Julia Extra Band 299

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WENN DIE LEIDENSCHAFT NEU ERWACHT von MORTIMER, CAROLE
Wo sie von Liebe spricht, meint er nur Lust. Sie wünscht sich Kinder, er nicht … Neun Monate nach der Traumhochzeit in Las Vegas scheint alles vorbei zwischen Kenzie und dem Milliardär Dominick. Kann ein romantisches Wochenende auf dem Land die Liebe noch einmal zum Leben erwecken?

VERFÜHRUNG AUF GRIECHISCH von BIANCHIN, HELEN
Elegante Bälle, exklusive Modenschauen, rauschende Partys - überall begegnet die schöne Designerin Ilana dem faszinierenden Geschäftsmann Xandro Caramanis. Doch mit aller Macht versucht sie, seiner Anziehung zu widerstehen. Denn was sie sucht, kann er ihr nicht bieten …

SO SÜSS UND SO BEZAUBERND von MORGAN, RAYE
Wer ist die bezaubernde junge Frau, die auf dem fürstlichen Landsitz Unterschlupf sucht? Prinz Mychale fühlt sich immer stärker zu Abby hingezogen. Sie ist die Erste, die ihn nicht wegen seines Titels begehrt. Aber kaum gesteht er ihr seine Liebe, verschwindet sie spurlos …

KANN DENN LIEBE SCHICKSAL SEIN? von GREEN, ABBY
Niemals versiegte Liebe, sehnsüchtiges Verlangen: Die Gefühle überwältigen Rosanne, als sie ihren Ehemann Sandro zwei Jahre nach der Trennung überraschend wiedersieht. Aber wird der feurige Spanier ihr jemals verzeihen können, dass das Schicksal sie damals zum Gehen zwang?


  • Erscheinungstag 17.06.2009
  • Bandnummer 299
  • ISBN / Artikelnummer 9783862955008
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Abby Green, Helen Bianchin, Raye Morgan, Carole Mortimer

Julia Extra, Band 299

ABBY GREEN

Kann denn Liebe Schicksal sein?

Werden sie doch noch eine richtige Familie? Als Rosanne überraschend ihren Ehemann Sandro wiedertrifft, erwacht erneut ihre Hoffnung auf das Glück. Aber die Schatten der Vergangenheit sind stark …

HELEN BIANCHIN

Verführung auf Griechisch

Xandro entführt die schöne Ilana in seine Luxusvilla mit Blick auf die Bucht von Sydney. Nur um sie vor ihrem Exverlobten in Sicherheit zu bringen? Oder weil er sie so liebt wie sie ihn?

RAYE MORGAN

So süß und so bezaubernd

„Heirate mich nicht, sonst machst du zwei Menschen unglücklich“, sagt Abby zu Prinz Mychale, als er ihr seine Gefühle gesteht. Liebt sie ihn etwa nicht? Oder hat sie etwas vor ihm zu verbergen?

CAROLE MORTIMER

Wenn die Leidenschaft neu erwacht

Als Kenzie ihn bittet, sie vor der Scheidung noch einmal zu einem Familienfest zu begleiten, verlangt Dominick eine Gegenleistung: ein Wochenende in seiner Poolvilla. Eine neue Chance für die Liebe?

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Abby Green

Kann denn Liebe Schicksal sein?

1. KAPITEL

Ein wenig unsicher waren Rosanne Carmichaels Schritte, als sie die Lobby des kleinen luxuriösen Hotels betrat. Ihr war nicht klar gewesen, dass es so exklusiv sein würde. Obwohl sie gut genug gekleidet war, um nicht aufzufallen, überkam sie das Gefühl, alle Anwesenden würden sie anstarren. Von den bewundernden Blicken, die sie mit ihren dunkelroten Haaren und der makellosen hellen Haut auf sich zog, bekam sie nichts mit.

Es war lange her, dass sie einen solchen Ort aufgesucht hatte. Es war in einem anderen Leben gewesen. Damals war sie eine andere Frau.

Sie entdeckte einen freien Platz und ließ sich dankbar in den Sessel sinken. Sofort eilte ein Kellner herbei und nahm ihre Bestellung entgegen. Schließlich lehnte Rosanne sich zurück und atmete tief durch. Sie durfte jetzt nicht die Kontrolle verlieren. Sie musste ruhig bleiben.

In zehn Minuten würde sie mit ihrem Anwalt besprechen, wie sie am besten mit ihrem Ehemann Kontakt aufnehmen konnte, den sie vor zwei Jahren verlassen hatte. Ihn und ihr Baby.

Vielleicht war es dumm gewesen, den Termin so früh anzusetzen. Schließlich bewegte sie sich heute zum ersten Mal seit zwei Jahren in der Öffentlichkeit. In der geschäftigen, hektischen Metropole London. Sie hatte nicht erwartet, jemals wieder hierherzukommen.

Nein, so durfte sie nicht denken. Alles würde gut gehen. Hatte sie nicht schon viel Schlimmeres durchgestanden?

Mit dem heutigen Tag begann ein neues Kapitel im Buch ihres Lebens. Eine neue Seite, ein neuer Abschnitt.

Ein neuer Anfang. Und vielleicht … vielleicht eine neue Chance auf das Glück?

In diesem Moment erregte ein kleiner Junge ihre Aufmerksamkeit. Mit tapsigen Schritten lief er über den glatten Marmorboden, stolperte und fiel hin. Instinktiv eilte Rosanne zu dem Kleinen hinüber und hob ihn vorsichtig auf die Füße.

„Alles in Ordnung, kleiner Mann? Du hast dir doch nicht wehgetan, oder?“, fragte sie und lächelte beruhigend. „Du siehst mir wie ein sehr mutiger Junge aus.“

Unschlüssig schaute der Kleine sie an, als überlege er, ob er weinen solle oder nicht. Seine Unterlippe zitterte ein wenig.

Er war ein sehr süßes Kind. Dunkelblondes Haar, rosig schimmernde Haut und riesige Augen, deren Farbe an Veilchen erinnerte. Ungewöhnlich und einzigartig.

Zu ungewöhnlich und einzigartig.

Der Schock traf Rosanne wie ein Faustschlag in den Magen. Seine Augen waren von demselben Veilchenblau, das ihr jeden Morgen im Spiegel entgegenblickte.

Der Junge hatte sich anscheinend entschieden, nicht zu weinen. Stattdessen grinste er und ließ seine kleinen weißen Babyzähnchen aufblitzen. Er rieb sich die Stirn und plapperte etwas Unverständliches.

Doch Rosanne hörte gar nicht hin. Das konnte nicht sein … das konnte einfach nicht sein.

Hatte sie schon so oft von diesem Moment geträumt, dass sie ihn sich jetzt einbildete?

Das musste die Erklärung sein. Verzweiflung stieg in ihr auf. Würden diese Gefühle sie jedes Mal überfallen, wenn sie einem Jungen in seinem Alter begegnete?

Füße in schwarzen Schuhen traten hinter den Jungen. Ein Mann. Dann eine Bewegung. Der Eindruck von Größe, markanter Ausstrahlung, als er sich hinunterbeugte, um den Kleinen aufzuheben. Wieso wirkte sein Duft so vertraut? Rosannes Herzschlag schien auszusetzen. Das Blut gefror in ihren Adern.

Sie hörte eine samtige, kultivierte Stimme über sich. Der Fremde sprach mit einem leichten, kaum wahrnehmbaren Akzent.

„… braucht Augen überall, sie entwischen so schnell …“

Rosanne konnte nicht fassen, was sie hörte und sah. Sie erhob sich und stand dem attraktivsten Mann gegenüber, den sie je getroffen hatte. Ihr stockte der Atem – wie damals, als sie ihn das erste Mal gesehen hatte.

Vor fast drei Jahren.

Das durfte nicht wahr sein. So grausam konnte das Leben nicht sein!

Er sprach immer noch, unterbrach sich dann jedoch abrupt. Das warme Lächeln verschwand. Dunkelblonde Brauen wurden über eisblauen Augen zusammengezogen, die bis auf den Grund von Rosannes Seele zu blicken schienen. Eine Vielzahl widerstreitender Empfindungen lag in diesem Blick. Der Schock des Erkennens, ungläubige Fassungslosigkeit und dann etwas viel Stärkeres. Abscheu, Wut … Hass.

Rosanne öffnete den Mund, aber kein Laut drang über ihre Lippen. Um sie herum schien sich alles im Zeitraffer zu bewegen, nur sie standen still, als wären sie in einer unsichtbaren Blase gefangen.

Sie sah den kleinen Jungen an, den er in seinen Armen hielt. Das war ihr Verderben. Es kam ihr vor, als würde ihr Herz explodieren.

Ein letzter klarer Gedanke drang in ihr Bewusstsein, bevor sie ohnmächtig zu Boden stürzte. Das ist mein Baby.

Isandro Vicario Salazar stand am Fenster der Suite, in die er Rosanne getragen hatte. Sein Blick fiel auf einen Kirchturm in der Nähe, auf den Verkehr in den Straßen unter ihm. Und doch sah er nichts davon.

Rosanne Carmichael. Rosanne Salazar. Seine Frau.

Seine treulose Frau. Seine Frau, die ihn und ihr Baby nur wenige Stunden nach der Geburt im Stich gelassen hatte, weil sie sich nicht dazu bereit gefühlt hatte, Ehefrau und Mutter zu sein.

An jenem Tag hatte er sie nach der Geburt alleine gelassen, damit sie sich ausruhen und erholen konnte. Einige Stunden später war er zurückgekommen … und sie war fort. Seither hatte er sie nicht wiedergesehen.

Ein schwaches Geräusch vom Bett her ließ ihn zusammenfahren. Langsam drehte er sich um.

Rosanne wartete einen Moment, bevor sie die Augen aufschlug. Das hatte sie sich in den vergangenen zwei Jahren angewöhnt. Ein letzter Moment, bevor die Realität Einzug hielt, ein Moment, um Bilanz zu ziehen, um zu lauschen, was ihr Körper sagte. Um den Empfindungen nachzuspüren, zu fühlen, ob es Schmerzen gab … ob es ihr gut ging.

Sie öffnete die Augen. Und da war er. Sie hatte es sich nicht eingebildet. Ihr Ehemann stand mit dem Rücken zu ihr am Fenster, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Der maßgeschneiderte italienische Anzug schmiegte sich an seinen beeindruckenden Körper, betonte die starken Schultern, die breite Brust.

„Also …“, sagte er spöttisch. „Mir zu begegnen, war offensichtlich ein Schock für dich. Was wirklich seltsam ist, schließlich gehört mir dieses Hotel.“

Rosanne spürte, wie die Betäubung von ihr wich, wie das schützende Entsetzen zersplitterte. Sein Hotel? Seit wann besaß er ein Hotel in London? Obschon ihn seine Geschäfte immer wieder hierher führten, hatte er aus seiner Abneigung gegen die Metropole nie einen Hehl gemacht. Und warum hatte sie ausgerechnet sein Hotel ausgewählt … aus tausend anderen?

Und wie war sie in dieses Zimmer gelangt?

Dann fiel ihr alles wieder ein. Ihr Baby, ihr Sohn … sie hatte ihn gesehen, ihn gehalten.

„Habe ich … habe ich ihn erschreckt?“ Ihre Kehle fühlte sich beim Sprechen rau an.

Die kalte Abscheu, die sie in den Augen ihres Ehemanns sah, traf sie wie ein Schlag.

„Nein. Wenn du das getan hättest, wärst du jetzt nicht hier.“

Unmissverständlich lag in seiner Stimme der Tonfall eines zu allem entschlossenen Beschützers. Rosanne richtete sich auf und setzte sich auf die Bettkante. Noch immer fühlte sich ihr Kopf an, als sei er in Watte gepackt. Vorsichtig blickte sie zu Isandro auf. So lange hatte sie von diesem Moment geträumt … aber selbst in ihren Fantasien hatte er sich nie über ihr Wiedersehen gefreut.

„Hast du ihn Zacarías genannt?“, fragte sie.

„Zac, ja.“

„Nach deinem Großvater …“

Ein verächtlicher Ausdruck huschte über sein Gesicht. „Bitte, fang gar nicht erst an, mir vorzuspielen, es interessiere dich.“

Rosanne zuckte zusammen. Alle Farbe wich aus ihren Wangen. Sie hatte gewusst, was ihr bei einer Begegnung mit Isandro bevorstand. Nur hatte sie nicht damit gerechnet, dass es so bald passieren würde. Sie hatte sich darauf vorbereiten wollen, sich in Ruhe überlegen, wie sie ihm alles erklären konnte …

„Deinen Liebhaber habe ich fortgeschickt.“

Gerade hatte Rosanne aufstehen wollen, nun sank sie zurück aufs Bett. Isandro beobachtete sie kühl. Es erforderte all seine Selbstbeherrschung, nicht zu ihr zu gehen, sie auf die Füße zu ziehen und zu verlangen, dass sie … ja, was eigentlich?

„Meinen was?“ Ungläubig schaute Rosanne ihn an.

„Deinen Liebhaber“, stieß er hervor. „Der Mann, mit dem du vorhin in der Lobby verabredet warst. Ihr habt doch sicher ein Zimmer hier gebucht. Hast du so die letzten zwei Jahre verbracht? Auf einer liederlichen Tour durch die Hotelzimmer dieser Welt mit irgendwelchen Männern? Hast du das damit gemeint, als du geschrieben hast, du seist noch nicht bereit für die Rolle der Ehefrau und Mutter?“

Irgendwelche Männer?

In Rosannes Kopf drehte sich alles. Wovon sprach Isandro nur? Plötzlich sah sie vor ihrem geistigen Auge ein freundliches, gutmütiges Gesicht, und sie begriff. „Bestimmt meinst du David Fairclough. Er ist mein Anwalt. Ich wollte mich in der Lobby mit ihm treffen, als … als …“

Isandro lachte höhnisch auf. „Eine nette Geschichte. Willst du mir das wirklich weismachen?“

„Es ist wahr.“ Endlich fand sie die Kraft, aufzustehen. „Ich wollte mit ihm besprechen, wie ich am besten mit dir in Kontakt trete, um meinen Sohn zu sehen.“

Isandro verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich kann dir hier und jetzt versichern, dass das niemals passieren wird.“

Panik stieg in Rosanne auf. „Ich habe ein Recht, mein Kind zu sehen, ganz egal, was vorher passiert ist. Das kannst du nicht verhindern.“ Die aufsteigenden Tränen verengten ihre Kehle. Sie kämpfte darum, nicht die Kontrolle über sich zu verlieren. Sie durfte jetzt nicht nachgeben. Sie musste stark bleiben.

„Ich kann, und ich werde“, entgegnete Isandro kalt. Rosanne schüttelte den Kopf und öffnete den Mund, um zu widersprechen, aber er kam ihr zuvor. „So schnell, wie du damals verschwunden bist, würde es mich nicht wundern, wenn du längst vergessen hast, dass dein Kind ein Junge ist!“

Schmerz durchfuhr sie. „Ich … natürlich weiß ich, dass er ein Junge ist. Ich habe an nichts anderes gedacht, seit ich an jenem Tag …“

Mit zwei großen Schritten durchquerte Isandro das Zimmer. Bedrohlich baute er sich vor Rosanne auf. „Genug davon!“

„Isandro. Bitte, lass mich dir erklären, was passiert ist. Vielleicht kannst du dann verstehen …“

Sofort fiel er ihr ins Wort. „Verstehen? Verstehen?“

Er stand so nah vor ihr, dass sie die winzigen Fältchen um seine Augen herum erkennen konnte. Sie zwang sich, stocksteif stehen zu bleiben und die plötzlich aufflammenden Bedürfnisse ihres Körpers zu ignorieren. Wie konnte sie in dieser Situation überhaupt an so etwas denken? Wieso verspürte sie diese Sehnsucht tief in ihrem Inneren, wenn er sie doch mit unverhohlenem Hass ansah?

„Ich weiß genau, was passiert ist“, fuhr er voller Sarkasmus fort. „Du hast einen Zettel hinterlassen … erinnerst du dich? Es gibt nichts, kein einziges Wort, keine einzige lahme Geschichte, mit der du entschuldigen könntest, was du an jenem Tag getan hast. Du hast einem unschuldigen Baby das Wichtigste genommen. Nahrung, Liebe, Geborgenheit. Nichts und niemand auf diesem Planeten wird dich von dieser Schuld freisprechen. Du hast dein Recht, Mutter zu sein, an dem Tag verspielt, an dem du gegangen bist.“

Rosannes Erklärung erstarb auf ihren Lippen. Immer wieder hallten seine grausamen Worte durch ihren Kopf. Einen winzigen herrlichen Augenblick empfand sie nichts. Doch wie vergiftete Pfeile trafen die Vorwürfe ihr Ziel und gesellten sich zu dem ewig vorhandenen Gefühl der Schuld.

Wie konnte sie erwarten, dass er etwas verstand, was sie selbst kaum begriff? Hatte sie wirklich geglaubt, sich von ihrer Schuld reinwaschen zu können, indem sie ihm ihre Gründe offenbarte?

Irgendwie mobilisierte Rosanne ihre letzten Kraftreserven und entzog sich Isandros eisernem Griff um ihren Arm.

Gleichgültig bemerkte er, wie sie immer weiter vor ihm zurückwich und mit einer Hand über die Stelle an ihrem Arm rieb, an der er sie festgehalten hatte. Für einen Moment wandte Rosanne sich um und bot ihm den Anblick ihres schmal wirkenden Rückens. Unwillkürlich glitt sein Blick abwärts.

Sie war schlanker geworden, stellte er fest. Das elegante Kostüm mit dem kurzen Rock und dem eng anliegenden Jackett umschmeichelte ihre Kurven. Verlangen flammte in ihm auf, obwohl alles in ihm sich gegen diese ungewollte Reaktion wehrte. Zierlich war sie schon immer gewesen, aber nun war ihr Körper von einer unverkennbaren Zerbrechlichkeit, die zuvor nicht da gewesen war.

Rosanne war sein Schlüssel zu einer Welt gewesen, die für Außenstehende nur schwer zugänglich war: die oberste Ebene des englischen Bankensystems, das sich in der Hand einer ihr Imperium eifersüchtig bewachenden, superreichen Elite befand.

Sein Plan war einfach gewesen, nur hatte Rosanne sich als die einzige Person erwiesen, bei der seine Menschenkenntnis völlig versagt hatte.

Mit gefährlich blitzenden Augen wirbelte sie wieder zu ihm herum. „Ob es dir gefällt oder nicht, ich habe Rechte. Jedes Gericht der Welt wird das anerkennen.“

Isandros Miene glich einer steinernen Maske.

„Du bleibst in diesem Zimmer. Wenn du versuchst zu gehen, wird der Bodyguard, der draußen vor der Tür steht, dich daran hindern.“ Isandro bewegte sich auf die Tür zu. Alles, woran er denken konnte, war, Distanz zwischen sich und diese Frau zu bringen.

Ungläubig sah Rosanne ihm nach. „Warte … Wohin gehst du? Wir sind noch nicht fertig!“

Unmittelbar vor der Tür blieb er stehen. Die Klinke in der Hand, drehte er sich um. „Oh, doch, das sind wir. Für den Moment. Vergiss nur nicht, dass du deinen Sohn und mich im Stich gelassen hast. Ich kann es dir leicht machen, oder sehr, sehr schwer. Die Entscheidung liegt bei dir.“

Als er die Tür öffnete, konnte sie einen kurzen Blick auf die große Gestalt des Sicherheitsmannes erhaschen, der bereits Stellung bezogen hatte. Dann hörte sie eine helle Stimme, die aufregt: „Papa! Papa!“ rief.

Die Tür wurde geschlossen. Zac zu hören, war zu viel für Rosanne. Ihre Beine gaben unter ihr nach, und sie sank zu Boden. Lange Zeit blieb sie einfach still liegen. Erst später wurde ihr bewusst, dass ihre Wangen nass von Tränen waren und dass sie eine Faust gegen ihre Brust gepresst hielt, als könne sie so den Schmerz in ihrem Herzen besänftigen.

Schließlich stand sie auf und ging ins Badezimmer. Dort spritzte sie sich kaltes Wasser ins Gesicht. Nachdem sie sich abgetrocknet hatte, betrachtete sie sich im Spiegel. Ihr Gesicht war blass, fast weiß, die Augen wirkten riesig. Sie sah aus wie ein von Scheinwerfern geblendetes Reh. Und genauso fühlte sie sich auch.

Sie ging zurück ins Schlafzimmer und trat ans Fenster, an dieselbe Stelle, an der Isandro vorhin gestanden hatte. Immer noch fiel es ihr schwer zu begreifen, auf welche ungeheuerliche Weise das Schicksal sie zusammengeführt hatte.

Dieses Hotel hatte sie hauptsächlich deshalb ausgewählt, weil es in der Nähe des Bahnhofs lag, an dem ihr Zug aus Paris eingetroffen war. In der Liste im Internet hatte es ganz oben gestanden, unter A, wie Alhambra Hotel.

Letztendlich wäre also ein Treffen in David Faircloughs Büro doch besser gewesen. Das jedoch hatte sie abgelehnt, weil die Räumlichkeiten sich in der Nähe von Isandros Londoner Bankhaus befanden.

Ironie des Schicksals, ging es ihr durch den Kopf. Sie hatte sich darauf verlassen, alle relevanten Informationen vor einem eventuellen Zusammentreffen einzuholen. Hatte sich darauf verlassen, dass Isandro sich überwiegend in Spanien aufhielt.

Stattdessen war sie nun hier.

Die Chance, in einem Brief in aller Ausführlichkeit die Gründe zu erklären, warum sie an jenem Tag gegangen war, war dahin. Seine unverhohlene Wut hatte ihr klargemacht, dass er ihr niemals zuhören würde. Außerdem glaubte er, er habe sie bei einem nachmittäglichen Stelldichein ertappt. Einen unglücklicheren Auftakt für die ersehnte Annäherung hätte es nicht geben können.

Hinter sich hörte Rosanne das Geräusch einer sich öffnenden Tür. Isandro. Seine Miene wirkte so streng und verschlossen, dass sie innerlich zusammenzuckte.

„Ich muss mich um einige geschäftliche Angelegenheiten im Hotel kümmern. Wenn du willst, darfst du jetzt gehen.“

„Nein.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich gehe nirgendwohin. Ich bin nach London gekommen, um Kontakt zu dir aufzunehmen. Glaub, was du willst, aber ich wusste nicht, dass dieses Hotel dir gehört. Ich werde nicht eher gehen, als bis du einverstanden bist, dass ich Zac wiedersehe.“

Er presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. Damit hatte er definitiv nicht gerechnet.

„Na schön. In diesem Fall bleibst du heute Nacht hier, morgen besprechen wir alles Weitere.“

Skeptisch schaute Rosanne ihn an. Sie hatte mit einem erbitterten Kampf gerechnet. Warum warf er sie nicht kurzerhand aus dem Hotel?

„Kein Grund, mich so misstrauisch zu mustern, meine Liebe. Schließlich bist du immer noch meine Ehefrau … oder nicht? Natürlich bin ich außer mir vor Freude, dich wiederzusehen!“

Mit einem letzten spöttischen Blick verließ er das Zimmer. Als sie das Geräusch einer zweiten zufallenden Tür hörte, wusste Rosanne, dass sie endlich allein war. Zögernd öffnete sie die Tür zum Wohnzimmer der Suite und sah sich um. Ihr Koffer stand mitten im Raum.

Zum ersten Mal seit Stunden hatte sie das Gefühl, freier atmen zu können. Sie setzte sich auf das Sofa. Dabei spürte sie unter sich einen weichen Knubbel. Ohne nachzudenken, griff sie nach dem Gegenstand. Es war ein kleiner Stoffbär.

Zac. Mit zitternden Händen hob sie das Kuscheltier an ihre Nase und atmete tief ein. Als der Strudel aus Emotionen diesmal an die Oberfläche drängte, konnte sie ihn nicht länger zurückhalten. Den Teddy fest an ihre Brust gepresst, zog sie die Beine an, legte sich aufs Sofa und überließ sich ihren Gefühlen.

Viel später in dieser Nacht stand Isandro vor der Tür zu der Suite, die nur wenige Zimmer von seinen Privaträumen entfernt lag. Was tue ich hier eigentlich?, fragte er sich kopfschüttelnd.

Er öffnete die Tür und trat ein. Gedämpftes Licht empfing ihn. Die Vorhänge waren nicht zugezogen. Erst als er schon fast an ihr vorbeigegangen war, bemerkte er die schmale Gestalt auf dem Sofa.

Beinahe hätte er laut gelacht, als er Zacs Stofftier entdeckte, das sie noch immer fest umklammert hielt.

Sehr zu seinem Ärger löste der Anblick seiner friedlich schlafenden Frau eine Woge der Erinnerungen aus. Zum ersten Mal hatte er Rosanne bei einer überfüllten Veranstaltung gesehen, zu der er mit Alistair Carmichael verabredet gewesen war. Rosannes Vater steckte damals in großen Schwierigkeiten. Ihm drohte der Bankrott, falls Isandro nicht in ihrem gemeinsamen Interesse intervenierte.

Carmichael wusste, dass Isandro in die britische Bankenwelt einsteigen wollte. Und Isandro war sich im Klaren darüber, dass Carmichael nur mit seiner Hilfe der öffentlichen Schande entgehen konnte.

Im Zentrum ihres Plans stand Rosanne. Sie war Teil des Deals.

Er hatte sie gleich quer durch den Raum gesehen. Ihre Blicke hatten sich getroffen, und er hatte sich von ihren intensiven violetten Augen ein wenig eingeschüchtert gefühlt. Von der Ernsthaftigkeit, die in ihnen lag.

Dabei wirkte sie zugleich irgendwie unbeholfen – viel zu unbeholfen, um echt zu sein, wie er jetzt wusste. Alles gehörte zu ihrer Maskerade.

Carmichael hatte ihn mit der Aussicht geködert, dass eine Heirat mit seiner Tochter deren Erbe am beträchtlichen Vermögen ihrer verstorbenen Mutter freisetzen würde. Isandro ließ ihn gern in dem Glauben, dass er gegen eine Braut mit einer ansehnlichen Aussteuer nichts einzuwenden hätte. Insgeheim vermutete er schon damals, dass der alternde Bankier selbst das größte Interesse am Erbe seiner Tochter hatte.

Natürlich brauchte Isandro keine Aussteuer. Geld hatte er genug. Worum es ihm wirklich ging, war allein die gesellschaftliche Akzeptanz. Ohne die passende englische Ehefrau an seiner Seite würde man seiner Folge auf Alistair Carmichaels Stuhl in der Bank immer mit Skepsis begegnen.

Wenn jedoch zwei große Familien fusionierten – die eine aus Spanien, die andere aus England –, dann würden ihn sämtliche wichtige Kreise akzeptieren.

Und genauso war es gekommen.

Unwillkürlich presste Isandro die Lippen aufeinander. Die Pfade, die seine Gedanken einschlugen, gefielen ihm nicht. Sie führten ihn zurück an einen Ort, den er niemals wieder hatte besuchen wollen.

Womit er nie gerechnet hatte, war der Platz, den seine sanftmütige und bescheidene Ehefrau schon bald in seinem Leben und in seinem Herzen einnehmen sollte. Und die entsetzliche Leere, die die spätere Entdeckung ihres in Wahrheit habgierigen und kalten Charakters in seiner Seele anrichten würde.

Wie schrecklich es sich angefühlt hatte, an jenem Tag in das Krankenhauszimmer zurückzukehren und feststellen zu müssen, dass sie fort war. Nur mit einem dürftigen Zettel und ihrem Ehering als Abschiedsgruß.

Er hatte sich wie der größte Narr der Welt gefühlt.

Geräuschlos verließ Isandro die Suite und schwor sich bei allem, was ihm heilig war, dass Rosanne für diese Tat bezahlen musste.

2. KAPITEL

Am nächsten Morgen saß Rosanne angespannt in einem Sessel und beobachtete die Tür der Suite. Sie war früh aufgewacht, ihr Körper fühlte sich nach der Nacht auf der Couch steif an.

Im Licht des Morgens waren ihr einige Dinge klarer geworden. Sie durfte sich von Isandro keine Angst einjagen lassen. Stattdessen musste sie ihn dazu bringen einzusehen, dass auch sie Rechte besaß.

Insgeheim verfluchte sie sich, nicht besser vorausgeplant zu haben. Heute war Samstag, und sie kannte weder die Privatnummer noch die Handynummer ihres Anwalts. Schon gestern hätte sie ihn anrufen sollen, gleich nachdem Isandro gegangen war. Aber der Schock über das unverhoffte Wiedersehen hatte sie gelähmt. Diesen Fehler musste sie nun teuer bezahlen.

Was, wenn Isandro tatsächlich unerbittlich blieb und ihr den Umgang mit ihrem Sohn weiter verbat? Dabei wünschte sich Rosanne tief in ihrem Herzen doch nur eins: Dass sie eines Tages wieder eine glückliche Familie sein würden.

Sie waren einmal glücklich gewesen … wenn auch nur in den ersten Monaten ihrer Ehe. Isandro war der erste Mann, mit dem sie je geschlafen hatte. Der erste Mann, in den sie sich verliebt hatte. Was sie in ihrer Naivität nicht bemerkt und erst viel später herausgefunden hatte, war die Tatsache, dass er in Wirklichkeit gar nichts für sie empfunden hatte.

Dieser bittere Gedanke holte sie in die Realität zurück. Zweifellos hatte Isandro sich mittlerweile mit einer ganzen Armee von Anwälten beraten, wie er am besten mit dem überraschenden Auftauchen seiner Ehefrau umging.

Plötzlich wurde die Tür der Suite geöffnet. Erschrocken sprang Rosanne auf.

Den Blick auf seine Frau gerichtet, betrat Isandro das Zimmer. Wie schön sie immer noch war … das Gesicht weiß wie Alabaster, die Augen zwei violette Seen.

„Ich nehme an, du hast gut geschlafen?“, begann er so unverfänglich wie möglich, damit sie nicht merkte, wie schwer es ihm fiel, die Kontrolle über sich zu wahren.

„Sehr gut, danke. Das Bett war ziemlich bequem.“ Auf keinen Fall würde sie zugeben, dass sie in dieser Nacht kaum ein Auge zugetan hatte.

Während er langsam auf sie zukam, huschte ein Schatten über sein Gesicht, den Rosanne nicht einordnen konnte.

Er trug weder Krawatte noch Jackett, die Ärmel seines Hemdes waren aufgekrempelt. Plötzlich bemerkte sie einen kleinen Fleck, der verdächtig nach getrocknetem Brei aussah. Ob er Zac gefüttert hatte? Der Wunsch, ihren Sohn wiederzusehen, wurde plötzlich übermächtig. Sie musste ihn sehen, schon um sich davon zu überzeugen, dass sie sich nicht alles nur eingebildet hatte.

„Dein Timing ist wirklich erstklassig, Rosanne. Aber dieses Talent hattest du ja immer schon.“

Tapfer hielt sie seinem kalten Blick stand. Wie um sie zu provozieren, schlenderte Isandro zunächst gemächlich zum Fenster hinüber. Sie hielt den Atem an, als er an ihr vorbeiging. Seine Nähe war verwirrend. Der vertraute Geruch, kühl und männlich, drang ihr in die Nase. Und da war noch ein anderer Duft … Zac. Rosanne glaubte, ihr Herz müsse zerspringen.

„In zwei Monaten wird es genau zwei Jahre her sein, dass du aus dem Krankenhaus geflüchtet bist. Du hast diesen Zeitpunkt für deine Rückkehr gewählt, weil wir jetzt endlich die Scheidung einreichen können. Und weil du Anspruch auf das Geld hast, wie es in unserem Ehevertrag festgelegt ist. Es war sehr clever von dir, die Zweijahresfrist nicht zu überschreiten. Das Urteil wäre dann wahrscheinlich zu deinen Ungunsten ausgefallen. Bestimmt bringt es dich fast um, dass du überhaupt herkommen musstest. Aber tröste dich, sobald die Scheidung durch ist, wirst du wieder verschwinden können.“

Die Schockwellen, die das Wort Scheidung in ihr auslöste, ließen Rosanne erschaudern. Sie versuchte zu begreifen, was das alles zu bedeuten hatte. Schließlich war sie nicht zurückgekommen, weil sie einen perfiden Plan verfolgte, sondern ganz einfach deshalb, weil sie endlich in der Lage dazu war. Weil es ihr endlich wieder gut ging.

Die Arme noch immer vor der Brust verschränkt, blickte Isandro sie an. Seine Miene war hart, ausdruckslos. Wieder empfand er Wut über sich selbst, dass er Rosanne so falsch eingeschätzt hatte. Und jetzt wollte sie ihm auch noch weismachen, dass sie unter Schock stand! Er lachte kurz auf. „Komm schon … du hast ja wohl nicht erwartet, dass wir nun glückliche Familie spielen, als sei nichts passiert.“

Rosanne schüttelte den Kopf. Seine hässlichen Worte, die ihre Hoffnungen brutal in den Staub traten, raubten ihr die Sprache.

„Eigentlich hast du mir sogar einen Gefallen getan“, fuhr er in gelangweiltem Ton fort. „Wärst du nicht freiwillig zurückgekommen, hätte ich die Scheidung nicht einreichen können. Du ersparst mir also die lästige Pflicht, dich auszuspüren.“ Unvermittelt veränderte sich seine Miene. Er trat näher und schaute sie abschätzend an. „Lass mich raten … Du hast deine Erbschaft schon verbraucht?“

Rosanne wurde kreidebleich. Die beträchtliche Summe, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte, war tatsächlich beinahe ausgegeben. Aber nicht für die Dinge, die er offensichtlich im Sinn hatte. Dennoch – es war zu spät. Isandro hatte ihre Reaktion bemerkt. Ein triumphierendes Funkeln lag in seinen eisblauen Augen.

„Wie ich es mir gedacht habe“, meinte er kopfschüttelnd. „Es enttäuscht mich, dass Frauen so durchschaubar sind. Andererseits frage ich mich, warum ich eigentlich überrascht bin. Das Geld aus der Scheidung wird dir ein ordentliches finanzielles Polster bieten. Obwohl es nicht lange reichen dürfte, angesichts der Schnelligkeit, mit der du dein Geld verprasst.“

Heiße Wut flammte in Rosanne auf. „Dein Geld interessiert mich nicht, Isandro. Mein einziger Wunsch ist es, meinen Sohn zu sehen!“

„Bitte, beleidige meine Intelligenz nicht. Dass du ausgerechnet jetzt zurückkommst, zeigt nur, wie geldgierig du wirklich bist. Bestimmt gehört das alles zu deinem Plan.“

Plan? Wenn er wüsste …

„Sag mir eins“, fügte er nachdenklich hinzu. „Hast du dir schon eine gute Story für die Öffentlichkeit zurechtgelegt? Wirst du behaupten, unter postnataler Depression gelitten zu haben? Immerhin haben die Zeitungen das geschrieben, um deine lange Abwesenheit zu erklären.“

„Postnatale Depression? Du meinst, die Menschen wissen es gar nicht?“ Insgeheim hatte Rosanne befürchtet, die Presse hätte längst erfahren, dass sie ihr Kind unmittelbar nach der Geburt im Stich gelassen hatte. Es überraschte sie, dass Isandro diesen Umstand nicht zu seinem Vorteil genutzt hatte.

„Warum tust du das?“ Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Warum spielst du die Unwissende?“

„Aber … ich wusste wirklich nicht …“ In den ersten sechs Monaten nach ihrem Fortgehen hatte Rosanne keine Zeitungen gelesen. Und als sie wieder kräftig genug dazu war, waren Isandro und sie schon lange kein Thema mehr gewesen.

„Niemand weiß, dass du mich verlassen hast. Als ich mit Zac nach Spanien zurückgegangen bin, hat die englische Presse das Interesse an der Geschichte verloren. Man glaubte wohl, dass du dich einfach vor den Paparazzi in unser … in mein Haus in Sevilla zurückgezogen hast.“

„Und was ist mit deiner Familie?“ Rosanne erinnerte sich an das gestrenge und von Schmerz gezeichnete Gesicht ihrer Schwiegermutter. Reglos hatte sie die Hochzeitszeremonie in London über sich ergehen lassen. Auch an Ana, Isandros misstrauische Schwester, erinnerte sie sich gut. Die Familie hatte sie in keiner Weise in ihrer Mitte willkommen geheißen.

„Oh, meine Familie weiß ganz genau, was passiert ist. Und aus irgendeinem Grund war keiner überrascht.“

Rosannes Beine drohten unter ihr nachzugeben. Mit unsicheren Schritten ging sie zu einem der Sessel hinüber und setzte sich. Plötzlich fühlte sie sich unendlich müde.

„Alles, was ich möchte, ist mein Sohn“, sagte sie leise. „Deshalb wollte ich mich gestern mit Mr. Fairclough treffen. Selbst ich weiß, dass ich als Zacs Mutter Rechte habe.“

Isandro bezwang die Wut, die in ihm aufstieg, als sie Zacs Namen aussprach. Er entschied, einfach seinen eigenen Plan zu verfolgen und zu schauen, wie weit er damit kam.

„Ich kann die Scheidungspapiere heute noch aufsetzen lassen. Wenn du die Bedingungen akzeptierst, unter denen ich dir einen Umgang mit Zac erlaube, verdreifache ich den in unserem Ehevertrag festgesetzten Betrag und überweise dir das Geld sofort auf dein Konto.“

Rosanne erblasste erneut. Mit dieser Summe hätte ein kleines Land einige Jahre lang seinen Haushalt bestreiten können. Aber Geld interessierte sie nicht.

Sie stand auf und hob selbstbewusst den Kopf. Später durfte sie sich jede Schwäche erlauben, jetzt musste sie stark sein. „Nein.“

„Nein?“ Zorn flackerte in Isandros Augen auf. Er saß in der Klemme, und er war sich ziemlich sicher, dass sie das ganz genau wusste.

„Ich bin einverstanden mit … mit …“ Die Worte wollten ihr einfach nicht über die Lippen kommen. Sie errötete. „Mit der Scheidung. Es ist ja nicht so, dass diese Ehe aus Liebe geschlossen wurde. Dessen bin ich mir bewusst. Aber ich werde meine Unterschrift unter kein Dokument setzen, dass mir das Recht auf meinen Sohn abspricht. Deine Drohungen sind reine Schikane, Isandro. Ich lasse mich nicht von dir erpressen.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust, damit er nicht sah, wie sie zitterte.

Isandro musste einsehen, dass er sich ein wenig verwirrt fühlte. Noch nie war er beschuldigt worden, ein Erpresser zu sein. Der Klang des Wortes gefiel ihm nicht. Und er hatte Angst. Angst vor dem, was Rosanne seinem Kind antun könnte.

„Zac ist auch mein Sohn. Neun Monate lang habe ich ihn in mir getragen. Ich habe ihn geboren. Das kannst du mir nicht wegnehmen. Du kannst nicht …“

Er musste sich zurückhalten, um nicht laut aufzulachen. Vor ihm stand die Frau, die ihn nur geheiratet hatte, um an ihre Erbschaft zu kommen. Aus demselben Grund war sie schwanger geworden: um so viel Geld wie möglich aus ihm herauszupressen.

Einmal mehr versetzte ihn ihre Abgebrühtheit in Erstaunen. Sie war keineswegs das sanfte schüchterne Mäuschen, für das er sie so lange gehalten hatte.

Isandro steckte die Hände tief in die Hosentaschen, sodass sich der Stoff über seinem Schritt spannte. Das am Hals offene Hemd gab den Blick auf ein kleines Dreieck bronzefarbener Haut frei.

Für eine Sekunde empfand Rosanne seine Gegenwart als überwältigend intensiv. Bilder erschienen vor ihrem geistigen Auge, wie sie nackt unter ihm lag und er sich auf ihr bewegte. Sie erinnerte sich daran, wie er in sie eindrang, zärtlich und tief und leidenschaftlich.

Sie schüttelte den Kopf. Ihr war heiß. Das Zimmer. Es musste an diesem Zimmer liegen. Es war viel zu heiß hier drinnen.

„Dann lässt du mir keine andere Wahl“, stellte er fest.

„Keine Wahl …?“

Sein Anwalt hatte ihm dazu geraten, Rosanne die regelmäßigen Besuchszeiten nicht zu verwehren. Sich ihrem Wunsch in den Weg zu stellen, würde ihm letztendlich nur schaden.

Isandro hatte keine Ahnung, warum sie das kleine Vermögen nicht annahm, das er ihr in Aussicht stellte. Allerdings vermutete er, dass sie glaubte, mit ihrer Besorgnis-Scharade noch mehr aus ihm herausholen zu können.

„Wenn es stimmt, was du behauptest – dass du nur hier bist, um Zac zu sehen – dann wirst du mit uns in einer halben Stunde nach Sevilla aufbrechen. Du wirst für eine gewisse Zeit in meinem Haus wohnen, um deine guten Absichten zu beweisen. Ich bewillige dir täglich ein paar Stunden, die du unter Aufsicht mit dem Jungen verbringen darfst.“

„Aber …“

„Nichts aber. So lauten meine Bedingungen, Rosanne. Und du befindest dich nicht in der Position zu handeln.“

Er beobachtete die verschiedenen Ausdrücke, die nacheinander über ihr Gesicht huschten. Kein Wunder, dass sie vor seinem Vorschlag zurückschreckte. Das bewies doch nur, wie falsch ihre Absichten waren. Zwei Jahre absoluter Freiheit im Tausch gegen ein Leben in einem kleinen spanischen Dorf außerhalb Sevillas … binnen weniger Tagen würde sie die Wände hochgehen. Ganz zu schweigen von der Zeit, die sie mit Zac verbringen musste. Sein Lächeln glich dem eines Engels, aber der kleine Racker konnte auch den Geduldigsten hin und wieder zur Verzweiflung bringen.

„Ich gebe dir fünf Minuten, um darüber nachzudenken.“

Immer noch sprachlos sah Rosanne ihrem Ehemann nach, wie er das Zimmer verließ. Der Verstand sagte ihr, dass sie in London bleiben und sich mit ihrem Anwalt in Verbindung setzen sollte. Aber das würde dauern. Bis dahin hielten Isandro und Zac sich längst in Spanien auf. Unter Umständen vergingen Monate, bis sie ihren Sohn wiedersah. Zweifellos würde Isandro sich vor dem Scheidungsrichter alle Mühe geben, sie in einem denkbar schlechten Licht dastehen zu lassen.

Und wenn sie das Angebot ablehnte, mit ihrem Sohn zusammenzuleben, würde Isandro vor Gericht noch leichteres Spiel haben.

Vielleicht hoffte er ja genau darauf? Dass sie sich selbst schadete?

Zac war hier. Sie hatte ihn gesehen. Unmöglich, ihn jetzt wieder zu verlassen. Noch mehr wollte und konnte Rosanne von seinem Leben nicht verpassen. Dann würde sie eben ihrem Ehemann ihre guten Absichten beweisen – und wenn es das Letzte war, was sie auf Erden tat.

„Und?“ Mittlerweile in Jackett und mit Krawatte, stand Isandro auf der Türschwelle zur Suite.

Rosanne hielt seinem Blick stand und erklärte laut und deutlich: „Ich komme mit.“

Plötzlich geschahen die Dinge mit furchterregender Geschwindigkeit. Isandro zog ein Handy aus der Hosentasche und wählte eine Nummer. Von dem in schnellem Spanisch geführten Gespräch verstand Rosanne nur Bruchstücke. Vor zwei Jahren hatte sie die Sprache fließend beherrscht. Jetzt waren ihre Kenntnisse eingerostet.

Schließlich klappte er das Telefon wieder zu. Sein kontrollierter Gesichtsausdruck war schwer zu deuten, doch unter der Oberfläche spürte Rosanne Wut und Ungeduld. Isandro wollte nicht, dass sie ihn und Zac begleitete, das war offensichtlich.

Bestimmt hatte ihm jemand den Rat gegeben, ihr die Reise nach Spanien anzubieten. Und er hatte erwartet, dass sie Nein sagen würde.

„Wo können wir deine Sachen abholen?“

Rosanne schüttelte den Kopf. „Nirgends. Ich habe alles mitgebracht.“

Isandros Blick wanderte zu dem kleinen Koffer auf dem Boden. „Das ist alles?“

„Da ist alles drin. Mein Pass ist in meiner Handtasche.“

„Dann hast du gar nicht hier gelebt?“

Wieder schüttelte sie den Kopf. Sein offensichtliches Desinteresse an ihrem Verbleib in den letzten zwei Jahren tat weh. Anscheinend hatte er ihre Nachricht wörtlich genommen und nicht versucht, sie zu finden. Und obwohl sie genau das bezweckt hatte, versetzte es ihr doch einen schmerzhaften Stich.

„Magst du mir vielleicht sagen, wo du gewesen bist?“, fragte er und trat einen Schritt näher. „Oder erwartest du, dass ich ernsthaft glaube, dass du seit zwei Jahren aus einem Koffer dieser Größe lebst?“

Rosanne schluckte. Schließlich hatte sie genau das getan. Und wenn Isandro sich die Mühe machte, richtig hinzusehen, würde er erkennen, dass dies der Koffer war, mit dem sie damals ins Krankenhaus gefahren war. Vielleicht würde er sogar bemerken, dass auch ihr Kostüm bereits zwei Jahre alt war. Aber er schaute nicht richtig hin.

„Es spielt keine Rolle, wo ich war, Isandro. Wichtig ist nur, dass ich jetzt hier bin.“

Einen langen Moment hielt er ihren Blick mit seinem gefangen, dann zuckte er die Schultern. „Komm mit. Wir müssen los.“

Rosanne griff nach ihrer Handtasche und dann nach dem kleinen Koffer. Es überraschte sie, dass Isandro auf sie zutrat und ihr mit einer brüsken Bewegung den Koffer abnahm. Ihre Hände berührten einander. Erschrocken zog sie ihre Hand zurück, als habe sie sich verbrannt.

Ihre Pupillen weiteten sich, ihr Atem ging schneller, ihr Puls begann zu rasen. Und es gab nichts, was sie tun konnte, um diese Reaktion zu verbergen.

Hilflos schaute sie ihm in die Augen. Die kurze Berührung setzte einen Strom an Empfindungen frei, an Bildern, Erinnerungen. Und als wüsste Isandro ganz genau, was in diesem Moment in ihr vorging, ließ er seinen Blick sehr langsam und gezielt provokant über ihren Körper wandern.

Als er ihr wieder ins Gesicht sah, wirkte seine Miene kalt und verschlossen. Rosanne hegte keinerlei Zweifel daran, dass er ihre Reaktion richtig eingeschätzt hatte. Seine gesamte Haltung drückte Zurückweisung und Ablehnung aus. Noch nie im Leben hatte sie sich so gedemütigt gefühlt.

Wie durch ein Wunder sagte er nichts, sondern wandte sich nur um und marschierte, ihren Koffer in der Hand, aus dem Zimmer. Er schaute sich noch nicht einmal um. Erst am Aufzug holte Rosanne ihn wieder ein.

„Wo ist Zac?“

Die Türen des Lifts öffneten sich. Isandro wartete, bis sie sich hinter ihnen geschlossen hatten, dann erwiderte er: „Zac ist bereits mit seiner Nanny im Flugzeug. Wenn wir dort eintreffen, hält er gerade seinen Mittagsschlaf. Auf diese Weise wird sein gewohnter Tagesablauf möglichst wenig gestört.“

„Oh.“ Es rührte sie, welche Rücksicht er ganz offenbar auf die Bedürfnisse des Kleinen nahm.

Vor dem Hotel erwartete sie eine Limousine mit geöffneten Türen. Isandro bedeutete Rosanne einzusteigen. Ihr fiel auf, dass er sorgfältig darauf achtete, sie nicht zu berühren.

Fasziniert blickte sie aus dem Fenster, als der Wagen durch die Straßen Londons rollte. Es war so lange her, dass sie eine so große Stadt gesehen hatte!

„Ich dachte, du hasst London.“

Er warf ihr einen harten Blick zu. „Das tue ich auch.“

„Warum hast du dann das Hotel gekauft?“

„Warum interessiert dich das, Rosanne? Rechnest du im Geiste schon meine Vermögenswerte zusammen? Du hättest mein erstes Angebot annehmen sollen. Ich werde es nicht wiederholen.“

Sie beschloss, die Stichelei zu ignorieren. „Ich war nur neugierig, das ist alles.“

Isandro betrachtete ihr Profil, während sie nach vorne durch die Windschutzscheibe starrte. Die gerade Nase, die langen schwarzen Wimpern. Die vollen Lippen … weich und einladend. Er hasste die Tatsache, dass er sein Verlangen nicht über seinen Intellekt steuern konnte. Vorhin, in der Suite, als sie ihn mit so unverhohlener Sehnsucht im Blick angeschaut hatte, da hätte er beinahe vergessen, wer sie war. Genau wie sie es beabsichtigt hatte, daran zweifelte er keine Sekunde.

„Ich habe das Hotel kurz nach Zacs Geburt gekauft. Immerhin ist er zur Hälfte britisch. Ich kann sein Erbe nicht ignorieren. Das Hotel ist eine Investition für ihn, für seine Zukunft, falls er sich jemals entscheiden sollte, in diesem Land zu leben.“

Rosanne erwiderte nichts. Sie war zu ergriffen von den Gefühlen, die Isandros Erklärung in ihr weckte. Erinnerungen an längst vergangene Zeiten stiegen in ihr auf. An Zeiten, in denen seine Fürsorge noch ihr gegolten hatte.

Auf der einen Seite war er der rücksichtslose Geschäftsmann. Aber dann gab es noch die geheime, tief verborgene Seite, von der sie geglaubt hatte, sie allein zu kennen. Wegen dieses Kontrasts hatte sie sich einst in ihn verliebt.

Sie warf ihm einen raschen Seitenblick zu. Lippen, auf denen das Versprechen ungeahnten sinnlichen Glücks zu liegen schien.

Unvermittelt wandte er ihr das Gesicht zu. Ihre Blicke trafen sich. Hitze breitete sich in den tiefsten Regionen ihres Körpers aus. Hektisch schaute Rosanne aus dem Fenster. Fast konnte sie das spöttische Lächeln fühlen, das nun seine Mundwinkel umspielte.

3. KAPITEL

Das attraktive Gesicht kam immer näher und näher, der sinnliche Mund verspottete und verhöhnte sie. Rosanne fühlte Panik in sich aufsteigen. Sie wollte zurückweichen, fort von dem grausamen Lächeln und den kalten eisigen Augen. Irgendetwas zupfte an ihrer Kleidung, zog an ihr, und plötzlich wurde sie durch einen kurzen heftigen Ruck in die Realität zurückgeholt.

Rosanne öffnete die Augen. Sie befand sich in einem Flugzeug und musste wohl eingeschlafen sein. Wieder dieses seltsame Ziehen. Sie blickte zu Boden und schaute direkt in die violetten Augen ihres Sohnes. Der Kleine schleifte ein abgenutztes Schmusetuch hinter sich her. Er wirkte noch ganz verschlafen, die weichen Haare waren zerzaust.

Sie sehnte sich so sehr danach, ihn auf die Arme zu heben, doch sie hielt sich zurück. Vielleicht machte sie ihm Angst. Allein dieser Moment mit ihm allein war alles Bisherige wert und rückte die Dinge in eine andere Perspektive. Isandro und seine Drohungen verblassten in der Bedeutungslosigkeit.

„Hi, Zac“, sagte sie leise.

Mit einer Hand hielt er sich an ihrem Bein fest, mit der anderen deutete er stolz auf sich. „Zac!“

Dann legte er eine Hand an seinen Kopf und verzog das Gesicht. Anscheinend erinnerte er sich an Rosanne und den gestrigen Tag, als er hingefallen war.

„Oh, ja, das stimmt … du bist gefallen. Hast du dir am Kopf wehgetan?“

Zac nickte und rieb sich den Kopf. Rosanne beugte sich zu ihm hinunter und gab vor, seinen Kopf gründlich nach einer Beule zu untersuchen. Zac begann zu kichern.

In diesem Moment näherte sich ihnen eine ältere Frau in einem dunklen Kleid. Sie nahm Zacs Hand und musterte Rosanne neugierig.

„Ich bin María, Zacs Nanny.“

Rosanne streckte die Hand aus. „Ich bin Rosanne …“ Sie unterbrach sich. Was sollte sie sagen? Ich bin Zacs Mutter? Ich bin Mrs. Salazar?

Aber María wartete nicht auf eine Erklärung. Lächelnd schüttelte sie die dargebotene Hand. „Entschuldigen Sie mich, Zac braucht etwas zu essen.“

Rosanne nickte und winkte Zac zum Abschied, der bereits durch den Gang des Flugzeugs davonflitzte, weil irgendetwas seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Sie wandte sich ab und starrte blickleer aus dem Fenster in die undurchdringliche weiße Wolkenschicht.

Es war unendlich erleichternd, Zac so gesund und munter zu sehen. Dass er sich so prächtig entwickelt hatte, rechtfertigte ihre Entscheidung von damals. Nicht, dass sie persönlich jemals eine Rechtfertigung gebraucht hatte. Was ihren Sohn anging, war sie nur ihren Instinkten gefolgt. Zac hatte den grausamen Schmerz nicht erleben sollen, den ihr Bleiben früher oder später bedeutet hätte. Es wäre purer Egoismus gewesen, ihn nicht zu verlassen.

Unvermittelt fragte sich Rosanne, ob sie sich jetzt vielleicht egoistisch verhielt: Einfach so zurückzukommen und Zac kennenlernen zu wollen. Vielleicht hätte sie besser fortbleiben und Isandro und Zac ihr Leben weiterführen lassen sollen.

Doch die Sehnsucht war stärker gewesen.

„Warst du hungrig?“

Rosanne fuhr herum. Sie war so in ihre Gedanken versunken, dass sie gar nicht gemerkt hatte, wie Isandro sich auf den Platz auf der anderen Seite des Ganges gesetzt und Krawatte und Jackett abgelegt hatte. Der oberste Hemdknopf stand offen. Seine bronzefarbene Haut wirkte so unglaublich attraktiv … Was war nur los mit ihr? Obwohl sie sich vom ersten Moment an zu ihm hingezogen gefühlt hatte, hatte sie doch nie dieses rein sexuelle Verlangen gespürt …

„Ja.“ Sie schaute auf ihren leeren Teller, auf dem nicht der kleinste Rest der köstlichen Paella zurückgeblieben war.

Stirnrunzelnd erinnerte Isandro sich an die zusammengerollte schlafende Gestalt gestern Nacht auf dem Sofa. Das Bild hatte etwas merkwürdig Schutzloses ausgestrahlt, das seine Seele rührte. „Hast du im Hotel nichts gegessen?“

Errötend schüttelte Rosanne den Kopf.

„Du hast abgenommen.“

„Ich weiß.“

Musste er ihr denn so deutlich zu verstehen geben, wie unattraktiv sie auf ihn wirkte? In diesem Moment stürzte sich ein kleiner Wirbelwind mit blonden Haaren auf Isandro. Geschickt hob er Zac auf seine Arme.

Dann schaute er zu Rosanne hinüber. Und zum ersten Mal lag so etwas wie Wärme in seinen Augen. „Wie du schon bemerkt hast, ist Zac mittlerweile in dem Alter, in dem es ihm schwerfällt, still zu sitzen.“

Rosanne spürte einen Kloß im Hals, als sie sah, wie Zac seine kleinen Arme um den Hals seines Vaters schlang, nur um sich Sekunden später wieder aus der Umarmung zu winden und den Gang entlang zu seiner Nanny zu laufen.

„Du bist ihm ein fantastischer Vater. Er ist bezaubernd.“

„Überrascht dich das?“, fragte er.

Rosanne schaute auf und schüttelte den Kopf. „Nein, daran habe ich nie gezweifelt.“

Irgendetwas in ihrem Tonfall ließ Isandro aufhorchen. Er musterte sie aufmerksam. In ihren Augen lag ein undefinierbarer Ausdruck. Zum ersten Mal entdeckte er Schatten und Tiefen in ihnen, die vor zwei Jahren noch nicht da gewesen waren. Schmerz? Qual?

Sie blinzelte. Als sie die Augen wieder aufschlug, war ihr Blick klar. Die Ähnlichkeit zu Zac raubte Isandro den Atem. Dennoch – die dunklen Schatten waren fort. Ein Lichtreflex, das war alles.

Eine Stewardess trat zu ihnen und informierte sie, dass sie in Kürze landen würden.

Mit einer fließenden Bewegung stand Isandro auf und stellte sich nahe an Rosannes Sitz. Dann stützte er die Arme rechts und links von ihr auf den Lehnen auf, sodass sie unter ihm gefangen war.

Rosanne spürte die Hitze, die von ihm ausging. Instinktiv rückte sie so weit wie möglich in ihrem Sitz zurück.

Sein Blick hielt ihren mit beinahe hypnotischer Kraft gefangen, seine Stimme klang beängstigend gelassen. Seine Worte hingegen waren es nicht.

„Wenn du Zac auch nur ein Haar krümmst, dann versichere ich dir, dass kein Gericht der Welt dir auch nur ein Besuchsrecht einräumen wird. Dafür werde ich alles, was ich an Einfluss besitze, aufbieten. Du wirst von Glück reden können, wenn du etwas über ihn in der Zeitung liest.“

Er lächelte frostig. Rosanne konnte ihn nur ungläubig anstarren, diesen Fremden mit einem Herzen aus Stein.

Isandro richtete sich auf und schlenderte, als sei nichts geschehen, zu seinem Platz zurück. Rosanne starrte noch immer schockiert vor sich hin. Innerlich war ihr eiskalt.

Was würde Isandro wohl sagen, wenn er wüsste, dass sie tatsächlich schon einmal ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatte, um Zac zu beschützen? Wahrscheinlich nicht viel.

Seufzend schaute sie aus dem Fenster, gerade als das Flugzeug auf den spanischen Boden aufsetzte.

Die Fahrt in den östlichen Teil der Provinz Sevilla dauerte nicht lange. Isandro lenkte den Jeep selbst. Rosanne saß vorne neben ihm, auf der Rückbank hatte María mit Zac auf dem Schoß Platz genommen. Ein Leibwächter namens Hernán folgte in einem zweiten Fahrzeug.

Rosanne war immer noch zu sehr damit beschäftigt, die Ereignisse der letzten vierundzwanzig Stunden zu begreifen, als dass sie viel von der traumhaften spanischen Landschaft mitbekommen hätte.

Erst als sie durch das malerische kleine Osuna, Isandros Geburtsstadt, fuhren, weckten die wunderschönen winzigen Gassen und alten, bunt angestrichenen Häuser sie aus ihrer Trance.

Der Jeep folgte einer gewundenen Straße den Berg hinauf. Von hier oben hatte man einen beeindruckenden Blick auf die barocken Prachtbauten des Städtchens. Dass Isandro immer wieder verstohlen zu ihr hinübersah, bemerkte Rosanne nicht.

Er beobachtete sie und wartete auf eine Reaktion, während sie die Zivilisation mit ihren edlen Boutiquen und schicken Clubs immer weiter hinter sich ließen. Aber Rosanne sagte nicht. Tatsächlich wirkte sie … ganz versunken, fast überwältigt.

Allerdings hatte er auch nicht erwartet, dass sie allzu früh ihre Maske fallen ließ.

Schließlich steuerte er den Wagen in eine ruhige Sackgasse und hielt vor einem in eine hohe Mauer eingelassenen Tor. Er gab einen Zahlencode in ein Kästchen ein, und die Torflügel schwangen auf.

Auf das, was sich hinter der Mauer verbarg, war Rosanne nicht vorbereitet. Sie hatte mit einer Art Hazienda gerechnet. Stattdessen sah sie ein im Barockstil erbautes Herrenhaus, das einem mittelalterlichen Traum entsprungen schien. Die Außenwände waren in einem hellen Cremeton gestrichen, die Fensterscheiben funkelten im Sonnenlicht, und mit bunten Blumen bepflanzte Kübel säumten die Treppe, die zum Haupteingang hinaufführte.

Rosanne wusste nicht, was sie sagen sollte. Isandro war bereits aus dem Jeep gesprungen und kümmerte sich um Zac, der ganz aufgeregt auf und ab hüpfte. Offenbar erkannte er sein Zuhause wieder.

Ein wenig beklommen folgte Rosanne den beiden ins Haus. Isandro erteilte dem wartenden Personal einige Anweisungen, dann wurde Rosanne eine Treppe nach oben geführt. Eine Angestellte folgte mit ihrem Koffer.

Das Zimmer, das ihr gezeigt wurde, erschien ihr wie ein sicherer Zufluchtsort in Creme und Rosé. Die Farben beruhigten sie. Erst nach einiger Zeit erkannte sie den Grund: Es war nicht das gefürchtete Weiß ihrer Albträume.

Nachdem ihr die Haushälterin ihr persönliches Bad gezeigt und ihr den üblichen Tagesablauf erklärt hatte, begab Rosanne sich allein auf Entdeckungstour. Nachdem sie sich ein wenig umgesehen hatte, öffnete sie eine große Flügeltür und trat auf die Veranda hinaus.

Eine schmale Treppe aus alten Steinstufen führte in einen abgeschiedenen Innenhof hinunter, in dem sich ein kleiner Pool befand.

Langsam wanderte sie die Stufen hinab. Der Pool war umgeben von Olivenbäumen und blühenden Sträuchern. Der betörende Duft hing schwer in der Luft. Alles wirkte wie in einem Traum. Rosanne breitete die Arme aus und drehte sich im Kreis, um die Schönheit des Ortes in sich aufzusaugen … und hielt erschrocken inne, als sie Isandro erblickte, der nur wenige Meter von ihr entfernt stand.

Mit unverkennbar drohender Miene kam er auf sie zu. Rosanne konnte nicht zurückweichen, sonst wäre sie in den Pool gefallen.

„Gefällt dir, was du siehst?“, fragte er.

Sie nickte, dabei begriff sie kaum, was er fragte. Wie immer ließ sein Anblick ihr den Atem stocken und raubte ihr die Fähigkeit, klar zu denken.

„Du hast es wirklich vermasselt, weißt du.“ Er machte eine Geste, die den Innenhof und alles, was sich dahinter erstreckte, erfasste. „All dies hätte dir gehören können, nun wirst du es niemals bekommen.“

Seine Worte versetzten Rosanne einen Stich – aber nicht aus den Gründen, die er ausgemacht zu haben glaubte.

„Vergiss nicht, teuerste Ehefrau, dass du nur wegen meiner Güte und auf Zureden meiner Anwälte hier bist. Sie denken, wenn ich die Größe beweise, Zac und dich zusammenzubringen, wird mir das später positiv angerechnet.“

„Mehr will ich auch gar nicht. Mein Interesse gilt allein meinem Sohn.“

„Und dem, was du bei der Scheidung herausschlagen kannst. Hör doch auf, Rosanne. Wenn ich mich nicht von deiner gespielten Unschuld und Naivität hätte blenden lassen, wäre mir schon viel früher klar geworden, dass …“

„Was denn?“, fiel sie ihm bitter ins Wort. „Dass die Frau, die du geheiratet hast, um dein gesellschaftliches Ansehen zu erhöhen, nur eine Trophäe für dich war?“

Einen Moment war Isandro sprachlos. Ihre Worte ließen die Erinnerung an sein eigenes Versagen lebendig werden … und an seine Enttäuschung, die er sich nie ganz eingestanden hatte. Doch so wie sie jetzt vor ihm stand, die Arme trotzig vor der Brust verschränkt, konnte er nur an das sehnsüchtige Verlangen denken, das tief in seinem Innern brodelte. Und je länger sie zusammen waren, das wusste er mit Sicherheit, desto heißer würde dieses Verlangen werden.

Im Moment jedoch bestärkte ihn seine Lust vor allem in seiner Entschlossenheit. Er war ihr erster Mann gewesen. In ihrer Hochzeitsnacht hatte er ihre Leidenschaft entfesselt. Und unmittelbar nachdem sie von ihrem Baby entbunden worden war, war sie geflohen.

Dass ihre Ehe überhaupt vollzogen wurde, war nicht geplant gewesen. Doch mit Rosanne zu schlafen hatte sich so richtig angefühlt und … Er zügelte seine Gedanken und rief sich in Erinnerung, dass die Frau, die vor ihm stand, die größte Niederlage seines Lebens repräsentierte.

„Unsere Ehe sollte nie etwas anderes sein als ein geschäftliches Arrangement. Du wusstest das, ich wusste das.“

„Natürlich wusste ich es.“ Rosanne schluckte. Auf keinen Fall durfte er je erfahren, wie sehr sie den Sex mit ihm genossen hatte. „Mehr habe ich auch nie erwartet.“

Die heiße Nachmittagssonne brannte auf ihrem Gesicht. Rosanne fühlte sich müde und erschöpft. Sie hatte keine Energie mehr für einen Streit wie diesen. Und sie musste nicht erst daran erinnert werden, wie distanziert und unpersönlich ihre Gespräche bis zu ihrer Hochzeit verlaufen waren.

Bei einem dieser Treffen hatte Isandro sehr deutlich zu verstehen gegeben, was ihm ihre Ehe bedeutete. Seine Worte hatte sie bis heute nicht vergessen.

„Ich heirate dich, um deinen Vater vor dem Bankrott zu bewahren. Im Gegenzug erhalte ich seinen Posten als Generaldirektor seiner Bank. Du heiratest mich, erfüllst damit die Bedingungen, die deine verstorbene Mutter in ihrem Testament festgelegt hat, und bekommst dein Erbe. Wir führen also keine echte Ehe. Nehme ich mir eine Geliebte, werde ich natürlich äußerste Diskretion walten lassen. Um dasselbe bitte ich dich. In einem Jahr können wir über eine Scheidung sprechen. Ein Jahr mit dir an meiner Seite sollte ausreichen, um meine Stellung zu festigen.“

Abrupt kehrte Rosanne in die Gegenwart zurück. Die Nachmittagshitze machte sie ganz benommen. Sie schwankte. Warum hatte Isandro eigentlich nie die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass zwischen ihnen echte Gefühle entstehen könnten?

Unsanft griff er jetzt nach ihrem Arm und schob sie die Treppenstufen hinauf in ihr Zimmer. „Du musst aus der Sonne gehen. Du bist die Hitze nicht gewöhnt.“

Rosanne entzog sich seinem Griff. In dem kühlen Zimmer ging es ihr gleich viel besser.

„Wie dumm von mir“, meinte er mit einem kurzen Auflachen. „Woher soll ich denn wissen, woran du gewöhnt bist? Schließlich hättest du die letzten zwei Jahre überall sein können.“

Er ging auf eine Tür zu, die Rosanne bislang nicht aufgefallen war, weil sie in denselben Farbtönen gestrichen war wie der Rest des Raumes. Bestimmt führte die Tür direkt in sein Schlafzimmer.

Als habe er ihre Gedanken gelesen, umspielte ein spöttisches Lächeln seine Mundwinkel. „Niemand erwartet, dass wir vorgeben, ein glücklich verheiratetes Paar zu sein. Du kannst also beruhigt sein, Rosanne. Ich werde nicht nachts an deine Tür klopfen.“

Nein, dachte sie und verspürte einen alarmierend heftigen Stich in der Herzgegend. Zweifellos verfügte Isandro über eine ganze Reihe von Gespielinnen, die ihm Gesellschaft leisteten.

Erleichtert stieß sie den angehaltenen Atem aus, als er die Tür hinter sich schloss. Dann setzte sie sich erschöpft auf die Bettkante und presste eine Hand gegen ihre Brust, als könne sie so ihr rasendes Herz beruhigen.

In ihrer Hochzeitsnacht war er in ihr Zimmer gekommen und hatte sie angeschaut, als sehe er sie zum ersten Mal. Immer noch konnte sie das bebende Verlangen spüren, das damals in ihr aufgestiegen war.

Natürlich – da gab sie sich keiner Illusion hin – war er ursprünglich nur gekommen, um ihr eine gute Nacht zu wünschen. Doch dann war es, als habe er das Flehen ihres Körpers verstanden. Er schloss sie in seine Arme … und küsste sie … Die Intensität der Leidenschaft, die er in ihr entfachte, ängstigte Rosanne bis zum heutigen Tag.

Sie schüttelte den Kopf, um die unheimlichen Bilder zu vertreiben. Mit einem Ruck stand sie auf und begann, ihren Koffer auszupacken. Die stupide Arbeit half tatsächlich, die Gedanken in eine andere Richtung zu lenken.

Anschließend nahm sie eine heiße Dusche, schlüpfte in den bereitliegenden flauschigen Bademantel und ließ sich auf das weiche Bett sinken. Erst dann ließ sie die dunklen Wogen der Vergangenheit über sich zusammenschlagen.

Sie war wieder bei ihrem Sohn. Das war alles, was zählte. Mehr durfte sie nicht verlangen.

Wieder befand sie sich in diesem Zimmer. Dem weißen Zimmer. Flügeltüren rechts und links. Sie wusste, dass sie hier rausmusste. Wenn sie jetzt nicht ging, würde sie diesen Ort niemals verlassen, niemals ihr Baby wiedersehen. Panik stieg in ihr auf, machte ihre Bewegungen unbeholfen. Aus irgendeinem Grund schien sie nicht aus dem Bett aufstehen zu können.

Dann hörte sie Schritte. Leute kamen, um sie einzuschließen. Sie versuchte zu schreien, aber kein Laut drang über ihre Lippen. Die Bettlaken lasteten bleischwer auf ihrem Körper, hielten sie gefangen. Heiße Tränen liefen ihr über die Wangen. Plötzlich wurde sie geschüttelt. Sie erstarrte vor namenloser Angst …

Zwei Dinge wurden Rosanne gleichzeitig bewusst. Erstens: Sie hatte wieder diesen Traum, wenn auch in einer etwas abgewandelten Version. Und zweitens: Sie wurde geschüttelt. Sie riss die Augen auf und blickte in ein vertrautes Gesicht. Isandro.

Sie befand sich in Spanien, nicht in dem furchtbaren Zimmer.

„Was, zur Hölle, ist denn los mit dir, Rosanne? Du hast so laut geschrien, dass fast das ganze Haus aufgewacht ist. Zac schläft in dem Zimmer gegenüber.“

Zac.

Die Furcht aus dem Traum war noch immer so real, dass Rosanne erschauerte. Sie fühlte sie vollkommen desorientiert. Im Zimmer war es dunkel, eine sanfte Brise bewegte die zugezogenen leichten Vorhänge. Isandro saß auf der Bettkante, die Hände fest auf ihren Schultern ruhend. Plötzlich empfand sie seine Nähe als unbehaglich und bedrohlich. Sie atmete seinen Duft ein, spürte die Wärme, die von ihm ausging, und zuckte unwillkürlich zurück.

„Wie spät ist es?“

Isandro ließ sie los und schaute auf seine Armbanduhr. „Halb zwölf.“

Rosanne schüttelte den Kopf. „In der Nacht?“

Er nickte und stand auf. „Julia, die Haushälterin, hat zum Abendessen nach dir gesehen. Aber du hast so fest geschlafen, dass ich ihr gesagt habe, sie solle es gut sein lassen.“ Er musterte sie eindringlich. „Was ist los? Leidest du unter Jetlag?“

Wieder ein Kopfschütteln. „Nein. Ich war einfach … müde. Nur ein schlechter Traum. Ich habe nicht gemerkt, dass ich schreie.“ Mit einer Hand rieb sie über ihre Schläfe. Erst jetzt fiel ihr ein, dass sie nur den Bademantel trug, der zudem noch halb offen stand. Hastig zog sie ihn enger um sich.

„Wenn das noch einmal passiert, muss ich dich in einem anderen Teil des Hauses unterbringen, weit genug weg von Zac. Wenn er mitten in der Nacht aufwacht, ist es unmöglich, ihn wieder zum Einschlafen zu bewegen.“

„Es kommt nicht wieder vor.“ Rosanne sandte ein rasches Gebet gen Himmel. „Wirklich“, versicherte sie eilig. „Es wird nicht wieder vorkommen.“

Isandro betrachtete sie. Ihre Haut war rosig, das Haar sexy zerzaust. Ob das alles nur ein Trick war? Um ihn herzulocken und zu verführen? War sie sich der Wirkung, die ihr Anblick auf ihn hatte, bewusst? War sie in den vergangenen zwei Jahren zu einer Meisterin der Verführung geworden?

Bei diesem Gedanken verkrampfte sich etwas tief in ihm. Er dachte daran, wie es sich angefühlt hatte, seine Hände auf ihre Schultern zu legen. Wie schmal sie gewirkt hatte, wie zerbrechlich. Wie er ihren zarten Duft geatmet hatte. Die Angst und das Entsetzen in ihrem Schrei waren definitiv echt gewesen.

„Sieh zu, dass es nicht wieder passiert.“ Selbst in seinen Ohren klang seine Stimme gepresst. Natürlich wusste er um die Lächerlichkeit seiner Forderung. Wenn ein Albtraum sie überkam, konnte sie wohl kaum ihre Reaktionen kontrollieren.

Abrupt wandte er sich ab und ging über den Flur hinüber in Zacs Zimmer. Sein Sohn lag friedlich schlafend in seinem Bettchen. Zärtlich deckte Isandro ihn noch einmal zu. Sein Herz wollte schier bersten, so voller Liebe war es für den Kleinen.

Als Rosanne am nächsten Morgen erwachte, fühlte sie sich wie gerädert. Geweckt hatte sie ein lautes Klopfen an der Tür. Da war es wieder. Im nächsten Moment betrat eine junge Frau das Zimmer und zog die Vorhänge zurück. Helles Sonnenlicht strömte hinein.

Buenos Días.“

Buenos Días“, erwiderte Rosanne. Zur Antwort erhielt sie ein schüchternes Lächeln und die Information, dass das Frühstück in fünfzehn Minuten serviert würde.

Nach einer raschen Dusche schlüpfte sie in einen einfachen Rock und ein schlichtes T-Shirt – eines der drei Outfits, die sie besaß – und machte sich auf den Weg nach unten.

An der Tür zum Esszimmer angekommen, hörte sie schon Zacs muntere Stimme. Mit wild klopfendem Herzen trat sie ein, worauf sich sofort zwei Augenpaare auf sie richteten.

Rosanne versuchte sich zunächst auf den Jungen zu konzentrieren. Ein glückliches Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus. Zac hatte es geschafft, sich von oben bis unten mit Essen zu bekleckern. Er grinste ihr fröhlich von seinem Hochsitz aus zu.

Nur zögernd wandte sie sich ab und wünschte María einen guten Morgen, die auf der einen Seite des langen Tisches saß und frühstückte. Die Nanny schenkte ihr ein zaghaftes Lächeln, für das Rosanne unendlich dankbar war.

„Ich nehme an, du hast gut geschlafen?“

Flüchtig sah sie zu Isandro hinüber, dessen Stimme genauso kalt wirkte wie sein Blick. „Ja, vielen Dank.“

Sie war froh, dass noch jemand hier war und Isandro von ihrer Anwesenheit ablenkte. Versunken beobachtete sie, wie er Zac fütterte, und schreckte erst auf, als er auf eine Frage von María antwortete, die sie nicht mitbekommen hatte.

„Dies hier ist nicht mein Geburtshaus. Das befindet sich auf der anderen Seite von Osuna. Meine Schwester lebt dort mit ihrer Familie und unserer Mutter.“

Bei der Erwähnung seiner Mutter und Schwester verkrampfte sich alles in Rosanne. Immerhin lebten sie nicht hier bei ihm! Erleichterung durchflutete sie. Sie musste für jede kleine Gnade dankbar sein. Aber früher oder später würde sie seiner Familie begegnen müssen, und Zeit und Umstände hatten sie ihr gegenüber wohl kaum freundlicher gestimmt.

In diesem Moment stand María auf und hob Zac aus seinem Stuhl. „Ich werde ihm frische Kleider anziehen …“, murmelte sie und verließ mit dem Jungen auf dem Arm das Esszimmer.

Allein mit Isandro bemerkte Rosanne erst jetzt, dass er sich noch nicht für die Arbeit umgezogen hatte, sondern Jeans und T-Shirt trug. Der Stoff spannte ein wenig und betonte seine breite muskulöse Brust.

Er schaute sie über den Rand seiner Kaffeetasse hinweg an. „Keine schlimmen Träume mehr?“

„Nein.“

Sie senkte den Kopf. Dennoch hatte Isandro die dunklen Schatten unter ihren Augen gesehen. Bei dem Gedanken, wie ungeduldig er gestern Nacht mit ihr umgegangen war, verspürte er plötzlich Reue.

„Ich bin sicher“, meinte er im Plauderton, „dass das nur von deinem schlechten Gewissen kommt.“

Unvermittelt blickte Rosanne auf. Seine Worte schmerzten wie Messerstiche.

Isandro vermochte kaum zu glauben, was er sah – eine tiefe Qual lag in ihren violetten Augen. Nein, er musste sich irren.

„Isandro …“ Rosannes Stimme klang rau. „Ich bitte dich nur um eine Chance. Das ist alles. Du hast die Bedingungen bestimmt. Ich werde nichts tun, was du nicht willst. Ich möchte nur diese eine Chance.“

Er lehnte sich zurück und musterte sie. Die gerade, ein wenig verkrampfte Haltung, die Anspannung, die von ihr ausging. Ihr Körper war viel zu dünn, ihre Handgelenke wirkten so zart … als würden sie zerbrechen, wenn man sie zu fest hielt.

„Du hast die beste Chance von allen. Schließlich bist du hier, oder?“, stieß er hervor.

Sie nickte und schaute hinab auf ihren Teller. Die Haare fielen ihr ins Gesicht, sodass Isandro ihre Augen nicht sehen konnte. Er musste sich zwingen, nicht die Hand auszustrecken und die seidigen Strähnen zurückzustreichen.

Er musste hier weg, fort von ihrer vorgetäuschten Verletzlichkeit. Abrupt stand er auf und ließ die Serviette auf den Tisch fallen. „Du bist hier, weil mir keine andere Wahl blieb. Und auch, weil ich weiß, dass du keine Woche durchhalten wirst.“ Verächtlich ließ er seinen Blick über ihre abgetragene Kleidung wandern. „All diese Maskeraden und Täuschungsversuche … du brauchst mir wirklich nichts vorzuspielen.“

Er wandte sich um und ging zur Tür. Irgendwie fand Rosanne die Kraft, seine gemeinen Worte hinunterzuschlucken und aufzustehen. „Warte.“

Isandro blieb stehen.

„Wann … wann kann ich Zeit mit Zac verbringen?“

Sie hielt den Atem an. Wenn er sich weigerte …

„Du darfst ihn für zwei Stunden am Nachmittag sehen.“ Er machte ein paar Schritte auf sie zu. „Ich habe mir eine Woche von der Arbeit freigenommen, Rosanne. Ich bin hier und beobachte jeden deiner Schritte. Also, komm nicht auf dumme Ideen.“

Verwundert sah Rosanne ihm nach. Eine Woche Urlaub? Seit wann nahm sich Isandro mehr als einen Tag frei? Am ganzen Körper zitternd, ließ sie sich wieder auf ihren Stuhl sinken. War Zac für diesen Gesinnungswechsel verantwortlich? Wahrscheinlich. Ihm gegenüber zeigte Isandro die Zärtlichkeit, die sie schon damals in seltenen Momenten an ihm beobachtet hatte.

Nur seine liebevolle Fürsorge hatte ihr das Vertrauen gegeben, ihren Sohn in seiner Obhut lassen zu können. Ganz gleich, was passierte, Isandro würde sein Kind immer lieben und sich aufopferungsvoll kümmern.

Zum allerersten Mal hatte sie diese Seite an ihm im Umgang mit den Kindern seiner Schwester gesehen. Sie hatte seine Geduld bewundert und seine unnachahmliche Fähigkeit, mit den Kleinen zu kommunizieren.

Rosanne erinnerte sich daran, wie sie Isandro kennengelernt hatte. Es war auf einer Veranstaltung in London gewesen. In dem Moment, als er den Saal betreten hatte, schien es, als senke sich für einen Augenblick Schweigen über die Besucher, bevor die Gespräche wieder aufgenommen wurden.

Alle Frauen versuchten, mit ihm zu flirten, während die anwesenden Männer zu unwichtigen Nebenfiguren degradiert wurden. Und er stand in der Mitte des Treibens, völlig unbeeindruckt von den Menschen, die ihm mit ihrem belanglosen Geplauder imponieren wollten.

Auch Rosanne konnte – wie alle übrigen weiblichen Wesen – den Blick nicht von ihm abwenden. Und doch war sie es, die seine Aufmerksamkeit erregte. So glaubte sie jedenfalls. Er kam direkt auf sie zu. Sie zitterte am ganzen Leib, als er vor ihr stehen blieb. Viel zu spät wurde ihr klar, dass er gar nicht zu ihr, sondern zu ihrem Vater wollte.

Nur sehr kurz nickte er ihr zu, dann schüttelte er die dargebotene Hand ihres Vaters. Die beiden zogen sich in ein abgeschiedenes Zimmer zurück, um ihren Deal in allen Einzelheiten zu besprechen.

Rosanne nippte an ihrer Kaffeetasse und dachte daran, wie der Abend weiter verlaufen war. Später, im Waschraum, hatte sie unfreiwillig mit anhören müssen, wie einige Frauen über sie herzogen.

„Hast du Rosanne Carmichaels Gesicht gesehen, als er auf sie zugegangen ist? Dem Mädchen gingen ja fast die Augen über. Ich meine, wirklich, wer will die schon haben? Fünfundzwanzig und immer noch Jungfrau, da gehe ich jede Wette ein. Und dann dieses Kleid! Also ehrlich! Würde mich nicht überraschen, wenn das ihrer Mutter gehört …“

Die Gehässigkeiten dauerten eine halbe Ewigkeit. Schließlich hatte Rosanne es nicht mehr ausgehalten, war aus der Kabine gehastet und mit einem Taxi nach Hause gefahren.

Mit einem Ruck kehrte sie ins Hier und Jetzt zurück. Sie umklammerte ihre Kaffeetasse so fest, dass sie Angst hatte, sie könne zerspringen. Rasch lockerte sie ihren Griff und atmete tief durch.

Seither war so viel passiert. Sie durfte sich nicht immer wieder von ihren Erinnerungen einholen lassen. Vielmehr musste sie sich auf die Gegenwart und Zac konzentrieren. Dann würde sie auch diese Episode überstehen.

4. KAPITEL

„Verzeihen Sie, Mrs. Salazar. Die Situation ist nur so ungewöhnlich.“

Innerlich zuckte Rosanne zusammen, weil María sie in ihrem gebrochen Englisch mit Mrs. Salazar angesprochen hatte. Sie ließ sich jedoch nichts anmerken und aktivierte ihre eingerosteten Spanischkenntnisse. „Bitte, María, nennen Sie mich Rosanne.“ Sie schaute die Nanny freundlich an. „Ich verstehe, dass es Ihnen seltsam vorkommen muss, dass ich so plötzlich aufgetaucht bin. Aber mein einziger Wunsch ist es, ein bisschen Zeit mit meinem Sohn zu verbringen.“

Unwillkürlich fragte sie sich, ob Isandro die Nanny angewiesen hatte, Zac nicht aus den Augen zu lassen, während sie mit ihm spielte. Zugetraut hätte sie es ihm.

Die Arme vor der Brust verschränkt, stand Isandro am Fenster und blickte hinaus in den Garten. Er beobachtete, wie Zac seine Mutter ganz selbstverständlich in sein Spiel einbezog – als wäre sie nie weg gewesen, als habe sie ihn nie im Stich gelassen und ihn nicht in dem Moment zurückgewiesen, in dem er sie am meisten gebraucht hatte.

Er musste sich zusammenreißen, damit er nicht hinauseilte und seinen Sohn vor ihr in Sicherheit brachte. Und doch … Zac sah glücklich aus. Und Rosanne wirkte weder gelangweilt noch verärgert. So ungern er es auch zugab, normalerweise verhielt Zac sich Fremden gegenüber äußerst schüchtern. Rosanne jedoch schien er seit ihrer ungeplanten Begegnung im Hotel ins Herz geschlossen zu haben.

Rosanne saß lächelnd im Gras und lauschte aufmerksam Zacs munterem Geplapper. Ihr Rock war ein wenig hochgerutscht und entblößte ein langes schlankes Bein. Abrupt wandte Isandro sich vom Fenster ab, ging zu seinem Schreibtisch hinüber und griff nach dem Telefon.

Am nächsten Tag, als Rosanne vom Spielen mit Zac zurück ins Haus kam und rasch in ihr Zimmer flüchten wollte, rief Isandro sie zurück.

„Könntest du einen Moment herkommen, bitte?“ Natürlich war das keine Bitte, sondern vielmehr ein Befehl.

Sie nickte kurz und betrat, ohne ihn anzusehen, sein Arbeitszimmer. Während sie an ihm vorbeiging, atmete sie seinen Duft ein. Ein paar Sekunden lang war ihr gesamtes Denken so auf diesen komplexen männlichen Geruch gerichtet, dass sie den zweiten Mann im Zimmer gar nicht bemerkte.

„Das ist mein Anwalt, Ricardo Sanchez“, stellte Isandro ihn vor.

Rosanne schüttelte die dargebotene Hand. „Señor Sanchez.“

Die Scheidungspapiere! schoss es ihr durch den Kopf. Das musste es sein! Vertraute Benommenheit bereitete sich in ihr aus. Zwar rechnete sie seit ihrem ersten Tag in Spanien mit diesem Moment, insgeheim jedoch hatte sie gehofft, dass Isandro ihr wenigstens die Zeit lassen würde, sich zu beweisen.

„Bitte, setz dich, Rosanne.“

Isandro ging um den Schreibtisch herum. Die Sonnenstrahlen, die durch die großen Fenster hineinfielen, verliehen seiner imposanten Gestalt ein beinahe goldenes Antlitz. Rosanne blinzelte und schaute rasch zu dem Anwalt hinüber, der zu ihrer Rechten saß. Er war noch jung, Anfang vierzig vielleicht, und er lächelte. Diese schlichte Freundlichkeit erstaunte Rosanne so sehr, dass sie das Lächeln spontan erwiderte.

„Ricardo.“

Voller Ungeduld stieß Isandro den Namen aus. Rosanne errötete und senkte den Blick. Sie fühlte sich schuldig und wusste nicht, warum.

Isandro schaute erst sie an, dann seinen Anwalt. „Wenn Sie meiner Frau jetzt bitte die Papiere zeigen könnten.“

„Natürlich.“ Der Mann zog zwei Mappen aus seiner Aktentasche. Die eine reichte er seinem Klienten, die andere Rosanne.

Verfasst waren die Dokumente auf Spanisch, aber sie verstand auch so, um was es sich handelte. Die Scheidungspapiere.

„Es sind die ganz normale Standardvereinbarungen“, erklärte Isandro knapp. „An deinen Ansprüchen aus dem Ehevertrag ändert sich nichts. Nach sorgfältiger Überlegung bin ich zu dem Schluss gekommen, dass eine Änderung wahrscheinlich mehr Ärger verursacht, als mir die Sache wert ist. Dabei könnte ich das mit Leichtigkeit durchsetzen – nach allem, was du dir geleistet hast …“

„Ich habe dir doch versichert, dass ich …“

Er machte eine unwirsche Handbewegung. „Lass es gut sein. Señor Sanchez ist mit den Umständen vertraut. Du brauchst uns nichts vorzuspielen.“

Der Anwalt sah sie nicht an. Die Situation war ihm augenscheinlich unangenehm.

Na schön. Isandro würde ihr niemals zuhören. Und wenn er darauf bestand, ihr Geld zu zahlen, dann würde sie es eben auf einem Treuhandkonto für Zac anlegen und vielleicht einen kleinen Teil …

„Wenn du also einfach auf der letzten Seite unterschreiben würdest.“

Ungläubig schaute sie ihn an. „Das soll wohl ein Witz sein.“

Isandro knallte die Mappe auf den Schreibtisch. „Wenn du glaubst, du könntest hier eine Show abziehen und mir einreden …“

Abrupt stand Rosanne auf. Sie durfte ihm nicht zeigen, wie sehr sie die Situation kränkte. Wie sehr es schmerzte, mit dem endgültigen Aus ihrer Ehe konfrontiert zu werden. „Unsinn. Aber hältst du mich wirklich für so dumm, dass du mir Papiere unter die Nase halten kannst, die ich dann brav unterschreibe, ohne sie überhaupt gelesen zu haben?“ Sie warf die Unterlagen auf den Tisch, als habe sie sich an ihnen verbrannt. Hoffentlich sah er nicht, wie ihre Hände zitterten! „Sie sind auf Spanisch verfasst. Das ist nicht meine Muttersprache.“

„Aber du sprichst fließend.“

„Ja, aber Rechtsangelegenheiten übersteigen meinen Wortschatz. Woher weiß ich, dass du nicht eine clevere Klausel eingefügt hast, mit der ich auf meine Rechte als Mutter verzichte?“

„Selbstverständlich habe ich das nicht getan! Das sind Scheidungspapiere, mehr nicht.“

„Ich werde nichts unterzeichnen, bis ich nicht mit meinen Anwalt gesprochen habe. Wenn er sagt, die Papiere sind in Ordnung, dann werde ich unterschreiben.“

Isandro fühlte sich ohnmächtig. Er wusste, dass ihre Bedenken berechtigt waren. Unter anderen Umständen, wenn sie eine andere Person gewesen wäre, hätte er ihr zu genau diesem Vorgehen geraten.

„Sie hat recht. Wir müssen eine Kopie nach London senden“, meldete sich der Anwalt.

„Und zwar gleich auf Englisch“, bekräftigte Rosanne. „Ich werde nicht für die zusätzlichen Kosten aufkommen, wenn mein Anwalt erst einen Übersetzer beauftragen muss.“

„Natürlich“, versicherte Ricardo respektvoll.

„Außerdem möchte ich Mr. Fairclough anrufen und ihn über die Neuigkeiten in Kenntnis setzen“, wandte sie sich wieder an Isandro.

Aus irgendeinem Grund hatte Isandro das Gefühl, als müsse er sich bei ihr entschuldigen. Er zwang das Bedürfnis nieder. Diese Frau hatte ein Verbrechen begangen, das nicht viele Menschen verziehen hätten. Mit welchem Recht spielte sie sich jetzt als Moralapostel auf? Er griff nach dem Telefon und reichte ihr den Hörer. Sie schaute ihn nur an.

„Privat.“ Ihr Tonfall war eisig.

Einen unendlich langen Moment hielt Isandro ihren Blick fest. Plötzlich war eine geradezu elektrische Spannung zwischen ihnen.

„Ich werde eine der Angestellten bitten, dir ein Telefon auf dein Zimmer zu bringen“, erklärte Isandro schließlich mit ausgesuchter Höflichkeit. „Dort wirst du ungestört sein.“

„Danke.“

Mit hoch erhobenem Kopf marschierte Rosanne aus dem Raum. Kaum war sie draußen, brach ihre mühsam bewahrte Fassung zusammen. Sie flüchtete die Treppe hinauf in ihr Zimmer und fürchtete dabei die ganze Zeit, Isandro könne sie noch einmal zurückrufen. Natürlich war ihr klar, dass er niemals etwas so Hinterhältiges tun und eine heimliche Klausel in die Papiere einfügen würde, mit der sie ihre Rechte auf Zac abtrat. Das entsprach einfach nicht seinem Stil.

Dennoch – es war richtig gewesen, sich endlich gegen ihn zur Wehr zu setzen. Sie wäre eine Närrin, wenn sie ihm weiter erlaubte, sie so herumzuschubsen.

Kaum war Rosanne in ihrem Zimmer angelangt, öffnete sie die Verandatür und schaute in den Innenhof hinunter. Die Schönheit und die Stille des Ortes beruhigten sie. Und ließen sie gleichzeitig den Schmerz in ihrer Seele noch deutlicher spüren.

Seit ihr klar war, dass Isandro die Scheidung auf jeden Fall einreichen würde, hatte der Schmerz sich dort eingenistet. Es war, als wolle Isandro sie um jeden Preis loswerden, so als wäre sie nur ein lästiges Insekt für ihn. Ein schreckliches Gefühl, so zu empfinden …

Ein Klopfen an der Tür riss sie aus ihren Überlegungen. Die junge Frau, die sie gestern Morgen geweckt hatte, reichte ihr ein Telefon.

Sofort wählte Rosanne David Faircloughs Nummer und erklärte ihm, was passiert war.

Als sie schließlich aufgelegt hatte, atmete sie tief durch. Das war’s. Der Anfang vom Ende. Der Anfang vom Ende ihrer Zweckehe. Eine Ehe, die niemals hätte vollzogen werden dürfen, aus der niemals ein Baby hätte hervorgehen sollen.

Dass es so gekommen war, hatte Rosanne nie bereut. Nicht einmal, als ihr die ganze Situation mehr Schmerz und Trauer bereitet hatte, als sie glaubte, aushalten zu können. Und jetzt musste sie es eben noch ein bisschen länger aushalten. Sie würde es schaffen, und dann würde sie ihr Leben neu einrichten und sich endlich um ihren Sohn kümmern.

Den Rest der Woche ging Rosanne ihrem Mann so weit wie möglich aus dem Weg. Sie sah ihn nur beim Frühstück und beim Abendessen. Die übrige Zeit schloss er sich in seinem Arbeitszimmer ein.

Rosanne genoss die zwei Stunden, die sie jeden Tag mit ihrem Sohn verbringen durfte. Allmählich entspannte sich auch María in ihrer Gegenwart. Die Nanny schien die täglichen Spielstunden zwischen Mutter und Sohn als schöne Möglichkeit zu sehen, einmal eine Pause zu machen, ein Buch zu lesen oder Ähnliches zu tun.

Heute stieß Zac einen weinerlichen Schrei aus, als María ihn für sein nachmittägliches Nickerchen ins Haus trug. Es war offensichtlich, dass er sein Spiel mit Rosanne nicht unterbrechen wollte.

María lächelte mitfühlend. „Er hat Sie schon sehr ins Herz geschlossen. Aber ich fürchte, Señor Salazars Anweisungen sind sehr strikt.“

„María, Sie brauchen sich doch nicht zu rechtfertigen.“

Die Frau errötete, während Zac weiter quengelte und sich in ihren Armen wand. „Ich weiß, aber Sie scheinen so … nett zu sein. Und Sie sind seine …“

„Was ist hier los?“

Gleichzeitig wirbelten beide Frauen herum. Isandro eilte mit großen Schritten auf sie zu. Er nahm María Zac aus den Armen und betrachtete kritisch sein tränenübertrömtes Gesicht.

„Er ist nur übermüdet, Señor Salazar. Es ist Zeit für sein Nickerchen, aber es hat ihm so großen Spaß gemacht, mit Ros…“, sie korrigierte sich, „mit Mrs. Salazar zu spielen.“

Isandro schaute Rosanne misstrauisch an.

„Ich … ich gehe ins Haus“, erklärte sie schnell. „María hat recht, der Kleine ist bloß müde.“

Bevor Isandro antworten konnte, war sie schon ins Haus gehuscht. Binnen Sekunden hörte sie jedoch seine schweren Schritte hinter sich. Instinktiv wich sie vor ihm zurück.

„Was hast du mit meinem Sohn gemacht?“, fuhr er sie an.

Sie schüttelte den Kopf. „Nichts. Ich habe nur mit ihm gespielt.“

„Er hat geweint! Du hast ihn zum Weinen gebracht!“

„Er ist müde, das ist alles. Kinder in seinem Altern sind schnell vom Spielen übermüdet und werden quengelig.“

„Seit wann weißt du so viel über Kinder?“

„Ich bin eine Frau. Ich habe als Au-pair gearbeitet. Und abgesehen davon ist er mein Sohn, und ich …“

Sie verstummte. Beinahe hätte sie gesagt: Und ich liebe ihn. Aber das hätte wahrscheinlich eine ganze Flut von Beschimpfungen nach sich gezogen.

„Er ist mein Sohn, Isandro“, wiederholte sie stattdessen. „Und du wirst dich daran gewöhnen müssen. Denn ich werde hier nicht weggehen. Ich werde den Rest seines Lebens in seiner Nähe sein.“

Isandro betrachtete sie aus eisblauen Augen. „Du meinst, bis du dein Geld aus der Scheidung ausbezahlt bekommst. Dann wirst du ihn wieder fallen lassen. Und dieses Mal wird es viel schlimmer sein, weil er sich an dich erinnern kann.“ Mit einer abrupten Bewegung wandte er sich ab. „Ich kann nicht fassen, dass ich das zulasse …“ Er unterbrach sich und trat ganz nahe an Rosanne heran.

Sie konnte nicht weiter zurückweichen, mit dem Rücken berührte sie bereits die Wand. Er stand so nahe vor ihr, dass sie die hellen Sprenkel in seinen Augen sehen konnte. Seinen Duft einatmete.

„Ich weiß, was du vorhast, Rosanne. Aber lass mich dir eins sagen: Ich beschütze meinen Sohn. Und wenn du ihm auch nur ein Haar krümmst, dann versichere ich dir, dass du dir wünschen wirst, du wärst nie zurückgekommen.“

Ein Kloß schnürte Rosanne die Kehle zu. Sie verstand Isandros Schmerz. Seine Unsicherheit. Sie konnte all seine Gefühle nachempfinden, weil sie sie selbst durchgemacht hatte. Eine Million Mal. Genau aus diesem Grund war sie fortgegangen. Instinktiv streckte sie eine Hand nach ihm aus.

Sofort zuckte er zurück. Er schaute auf ihre Hand, als sei sie pures Gift. Mit einem letzten eiskalten Blick wandte er sich um und verließ das Haus.

Rosanne war wie erstarrt. Gelähmt von dem Hass in seinen Augen, zog sie ihre Hand zurück und presste sie gegen ihre Brust. Noch schlimmer als Isandros Zurückweisung war das grauenhafte Gefühl, das in ihr aufstieg. Eifersucht. Sie war eifersüchtig auf ihren eigenen Sohn.

Isandro liebte ihn so abgöttisch, so selbstlos. Er war durchaus in der Lage zu lieben. Nur liebte er nicht sie.

In den letzten Tagen seiner freien Woche beobachtete Isandro Rosanne noch argwöhnischer als zuvor. Anstatt sie wie bisher mit María und Zac allein zu lassen, hielt er sich jetzt immer in ihrer Nähe auf.

Natürlich spürte Rosanne seine Feindseligkeit. Aber sie ließ nicht zu, dass er ihr Angst machte. Er hatte ja keine Ahnung, wie stark sie hatte werden müssen. Also ertrug sie seinen Groll, seine Blicke, sein offensichtliches Misstrauen.

Trotzdem waren ihre Nerven am Sonntagabend zum Zerreißen gespannt. Sie saßen im Esszimmer. Das Dinner war bereits vorüber, und sie waren beim Kaffee angelangt. Rosanne trank einen Schluck und schloss die Augen, um das herrliche Aroma zu genießen. Und um Isandro nicht sehen zu müssen.

Nachdem die Haushälterin ihnen eine gute Nacht gewünscht hatte, stand auch sie hastig auf. Für heute hatte sie genug von Isandro und seinen falschen Verdächtigungen.

Doch wie aus heiterem Himmel streckte er plötzlich eine Hand aus und hielt sie am Arm fest. Glühende Hitze breitete sich an der Stelle aus, wo seine Finger ihre Haut berührten. Erschrocken stolperte sie einen Schritt zurück. Wäre Isandro nicht aufgesprungen, um sie aufzufangen – sie wäre gefallen.

Mit weit aufgerissenen Augen blickte sie zu ihm auf. Seine Hände brannten wie Feuer durch den dünnen Stoff ihres T-Shirts. Und auch er schien es zu spüren. Etwas in seinen Augen blitzte gefährlich auf. Rosanne stockte der Atem, als die Luft zwischen ihnen förmlich zu vibrieren begann.

Das konnte nicht sein. Isandro hasste sie! Und doch … genau dieses Gefühl verzehrender Sehnsucht hatte sie in jener ersten Nacht empfunden. Und in den vielen Nächten nach der Hochzeit. Nächte voller Leidenschaft, voller Sinnlichkeit und stürmischen Verlangens.

Er zog sie näher an sich, legte eine Hand unter ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen.

„Ich frage mich …“

„Was fragst du dich?“, stieß Rosanne hervor.

„Welche Tricks du in den vergangenen zwei Jahren gelernt hast. Denn zweifellos warst du sehr damit beschäftigt, Erfahrungen zu sammeln.“

5. KAPITEL

Zunächst ergaben Isandros Worte überhaupt keinen Sinn. Erst als sein Mund sich dem ihren näherte, wurde Rosanne klar, was er vorhatte. Wie von einer höheren Macht geleitet, schmiegte sie ihren Körper an seinen. Der Wunsch, geküsst zu werden, war überwältigend intensiv.

Und als dann seine Lippen ihre erst zärtlich, dann fester berührten, entrang sich ihrer Kehle ein leiser Seufzer. Sie öffnete den Mund, wollte den Kuss noch vertiefen. Wollte, dass ihre Zungen einander fanden, wollte, dass er die Arme um ihre Taille schlang, wollte seine Erregung spüren.

So lange hatte sie sich nach diesem Augenblick gesehnt. Und gefürchtet, ihn nie wieder zu erleben. Wie einen Schatz hatte sie die Erinnerungen an solche Momente mit Isandro gehütet, nur ganz selten hervorgeholt und sich darin verloren …

Bis eben hatte Isandro noch klar denken können. Es war ihm darum gegangen, sich selbst etwas zu beweisen, indem er Rosanne seinen Willen aufzwang. Doch jetzt spürte er, wie er langsam die Kontrolle verlor, während sie sich an ihn schmiegte. Unter seinen Küssen öffnete sie den Mund, zögernd, als sei sie sich nicht sicher … Als habe ihn ein Schwall kalten Wassers getroffen, zog er sich so abrupt zurück, dass Rosanne rückwärts taumelte. Dieses Mal unternahm er nichts, um sie zu halten.

Er hasste es, welche Wirkung sie immer noch auf ihn hatte. Hasste es, dass er sie immer noch begehrte. Sehr sogar.

Zornig fuhr er sich mit dem Handrücken über die Lippen. „Wie ich sehe, hast du die Rolle der Jungfrau perfektioniert. Eine erfahrene Frau kann offenbar jedem Mann das Gefühl geben, er sei ihr erster.“

Rosanne versuchte verzweifelt, ihre Gefühle zu beherrschen. Die Art, wie er seine Lippen abwischte, verletzte sie zutiefst. Gleichzeitig brannte in ihrem Körper immer noch das Verlangen, das er geweckt hatte.

Sie wollte flüchten, doch er fasste sie erneut am Arm und hielt sie fest.

„Du hast mich nur aus einem einzigen Grund geheiratet: Um an deine Erbschaft zu kommen. Und zur doppelten Absicherung deiner Zukunft bist du auch noch schwanger geworden. Du hattest nie die Absicht, dich um dein Kind zu kümmern.“

„Du verstehst gar nichts, Isandro.“ Rosannes Stimme zitterte vor Schmerz. Sie wollte noch mehr sagen, irgendetwas, um ihn zum Schweigen zu bringen, um ihre Qual zu lindern … doch ihr fiel nichts ein.

Im Gegensatz zu ihm hatte sie nicht vergessen, dass ihre Leidenschaft mitnichten zu Beginn der Schwangerschaft abgekühlt war. Wenn ihr einziges Ziel gewesen wäre, schwanger zu werden, warum hatte sie sich ihm dann Nacht um Nacht so schamlos hingegeben?

Sie atmete tief durch und benutzte die letzte ihr verbliebene Waffe. „Du vergisst, dass ich in der Angelegenheit kaum eine Wahl hatte. Alles war Teil des Deals zwischen meinem Vater und dir, erinnerst du dich? Du wolltest deine gesellschaftliche Position festigen und er seinen guten Ruf retten. Deshalb musste ich dich heiraten!“

Ihre Worte berührten etwas in Isandro, was ihm gar nicht behagte. Etwas Quälendes versuchte, an die Oberfläche zu gelangen.

Rosanne riss sich los. In diesem Moment hasste sie ihn. Nein, das stimmte nicht. Der Hass war nur eine Maske, hinter der sich ein sehr viel stärkeres Gefühl verbarg. Der Hass war ihr Schutz, damit Isandro nicht erkannte, wie viel er ihr bedeutete.

„Fahr zur Hölle, Isandro.“

„Nicht, ohne dich mitzunehmen.“

Ich war bereits dort … Die Worte lagen ihr auf der Zunge, doch sie hielt sie zurück.

„Ich werde nicht gehen, Isandro. Also gewöhn dich an mich.“ Und damit marschierte sie aus dem Zimmer und die Treppe hinauf.

In dieser Nacht kehrte der Traum zurück. Wieder war Rosanne in dem weißen Raum gefangen. Aber als sie mit tränennassen Wangen und bis zum Hals pochendem Herzen erwachte, war sie allein. Sie hatte nicht geschrien. Im Haus war es still.

Am nächsten Tag im Büro überkam Isandro plötzlich der überwältigende Drang, alles stehen und liegen zu lassen, in seinen Wagen zu springen und nach Hause zu fahren. Rosanne war dort, in seinem Haus. Allein und unbeaufsichtigt – abgesehen von María und einigen Angestellten.

Er hatte bemerkt, wie unsicher María war, was seine Frau betraf. Er hatte gesehen, wie Rosanne die alte Dame um den Finger gewickelt hatte. War er denn verrückt geworden, sie mit Zac alleine zu lassen?

Ohne Isandros verstörende Gegenwart fühlte Rosanne sich zum ersten Mal seit einer Woche ein bisschen entspannter. Sie wusste, dass María strikte Anweisung erhalten hatte, was ihren Umgang mit Zac anging. Aber die Nanny legte die Regeln großzügig aus, wofür Rosanne ihr unendlich dankbar war.

Vor ein paar Tagen hatte sie die Scheidungspapiere unterzeichnet. Seither lastete ein schwerer Druck auf ihrer Brust. Sie redete sich ein, dass es ein ganz normales Gefühl wäre: Isandro und ihr war es einfach nicht gelungen, Zac eine stabile Familie zu sein.

Das Dinner am Freitagabend verlief ohne Zwischenfälle. Unbehelligt erreichte Rosanne ihr Zimmer. Doch sie fühlte sich zu ruhelos, um gleich ins Bett zu gehen. Isandro würde bestimmt in seinem Arbeitszimmer beschäftigt sein.

Sie trat in den Innenhof hinaus, legte den Kopf in den Nacken und betrachtete die silbern glitzernden Sterne am dunklen Nachthimmel.

Auf der untersten Treppenstufe sitzend, ließ sie sich von dem warmen andalusischen Wind streicheln. Mit geschlossenen Augen atmete sie den süßen Duft der Pflanzen ein. Bis ein Geräusch sie auffahren ließ. Hastig stand sie auf, als eine dunkle Gestalt sich von der Wand löste. Sie wusste sofort, wer es war. Ein Fremder hätte weit weniger Panik ausgelöst.

„Isandro.“ Zumindest klang ihre Stimme fest.

Er machte einige Schritte auf sie zu. Rosanne stand noch immer auf der untersten Treppenstufe, sodass sie ein kleines Stückchen größer war als er. Lag es an der zauberhaften Nacht, dass sie plötzlich das Bedürfnis überkam, ihre Hände an sein Gesicht zu legen und ihn zu küssen?

Es kostete sie immense Kraft, das Bild zu vertreiben.

„Isandro, was willst du?“

Ein harter Ausdruck lag in seinen Augen. Er öffnete den Mund, und Rosanne wappnete sich für eine neuerliche Anschuldigung. Doch in diesem Moment drang ein lauter Schrei aus Isandros Schlafzimmer. Jemand rief nach ihm. Unüberhörbare Angst lag in der hohen weiblichen Stimme. Rosanne erkannte sie sofort.

„María!“, rief sie und folgte Isandro eilig die Treppe hinauf.

Die Nanny stand mitten in seinem Schlafzimmer, weiß wie eine Wand, und rang die Hände.

Isandro ging auf sie zu und fasste sie an den Schultern, doch die Frau brachte keinen vernünftigen Satz heraus.

Autor

Abby Green

Abby Green wurde in London geboren, wuchs aber in Dublin auf, da ihre Mutter unbändiges Heimweh nach ihrer irischen Heimat verspürte. Schon früh entdeckte sie ihre Liebe zu Büchern: Von Enid Blyton bis zu George Orwell – sie las alles, was ihr gefiel. Ihre Sommerferien verbrachte sie oft bei ihrer...

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