde sie in großen Schwierigkeiten stecken. Sie holte tief Luft und stemmte die Hände in die Hüften. „Ich werde diesen Akt der Piraterie der Polizei melden.“

„Nein, das werden Sie nicht tun, Miss Stevens.“ Mit einem Mal lächelte er, und eine Reihe blendend weißer Zähne blitzten in seinem dunklen Gesicht auf. „‚Miss Stevens‘ klingt viel zu förmlich. Da wir eine sehr intime Beziehung zueinander haben werden, nenne ich Sie von nun an Carrie. Ich bin Nikos Spirakis.“ Seine jadegrünen Augen funkelten amüsiert. „Sagt Ihnen der Name etwas, Carrie?“

„Nein“, entgegnete sie aufgebracht. „Ich habe nie …“ Sie stockte. Spirakis? Nein, das konnte nicht sein! Und doch … Er hatte etwas an sich … Nur Reichtum und Macht konnten ihm diese kalte Selbstsicherheit verleihen. Carrie sah ihn genauer an. „Die einzigen Spirakis, von denen ich gehört habe, sind die, denen fast alle Schiffe und Olivenhaine hier gehören …“

Er hob die Hand. „Ich weiß, was uns gehört. Man kann sagen, dass wir eine der reicheren Familien in Griechenland sind.“

Carrie schluckte. Jeder kannte die Familie Spirakis, aber es wurde fast nur im Flüsterton und hinter verschlossenen Türen über sie gesprochen. Keiner wagte, einen Spirakis zum Feind zu haben.

Carrie unterdrückte die aufkommende Panik und erklärte mit so viel Würde wie möglich: „Es interessiert mich nicht, wie reich und mächtig Sie sind, Mr. Spirakis. Sie haben kein Recht, auf diesem Boot zu sein. Wenn Sie es nicht sofort wenden, werde ich es selbst tun. Nach meinem Zeitplan werde ich frühestens in einem Monat wieder hier sein. Ich kann meinen Bruder nicht einfach seinem Schicksal überlassen. Zumindest muss ich herausfinden, ob ihm etwas passiert ist.“

„Sie haben meine persönliche Zusicherung, dass Ihr Bruder in Sicherheit und unverletzt ist. Vorläufig wenigstens“, fügte er hinzu. „Sein weiteres Wohlergehen liegt allein in Ihrer Hand.“

Sie wurde blass. „Was soll das heißen? Wo ist er?“

„Er arbeitet unter der strengen Aufsicht meines Onkels und meiner Vettern in einem unserer Olivenhaine. Das gibt ihm Zeit, über sein Fehlverhalten nachzudenken.“

Carrie spürte Angst in sich aufsteigen. „Ich weiß nicht, was das heißen soll, Mr. Spirakis, aber ich warne Sie, wenn Jimmy etwas zustößt, werde ich …“

Nikos tat ihre Drohung mit einem verächtlichen Schnaufen ab und betrachtete sie spöttisch. „Sie haben Ihren Bruder wohl sehr gern, wie?“

„Was für eine dumme Frage! Natürlich habe ich ihn sehr gern. Er ist mein einziger Verwandter.“

„Und weil er Ihr Bruder ist, sehen Sie über seine häufigen Partnerwechsel einfach hinweg?“

Carrie blieb vor Staunen der Mund offen stehen. „Jimmy soll häufig seine Partnerinnen wechseln? Sie sind verrückt.“

„Vielleicht kennen Sie ihn nicht so gut, wie Sie glauben. Er ist ein attraktiver Junge und hat viel Charme. Die meisten Mädchen finden ihn sicher unwiderstehlich. Erwarten Sie von mir, dass ich glaube, er hätte diese Vorzüge nicht zu seinem Vorteil genutzt?“

„Jimmy ist nicht so“, verteidigte sie ihn hitzig. „Ich will nicht behaupten, dass er nicht mit Mädchen ausgeht, wenn er Gelegenheit dazu hat, aber er würde nie einem von ihnen schaden.“

„Na, hören Sie mal“, spottete Nikos. „Ein neunzehnjähriger Junge wird sich wohl kaum vor seiner älteren Schwester mit seinen Eroberungen brüsten.“

Carrie ahnte schon, worauf das Ganze hinauslaufen würde, aber sie hoffte inständig, dass sie sich irrte.

Nikos sah die widerstreitenden Gefühle in ihrem Gesichtsausdruck und nickte zufrieden. „Vielleicht tröstet es Sie zu hören, dass Ihr Bruder eine hohe Meinung von Ihnen hat. Er scheint Sie zu verehren. Zumindest hat er diesen Eindruck meinem Onkel vermittelt, der ein sehr langes und aufschlussreiches Gespräch mit ihm geführt hat.“

„Wir haben uns sehr nahe gestanden“, sagte Carrie steif.

„Gut. Wenn es nicht so wäre, würde ich meine Zeit hier verschwenden.“ Er musterte sie wieder von Kopf bis Fuß. „Reden wir zur Abwechslung mal von Ihnen. Erzählen Sie mir von … Ihren Liebhabern. Liegt häufiger Partnerwechsel bei Ihnen in der Familie?“

Carrie wurde glühend rot und ballte die Hände zu Fäusten. „Scheren Sie sich doch zum Teufel!“

„Wenn ich mich zum Teufel schere, dann auch Ihr Bruder. Wie ich schon sagte, sein Schicksal liegt allein in Ihrer Hand.“

Der drohende Unterton in seiner Stimme jagte Carrie einen Schauder über den Rücken. „Ich habe nur einen Freund gehabt, und das ist schon Jahre her.“

Nikos zog ungläubig die Brauen hoch. „Halten Sie mich für einen Dummkopf, Miss Stevens?“

„Mir ist völlig egal, ob Sie es glauben oder nicht. Ich habe immer viel mit dem Schiff zu tun. Für Liebeleien habe ich keine Zeit.“

„Keine Zeit? Oder eher keine Lust?“ Er sah sie herausfordernd an. „Um das herauszufinden, ist dieser Augenblick so gut wie jeder andere.“

Sie wollte zurückweichen, doch Nikos war schneller. Er legte die Arme um sie und drückte Carrie fest an sich. Lächelnd blickte er auf sie hinab. „So ein weicher, anschmiegsamer Körper. Jetzt wollen wir mal sehen, ob deine Lippen genauso weich sind.“

Er griff ihr ins Haar. Carrie blickte ängstlich in seine unergründlichen seegrünen Augen, und als er die Lippen auf ihre presste, schloss sie schnell die Augen und versteifte sich abwehrend. Unbeeindruckt von ihrem Widerstand, bewegte Nikos liebkosend die Zunge über ihren Mund, bis sie ihn öffnete und ihm Einlass in das warme, weiche Innere gewährte.

So war sie noch nie geküsst geworden. Dieser Herausforderung war sie nicht gewachsen. Carrie fühlte, wie ihr die Knie weich wurden. Durch ihr dünnes T-Shirt spürte sie die Wärme seiner nackten Brust, den ruhigen Schlag seines Herzens, und sie wünschte, sie hätte sich die Mühe gemacht, einen BH anzuziehen. Nikos spürte bestimmt, wie ihre Brustspitzen sich verhärteten, und das würde seine Leidenschaft nur noch mehr schüren.

Carrie hob die Hände, wollte ihn von sich stoßen, doch sie gehorchten ihr nicht, schoben sich wie von selbst unter seine Arme und hielten ihn umklammert. Die Berührung mit der glatten Haut seines Rückens ließ Carrie vor Lust erschauern.

Nikos fuhr fort, ihren Mund mit der Zunge zu erkunden. Zuerst zögernd, doch dann, als ihr Begehren wuchs und jede Vernunft erstickte, begann Carrie, das erotische Spiel voll Leidenschaft zu erwidern. Sie fühlte, wie er die Hände unter ihr T-Shirt schob, und stöhnte lustvoll auf, als er ihre Brüste zu liebkosen begann.

Jetzt versuchte er, sein Knie zwischen ihre Schenkel zu zwängen, und sie bemühte sich verzweifelt, einen letzten Rest von Vernunft zu bewahren. Schockiert und beschämt über die dunklen Kräfte, die Nikos in ihr wachgerufen hatte, stemmte sie die Hände gegen seine Brust und löste die Lippen von seinen.

„Aufhören!“, keuchte sie. „Lassen Sie mich los, Sie verdammter Kerl!“

Nikos zog eine heiße Spur von Küssen von ihrem Ohr bis hinunter zu ihrer Halsgrube. Carrie schwankte und war nahe daran, sich Nikos ganz hinzugeben. Sie wollte ihn, brauchte ihn, um diese verzehrende Sehnsucht zu stillen. Nur ein winziger Rest von Verstand hielt sie davon ab, dem drängenden Verlangen nachzugeben. Sie hob die Hände und stieß seinen Kopf von sich.

Widerstrebend gab er sie frei, und sie wankte heftig atmend zurück.

Nikos fuhr sich mit der Hand über die Wange und betrachtete den Blutstropfen auf seinem Finger. „Die englische Rose hat also auch Dornen“, bemerkte er lächelnd. „Sie ist bereit, ihre Ehre zu verteidigen und zu kämpfen. Sie ahnen ja nicht, wie sehr mich das freut, Carrie.“

2. KAPITEL

Der Kratzer war keine Absicht gewesen, aber das wollte Carrie Nikos gegenüber nicht zugeben. Stattdessen sagte sie drohend: „Wenn Sie mich je wieder anfassen, werde ich keine Dornen benutzen, sondern etwas, das leicht tödlich sein könnte.“

„Keine Angst, Miss Stevens“, meinte Nikos mit einem verächtlichen Lächeln. „Ich habe nicht vor, mich Ihnen noch einmal aufzuzwingen. Wenn ich nur Ihren Körper wollte, würden Sie jetzt hilflos auf dem Deck liegen und sich in Ekstase winden.“

Nun, da sie wieder klar denken konnte, sah sie ein, wie absurd ihre Drohung gewesen war.

Mit einem Mann seiner Größe und Stärke konnte sie sich nicht messen. Hätte Nikos sie wirklich gegen ihren Willen nehmen wollen, hätte ein bloßer Kratzer auf der Wange ihn nicht abhalten können. Dazu kam noch die schmerzliche Erkenntnis, welche Leidenschaft er in ihr zu entfachen vermochte. Jetzt empfand Carrie nur noch Ekel darüber, dass sie so schwach und leicht erregbar gewesen war. Vielleicht verbarg sich hinter all ihrer Selbstdisziplin und moralischen Rechtschaffenheit im Grunde nur der Charakter eines leichtlebigen kleinen Flittchens.

Carrie musterte Nikos hasserfüllt. „Sie scheinen zu glauben, dass Sie eine gewisse Macht über mich hätten wegen meines Bruders. Was hat er Ihnen getan?“

„Mir nichts, Carrie“, sagte er mit einer Stimme voll Bitterkeit und Wut. „Aber meiner Schwester – Helen, wie Sie sie auf Englisch nennen würden.“

Carrie war, als würde sich ihr eine kalte Hand um das Herz schließen. Sie wusste, was Männern wie ihm die Familienehre bedeutete. Der Gedanke, dass ein praktisch mittelloser Deckshelfer, noch dazu ein Ausländer, sich erlaubte, ein Auge auf seine Schwester zu werfen, musste der Gipfel der Beleidigung sein.

„Jimmy hört auf mich“, versicherte sie. „Ich werde ihm sagen, dass er sich in Zukunft von ihrer geliebten Schwester fernhalten soll. Er wollte ihr bestimmt nichts Böses tun.“

Nikos betrachtete sie schweigend. „Helen ist achtzehn Jahre alt und ein bildschönes Mädchen. Sie war mit dem Sohn eines Freundes verlobt. In sechs Monaten sollten sie heiraten, aber dank Ihres Bruders wird die Hochzeit nun nicht mehr stattfinden können.“

„Na, hören Sie mal!“, protestierte sie. „Nur weil Jimmy mit Ihrer Schwester ausgegangen ist, muss doch nicht gleich …“

„Jimmy ist nicht bloß mit ihr ‚ausgegangen‘“, schnitt Nikos ihr das Wort ab. „Er hat sie entehrt. Meine Schwester erwartet ein Kind, und Ihr Bruder ist der Vater.“

Alles Blut wich Carrie aus dem Gesicht. „Das … das kann nicht wahr sein“, stammelte sie. „So töricht würde Jimmy nicht sein … ich meine … irren Sie sich da auch nicht?“ Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, wurde ihr klar, dass nur eine Närrin eine solche Frage stellen konnte.

„Verkaufen Sie mich nicht für dumm. Glauben Sie wirklich, ich wäre hierher gekommen, wenn ich auch nur den leisesten Zweifel gehabt hätte?“

Carrie wurde übel. Jimmy, dieser verdammte Idiot! Musste er sich ausgerechnet mit einem Mädchen aus der Spirakissippe einlassen! Na ja, vielleicht hatte er nicht gewusst, wer es war, und das Mädchen hatte versäumt, es ihm zu sagen. Trotzdem, er hätte mehr Respekt vor ihr haben sollen, auch ohne sie und ihre Familie zu kennen. Carrie war zutiefst beschämt, dass ihr eigener Bruder so etwas hatte tun können.

Sie blickte in Nikos’ vor Wut wie versteinertes Gesicht und war drauf und dran, ihn zu fragen, ob er sicher sei, dass nicht seine Schwester Jimmy verführt habe, besann sich aber eines Besseren. Nikos würde sie wahrscheinlich auf der Stelle erwürgen.

„Ich bin genauso unglücklich darüber wie Sie. Ihre Schwester tut mir ehrlich leid. Es gibt keine Entschuldigung für das, was Jimmy getan hat. Er ist alt genug und hätte es besser wissen müssen. Aber ich weiß wirklich nicht, was ich dabei tun kann.“

„Sie stimmen mir aber zu, dass er bestraft werden muss?“

„Was meinen Sie damit – bestraft?“, fragte sie misstrauisch. Sie hatte ziemlich anschaulich beschrieben bekommen, wie diese stolzen und arroganten Griechen Beleidigungen ihrer Familienehre heimzuzahlen pflegten, und wenn die Familie reich und mächtig war, sahen die Gesetzeshüter gern woanders hin.

„Auge um Auge, Zahn um Zahn, Miss Stevens.“ Nikos lächelte grimmig. „Den Bibelspruch kennen Sie doch, oder?“

Einen Moment lang wusste Carrie nicht, wovon er sprach. Dann keimte ein schrecklicher Verdacht in ihr auf.

Als Nikos sah, welche Wirkung seine Drohung auf sie hatte, nickte er amüsiert.

„Ja, Miss Stevens. Es ist nur gerecht. Was Ihr Bruder meiner Schwester angetan hat, kann ich mühelos auch seiner antun.“ Er machte eine Pause. „Ich werde Sie schwängern, Miss Stevens. Mit Lust und Wonne schwängern.“

Carrie verschlug es die Sprache. Dann blickte sie ihn mit einer Mischung aus Wut und Verachtung an. „Sie haben gelogen. Sie wollen mich also doch vergewaltigen. Vielleicht sind Sie reich, vielleicht halten Sie sich für einen Mann von Ehre, aber ich finde, dass ein Mann, der sich so etwas ausdenkt, das Gemeinste und Niedrigste ist, was es auf Erden gibt.“

„Sie haben das völlig missverstanden, meine liebe Carrie. Ich will Sie nicht vergewaltigen. Ganz im Gegenteil. Sie werden diejenige sein, die mich anfleht, mit Ihnen zu schlafen. Auf Knien werden Sie mich darum bitten.“

Unsicherheit blitzte in ihren Augen auf. „Sie müssen vollkommen verrückt sein. Bevor das geschieht, friert die Hölle zu.“

„Sie haben einen Monat Zeit. So lange wird diese Reise dauern, und am Ende des Monats sollten Sie besser schwanger sein, sonst …“

„Sonst was?“

„Sonst wird Ihr Bruder zu Ihnen zurückgeschickt, und meine Vettern werden dafür sorgen, dass er weder den Wunsch noch die Fähigkeit hat, je wieder Kinder zu zeugen.“

Als Nikos ihr entsetztes Gesicht sah, lächelte er zufrieden. „Warum gehen Sie nicht nach unten und kochen uns einen Kaffee, während ich mich um das Boot kümmere? Wir haben einen sehr interessanten und anstrengenden Monat vor uns, würde ich sagen.“

Carrie stand auf dem behelfsmäßigen Landesteg und sah zu, wie Nikos mit dem Derrickkran geschickt den Rest der Fracht an Land hievte.

John Chambers, der die Verantwortung für das archäologische Team hatte, verglich die Artikel mit denen auf seiner Liste. „Es scheint alles da zu sein, Carrie. Sie haben es gerade noch rechtzeitig geschafft. Wir hatten uns schon Sorgen gemacht. Wir hatten nur noch eine Gallone Paraffin und eine Büchse Bohnen.“ Er zog einen Umschlag aus seiner Hemdtasche. „Das ist die Liste an Vorräten, die wir bis Ende September brauchen. Nur das Übliche.“

„Kein Problem, Mr. Chambers. Die Miranda hat Sie noch nie im Stich gelassen.“

„Wer ist denn die neue Deckhilfe?“, erkundigte sich John mit lauter Stimme und wies mit dem Kopf in Nikos’ Richtung.

„Nur eine vorübergehende Aushilfe“, rief Carrie genauso laut zurück.

John lachte schallend. „Jimmy ist wohl wieder hinter den Mädchen auf Mykonos her, wie? Ich wär auch gern noch einmal neunzehn.“

Das war keine besonders taktvolle Bemerkung, und aus den Augenwinkeln sah Carrie, wie Nikos erstarrte. Sie unterhielt sich noch eine Weile mit John, während er die Vorräte in den Landrover lud, winkte dann zum Abschied, als er abfuhr, und ging wieder an Bord.

Nikos hatte den Derrickkran gesichert und warf jetzt einen Blick auf seine Uhr.

„In einer Stunde können wir auf Paraxis sein. Machen Sie die Leinen los, ich werfe die Maschine an.“

„Dies ist immer noch mein Boot“, erklärte Carrie steif. „Ich lasse mir von Ihnen keine Befehle geben. Morgen fahren wir Richtung Süden. Paraxis liegt in der entgegengesetzten Richtung.“

„Ich muss mir ein paar Sachen zum Anziehen kaufen“, sagte er scharf. „Ich habe nur, was ich auf dem Leib trage.“

„Das ist nicht meine Schuld. Darüber hätten Sie nachdenken sollen, bevor Sie …“

Nikos packte sie und setzte sie kurzerhand wieder auf den Landesteg. „Wie Sie wollen. Sie können hier übernachten. Morgen Früh hole ich Sie wieder ab.“

Erbost sah Carrie zu, wie er sich umdrehte und im Maschinenraum verschwand. Einen Augenblick später steckte er den Kopf durch die Luke und rief: „Sie können die Nacht bei Ihren archäologischen Freunden verbringen. Ich bin sicher, dass sie noch ein Zelt für Sie haben.“

Wenn ich das nur könnte, dachte sie bitter. Alles wäre ihr lieber, als die Nacht in Nikos’ Nähe zu verbringen, doch John war schon abgefahren, und bis zur Ausgrabungsstelle hätte sie über vier Meilen zu Fuß im Dunkeln gehen müssen. Davon abgesehen, warum sollte sie diejenige sein, die fortging?

Trotzig sprang Carrie wieder an Bord und wartete bebend vor Wut darauf, dass Nikos auftauchte. Zu gern hätte sie ihm eine Lektion erteilt, die er nie mehr vergessen würde.

Dröhnend sprang der Dieselmotor an, und Nikos erschien wieder an Deck.

„Ah, Sie haben Ihre Meinung also geändert. Gut. Gehen Sie jetzt und machen Sie die Leinen achtern los.“

„Eines wollen wir sofort klarstellen, Mr. Spirakis“, fuhr sie ihn an. „Niemand, nicht einmal Sie, der Sie so groß und erhaben tun, gibt mir Befehle auf meinem eigenen Boot. Die Miranda ist nicht nur mein Schiff, sie ist auch mein Zuhause. Wenn hier jemand die Nacht am Strand verbringt, dann Sie.“

Nikos zog belustigt die Augenbrauen hoch. „Ich habe Ihre Bemerkung zur Kenntnis genommen. Und nun machen Sie die Leinen los.“

„Tun Sie das doch selbst!“, fauchte sie. „Ich gehe jetzt nach unten.“

In der Einsamkeit der kleinen engen Kabine setzte sich Carrie auf die Koje und stützte niedergeschlagen das Kinn in die Hand. Was für ein Durcheinander! Ihr Leben stand auf dem Kopf. Wie hatte das in so kurzer Zeit geschehen können? Wäre dieser verdammte Kerl da oben nicht gewesen, hätte es ein Abend wie viele andere sein können.

Jimmy hätte einige Reparaturarbeiten an Deck gemacht, und sie hätte das Abendessen zubereitet. Sie hätten an Deck gegessen, sie hätte dann abgewaschen, und später hätten sie Karten gespielt, eine Flasche Wein getrunken und in Erinnerungen geschwelgt. Meistens war Jimmy zuerst ins Bett gegangen. An einem warmen Abend wie heute hätte er sich seinen Schlafsack von unten geholt und ihn im Vorschiff ausgebreitet. Carrie hätte noch eine Weile draußen vor dem Ruderhaus gesessen, sich den Sternenhimmel angesehen, bis die Müdigkeit sie übermannt und sie sich auch schlafen gelegt hätte.

Sie und Jimmy hatten ein glückliches und unkompliziertes Leben geführt.

Vielleicht hätte Jimmy irgendwann geheiratet. Vielleicht hätte sie auch jemanden kennengelernt und sich verliebt. Wer weiß? Doch keiner von ihnen hatte sich Sorgen deswegen gemacht. Wie ihr verstorbener Vater, hatten sie ihre Zukunft dem Schicksal überlassen.

Und das hatte sich nun gegen sie entschieden.

Im Grunde hatte sich Carrie mit dem Ultimatum, das Nikos ihr gestellt hatte, noch nicht abgefunden. Eines war jedoch sicher, sie konnte nicht zulassen, dass die Spirakisfamilie die Drohung gegen ihren Bruder ausführte. Es war zu barbarisch, um daran überhaupt zu denken.

Ich habe keine Wahl, dachte Carrie böse. Ich muss Nikos’ Verlangen nachgeben, so demütigend und entwürdigend es auch sein mag. Aber was war das schon verglichen damit, ein Leben lang verkrüppelt zu sein?

Die Vorstellung, schwanger zu werden, ein Kind zu bekommen, das sie nicht wollte, erfüllte Carrie mit Entsetzen. Und wenn sie es hatte, was dann? Sie würde es aufziehen und sich um das Baby kümmern müssen, so gut sie konnte, aber wie sollte sie da ihr sorgloses, nomadenhaftes Leben weiterführen? Auf der Miranda konnte man kein Kind großziehen.

Und was Jimmy anging, er würde das Mädchen und das Kind, das er so gedankenlos gezeugt hatte, unterstützen müssen. Er würde alle Hände voll zu tun und keine Zeit für sie haben, auch wenn er die ganze Misere verschuldet hatte.

Nikos Spirakis war ein Sadist. „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, hatte er gesagt.

Aber da irrte er sich. Es gab einen großen Unterschied zwischen dem, was Jimmy getan hatte, und dem, was er mit ihr vorhatte. Wahrscheinlich hatte Jimmy das Spirakis-Mädchen verführt, vielleicht war es auch umgekehrt gewesen, aber vergewaltigt hatte er es ganz bestimmt nicht. Doch genau das hatte Nikos mit ihr vor. Er versuchte, das zu bestreiten, aber wenn er sie moralisch unter Druck setzte, war das auch Gewalt, nur auf einer etwas subtileren Ebene.

Je mehr Carrie darüber nachgrübelte, desto aussichtsloser fand sie ihre Lage.

Nach einer halbe Stunde gab sie es auf und ging wieder an Deck. In der stillen See spiegelten sich die Sterne, und direkt vor ihr konnte sie die Lichter von Paraxis sehen.

Die Miranda hatte mehr Fahrt als sonst. Das bedeutete schnelleren Verschleiß der Maschine und höheren Treibstoffverbrauch. Aber solche Kleinigkeiten kümmerten Nikos Spirakis natürlich nicht. Carrie blickte nach achtern und sah, dass die Miranda eine gerade Spur im Wasser hinterließ. Widerwillig musste sie einräumen, dass Nikos mit einem Schiff umzugehen wusste. Doch wenn man bedachte, dass seine Familie groß im Schifffahrtsgeschäft war, durfte das wohl kaum überraschen.

Bald darauf konnte Carrie die Geräusche der Insel hören, die über das Wasser herüberwehten – das Hupen der Taxis, das rhythmische Gestampfe der Discomusik. Es kam ihr so vor, als würden sich die großen Küstenstädte und – dörfer wie vergnügungssüchtige Mädchen herausputzen, um ein Vermögen zu machen, solange die Ausbeute gut war. Es stimmte sie traurig, und sie schämte sich für die anständigen Inselbewohner.

Als Nikos plötzlich mit voller Fahrt in den überfüllten Hafen fuhr, blieb Carrie vor Angst fast das Herz stehen. Er steuerte direkt auf einen freien Liegeplatz am Pier zu, drosselte im letzten Moment die Geschwindigkeit, schlug das Steuer herum und legte sacht an. Carrie atmete erleichtert auf. Verdammter Kerl! Das hatte er nur getan, um sie zu erschrecken.

Die Arme fest vor der Brust verschränkt, stand sie da und überließ es Nikos, die Miranda festzumachen. Sobald er an Land war, würde sie wieder nach unten gehen, eine Kleinigkeit essen, dann die Tür ihrer Kabine verschließen und zu schlafen versuchen.

Nikos hatte anderes vor. Er packte Carrie, schwang sie in die Luft und setzte sie auf dem Kai ab.

Sie stieß ihn zurück. „Lassen Sie mich los. Mit Ihnen gehe ich nirgendwohin.“

Seine grünen Augen funkelten gefährlich. „Sie haben keine Wahl, Carrie. Wenn ich Sie allein lasse, könnten Sie etwas Dummes anstellen, wie zum Beispiel ohne mich abfahren. Natürlich würde ich Sie bald wieder einfangen, aber in der Zwischenzeit würde Ihr unglücklicher Bruder leider …“ Er ließ den Satz unvollendet.

„Na schön! Ich verspreche Ihnen, den Hafen nicht zu verlassen. Zufrieden?“

Nikos betrachtete sie einen Moment nachdenklich. Dann schüttelte er den Kopf.

„Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich Ihnen trauen kann. Bis ich das herausgefunden habe, behalte ich Sie lieber im Auge.“

Darauf musste es doch eine scharfe Erwiderung geben! Aber Carrie fiel nichts ein. Schließlich ließ sie niedergeschlagen die Schultern sinken.

„Das ist besser“, bemerkte er befriedigt. „Zuerst kümmere ich mich um Kleidung zum Wechseln und andere wichtige Dinge. Danach werden wir zusammen essen und etwas trinken, wie ein ganz normales Paar. Warum machen Sie nicht das Beste daraus und setzen ein fröhliches Gesicht auf?“

„Ich werde das Beste daraus machen“, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Kommen Sie aber ja nicht auf die Idee, ich würde Ihre Gesellschaft genießen!“

Nikos hob ihr Kinn mit einem Finger an und lächelte. „Sie könnten zumindest so tun als ob, oder? Bald werden Sie es ohnehin müssen.“

Aus den Lautsprechern, die draußen an den Tavernen und Nachtclubs hingen, dröhnte laute Musik. Nikos mied jedoch die billigeren Restaurants am Hafen und führte Carrie in ein ruhigeres Viertel der Stadt. Dort betraten sie das eindrucksvolle Foyer eines De-Luxe-Hotels, und Nikos steuerte direkt auf das Restaurant zu. Carrie sah weiße Leinentischtücher und funkelndes Silber auf den Tischen.

Ein großer, beleibter Mann mit riesigem Schnurrbart löste sich von einer Seitentür, ging auf Nikos zu und begrüßte ihn herzlich. Wie zwei Brüder, die sich lange nicht gesehen hatten, unterhielten sie sich in lebhaftem Griechisch, bis Nikos eine Pause machte und Carrie vorstellte.

„Stavros, das ist Miss Stevens. Sie ist auch im Schifffahrtsgeschäft tätig.“ Er musterte sie amüsiert und fügte dann hinzu: „Im Augenblick unterhalten wir uns über eine Fusion.“

Die Ironie galt ihr, nicht dem Wirt, der sich mit einer komischen kleinen Verbeugung verneigte. „Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Miss Stevens. Nikos und ich sind seit langem Freunde.“

Carrie lächelte höflich zurück. Die Freunde von Nikos Spirakis waren nicht ihre Freunde, doch das wollte sie ihm lieber nicht sagen. Der Abend würde auch so schon schwierig genug sein.

Stavros führte sie zu einem abgelegenen Tisch und winkte einem Kellner in der Nähe, der schnell mit einer Flasche Wein und zwei Gläsern herüberkam.

Nikos prüfte die Flasche und zog die Augenbrauen hoch. „Cava Clauss! Wie bist du denn daran gekommen?“

Der Wirt strahlte. „Mit großen Schwierigkeiten, Nikos. Für Freunde wie dich halte ich mir ein besonderes Lager davon.“

Nikos gab die Flasche an den Kellner zurück, der zuvorkommend zwei Gläser füllte. Zögernd hob Carrie ihr Glas an die Lippen und trank einen Schluck. Eigentlich bevorzugte sie Weißwein, doch dieser Rotwein war überraschend gut, trocken und vollmundig. Sie trank noch einen großen Schluck und merkte dann, dass der Wirt sie ängstlich beobachtete. „Er schmeckt mir.“

Der Wirt lächelte wieder und meinte, an Nikos gewandt: „Miss Stevens hat einen ausgezeichneten Geschmack. Vielleicht würde sie jetzt gern bestellen.“

Nikos reichte ihr die Speisekarte, aber sie ignorierte sie. „Ich hätte gern Souvlaki.“

„Ich nehme das Gleiche“, sagte Nikos. „Doch zuerst würde ich gern einen Stift und ein Blatt Papier haben, Stavros.“

Stavros schnalzte die Finger, und der Kellner holte das Gewünschte. Nikos schrieb eine Seite lang Anweisungen auf und gab sie dann Stavros. „Könntest du das alles für mich besorgen, alter Freund?“

Stavros las die Liste durch und schmunzelte. „Kein Problem. Es wird alles zu deiner Zufriedenheit erledigt werden.“

Carrie blickte argwöhnisch auf, nachdem er gegangen war. „Worum ging es denn?“

„Um Besorgungen“, entgegnete Nikos beiläufig. „Nun entspannen Sie sich, und genießen Sie Ihren Wein.“

Entspannen? Das war absurd. Carrie trank noch einen Schluck und sah sich um.

Wenn sie und Jimmy hin und wieder an Land gegessen hatten, waren sie immer in billigen, lauten Tavernen eingekehrt. Dieses Restaurant sah sehr teuer aus, aber das machte einem Spirakis nichts aus. Wahrscheinlich war Nikos an dem Betrieb beteiligt.

Endlich wurde das Essen serviert. Eigentlich hätte sie überhaupt keinen Hunger haben dürfen. Die Anspannung und der Ärger waren ihr auf den Magen geschlagen, doch nun verspürte sie auf einmal wieder Appetit. Vielleicht lag es an dem Wein, vielleicht auch an dem köstlichen Duft des gegrillten Lammfleischs und dem herrlich angerichteten Salat.

Nachdem sie das Mahl beendet hatten und die Teller abgeräumt worden waren, füllte Nikos noch einmal ihre Gläser. Normalerweise trank Carrie nie mehr als zwei, und die hatte sie schon zum Essen gehabt, aber ihre augenblickliche Situation konnte kaum als normal bezeichnet werden. Vielleicht war jetzt der Moment gekommen, sich einmal zu betrinken.

Carrie war so sehr in Gedanken versunken, dass sie nicht gehört hatte, was Nikos gesagt hatte. Erst als er die Miranda erwähnte, horchte sie auf.

„Was ist mit der Miranda?“, fragte sie scharf.

„Ich sagte, dass sie ein feines Schiff ist, trotz ihres Aussehens“, wiederholte er geduldig. „In Griechenland ist sie nicht gebaut worden. Wie sind Sie zu ihr gekommen?“

„Sie hat meinem Vater gehört. Nach seinem Tod haben Jimmy und ich sie übernommen. Sie war ursprünglich ein Fischerboot. Sie haben recht, sie ist nicht von einer griechischen Werft. Sie wurde in Schottland gebaut, um den Unbilden der Nordsee zu widerstehen. In der Ägäis kann es die Miranda mit jedem Sturm aufnehmen.“

Carrie sah, wie Nikos ungläubig die Brauen hochzog. Es ärgerte sie. Nun, wenn er vorhatte, den nächsten Monat mit ihr zusammenzubleiben, bestand durchaus die Chance, dass sie auf See von dem Meltemi überrascht werden würden, einem heftigen Sturm, der plötzlich und erwartet vom Norden aufkam. Mit ein bisschen Glück würde Nikos ganz grün im Gesicht werden und die ganze Zeit über der Reling hängen. Oder erhoffte sie da zu viel?

„Erzählen Sie mir von Ihrem Vater. Was für ein Mann war er?“

Aufgebracht musterte Carrie ihr Gegenüber. „Warum fragen Sie mich nicht, was ich heute Morgen zum Frühstück hatte? Sonst haben Sie mich schon alles gefragt.“

„Nein, nicht alles“, sagte er ernst. „Erzählen Sie mir von ihrem Exfreund. War er ein guter Liebhaber?“

Seine Dreistigkeit schockierte sie. „Das geht Sie nichts an!“, entgegnete sie hitzig.

„Dann mache ich es zu meiner Angelegenheit. Also, erzählen Sie!“, befahl er drohend.

„Das werde ich nicht tun. Sie können mich nicht dazu zwingen!“

Seufzend fuhr Nikos mit dem Finger über den Rand seines Glases und betrachtete sie gedankenvoll. „Offenbar sind Sie sich immer noch nicht im Klaren darüber, in welcher Lage Sie sich befinden, Carrie. Ich habe nicht vor, den nächsten Monat damit zu verbringen, mir Ihre Beleidigungen anzuhören und in Ihr wütendes Gesicht zu blicken. Von nun an werden Sie tun, was ich Ihnen sage, und wenigstens den Anschein erwecken, als würden Sie meine Gesellschaft genießen.“

„Eine so gute Schauspielerin bin ich nicht. Sie verlangen Unmögliches.“

„Verstehe.“ Er stand langsam auf und blickte kühl auf sie hinunter. „Dann verlasse ich Sie jetzt. Ich werde die Nachtfähre nehmen und mich gleich morgen Früh persönlich um Ihren Bruder kümmern. Nach seinem ‚Unfall‘ wird er vielleicht einige Tage im Krankenhaus verbringen müssen, aber nach einer Woche dürfte er wieder einigermaßen laufen können.“

Carrie sah Nikos entsetzt an. „Um Himmels willen! Nein! Sie können doch nicht …“ Ihr versagte die Stimme. Doch, das könnte er. Nikos war ein Barbar. Er würde nicht lange überlegen.

Er stand da und wartete.

„Bitte“, sagte sie flehend. „Setzen Sie sich wieder hin.“

„Nur, wenn Sie mir versprechen, sich von nun an etwas höflicher zu benehmen.“

Das ist ein Albtraum, dachte Carrie benommen. Schlimmer als ein Albtraum.

Sie senkte den Blick. „Sie haben gewonnen. Ich verspreche es.“

„Das reicht noch nicht, Carrie. Sie müssen mich anlächeln und sagen: ‚Ja, Nikos, ich verspreche es‘.“

Das alles macht ihm auch noch Spaß, dachte Carrie erbost. Offensichtlich habe ich es hier mit einem Sadisten zu tun. Sie hob den Kopf. „Ja, Nikos, ich … ich verspreche es.“ Sie erstickte fast an den Worten.

„Hm. Das wird wohl genügen müssen. Mit ein bisschen Übung wird es bestimmt besser werden.“ Nikos setzte sich wieder und verschränkte die Arme. „Also, erzählen Sie. War ihr Exfreund ein guter Liebhaber?“

„Ich weiß nicht.“ Unmut blitzte in seinen Augen auf, und Carrie fuhr schnell fort: „Er war der einzige Mann, mit dem ich überhaupt geschlafen habe. Woher soll ich wissen, ob er gut war oder nicht?“

„Haben Sie gern Sex mit ihm gehabt?“, beharrte Nikos.

Alles in Carrie rebellierte. Vielleicht gehörte Nikos zu den Leuten, die es erregte, über intime Dinge zu reden. Sie dachte an seine Drohung und schluckte die scharfe Erwiderung, die ihr auf der Zunge lag, hinunter.

„Nicht besonders“, gestand sie verlegen.

„Dann muss er ein schlechter Liebhaber gewesen sein. An Ihnen kann es nicht gelegen haben. Hinter Ihrer kühlen Fassade glüht das Feuer der Leidenschaft. Seine Hitze habe ich heute Mittag zu spüren bekommen.“

Bei der Erinnerung, wie ihr Körper auf ihn reagiert hatte, wurde sie rot.

Nicht einmal im Bett hatte Victor ihren Pulsschlag derart zum Rasen bringen können.

„Haben Sie ihn deswegen verlassen?“, fuhr Nikos fort. „Weil er … unbefriedigend war?“

„Nein. Es hat sich herausgestellt, dass ich nur sein Samstagabend-Mädchen war.“

„Sein Samstagabend-Mädchen?“

„Ja. Ich fand heraus, dass er noch eine für Montagabend und eine andere für Donnerstag hatte.“

„Er war also nicht treu.“

„So kann man es ausdrücken“, bestätigte sie trocken.

Nikos nahm die Flasche und schenkte Carrie noch einmal nach. „Und seitdem hat es keinen anderen Mann mehr gegeben?“

Sie blickte auf ihr Glas. „Wollen Sie mich betrunken machen?“

„Beantworten Sie meine Frage!“

Innerlich kochend vor Wut, antwortete sie: „Nein. Danach hat es keinen Mann mehr gegeben.“ Nach einer Pause fügte sie hinzu: „Sie kennen doch das alte Sprichwort: ‚Gebranntes Kind scheut das Feuer‘.“

Während er über ihre Antwort nachdachte, trommelte er mit den Fingern auf dem Tisch. Es waren kräftige, sehr geschickt aussehende Finger. Perfekt gepflegt. Die hellen Halbmonde schienen fast durchsichtig im Kontrast zu seiner dunklen Haut. Schließlich nickte er. „Ich habe das Gefühl, dass Sie mir die Wahrheit erzählt haben, Carrie.“

„Macht es Ihnen etwas aus, mir zu sagen, warum Sie das alles wissen wollten? Was hat mein früheres Leben mit Ihnen zu tun? Ich meine … Was macht es für einen Unterschied, was für ein Sexleben ich geführt habe?“

„Das spielt eine große Rolle, Carrie. Ich will Ihrem Bruder wehtun. Er soll die gleiche Demütigung erfahren, die er über meine Familie gebracht hat. Wenn Sie ein lockeres Mädchen wären, könnte er Ihre Schwangerschaft einfach als unbedeutend abtun. Gewiss nichts, um sich deswegen erniedrigt zu fühlen.“

Seine Kaltblütigkeit war unglaublich. Carrie maß ihn mit unverhohlener Verachtung. „Wahrscheinlich bedauern Sie nur, dass ich keine Jungfrau mehr bin. Das hätte Sie so richtig gefreut, nicht wahr?“

Nikos zuckte die Schultern. „Man kann nicht alles haben. Sie sollen aber wissen, dass ich nichts gegen Sie persönlich habe, Carrie. Ich fange sogar an, Sie zu mögen. Sie sind sehr attraktiv, und wie ich schon betonte, wird meine Mission eher ein Vergnügen als bloße Pflichterfüllung sein.“ Er hob die Hände. „Ich verstehe Ihre Lage, glauben Sie mir, aber was kann ich dafür, dass Sie einen Bruder haben, der keine so hohe Meinung von Sitte und Anstand hat wie Sie.“

3. KAPITEL

Die Gerüchte, die Carrie über Nikos gehört hatte, stimmten also. Wenn er so Menschen behandelte, die er gern hatte, mochte sie nicht wissen, wie er mit seinen Feinden umging. Plötzlich stieg ein Verdacht in ihr auf. Erst wollte sie ihn als unwahrscheinlich abtun, doch dann fand sie, dass es zumindest einen Versuch wert war – falls Nikos wirklich nur bluffte.

„Ich will mit meinem Bruder sprechen“, erklärte sie.

Nikos runzelte die Stirn. „Das geht nicht.“

„Warum nicht? Sie haben gesagt, er würde von Ihren Vettern auf einem Landgut festgehalten. Dort gibt es doch sicher Telefon, oder?“

„Ja, natürlich. Aber es würde keinem von Ihnen gut tun, miteinander zu reden. Außerdem weiß er im Augenblick noch nicht, was ich mit Ihnen vorhabe. Ich möchte ihn lieber noch für eine Weile im Ungewissen lassen.“

„Nun, Mr. Spirakis, Sie mögen vielleicht von meiner Ehrlichkeit überzeugt sein, aber ich bin es von Ihrer nicht so ganz.“

„Sie bezweifeln das Wort eines Spirakis?“ Er presste die Lippen zusammen. „Sie bewegen sich auf gefährlichem Terrain, Miss Stevens. Ich rate Ihnen, vorsichtig zu sein.“

„Sie haben mein Wort bezweifelt und mich einem demütigenden Kreuzverhör unterzogen. Ich bitte Sie nur, mich mit meinem Bruder sprechen zu lassen. Wenn Sie das ablehnen, wie soll ich da wissen, dass Sie die Wahrheit sagen? Soweit ich weiß, könnte alles nur ein Trick sein, um mich aus dem Geschäft zu drängen.“

„Reden Sie keinen Unsinn“, sagte er gelangweilt. „Wie kommen Sie darauf, ich könnte auch nur im entferntesten an so einem unbedeutenden Unternehmen wie Ihrem interessiert sein?“

„Dann lassen Sie mich mit Jimmy reden. Wenn Sie ihn wirklich gefangen halten, muss ich wenigstens wissen, dass er noch gesund ist. Vielleicht haben Sie sich schon an ihm gerächt, und ich bin nur noch eine süße Draufgabe. Bis jetzt habe ich nur Anschuldigungen und Drohungen zu hören bekommen. Ich will die Wahrheit wissen. Aus seinem Munde.“

„Na schön. Sie können kurz mit ihm reden – wenn das die einzige Möglichkeit ist, Sie dazu zu bringen, sich mit Ihrer Situation abzufinden.“ Er winkte dem Kellner.

Sie warteten in angespanntem Schweigen, bis der Kellner mit einem Telefon zurückkam.

Nikos nahm den Hörer auf, wählte die Nummer und wartete einen Augenblick. „Andros?“, sagte er dann. „Hol den jungen Stevens. Seine Schwester will ihn sprechen.“

Er reichte ihr den Hörer über den Tisch hinweg. Carrie ergriff ihn eifrig. Es knackte in der Leitung, und dann vernahm sie die atemlose Stimme ihres Bruders. „Bist du es, Schwesterherz?“

„Ja, Jimmy.“ Sie atmete tief durch. „Jimmy … geht es dir gut?“

„Ja, sicher.“ Es klang ärgerlich. „Aber was ist mit dir? Ist Helens Bruder bei dir?“

Carrie schloss die Augen, froh, dass er bis jetzt noch unverletzt war.

„Schwesterherz? Bist du noch da?“

„Ja, Jimmy. Und ja – ihr Bruder ist bei mir.“

„Hör zu, bestell ihm von mir, wenn er dich auch nur anrührt, werde ich …“

„Mach dir meinetwegen keine Sorgen“, fiel Carrie ihm ins Wort. „Ich kann selbst auf mich aufpassen.“

Es folgte eine peinliche Stille. Dann sagte Jimmy leise: „Hör mal … ich wollte dir von Helen erzählen. Das musst du mir glauben, Schwesterherz. Als ich von ihrem Zustand erfuhr, habe ich mich sofort auf den Weg zur Miranda gemacht, aber diese Idioten haben mich einfach ins Auto verfrachtet.“

„Dann ist das mit dir und Helen also wahr?“, fragte Carrie bedrückt. „Sie bekommt wirklich ein Kind von dir?“

„Ja, es ist wahr. Ich werde Vater.“ Es folgte wieder ein betretenes Schweigen. „Jetzt ist wohl nicht der richtige Zeitpunkt, sich darüber zu unterhalten“, meinte Jimmy dann. „Lass mich mal mit ihrem Bruder sprechen.“

Carrie reichte Nikos den Hörer. „Er will mit Ihnen reden.“

Nikos hielt den Hörer einen Moment lang zwischen Daumen und Zeigefinger und ließ ihn dann langsam auf die Gabel fallen.

„Sie hätten sich wenigstens mal anhören können, was er zu sagen hatte“, schimpfte Carrie.

„Um mir Ausreden anzuhören? Flehentliche Bitten um Gnade? Dafür ist es jetzt zu spät.“ Er winkte dem Kellner, der das Telefon wieder mitnahm.

Stavros, der Wirt, kam an den Tisch und lächelte Nikos an. „Die Unterbringung, um die du gebeten hast, steht bereit. Auch die Kleidung, die du bestellt hast, ist eingetroffen.“

Nikos nickte zufrieden. „Gut. Und die andere Sache?“

„Man kümmert sich darum. Die Männer sagen, es würde einige Stunden dauern, aber es wird rechtzeitig fertig sein. Du wirst keinen Grund zur Klage haben.“

Der größte Teil der Unterhaltung ging über Carries Verständnis, bei dem Wort „Unterbringung“, horchte sie jedoch auf, und sobald Stavros außer Hörweite war, zischte sie über den Tisch hinweg: „Ich bleibe nicht hier. Ich gehe aufs Boot zurück.“

„Das ist leider nicht möglich“, sagte Nikos. „Sie brauchen sich aber keine Sorgen zu machen. Es sind getrennte Zimmer.“

„Mit Verbindungstür, nehme ich an.“

„Nein.“ Seine Zähne blitzten in seinem dunklen Gesicht auf. „Sie sind ungeduldig und wollen die ganze Geschichte so schnell wie möglich hinter sich bringen, aber heute Abend wäre kein guter Zeitpunkt, damit anzufangen. Sie haben einen sehr anstrengenden Tag hinter sich und sind müde. Lieber warte ich, bis Sie sich von dem Schock erholt haben. Ich möchte, dass Sie es genauso genießen, wie ich es genießen werde.“

Gegen Mitte des folgenden Morgens hatten sie die Hälfte des Weges zum nächsten Hafen hinter sich. Nikos studierte die Karte und blickte dann auf seine Uhr. „In zwei Stunden werden wir wohl da sein. Was für eine Fracht wird es diesmal sein?“

„Das weiß ich erst, wenn wir da sind“, antwortete Carrie kühl. „Vorher werden wir aber noch woanders festmachen.“ Sie hielt das Steuer fest in der Hand und blickte starr auf die blaue See hinaus. Ein „fliegender Delphin“, eines der großen Tragflügelboote, die zwischen den größeren Inseln verkehrten, fuhr auf dem Weg nach Samos direkt an Mirandas Bug vorbei.

„Und wo?“, fragte Nikos leicht gereizt.

„Das werden Sie sehen, wenn wir ankommen.“ Carrie war froh, Nikos zeigen zu können, dass sie zumindest das Boot unter Kontrolle hatte, wenn sonst schon nichts.

Wie sie, hatte Nikos Jeans und Sandalen an, aber er war wieder nackt bis zur Taille, und in der Enge des Ruderhauses ließ sich eine zufällige Berührung nie ganz vermeiden. Jetzt streifte er schon wieder mit seiner nackten Brust ihren bloßen Oberarm. Carrie zuckte nervös zusammen. Machte er das mit Absicht? Sie war durchaus fähig, Kurs zu halten, ohne dass Nikos sich alle zwei Minuten vorbeugte und den Kompass studierte.

„Hören Sie, Nikos“, sagte sie mit einem verräterischen Beben in der Stimme. „Hier ist nicht genug Platz für uns beide. Warum gehen Sie nicht an Deck und … und machen was anderes?“

„Wir werden uns noch viel näher sein als jetzt, Carrie“, meinte er belustigt. „Ich dachte, dass Sie sich inzwischen an die Idee gewöhnt hätten. Überlassen Sie mir das Steuer, wenn meine Nähe Sie stört. Sie können nach unten gehen und Kaffee machen.“

Mit gesenktem Blick schob sie sich an ihm vorbei und ging in die Kombüse hinunter.

Carrie hatte immer noch Kopfschmerzen. Sie war heute Morgen damit aufgewacht und hatte zum Frühstück nur Schmerztabletten und ein Glas Orangensaft zu sich genommen.

„Keinen Appetit?“ Nikos hatte sie besorgt über den Restauranttisch hinweg gemustert, während er eine Riesenportion Jogurt mit Honig verspeist hatte. „Haben Sie nicht gut geschlafen?“

Carrie hatte nicht geantwortet und ihn nur schweigend angesehen.

„Macht nichts. In der Seeluft werden Sie wieder einen klaren Kopf bekommen.“

Bald darauf hatten sie das Hotel verlassen. Nikos, die neue Reisetasche mit der Kleidung in der Hand, hatte Carrie durch die belebten Straßen zum Hafen und auf die Miranda geführt. Kaum an Deck, hatte er die Tasche achtlos fallen lassen und in den Maschinenraum gespäht.

„Deshalb wollte ich gestern nicht, dass Sie wieder an Bord gehen.“ Er winkte Carrie zu sich. „Bei dem Lärm, den die Mechaniker gemacht haben, hätten Sie kein Auge zutun können.“

Carrie blickte in den Maschinenraum. „Das ist ja eine brandneue Maschine! Woher haben Sie die?“

„Ich habe sie bestellt und gestern Abend einbauen lassen.“

„Dazu hatten Sie kein Recht. Ich kann mir keine neue Maschine leisten. Man hätte die alte generalüberholen lassen können.“

„Keiner verlangt von Ihnen, dass Sie die Maschine bezahlen“, sagte Nikos scharf. „Wenn ich einen Monat auf diesem Kahn verbringe, will ich nicht mit einer altersschwachen Maschine, die jederzeit ihren Geist aufgeben kann, in einen Sturm geraten.“

Ein dickes Buch in einem durchsichtigen Kunststoffeinband lag auf der Maschine. Nikos nahm es und warf es Carrie zu. „Hier, das Wartungshandbuch. Es ist nicht zu übersehen, dass Sie keine Ahnung von Motoren haben. Deshalb rate ich Ihnen, das Buch in Ihrer freien Zeit sorgfältig zu studieren.“

„Ich werde viel zu beschäftigt sein, meine Würde zu bewahren, um dafür noch Zeit übrig zu haben.“

„An Ihrer Stelle würde ich keinen so hohen Wert auf meine Würde legen“, meinte Nikos grimmig. „Ich glaube nicht, dass Ihrem Bruder das gefiele.“

Da ist sie wieder – die Drohung, die düstere Mahnung, dachte Carrie bedrückt.

Sie blickte erneut auf die neue Maschine. Praktisch hatte Nikos sie ihr geschenkt. Quälte ihn vielleicht sein Gewissen? Versuchte er auf diese Weise …? Nein. Carrie verwarf den Gedanken sofort wieder. Stolze, arrogante Männer wie er hatten keine Schuldgefühle. Wahrscheinlich hatte er nur Angst um seine eigene Sicherheit, falls wirklich ein Sturm aufkam.

Kurz darauf hatten sie mit der Miranda den Hafen verlassen.

Als Carrie jetzt den Kaffee ins Ruderhaus trug, nahm Nikos ihn mit einem „Danke“ entgegen und deutete auf einen dunklen Fleck am Horizont. „Da ist Skiati.“

„Steuern Sie fünf Grad Richtung Hafen“, forderte Carrie ihn auf. „Im Norden von Skiati gibt es eine kleine Insel. Da fahren wir zuerst hin.“

Nikos drehte das Steuerrad herum und brachte die Miranda auf den Kurs, den Carrie vorgegeben hatte. Sie lächelte in grimmiger Vorfreude. Als Nikos beschlossen hatte, mit ihr zu fahren und Jimmys Platz einzunehmen, hatte er nicht gewusst, auf was er sich da einließ. Nun würde er es bald erfahren, auf die harte Art und Weise.

Die Sonne stand fast direkt über ihnen, als sie in der kleinen Bucht vor Anker gingen. Die Hitze flimmerte über dem Deck der Miranda, und in dem kleinen Schlauchboot, mit dem sie zum Strand ruderten, war es kaum kühler.

Nikos zog das Boot auf den Sand und ließ den Blick über das Gestrüpp schweifen, das sich über zweihundert Meter hinter dem Strand erstreckte, ehe das Land steil anstieg. Fragend blickte er Carrie an. „Was jetzt?“

Sie zeigte auf den Hügel. „Wir steigen da hinauf, um eine alte Freundin zu besuchen.“

Ohne eine weitere Erklärung abzugeben, marschierte Carrie über den Strand und schlug dann einen schmalen Pfad durch das Gestrüpp ein. Sie war sich nicht sicher, ob Nikos ihr folgen würde. Vielleicht wollte er am Strand liegen oder schwimmen gehen, bis sie zurückkam. Sie ging jedoch davon aus, dass seine Neugier größer wäre und er herausfinden wollte, was sie vorhatte. Im nächsten Moment hörte sie auch schon ein Rascheln hinter sich und lächelte still in sich hinein.

Der Aufstieg in der Hitze war ziemlich anstrengend, und Carrie war froh, als das Gelände endlich wieder flach wurde. Vom Strand aus hatte man die Felder und das weiß getünchte Gebäude, dem sie sich jetzt näherten, nicht sehen können.

„Kati?“, rief Carrie, als sie in Hörweite des Hauses waren. Auf ihren zweiten Ruf hin tauchte eine Gestalt mit einem schwarzen Schultertuch an der Tür auf und hob grüßend die Hand.

„Wer ist das?“, wollte Nikos wissen.

„Sie lebt allein hier, ist fast siebzig und Witwe.“

„Hat sie keine Familie?“

„Ihre Kinder sind schon seit Langem fort, um ein besseres Leben zu führen. Kati weigert sich, die Insel zu verlassen, weil ihr Mann hier begraben ist.“

„Es kann nicht einfach für sie sein, hier allein zu leben. Es ist töricht von ihr, nicht zu ihrer Familie zu ziehen.“

„Ich habe Ihnen doch eben gesagt, dass ihr Mann hier begraben ist“, erwiderte Carrie. „Manchen Menschen bedeutet so etwas viel. Ich würde es wahrscheinlich genauso machen. Jedenfalls habe ich Kati noch nie klagen hören. Sie baut sich ihr eigenes Gemüse an und hält sich ein paar Schafe und Ziegen. Gelegentlich schickt ihre Familie ihr etwas Geld. Ein echtes Problem ist frisches Wasser. Die Quelle hier oben ist schon vor Jahren versiegt. Die einzige, die es noch auf der Insel gibt, liegt am Fuß des Hügels, den wir gerade erklommen haben.“

Als sie nur noch wenige Meter vom Haus entfernt waren, senkte Carrie die Stimme. „Sie ist eine sehr energische und unabhängige alte Dame. Das meiste schafft sie allein, nur, fünfundvierzig Liter Wasser auf einmal den Hügel hinauftragen, das kann sie nicht.“ Carrie warf Nikos einen bedeutungsvollen Blick zu. „Jimmy und ich besuchen sie mindestens alle sechs Wochen. Gegen etwas Ziegenkäse bietet Jimmy ihr an, den Wassertank mit frischem Wasser von der Quelle aufzufüllen. Manchmal braucht er zwei Stunden dafür, je nachdem, wie trocken es war und wie viel Wasser Kati verbraucht hat.“

„Ihr Bruder muss ganz versessen auf Ziegenkäse sein“, meinte Nikos, der nach dem Aufstieg nicht im Mindesten außer Atem war und frisch aussah.

„Keineswegs. Er hasst Ziegenkäse.“

„Verstehe. Deshalb bin ich also hier. Ich soll den Wasserträger spielen. Wie groß ist denn der Tank?“

„Er fasst etwa neunhundert Liter. Bei fünfundvierzig Litern pro Gang sind das zwanzig Gänge zur Quelle.“ Carrie musterte ihn herausfordernd. „Ein Mann wie Sie wird so was natürlich unter seiner Würde finden. Vielleicht sind Sie auch nicht so in Form, wie Sie aussehen. Vermutlich verbringen Sie Ihre meiste Zeit in einem klimatisierten Büro, wo sie nichts Schwereres zu heben haben als einen Telefonhörer. Ein Mann, der so gepflegte Hände hat wie Sie, ist an wirklich harte Arbeit nicht gewöhnt. Ich werde es wohl selbst tun müssen. Das wird zwar ein bisschen länger dauern, aber ich kann das nicht die alte Kati machen lassen. Ich sage ihr schnell, dass …“

„Um Himmels willen, hören Sie auf zu jammern“, unterbrach Nikos sie ungehalten. „Ich fülle ihren verdammten Tank.“

„Gut.“ Carrie lächelte kühl. „Ich hatte gehofft, dass Sie das sagen würden.“

Mit Genugtuung stellte sie fest, dass Nikos keine Zeit verschwendete. Sobald sie ihn Kati vorgestellt hatte, nahm er die beiden Plastikbehälter und ging den Hügel hinunter.

Kati war enttäuscht, dass Jimmy nicht gekommen war. Carrie erzählte ihr, er sei für ein paar Wochen nach England gefahren.

„Und dieser Nikos?“ Katis Augen funkelten. „Er sieht sehr gut aus. Es wurde aber auch Zeit, dass du einen Mann wie ihn hast. Er scheint kräftig zu sein, so wie ein guter Ehemann und Vater sein sollte.“

Carrie wechselte schnell das Thema. Jetzt half sie der alten Frau, Brot zu backen, das in den Steinofen draußen geschoben wurde. Erbarmunglos brannte die Sonne auf sie herab, und als das Brot im Ofen war, setzten sie sich beide in den Schatten neben die Eingangstür.

Sie unterbrachen ihre Unterhaltung für einen Moment und schauten zu, wie Nikos, zwei gefüllte Fünfundvierzig-Liter-Behälter in jeder Hand, den Hügel heraufkam und auf den Wassertank zuging. Carrie sah, wie sich die Muskeln in Armen, Schultern und Bauch spannten. Die sonnengebräunte Brust glänzte feucht. Um die Stirn hatte er sich ein Tuch gebunden, damit der Schweiß ihm nicht in die Augen lief.

Kati lächelte mitleidig. „Er hat genug geschleppt. Der Tank muss inzwischen mehr als halb voll sein. Mehr brauche ich nicht. Ruf ihn zu uns, und lass uns ein Glas Wein zusammen trinken.“

Carrie lachte. „Soll er doch weitermachen, Kati. Nikos liebt harte Arbeit. Er würde es mir nie verzeihen, wenn ich ihn daran hinderte, sie ordentlich zu erledigen. Du hast gerade von deiner Tochter in Athen gesprochen …“

Später, nachdem sie sich von Kati verabschiedet hatten, ging Nikos schweigend den Weg zum Strand hinunter. Carrie folgte ihm mit einem triumphierenden Lächeln auf den Lippen. Sie hoffte, dass er sich eine schmerzhafte Muskelzerrung zugezogen hatte.

Unten angekommen, legte Carrie die beiden frischen Brotlaibe und den Käse, die Kati ihnen mitgegeben hatte, in das Schlauchboot und begann es dann ins Wasser hinunterzuziehen.

„Lassen Sie das“, sagte Nikos kurz angebunden. „Ich muss mich eine Weile ausruhen.“

„Warum?“, fragte sie unschuldig. „War Ihnen die Arbeit doch zu anstrengend?“

Sein Oberkörper war nass vor Schweiß, doch als Nikos begann, seinen Gürtel zu öffnen, schwand das spöttische Lächeln aus Carries Gesicht und wich einem Ausdruck der Bestürzung. In ihrer Hast, schnell wegzukommen, stolperte sie und landete auf ihrem Hintern. Entsetzt blickte sie auf und sah, wie Nikos seine Jeans auszog. Du meine Güte, schoss es ihr durch den Kopf. Jetzt wird es geschehen. Jetzt wird er sich an mir rächen.

Autor

Alex Ryder
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