Julia Extra Band 498

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EIN MILLIARDÄR FÜR GEWISSE STUNDEN von SHARON KENDRICK

Eine heimliche Nacht mit Milliardär Salvatore di Luca verändert für Lina alles. So süß diese Leidenschaft, so bitter die Konsequenzen! Von der Mutter verstoßen, beschließt sie, Salvatore nach San Francisco zu begleiten. Doch wird er sie dort noch an seiner Seite haben wollen?

VERBOTENE KÜSSE IN NEW YORK von SUSAN MEIER

Das Letzte, was Charlotte braucht, ist ein sexy Bodyguard! Aber bis geklärt ist, ob sie wirklich die Milliardenerbin ist, besteht dieser Jace MacDonald darauf, sie Tag und Nacht zu bewachen. Was zwei Wochen in New York bedeutet - genug Zeit, ihm gefährlich nahezukommen …

NUR EINE SOMMERAFFÄRE MIT DEM PRINZEN? von MAISEY YATES

Marissas Sommerromanze mit Prinz Hercules von Pelion hat süße Folgen. Doch ein königlicher Unterhändler eröffnet ihr, dass der Prinz sie nie wiedersehen will. Traurig gibt sie ihren Traum vom Glück auf - und ahnt nicht, dass sie das Opfer einer Palastintrige geworden ist …

STÜRMISCHES WIEDERSEHEN AUF KORFU von MELANIE MILBURNE

Das Ende ihrer Ehe! Juliette will dem Tycoon Joe Allegranza auf Korfu persönlich die Scheidungspapiere übergeben. Doch plötzlich knistert es trotz des Schmerzes, der sie damals getrennt hat, heiß. Gibt es noch eine allerletzte Chance für ihre Liebe auf der romantischen Insel?


  • Erscheinungstag 30.03.2021
  • Bandnummer 498
  • ISBN / Artikelnummer 9783751500586
  • Seitenanzahl 450
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sharon Kendrick, Susan Meier, Maisey Yates, Melanie Milburne

JULIA EXTRA BAND 498

SHARON KENDRICK

Ein Milliardär für gewisse Stunden

Er nimmt sie einfach mit nach San Francisco! Milliardär Salvatore di Luca erfüllt der jungen Lina ihren größten Wunsch – und erkennt zu spät, welche Hoffnung er in der unschuldigen Schönheit weckt …

SUSAN MEIER

Verbotene Küsse in New York

„Suchen Sie Charlotte Fillion. Bringen Sie sie nach New York.“ Bodyguard Jace hat klare Anweisungen. „Verführen Sie sie“ gehörte nicht dazu. Was er bedauert, als er Charlotte zum ersten Mal sieht …

MAISEY YATES

Nur eine Sommeraffäre mit dem Prinzen?

Nach fünf Jahren trifft Prinz Hercules endlich Marissa wieder: Der Sommer mit ihr ist unvergessen. Doch als er ihr gegenübersteht, ist sie in Begleitung ihrer kleinen Tochter – sein Ebenbild!

MELANIE MILBURNE

Stürmisches Wiedersehen auf Korfu

Nach nur drei Monaten war ihre Ehe endgültig gescheitert. Und jetzt soll Joe sich auf Korfu mit seiner Noch-Ehefrau Juliette eine Suite teilen? Unmöglich für ihn, Juliette nicht erneut zu begehren …

PROLOG

Salvatore di Luca blickte hinaus auf das klare blaue Meer vor Sizilien. Eine Wehmut beschlich sein Herz, die er seit Jahren bewusst verdrängt hatte. Ein Schmerz. Ein Bedauern. Und die bittere Erkenntnis, dass er diese schöne Insel nie so geliebt hatte, wie sie es verdient hätte. Aber wie hätte er auch lieben können, was mit so vielen schmerzlichen Erinnerungen aus der Vergangenheit verknüpft war?

Auf dieser Insel war er ein Habenichts gewesen und hatte erfahren, was Hunger bedeutete. Diese Zeiten waren lange vorbei. Heute fehlte es ihm an nichts mehr. Salvatores Zuhause befand sich mittlerweile in San Francisco, wo er eine prachtvolle Villa bewohnte. Er besaß Immobilien auf der ganzen Welt, nannte Flugzeuge und einen ganzen Fuhrpark von Autos sein Eigen. Sogar ein Fluss in Island gehörte ihm mittlerweile, nur um darin zu fischen, wann immer ihm der Sinn danach stand. Sein internationales Immobilienunternehmen war seit Langem derart erfolgreich, dass er es sich längst leisten konnte, einen Großteil der Profite in seine Wohltätigkeitsstiftung fließen zu lassen, die es sich zum Ziel gemacht hatte, armen Kindern auf der ganzen Welt zu helfen.

Salvatore führte ein privilegiertes Luxusleben, in dem es auch nicht an Frauen fehlte. Schöne, kluge, elegante Frauen rissen sich um seine Gunst. Er war ein begehrter Liebhaber und nicht zuletzt wegen seines attraktiven Äußeren, seines Intellekts und seines gewaltigen Vermögens ein umschwärmter Junggeselle. Nur eines konnte er nicht bieten: Liebe. Denn die Fähigkeit zu lieben war ihm vor langer Zeit aus dem Herzen gerissen worden! Was letztlich jeder Beziehung den Todesstoß versetzte, denn Frauen sehnten sich einfach danach, geliebt zu werden. Das taten sie selbst dann noch, wenn er von Anfang an die Karten auf den Tisch legte.

Salvatore hätte eigentlich mit seinem Leben zufrieden sein müssen. Beneideten seine Freunde – und seine Feinde – ihn nicht um sein perfektes Leben? Wäre da nur nicht dieses unterschwellige Gefühl einer schmerzlichen Leere gewesen, das ihn tief in seinem Innern nie verließ. Bittere Erfahrungen hatten ihn zu dem Menschen gemacht hatte, der er heute war und den man nicht selten für kalt und gefühllos hielt. Aber was kümmerte ihn die Meinung der anderen?

Salvatore wandte den Blick von der gleißenden See ab und winkte den Ober heran. Die Beerdigung war vorüber und mit ihr die unbequeme Innenschau, die mit so einem Ereignis anscheinend unvermeidlich einherging.

Es war an der Zeit, wieder zum Alltag zurückzukehren.

1. KAPITEL

„Nicolina, was zum Teufel hast du vor?“

Nadelspitz drangen die Worte an Linas Ohr. Rasch streifte sie sich eine leichte Baumwollbluse über, bevor sie sich umdrehte, um sich dem vorwurfsvollen Blick ihrer Mutter zu stellen, die soeben ihr Schlafzimmer betreten hatte. Natürlich ohne vorher anzuklopfen …

„Ich dachte, ich mach eine kleine Fahrt“, antwortete Lina, während sie versuchte, ihre lange schwarze Lockenmähne mit einem Haargummi zu bändigen.

„In dem Aufzug?“

Lina fragte sich, woran ihre Mutter derart Anstoß nahm. „Was meinst du?“

Der Blick ihrer Mutter ruhte verächtlich auf Linas schlichter Bluse und der selbstgeschneiderten Culotte, die sie sich erst vergangene Woche auf ihrer alten Nähmaschine genäht hatte. Aus Resten eines Jeansstoffes, die sie in der Schneiderwerkstatt aufgelesen hatte. Wenn es nach den Onlinemodemagazinen ging, in denen sie sich, sooft sie Zeit hatte, Anregungen holte, hätte die Hose durchaus noch eine Handbreit kürzer sein können. Aber warum so viel Bein zeigen? Warum ihre Mutter unnötig reizen, die ihr sowieso ständig Vorhaltungen machte?

„Du bist in Trauer!“

Lina hätte gerne erwidert, dass sie den alten Mann, der kürzlich verstorben war, nie persönlich kennengelernt und an seiner Beerdigung nur teilgenommen hatte, weil das eben so Sitte war in dem winzigen sizilianischen Bergdorf, in dem sie ihr ganzes Leben verbracht hatte. Aber sie verkniff es sich, weil sie keinen Streit wollte. Nicht, solange sie sich so leer und verletzlich fühlte! Und das aus Gründen, die sie lieber nicht genauer hinterfragen wollte.

„Die Beerdigung ist vorbei, Mama“, sagte sie deshalb nur. „Und der Haupttrauernde ist schon wieder weg.“ Denn war Salvatore di Luca, der milliardenschwere Patensohn des Verstorbenen, nicht schon früh am Morgen davongefahren? Lina hatte seiner Luxuslimousine düster nachgeblickt in der Gewissheit, dass sie ihn nie wiedersehen würde. Und sich gefragt, warum es ihr eigentlich so viel ausmachte.

Du weißt, warum. Immer wenn er dich mal zufällig angesehen hat, hast du dich so lebendig gefühlt wie sonst nie. Das ist sein Talent. Seine besondere Begabung. Die Frauen dazu zu bringen, dahinzuschmelzen, wenn er sie nur mit einem Blick seiner geheimnisvollen blauen Augen streift.

Seine gelegentlichen Besuche im Ort waren etwas gewesen, auf das sie sich hatte freuen können. Lichtblicke in ihrem tristen Leben, auf die sie von nun an verzichten müsste. Daher rührte auch dieses verlorene Gefühl in ihrem Innern, als wäre sie ein Luftballon, aus dem alle Luft entwichen war.

„Salvatore di Luca!“ Die verächtliche Stimme ihrer Mutter riss Lina schnell wieder aus ihren Gedanken. „Früher wäre er wenigstens eine Woche geblieben aus Respekt für die Dorfgemeinschaft. Aber ich nehme an, dass ihm Ruhm und Reichtum wichtiger sind als seine sizilianischen Wurzeln!“

Was hatte es für einen Sinn, zu widersprechen? Ihre Mutter hatte doch sowieso immer recht. Ihre frühe Witwenschaft hatte sie auf ein moralisches Podest gestellt und im Lauf der Jahre ihre verbitterte Sicht auf die Welt immer mehr gesteigert. Gepaart mit dieser Verbitterung hatte sie ein ausgeklügeltes Talent entwickelt, in ihrem einzigen Kind Schuldgefühle zu wecken. Ständig gab sie Lina das Gefühl, irgendwie für das Leid ihrer Mutter verantwortlich zu sein.

Wurde dieser Zustand nicht immer unerträglicher? Lina nahm ihren Helm und rang sich ein Lächeln ab, das keine Erwiderung fand. „Es ist viel passiert in letzter Zeit, mamma. Ich brauche einfach … eine Pause.“

„Wäre ich nur noch einmal achtundzwanzig! In deinem Alter hatte ich keine Zeit, über Müdigkeit zu klagen. Ich war zu beschäftigt damit, diesen Betrieb allein am Laufen zu halten! Du bist zu jung, um dir eine Pause zu nehmen!“, zeterte ihre Mutter. „Und es ist noch genug Arbeit für dich da.“

Natürlich. Es fehlte nie an Arbeit. Lina schuftete von morgens bis abends in der kleinen Schneiderei, nähte billige Röcke und Kleider zusammen, die dann später auf einem der vielen Märkte auf der Insel verkauft wurden. Ohne dafür ein Wort des Dankes von ihrer Mutter zu erhalten. Was sie, ehrlich gesagt, auch gar nicht erwartete.

Seit sie sich erinnern konnte, war ihr Gehorsamkeit eingebläut worden! Und zwar schon bevor ihr Vater viel zu früh gestorben war und sie damit alleingelassen hatte, den Zorn zu ertragen, den ihre Mutter auf die Welt hegte. Lina hatte sich mit ihrem Schicksal abgefunden, weil es das war, was die Mädchen aus dem Dorf immer getan hatten. Sie arbeiteten hart, gehorchten ihren Eltern, lebten respektabel und heirateten eines Tages, um eine eigene Familie zu haben. Womit sich der Kreis wieder schloss.

Aber Lina hatte nie geheiratet. Nicht, weil es an Gelegenheiten gefehlt hätte. Sie hatte jedoch reichlich Empörung dafür geerntet, dass sie zwei Bewerber zurückgewiesen hatte, die mit mickrigen Blumensträußen bei ihr vorstellig geworden waren und ihre reizvolle Figur mit lüsternen Blicken begutachtet hatten. Nein danke! Lieber wollte sie allein bleiben, als das Bett mit einem derartigen Typen zu teilen. Was ihr in einer so in Traditionen verwurzelten Gemeinschaft natürlich übelgenommen wurde. Wenn man als einzige Tochter nicht wenigstens einen Haufen Enkelkinder produzierte, war das nicht leicht zu verzeihen. Und obwohl Lina ihre Entscheidung in keinem der beiden Fälle jemals bereute, hatte sie gelegentlich das Gefühl, nun für den Rest ihres Lebens dazu verdammt zu sein, ihr Leben als Schneiderin in dem kleinen Dorf zu fristen.

Als ihre Mutter jetzt die Zimmertür hinter sich zuschlug, wurde Lina etwas bewusst: An ihrem Leben hatte sich seit gestern äußerlich nichts geändert, wohl aber in ihr. Die letzten Tage waren sehr geschäftig gewesen! Vor allem für die Frauen, die Unmengen von Essen für die Trauernden zubereiten mussten. Sie hatten Paolo Cardinelli mit allen gebührenden Feierlichkeiten beerdigt, mit denen auf Sizilien die Verstorbenen geehrt wurden. Doch jetzt ging das Leben weiter, und Lina erkannte plötzlich, dass es sich wie eine sehr öde Straße vor ihr ausstreckte. Sie fühlte sich wie in einer Falle gefangen, erdrückt von der täglichen Schufterei und den nicht enden wollenden Anfeindungen ihrer Mutter.

Sie musste einfach mal weg.

Einen Plan hatte sie nicht. Ihre beste Freundin lebte in einem benachbarten Bergdorf, und sie trafen sich öfter zu einem Kaffee. Aber die Freundschaft hatte sich verändert, seit Rosa vor Kurzem geheiratet hatte. Normalerweise wäre es Lina nicht in den Sinn gekommen, allein in eins der mondäneren Seebäder am Fuß des Berges zu fahren, aber heute fühlte sie sich danach, ein paar ihrer selbstauferlegten Regeln zu brechen. Weshalb sie aus den Tiefen ihres Kleiderschranks etwas von dem Geld hervorkramte, das sie sich im Lauf der Jahre von ihrem kleinen Lohn zusammengespart hatte. Es drängte sie, einmal etwas anderes zu erleben. Etwas Neues.

Rasch stopfte sie noch ihren Badeanzug in den Rucksack, dann schob sie ihren kleinen Motorroller auf die Straße hinaus und schwang sich darauf. Einen Augenblick später fuhr sie aus dem Dorf hinaus, kleine Staubwolken auf der trockenen Straße aufwirbelnd. Geschickt lenkte sie ihr Gefährt über die Serpentinen den Berg hinunter auf die Küste zu. Mit dem Fahrtwind im Gesicht fühlte Lina sich plötzlich frei und unbeschwert. Sie roch das Meer, ehe sie es sah: ein breites kobaltblaues Band, das in der Ferne in der Nachmittagssonne funkelte.

Lina atmete tief die salzige Seeluft ein, als sie sich einem Strand näherte, der für seine idyllische Schönheit berühmt war. Ein Ort, wo Leute viel Geld dafür bezahlten, um unter Fransen besetzten Sonnenschirmen zu liegen und sich eisgekühlte Drinks servieren zu lassen. Ein Ort, den sie normalerweise als zu nobel und extravagant abgetan hätte. Aber heute? Ihr Herz pochte, als sie ihren Roller in der Nähe der Strandbar parkte. Heute fühlte sie sich so anders.

Entschlossen ging sie auf die Strandbar zu, obwohl ihr bewusst war, wie sehr sie aus der Schar der reichen Touristen in ihren glamourösen Strandoutfits hervorstach. Aber keinen davon würde sie jemals wiedersehen! Und was kümmerte sie die Meinung der anderen? Sie würde sich auf einen der hohen Hocker an der Bar setzen, eine eiskalte granita genießen und danach zu ihrer kleinen, abgeschiedenen Lieblingsbucht weiterfahren, um ungestört zu schwimmen.

Entschlossen nahm Lina den Helm ab, befreite ihre langen schwarzen Locken von dem Haargummi und schüttelte sie, während sie sich über den sandigen Planken der Bar näherte.

In dem Moment erblickte sie ihn.

Augenblicklich wurden ihr die Knie weich, und es durchzuckte sie heiß, während sie den Mann anstarrte, der dort im Schatten der Sonnenmarkise saß und ganz selbstverständlich alle Aufmerksamkeit auf sich zog. Linas Herz klopfte, sie konnte den Blick nicht von ihm wenden. Denn es war er.

Er.

Salvatore di Luca saß auf einem der Barhocker, ganz auf sein Smartphone konzentriert, und schien überhaupt nicht zu registrieren, dass die neugierigen Blicke aller ringsum ihm galten. Aber inzwischen war er das vermutlich gewohnt. Hatte er nicht im Zentrum des Interesses aller Dorfbewohner gestanden von dem Moment an, als er in seiner Limousine samt Chauffeur auf der staubigen Hauptstraße Caltarinas vorgefahren war, um an der Beerdigung seines Patenonkels teilzunehmen? Und hatten die Frauen des Ortes, egal welchen Alters, nicht unwillkürlich kokett ihr Haar getätschelt und die Schultern zurückgenommen, um seine Blicke auf sich zu ziehen?

Und war Lina nicht auch eine davon gewesen? Beeindruckt von seiner überwältigenden Präsenz. Der stattlichen Erscheinung, dem dichten schwarzen Haar und den strahlend blauen Augen.

Er trug immer noch die schwarze Trauerkleidung, einen maßgeschneiderten Anzug, wie Linas geschultes Auge auf den ersten Blick erkannt hatte, der seine athletische Figur perfekt zur Geltung brachte. Zwar hatte er als Zugeständnis an die Hitze das Jackett und die Krawatte abgelegt und die oberen beiden Hemdknöpfe geöffnet, dennoch hob er sich aus der Schar der zwanglos gekleideten Touristen in der gleißenden Sonne dunkel, ja, fast ein wenig bedrohlich ab.

Lina zögerte, den Blick auf ihre sandigen Turnschuhe gerichtet. Sollte sie sich nicht vorstellen und ihm zum Tod seines Patenonkels kondolieren, weil es der Anstand gebot? Andererseits würde er sich bestimmt nicht an sie erinnern. Ja, anlässlich seiner meist unangekündigten Besuche bei seinem Onkel hatte sie ihn gelegentlich gesehen, aber nie mit ihm gesprochen. Wie die meisten Leute im Dorf hatte sie ihn lediglich aus der Ferne bewundert. Wie einen strahlenden Stern, der unerwartet vom Himmel gefallen war …

Sollte sie ihn also ansprechen oder den armen Mann besser in Frieden lassen? Fast huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. Arm war ganz gewiss das letzte Wort, das einem zur Beschreibung von Salvatore di Luca einfallen sollte. Auch wenn das Dorf in vieler Hinsicht von aller Welt vergessen schien, die Nachricht von dem legendären Reichtum des mächtigen Magnaten war auch bis Caltarina vorgedrungen.

Gerade hatte Lina sich entschieden, unauffällig zu gehen, da steckte er sein Smartphone weg und blickte auf. Er stutzte und sah sie geradewegs an. Lina blinzelte, fast versucht, sich umzudrehen und sich zu vergewissern, ob nicht jemand hinter ihr stand, der sein Interesse geweckt hatte. Jemand von den Reichen und Schönen, zu denen er gehörte. Aber nein, sein Blick ruhte tatsächlich auf ihr. Klar und durchdringend.

Seine fesselnde Schönheit brachte Lina für einen Moment völlig aus der Fassung. Diese Augen! Dieses unglaubliche Blau! Die Frauen des Dorfes hatten über die erstaunliche Farbe seiner Augen getuschelt, kaum dass der Sarg seines Patenonkels der felsigen Erde übergeben worden war. Was ein wenig respektlos sein mochte, aber Lina konnte es ihnen nicht verübeln. War doch Salvatore di Luca die Verkörperung all dessen, was sich eine Frau von einem Mann erträumte.

Und nun … Lina blinzelte erneut. Er winkte sie zu sich, und sie zögerte, unentschlossen, hoffnungsvoll.

Sicher lag da ein Irrtum vor. Vielleicht verwechselte er sie mit jemand. Insgeheim jedoch hoffte sie inständig, dass er sie meinte. Dass sie hinübergehen und sich zu ihm setzen und für einen Nachmittag vergessen konnte, dass sie Lina Vitale, die arme Schneiderin aus dem vergessenen Bergdorf, war. Die Frau, die beobachtete, wie das Leben immer rascher an ihr vorüberzog.

Forschend betrachtete Salvatore die dunkelhaarige Schönheit mit der windzerzausten Lockenmähne, froh über diese Ablenkung von seinen trübsinnigen Gedanken. Er erkannte sie natürlich wieder. Zwar war sie auf der Beerdigung nur eine von vielen Frauen in Schwarz gewesen, aber die Natur hatte sie mit jenen reizvollen Rundungen gesegnet, die sich jedem Mann einprägen mussten. Dazu besaß sie den sinnlichsten Mund, den er je gesehen hatte. Keinem Mann konnte das entgehen.

Er fragte sich, ob sie ihm hierher gefolgt war. Das kam vor, häufig sogar. Frauen stellten ihm freimütig nach, aber er zählte nicht zu den Männern, die das ausnutzten. Tatsächlich zog er es vor, der Jäger zu sein.

Die Sizilianerin dort drüben auf der anderen Seite der Strandbar trennte Welten von den Frauen, mit denen er sich üblicherweise traf. Trotzdem weckte sie sein Interesse. Auch wenn sie an diesem mondänen Ort mit ihrem schlichten Outfit und dem staubigen Motorradhelm unter dem Arm ganz sicher fehl am Platz wirkte. Aber ihre schwarzen Locken, die ihr weit über den Rücken reichten, schimmerten seidig, und ihre Culotte betonte ihre wohlgerundeten Hüften. Die weiße Bluse schmiegte sich an hohe, straffe Brüste, was ihre natürliche Femininität unterstrich.

Ja, Salvatore war definitiv interessiert. Sie war eine jener eher altmodischen Schönheiten, die ihm in seinem hektischen transatlantischen Leben oder zu Hause in San Francisco kaum noch begegneten. Meist bewegte er sich in der Gesellschaft spindeldünner Promifrauen, die in ihrem Leben nur das eine Ziel zu haben schienen, sich auf ein abnorm niedriges Gewicht zu hungern.

Sollte er sie auf einen Drink einladen? Es hätte von schlechten Manieren gezeugt, sie zu ignorieren, zumal sie seinem Patenonkel die letzte Ehre erwiesen hatte. Deshalb winkte er sie zu sich heran. Zu seiner Überraschung zögerte sie sichtlich, ehe sie langsam auf ihn zu kam. Die hohen Wangen erröteten zart, als er sich erhob, um sie zu begrüßen.

„Signor di Luca“, sagte sie hörbar nervös. „Ich wollte Sie nicht stören. Ich … habe Sie auf der Beerdigung Ihres Patenonkels gesehen.“

Er musste sich etwas zu ihr herunterbeugen, um sie zu verstehen, denn sie sprach leise, mit einer sanften, melodischen Stimme, in der so viel aufrichtiges Mitgefühl schwang, dass er sich unerwartet berührt fühlte. Seit dem Tod seines Onkels passierte ihm dies nicht zum ersten Mal, aber er kam nur schwer damit klar, denn Gefühle waren eigentlich nicht sein Ding. Im Gegenteil, Salvatore war stolz darauf, stets einen kühlen Kopf zu bewahren! Und er sagte sich bei ganz vernünftiger Betrachtung, dass der Tod für den kranken alten Mann als Erlösung gekommen war. Denn obwohl er seinem Patenonkel zutiefst dankbar war, dass er ihm mit seiner Großzügigkeit ermöglicht hatte, sein Heimatland zu verlassen und in Amerika sein Glück zu machen, hatte er ihn doch nie geliebt. Seit der kaltherzigen Zurückweisung durch seine Mutter hatte er nie wieder jemanden geliebt.

Warum also hatte er mit den Tränen gekämpft und diesen Stich ins Herz verspürt, als er am aufgebahrten Leichnam seines Patenonkels stand? Woher kam dieses Gefühl, dass etwas unwiderruflich zu Ende gegangen war, ohne genau zu wissen, was?

„Mein aufrichtiges Beileid zu Ihrem Verlust“, sagte die schöne Dunkelhaarige.

Grazie. Nach der langen Krankheit hat er seinen Frieden gefunden, wofür ich dankbar bin.“ Salvatore sah, wie sie sich nervös auf die Unterlippe biss, und der Anblick ihres hinreißend sinnlichen Mundes weckte in ihm einen Gedanken, dem er einfach nicht widerstehen konnte. „Sie sind hier verabredet?“, erkundigte er sich beiläufig.

„Nein, nein, ich bin allein. Ich bin aus einer Laune heraus hergefahren …“ Sie verstummte, als hätte sie schon mehr gesagt, als er vermutlich hören wollte.

„Dann leisten Sie mir auf einen Drink Gesellschaft?“ Er deutete auf den leeren Hocker neben seinem. „Oder missbilligen Sie vielleicht, dass ich hier in der Sonne sitze und dem Rauschen des Meeres lausche, angesichts der Tatsache, dass mein Patenonkel erst gestern beerdigt wurde?“

Ihre schwarzen Locken schimmerten in der Sonne, als sie den Kopf schüttelte. „Ein derartiges Urteil käme mir nie in den Sinn.“ Sie legte ihren Helm auf die Bar und hockte sich auf den hohen Stuhl, den er ihr zurechtrückte. „Das Leben geht weiter. Das ist der Lauf der Welt.“

Sie klang geradezu alt und weise, als sie dies sagte. Wie alt mochte sie sein? Ende zwanzig, schätzte er.

„Für meinen Patenonkel war der Tod in vieler Hinsicht eine Erlösung“, sagte Salvatore, während er in ihre von seidigen dunklen Wimpern umrahmten Augen blickte. Augen in exakt der bernsteingoldenen Farbe des alten und teuren Bourbons, den er zum ersten Mal gekostet hatte, als er in Amerika angekommen war … Sehr jung und sehr zornig war er damals gewesen. Und etwas in diesen Augen veranlasste ihn, mit ihr über den alten Mann zu sprechen. „Sie wissen, dass er die letzten zehn Jahre im Koma lag?“

Sie nickte. „Ja. Eine meiner Freundinnen gehörte zu dem Pflegepersonal, das Sie beschäftigt haben, um ihn zu versorgen, Signor di Luca. Wir im Dorf fanden es toll, dass Sie ihn nicht dort weggeholt und in einer dieser großen Pflegeeinrichtungen in der Stadt untergebracht haben. Vor allem, wo Sie doch hier fremd sind. Und jeder im Ort weiß, dass Sie ihn regelmäßig besucht haben, was für so einen viel beschäftigten Mann, wie Sie es sind, nicht einfach gewesen sein kann.“ Sie zögerte. „Sie sind sehr freundlich.“

Salvatore erstarrte verblüfft. Ja, er wurde oft gelobt für seinen unternehmerischen Scharfsinn und sein außerordentliches Gespür für Zukunftstrends. Und ja, er war ein bedeutender Philanthrop, der einen Großteil seiner Gewinne in seine Stiftung für unterprivilegierte Kinder investierte. Aber dass man ihn wegen seiner persönlichen Freundlichkeit hervorhob? Das passierte ihm wirklich zum ersten Mal. Während er in ihr betörendes Gesicht blickte, regte sich etwas in seinem Herzen, womit er nicht gut klarkam. War es vielleicht die Erkenntnis, dass er mit einem Mal tatsächlich ganz allein auf der Welt war?

Unwillkürlich schüttelte Salvatore den Kopf, als könnte er so die düsteren Gedanken abwehren. Ja, er brauchte unbedingt eine Ablenkung, und genau die saß hier neben ihm in Gestalt dieser einheimischen Schönheit. Aber war es klug, hier mit ihr zu sitzen? Er wollte sie nicht verführen. Verdammt, ganz sicher nicht! Zum einen war sie überhaupt nicht sein Typ, zum anderen hatte sie bestimmt eine Handvoll rachsüchtiger Brüder und Onkel, die von ihm verlangen würden, dass er sie heiratete, sobald er nur in ihre Reichweite kam!

Aber der Gedanke, ein paar entspannte Stunden in ihrer unkomplizierten Gesellschaft zu verbringen, erschien ihm plötzlich ungemein reizvoll. Darüber hinaus wirkte sie irgendwie traurig … Ja, als trüge sie die Last der ganzen Welt auf ihren schmalen Schultern! Ein völlig ungewohntes Aufwallen von Mitgefühl drängte ihn zur Entscheidung.

„Haben Sie es eilig?“

Lina stutzte. Hatte sie richtig gehört? Und was war die Ursache für den unmissverständlich schmerzlichen Ausdruck, den sie flüchtig auf seinem Gesicht bemerkt hatte? Wie seltsam das Leben manchmal spielte. Hier war ein Mann, der anscheinend alles hatte, und dennoch hatte er für einen Moment fast … gequält gewirkt.

Er wartete immer noch auf eine Antwort, und Lina war klar, wie die eigentlich aussehen sollte. Ein höfliches Danke – und ein unmissverständliches Nein. Um dann die Bar und den Mann in seiner merkwürdigen Stimmung so schnell wie möglich hinter sich zu lassen. Schließlich hatten sie und Salvatore di Luca nichts miteinander gemeinsam. Instinktiv begriff sie, dass er ihr gefährlich werden könnte. Und welcher vernünftige Mensch suchte freiwillig die Gefahr? Doch etwas, das stärker war als alle Vernunft, begehrte dagegen auf. Drängte sie, genau das Gegenteil zu tun. War sie nicht deshalb heute aus dem Dorf ans Meer gefahren, weil sie etwas anderes erleben wollte? Und war das hier nicht die Gelegenheit dazu?

Ihm so nahe, reagierte ihr Körper in beunruhigender und doch höchst erregender Weise. Die Spitzen ihrer Brüste drückten sich hart durch den dünnen Stoff ihrer einfachen weißen Bluse, und tief in ihrer Mitte pulsierte es heiß und brachte ihr Blut in Wallung. Lina schluckte. War es das, wovon ihre Freundinnen so schwärmten … dieses Verlangen, das sie bislang noch nie erlebt hatte?

„Nein, ich … habe es überhaupt nicht eilig.“

„Dann trinken Sie ein Glas Wein mit mir?“ Seine blauen Augen funkelten neckend. „Sie sind doch schon alt genug?“

Er schmeichelte ihr natürlich. „Kein Alkohol, danke, nein. Es ist mir zu heiß. Bitte eine granita für mich.“

„Eine granita“, wiederholte er nachdenklich. „Die habe ich schon ewig nicht mehr genossen.“

Er bestellte zwei, und kurz darauf stand die typisch sizilianische gefrorene Süßspeise, einem Zitronensorbet ähnlich, vor ihnen. Sie wurde mit Strohhalm und Löffel in kleinen, dicken Kelchgläsern serviert, die in der Hitze rasch beschlugen. Einen Moment lang widmeten sich Lina und der sizilianische Immobilienmagnat genüsslich ihren granitas, ehe er sich ihr wieder zuwandte.

„Ihnen ist klar, dass ich Ihnen gegenüber total im Nachteil bin?“, sagte er gespielt vorwurfsvoll. „Sie scheinen sehr genau zu wissen, wer ich bin, wohingegen ich nicht einmal weiß, wie Sie heißen.“

Lina nahm einen weiteren Löffel der Erfrischung zu sich. Süßsauer kitzelte der Zitronengeschmack eiskalt ihre Lippen. Verrückt, aber schmeckte diese granita nicht besser als jede andere zuvor, und schimmerte das Meer heute nicht viel blauer in der Sonne als sonst?

„Nicolina Vitale“, antwortete sie. „Aber meine Freunde nennen mich Lina.“

Er zögerte kaum merklich. „Und wie darf ich Sie nennen?“

Es war eine harmlose Frage, die sich plötzlich gar nicht mehr so harmlos anfühlte, weil sein vielsagender Blick Lina trotz der Hitze frösteln ließ. Sie war es nicht gewohnt, zu flirten. Aber plötzlich fiel es ihr ganz leicht. So leicht und selbstverständlich wie das Lächeln, das sie ihm schenkte, als würde sie täglich mit gut aussehenden Milliardären verkehren.

„Sie können mich Lina nennen“, sagte sie heiser.

Etwas blitzte in seinen blauen Augen auf. „Sie werden also ein Weilchen hierbleiben, Lina Vitale?“, bemerkte er leise. „Werden Sie vielleicht sogar alle Vorsicht in den Wind jagen und mit mir zu Mittag essen?“

Lina fühlte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Was hätte Rosa wohl gesagt, wenn ihre Freundin sie jetzt gesehen hätte? Rosa, die sie immer neckte, eine prüde Jungfer zu sein …

„Warum nicht?“, antwortete sie leichthin und wagte erneut ein scheues Lächeln.

2. KAPITEL

Die Nachmittagssonne stand tief am Himmel. Allmählich kehrten die Leute zu ihren Sonnenliegen zurück. Vor dem glitzernden Meer beobachtete Lina ein paar Touristinnen auf ihren Liegen. Wie kühl und gelassen sie wirkten.

Anders als sie. An der Strandbar staute sich die Hitze immer noch. Die dünne Bluse klebte Lina am Körper. Unbehaglich rutschte sie auf ihrem Stuhl hin und her und konnte es immer noch nicht glauben, dass sie mit einem weltberühmten Immobilienmagnaten zu Mittag aß.

Hatte sie seine Gastfreundschaft schon überbeansprucht? Wahrscheinlich. Ein Mann wie Salvatore di Luca musste sich inzwischen in der Gesellschaft eines bloßen Dorfmädchens langweilen. Vielleicht war es besser, ihm einen Ausweg aufzuzeigen.

Sie schob ihren Teller weg und sah Salvatore an. Allein beim Anblick seiner markanten Züge schlug ihr Herz schon wieder schneller. „Ich denke, ich sollte jetzt gehen.“

„Das klingt überhaupt nicht überzeugend“, entgegnete er ungerührt. „Und Sie haben Ihr Essen kaum angerührt.“

Was leider zutraf. Schuldbewusst betrachtete Lina ihren Teller. Sie aß gern und war dazu erzogen worden, nichts zu verschwenden, schon gar nicht ein so teures Mahl wie dieses. Aber irgendwie hatte sie kaum einen Bissen heruntergebracht. Denn in Salvatores charismatischer Gesellschaft hatte sie das Gefühl, als würden sich all ihre Sinne in ungeahnter Weise entfalten. Als würde die zurückhaltende und unerfahrene Lina Vitale zu einer Frau erblühen, die sie nicht wiedererkannte. Geblendet von den Aufmerksamkeiten eines Mannes, der kaum mehr als ein Fremder für sie war.

Er hatte für sie beide einen Tisch im Schatten eines Sonnenschirms mit freiem Blick aufs Meer rekrutiert, und Lina hatte sich dazu überreden lassen, ihre Turnschuhe und Socken auszuziehen, sodass ihre nackten Zehen im warmen Sand spielten. Aufs blaue Meer zu schauen, wie es in sanften Wellen über den Strand spülte, während eine Armee von Obern sie bedienten … In den achtundzwanzig Jahren ihres Lebens hatte Lina keinen solchen Luxus erlebt, und sie stellte fest, dass sie es genoss.

Aus Angst, etwas falsch zu machen, hatte sie Salvatore während des Essens aufmerksam beobachtet, um sich nur ja nicht zu blamieren. Doch er überraschte sie. Er benahm sich überhaupt nicht, wie sie es von einem Milliardär erwartet hätte, bestellte nicht Hummer oder Austern. Stattdessen krempelte er sich die Ärmel seines weißen Seidenhemds auf und aß mit dem gesunden Appetit eines Arbeiters ein sehr traditionelles Gericht aus überbackenen Auberginen mit Ricotta und Tomatensoße.

„Ich hatte das auf der Speisekarte gar nicht gesehen“, bemerkte Lina.

„Weil es nicht darauf steht. Aber sie machen es immer für mich, wenn ich hier bin.“

„Hat das Ihre Mutter immer für Sie gekocht?“, riet sie.

Das war, soweit sie es feststellen konnte, der einzige unangenehme Moment während des Essens, weil sich Salvatores Miene plötzlich versteinerte. Und seine Stimme klang so eisig wie die Eiswürfel in ihrem Mineralwasser, als er antwortete. „Nein. Meine Mutter stand nicht auf Kochen.“

Am liebsten hätte sie ihre Worte zurückgenommen. So blieb ihr nichts anderes übrig, als die angespannte Stimmung wieder aufzulockern, indem sie ihm weitere Fragen stellte, Fragen zu seinem interessanten Leben. Und Salvatore spielte gutmütig mit und füllte einige der Lücken, die der Dorfklatsch noch offen gelassen hatte. In Amerika hatte er, wie er erzählte, als kleiner Kellner angefangen und an der Abendschule einen Kurs in Digitaltechnologie besucht. Die Klage seines Arbeitsgebers, wie kompliziert es doch sei, international Geld zu überweisen, regte ihn zu Entwicklung einer einfachen Telefon-App an, die dieses Problem auf genial einfache Weise löste. Was ihm in der Folge ein Vermögen einbrachte.

„Einfach so?“, fragte Lina staunend.

„Einfach so.“

Danach hatte er seine geschäftlichen Interessen breit gestreut, hatte Immobilien und Kaufhäuser aufgekauft und eine kleine, exklusive Fluggesellschaft, die reiche Passagiere zwischen den karibischen Inseln hin und her flog. Er hatte mehr Geld verdient, als ein Mensch in hundert Leben ausgeben konnte, weshalb er inzwischen seine Gewinne in eine wohltätige Stiftung fließen ließ, die seinen Namen trug und sich um benachteiligte Kinder kümmerte.

Allerdings schien Salvatore mehr daran interessiert, über Lina zu sprechen, wobei sie sich des Gefühls nicht erwehren konnte, dass sein Interesse an ihr ein wenig dem eines Zoobesuchers für eine besonders exotische Spezies ähnelte. Vielleicht betrachtete er sie wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten, während er ihr zuhörte, wie sie von ihrer Arbeit in der kleinen, familiengeführten Schneiderei im Dorf erzählte.

„Dann sind Sie also nie im Ausland gewesen?“, warf er an einer Stelle ungläubig ein.

„Einmal fast“, widersprach sie ein wenig trotzig. „Letztes Jahr sollte ich eigentlich zur Hochzeit meiner Cousine nach Florida fliegen, und es war auch geplant, dass ich etwas dortbleibe und arbeite, aber …“

„Aber …?“

„Meine Mutter wurde krank und bat mich, nicht zu gehen. Also ließ ich es sein.“

„Darf ich raten? Es ging ihr sofort wieder besser?“

Lina sah ihn erstaunt an. „Ja, das stimmt. Woher wissen Sie das?“

Er lachte spöttisch. „Die menschliche Natur, auch bekannt als Manipulation. Man muss kein Genie sein, um das zu verstehen.“

Jetzt war auch der Kaffee ausgetrunken, und ein paar Amarettinikrümel auf dem Tisch verrieten, dass das Essen nun endgültig vorbei war.

„Ich sollte jetzt gehen“, sagte Lina erneut.

„Sie klingen, als wollten Sie nirgendwohin gehen.“ Salvatore hob beiläufig einen Finger, woraufhin der Ober mit der Rechnung herbeieilte. „Verlangt irgendetwas Besonderes Ihre Rückkehr?“

Mit einem seltsam beklommenen Gefühl langte Lina unter den Tisch, um sich die Turnschuhe wieder anzuziehen. Was würde er wohl sagen, wenn er wüsste, was sie wirklich zu Hause erwartete? Nicht die beschönigte und leicht humorvoll aufbereitete Version eines Dorflebens, die sie ihm präsentiert hatte, sondern das verbitterte Gesicht ihrer Mutter. Ihre ermüdenden Forderungen. Stapel von Baumwollstoffen, die darauf warteten, dass Lina daraus Röcke, Blusen und Kleider nähte, billige Kopien edler Designerstücke. Endlose Stunden allein mit dem Surren ihrer Nähmaschine, gefolgt von quälend einsamen Abenden, an denen nur das Läuten der Kirchenglocken die Stille durchbrach. Auf einmal kam ihr das alles so leer vor … und ziemlich traurig. War das der Grund, weshalb sie plötzlich trotzig und entschlossen aufblickte?

„Nein, eigentlich nicht. Zum Abendessen muss ich natürlich zurück sein.“

„Natürlich.“ Salvatore legte einige Geldscheine auf die Rechnung. Sein Blick war unergründlich, als er Lina wieder ansah. Lässig steckte er seine Brieftasche weg, „Also schön. Was hätten Sie denn an diesem Nachmittag getan, wenn Sie mir nicht begegnet wären?“

„Ich wollte eigentlich schwimmen gehen.“

Unwillkürlich schweifte sein Blick über die Reihen von Sonnenliegen. „Schwimmen? Hier?“

Auch ohne hinzusehen, wusste Lina, dass die meisten Sonnenanbeterinnen auf den Liegen so knappe Bikinis trugen, wie sie es sich mit ihren üppigeren Rundungen nie getraut hätte. Sie dachte an den Badeanzug, den sie in ihren Rucksack gestopft hatte. Allein die Vorstellung, ihn an diesem mondänen Strand zu tragen! Wahrscheinlich würde sie sofort von der Modepolizei abgeführt werden!

„Nein, nicht hier“, sagte sie deshalb rasch. „Das ist ein Privatstrand, den nur die Gäste des Hotels nutzen dürfen.“

„Ach, machen Sie sich deswegen keine Gedanken“, wehrte er ab, mit der Gelassenheit eines Mannes, dem keine Tür verschlossen blieb. „Keiner wird Sie daran hindern, hier zu schwimmen.“

Nicht, solange Sie in meiner Begleitung sind, hing unausgesprochen in der Luft. Aber Lina schüttelte dennoch den Kopf. „Nein, wirklich nicht.“ Selbst sie hörte die Panik in ihrer Stimme. „Ich will wirklich nicht hier schwimmen.“

Er betrachtete sie nachdenklich. „Nun, was halten Sie davon, im Pool in meiner Villa zu schwimmen, wenn Sie kein Publikum wollen?“

Lina schluckte. Ein irrwitziger Hoffnungsfunke keimte auf, über den sie lieber nicht nachdenken wollte. „Sie meinen, Sie … bleiben hier? Auf Sizilien?“

„Nur noch heute Nacht. Mein Jet bringt mich morgen wieder nach San Francisco.“

„Ich möchte Ihnen keine Umstände machen.“

„Das sind keine Umstände. Mein Wagen steht hinter der Strandbar.“

„Genau wie mein Motorroller.“

„Wie wärs also, wenn ich meinen Chauffeur Ihren Roller fahren lasse, damit ich Sie zu meiner Villa chauffieren kann? Sie können dort schwimmen und dann nach Hause aufbrechen, wann immer Sie wollen.“

„Wird Ihr Chauffeur denn nicht protestieren?“

„Fürs Protestieren wird er nicht bezahlt“, erklärte Salvatore bemerkenswert arrogant. „Er wird im Gegenteil sehr gut dafür bezahlt, genau das zu tun, was ich ihm sage.“

Wieder biss sie sich nervös auf die Unterlippe. Salvatore fragte sich, ob sie sich bewusst war, wie sie damit die Aufmerksamkeit auf ihren hinreißend sinnlichen Mund lenkte. Er war es nicht gewohnt, dass eine Frau ihn auf eine Antwort warten ließ, was allein deshalb einen gewissen Reiz besaß.

„Okay“, antwortete sie schließlich und strich sich die schwarzen Locken aus dem Gesicht. „Warum nicht?“

Warum nicht? Offenbar war sie sich nicht klar, dass er gewöhnlich nicht an jede dahergelaufene Dorfschönheit Einladungen verteilte. Ein wenig Dankbarkeit hätte er schon erwartet. Salvatore war irritiert. Er wurde aus dieser Frau nicht klug. Davon abgesehen wusste er immer noch nicht genau, warum er sie eigentlich einlud. Hatte er vor, sie zu verführen? Ihr diese fast schon puritanische weiße Bluse auszuziehen und zu erkunden, welche verlockenden Reize sich darunter verbargen?

Nein. One-Night-Stands waren noch nie sein Ding gewesen, und selbst wenn, hätte er sich dafür ganz sicher keine Frau aus einem winzigen Bergdorf ausgesucht, die sich bestimmt zu viel davon erhoffte. Er wollte einfach nur nett sein. Hatte sie ihn nicht wegen seiner Freundlichkeit gelobt?

Spar dir deinen Zynismus, und mach der Ärmsten eine Freude!

„Dann kommen Sie, gehen wir.“

Wie Lina erwartet hatte, war Salvatores Chauffeur wenig begeistert, als sein Boss ihm den Helm in die Hand drückte und ihn anwies, ihren Roller zur Villa zu fahren. Aber er protestierte nicht. Die kleine Fünfzigkubikmaschine wirkte winzig, als der stämmige Mann damit wegfuhr. Doch Lina blieb keine Zeit, darüber nachzudenken, denn Salvatore hielt ihr schon die Beifahrertür der kühlen Limousine auf. Sie sank in den weichgepolsterten Sitz und atmete den Duft von handschuhweichem Leder und purem Luxus. Der Motor der schweren Limousine schnurrte vornehm leise, als sie die üblichen Straßen entlangfuhren, um schließlich auf der anderen Seite des Berges in einen Privatweg einzubiegen.

Und plötzlich befand sich Lina in einer ganz anderen Welt. Eine wohlbehütete, abgeschirmte Welt, in der reiche Touristen für sehr viel Geld ihre Vorstellung vom sizilianischen Traum leben konnten. Doch Salvatores Nähe machte Lina so nervös, dass es ihr schwerfiel, sich auf die idyllische Schönheit dieser für sie so neuen Umgebung zu konzentrieren.

Er ist ein milliardenschwerer Frauenschwarm, auf den am anderen Ende der Welt ein ganz anderes Leben wartet.

Doch all die Warnungen halfen nichts gegen ihre wachsende Erregung. Als die beiden Flügel eines schmiedeeisernen Tores vor ihnen wie von Zauberhand aufschwangen, langte Lina verstohlen in ihren Rucksack und schaltete ihr Handy aus. Niemand sollte ihr diesen Tag verderben, schon gar nicht ihre Mutter. Denn sie wusste, dass es eine einmalige Angelegenheit war. Sie würde sich nicht in illusorische Erwartungen versteigen. Nein, sie würde einfach jeden Augenblick genießen.

„Madonna!“, flüsterte sie ungläubig, als sich die Tore hinter dem Wagen schlossen und sie das Haus erblickte. „Träume ich?“

Ein Lächeln huschte über Salvatores Gesicht. „Gefällt es Ihnen?“

„Ja. Oh ja!“ Lina stieg aus und blickte bewundernd an der imposanten Villa empor, umgeben von hohen Palmen, die sich vor dem strahlend blauen Himmel in der sanften Brise wiegten. Üppig bunte Blumen prangten in antiken Terracottagefäßen, und in der Ferne glitzerte einladend ein Swimmingpool in der Sonne.

Die Haushälterin erschien im schattigen Eingang des Hauses, eine scharfsichtige, schwarz gekleidete Frau, die Linas nervöses Begrüßungslächeln nicht erwiderte. Aber wenigstens kannte Lina sie nicht aus Caltarina. Das wäre wirklich ein Problem gewesen.

„Carla, könnten Sie bitte dafür sorgen, dass Kaffee am Pool serviert wird?“, wies Salvatore die ältere Frau an, ehe er sich an Lina wandte. „Kommen Sie, ich zeige Ihnen, wo Sie sich umziehen können.“

Lina folgte ihm durch den parkähnlichen Garten. Als sie den Pool erreichten, verschlug ihr der Ausblick auf die malerische, sonnendurchflutete Landschaft für einen Moment den Atem. Ehe ihr bewusst wurde, dass sie sich in eine ziemlich intime Situation mit einem Mann begeben hatte, den sie eigentlich gar nicht kannte.

Dennoch verspürte sie keine Angst. Tief im Innern vertraute sie ihm …

„Sie können sich dort umziehen.“ Er deutete auf ein kleines Gebäude, das einem Schweizer Chalet nachempfunden schien. „Ich gehe kurz ins Haus, um mir etwas Bequemeres anzuziehen.“

Lina war froh, dass er sie einen Moment allein ließ. Das gab ihr Zeit, sich etwas zu fassen. Doch ihre Erleichterung verflog vor dem großen Spiegel, als sie sich auszog.

Lina Vitale, du bist vielleicht eine Jungfrau, die bislang keinen blassen Schimmer von Sex hatte, aber das heißt nicht, dass du nicht weißt, was los ist, wenn es dich trifft!

Sie kramte ihren Badeanzug aus dem Rucksack, streifte ihn sich über und betrachtete sich prüfend im Spiegel. Viel zu viele Kurven in einem langweiligen blauen Badeanzug, dachte sie. Was hatte sie hier eigentlich verloren?

Zögernd verließ sie das Chalet. Wie es aussah, war Salvatore noch nicht wieder da, aber auf einem der Tische stand bereits ein Tablett mit Kaffee und Gebäck. Lina hatte jedoch nicht vor, sich mit Erfrischungen aufzuhalten. Sie würde sich rasch im Pool abkühlen, sich dann wieder anziehen und mit ihrem Roller nach Hause fahren. Zurück, wo sie hingehörte … Und all ihre albernen Fantasien würde sie vergessen.

Sie trat ganz dicht an den Poolrand, tauchte mit einem eleganten Sprung tief in das blau schimmernde Wasser ein und tat ein paar kräftige Züge in dem erfrischend kühlen Nass, was ihre Nerven etwas beruhigte. Als sie wieder an die Oberfläche kam und sich wie ein nasser Welpe die schwarzen Locken aus dem Gesicht schüttelte, sah sie gegen die Sonne Salvatore am Beckenrand stehen. Unvermittelt durchzuckte es sie heiß, denn er war lediglich mit Badeshorts bekleidet.

Du liebe Güte! schoss es ihr gereizt durch den Kopf. Natürlich trägt er eine Badehose! Hatte sie etwa geglaubt, er würde in seinem schwarzen Maßanzug schwimmen gehen? Hör auf, ihn anzustarren! Schwimm noch ein bisschen, und dann verschwinde von hier! Und geh dahin zurück, wo du hingehörst!

Aber sie rührte sich nicht von der Stelle, trat Wasser und blickte zu ihm hoch …, weil sie noch nie etwas so Schönes wie ihn gesehen hatte. Sein gebräunter athletischer Körper glänzte in der Sonne, während er reglos dastand und sie ebenfalls ansah. Unwillkürlich fuhr Lina sich mit der Zungenspitze über die Lippen, unfähig, den Blick von ihm zu wenden. Der muskulöse Oberkörper, der definierte, flache Bauch, die schmalen Hüften, beunruhigend eng umschmiegt von den schwarzen Badeshorts …

Lina schluckte und fühlte, wie sie errötete. Rasch tauchte sie wieder ab und schwamm los. Als sie das flache Ende des Pools erreichte, war Salvatore schon da und erwartete sie, wie sie es im Grunde gewusst hatte. Er stand bis zur Taille im Wasser, winzige Wassertropfen glitzerten wie Diamanten auf seiner samtenen Haut. Sie wollte ihn so sehr, dass sie glaubte, es nicht ertragen zu können. Das war es, worauf all die langsam wachsende Anspannung während des Essens und der Autofahrt abgezielt hatte. Und trotz ihrer Unerfahrenheit wusste Lina, dass jetzt nur eines passieren konnte.

Wenn sie es wollte.

Sie blickte Salvatore in die Augen und fuhr sich erneut mit der Zunge über die Lippen.

Ja, sie wollte es.

Salvatore erstarrte sichtlich. Hatte er ihre Gedanken erraten? Lina war es egal. Sie fühlte sich wie ferngesteuert von etwas, das stärker war als sie selbst. Es würde passieren … trotz ihrer Unerfahrenheit und der geradezu lächerlichen Ungleichheit zwischen ihnen.

Er rührte sich nicht. Aber auch das hatte sie irgendwie vorhergesehen. Weil er es eigentlich nicht will, wie sie schlagartig begriff. Oh, natürlich will er es … rein körperlich. Aber er möchte nichts anfangen, was er später womöglich bereuen könnte. Er möchte keine Verantwortung dafür übernehmen.

Doch sie wollte es. Sie musste es tun! Deshalb ging Lina ganz dicht zu Salvatore heran, stellte sich auf die Zehenspitzen, legte ihm beide Hände auf die Schultern.

Und dann küsste sie ihn.

3. KAPITEL

Salvatore versuchte, das Richtige zu tun. Das einzig Mögliche, nämlich gar nicht zu reagieren. Obwohl Lina die Finger in seine Schultern krallte und ihre hohen, straffen Brüste in dem nassen Badeanzug an seinen Oberkörper presste. Obwohl er so hart war, dass er glaubte, jeden Moment explodieren zu müssen. Sein Hals war wie zugeschnürt, während er sich bemühte, reglos zu verharren und nicht zu reagieren. Was sich jedoch als fast unmöglich erwies. Denn er wollte Lina Vitale so sehr küssen wie noch nie eine Frau zuvor.

Vergeblich versuchte er, sich einzureden, dass sie gar nicht sein Typ war. Es half nichts! Diese Frau hatte etwas so mitreißend Lebendiges … Diese von dunklen Wimpern umrahmten goldbraunen Augen. Diese unbändige Mähne schwarzer Locken, die sich jetzt in nassen Kaskaden über ihre schmalen Schultern und üppigen Brüste kringelten. Schon auf der Autofahrt hierher hatte ihre Nähe ihn derart abgelenkt, dass er sich kaum auf die Straße konzentrieren konnte. Wie schaffte sie das nur?

Salvatore hatte sie am Pool extra eine Weile allein gelassen, um in der Kühle seines Schlafzimmers wieder zur Vernunft zu kommen. Er dachte, es wäre ihm ganz gut gelungen. Bis er Lina aus dem Wasser auftauchen sah wie eine dunkle Meerjungfrau, so unvergleichlich sexy und sinnlich … Sofort war seine Lust erneut entbrannt. Und jetzt das.

Er schluckte, weil er wusste, dass sie ein Problem für ihn werden könnte und er sie sich besser so schnell wie möglich vom Hals schaffen sollte. Aber all seine hehren Absichten zerplatzten, als sie sich jetzt noch enger an ihn schmiegte. Er fühlte, wie sich die harten Spitzen ihrer Brüste durch ihren nassen Badeanzug drückten… Und schaffte es immer noch, sich zurückzuhalten. Sanft neigte er den Kopf an ihr Ohr, um ihr etwas zuzuflüstern. Wobei außer ihr sowieso niemand mehr da war, um ihn zu hören. Denn er hatte der Haushälterin und dem Chauffeur für den Rest des Tages frei gegeben, sodass er und Lina jetzt ganz allein waren. War das etwa sein unbewusster, genialer Plan gewesen? Eine fast nackte Lina Vitale vor ihm, zu allem bereit? Die Aussicht auf Sex mit ihr zum Greifen nahe, trotz all seiner vernünftigen Vorbehalte?

„Wir werden das nicht tun“, flüsterte er, obwohl sein verräterischer Körper etwas ganz anderes sagte.

„Warum nicht?“

„Weil …“ Er blickte auf, ihr direkt in die Augen. Erneut fühlte er heißes Verlangen in sich aufwallen und verwünschte seine Schwäche. „Weil es sinnlos ist.“

„Sinnlos?“

Salvatore nickte. Bei dem gemeinsamen Mittagessen am Strand waren ihm ein paar ernüchternde Dinge aufgefallen. Linas Turnschuhe schienen alles anderes als neu, genau wie ihr Roller. Sie war arm – und er nicht dumm. Die Klatschspalten waren voll davon, was für eine gute Partie er war. Aber in dem Rennen darum, wer ihn als Erste vor den Altar bringen würde, hatte Lina Vitale nicht den Hauch einer Chance, auch nur aus den Startblöcken zu kommen. So sehr unterschied sie sich von seinen üblichen Begleiterinnen. Und sie musste sich dessen bewusst sein. Er musste diesbezüglich ihre letzten Illusionen zerstören, ehe das zwischen ihnen irgendwie weiterging. Er musste ihr deutlich sagen, dass es keine wie auch immer geartete gemeinsame Zukunft für sie geben würde.

„Ich reise morgen ab. Und selbst wenn nicht, könnte das hier zu nichts führen, Lina, aus einer Vielzahl von Gründen. Wir sind zu verschieden, verstehst du?“

„Die Unterschiede sind mir egal!“, sagte sie heftig.

So viel Ehrlichkeit war er nicht gewohnt. Er fühlte sich überrumpelt. „Wenn du das hier wirklich willst …“

„Ich will es!“

„Wenn du dir absolut sicher bist“, sagte er nachdrücklich, „dann wäre es nur Sex. Eine Nacht, mehr nicht. Und genau deshalb sollte es nicht passieren.“

„Aber, was, wenn ich … Wenn ich nicht mehr will als Sex?“

Die richtige Antwort und die falsche Antwort zugleich. Ganz sacht streichelte Salvatore mit den Fingerspitzen ihren Arm hinunter und fühlte, wie sie erschauerte. „Bist du sicher, dass zu Hause kein Freund auf dich wartet?“

„Ganz sicher.“

„Oder ein Haufen Brüder?“, fügte er nur halb im Scherz hinzu.

Ein Schatten huschte über ihr Gesicht. „Ich bin ein Einzelkind.“

Das war der Moment, da er sie in seine Arme zog und küsste. Er hörte ihr lustvolles Seufzen und presste sie fester an sich, denn plötzlich war es ein Kuss wie kein anderer zuvor. Überwältigend. Elektrisierend. Salvatore durchzuckte es heftig, als Lina ihm die Zunge zwischen die Lippen schob … Gänzlich unbefangen und gerade deshalb unbeschreiblich erotisch! Genau wie die Art, wie sie ihre Hüften sanft kreisend an ihn drängte. Er fasste in ihre nassen Locken, konnte sie nicht nahe genug bekommen, küsste sie, bis er fühlte, wie ihr die Beine versagten. Dann erst ließ er von ihren Lippen ab, was sie mit leisem Protest quittierte.

„Ich will dich berühren. Deinen hinreißenden Körper erkunden. So …“ Er umfasste ihre vollen Brüste, fühlte, wie sie erschauerte. „Gefällt dir das?“

„Ja“, hauchte sie.

Lächelnd streifte er ihr den Badeanzug bis zur Taille herunter und beugte sich nacheinander zu ihren Brustspitzen herab, um sie mit dem Mund zu umschließen. Lina stöhnte lustvoll, krallte ihre Finger in sein dichtes Haar und schob ihm unbewusst einladend die Hüften entgegen. Er war so hart, dass er sie am liebsten auf der Stelle genommen hätte. Er wollte sie, hier und jetzt. Auf einer der Sonnenliegen am Pool oder sogar hier im Pool selbst … aber er hatte kein Kondom dabei, und so berauscht konnte er gar nicht sein, darauf zu verzichten. Andererseits wäre der erotische Bann womöglich gebrochen, wenn er sie jetzt allein ließe, um rasch im Haus zu verschwinden …

Also schob er sie sacht von sich fort und küsste sie zart auf den Mund. „Ich glaube es zwar nicht, aber man kann nie wissen, ob wir hier nicht irgendeinem Voyeur eine tolle Show bieten“, meinte er locker. „Warum gehen wir nicht ins Haus?“

„Was … was ist mit deinen Angestellten?“

„Wir sind allein. Ich habe ihnen freigegeben.“

Sie fragte nicht, warum. Zog einfach nur ihren Badeanzug wieder hoch. „Okay.“

„Dann los.“ Er nahm sie bei der Hand und führte sie zum Haus.

Lina hatte einen ganzen Schwarm Schmetterlinge im Bauch, als sie Salvatore durch den Garten folgte. Obwohl die warme Nachmittagssonne ihre Haut schnell trocknete, fröstelte sie. Ihr Hals war wie zugeschnürt. War sie verrückt geworden? Vielleicht. Auf jeden Fall war sie verrückt nach diesem Mann! Er brauchte sie nur anzusehen, geschweige denn zu berühren, und sie war verloren. Er hatte versucht, es ihr auszureden. Er hatte ihr deutlich gesagt, dass es sich nur um ein kurzes Abenteuer handeln würde, doch seltsamerweise war es ihr egal. Und war es nicht besser so, als wenn er sie mit irgendwelchen Lügen eingewickelt hätte?

Sie folgte ihm in die große Villa, ganz im Reinen mit sich. Wer konnte es ihr vorwerfen, dass sie das hier wollte? Getreu dem Versprechen, das sie ihrem sterbenden Vater gegeben hatte, war sie viel zu lange bei ihrer Mutter geblieben. So viele Jahre in einem lieblosen Dasein gefangen, versteckt in ihrem kleinen Dorf mit dem Gefühl, dass das Leben an ihr vorbeizog. Während ihre Freundinnen schon lange von Sex schwärmten, hatte Lina noch nie ein solches Verlangen empfunden … Doch nun bot sich ihr die Gelegenheit, eigene Erfahrungen zu machen. Endlich konnte sie herausfinden, was so Tolles daran war. Wer sollte ihr das verübeln?

Salvatore verharrte nur kurz in der luxuriösen Eingangshalle, um sie zart auf den Mund zu küssen. „Ich würde ja gern eine Hausführung mit dir machen, aber ich glaube nicht, dass ich mich im Moment wirklich darauf konzentrieren könnte …“ Er blickte ihr forschend in die Augen. „Gehen wir also gleich nach oben? Es sei denn, du hast es dir anders überlegt?“

Lina schüttelte den Kopf. „Nein“, flüsterte sie. „Ich habe es mir nicht anders überlegt.“

Ein seltsamer Ausdruck huschte über sein Gesicht, und für einen Moment befürchtete sie, ihm wären Zweifel gekommen. Dann aber packte Salvatore ihre Hand fester und zog sie hinter sich her eine imposant geschwungene Freitreppe hinauf. Oben stieß er ungeduldig eine massive Tür auf und drängte Lina in ein elegantes Schlafzimmer. Ihr blieb aber keine Zeit, die erlesene Schönheit des Raumes oder die atemberaubende Aussicht auf die sizilianische Landschaft zu bewundern, denn Salvatore presste sie sofort an sich, und sein unmissverständliches Verlangen entfesselte in ihr eine ebenso unbändige Leidenschaft. Mit beiden Händen strich er ihr die schwarzen Locken aus dem Gesicht, bevor er sie ausgiebig und intensiv küsste.

Es war, als eröffnete sich ihr eine völlig neue Dimension. Bereitwillig gab Lina dem Drängen seiner Zunge nach, während sie ihn mit beiden Händen immer verlangender streichelte. Und im Nu erwiderte sie seinen Kuss genauso leidenschaftlich und ungestüm. Nicht lange, und Salvatore schob sie sacht weg.

„Wollen wir das nicht ausziehen?“ Ungeduldig streifte er ihr den Badeanzug herunter. „Ich will dich nackt sehen.“

Als ihr Badeanzug zu Boden fiel, hätte Lina eigentlich große Scheu empfinden müssen, weil kein Mann sie je unbekleidet gesehen hatte. Seltsamerweise war das nicht der Fall. Aber welche Frau hätte sich nicht schön und stark gefühlt, wenn so ein toller Mann sie so bewundernd und verlangend betrachtete?

Salvatore unterdrückte eine deftige sizilianische Verwünschung, die Lina ihm gar nicht zugetraut hatte, als er sich etwas umständlich die engen Bade-Shorts auszog. Erst da begriff sie, wie erregt er war, und errötete unwillkürlich.

„Wirst du etwa rot?“, fragte er neckend und kam auf sie zu. „Und was könnte der Grund dafür sein, Signorina Vitale?“

Es lag ihr auf der Zunge, ihm ehrlich zugestehen, dass sie noch nie zuvor einen nackten Mann gesehen hatte, und schon gar keinen, der so unmissverständlich erregt war. Doch sie besann sich eines Besseren, denn dann hätte er erraten, dass sie noch Jungfrau war. Sie wollte nicht riskieren, dass er womöglich entsetzt zurückwich, um dann das sogenannte Richtige zu tun: Ihr befehlen, sich wieder anzuziehen, und sie in ihr Dorf zurückschicken. Sie würde auf ihrem kleinen Roller frustriert und gedemütigt nach Hause fahren mit dem schrecklichen Gefühl, im letzten Moment um die erste sexuelle Befriedigung ihres Lebens betrogen worden zu sein. Nein, sie wollte das hier unbedingt!

„Es … war sehr heiß draußen am Pool“, antwortete sie deshalb schnell.

„Und es wird gleich noch viel heißer werden.“ Salvatore lachte leise. „Komm her, bella.“

Ohne Vorwarnung hob er sie hoch und trug sie zu dem riesigen Himmelbett.

Dann begann er, sie am ganzen Körper zu streicheln, unglaublich zart und so verführerisch, dass sie tatsächlich glaubte, dahinzuschmelzen. Tief in ihr wuchs ein heißes Verlangen, das keinen Aufschub mehr duldete. Unwillkürlich schob sie Salvatore die Hüften entgegen, aber er berührte sie immer noch nicht da, wo sie es am meisten herbeisehnte.

„Salvatore“, flüsterte sie drängend, ohne genau zu wissen, was sie wollte.

„Ja?“ Er bedeckte ihren Hals mit erregenden Küssen, sein Atem streichelte warm ihre Haut. Dann schob er sacht eine Hand zwischen ihre Beine. „Ist es das, was du willst?“

„Ja …“ Sie schloss die Augen.

„Und das?“ Er berührte sie zart.

„Ja!“

Leise lachend begann er, sie auf so unbeschreiblich erotische Weise zu streicheln, wie sie es sich in ihren wildesten Träumen nicht hätte ausmalen können. Atemlos drängte sie sich seinen Fingern entgegen, trieb unaufhaltsam auf die Erfüllung zu. Plötzlich befand sie sich im freien Fall. Hatte das erregende Gefühl zu fliegen. Unter seinen Händen schien sie sich gänzlich aufzulösen … Aber nur, um kurz darauf auf völlig andere Weise neu zu erstehen.

„Ja“, feuerte Salvatore sie an, während er mit unverhohlenem Vergnügen zusah, wie sie kam. „Vom ersten Moment an wusste ich, welche Leidenschaft in dir schlummert.“

Sie flüsterte seinen Namen so sehnsüchtig, dass er erneut zufrieden lachte und nach einem Kondom auf dem Nachttisch griff. Und Lina hieß ihn in ihren Armen willkommen, als er sich auf sie legte und ihre Lippen in einem leidenschaftlichen Kuss suchte, der ihre Vereinigung schon vorwegnahm.

Er raunte: „Ich will dich so sehr, Lina.“

Dann flüsterte er: „Du fühlst dich unglaublich an.“

Es waren Worte, die Lina wie aus weiter Ferne wahrnahm und die sie restlos verzauberten. Zärtlich umfasste sie sein Gesicht mit beiden Händen. Denn, selbst wenn er diese Worte nicht ernst meinte, wer konnte ihr verbieten, sich so wundervoll zu fühlen in den Armen dieses Mannes, der wie ein strahlender Stern in ihre Welt gefallen war?

Im nächsten Moment jedoch, als er sie nahm, drohte das Märchen zu kippen. Salvatore spürte den unmissverständlichen Widerstand und verharrte plötzlich ganz still. Lina sah, dass ihm die Wahrheit dämmerte. Er fluchte auf Sizilianisch, so deftig, dass sie normalerweise errötet wäre, wenn sie nicht Wichtigeres im Sinn gehabt hätte. Ihr Traum drohte zu zerplatzen, ehe er richtig begonnen hatte.

„Du bist noch Jungfrau?“ Es war mehr eine Feststellung als eine Frage.

Sie nickte stumm.

„Warum hast du es mir nicht gesagt?“

Aber Lina war nicht in der Stimmung, Fragen zu beantworten. Ohne zu überlegen, drängte sie sich ihm entgegen, um ihn tiefer in sich aufzunehmen.

Salvatore fluchte erneut, diesmal jedoch ohne Überzeugung. Machtlos gegen das Aufwallen seiner mächtigen Gefühle, begann er sich zu bewegen. In ihr …

Er stieß zu, immer schneller, immer tiefer. Lina fühlte, wie diese unbeschreibliche Erregung erneut in ihr wuchs. Sie war kurz davor, die Kontrolle zu verlieren … Ehe sie jedoch zum nächsten himmlischen Flug abhob, war es um Salvatores Beherrschung geschehen. Mit einem Aufschrei kam er so heftig in ihr, dass sie ihr eigenes Verlangen vergaß.

Er sank in ihre Arme, und ihrer beider keuchender Atem war lange Zeit das einzige Geräusch in der Stille des großen Raumes.

4. KAPITEL

Zuerst glaubte Lina, allein zu sein, weil es so unglaublich still war. Kein Geräusch außer dem einsamen Ruf eines Vogels in weiter Ferne. Sie schlug die Augen auf und rekelte sich verschlafen in den zerwühlten Laken, während sich außerordentlich erotische Erinnerungsfetzen in ihr Bewusstsein schlichen. Dann sah sie Salvatore, eine Silhouette vor dem Fenster, die sich gegen das Licht der Morgensonne abzeichnete. Dunkel, unnahbar, unerhört sexy.

Und vollständig bekleidet.

Mit einem Mal wurden die Erinnerungen greifbar. Das erregende Gefühl, als er sie genommen hatte … Wie er sie ein ums andere Mal zum Höhepunkt gebracht hatte … Wie er sie danach immer zärtlich küsste, bis ihr Körper sich von der sinnlichen Ekstase erholt hatte …

Er musste gespürt haben, dass sie wach war, denn er drehte sich zu ihr um. Ihr fiel ein, wie sie ihm mitten in der Nacht, als sie beide wunderbar erschöpft beieinander lagen, ihre heimlichen Träume gestanden hatte. Dass sie es eines Tages schaffen würde, sich von ihrer Mutter zu lösen und etwas aus ihrem Leben zu machen.

„Du bist wach.“ Es war eine Feststellung, keine Frage.

„Ja“, bestätigte sie in möglichst unverfänglichem Ton. Als wäre das, was zwischen ihnen geschehen war, keine große Sache gewesen. Was es ja auch nicht war, wie sie sich energisch einredete. Sie hatte ihre Jungfräulichkeit verloren, mehr nicht. Viel zu lange hatte sie sich gefragt, ob ihr jemals ein Mann begegnen würde, der diese Leidenschaft in ihr wecken würde, von der sie bis dahin nur gelesen hatte. Und nun war es passiert. Was etwas Gutes war, solange sie nicht anfing, unrealistische Erwartungen darauf aufzubauen.

Es war ein One-Night-Stand, rief sie sich ins Gedächtnis. Nie als etwas anderes geplant.

Also lächelte sie. „Du siehst aus, als würdest du anderswo erwartet, hättest wichtige Dinge zu tun. Bitte, lass dich von mir nicht aufhalten.“

Salvatore blickte ihr in die Augen, unschlüssig, wie er darauf antworten sollte. Was völlig untypisch für ihn war, genauso wie die widerstreitenden Gefühle, die ihn bestürmten. Einerseits wollte er ihr sagen, ja, er würde woanders erwartet. So weit wie möglich weg von hier – und ihr.

Das aber wäre gleichbedeutend damit gewesen, wegzulaufen wie ein Feigling. Und Salvatore war kein Feigling, obwohl er an diesem Morgen Mühe hatte, klar zu denken. Denn Lina war tatsächlich noch Jungfrau gewesen.

Was er, wenn er ehrlich war, geahnt, aber in geradezu genialer Weise verdrängt hatte. Trotz ihrer Unerfahrenheit hatte sie ein scheinbar unstillbares Verlangen in ihm entfacht. In der vergangenen Nacht hatte er zeitweise wirklich das Gefühl gehabt, als hätte sie ihn gegen seinen Willen mit einem Zauberbann belegt. Salvatore behielt gern die Kontrolle im Schlafzimmer … wie in jedem anderen Bereich seines Lebens …, und diese ungekünstelte Dorfschönheit hatte ihn vorübergehend dieser Kontrolle beraubt.

Was ihm gar nicht gefiel.

„Alles okay?“, fragte er neutral.

„Bestens.“

Er schüttelte den Kopf. „Ich begreife es nicht“, gestand er ehrlich. „Warum schenkst du mir deine Jungfräulichkeit, Lina? Einem Mann, den du kaum kennst?“

Sie setzte sich hin und ließ das Laken achtlos heruntergleiten, was den Blick auf ihre hohen, straffen Brüste freigab. Ihre dunklen Locken fielen in seidigen Kaskaden über die rosigen Brustspitzen. Salvatore fühlte, wie sich erneut heftiges Verlangen in ihm regte.

„Ich habe dir meine Jungfräulichkeit nicht geschenkt“, verbesserte sie ihn bestimmt. „Genauso wenig, wie du sie dir genommen hast. Es ist einfach ein ganz natürlich Akt. Der Lauf der Welt, sozusagen, und es passiert ständig und überall.“

„Aber ganz offensichtlich nicht dir. Weshalb ich die Sorge habe, dass du sie an einen Mann wie mich vergeudet hast, der nur ein flüchtiges Abenteuer suchte. Eine entspannende Ablenkung nach einer Reihe von anstrengenden Tagen.“ Salvatore seufzte, während er sich fragte, warum er nach dem ersten Mal nicht getan hatte, was er hätte tun sollen, und sie in ihr kleines Bergdorf zurückgeschickt hatte. Warum er sie nicht noch in der Abenddämmerung nach Hause gefahren hatte, nachdem sie sich frischgemacht und den erotischen Duft ihres heißen Liebesaktes abgewaschen hatte. Doch sie hatte ihn mit ihren hinreißenden goldbraunen Augen angesehen, und all seine guten Vorsätze lösten sich in Nichts auf.

„Ich will nicht gehen. Ich will, dass du mich lehrst“, hatte sie geflüstert.

„Was soll ich dich lehren?“, hatte er erwidert, obwohl ihre Hand in seinem Schritt ihm genau verriet, was sie meinte.

„Alles über die Lust“, hatte Lina gehaucht.

Und er hatte es getan. Der Himmel mochte es ihm verzeihen, aber er hatte genau das getan. Vielleicht war es dieser berauschende Mix aus Unschuld und Verlangen gewesen, der ihm völlig den Verstand raubte. Wie begierig sie gewesen war, alles zu lernen, was ihm Lust bereitete. So oder so hatte er keine Chance gehabt, hatte sich ganz in ihren Armen verloren, ein ums andere Mal, bis die Morgensonne ihre ersten rosigen Strahlen über den Horizont schickte.

Jetzt sah er sie an, wie sie da gegen die weißen Kissen gelehnt im Bett saß, wie eine gefallene Madonna. Ihre schwarze Lockenmähne umschmeichelte wild zerzaust das ovale Gesicht mit den zart geröteten Wangen, und Salvatore begehrte sie erneut.

„Wird dich keiner vermissen?“, erkundigte er sich. „Wird sich keiner fragen, warum du in der Nacht nicht nach Hause gekommen bist?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe meiner Freundin Rosa im Nachbardorf eine Nachricht geschickt und sie gebeten, zu sagen, ich hätte bei ihr geschlafen, falls meine Mutter hinter mir hertelefoniert.“

„Nun ja, dann solltest du jetzt besser duschen. Ich lasse deinen Roller auf einen der Transporter laden. Dann kann ich dich vor deinem Dorf absetzen und du brauchst nicht die ganze Strecke zurückzufahren.“

„Nein, das ist wirklich nicht nötig. Ich schaffe es ohne Probleme allein nach Hause.“

Er stutzte, war es sichtlich nicht gewohnt, das jemand seinen Plänen widersprach. Lina rang sich ein Lächeln ab, schob die zerwühlten Laken beiseite und stand auf. Aber ihre taffe Haltung fiel in dem Moment von ihr ab, als sie die Badezimmertür hinter sich schloss. Mit pochendem Herzen lehnte sie sich dagegen. Was habe ich getan?

Der warme Wasserstrahl der luxuriösen Dusche löste zwar die Anspannung in ihren Muskeln, aber nichts konnte den Schmerz in ihrem Herzen verhindern, als ihr klar wurde, dass diese Nacht mit Salvatore wohl doch nicht so unkompliziert für sie war, wie sie es sich vorgestellt hatte. Es sollte nur und ausschließlich um Sex gehen. Warum hatte es sich dann nach so viel mehr angefühlt? Warum hatte Salvatore ihr mit seinen Liebkosungen und Küssen das Gefühl gegeben, etwas ganz Besonderes zu sein? Ihr war bewusst, dass dies ein gefährliches Gefühl war. Hatte er ihr doch brutal deutlich gesagt, dass er nur ein Abenteuer im Sinn hatte.

Rasch trocknete Lina sich ab, zog die zerknitterten Kleider vom Vortag an, strich sich mit den Fingern durch die Locken und kehrte ins Schlafzimmer zurück, wo wie durch Zauberhand ein Tablett mit Kaffee bereitstand. War die Haushälterin wieder zurück? Unbehaglich dachte Lina an den missbilligenden Gesichtsausdruck der älteren Frau bei ihrer Ankunft.

„Setz dich, und trink einen Kaffee, bevor du aufbrichst.“ Salvatore reichte ihr eine Tasse.

Eigentlich wollte Lina sich nicht unnötig länger hier aufhalten. Eher widerwillig nippte sie an dem starken, dampfenden Kaffee. Kaum, dass die Tasse leer war, wandte sie sich ihrem Rucksack zu, um sich zu vergewissern, dass sie all ihre Sachen beisammen hatte. Dann drehte sie sich wieder zu Salvatore um und bot ihre ganze Schauspielkunst auf.

„Schön.“ Ihr gelang ein strahlendes Lächeln. „Das wars dann. Zeit, dass ich mich auf den Weg mache.“

Er sah sie prüfend an. „Lina …“

„Nein.“ Sie hatte keine Ahnung, woher sie die Kraft nahm, zu unterbrechen, was ganz so klang, als sollten es Worte des Bedauerns werden. Aber sie hatte nicht vor, sich davonzustehlen, als müsste sie sich für etwas schämen. Denn sie hatte nichts Schlimmes getan. Lina hatte Sex gehabt, fantastischen Sex mit einem Mann, der sich als außerordentlich erfahrener und einfühlsamer Liebhaber erwiesen hatte. Darüber sollte sie sich doch eher freuen, oder? Er hatte ihr nicht versprochen, ihr die Sterne vom Himmel zu holen, und sie hatte ihn nicht darum gebeten. „Ich habe es genossen. Mehr, als ich es mir je hätte vorstellen können. Ich habe noch nie etwas Derartiges getan und werde es vermutlich auch nie wieder tun. Also sage ich jetzt einfach ciao, und du kannst dich deinen Tagesgeschäften widmen.“

Es war nur menschlich, dass sie eine Spur von Genugtuung empfand, als ein unbehaglicher Ausdruck über sein Gesicht huschte. Ganz so, als würden ihre Worte ihm nicht gefallen. Als würde derjenige, der üblicherweise bestimmte, wann und wie Schluss war, es ihr verübeln, dass sie es wagte, ihm diese Rolle wegzunehmen. Aber was hätte er schon sagen können? Was hätte er dagegen vorbringen können, dass sie sich einen würdigen Abgang sicherte? Indem sie ihn von jeglicher Verantwortung freisprach, fühlte sich Lina plötzlich selbst in ungeahnter Weise frei.

„Ich begleite dich nach draußen.“

„Das ist wirklich nicht nötig. Ich finde allein hinaus.“

„Ich sagte, ich begleite dich nach draußen“, wiederholte Salvatore langsam.

Für Lina war es irgendwie seltsam, denselben Weg durchs Haus zurückzugehen, den sie am Abend zuvor Hand in Hand mit Salvatore gegangen war. Und vielleicht noch seltsamer war es, ihren kleinen Motorroller samt Helm am Lenker vor dem Haus stehen zu sehen. Die kleine Maschine blitzte und glänzte, als ob sich jemand viel Mühe mit der Reinigung gegeben hätte. Wahrscheinlich war das ganz normal in Salvatores Welt der Reichen: Man drehte sich nur einen Moment weg, und schon waren dienstbare Geister da, um hinter einem sauberzumachen.

„Lina.“

Sie blickte zu ihm auf, sah ein Aufblitzen in seinen Augen und glaubte kurz, er wolle sie zum Abschied küssen. Ein letzter Kuss – wie eine Art Trostpreis. Etwas sagte ihr, wenn sie das zuließe, würde sich ihre harterrungene Fassung in Nichts auflösen. Und war Würde in einer solchen Lage nicht das Wichtigste? Deshalb wich sie rasch einen Schritt zurück, was Salvatore mit einem Stirnrunzeln quittierte.

„Was hast du?“

„Deine Haushälterin steht hinter den Fensterläden. Sie kann alles sehen.“

„Es ist mir egal, was sie sieht.“

Ihr fiel ein, was er gesagt hatte. Dass sie ihre Jungfräulichkeit vergeudet hätte. Warum sollte sie einen Mann küssen, der ihre gemeinsame Nacht derartig geringschätzig beurteilte? Lina stülpte sich den Helm über ihre Locken. „Aber mir vielleicht nicht.“

Ungläubig sah Salvatore zu, wie sie ihren Roller startklar machte. Lina Vitale schien es gar nicht erwarten zu können, zu verschwinden. Desto mehr widerstrebte es ihm, sie gehen zu sehen, weil normalerweise er derjenige war, der ging.

Anmutig schwang sie sich auf ihren Motorroller. Erinnerungen an die Nacht mit ihr stiegen in ihm auf. Ihr hinreißender Körper mit den reizvollen Rundungen, eine Haut wie Samt und Seide … Sollte er nicht froh sein, dass sie die Grenzen ihrer flüchtigen Beziehung so anstandslos akzeptierte?

Sie drehte am Handgriff, der Motor sprang an. Erneut wehrte sich etwas in Salvatore dagegen, sie gehen zu lassen. Frustrierte Sehnsucht wallte in ihm auf, als er ihr nachblickte, wie sie mit wehenden schwarzen Locken in den strahlenden sizilianischen Morgen davonfuhr.

„Du kleines Flittchen!“

Lina presste die Lippen zusammen, „Mamma, bitte …“

„Wie soll ich dich anders nennen, nachdem du gerade die Nacht mit Salvatore di Luca verbracht hast?“ Ihre Mutter sah sie vernichtend an. „Oder willst du es etwa leugnen, Nicolina?“

„Ich …“

Lina stand wie angewurzelt da. Das Herz pochte ihr bis zum Hals. Sobald sie, noch voller Erinnerungen an die heiße Liebesnacht, nach Hause zurückgekehrt war, hatte sie gespürt, dass etwas nicht stimmte. Dabei war sie fast stolz darauf gewesen, wie sie es geschafft hatte, sich so gelassen und ruhig von Salvatore zu verabschieden und die Dinge so zu akzeptieren, wie sie waren. Okay, sie hatte beim Wegfahren diesen kleinen Stich ins Herz verspürt. Aber das war doch nur menschlich. Welche Frau hätte sich nach so einer Nacht nicht mehr gewünscht? Doch all diese hoffnungslosen Sehnsüchte waren spätestens beim Anblick ihrer wütenden Mutter restlos vergessen.

„Wie hast du es herausgefunden?“, fragte sie nun errötend.

„Was denkst du? Ich habe Rosa angerufen. Die Freundin, bei der du angeblich die Nacht verbringen wolltest. Oh, sie hat versucht, sich herauszulügen!“ Signora Vitale redete sich jetzt in Rage. „Aber ich habe ihr kein Wort geglaubt! Und dann hat Sofia Bertarelli meinen Verdacht bestätigt, dass du bei ihm warst!“

„Sofia Bertarelli?“, fragte Lina verständnislos.

„Eine alte Kundin von mir, die zufällig eine Cousine der Haushälterin des Milliardärs ist!“ Die Stimme ihrer Mutter überschlug sich vor Empörung. „Sie konnte es gar nicht erwarten, mir das brühwarm zu erzählen! Ich hätte nie gedacht, dass du dich so benehmen könntest! Wie eine dahergelaufene kleine Hure! Die Nacht mit einem Mann zu verbringen, den du kaum kennst, und damit nicht nur deinen, nein, auch meinen Ruf zu ruinieren. Als ob ich nicht schon genug ertragen hätte!“ Ihre Mutter sah sie verbittert an. „Du wirst das Dorf nicht wieder verlassen, ehe du nicht ein paar Lektionen in Moral gelernt hast!“

Später würde sich Lina noch oft fragen, was sie in diesem Moment veranlasst hatte, in einer Weise für sich einzustehen, wie sie es nie zuvor geschafft hatte. Hatte ihre erste sexuelle Erfahrung sie in noch ganz anderer Hinsicht befreit, als ihr bewusst gewesen war? Hatte sie deshalb dem vorwurfsvollen Blick ihrer Mutter ohne Furcht und Reue standgehalten? In der wachsenden Erkenntnis, dass das alles völlig falsch war? Dass sie es nicht länger ertragen konnte? „Du hast mir nachspioniert“, sagte sie ausdruckslos.

„Natürlich habe ich dir nachspioniert! Und mit gutem Grund, wie es aussieht!“

„Dazu hattest du kein Recht“, erwiderte Lina ruhig. „Ich bin achtundzwanzig Jahre alt und sollte tun und lassen können, was ich will, solange es niemandem schadet.“

Aber ihre Mutter schien ihr überhaupt nicht zuzuhören. „Du wirst das Dorf nicht mehr verlassen, bis ich es dir erlaube. Du wirst hart arbeiten und deinen Platz im Leben akzeptieren. Höchste Zeit, dass du deine Dankbarkeit zeigst, indem du einen anständigen Mann heiratest, der um deine Hand anhält. Wenn es dafür nicht bereits zu spät ist! So oder so wirst du dich mit keinem Kerl mehr einlassen, der nur deine Dummheit und Naivität ausnutzt, um dich flachzulegen und dann sitzen zu lassen!“

Es war das Brutalste, das ihre Mutter je zu ihr gesagt hatte, und vermutlich deshalb für Lina der entscheidende Ansporn, etwas zu tun, was sie schon vor Jahren hätte tun sollen. „Du kannst mich nicht mit Gewalt hier festhalten“, sagte sie leise, aber bestimmt.

„Versuch nur, mich daran zu hindern!“

„Nein, mamma. Ich glaube, du verstehst nicht, was ich sagen will.“ Lina schaffte es, ruhig zu bleiben, obwohl ihr die Knie zitterten. „Ich will eine Veränderung. Ich brauche eine Veränderung und hätte das schon längst tun sollen. Ich habe es so satt, mich krumm zu arbeiten, ohne auch nur ein Dankeschön dafür zu bekommen. Genauso wie ich es satthabe, mich von dir herumkommandieren zu lassen, als wäre ich ein kleines Kind und keine erwachsene Frau.“ Sie atmete tief ein. „Ich gehe, mamma. Und zwar jetzt, auf der Stelle.“

„Ach, meinst du?“, konterte ihre Mutter schrill, während sie Lina nach oben in ihr kleines Schlafzimmer folgte. „Und wie soll ich das Geschäft weiterführen, wenn du nicht mehr für mich nähst?“

Lina zog einen alten Koffer vom Schrank herunter und begann, die Sachen zu packen, die sie sich für die Hochzeit ihrer Cousine in Florida geschneidert und dann doch nie gebraucht hatte. „Du kannst selber sehr gut nähen. Oder du suchst dir einen Lehrling? Im Dorf gibt es junge Mädchen, die sich über so ein Angebot freuen werden.“

„Und wohin willst du gehen? Was glaubst du, wer dich auf dieser Insel aufnehmen wird?“, fragte ihre Mutter giftig.

Lina klappte den Koffer zu und kramte ihren unbenutzten Pass und ihre Ersparnisse hervor, bevor sie sich ein frisches Kleid anzog. Selbst jetzt gestand ihre Mutter ihr keinerlei Privatsphäre zu! Ernüchtert wandte Lina sich wieder ihrer Mutter zu, die immer noch nicht wirklich begriffen zu haben schien. „Ich gehe ganz weg. Nach San Francisco.“

„Mit ihm?“ Signora Vitale lachte abfällig. „Bildest du dir ein, er will dich noch, nachdem er bekommen hat, was er wollte?“

Lina schüttelte den Kopf. Nein. So dumm war sie nicht. Sie bildete sich keineswegs ein, dass es für sie und Salvatore di Luca irgendein märchenhaftes Ende geben würde. Aber obwohl ihr milliardenschwerer Liebhaber keinen Zweifel daran gelassen hatte, dass er keine Beziehung mit ihr wollte, war sie doch sicher, dass er ein ehrenhafter Mann war und ihr seine Hilfe nicht verweigern würde. Er besaß einen eigenen Privatjet und war vermutlich auch in der Lage, ihr bei der Jobsuche in Amerika zu helfen. Für jemanden mit so viel Geld und Einfluss war das bestimmt keine große Sache.

Mehr wollte sie gar nicht von ihm.

Oder?

5. KAPITEL

Lina fröstelte angesichts des eisigen Ausdrucks in Salvatores Augen.

Natürlich war das Letzte, was er sich wünschte, dass sein One-Night-Stand plötzlich wieder vor der Tür stand und um Hilfe bat. Gerade in dem Augenblick, als er selbst aufbrechen wollte. Aber es war zu spät für einen Rückzieher, und was hätte sie auch sonst machen sollen?

Ihre Nerven waren zum Zerreißen angespannt gewesen, als sie wieder vor der riesigen Villa angekommen war. Hatte Salvatore Sizilien womöglich schon verlassen? Erleichtert sah sie, dass der Chauffeur gerade dabei war, ein paar exklusive Lederkoffer in den Kofferraum der Luxuslimousine zu laden. Salvatore war also noch da! Allerdings war er nicht gerade begeistert, sie zu sehen, als er im nächsten Moment selbst im Hauseingang auftauchte und mit skeptischer Miene zusah, wie sie von ihrem Motorroller stieg. Kein Wort der Begrüßung, nur dieser kühle, unbewegte Blick, gepaart mit einem Anflug von Ungeduld.

„Lina“, sagte er schließlich langsam, wobei er die dunklen Brauen fragend hochzog. „Hast du etwas vergessen?“

Sie war gekommen, um sich ihm auf Gedeih und Verderb auszuliefern, und rang nach Worten, wie sie ihre ungeheure Bitte möglichst diplomatisch verpacken konnte. Doch ihr fiel nichts anderes ein als die ungeschminkte Wahrheit.

„Ich brauche deine Hilfe.“

Seine Augen wurden schmal. „Wie soll ich das verstehen?“

Lina schluckte nervös. „Ich muss Sizilien verlassen“, sagte sie leise.

„Deine Urlaubspläne gehen mich wirklich nichts an.“

„Ich rede nicht von Urlaub. Ich dachte, ich … könnte dich um einen Rat bitten.“

„In welcher Sache?“

„Für die Suche nach einem Job.“

Salvatore erstarrte sichtlich, wie ein Raubtier, das Gefahr witterte. Dann schenkte er ihr ein flüchtiges Lächeln, als könnte er damit die Schärfe seiner Ablehnung mildern. „Ich fürchte, du sprichst mit der falschen Person. Zwar ist es richtig, dass ich eine große Belegschaft beschäftige, aber um Details wie Einstellungen kümmere ich mich nicht. Das macht meine Personalabteilung. Schau, Lina, ich will dir nicht wehtun, aber …“

„Nein! Vielleicht habe ich mich nicht klar ausgedrückt.“ Sein überraschtes Gesicht verriet, dass er es nicht gewohnt war, unterbrochen zu werden. Lina wunderte sich selber, wie sie den Mut dazu aufbrachte, aber wie hieß es doch? Verzweifelte Zeiten erforderten verzweifelte Maßnahmen, und sie war ziemlich verzweifelt. „Ich kann nicht nach Hause zurück. Meine Mutter hat herausgefunden, dass ich die Nacht mit dir verbracht habe. Es ist das Dorfgespräch. Wenn ich bleibe, macht sie mir das Leben zur Hölle.“

„Ich fürchte, das ist nicht mein Problem“, erwiderte er ungerührt.

„Das weiß ich. Aber ich dachte …“

„Weil ich die Nacht mit dir verbracht habe, wäre ich auch für dich verantwortlich?“, fiel er ihr scharf ins Wort. „Ist es das, was du gedacht hast, Lina? Obwohl ich dich ausdrücklich gefragt habe, ob du dir auch sicher bist, dass du mit mir schlafen willst? Deine Antwort war Ja. Tatsächlich warst du sogar die treibende Kraft, wenn ich mich recht erinnere. Obwohl dir klar gewesen sein muss, dass es herauskommen könnte.“

Lina presste die Lippen zusammen. Es war so verletzend, wie berechnend er ihr Tun darstellte. Diese bodenlose Arroganz! Wie hatte sie überhaupt mit ihm ins Bett gehen können? Aber was wusste sie schon von den Männern? Vielleicht reagierten sie ja alle so, wenn eine Frau sich ihnen leichtfertig hingab? Hatte man ihr das nicht von klein auf eingebläut? Dass ein Mann den Respekt vor einem Mädchen verlieren würde, wenn es zu schnell Sex mit ihm hatte? Sie schluckte. Was zwischen Salvatore und ihr gewesen war, hatte sich so wundervoll, so richtig angefühlt. Doch im Moment ging es darum gar nicht. Jetzt war nur wichtig, dass sie nicht wusste, wohin, und Salvatore di Luca unbedingt auf ihrer Seite brauchte.

„Natürlich bist du nicht für mich verantwortlich“, sagte sie deshalb ruhig. „Aber für mich wird das Leben unerträglich, wenn ich hierbleibe. Das zumindest kannst du doch sicher verstehen. Man wird sich den Mund über mich zerreißen, wenn ich nur zum Bäcker gehe, um Brot zu kaufen. Hast du vergessen, wie diese kleinen sizilianischen Dörfer sind?“

Er winkte ab. „Ich bin von hier fort, sobald ich konnte. Warum hast du nicht das Gleiche getan?“

„Weil es für Männer immer noch anders ist. Und weil …“ Sie räusperte sich. „Ich habe meinem Vater versprochen, dass ich bleiben und mich um meine Mutter kümmern würde. Doch inzwischen ist mir klargeworden, dass es ihr gar nicht guttut. Sie wird nur immer abhängiger von mir, und es ist höchste Zeit, dass sie auf eigenen Füßen steht.“ Lina nahm all ihren Mut zusammen. „Ich hoffe einfach, dass du mich nach Amerika mitnimmst.“

Er lachte ungläubig. „Im Ernst?“

„Alles, worum ich dich bitte, ist eine vorübergehende Unterkunft, bis ich Fuß gefasst habe.“

„Und das ist alles?“, meinte er spöttisch.

„Alle Auslagen zahle ich dir zurück, versprochen, und wenn ich den Rest meines Lebens dafür brauche. Ich will nur eine Chance, Salvatore“, flüsterte sie. „Hat dir keiner eine Chance gegeben, als du damals fort bist?“

Ihre Worte schlugen eine Saite an, die ihm unangenehm war. Ja, jemand hatte ihm eine Chance gegeben. Sein Patenonkel hatte ihm genug Geld für das Flugticket nach Amerika gegeben und um über die Runden zu kommen, bis er einen Job gefunden hatte.

Keiner konnte ihn daran hindern, sie wegzuschicken, in die Limousine zu springen und ohne einen Blick zurück davonzufahren. Ihre Mutter würde sich schon wieder beruhigen. Der Klatsch im Dorf würde sich spätestens legen, wenn ein neuer Skandal auftauchte. Er war nicht für diese Frau verantwortlich. Sie waren beide erwachsen und hatten sich darauf geeinigt, dass es ein One-Night-Stand sein sollte, mehr nicht.

Mehr nicht.

Er hatte ihr keine falschen Versprechungen gemacht. Er schuldete ihr nichts.

Nichts.

Doch Lina Vitale hatte mit untrüglicher Sicherheit bei ihm einen wunden Punkt getroffen. Denn Salvatore wusste sehr genau, wie der Dorfklatsch in einem so kleinen Ort funktionierte. Wie schnell die Leute jemanden verurteilten, vor allem, wenn es sich um eine Frau handelte. Wenn er sich jetzt von ihr abwandte und ging, würde er sie dann nicht dem Wölfen zum Fraß vorwerfen? Und erinnerte ihr ungestümer Eifer ihn nicht daran, wie er selbst damals vor all den Jahren gewesen war? So voller Leidenschaft, Ehrgeiz und Hoffnung?

„Du bist noch nie im Ausland gewesen, und ich glaube nicht, dass du begreifst, wie sehr sich Sizilien und Amerika unterscheiden“, wandte er zögernd ein. „Ein Kulturschock ist gar nichts dagegen. Du sprichst ja nicht einmal Englisch.“

„Oh doch“, widersprach sie stolz und wechselte sogleich in diese Sprache, überraschend flüssig, wenngleich mit einem hörbaren italienischen Akzent.

Salvatore fiel nun auch ins Englische, wobei ihm jedoch keinerlei Akzent anzuhören war. „Aber wie gut sprichst du es tatsächlich?“, forderte er sie heraus. „Es genügt nicht, nach der Zeit oder nach dem Weg zum Bahnhof fragen zu können!“

Sie sah ihn trotzig an. „Möchtest du mich vielleicht testen?“

Salvatore hätte fast gelacht. Am liebsten hätte er Lina jetzt in seine Arme gezogen und ihren hinreißenden Mund geküsst, so sexy war sie in ihrem Trotz. Plötzlich sah er sie wieder vor sich auf seinem Bett liegen, eine aufregend weibliche Silhouette auf den weißen, zerwühlten Laken. Er erinnerte sich, wie wunderbar sich ihre seidige Haut angefühlt hatte, als sie ihn mit ihren schlanken Beinen umfangen hatte. Welch eine unbeschreibliche Lust, als er sie zum ersten Mal genommen hatte, so überwältigend, dass er sich nicht hatte zurückhalten können. Noch nie zuvor war ihm das passiert.

„Wo hast du so gut Englisch gelernt?“, fragte er heiser.

„Im Dorf hatten wir eine Lehrerin“, antwortete Lina. „Eine Engländerin, die sich in einen sizilianischen Kellner verliebt hatte und nach Caltarina kam, um seine Frau zu werden. Sie machte es zu ihrer Mission, allen Kindern im Ort ihre Muttersprache beizubringen. ‚Wer weiß, wozu es einmal nützlich ist‘, sagte sie immer.“

„Und ganz offensichtlich hat sie dich nicht nur mit ihren Sprachfertigkeiten inspiriert“, meinte Salvatore spöttisch. „Hat sie dir auch beigebracht, dass du, sollte alles andere scheitern, immer noch einen Mann als Ausflucht aus einer Situation benutzen kannst, die dir nicht mehr gefällt?“

Linas Herz pochte heftig. „Denkst du wirklich, ich hätte mit dir geschlafen, um nach Amerika zu kommen?“

„Wer weiß?“ Er zuckte die breiten Schultern. „Manch einer hat viel Schlimmeres getan, um an eine Green Card zu gelangen.“

Lina runzelte die Stirn. War ihm denn nicht klar, dass die Frauen vor allem deshalb auf ihn flogen, weil er unwiderstehlich sexy war? Aber was er glaubte und dachte, war nicht ihr Problem. Für sie war nur wichtig, dass er ihr einen Platz in seinem Privatjet gab und eine vorübergehende Unterkunft, wenn sie in Amerika ankam.

„Wirst du mir also helfen, Salvatore? Nimmst du mich mit nach Amerika?“

Sein Schweigen kam ihr wie eine Ewigkeit vor. „Mein Jet startet in einer Stunde.“ Der Blick seiner blauen Augen war kalt und unergründlich. „Du kannst ein paar Wochen auf meinem Anwesen wohnen, aber nicht länger. Hast du mich verstanden?“

„Voll und ganz“, bestätigte sie rasch. Warum sah er sie so feindselig an?

„Dann steig in den Wagen.“

6. KAPITEL

An diesem Tag reihte sich ein Novum an das andere.

Noch nie zuvor war Lina zu einem privaten Flugplatz chauffiert und von allen, die ihr begegneten, wie eine Prinzessin behandelt worden. Sobald sie und Salvatore aus der Limousine stiegen, scharte sich sein persönlicher Stab um ihn, wobei Lina durchaus den ein oder anderen überraschten Blick bemerkte, als klar wurde, dass sie seine Reisebegleitung sein würde.

Wirkte sie irgendwie fehl am Platz in ihrem selbstgeschneiderten Kleid und den einfachen Segeltuchschuhen, die sie auf dem Wochenmarkt im Ort gekauft hatte?

Natürlich, aber sie durfte sich davon nicht beirren lassen. Es gab nichts, weshalb sie sich hätte schämen müssen. Sie war nicht Salvatores Geliebte. Nicht mehr. Dieser Teil ihrer Beziehung war vorbei. Daran hatte er keinen Zweifel gelassen, und sie hatte sich damit einverstanden erklärt. Jetzt nahm sie einfach das Mitreiseangebot eines Mannes wahr, der in der Position war, ihr helfen zu können. Sie würde ihm den Gegenwert des Fluges eines Tages voll zurückbezahlen.

Als sie in dem luxuriösen Jet den Sitzgurt anlegte, stieg plötzlich Panik in ihr hoch. Sie war noch nie geflogen. Nervös wandte sie sich an Salvatore, der neben ihr lässig die langen Beine ausstreckte. „Wir werden doch nicht abstürzen, oder?“, fragte sie über das Tosen der Turbinen hinweg.

Salvatore klappte seinen Laptop vor sich auf. „Meinst du nicht, ich würde mir die sichersten Flugzeuge und die besten Piloten leisten?“, entgegnete er ruhig.

„Und warum hat die Flugbegleiterin dann so viel Zeit darauf verwendet, auf die Notausstiege hinzuweisen und mir das Anlegen der Schwimmweste zu zeigen?“

Seine Mundwinkel zuckten amüsiert. „Das ist auf allen Flügen gesetzlich vorgeschrieben, Lina. Und ich hoffe, es kommen nicht noch mehr solche albernen Bemerkungen während des langen Flugs. Das würde meine Geduld wirklich überstrapazieren.“

„Keine Sorge, ich werde mich bemühen, meine albernen Bemerkungen für mich zu behalten“, entgegnete sie gekränkt. „Ich war einfach noch nie in einem Flugzeug.“

Salvatore blickte starr auf den Bildschirm, um nicht in die Versuchung zu kommen, ihr in die Augen zu sehen. Ausnahmsweise fiel es ihm schwer, sich auf die Diagramme vor sich zu konzentrieren. Er hatte zugelassen, dass Lust die Oberhand über seine Vernunft gewonnen hatte, und befand sich nun in einer Lage, die er sich nicht ausgesucht hatte.

„Wie wärs, wenn du etwas liest?“, schlug er schroff vor. „Lass dir ein paar Zeitschriften bringen.“

Mit einem ungeduldigen Seufzen wandte er sich wieder seinem Laptop zu. Wie immer hatte er vorgehabt, während des Flugs zu arbeiten. Eigentlich hörte er nie auf zu arbeiten, obwohl er es längst nicht mehr nötig gehabt hätte. Der Grund war ganz einfach. Bei Dollars und Cents wusste man wenigstens, woran man war. Sie konnten einen nicht betrügen, verletzen oder belügen. Das konnten nur Menschen. Und die Menschen, die einem am nächsten standen, schafften es, die größten Lügen zu erzählen.

Ein Bild von blutrot geschminkten Lippen und Fingernägeln tauchte vor ihm auf, begleitet von der Erinnerung an ein leises, spöttisches Lachen. Einmal mehr war Salvatore froh und dankbar, dass er in jeder Hinsicht selbstbestimmt, unabhängig und immun gegen die Tricks der Frauen war. Er seufzte. Wenn sich die Lust nur ebenso leicht kontrollieren ließe wie seine Emotionen. Unwillkürlich schweifte sein Blick zu Lina.

Er hatte sich wirklich eingebildet, er könnte ihre heiße Liebesnacht so einfach der Vergangenheit zuordnen. Und jetzt? Wider besseres Wissen hatte er eingewilligt, Lina vorübergehend Unterkunft zu gewähren! Umso wichtiger war es, Distanz zu ihr zu wahren! Er musste ihr unmissverständlich klarmachen, dass er für sie unerreichbar war. Aber vielleicht hatte er ihre Reize unterschätzt … Oder die Tatsache, wie stark sich seine sexuellen Bedürfnisse zu Wort meldeten, nachdem er ihnen offensichtlich zu lang keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Plötzlich war alle Arbeit vergessen. Lina Vitale allein stand im Zentrum seiner Aufmerksamkeit.

Sie sah in ihrem schlichten Sommerkleid so taufrisch und wunderschön aus, obwohl sie in der Nacht zuvor nur wenig geschlafen hatte. Keiner wusste das besser als er. Eng umschlungen hatten sie zusammen das erste rosige Licht des Morgens begrüßt. Lina in seinen Armen, ihr gebräunter Teint nur einen Hauch heller als seiner … Es war ein Anblick, den Salvatore unbeschreiblich erotisch gefunden hatte. Sie war seine erste sizilianische Geliebte, was vermutlich sehr vernünftige Gründe hatte. Aber Vernunft war das Letzte, woran er jetzt denken wollte.

Autor

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