JULIA Herzensbrecher Band 60

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IM GARTEN MEINER LIEBE von CATHY WILLIAMS

In seiner Luxusvilla auf Long Island will Amy ihren Chef verführen – und lernt dabei den Gärtner kennen, dessen Charme sie sofort ins Träumen bringt. Hals über Kopf stürzt sie sich in einen heißen Flirt mit ihm. Bis sie entdeckt: Rafael ist nicht der, der er zu sein scheint ...

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  • Erscheinungstag 09.08.2025
  • Bandnummer 60
  • ISBN / Artikelnummer 0824250060
  • Seitenanzahl 400

Leseprobe

Cathy Williams, Barbara McMahon, Olivia Gates

JULIA HERZENSBRECHER BAND 60

Cathy Williams

1. KAPITEL

Rafael Vives war nicht sicher, ob er amüsiert, verärgert oder wütend über seine derzeitige Situation sein sollte. Einen Mann, dessen Lebensinhalt die Arbeit war, konnte es schon frustrieren, zehn Tage lang als Babysitter in einer – wenn auch paradiesischen – Einöde festzusitzen. Selbst der Laptop, sein treuer und ständiger Begleiter, ohne den er verloren wäre, ließ ihn nicht vergessen, dass er nicht freiwillig hier im Gästehaus der Villa seiner Mutter auf Long Island weilte.

Obwohl Rafaels Büro in New York nicht allzu weit von dem riesigen Anwesen entfernt lag, hatte Eva Lee ihm nahezu befohlen, vor Ort zu bleiben und ein Auge auf seinen Halbbruder zu haben. Vermutlich kannte sie ihren ältesten Sohn gut genug, um zu wissen, dass er seinen Auftrag schlagartig vergessen würde, sobald er das Ungetüm aus Stahl und Glas in Lower Manhattan betrat.

Ursprünglich hatte seine Mutter sogar verlangt, dass er das Geschehen direkt überwachte. Er sollte in der Villa wohnen, in die James mehrere ihrer Beschäftigten aus London und New York zu einer Art „Bonuswoche“ eingeladen hatte. Mit Partys, Strandspielen und diversen anderen Aktivitäten und Ausflügen sollten die Angestellten für ihre erfolgreiche Arbeit belohnt werden.

Ob er selbst oder sein „kleiner“ Bruder entsetzter über Evas Plan gewesen war, konnte er nicht sagen. James erklärte ihm zumindest unverblümt, dass ihm das Blut in den Adern bei der Vorstellung gefröre, dass Rafael mit finsterer Miene in irgendwelchen Ecken stand und den Leuten Angst einjagte. Und für Rafael war der Gedanke unerträglich, rund um die Uhr mit all den Menschen zusammen sein zu müssen und selbst bei guter Führung nicht vorzeitig verschwinden zu dürfen.

Sein Bruder und er leiteten die börsennotierte Firma gewissermaßen gemeinsam. James, der blonde Sonnyboy mit den blauen Augen, fungierte primär als Marketingmanager, während Rafael der Kopf des Unternehmens und die treibende Kraft war.

Da diese Aufteilung sehr gut funktionierte, hatte ihre Mutter sich dem Kompromiss beugen müssen, den sie widerstrebend miteinander ausgehandelt hatten. James würde in der Villa den Gastgeber spielen, und Rafael bliebe von dem Treiben relativ unbehelligt. Aus sicherer Entfernung würde er vom Gästehaus auf dem drei Morgen großen Strandgrundstück darüber wachen, dass weder die Musik zu laut dröhnte noch Jubel, Trubel, Heiterkeit überbordeten.

Als James das letzte Mal Leute für mehrere Tage in die Villa eingeladen hatte, hatten sich Nachbarn über den Lärm beschwert. Dieser musste beträchtlich gewesen sein, wenn man bedachte, wie weit weg sie von ihnen wohnten.

Natürlich versuchte Rafael seiner Mutter auszureden, dass überhaupt ein Aufpasser erforderlich sei. Er meinte, dass sich der Zwischenfall von vor zwei Jahren bestimmt nicht wiederholen würde. Schließlich seien die Gäste Angestellte des Unternehmens und nicht wie damals Freunde von James im Alter von Anfang bis Mitte zwanzig. Aber er konnte sie nicht überzeugen, denn sie erinnerte sich noch mit Grauen daran, wie peinlich es ihr gewesen war, sich überall zu entschuldigen.

Und so saß er nun hier und sehnte sich schon am Ende des ersten Tages nach seinem erfüllenden Arbeitsleben. Zumindest ist die Umgebung zauberhaft, schoss es ihm durch den Kopf, während er gezwungenermaßen den Blick über die gepflegte Grünanlage schweifen ließ.

Eigentlich bin ich nicht oft genug hier, überlegte er einen flüchtigen Moment. Einst Familienresidenz, hatte Rafael hier eine herrliche Jugend verbracht. Während seines Studiums kam er nur noch gelegentlich auf das Anwesen, und seit er zu den Berufstätigen zählte, erschien er hier so gut wie gar nicht mehr.

Zunächst hatte er als Broker für eine der weltgrößten Maklerfirmen gearbeitet. Nach dem frühen Tod seines Stiefvaters, James’ Dad, trat er in das Familienunternehmen ein und leitete es. Seither waren Jahre ins Land gezogen.

Wie schnell die Zeit verflogen ist, dachte er und begann darüber nachzudenken, ob er vielleicht irgendwann aufwachen und feststellen würde, dass er ein Mann mittleren Alters war, der außer seinem Job nichts besaß.

Grimmig runzelte er die Stirn und trank einen Schluck von dem Whisky mit Soda, den er sich eingeschenkt hatte. Bei sich selbst Einkehr zu halten, passte nicht zu ihm. Er war immer zielorientiert gewesen und hinterfragte seine Planungen selten. Und damit würde er auch jetzt nicht anfangen.

Es wehte eine kräftige Brise, und aus der Ferne drangen Geräusche an sein Ohr, die davon kündeten, dass sich rund vierzig Leute amüsierten. Nein, es fiel ihm nicht schwer, sich vorzustellen, was dort drüben momentan los war.

Natürlich stände sein Bruder mitten im Geschehen, und wahrscheinlich wurden gerade Aperitifs gereicht. James und seine Gäste brauchten sich um nichts weiter Gedanken zu machen als darum, wie sie sich am besten amüsierten. Um das leibliche Wohl und alles andere kümmerte sich eine Heerschar von Fachkräften.

Rafael leerte sein Glas, lehnte sich gegen das Geländer der Veranda und seufzte erleichtert auf, weil ihm der ganze Trubel erspart blieb. Außerdem kannte er vermutlich keinen aus der versammelten Runde. Von James wusste er, dass die Direktoren, Buchhalter und Marketingleute, die immer im Rampenlicht standen, wenn der Erfolg des Unternehmens beklatscht wurde, eine Prämie bekamen. Doch die „vergessenen Mitarbeiter“, so hatte er gesagt, würden den einzigartigen Aufenthalt auf Long Island unglaublich genießen und sich ihr Leben lang daran erinnern.

Wen genau sein Bruder mit „vergessenen Mitarbeitern“ meinte, wusste er nicht. Allerdings musste er zugeben, dass James recht hatte. Man sollte nicht nur die belohnen, die offenkundig zum guten Geschäftsergebnis beitrugen, sondern auch all jene, deren Beteiligung daran weniger sichtbar war.

Geistesabwesend blickte er zum Atlantik in der Ferne, während er sich fragte, wie zwei Personen, die die gleiche Mutter hatten, so verschieden sein konnten. Er und James besaßen einen völlig unterschiedlichen Geschmack, was Freunde, Frauen und den Lebensstil betraf.

Plötzlich bemerkte er aus den Augenwinkeln eine Bewegung und hörte ein leises Rascheln. Nein, es war kein Tier, sondern ein Mensch. Dieser lästige Störenfried konnte nur von der Villa kommen und hatte sich wohl nach reichlichem Alkoholgenuss hierhin verirrt. Vorsichtig stellte er das Glas weg und verließ die Veranda.

Zwar setzte die Abenddämmerung bereits ein, aber er war nicht blind. Wenn die junge Frau, die sich davonzustehlen versuchte, glaubte, er habe sie nicht gesehen, konnte sie nur über einen erbsengroßen Verstand verfügen. Natürlich war sie blond und trug verblichene, abgeschnittene, hautenge Jeans sowie ein kurzes Top, das nicht bis zum Hosenbund reichte. Sie zählte genau zu den Frauen, für die er überhaupt nichts übrig hatte.

„Hallo, Sie da!“

Seine Stimme ließ Amy zusammenschrecken, und sie schrie leise auf, während sie die Flucht ergriff. Dieser finster wirkende Zeitgenosse machte nicht den Eindruck, als fände er es lustig, dass sie unabsichtlich seinen Besitz betreten hatte.

Nur war es, selbst wenn man nicht unter dem Jetlag litt, nicht einfach, festzustellen, wo James Lees Grund und Boden begann oder endete. Das Anwesen war riesig, und die Villa konnte man fast schon als Hotel bezeichnen. Obwohl Amys innere Uhr ihr geraten hatte, besser ins Bett zu gehen, hatte die gepflegte Grünanlage sie magisch angezogen und zu einer kleinen Erkundungstour eingeladen.

So kam es zu der Situation, dass sie vor diesem imposanten Hünen floh, der von der Veranda seines Hauses auf sie zumarschierte. Nun müsste ich eigentlich in Sicherheit sein, dachte sie und atmete erleichtert auf, als sie schmerzhaft an der Schulter festgehalten und zum Stehenbleiben gezwungen wurde.

Im nächsten Moment wurde sie herumgewirbelt und blickte dann hoch und immer höher – bis sie in eine so strenge und Furcht einflößende Miene schaute, wie sie sie bisher noch nicht gesehen hatte. Der Fremde schien sie mit seinen schwarzen Augen zu durchbohren und kniff die Lippen vor unterdrücktem Ärger zusammen.

Hektisch überlegte Amy, welche Gefahren ihr drohen könnten. Aber sie war kein Mensch, der sich schnell einschüchtern ließ, und binnen Sekunden setzte sich ihr Temperament durch. „Wer, zum Teufel, sind Sie?“

„Was, zum Teufel, tun Sie hier?“

Sie hatten gleichzeitig geredet und blitzten einander grimmig und wütend an. Energisch entfernte sie seine Hand von ihrer Schulter und rieb sich diese bezeichnend, während sie einen Schritt zurückwich.

„Ich habe zuerst gefragt.“ Angriff war bisweilen die beste Verteidigung. Insbesondere, da sie ausgerechnet jetzt die Schlagfertigkeit zu verlassen drohte, die sie normalerweise auszeichnete. Zornig funkelte sie den Mann an, dem sie bei ihrer Größe von ein Meter sechzig noch nicht einmal bis ans Kinn reichte.

Rafael atmete tief ein und mobilisierte seine Selbstbeherrschung, dank derer er nicht zuletzt ein mächtiger Mann in der Welt der Hochfinanz geworden war. Ohne ein Wort drehte er sich um und trat den Rückweg zum Haus an, obwohl er die Begegnung gern ausgedehnt hätte, um die verflixte Blondine in die Schranken zu weisen.

„Hey, Mister. Wohin, zum Kuckuck, gehen Sie?“

Wieder drehte er sich um und sah sie starr an. Sie hatte sich nicht von der Stelle gerührt, stemmte die Arme jetzt jedoch in die Hüften. Der Wind zerzauste ihr die Locken, wehte sie mal hierhin, mal dorthin. Das kurze Top war etwas höher gerutscht und offenbarte ein klein wenig mehr von ihrem flachen Bauch. Ja, dieses Wesen entsprach ganz dem Bild, das sein Bruder von einer perfekten Frau hatte. Möglicherweise mit einer Ausnahme: Sie besaß keine üppigen Brüste.

„Wie bitte?“, fragte er mit eisiger Höflichkeit.

„Sie haben mich sehr wohl verstanden.“ Amy machte einige Schritte auf ihn zu. „Wer, zum Teufel, sind Sie, und was tun Sie auf James Lees Besitz?“

„Große Güte. Eine Verrückte. Vermutlich gehören Sie zu seinen Gästen in der Villa und sind ein bisschen angetrunken.“ Er blickte auf seine Uhr. „Nicht schlecht, wenn man bedenkt, dass Sie noch nicht sonderlich lange da sind.“ Er lachte sarkastisch, und sie errötete.

„Was fällt Ihnen ein?“

Kritisch betrachtete er ihr Gesicht. Man hätte es wohl als hübsch im üblichen Sinn bezeichnen können, wäre da nicht dieser lebhafte Ausdruck gewesen. Vermutlich ist sie dreist und angeberisch, überlegte er angewidert.

Zornig funkelte Amy ihn an. „Weiß James, dass Sie hier sind? Bestimmt nicht! Er hält sich nicht oft auf dem Anwesen auf und ist sicher hocherfreut zu erfahren, dass sich hier ein Landstreicher herumtreibt.“

„Ein Landstreicher?“ Rafael lachte schallend.

„Ja, sehr richtig.“ Zwar sah er nicht wirklich danach aus, aber auch nicht so wie die Leute, mit denen James normalerweise verkehrte. Nicht, dass sie sich dazuzählen konnte. Doch waren sie ihr in gewisser Weise vertraut, denn sie begegnete ihnen oft genug. Amy leitete die Kantine der führenden Angestellten und bereitete nach Dienstschluss zuweilen etwas für James und seine Freunde zu, bevor diese zu einem angesagten Londoner Nachtklub aufbrachen.

Natürlich wusste niemand in der Chefetage davon. Es war seit anderthalb Jahren James’ und ihr kleines Geheimnis. Ein Geheimnis, das typisch James war, der eine so gewinnende Art besaß und Konventionen charmant ignorierte, wenn diese ihn behinderten.

Hatte sie nicht deshalb angefangen, sich in Tagträumereien über ihn zu verlieren? Oh, er war so viel mehr als nur attraktiv und vermögend!

„Ich bin kein Landstreicher“, erklärte Rafael, nachdem er sich wieder beruhigt hatte, und riss sie aus ihren Gedanken. „Etwas Lächerlicheres habe ich noch nie im Leben gehört.“

„Wer sind Sie dann?“

„Jemand, der nicht vorhat, hier herumzustehen und eine sinnlose Diskussion mit einer angetrunkenen Frau zu führen.“

„Ich bin nicht angetrunken.“

„Aber Sie benehmen sich so“, erwiderte er verächtlich. Manche Männer mochten laute Frauen, er allerdings nicht. Er schätzte es, wenn sie kultiviert, elegant und beherrscht waren. „Und ich habe kein Verlangen, mich mit einer Marktschreierin zu unterhalten.“

Amy rang nach Atem. Seine Manieren entsetzten sie. Ein bisschen Höflichkeit wäre sicherlich angebracht, zumal er mit einem Gast des Mannes redete, auf dessen Anwesen er sich eingenistet hatte. Ob mit dessen Erlaubnis oder ohne musste sie erst noch herausfinden.

Wieder hatte er ihr den Rücken zugewandt und schlenderte auf die Haustür zu, die er hinter sich zuschlug, als sie sie fast erreicht hatte. Wie Rafael nicht anders erwartet hatte, hämmerte sie Sekunden später vehement dagegen. Bei dem ganzen Lärm, den sie schon veranstaltet hatte und noch immer verursachte, würden sich die Nachbarn womöglich am Ende über ihn beschweren.

Er stellte sich so nah an die Tür, dass er kaum die Stimme heben musste, um draußen verstanden zu werden. „Verschwinden Sie. Sie machen sich lächerlich. Es kümmert mich verdammt wenig, ob Sie angetrunken sind oder nicht. Ich habe nur keine Zeit für Frauen, die glauben, sie könnten mit Herumbrüllen ihren Willen durchsetzen. Kehren Sie zurück zu dem fröhlichen Treiben in der Villa und genehmigen Sie sich noch ein paar Drinks, um dann wie alle anderen geschafft ins Bett zu fallen.“

„Wenn Sie mir nicht sagen, wer Sie sind, werde ich Sie James melden“, antwortete sie in seiner Lautstärke, allerdings unsicher, ob sie seinen kühlen, strengen Ton richtig traf. Auch hoffte sie, dass sie sich nicht wie ein bockiges Kind anhörte, das mit Petzen drohte, nachdem der Wutanfall nichts bewirkt hatte. „Ich bin nüchtern genug, um zu wissen, dass Sie sich hier vielleicht unbefugt aufhalten.“

Tatsächlich hatte sie keinen Tropfen Alkohol getrunken, obwohl es reichlich davon gab. Auf dem Programm standen diverse Besichtigungsfahrten, und sie wollte keine wegen eines Katers versäumen. Außerdem hatte sie nicht vor, kostbare Minuten, die sie mit James verbringen konnte, durch unnötig langes Schlafen zu verschenken.

Sie beobachtete verwundert, wie die Tür aufging. Ärgerlich blitzte der Mann sie an und erklärte, dass sie hereinkommen dürfe. Er hatte das Licht eingeschaltet, und so konnte sie ihn zum ersten Mal ganz genau sehen. Dass er ein Riese mit schwarzen Haaren war, hatte sie bereits gemerkt. Doch nicht, wie ungeheuer sexy er war, und zwar auf eine kraftvolle, schwerblütige und irgendwie eigenwillige Weise. Sie riss sich von seinem Anblick los, der ihr fast den Atem raubte, und schaute sich um.

Das Haus war vielleicht klein, aber alles andere als ärmlich ausgestattet. Es hatte einen wunderschönen alten Dielenboden und einen gemütlichen Wohnbereich, den ein großer offener Kamin beherrschte. Die Küche, deren Tür nicht verschlossen war, wirkte hochmodern, und eine Treppe führte nach oben, wo wohl die Schlafzimmer lagen.

„Keine schlechte Unterkunft für einen Landstreicher“, sagte Amy und fügte ein „Ha, ha“ hinzu, als er die Stirn runzelte. „Es tut mir leid, wenn Sie sich in Ihrem Stolz verletzt fühlen, weil ich Sie so genannt habe. Ich war nur etwas bestürzt, als ich bemerkte, dass sich hier, Kilometer von der Villa entfernt, jemand versteckt.“

Starr betrachtete Rafael sie und war gegen seinen Willen fasziniert. Ihr Mund stand offenbar kaum einmal still, und jetzt schlenderte sie herum, als wäre sie hier tatsächlich zu Gast und hätte sich nicht erst durch eine Drohung Zugang verschafft.

Seine Anwesenheit vor Ort sollte kein offenes Geheimnis werden. Er wollte die Stimmung der Leute wirklich nicht dämpfen, allerdings auch die Verpflichtung vermeiden, sich zu ihnen gesellen zu müssen. Ihre Vorstellungen von Amüsement deckten sich nicht mit seinen. Er bevorzugte ein Abendessen mit Freunden oder Besuche in kleinen Jazzlokalen mit gleichgesinnten Frauen. Bestimmt entsprach es nicht seinen Neigungen, bis zum Morgengrauen beim Pool der Villa mit Fremden zu trinken, die ihn vermutlich nicht besonders interessierten. Und dasselbe galt für diese Frau, die jetzt vor ihm stand.

„Wenn Sie kein Landstreicher sind, wer sind Sie dann?“

Ihr Boss, war er versucht zu antworten. Es überraschte ihn nicht, dass sie ihn nicht kannte. Als eine aus der Liga der „vergessenen Mitarbeiter“ arbeitete sie wahrscheinlich weit weg von der Chefetage. Außerdem war er nur sehr selten in England. Er regelte das meiste von New York aus, und sie stammte zweifellos aus London, wie ihr Akzent verriet.

„Ich bin der … Gärtner.“

„Und Sie wohnen hier?“

„Wo sollte ich sonst wohnen?“

„In einem kleinen durchschnittlichen Haus auf einem kleinen durchschnittlichen Grundstück irgendwo in der Nähe … wie jeder andere normale Gärtner …“

„Falls Sie es nicht bemerkt haben, handelt es sich hier nicht einfach um irgendeinen Garten. Ihn zu pflegen, ist eine Vollzeitbeschäftigung, und deshalb wohne ich vor Ort.“

„Und Ihre Leute kommen täglich her, um die Rasenflächen zu mähen …“ Das ergab schon ein wenig mehr Sinn, denn sie konnte ihn sich nicht wirklich als jemanden vorstellen, der einen Rasenmäher schob. Nicht, dass ihm die nötigen Muskeln dazu fehlten. Er sah nur eher wie ein Mann aus, der Befehle erteilte – und es genoss. Augenblicklich empfand sie großes Mitleid mit seinen Arbeitskräften.

„Sie mähen den Rasen … kümmern sich um die Blumenbeete … tun alles, was gemacht werden muss …“

„Und Sie schwingen das Zepter“, sagte Amy scherzhaft, aber er lächelte nicht ansatzweise.

Besaß er denn keinen Sinn für Humor? Sie mochte Menschen, die Spaß verstanden, und lachte gern. Das hatte sie von ihren Eltern gelernt. Sie stammte aus einer Großfamilie mit sechs Kindern, und bei ihnen war es stets sehr fröhlich zugegangen.

„Sind Sie immer so … ernst?“ Sie blickte ihn an, jedoch nicht zu lange, denn er war zweifellos sehr sexy. Zumindest wenn man schwerblütige Männer mochte. Was nicht auf sie zutraf.

Rafael war es nicht gewöhnt, dass man so mit ihm redete. Einen Moment machte sie ihn sprachlos, und in die eintretende Stille hinein fuhr Amy munter fort: „Ich meine … worüber sollten Sie sich den Kopf zerbrechen? Sie wohnen in einem zauberhaften Haus, das Ihr Boss bezahlt. Und bestimmt genießen Sie noch viele andere Vergünstigungen.“

„Vergünstigungen?“

„Sicher.“ Sie zählte sie nacheinander an den Fingern ab. „Einen Dienstwagen, der irgendwo in einer Garage parkt und vermutlich keine Klapperkiste ist. Einen Pensionsplan. Eine Prämie am Jahresende. Habe ich recht?“ Die Müdigkeit von vorhin schien völlig verflogen. „Ihr Schweigen reicht als Antwort. Sie sind ein Glückspilz.“

Rafael beabsichtigte nicht, sich von einer dümmlichen Blondine in ein Gespräch verwickeln zu lassen. Er öffnete den Mund, um ihr höflich, aber energisch zu erklären, dass es Zeit wäre zu gehen, als er sich fragen hörte: „Warum sagen Sie das?“

Amy lächelte. „Weil ich einen ähnlichen Job, jedoch nicht Ihre Vergünstigungen habe.“

„Sie sind … Gärtnerin?“

„Nein, Kantinenwirtin.“

„Und die beiden Berufe gleichen sich?“

„In gewisser Weise. Wir arbeiten beide mit den Händen und sind kreativ.“

„Ich kann nichts Kreatives am Gärtnern finden.“

Überrascht sah sie ihn an, und wieder spürte sie seine starke Ausstrahlung. Wie albern! „Warum tun Sie es dann?“

Ungeduldig zuckte er die Schultern und fuhr sich mit den Händen durchs Haar. „Ich habe Ihren Wunsch erfüllt und Sie hereingelassen. Sie wissen nun, warum ich hier bin, und jetzt sollten Sie wieder in die Villa zurückkehren. Allerdings wäre es mir lieb, wenn Sie meine Anwesenheit hier für sich behielten.“

„Warum?“

„Weil ich nicht von James’ Hausgästen bei meiner Arbeit gestört werden will.“

„Sie reden Ihren Boss mit dem Vornamen an? Hm.“ Amy dachte einen Moment darüber nach und lächelte dann. „Das ist nicht wirklich verwunderlich.“

„Was ist nicht verwunderlich?“ Rafael runzelte die Stirn. „Nein, vergessen Sie die Frage. Haben Sie eine schöne Zeit hier.“ Damit wandte er sich zur Tür, um der jungen Frau keine Gelegenheit zu geben, ihn weiter mit ihrem Gerede zu behelligen.

„Ist Ihnen aufgefallen, dass wir uns nicht miteinander bekannt gemacht haben?“ Sie streckte ihm die rechte Hand entgegen. „Ich heiße Amy.“

„Warum hätten wir das tun sollen?“ Schon öffnete er die Tür und schob eine Hand in die Tasche seiner cremefarbenen Bermudashorts.

Selbst am Abend herrschten noch Temperaturen, die es erlaubten, in kurzer Hose und T-Shirt herumzulaufen. Und das empfand Rafael als Luxus pur, denn normalerweise trug er tagaus, tagein maßgeschneiderte Anzüge.

„Das ist sehr unhöflich.“ Amy ließ den Arm sinken und ging mit bösem Blick an ihm vorbei nach draußen.

„Was ist sehr unhöflich? Ach, wissen Sie was? Es interessiert mich eigentlich nicht wirklich.“ Er beobachtete, wie die Brise mit ihren herrlichen blonden Locken spielte.

„Mir ist es egal, ob es Sie interessiert oder nicht. Ich sage es Ihnen trotzdem. Es ist unhöflich, jemanden anzusehen, als hätte er eine ansteckende Krankheit, wenn dieser Jemand sich einfach nur vorstellen möchte. Wenn Sie mir Ihren Namen nicht nennen wollen, ist das okay. Es ist nicht so, als wäre ich …“

„Rafael.“

„Wie bitte?“

„Rafael. Rafael Vives.“ Jetzt streckte er ihr die Hand entgegen, und als Amy sie ergriff, kam es ihr vor, als würde ein Stromstoß durch ihren Körper jagen. Im nächsten Moment war es vorbei.

„Ich bin Amy.“ Ihr Ärger war schon wieder verflogen. „Rafael … Das ist ein ungewöhnlicher Name. Ist er … italienisch?“

„Spanisch“, antwortete er schroff. „Werden Sie den Weg zurück zur Villa finden?“

„Oh ja. Wie kommt ein spanischer Gärtner nach Amerika?“ Sie holte ein Gummiband aus der Hosentasche und machte sich einen Pferdeschwanz.

„Kaufen Sie sich ein Buch über die amerikanische Geschichte, lesen Sie es quer, und Sie werden erfahren, wie wir Spanier hierher gelangt sind. Leben Sie wohl.“

„Sie sind sehr arrogant, oder?“

„Ja, das bin ich. Und da wir das nun geklärt haben, können Sie gehen.“

Zu seiner Erleichterung reagierte sie endlich auf diesen Wink und schlenderte davon. Nach wenigen Metern blieb sie stehen, blickte um sich und marschierte in eine andere Richtung weiter. Kurz darauf hielt sie erneut und sah sich um.

Ihr Benehmen hätte ihn zweifellos amüsiert, wäre ihm nicht klar gewesen, dass er ihr früher oder später helfen müsste. Das Anwesen war riesig und für einen Fremden schwer zu überschauen, vor allem bei Dunkelheit. Zwischen den einzelnen Rasenflächen gab es Wäldchen, dichte Sträucher und sogar einen kleinen Teich mit einem Wasserfall. Das Gästehaus lag ziemlich versteckt. Es diente einst als Unterkunft für den Chef des Villenpersonals, als diese noch ständig bewohnt war.

Seufzend holte Rafael den Schlüssel und schlug die Tür hinter sich zu. Er eilte hinter Amy her, die erneut in die Irre lief, fasste sie am Arm und lenkte sie in die richtige Richtung. „Du liebe Güte. Haben Sie keinen Orientierungssinn?“

„Ich hätte mich schon irgendwann zurechtgefunden! Und würden Sie mich jetzt wieder loslassen? Sie sind kein Polizist, und ich bin nicht Ihre Gefangene.“

„Ich sorge lediglich dafür, dass Sie von meinem Besitz verschwinden.“

Ihrem Besitz? Das ist wohl etwas vermessen angesichts der Tatsache, dass Sie nur der Gärtner sind. Ich weiß, dass der Garten außergewöhnlich groß ist und Sie deshalb ein außergewöhnlich wichtiger Gärtner sein müssen, aber trotzdem sind Sie bloß der Gärtner.“

„Sind Sie eigentlich jemals still?“

„Sind Sie jemals höflich?“ Sie stellte den Versuch ein, sich aus seinem eisernen Griff zu befreien. „Es ist nicht meine Schuld, dass das Anwesen so riesig ist … Na ja, vielleicht hätte ich bei den anderen bleiben sollen.“

„Ja, und warum haben Sie es nicht getan?“ Ihr Arm fühlte sich zerbrechlich an. Überhaupt war sie ein sehr zierliches Persönchen und vermutlich leicht wie eine Feder. Rafael ließ sie los und schob die Hände in die Hosentaschen.

„Ich war müde. Normalerweise feiere ich gern, doch vorhin wollte ich ein wenig allein sein.“

„Es war eine Party im Gange, als Sie die Villa verlassen haben?“, fragte Rafael alarmiert. „Was war das für eine Party?“

„Och, das Übliche. Laute Musik und Leute, die in die Blumenbeete torkeln oder nackt im Pool baden.“

Energisch drehte er sie zu sich. „Sie scherzen, oder? Ich hätte den Lärm doch gehört.“

Erstaunt blickte Amy ihn an und begann dann zu lachen. „Natürlich gab es keine Party, Mister Gärtner. Ich meinte, dass ich nach dem Begrüßungscocktail beschlossen habe, mir mit einem Spaziergang die Müdigkeit zu vertreiben. Jeder hat sich sehr gesittet verhalten, und den Blumen in den Beeten geht es blendend, falls Sie deshalb beunruhigt sind.“

„Ich bin aber nicht wegen der verflixten Blumenbeete besorgt.“

„Was bedeutet, dass Sie Ihren Beruf nicht ernst genug nehmen“, tadelte sie ihn neckend. „Warum, in aller Welt, interessiert es Sie, ob James in der Villa feiert oder nicht? Es ist letztlich nicht Ihre Angelegenheit, oder?“

„Dort hinten können Sie die Lichter sehen. Gehen Sie einfach darauf zu.“

„Heißt das, Sie werden mich nicht wie ein Gentleman zur Haustür begleiten? Und bevor Sie mich jetzt wieder finster betrachten … Es war nur ein Witz. Sagen Sie, fühlen Sie sich nie einsam?“

„Wie bitte?“

„Fühlen Sie sich nie einsam? So allein hier draußen von der Dämmerung bis zum Morgengrauen?“

„Was lässt Sie denken, dass ich hier draußen allein bin?“ Rafael konnte nicht widerstehen, sie das zu fragen, und bemerkte selbst in der Dunkelheit ihre verlegene Miene. „Glauben Sie nicht, dass es eine Frau gibt, die mir gern hilft, gelegentliche einsame Nächte zu vertreiben?“

Amy spürte, wie sie errötete, während sie nach einer Antwort suchte. „Ihre … Reaktion auf die Party … schien mir etwas vehement, darum meinte ich, dass Sie vielleicht … na ja …“

„Dass ich ein Langweiler bin, dessen größte Freude es ist, Rosensträucher zu beschneiden, und der nur verächtlich schnaubt, wenn Leute sich vergnügen?“

„Nein, natürlich nicht.“

„Keine Sorge, ich weiß, wie ich mich amüsiere, kleine Amy.“

Ein Schauer nach dem anderen durchrieselte sie bei seinen Worten. Irgendwie gelang es ihr, ein Bild von James vor ihr geistiges Auge zu zaubern, wie er schalkhaft lächelte. So schaffte sie es, das beunruhigendere andere Bild zu verdrängen – das von Rafael, dem arroganten Gärtner, in den Armen einer Frau, die ihm half, eine einsame Nacht zu vertreiben.

„Ich habe nur nichts für Partys übrig. Mich sinnlos zu betrinken, hat mich noch nie besonders gereizt.“

„Ja, den Eindruck vermitteln Sie.“ Seine Körpersprache verriet ihr deutlich, dass es ihm ziemlich egal war, was sie von ihm dachte, aber sie konnte die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Er mochte zwar überheblich und wenig unterhaltsam sein, doch daneben strahlte er auch etwas seltsam Faszinierendes aus. „Vermutlich sind Sie noch nie auf einer wirklich guten Party gewesen. Es geht nicht so sehr darum, sich sinnlos zu betrinken, sondern mit netten Leuten bei toller Musik zusammen zu sein und viel zu tanzen.“ Sie lächelte angesichts seiner leicht angewiderten Miene. „Welchen Aspekt finden Sie abstoßend?“

„Den, der nach Unmäßigkeit riecht“, antwortete Rafael kühl. „Und der droht man zu erliegen, es sei denn, man verschwindet. Als die begeisterte Partybesucherin, die Sie sind, legen Sie sicherlich nicht viel Wert auf Privatsphäre. Mir hingegen ist sie wichtig, weshalb ich es schätzen würde, wenn Sie sie respektierten und meinem Haus fernblieben. Können Sie das begreifen?“

Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie fühlte sich zutiefst verletzt. „Es tut mir leid“, sagte sie leise, und Rafael kam sich wie ein Unmensch vor.

Er nickte ihr kurz zu und drehte sich um. Schlimm genug, dass er hier sein musste, während er eigentlich dringend tausend andere Dinge zu erledigen hatte. Da konnte er es nicht auch noch gebrauchen, dass die Gäste aus der Villa neugierig das Anwesen erkundeten und ihm weitere kostbare Zeit stahlen.

Als er sich ein letztes Mal umwandte, um sich zu vergewissern, dass sie die richtige Richtung nahm, war sie nirgends mehr zu sehen.

2. KAPITEL

Als Amy am nächsten Morgen nach unten kam, informierte sie sich am Schwarzen Brett, welche Aktivitäten für heute geplant waren. Es gab die Möglichkeit, Kanu oder Kajak zu fahren. Außerdem konnte man Angeln gehen oder einige Strände in der näheren Umgebung kennenlernen. Und natürlich durfte jeder auch einfach in der Villa bleiben und sich hier einen schönen Tag machen.

An welchem Ausflug, wenn überhaupt, wird James wohl teilnehmen, überlegte sie, während sie sich nach ihm umblickte. Aber sie entdeckte ihn nirgends. Sobald er auftauchen sollte, würde sie seine Aufmerksamkeit in noch nie da gewesener Weise erregen.

In London begegnete sie ihm immer nur am Arbeitsplatz, an dem sie ihre langweilige weiße Kleidung einschließlich Kochmütze trug. Weniger sexy konnte man nicht angezogen sein. Nicht, dass sie sich für eine atemberaubende Schönheit hielt. Doch schon viele Leute hatten ihr gesagt, dass sie hübsch sei.

Heute trug sie die blonden Haare zu zwei Zöpfen geflochten, die ihr gerade bis über die Schultern reichten. Vielleicht eine gewagte Frisur, wenn man einen Mann faszinieren wollte, aber bei heißem Wetter äußerst praktisch. Ihr blau-weißes Top wirkte maritim, und die hautengen Jeans besaßen den nötigen Schick. Dazu hatte sie flache, mit Perlen verzierte Schuhe ausgewählt, die sich, falls erforderlich, leicht abstreifen ließen und in denen sie viele Kilometer laufen konnte.

„Meinst du, dass er mich bemerken wird?“, wandte Amy sich an Claire, nachdem sie sich am Frühstücksbüfett bedient und zu der Freundin an den Tisch gesetzt hatte. Sie hatten sich vor zwei Jahren kennengelernt und auf Anhieb gemocht.

„Er bemerkt dich immer“, erwiderte ihre Kollegin, die so mollig und dunkelhaarig war wie Amy schlank und blond.

„Ja, er redet und lacht mit mir, aber das tut er mit allen.“ Amy spießte ein Stück frische Ananas auf die Gabel. „Ich frage mich, an welchem Ausflug er wohl teilnimmt.“

Claire beobachtete, wie die Freundin zu träumen begann, und kämpfte mit sich, ob sie ihr erzählen sollte, was sie wirklich dachte. Nämlich, dass James sie ehrlich mochte, doch sich zwischen ihnen nie mehr entwickeln würde. Sie war ziemlich sicher, dass er mit keiner Angestellten eine Beziehung anfing. Verstieße er damit nicht auch gegen ein Firmengesetz? Außerdem scherzte er mit Amy wie mit einer Frau, die er als Kumpel betrachtete. Und das konnte Claire bestens beurteilen, weil sie es schon oft selbst erlebt hatte.

„Amüsier dich einfach, Amy, und vergiss James. Bei dem Barbecue heute Abend wird er in jedem Fall da sein.“

Wie sich herausstellte, nützte ihr das hübsche Outfit gar nichts. Denn James hatte sich bereits ganz früh am Morgen mit einigen jungen Mitarbeitern zusammengeschlossen und war zum Fischen aufgebrochen. Überdies eignete sich ihre Kleidung nicht besonders zum Kajakfahren, und so kehrte Amy gegen vier etwas niedergeschlagen in die Villa zurück.

Was tat sie nur! Mit vierundzwanzig versuchte sie, sich jemandem an den Hals zu werfen – wie eine verzweifelte alte Jungfer, die befürchtete, keinen Mann mehr abzukriegen. Das war lächerlich. Sie war lächerlich!

Fast glaubte Amy das und war auch nahezu überzeugt, ihre Gefühle unter Kontrolle zu haben, als sie James am Abend sah. Er stand mit mehreren Leuten im Garten beieinander, hielt einen Drink in der Hand und lachte. Ihr Herz begann, etwas schneller zu schlagen, und sie atmete tief ein und ging auf die Gruppe zu.

Das Barbecue fing fröhlich an. Zur Eröffnung wurde Wein serviert und eine Auswahl exquisiter Kanapees gereicht, die die Wirkung des Alkohols dämpften, den Appetit aber nicht raubten.

James bemerkte, wie sie zwischen den übrigen Partygästen hindurch auf ihn zukam, zögerte einen Moment und schlenderte dann tatsächlich in ihre Richtung. Amy traute ihren Augen nicht und drehte sogar den Kopf, um zu prüfen, ob er vielleicht auf jemanden hinter ihr zusteuerte. Als sie wieder nach vorn schaute, war er bei ihr und lächelte sie schief an.

„Ich habe Sie überhaupt nicht erkannt.“ Er nahm ihre Hand, ließ Amy sich einmal im Kreis drehen und pfiff leise.

Sie errötete. „Ist das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?“ Leider gelang es ihr nicht ganz, ihrer Stimme einen rauchigen Klang zu verleihen. Allerdings schenkte sie ihm ihren kokettesten Blick und lächelte ihn zugleich verschämt an.

„Das ist ja ein sehr gutes Zeichen!“ James lachte. „Der Rock steht Ihnen hervorragend, und die Beine passen nicht minder dazu.“

„Danke.“ Wie gut, dass sie sich entschieden hatte, den weit schwingenden rot-schwarzen Sommerrock anzuziehen, was für die zwanglose Gartenparty nicht nötig gewesen wäre. Und in dem roten Top mit den Spaghettiträgern fühlte sie sich ausgesprochen weiblich.

„Was haben Sie heute gemacht?“ Während er sein Glas austrank und einem Ober bedeutete, es wieder aufzufüllen, ließ James sie nicht aus den Augen.

Amy erzählte ihm von ihrem Tag, ließ jedoch einige kleine unerfreuliche Details aus. So hatte sie zum Beispiel den Kajak fast zum Kentern gebracht, als sie mit Justin den Platz tauschte. Und ihre Jeans waren bis zu den Oberschenkeln nass geworden, weil sie nicht wie alle anderen Shorts trug. Die schönen neuen Schuhe trockneten zurzeit auf dem Fensterbrett – vermutlich für immer ruiniert.

James schien ihre Erzählung hinlänglich zu amüsieren, und sie genoss seine ungeteilte Aufmerksamkeit sehr. Von ihrer Begegnung mit seinem Gärtner sagte sie nichts, denn sie wollte den herrlichen Moment nicht verderben. Leider dauerte er nur wenige Minuten. Dann wandte James sich ab, um andere Gäste zu begrüßen.

Wehmütig sah Amy ihm nach, während ihr bewusst wurde, dass dieses kurze Zusammentreffen keinen wirklichen Fortschritt gebracht hatte. Schnell schob sie den unliebsamen Gedanken beiseite.

„Ich glaube, ich gewinne an Boden“, erklärte sie Claire später. Inzwischen war es elf Uhr, und sie hatten hervorragend gegessen. Nun tanzten die Leute ausgelassen, wie es häufig unter reichlichem Alkoholeinfluss geschah.

„Meinst du?“ Sie konnte James nirgendwo entdecken, was sie bei den vielen Menschen allerdings auch nicht wunderte.

„Er hat mich vorhin gefragt, wie ich das Essen finde.“

„Und was hast du geantwortet?“

„Dass es nichts im Vergleich zu meinem sei.“

„Das hast du nicht getan.“

„Doch, habe ich.“

„Ein schlechter Schachzug. Vielleicht feuert er jetzt die Verantwortlichen und überträgt dir das Kochen.“

Sie lachten sich an und feierten fröhlich weiter. Beide hielten sich zum ersten Mal fern der Heimat auf und noch dazu in einer so fantastischen Umgebung, wie sie sie wohl nie wieder erleben würden.

Immer wieder hielt Amy nach James Ausschau, der von der Bildfläche verschwunden zu sein schien. Soweit sie es beurteilen konnte, hatte sich noch niemand von der Party verabschiedet, und sie würde bestimmt nicht den Anfang machen. Vermutlich brachen die Amerikaner als Erste auf. Sie übernachteten entweder in einem nahe gelegenen Hotel oder fuhren direkt nach Hause.

Und wenn der Trubel nachließ, ergab sich möglicherweise noch eine Gelegenheit, mit James zu plaudern und sich ihm von einer anderen Seite zu zeigen. Besser nicht von einer beschwipsten! Weshalb sie aufhören sollte, Wein zu trinken.

Die fleißig nachschenkenden Kellner hatten ihre schwachen Ablehnungsversuche bisher stets ignoriert und ihr Glas immer wieder aufgefüllt. Außerdem half der Alkohol ihr, die romantischen Gedanken einzudämmen. Sollten ihre drei Brüder je herausfinden, dass sie für ihren Boss schwärmte, würden sie sich totlachen. Und ihre Schwestern hätten wohl kaum viel Mitleid mit ihr.

Nicht, dass sie es ihnen verübelte. Als sehr kontaktfreudiger Mensch hatte Amy schon mehrere Freunde gehabt. Jetzt verbrachte sie eine Woche an einem der herrlichsten Orte der Welt mit vielen netten und gleichaltrigen Leuten um sich, und was tat sie? Sie schwärmte für einen Mann, der sie nicht beachtete.

Auch dieses Outfit zu kaufen, war letztlich Geldverschwendung, dachte sie betrübt. Sie stellte ihr Glas weg und schlenderte über den Rasen davon. Und während sie das fröhliche Treiben hinter sich ließ, erkannte sie unvermittelt, dass sie sich nicht so amüsierte, wie sie es sollte.

Komischerweise hob das ihre Stimmung ein bisschen. Denn Amy wusste, dass sie die Gabe besaß, aus jeder Situation das Beste zu machen. Wenn sie dem Trubel eine Weile den Rücken zukehren würde und der Natur ihren Lauf ließe, käme schnell wieder alles in Ordnung.

Gemächlich ging sie in ein Wäldchen und spürte, wie ihre Lebensgeister mit jedem Schritt ein wenig mehr zurückkehrten. Plötzlich bemerkte sie, dass sich auf einer kleinen Lichtung vor ihr etwas bewegte und blieb stehen.

Sie staunte nicht schlecht, als sie zwischen den Bäumen die Bänkchen entdeckte. Aus knorrigen Holzstämmen gefertigt, fügten sie sich so nahtlos in die Umgebung ein, sodass man sie zunächst für ursprünglich gewachsen hielt.

Und auf einem dieser Bänkchen erblickte sie im fahlen Mondschein ein Pärchen. Als die zwei sich einen Moment voneinander lösten, sah sie sie genauer. Die Frau kannte sie nicht. Sie hatte lange glatte Haare und war nur noch halb bekleidet. Und der Mann …

Übelkeit stieg in Amy auf, und sie wich unwillkürlich etwas zurück, wobei sie auf einen trockenen Zweig trat. Aber das Knacken schreckte die beiden nicht auf. Vermutlich hätten sie bei dem, was sie taten, selbst ein nahendes Gewitter nicht wahrgenommen. Amy beobachtete, wie der Mann die Frau auf seinen Schoß zog, und floh.

Ihr Herz raste. Anfangs versuchte sie, so leise wie möglich zu sein, doch nach wenigen Minuten scherte sie sich nicht mehr darum, welchen Krach sie verursachte. Zu groß war ihr Bedürfnis, schnellstens weit weg von der Lichtung zu kommen, auf der James sich mit wem auch immer vergnügte.

Nach Atem ringend, blieb sie irgendwann stehen. Wo war sie? Weder sah sie die Lichter vom Haus noch hörte sie die Musik. Verflixt, sie hatte sich verlaufen. Und wer würde sie in der Villa schon vermissen? Zwar teilte sie sich das Zimmer mit Claire, nur hatte die Freundin sich schon vor einer Weile ins Bett verabschiedet und dürfte nun selig schlafen.

Jetzt betrachte die Situation mal vernünftig, forderte sie sich auf. Fakt war, dass der Mann, den sie liebte, sich mit einer anderen Frau amüsierte und sie sich wieder verirrt hatte. Über Ersteres konnte sie später noch weinen. Um das andere musste sie sich allerdings gleich kümmern, sonst riskierte sie es, die Nacht im Freien zu verbringen.

Was würde eine Pfadfinderin in dieser Lage tun, um sich zu orientieren? Vermutlich auf einen hohen Baum steigen. Amy sah sich um. Alle Bäume schienen im Vergleich zu ihr riesig. Nach einem tiefen Atemzug streifte sie die nutzlosen Riemchensandaletten ab und verwünschte zum zweiten Mal an diesem Tag ihr Outfit, während sie zu klettern begann.

Sie kam hoch genug, um in Panik zu geraten, aber nicht ansatzweise so weit hinauf, um zu erkennen, wo die Villa lag. In ihrer Angst warf sie alle Vorsicht über Bord und fing an, laut um Hilfe zu rufen.

Als sie sich das nächste Mal traute, nach unten zu schauen, stand dort ausgerechnet der Gärtner und sah zu ihr herauf.

„Ich sitze fest!“

„Warum sind Sie überhaupt da oben?“

„Das ist egal. Sie müssen mich runterholen.“

„Sorry, ich habe dieses besondere Wörtchen nicht gehört.“

„Jetzt ist nicht die Zeit für Spielchen.“

„Für Höflichkeit ist immer Zeit.“

„Das müssen gerade Sie sagen“, protestierte Amy lautstark und spürte, dass es ihr immer schwerer fiel, sich an dem Ast festzuhalten. „Schaffen Sie sofort, bitte, eine Leiter herbei.“

„In meinem Haus gibt es keine Leiter. Warten Sie, ich helfe Ihnen herunter.“

Geschickt erklomm er den Stamm, und sie schloss kurz die Augen. Noch nie im Leben hatte sie sich idiotischer gefühlt. Einen weit geschnittenen Rock zu einer Party zu tragen, war eine prima Sache. Jedoch nur wenig geeignet, um darin auf einen Baum zu steigen und schmachvoll von diesem heruntergeholt zu werden.

Und nur der Himmel wusste, wie hinderlich er war, während sie mit Rafaels Beistand nach unten kletterte. Er redete ihr immer wieder gut zu und stützte sie, wenn nötig, bis er sie schließlich behutsam auf die Beine stellte. Danach sprang er elegant zu Boden.

„Vielen Dank.“ Amy strich sich über den Rock und vermied es, Rafael anzusehen.

„Darf ich erfahren, was Sie um …“, er sah auf seine Uhr, „… halb eins in der Nacht auf dem Baum tun?“

„Was haben Sie um diese Zeit noch gemacht?“

„Ich habe meinen nächsten Angriff auf das Ungeziefer geplant, das die Rosensträucher vernichtet. Was sonst? Dann habe ich jemanden wie am Spieß schreien hören und gedacht, dass ich dem vielleicht mal nachgehen sollte.“

Kritisch betrachtete er das zerzauste Persönchen, dessen merkwürdiges Benehmen ihn verwirrte. Wie die meisten Männer hatte er gewisse Vorlieben bei Frauen, und dazu zählte, dass sie sich gesittet benahmen. Nachts auf Bäume zu steigen, passte wahrlich nicht ins Bild. Er versuchte, sich eine seiner kultivierten, beherrschten Freundinnen auf einem Baum vorzustellen, und scheiterte gründlich.

„Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet. Angesichts der unnötigen Mühen, die Sie mir verursacht haben, sind Sie mir wohl eine Erklärung schuldig. Was, zum Teufel, haben Sie sich nur bei dieser Aktion gedacht?“

Amy blickte ihn so herausfordernd an wie möglich und verschränkte die Arme vor der Brust. Aber das ließ ihn völlig unberührt, und so zuckte sie schließlich die Schultern und sah beiseite. „Es ist die übliche Geschichte.“

„Die da wäre?“

„Frau trifft Mann. Frau mag Mann. Frau …“, sie musterte ihren zerknitterten schmutzigen Rock, „… zieht sich schön an, um Mann zu beeindrucken, und entdeckt, dass Mann sich in den Wald abgesetzt hat, um sich mit einer anderen zu vergnügen.“

„Und aus Enttäuschung sind Sie auf den Baum geklettert.“

Dieser Gärtner konnte so ekelhaft sein! Zornig blitzte sie ihn an und sagte ihm, er solle ihr die Richtung zur Villa weisen. Leider klang sie dabei jedoch wie eine Schallplatte, die diverse Kratzer hatte. Verflixt, am Ende glaubte dieser Mistkerl noch, dass sie ihm nachstellte.

„Der Weg zurück ist schwierig, zumindest der direkte. Und ich werde Sie bestimmt nicht durch den tiefen dunklen Wald schicken. Wer weiß, wo Sie schließlich noch landen.“

Damit drehte er sich um und marschierte davon. Frustriert und ärgerlich schlüpfte Amy in ihre Schuhe und eilte schnellstmöglich hinter ihm her. „Ich werde es schon schaffen.“ Könnte er vielleicht etwas langsamer gehen? „Bitte warten Sie. Diese Sandaletten sind nicht für einen Sprint gemacht.“

Rafael blieb stehen. Diese Frau war zweifellos verrückt. Welcher geistig gesunde Mensch kletterte nachts wegen eines gebrochenen Herzens auf einen Baum? Welcher vernünftige Erwachsene kletterte überhaupt auf einen Baum? Er hatte das seit seiner Kindheit nicht mehr getan.

„Daran hätten Sie denken sollen, bevor Sie sich entschieden haben, über das Anwesen zu wandern.“

„Ich bin nicht über das Anwesen gewandert“, antwortete sie kühl. „Ich wollte nur …“

„Ja? Ich bin ganz Ohr.“ Er setzte sich wieder in Bewegung, aber zu Amys Erleichterung legte er dabei kein solches Tempo vor wie eben, sodass sie nun mit ihm Schritt halten konnte.

„Ich wollte nur einen Moment allein sein und etwas frische Luft schnappen.“

„Dieses Bedürfnis haben Sie ja ziemlich oft, oder? Und während Sie es stillen, legen Sie offenbar weite Strecken zurück“, erwiderte er.

„Ja, ich gehe gern spazieren.“

Sie kamen zu seinem Haus. Wäre sie nur ein paar Minuten länger gelaufen, wäre sie bei ihm gelandet und nicht auf einem Baum. Nicht, dass diese Vorstellung sie besonders begeisterte, doch dann hätte ihr teurer Rock nicht so gelitten.

„Sie sollten Ihre schmutzigen Sachen ausziehen.“

„Ich will und muss in die Villa zurück. Dort liegt meine gesamte Kleidung.“

„Ohne mich. Sie haben mir schon genug Umstände bereitet.“

„Mir ist klar, dass es ein ziemlicher Fußweg ist, aber Sie können mich doch hinfahren, oder? Irgendwo haben Sie bestimmt ein Auto geparkt.“ Plötzlich befürchtete Amy, dass die Nerven ihr gleich versagten. Sie schlang die Arme fest um sich und stand ganz still, um nicht zu weinen.

„Ich lasse Ihnen ein Bad ein.“

„Bitte bringen Sie mich zurück. Bitte.“

„Dazu sind Sie nicht in der Verfassung. Sie sehen aus, als stünden Sie kurz vor einem Zusammenbruch. Setzen Sie sich, und beruhigen Sie sich. Und während das Wasser in die Wanne läuft, mache ich Ihnen etwas Heißes zum Trinken.“

Die Frau war eine Plage. Trotzdem war Rafael leicht besorgt, allerdings nur, weil sie sich nicht so lästig wie üblich verhielt. Eilig ging er nach oben, bevor sie ihn erneut anflehte, sie in die Villa zu eskortieren. Er ließ das Bad ein und holte ihr ein Handtuch sowie eines seiner Hemden, das sie tragen müsste, ob sie wollte oder nicht. Ihre Sachen würde er in die Waschmaschine stecken, damit sie sie am Morgen wieder anziehen konnte. Dann würde er sie ihrer Wege schicken, und sie würde vermutlich ihr Leben weiter zerstören, indem sie sich in die falschen Männer verliebte.

„Es ist alles hergerichtet“, informierte er sie, als er nach unten zurückkehrte. Sie hatte die Sandaletten abgestreift und sich auf den Boden gesetzt.

„Ich wollte Ihre schönen Möbel nicht beschmutzen.“ Sie stand auf und blickte kurz zu ihren Schuhen. „Das ist schon das zweite Paar, das ich innerhalb eines Tages ruiniere. Was selbst für mich einen Rekord bedeutet.“

„Was ist mit dem ersten passiert?“

„Es ist bei der Kajakfahrt völlig durchnässt worden.“

„Werfen Sie Ihre Kleidung vor die Badezimmertür. Ich stecke sie in die Waschmaschine, dann ist sie morgen wieder gebrauchsbereit.“

„Aber ich kann nicht über Nacht hierbleiben.“

„Das diskutieren wir, nachdem Sie in der Wanne gewesen sind. Ich habe Ihnen eines meiner Hemden zum Anziehen hingelegt.“

Da gibt es nichts zu diskutieren, dachte Amy und trottete nach oben. Als sie zwanzig Minuten später wieder nach unten tappte, fühlte sie sich schon wohler. Das Hemd, unter dem sie nur ihre Unterwäsche trug, bedeckte ihre Schenkel zumindest zur Hälfte. Mit etwas Glück war in der Villa niemand mehr auf den Beinen, der sie in diesem Outfit zurückkehren sah. Und James vergnügte sich wahrscheinlich noch im Wald. Bei dem Gedanken stieg erneut Selbstmitleid in ihr auf, das sie energisch unterdrückte.

„Geht es Ihnen besser?“, erkundigte sich Rafael, der im Wohnzimmer auf sie wartete und zu dem Becher mit heißer Schokolade auf dem Couchtisch deutete.

„Nicht besonders. Danke der Nachfrage.“ Amy kuschelte sich in eine Sofaecke und ließ sich den Kakao schmecken. Seit ihrer Kinderzeit hatte sie keinen mehr getrunken.

„Ihre Sachen sind in der Waschmaschine“, informierte er sie. „Und ich könnte Sie zurückfahren. Allerdings müssten wir erst zum Auto laufen, denn es steht etwas weiter weg.“

„Warum?“

„Warum was?“

„Warum steht es weiter weg? Kann sich Ihr Boss nicht vorstellen, dass Sie hin und wieder gern mal unter Leute kommen? Sie mögen ein sehr fleißiger Gärtner sein, aber meint er nicht, dass Sie gelegentlich etwas Freizeit haben möchten?“

„Es auf dem Weg hinter dem Wäldchen zu lassen, ist leichter. Die Alternative wäre, über die Rasenflächen zu fahren oder zwischen den Bäumen hindurch. Der Park wurde nach ästhetischen Gesichtspunkten gestaltet. Ob Sie es glauben oder nicht, aber ein Stück Asphalt, das sich durch die gepflegte Anlage schlängelt, würde sicher als nicht besonders schön empfunden.“

„Sind Sie je einmal nicht sarkastisch?“ Amy schniefte. Nein, sie war in keiner guten Verfassung und Rafael Vives bestimmt kein geneigter Zuhörer.

Stumm betrachtete sie ihn. Er hatte sich vorgebeugt und die Unterarme auf die Knie gestützt. Eigentlich konnte sie ihn durch ihr Schreien nicht aus dem Bett geholt haben, dafür war er zu korrekt gekleidet. Er trug khakifarbene Shorts, ein passendes Poloshirt und hellbraune Freizeitschuhe.

„Sie haben noch nicht geschlafen, oder?“, fragte sie, um sich davon abzuhalten, über die Gründe nachzudenken, warum sie jetzt hier war.

„Ich habe … gearbeitet.“

„Gearbeitet?“ Sie lächelte und vergaß kurzfristig ihren Kummer. Dann bemerkte sie die gebräunte Haut unterhalb des geöffneten Hemdkragens und senkte den Blick. Warum nahm sie diesen Mann nur so deutlich wahr? Vermutlich lag es an seiner aufreizenden Arroganz. „Womit waren Sie denn beschäftigt? Nein, sagen Sie es nicht … Mit dem Angriffsplan auf das Ungeziefer in den Rosensträuchern.“

„Es gibt zwei Schlafzimmer, doch das eine ist nicht für Besucher hergerichtet. Ich werde darin übernachten, und Sie können mein Bett haben.“

„Nein, ich werde nicht in Ihrem Bett schlafen!“

„Warum nicht?“ Rafael klang leicht genervt. „Na los, trinken Sie den Becher aus, und gehen Sie hinauf.“

Amy errötete. Diesen Ton hatte er ihr gegenüber bereits mehrfach angeschlagen, seit sie seine bedauerliche Bekanntschaft gemacht hatte. Er sprach mit ihr wie ein Erwachsener mit einem Kind. Betrachtete er sie als solches? Als ein Kind, das immer wieder in Schwierigkeiten geriet?

Viel wesentlicher allerdings ist, was James in mir sieht, dachte sie unglücklich. Ein Mädchen, mit dem man scherzen und Spaß haben konnte?

Stumm stellte sie den Becher auf den Tisch, stand auf und wartete darauf, dass Rafael sie nach oben geleitete. Sie sah ihn nicht an und war sich schmerzlich bewusst, dass sie zu viel redete, zu viel fragte und zu laut lachte. Er mochte zwar arrogant und hochmütig sein, aber dies war sein Haus. Wenn er wollte, dass sie ruhig war, würde sie ruhig sein.

Hatte auch James gelegentlich gewollt, dass sie den Mund hielt? Sie hatte wirklich gedacht, dass er sich für sie interessierte. Stimmte das, oder reagierte er in Wirklichkeit nur auf ihr Geplauder und verdrehte die Augen, sobald sie ihm den Rücken kehrte?

„Okay, raus damit.“

Fast wäre Amy in ihn hineingelaufen. Während sie hinter ihm hergegangen war, hatte sie ständig zu Boden gesehen und nicht bemerkt, dass er vor einer Zimmertür stehen blieb.

„Raus womit?“

„Was immer Sie beschäftigt. Heute Nacht noch etwas zu schlafen, sollten wir wohl besser vergessen.“

Er lehnte sich gegen den Rahmen und betrachtete sie. Genau deshalb lasse ich die Finger von emotionalen Frauen, dachte er. Sie schütteten anderen ihr Herz aus, sie schluchzten, und sie waren oft unbeherrscht.

Amy sah tief in die dunklen, fast schwarzen Augen, und ihr schwindelte einen Moment. „Ich muss mich setzen“, stieß sie mit zitternder Stimme hervor.

Rafael gab den Weg frei und zeigte mit ausholender Armbewegung auf sein Bett, das auf sie ungeheuer anziehend wirkte. Zum Teufel mit allen Überlegungen, was sich gehörte oder nicht! Sie fühlte sich plötzlich schrecklich erschöpft.

Das Bett roch nach ihm. Ein frischer männlicher Duft, der das Verlangen in ihr weckte, die Augen zu schließen und ihn einzuatmen, denn er wirkte seltsam beruhigend auf sie. Gähnend schlüpfte sie unter die seidig weiche Decke.

„Ich kann es nicht glauben“, sagte sie, als Rafael das Zimmer gerade verlassen wollte, um nach unten zurückzukehren und das Telefonat mit Australien fortzuführen, das vorhin so rüde unterbrochen worden war.

Er drehte sich auf der Türschwelle um und betrachtete die zierliche Person kritisch, die jetzt leicht aufgerichtet in den Kissen lehnte. Sie machte einen ungeheuer zerbrechlichen Eindruck auf ihn, was angesichts ihres Mundwerks völlig widersinnig war. „Was können Sie nicht glauben?“

Rafael war kein Mann, der sich mit komplizierten Frauen auskannte. Er hatte immer etwas amüsiert zugehört, wenn James ihm sein Leid geklagt hatte. Gleichzeitig gratulierte er sich heimlich zu seiner Klugheit, sich nur für Frauen zu interessieren, die weder Spielchen trieben noch Launen hatten oder einfach verkorkst waren. Auch wechselte er die Partnerinnen nicht wie andere das Hemd, und die Trennungen waren bislang nie unschön verlaufen. Er war jetzt vierunddreißig, ruhte ziemlich in sich und wusste, was er vom Leben und von Frauen wollte.

„Ich kann nicht glauben, wie ich so dumm gewesen sein konnte. Ich meine …“ Amys Stimme zitterte, als sie sich das Ausmaß vergegenwärtigte. „Nur weil er mich ein- oder zweimal angesehen und hin und wieder mit mir geplaudert hat … Wie konnte mir das nur in den Kopf kommen? Sagen Sie … ist Ihnen das auch schon passiert? Dass Sie die Signale eines Menschen völlig falsch gedeutet und sich dann in total abwegigen Fantasien verloren haben?“

„Nein.“

„Nie?“

„Nein.“

„Oh. Dann wissen Sie vermutlich nicht, wie es ist, wenn man …“

„Nein, tue ich nicht.“ Allerdings war er ziemlich sicher, dass er es gleich erfahren würde. Es sei denn, er beendete diesen Unsinn, indem er die Tür hinter sich schloss und erst wieder in ihrem Gesichtskreis auftauchte, wenn sie sein Haus verließ. „Aber er ist es nicht wert.“

Amy versuchte, sich auf James zu konzentrieren, sich den charmanten unbekümmerten Mann vorzustellen, dessen blonde Haare stets ein bisschen zerzaust wirkten. Nur konnte sie nicht umhin, auch die Gegenwart des schwerblütigen Gärtners aus den Augenwinkeln zu bemerken. Wahrscheinlich hat ...

Autor

Barbara Mc Mahon
<p>Barbara McMahon wuchs in einer Kleinstadt in Virginia auf. Ihr großer Traum war es, zu reisen und die Welt kennenzulernen. Nach ihrem College-Abschluss wurde sie zunächst Stewardess und verbrachte einige Jahre damit, die exotischsten Länder zu erforschen. Um sich später möglichst genau an diese Reisen erinnern zu können, schreib Barbara...
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Olivia Gates
<p>Olivia Gates war Sängerin, Malerin, Modedesignerin, Ehefrau, Mutter – oh und auch Ärztin. Sie ist immer noch all das, auch wenn das Singen, Designen und Malen etwas in den Hintergrund getreten ist, während ihre Fähigkeiten als Ehefrau, Mutter und Ärztin in den Vordergrund gerückt sind. Sie fragen sich jetzt bestimmt...
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