Julia Royal Band 18

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IN DEN ARMEN DES KRONPRINZEN von MARION LENNOX
Mutig rettet Claire einen Schiffbrüchigen aus den Fluten, und als er sie dankbar umarmt, knistert es plötzlich heiß. Sie ahnt nicht, in wen sie sich da Hals über Kopf verliebt: Raoul de Castelaise ist ein echter Prinz! Seine Geliebte darf sie sein, aber niemals seine Ehefrau …

KÜSS MICH, SCHÖNE UNBEKANNTE! von MAISEY YATES
Allegra? Fassungslos erfährt Herzog Cristian Acosta, wer sich ihm auf dem Maskenball in Venedig hingegeben hat. Dass die verhasste Schwester seines besten Freundes jetzt sein Kind unter dem Herzen trägt, kommt ihm jedoch wie gerufen für seine Pläne …

UNSERE ITALIENISCHE AFFÄRE vonALISON ROBERTS
Bei einer Wanderung an der Amalfiküste wird Mika von dem faszinierenden Rafe vor dem Absturz bewahrt. Schnell fasst sie Vertrauen zu ihm. Als er sie zärtlich in seine Arme zieht, gibt sie sich rückhaltlos hin. Ein Fehler? Noch ahnt sie nicht, wer ihr Retter wirklich ist …


  • Erscheinungstag 09.06.2023
  • Bandnummer 18
  • ISBN / Artikelnummer 9783751516044
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Marion Lennox, Maisey Yates, Alison Roberts

JULIA ROYAL BAND 18

1. KAPITEL

Du wirst deinen Platz als Thronerbe einnehmen und dir eine Braut suchen!

Nur zu gern hätte Kronprinz Raoul diesen Befehl aus dem Brief seiner Großmutter gelöscht, doch er musste ihn seinem kommandierenden Offizier in ganzer Länge vorlegen.

Der bemerkte Raouls düstere Miene, griff nach dem Brief und las. Dann nickte er. „Da haben Sie anscheinend keine Wahl“, stellte er fest.

„Wohl nicht“, musste Raoul zustimmen. Dieses Schreiben bedeutete, dass er nach Hause reisen musste.

„Ich wusste, dass es um die Gesundheit meines Großvaters nicht zum Besten steht“, erklärte er seinem Vorgesetzten. „Die Königin aber habe ich immer für unsterblich gehalten. Ihre Worte wirken vielleicht wie ein Befehl, aber in Wahrheit sind sie ein Hilferuf.“

„So scheint es.“ Der Oberst warf noch einen Blick auf das Büttenpapier mit dem königlichen Wappen von Marétal. Es war ein Brief, den man nicht ignorierte. Eine königliche Vorladung. „Aber immerhin passt es zeitlich.“

Marétals Truppen waren an einem internationalen Manöver in der unzugänglichen Wildnis Tasmaniens beteiligt. Raouls Bataillon hatte sich hervorragend geschlagen, doch nun ging die Übung ihrem Ende entgegen.

„Wir kommen jetzt ohne Sie zurecht“, erklärte der Kommandeur. Dann zögerte er kurz. „Sie wissen schon …?“

„… dass es Zeit für mich wird, die Armee zu verlassen“, vollendete Raoul seufzend den Satz. „Ich weiß. Dabei führt meine Großmutter die königlichen Geschäfte hervorragend.“

„Sie ist immerhin sechsundsiebzig.“

„Sagen Sie ihr das.“ Beim Gedanken an seine unermüdliche Großmutter schüttelte er den Kopf. Sein Großvater, König Marcus, obwohl offiziell der Regent, ließ sich kaum außerhalb seiner Bibliothek blicken. Königin Alicia hatte das Land seit dem Tag ihrer Hochzeit regiert und duldete keine Einmischung. Doch jetzt rief sie ihn nach Hause.

Er blickte düster auf den Brief. „Und jetzt das da! Sie ruft mich für den Ball zu Ehren ihres fünfzigsten Thronjubiläums zurück.“

„Das ist doch eine gute Gelegenheit“, erwiderte der Oberst. Auch er warf noch einen Blick auf das Schreiben. Angesichts des letzten Absatzes konnte er sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.

„Finden Sie das lustig?“ Vorgesetzter oder nicht, Raouls Ärger musste heraus. „Wenn ich keine geeignete Partnerin mitbringe, wird sie selbst eine für mich aussuchen.“

„Sie will nur das Beste für die Monarchie! Sie will Sie verheiratet sehen, damit es einen Thronerben gibt.“

„Sie will mich nur unter Kontrolle haben“, widersprach Raoul empört.

„Sie haben sich noch nie von ihr kontrollieren lassen!“

Der Oberst kannte den Kronprinzen, seit dieser in die Armee eingetreten war. Nach außen war Raoul der perfekte Enkel der Königin, aber wenn sie nur die Hälfte von dem wüsste, was ihr Enkel in der Armee anstellte, hätte sie ihn schon längst heimgerufen.

Vielleicht lag darin das Geheimnis ihrer guten Beziehung. Für seine Großmutter war Raoul ein junger Mann, der stets freundlich lächelte und ihr in allem zustimmte. „Ja, Großmama. Du hast bestimmt recht.“ Er machte nie Versprechungen, die er nicht einhalten konnte, aber er wusste genau, was er wollte.

„Unser Volk wird mich gern in Uniform sehen.“ Mit diesem Argument hatte er der Königin seinen Eintritt in die Armee schmackhaft gemacht. „Es macht sich gut, wenn der Kronprinz sich für sein Land einsetzt, statt nur zu repräsentieren.“

Seine Großmutter hatte nicht leugnen können, dass ihm die Uniform gut stand, und auch bei den Medien des Landes kam er gut an. Er war jetzt fünfunddreißig, groß gewachsen mit schwarzem Haar und leicht getönter Haut. Das machte ihn in schneidiger Uniform zu einem begehrten Objekt für die Fotografen.

Der Oberst kam jetzt um den Tisch herum und legte Raoul die Hand auf die Schulter. „Wären Sie ein normaler Offizier, würden Sie meine Stelle einnehmen, wenn ich mich im nächsten Jahr zur Ruhe setze. Damit bekämen Sie einen Schreibtischposten, und ich weiß, wie sehr Sie Schreibtische hassen. Als Thronfolger können Sie zu Hause viel mehr bewirken … und außerdem werden Sie eine viel schönere Uniform mit Troddeln an den Schulterstücken tragen und vielleicht sogar einen Säbel.“

Raouls Gesichtsausdruck machte deutlich, was er von dieser Vorstellung hielt.

Der Ältere lachte kurz auf, doch dann wurde er wieder ernst. „Wann müssen Sie uns denn verlassen?“

„Der Ball ist erst in einem Monat.“

„Dann müssen Sie sich aber sputen!“ Raouls Kommandeur warf erneut einen Blick auf den Brief, und seine Mundwinkel zuckten verräterisch. „Hier steht, dass Sie sich erst noch eine Braut suchen müssen.“

Raoul verdrehte die Augen. „Ich muss vielleicht nach Hause zurückkehren“, gestand er ein, „und mich vielleicht auch meinen Pflichten als Kronprinz stellen. Aber ich lasse mir nicht von meiner Großmutter vorschreiben, wann und wen ich heiraten werde.“

Jetzt konnte der Oberst sein Lachen nicht mehr unterdrücken. „Na dann viel Glück! Sie sind ab sofort beurlaubt.“

Wenn sie noch etwas näher an das Ende der Welt rückte, würde sie hinunterstürzen.

Claire Tremaine saß auf der höchsten Klippe von Orca Island und blickte müde in Richtung Sydney. Es war Montagmorgen. In den Büros von Craybourne, Ledger & Smythe saßen jetzt Heerscharen von Anwälten in dunklen Anzügen oder Kostümen, brüteten über langweiligen Dokumenten, studierten angestrengt Börsenindizes und schlürften ihren fünften oder sechsten Kaffee des Tages.

Hier war sie viel besser dran.

Oder vielleicht auch nicht. Irgendwie … fehlte es ihr auch. Jedenfalls der Kaffee. Außerdem hatte sie Angst vor dem aufziehenden Sturm und fühlte sich ein wenig einsam.

Der Wetterbericht hatte eine Front auf dem Weg nach Tasmanien angekündigt. Orca Island war nicht ausdrücklich erwähnt worden, aber nach vier Monaten auf der Insel hatte Claire genug über den Zug und die Form der Wolken gelernt, um ein drohendes Unwetter vorherzusehen.

Ein Sturm in Sydney bedeutete, dass ein Regenschirm auf dem Weg zur Arbeit empfehlenswert war. Auf Orca Island hieß es, für mehrere Tage im Haus gefangen zu sein. Der Besitzer der Insel verließ sie nicht ohne Grund mehrere Monate während der Sturmsaison. Eigentlich war sie nur ein öder Felshaufen auf halbem Weg zwischen Victoria und Tasmanien. In einem richtigen Sturm konnte Claire nicht einmal aufrecht im Wind stehen.

„Aber deshalb sind wir ja hergekommen“, sagte sie zu Rocky, dem drahtigen kleinen Terrier, den sie spontan am Tag ihrer Abreise aus Sydney aus dem Tierheim mitgenommen hatte. „Sechs Monate im Exil, um uns kennenzulernen und den Rest der Welt zu vergessen.“

Aber der Rest der Welt hatte den besseren Kaffee!

Das Versorgungsschiff würde erst in der nächsten Woche wiederkommen, und bei der letzten Lieferung war statt ihrer Lieblingsmarke ein schwer genießbares Billigprodukt an Bord gewesen.

„Noch zwei Monate“, erklärte sie Rocky seufzend. Dann stand sie auf und betrachtete besorgt die sich auftürmenden Wolken.

Es war eine spontane Entscheidung gewesen, hierher zu fliehen, und sie hatte genügend Zeit gehabt, sie zu bereuen.

„Bestimmt liegt der Wetterbericht mal wieder falsch.“ Der Hund schien ihre Absicht zu erahnen und erhob sich ebenfalls. „Aber lass uns vorsichtshalber die Fensterläden schließen.“

Solange Raoul in seiner Einheit von Soldaten umgeben war, hielten sich seine Bodyguards zurück. Sobald er sich außerhalb der Truppe bewegte, waren sie für seine Sicherheit verantwortlich. Er war der königliche Prinz, der beschützt werden musste … nicht nur vor äußerer Gefahr, sondern auch davor, Dinge zu tun, mit denen der Thronerbe von Marétal sich in Schwierigkeiten bringen konnte.

Zum Beispiel, allein segeln zu gehen.

Glücklicherweise wähnten ihn seine Leibwächter noch bei seiner Einheit. Er trug noch immer seine Uniform, und in einem Militärlager voller Uniformen unterschiedlichster Nationalitäten verlieh ihm das eine gewisse Anonymität. Doch dieser Zustand würde nicht lange anhalten. Sobald er die Uniform ablegte, wäre er wieder der Kronprinz … und diesmal für immer.

Aber nicht verheiratet mit einer Frau nach dem Geschmack seiner Großmutter! Er kannte die Damen, die dafür in Betracht kamen und erschauerte bei dem Gedanken.

Inzwischen hatte er die Rosebud erreicht, eine schicke kleine Jacht im Hafen der Garnisonsstadt, und vergaß beim Anblick dieser Schönheit die fraglichen Damen. Das Boot gehörte Tom Radley, einem einheimischen Offizier, mit dem er sich während der Manöverübungen angefreundet hatte.

„Lass uns mal zusammen segeln gehen“, hatte Tom ihn nach einem besonders anstrengenden Einsatz eingeladen, und sie hatten einen prächtigen Nachmittag auf dem Wasser verbracht.

Toms Dienst endete vor dem Ende des Manövers, und als begeisterter Bergsteiger hatte er sich von einem Bergriesen in Nepal locken lassen. Vor seiner Abreise hatte er Raoul die Schlüssel der Jacht überlassen.

„Benutze sie, solange du noch in Tasmanien bist“, hatte er ihn eingeladen. „Ich habe gesehen, dass du segeln kannst, und ich kenne dich gut genug, um sie dir anzuvertrauen.“

Heute waren die Bedingungen ideal. Die Frühlingssonne erwärmte die Luft bereits ein wenig, und eine leichte Brise blies aus südlicher Richtung. Am Horizont standen ein paar Wolken. Ausgezeichnete Segelbedingungen.

Der gesunde Menschenverstand verlangte, dass er sich abmeldete, aber er wollte seine Leibwächter nicht um sich haben. „Es ist nur ein kleiner Törn am Nachmittag“, sagte er laut zu sich selbst. „Ab morgen werde ich für den Rest meines Lebens bewacht.“

Sogar bei dem Ausflug mit Tom hatten ihn seine Bodyguards ständig mit ihrem Motorboot umkreist. Auch Tom war das auf den Geist gegangen. „Ich könnte das nicht lange ertragen“, hatte er bemerkt, und Raoul hatte dazu geschwiegen. Das war nun einmal das Los eines Kronprinzen.

Doch an diesem Nachmittag war alles anders. Niemand wusste, dass er beurlaubt war, niemand wusste, dass er vor Toms Boot stand, und niemand sah ihn heimlich das Schiff aus dem Hafen steuern.

Und niemand hatte vor dem heraufziehenden Unwetter gewarnt.

„Das wird bestimmt ein heftiger Sturm“, sagte Claire zu Rocky. „Ganz gleich, was die Wetterfrösche sagen; ich vertraue meiner Nase.“

Sie arbeitete sich Fenster für Fenster um das Haus herum und schloss die schweren, hölzernen Läden. Dieses Haus war die Laune eines milliardenschweren Finanzjongleurs aus Melbourne, der sich den Traum von einer eigenen Insel erfüllt hatte.

Soll er froh sein, dass er jetzt nicht hier sein muss, dachte Claire. Die Stürme in der Bass Strait waren berüchtigt. Nur gut, dass das Haus so solide gebaut war. In den Sturmspitzen wurden manchmal Steine in der Größe von Kinderfäusten gegen die Wände geschleudert.

Claire betrachtete besorft die dunklen Wolken. „Wenn die Sonne ein paar Tage wegbleibt, haben wir auch keinen Strom mehr“, führte sie ihr einseitiges Gespräch mit Rocky fort. „Vielleicht sollte ich vorsichtshalber jetzt schon kochen.“

Der kleine Hund blickte erwartungsvoll zu ihr auf und wedelte mit dem Schwanz. Er schien die Bedeutung des Wortes „kochen“ zu begreifen.

Claire lächelte und hob ihn auf. „Also komm mit! Ich bin froh, dass ich dich habe.“

Rocky war alles, was sie hatte.

Seit ihrer Flucht aus Sydney war sie total isoliert. In der Kanzlei gab es genügend Menschen, die sie für ihre Freunde gehalten hatte, doch keiner hatte sich mehr um sie bemüht.

Genug! „Schokoladenchips für mich und Hundekuchen für dich“, verkündete sie entschlossen. „Freunde müssen zusammenhalten!“

Der Sturm rauschte aus Süden heran. Er überraschte die Meteorologen, er überraschte Tasmaniens Fischer, und er forderte die Seenotrettungsdienste bis an ihre Grenzen.

Raoul war ein hervorragender Segler, doch diesem Unwetter waren er und die Rosebud nicht gewachsen. Eine Weile versuchte er, mit der Sturmfock die Kontrolle über das Boot zu behalten, doch tauchte wie aus dem Nichts eine gewaltige Welle auf und schlug über ihm zusammen. Die kleine Jacht wurde herumgewirbelt wie trockenes Laub. Sie kenterte durch und richtete sich von allein wieder auf, aber vom Segel waren nur noch Fetzen übrig.

Von jetzt ab entschieden Wind und Wellen, wohin das Schiff getrieben wurde. Raoul konnte nicht mehr tun, als sich festzuhalten und auf Wetterbesserung zu warten. Er konnte nur hoffen, dass die Rosebud solange durchhielt.

2. KAPITEL

Am zweiten Tag des furchtbarsten Sturms, den Claire je erlebt hatte, hielt sie es nicht mehr aus. Sie hatte sich nicht ein einziges Mal vor die Tür gewagt. Der Wind war so stark, dass sie manchmal fürchtete, das ganze Haus würde davongeweht.

„Keine Angst, Rocky“, hatte sie den kleinen Hund beruhigt, als der sich beim Heulen des Sturms ängstlich verkriechen wollte. „Wenn wir wegfliegen, dann fliegen wir zusammen.“

Aber so weit war es glücklicherweise nicht gekommen, und langsam begann der Sturm nachzulassen. Hin und wieder wagte sich sogar ein Sonnenstrahl durch die Wolken. Es wurde Zeit, einmal hinauszugehen und die Schäden zu inspizieren.

Kaum hatte sie die Tür geöffnet, bereute sie ihren Entschluss bereits, doch für einen Rückzug war es zu spät. Rocky war schon hinausgeschossen, glücklich, endlich der Enge des Hauses zu entkommen.

Das Meer würde bestimmt fantastisch aussehen. Sie musste nur nahe genug herankommen. Bei gutem Wetter hatte sie sich gern in der kleinen Bucht unterhalb der Klippen aufgehalten. Dorthin strebte sie nun, um zu sehen, was der Sturm angerichtet hatte.

Sie hatte alles andere erwartet als ein Schiff … oder jedenfalls Teile eines solchen? Sie blieb wie gebannt stehen und wagte kaum zu atmen. Wind und Wellen hatten eine kleine Jacht auf den vorgelagerten Felsen zerschmettert. Der Segler schien versucht zu haben, die relative Sicherheit des Strandes zu erreichen, doch er hatte es nicht an den Felsen vorbei geschafft.

Du lieber Himmel, war dort etwa noch jemand? Tatsächlich! Sie sah etwas Gelbes im Wasser blitzen. Weit draußen zwischen dem Felsen und dem Strand trieb eine Gestalt im Wasser.

Claire wusste, wie tückisch dieses Gewässer war. Durch die besondere Formation zwischen der engen Bucht und den vorgelagerten Felsen entwickelte sich bei Flut eine starke, seewärts gerichtete Strömung.

Der Schiffbrüchige war dabei, geradewegs hineinzuschwimmen. Nur wenn er sich seitwärts davon entfernte, hatte er eine Chance.

Schreien hatte keinen Zweck. Der Wind heulte noch immer um die Felsen, und die Gestalt war zu weit draußen, um sie zu hören.

Sollte sie die Heldin spielen? „Auf keinen Fall!“, rief sie laut gegen den Wind, aber manche Dinge sind nicht verhandelbar. Sie konnte einem Menschen nicht ruhigen Gewissens beim Ertrinken zusehen.

„Du weißt, wo das Hundefutter steht“, erklärte sie Rocky und schlüpfte aus ihren Stiefeln. „Wenn ich nicht wiederkomme, sag allen, dass ich den Heldentod gestorben bin.“

Das allerdings hatte sie nicht vor. Sie würde sich nah an den Felsen halten, wo die Strömung am geringsten war. Auf dem hastig abgelegten Mantel landeten der Pullover und die Jeans.

Raoul kam nicht voran. Die Strömung zog ihn schneller hinaus aufs Meer, als er schwimmen konnte. Er spürte, dass er gegen den Strom nicht ankam. Also musste er ihm nachgeben und sich mitziehen lassen, bis der Sog nachließ.

Allerdings war er inzwischen ziemlich erschöpft. Die Jacht war nicht mehr als ein treibender Trümmerhaufen gewesen. Das Segel hing in Fetzen, und der Motor war viel zu schwach, um das Boot damit zu kontrollieren. Am Ende hatte eine weitere gewaltige Welle dem Boot den Rest gegeben.

Es war kieloben auf dem Felsen gelandet und dort vollends zerborsten. Seitdem schwamm er im bitterkalten Wasser. Er war sich nicht sicher, ob er es noch einmal an Land schaffen würde, wenn er sich mit der Strömung treiben ließ.

Doch ihm blieb keine Wahl. Er ließ sich bewegungslos mitziehen, um Kraft zu sparen. Verzweifelt blickte er zum Ufer, von dem er sich immer weiter entfernte.

Dann entdeckte er am Strand eine zierliche Gestalt. War das ein Kind? Nein, eine Frau! Sie schien etwas zu schreien und deutete wild gestikulierend auf die östliche Seite der kleinen Bucht. Vielleicht war dort drüben die Strömung schwächer?

Er sah, wie sie sich in die Wellen stürzte und in die zuvor angedeutete Richtung schwamm. Also gut, dachte er, wenn sie sich schon meinetwegen in Gefahr bringt, sollte ich wenigstens helfen. Er mobilisierte seine letzten Kräfte und versuchte, seitlich aus dem Strom herauszuschwimmen.

Im Keller der Büros von Craybourne, Ledger & Smythe hatte es einen Pool gegeben. Einige Kollegen hatten den in jeder Mittagspause genutzt. Sie selbst war lieber shoppen gegangen oder hatte im Park ihr Sandwich gegessen.

Rückblickend bedauerte Claire ihre Faulheit. Sie hätte jetzt olympisches Schwimmtraining gebrauchen können. Hier an der Seite war zwar keine Strömung zu spüren, aber dafür befand sie sich gefährlich nahe an den schroffen Klippen. Mehr als einmal drohten schwere Brecher sie auf die Felsen zu werfen. Nur mit äußerster Mühe kam sie voran, und inzwischen verlangte auch das eisige Wasser der Bass Strait seinen Tribut.

Von dem Menschen, den sie retten wollte, war nichts zu sehen. Es half nichts, sie musste weiter hinaus.

Raoul hatte endlich den Rand der Strömung erreicht und wurde wenigstens nicht weiter aufs Meer hinausgezogen. Dafür lief er jetzt ständig Gefahr, auf die Felsen geschmettert zu werden. Plötzlich spürte er einen harten Schlag auf den Kopf. Instinktiv streckte er die Hände aus, um nach dem zu greifen, das ihn getroffen hatte.

Es war kein Fels. Es war weich und nachgiebig. Eine Frau. Ihre braunen Locken hingen in Strähnen über ihr Gesicht. Die grünen Augen wirkten im Salzwasser verquollen. Sie schien genauso benommen wie er selbst.

Jetzt verstand er, was geschehen war. Sie waren mit den Köpfen zusammengestoßen.

Die Frau schien ihren ersten Schreck überwunden zu haben. „Sie hatten“, begann sie und schnappte nach Luft, nachdem die nächste Welle über sie hinweggerollt war. „Sie hatten die ganze Bass Strait für sich und müssen ausgerechnet meinen Kopf treffen?“

Raoul hatte sie am Arm gepackt, damit die Wellen sie nicht auseinanderreißen konnten. Sie befanden sich gemeinsam in tödlicher Gefahr, doch sein erster Impuls war zu lachen. Sie war zu seiner Rettung gekommen, und jetzt machte sie Witze?

„Revenez à la plage. Je suivrai“, keuchte er. Dann wurde ihm bewusst, dass er Französisch gesprochen hatte, Marétals Amtssprache. In Tasmaniens eisigen Gewässern war das vielleicht nicht die richtige Wahl. „Schwimmen Sie zurück zum Strand, ich komme hinterher“, wollte er sagen, aber die Kälte machte es ihm schwer, die Worte deutlich auszusprechen.

Sie schien ihn dennoch verstanden zu haben. „Wie wollen Sie mir folgen? Sie ertrinken gerade.“ Sie hatte auf Französisch mit einem leichten Akzent geantwortet, der verriet, dass das nicht ihre Muttersprache war.

„Werde ich schon nicht.“ Zunge und Lippen formulierten die Worte nur mit Mühe.

„Ist noch …“ Wieder musste sie eine Welle abwarten bis sie weitersprechen konnte. „… jemand auf dem Boot?“

Noch jemanden retten? Sie war seinetwegen in die tosende See gesprungen, und nun wollte sie noch weiter hinausschwimmen, um andere zu retten? Was für eine Frau! Seine Ausbilder bei der Armee wären stolz auf sie.

„Niemand mehr“, ächzte er. „Jetzt schwimmen sie endlich zum Strand!“

„Sind Sie sicher?“

„Ganz bestimmt! Los jetzt!“

„Wagen Sie nicht, jetzt noch zu ertrinken, nachdem ich mir so viel Mühe mit Ihnen gemacht habe.“

„Werde ich nicht“, brachte er gerade noch hervor. Dann schlug eine weitere Welle über ihm zusammen, riss ihm die Frau aus der Hand und schleuderte sie seitwärts.

Sie krachte auf die Felsen und verschwand. Vergeblich versuchte er, nach ihr zu greifen, aber sie blieb verschwunden. Er hatte keine Ahnung, woher er noch die Energie nahm, aber er tauchte, und endlich packten seine blind suchenden Hände ein Stück Stoff. Daran zog er, und endlich hatte er sie von den Felsen weggezerrt und hielt ihre reglose Gestalt im Arm. Mühsam versuchte er, sie über Wasser zu halten, während sie langsam wieder zur Besinnung kam.

Endlich hörte er sie wieder stöhnen. „Sie können mich jetzt wieder loslassen.“

„Auf keinen Fall!“ Aber er änderte den Griff, denn ihm war klar geworden, dass es ihr Slip war, den er gepackt hielt. Allerdings hatte er jetzt den Träger ihres BHs in der Hand.

Raoul merkte, wie die Frau vor Schmerz das Gesicht verzog. „Sie sind verletzt!“, stellte er fest.

„Ich habe leider gerade kein Pflaster dabei“, gab sie zurück. „Außerdem ruinieren Sie meinen BH!“

Erneut war Raoul beeindruckt vom unerschütterlichen Mut dieser Frau. Sie befand sich in Lebensgefahr, aber sie verlor nicht ihren Humor.

„Falls er zerreißt, bekomme ich wenigstens etwas zu sehen“, versuchte er ihren Ton aufzunehmen. „Aber erst, wenn wir am Strand sind, und dahin schwimmen wir jetzt!“

Claire konnte nicht genau sagen, woher der Schmerz kam, aber irgendetwas war mit ihrer Schulter nicht in Ordnung. Dennoch musste sie schwimmen! Sie durfte auf keinen Fall untergehen!

Der Gedanke, dass sie nicht allein war, gab ihr noch einmal Kraft. Der Fremde hielt noch immer ihren BH fest. Seine Schwimmzüge waren kräftiger als ihre, aber er kannte diese Bucht nicht.

„Wir müssen dicht an den Felsen bleiben“, brachte sie zwischen zwei Brechern hervor, „sonst werden wir wieder von der Strömung erfasst.“

„Das habe ich verstanden“, erklärte er. „Aber jetzt Mund halten und schwimmen!“

Der Schmerz in ihrer Schulter raubte ihr fast das Bewusstsein, aber sie schwamm aus Leibeskräften, und plötzlich spürte sie Sand unter ihren Füßen. Die nächste Welle drohte, sie wieder zurückzuziehen, aber der Mann hatte jetzt sicheren Stand und zog sie auf den trockenen Strand.

„Wir haben es geschafft“, keuchte er. „Nur noch ein paar Schritte. Kommen Sie, Lady, die schaffen Sie auch noch.“

Rocky kam ihnen entgegengestürmt und wütend bellte er den Fremden an. Claire griff mit dem gesunden Arm nach dem Hund und sank auf dem sicheren Boden zusammen. Dann brach sie in Tränen aus.

Eine Zeit lang blieben sie beide reglos liegen. Claire hielt ihren Hund umschlungen und war sich vage bewusst, dass sie fror und besser in warme Kleidung kommen sollte. Auch der Fremde war kraftlos auf den Sand niedergesunken. Sie konnte sehen, wie sich sein Brustkorb hob und senkte. Also lebte er noch.

Wer mochte er sein? Er trug einen Tarnanzug wie ein Soldat, aber er sah anders aus als die australischen Uniformen.

Seine Stiefel fehlten. Wieso fiel ihr das jetzt auf?

Sein Gesicht fiel ihr auch auf, aber das war ganz normal. Trotz der Schmerzen in ihrer Schulter musste sie feststellen, dass er verdammt gut aussah.

Seine Gesichtszüge waren … aristokratisch? Sein schwarzes Haar war militärisch kurz geschnitten, doch man konnte ahnen, dass es sich wellen würde, wenn es länger wuchs. Sie schätzte ihn auf Mitte dreißig, und unter der nassen Kleidung erahnte sie einen durchtrainierten Körper.

Wie im Halbschlaf ließ sie ihre Gedanken treiben. Irgendetwas Schlimmes war mit ihrem Arm passiert. Sie wollte lieber nicht hinsehen, nur mit Rocky im Arm still liegen bleiben und nicht daran denken, was passieren würde, wenn sie sich bewegen musste.

„Was ist los mit Ihnen?“

Der Fremde hatte sich bewegt. Er hatte sich aufgerichtet und blickte besorgt auf sie nieder.

„Oh, hallo“, brachte sie hervor.

Äh … wo war ihr BH? Er war ihr auf die Taille gerutscht, aber sie hatte nicht die Energie, etwas daran zu ändern. Sie umarmte Rocky ein wenig enger und hoffte, dass das als Sichtschutz genügte. Falls nicht, war es ihr auch egal.

„Was ist mit Ihrem Arm?“, fragte er und deutete vorsichtig darauf, als traue er sich nicht, ihn anzufassen.

„Mit dem stimmt etwas nicht. Ich bin gegen die Felsen geknallt. Ich fürchte, ich habe die Rettungsschwimmerprüfung nicht bestanden, nicht wahr?“

„Ohne Sie wäre ich jetzt tot“, erklärte er.

„Ich habe versucht, Ihnen Zeichen zu geben, aber ich wusste nicht, ob Sie mich sehen konnten.“ Ihre Worte kamen stockend. Die Kälte machte es schwer, sie sauber zu artikulieren. Ihm schien es nicht anders zu gehen, aber sein französischer Akzent klang charmant.

„Wo kann ich Hilfe holen?“, fragte er zögernd. Er schien sich nicht sicher, ob er die Antwort wirklich hören wollte.

„Hilfe?“

„Auf meiner Karte stand, dass die Insel unbewohnt ist.“

„Das ist sie nicht“, widersprach sie.

„Nein?“

„Hier wohnen Rocky und ich und jetzt auch Sie.“

„Rocky?“

„Der hier in meinem Arm.“

Stille. Obwohl es alles andere als still war. Die Wellen knallten dröhnend auf den Strand, und der Wind pfiff um die Klippen. Ein herumfliegendes Stück Seetang schlug ihr ins Gesicht.

Was war nur mit ihrem Arm los? Sie machte eine vorsichtige Bewegung und beschloss, das so bald nicht wieder zu tun.

„Wohnen Sie hier?“

„Ich hüte nur.“

„Sie hüten die Insel?“

„Das Haus.“

„Es gibt hier ein Haus?“

„Ein großes Haus.“

„Ausgezeichnet!“

Er raffte sich auf und sah sich am Strand um. Dann ließ er sie mit Rocky allein. Augenblicke später war er mit dem Häuflein ihrer hastig abgelegten Kleider zurück.

„Hier, ziehen Sie das an!“

„Sie sind auch völlig durchnässt.“

„Ja, aber ich habe keine trockene Kleidung am Strand. Ein Fall von Unterkühlung ist genug. Jetzt ziehen Sie den Slip aus, damit ich Ihnen in die Jeans helfen kann.“

„Ich werde nicht meinen Slip ausziehen!“, widersprach Claire peinlich berührt.

„Er ist triefend nass und eiskalt!“

„Ich habe meinen Stolz!“

„Und ich dulde keine unangebrachte Prüderie unter meinem Kommando.“ Er hielt ihr ihren Pullover entgegen. „Nur über den Kopf ziehen! Versuchen Sie gar nicht erst, den Arm in den Ärmel zu bekommen!“

Der Pullover war lang genug, um ihr einen Rest von Ehrbarkeit zu lassen, als sie den nassen Slip abstreifte. Sie wünschte, er wäre aus Seide und Spitze, doch auf dieser eisigen Insel hatte sie sich vernünftigerweise für solide Baumwolle entschieden. Mit Besuch hatte sie nicht gerechnet.

Der Fremde stützte sie und hielt ihr die Jeans hin, damit sie hineinschlüpfen konnte. Dann zog er sie ihr über die Hüften, als mache er so etwas jeden Tag. Ganz bestimmt gehörte das nicht zur Grundausbildung von Soldaten.

Nun hielt er auch ihre Stiefel bereit, die sie vorhin in aller Eile von sich geworfen hatte. Vorsichtig stieg sie hinein und ließ beschämt zu, dass er ihr die Schleife band.

Ich bin vielleicht ein Lebensretter, dachte sie reumütig.

„So!“ Er erhob sich und griff nach ihrem heilen Arm. „Dann gehen wir jetzt zu diesem Haus. Ist es weit?“

„Ungefähr hundert Meter Luftlinie“, erklärte sie. „Leider haben wir keine Flügel.“

„Das heißt, wir müssen hinauf?“

„Es ist dort oben.“

„Es tut mir leid.“ Zum ersten Mal begann seine Stimme zu stocken. „Ich fürchte, ich kann Sie nicht hinauftragen.“

„Da bin ich aber froh!“, entgegnete Claire. „Ich war vielleicht gezwungen, mir in meine Kleidung helfen zu lassen, aber das ist auch das Äußerste. Sie werden mich nirgendwohin tragen!“

Raoul war zu Tode erschöpft. Vor zwei Tagen hatte er in Hobart abgelegt. Der Sturm war wie aus dem Nichts gekommen, und der Motor der kleinen Jacht war nicht groß genug gewesen, um dagegen anzukommen. Er hatte die Segel einholen müssen und das mit der Sturmfock notdürftig kontrollierbare Boot von den aufgebrachten Elementen treiben lassen. Er war bis auf die Knochen durchgefroren und so müde, dass er sich am liebsten fallen gelassen hätte, um nur noch zu schlafen.

Aber die Frau an seiner Seite hatte Schmerzen. Sie beklagte sich nicht, doch als er seinen Arm um sie legte, um sie zu stützen, entzog sie sich ihm nicht. Er hatte ihre Tapferkeit im Wasser erlebt. Diese Frau nahm bestimmt keine Hilfe an, wenn es nicht unbedingt nötig war.

„Wie weit ist es noch vom Rand der Klippe bis zum Haus?“, fragte er.

Sie holte ein paar Mal tief Luft und schaffte ein paar Schritte weiter voran, bevor sie antwortete. „Nicht weit. Wollen Sie vorausgehen? Die Hintertür ist offen.“

„Machen Sie Witze?“ Er stützte sie an ihrer gesunden Seite, denn es war unübersehbar, dass ihr linker Arm nutzlos herabhing. „Sie sind die Lebensretterin! Ohne Sie wäre ich dort draußen ertrunken!“

„Rocky kann Ihnen … die Küche zeigen …“ Die Worte kamen abgehackt zwischen keuchenden Atemzügen „… und das Hundefutter. Sie werden damit überleben.“

„Ich will, dass Sie mir zeigen, wo die Küche ist. Ich glaube, wir haben es jetzt gleich geschafft.“ Keuchend setzte er einen Fuß vor den anderen und zog sie mit sich.

Endlich erreichten sie das Ende des steilen Weges, und Raoul wurde vom Anblick einer prächtigen Villa überrascht. Sie war aus demselben Fels gebaut wie die Insel und duckte sich lang und flach auf dem Plateau. Sie wirkte wie eine uneinnehmbare Festung.

Eine hölzerne Hütte hätte ihm vollends genügt, aber dieser Palast! „Gerettet!“, rief er aus. Die Frau drohte ihm aus dem Arm zu gleiten. Die Anstrengung des Aufstiegs hatte ihr die letzte Kraft geraubt.

„Hintertür … aus dem Wind“, brachte sie mühsam mit brüchiger Stimme hervor.

Es war unglaublich, dass sie es bis hierher geschafft hatte. Nach dem Überlebenskampf im Wasser war sie auch noch den steilen Pfad die Klippe hinaufgestiegen. Es war erstaunlich, was ein menschlicher Körper ertragen kann. Seine Ausbilder in der Armee hatten ihm das immer wieder eingetrichtert: „Ganz gleich wie erschöpft du bist, dein Adrenalin ist da, wenn du es brauchst.“

Der Frau neben ihm versagten die Beine, und er wusste, dass er sein Adrenalin jetzt brauchen würde. Er beugte sich nieder und hob sie auf seine Arme.

Sie protestierte nicht. Nicht einmal dazu hatte sie mehr die Kraft.

Der kleine Hund schoss voran und zeigte ihm den Weg zur Hintertür. Minuten später waren sie im Haus und in Sicherheit.

3. KAPITEL

Raoul konnte seine Hände und Füße kaum noch spüren. Er war zu lange im kalten Wasser gewesen und so durchgefroren, dass sein Körper nicht mehr richtig funktionierte.

Die Frau, die ihn gerettet hatte, lag auf dem Sofa. Sie hatte trockene Kleidung an, und im Haus war es warm. Er konnte ihr nur helfen, wenn er sich selbst in den Griff bekam. Das Denken fiel ihm schwer, und er spürte das unwiderstehliche Verlangen, sich einfach hinzulegen und einzuschlafen.

Sie schien das zu verstehen. „Badezimmer. Da entlang.“ Sie war kaum zu hören, aber er begriff, was sie meinte. „Kleidung nebenan.“

„Werden Sie solange zurechtkommen? Nicht den Arm bewegen!“

„Als ob ich das wollte! Nun gehen Sie endlich!“

Das Bad brauchte den Vergleich mit dem im königlichen Palast von Marétal nicht zu scheuen. Die Dusche war riesig mit einem Sims am Rand, auf dem er sich niederlegen konnte. Als endlich das warme Wasser auf seine Haut traf, ließ ihn der Schmerz spüren, wie nahe er der Katastrophe schon gekommen war.

Er hatte Abschürfungen und blaue Flecken am ganzen Körper, aber vom militärischen Training war er Schlimmeres gewohnt.

Langsam kehrten seine Lebensgeister zurück. Jetzt fehlte nur noch Schlaf.

Aber da war diese Frau, die seine Hilfe brauchte!

Er rubbelte sich trocken und machte sich auf die Suche nach trockener Kleidung. Dieses Haus war riesig. Wem mochte es gehören?

Neben dem Bad war ein großes Schlafzimmer und daran angrenzend ein ebenso beeindruckendes Ankleidezimmer.

Auf der einen Seite hingen Damenkleider der teuersten Marken. Der Stil passte nicht zu der Frau, die ihn gerettet hatte. Auf der anderen Seite fand er nicht weniger teure Herrenbekleidung. Er begnügte sich mit einer Jogginghose und einem T-Shirt, Socken und leichten Schuhen. Darüber noch einen weiten Pullover.

Noch immer drohte ihn die Erschöpfung zu übermannen, aber immerhin funktionierte sein Kopf wieder. Er musste wach bleiben! In der Küche fand er einige Kartons mit haltbarer Milch. Die ließ er in sich hineinlaufen, bis das quälend hohle Gefühl im Magen endlich nachließ. So gestärkt eilte er zurück in den Wohnraum.

Die Frau lag noch immer mit geschlossenen Augen auf dem Sofa. „Hallo“, sagte er leise.

Sie wandte den Kopf, öffnete die Augen und brachte ein schwaches Lächeln zustande. „Selber hallo. Die Klamotten stehen Ihnen viel besser als Don.“

„Don?“

„Donald und Marigold gehört dieses Haus.“

„Nicht Ihnen?“

„Ach, wenn es so wäre.“ Sie schnitt eine Grimasse.

„Wie wäre es, wenn wir uns jetzt miteinander bekannt machten?“, fragte er.

„Claire“, erwiderte sie. „Claire Tremaine. Ich bin die Hüterin der Insel.“

„Und ich bin Raoul“, stellte er sich vor. „Raoul de Castelaise.“ Jetzt war nicht der Augenblick für förmliche Titel. „Soldat. Es freut mich, Sie kennenzulernen, Claire. Wie geht es Ihrem Arm?“

„Ich fürchte, er ist gebrochen.“

„Kann ich ihn mir ansehen? Ich müsste dazu Ihren Pullover ausziehen.“

„Ich hab keinen BH an.“

„Na wenn schon. Soll ich nach einem suchen?“

„Ist mir egal“, murmelte sie. „Sehen Sie sich meinen Arm an … aber sonst nichts.“

„Einverstanden!“ Er half ihr, sich aufzurichten und sich vom Pullover zu befreien. Da sie nur den heilen Arm in den Ärmel gesteckt hatte, ging es einigermaßen glatt.

Sie hatte ihm verboten, anderes als ihren Arm anzusehen. Das fiel ihm schwer. Zu schwer.

Sie war wunderschön, schlank mit den richtigen Kurven an den richtigen Stellen. Kastanienbraune Locken fielen ihr bis auf die nackten Schultern. Sie sah sehr verletzlich aus und sehr verängstigt.

Raoul eilte zurück ins Bad und brachte ein großes Badehandtuch. Das legte er ihr so um die Schultern, dass es ihre Blöße bedeckte, aber ihren Arm freiließ.

Mit der gesunden Hand hielt sie es fest zusammen, als suche sie Schutz darunter. Der Mut, mit dem sie sich ins Wasser gestürzt hatte, um ihn zu retten, schien verflogen.

Hatte sie Angst vor ihm?

Natürlich! Er war ein großer Kerl, und abgesehen vom Hund, war sie allein in diesem Haus. Sie war halbnackt und verletzt. Wie sollte sie auch keine Angst haben?

„Darf ich Ihnen sagen, dass meine Großmutter mich für vertrauenswürdig hält?“ Er zupfte am Zipfel des Handtuchs, um auch den letzten Rest entblößter Haut zu bedecken. „Sie erzählt aller Welt, was für ein guter Junge ich bin, und ich habe nicht vor, sie zu enttäuschen. Sie können mir vertrauen, Claire. Und sei es nur, weil mir meine Großmutter sonst die Hölle heiß machen würde.“

Sie brachte ein scheues Lächeln zustande. „Eine ziemlich beängstigende Großmutter, oder?“

„Und wie!“

„Aber Sie lieben sie trotzdem?“

„Unverbrüchlich!“

Ihre Miene entspannte sich, als hätten seine Worte ihre Ängste zerstreut. „Sind Sie Franzose?“, fragte sie.

„Ich komme aus Marétal. Das ist ein kleines Land nicht weit von …“

„Ich weiß“, unterbrach sie ihn. „Ihre Armee nimmt an internationalen Manövern in Tasmanien teil. Ich habe nachgeschaut.“

„Sie haben nach Marétal gesucht?“

„Es ist langweilig auf der Insel“, gestand sie. „Im Radio haben sie von den Manövern berichtet und die teilnehmenden Länder aufgezählt. Da ich keine Ahnung hatte, wo Marétal ist, habe ich im Atlas nachgesehen. Sie haben also an den Übungen teilgenommen.“ Plötzlich flog ein Schatten über ihr Gesicht. „Waren … waren denn noch andere Soldaten an Bord?“

„Nein, nur ich. Trotz der Uniform bin ich nicht im Dienst. Ich bin mit dem Boot eines Freundes aus Hobart gesegelt und wurde vom Sturm überrascht. Zwei Tage lang bin ich durch die Bass Strait getrieben, bis ich vor Ihrer Insel gestrandet bin. Den Rest kennen Sie.“

Raoul schüttelte den Kopf über seine grobe Fahrlässigkeit. „Mein Freund weiß nicht, dass ich sein Boot genommen habe, und ich habe niemandem gesagt, wohin ich wollte. Es war ein spontaner Einfall. Ich habe alle Regeln der Armee gebrochen und würde nicht widersprechen, wenn man mich einen Idioten nennt.“

„Sie haben ja die Rechnung dafür bekommen.“

„Die hätte viel höher ausfallen können.“

Während sie sprachen, begutachtete er ihren Arm. Sie hielt ihn etwas vom Körper ab, und ihre Schulter wirkte eigenartig schief.

„Idiot oder nicht, Sie müssten mir Ihren Arm anvertrauen. Darf ich Sie anfassen?“

„Wenn es Ihnen nichts ausmacht, dass ich schreie.“

„Ich werde vorsichtig sein“, versprach er. Behutsam strich er mit den Fingern von der Schulter hinab bis zu ihrem Ellenbogen. Dabei versuchte er, sich seine anatomischen Kenntnisse aus dem Erste-Hilfe-Kurs in Erinnerung zu rufen.

„Die Schulter scheint ausgerenkt“, stellte er fest.

„Der Arm fühlt sich gebrochen an.“

„Das wäre noch schmerzhafter.“ Er prüfte ihren Puls am Handgelenk und dann noch einmal in der Ellenbeuge.

„Sie machen den Eindruck, als wüssten Sie was Sie tun“, stellte sie fest.

„Ich habe für meine Einheit eine spezielle Erste-Hilfe-Ausbildung bekommen, und wenn wir außer Reichweite der Sanitäter sind, muss ich einspringen.“

„So wie jetzt?“

Raoul nickte. „Ich hoffe, wir sind hier nicht außerhalb der Reichweite. Sie sagten, hier gäbe es ein Funkgerät. Ein Hubschrauber sollte nicht länger als eine Stunde vom Festland hierher brauchen. Sagen Sie mir, wo das Gerät ist, damit ich Hilfe herbeirufen kann.“

„Oder auch nicht“, bremste sie seine frohe Erwartung.

„Nicht?“ Er runzelte die Stirn.

„Nein.“ Sie zuckte vor Schmerz zusammen. „Wir haben ein großes Funkgerät und sogar noch ein kleineres in Reserve, mit dem man Hobart erreichen kann. Aber bei seinem letzten Aufenthalt hat Don damit herumgespielt und versehentlich sein Bier hineingekippt. Das große Gerät wird auch nicht funktionieren. Bevor wir ins Haus kamen, habe ich gesehen, dass der Sturm die Antenne zerfetzt hat.“

„Er hat sein Bier …?“

„Hat er“, bestätigte sie. „Bei Marigold wäre es ein Martini gewesen.“ Sie schloss die Augen. „In der Küche ist ein Erste-Hilfe-Kasten. Ich glaube, den brauche ich jetzt.“

„Ich fürchte, ein Aspirin wird nicht helfen.“

„Marigold ist sehr schmerzempfindlich. In dem Kasten wird sicher etwas Stärkeres sein.“

So war es. Er fand Schmerzmittel, mit denen man einen Elefanten ausschalten konnte. Dabei lag eine Dosierungsliste, wie sie für die Flying Doctors gemacht sind, Australiens mobilen medizinischen Dienst. Ausgerenkte Schulter war zwar nicht ausdrücklich in der Liste aufgeführt, aber Raoul hatte genug Erfahrung, um die richtige Dosierung zu bestimmen. Er bereitete einen süßen Tee und sah dann zu, wie Claire die Pillen einnahm.

„Bleiben Sie ruhig liegen, bis die Dinger wirken“, riet er.

Er fand eine Decke und hüllte sie damit ein. Rocky hatte es sich auf dem Fußboden neben ihr bequem gemacht.

Als Nächstes brauchte er einen Plan. Er machte einen Rundgang durchs Haus und fand das Funkgerät in einer beeindruckend ausgestatteten Bibliothek. Claire hatte recht, es funktionierte nicht. Durchs Fenster konnte er die Antenne des anderen Geräts in Trümmern am Boden liegen sehen. Damit hatte sich Hilfe von außen erledigt.

„Dann musst du eben allein klarkommen“, sagte er zu sich selbst.

Claire lag, wo er sie verlassen hatte, aber sie wirkte entspannter als zuvor.

Er kniete sich neben sie. „Besser?“

„Besser“, flüsterte sie. „Machen Sie sich um mich keine Sorgen!“

„Das geht nicht, Claire. Wir müssen uns um Ihren Arm kümmern.“

„Mein Arm möchte einfach nur still liegen.“

„Ich fürchte, ich werde Ihnen wehtun müssen“, erklärte er. „Wenn ich das nicht tue, können Sie langfristige Schäden davontragen.“

„Woher soll ich wissen, dass er nicht gebrochen ist?“

„Das wissen Sie nicht und ich auch nicht. Ich habe in der Ausbildung eine Technik gelernt, die nicht immer funktioniert, aber wenigstens bei einem Bruch auch nicht schadet. Sollte der Arm gebrochen sein, wird er Sie anschreien, und dann werden Sie mich anschreien. Dann hören wir sofort auf.“

Raoul konnte nur hoffen, dass er funktionierte. „Claire, Sie müssen sich jetzt auf den Bauch legen und Ihren Arm seitlich über die Kante hängen lassen. Ich werde dann den Arm mehr und mehr belasten, indem ich mit Klebeband Gewichte daran hänge, wie zum Beispiel Dosenbohnen.“

„Bohnen?“

„Alles, was ich finden kann.“ Er lächelte ihr aufmunternd zu. „In einem Notfall ist alles erlaubt. Lassen Sie die Schmerzmittel und die Bohnen ihr Werk verrichten. Denken Sie an hohe Berge, entspannen Sie sich, und mit ein bisschen Glück wird das Gelenk in die richtige Lage zurückspringen.“

„Ich soll an hohe Berge denken?“

„Oder an einen sonnigen Strand. Irgendetwas, das Sie von Ihrem Arm ablenkt.“

Claire schien im Geist die Möglichkeiten durchzugehen. Dann öffnete sie die Augen und musterte ihn langsam von oben bis unten.

„Ich glaube“, flüsterte sie, „ich werde an Sie denken. Wenn Sie wüssten, wie anders Sie aussehen als Don! Er füllt dieses T-Shirt mit seinem Bierbauch, bei Ihnen sind es … Muskeln.“

Sie fantasiert, dachte er. Das muss die Wirkung der starken Schmerzmittel sein. Er selbst sollte besser aufhören, ihr in die Augen zu schauen und sie für bezaubernd schön zu halten. Sie war nur eine Patientin wie ein Kamerad aus seiner Einheit, im Kampf verwundet. An die Arbeit! Es war nichts Persönliches.

„Wie soll der Trick denn funktionieren?“, fragte sie ängstlich.

„Das Gelenk ist wie eine Kugel in einem Becher“, erklärte er. „Ich glaube, die Kugel ist aus dem Becher gerutscht, aber die Muskeln drumherum versuchen, sie wieder hineinzuziehen. Weil das nicht geht, protestieren sie mit Schmerz. Wenn Sie sich aber entspannen und wir den Arm genügend belasten, können die Muskeln die Kugel zurückziehen.“

Soweit die Theorie. Falls es funktionierte. Falls der Arm nicht gebrochen war. An einem unversehrten Arm würde er ziehen können. An einem Gebrochenen zu ziehen wäre gefährlich.

„Also gut“, entschied sie und lächelte zu ihm auf. „Allerdings haben wir keine Dosenbohnen. Wie wäre es mit Kaviar?“

„Machen Sie Witze?“

„Nein, davon haben wir mehr als genug im Haus.“ Dann strahlte sie auf. „Und wir haben Dosen mit wahrhaft scheußlichem Pulverkaffee. Es wäre schön, wenn der sich nützlich machen könnte.“ Sie lächelte ihn an, und er musste ihren Mut bewundern.

Raoul folgte streng den Instruktionen, die er in der Erste-Hilfe-Ausbildung erhalten hatte. Er befestigte die Dosen mit Klebeband an ihrem Oberarm und achtete sorgfältig darauf, ihr keine unnötigen Schmerzen zuzufügen. Claire hielt still und ließ alles klaglos über sich ergehen.

Er fügte so viel Gewicht hinzu, wie er glaubte, ihr zumuten zu können. Dann setzte er sich neben sie und wartete.

„Und was machen wir jetzt?“, fragte sie.

„Entspannen Sie sich. Denken Sie einfach nicht an den Arm.“ Dann hatte er eine Idee. „Wann hat Ihnen das letzte Mal jemand ein Märchen erzählt?“

„Oh je, das ist schon lange her.“

„Bei mir auch“, gestand er. „Also korrigieren Sie mich, wenn ich etwas durcheinanderbringe.“

Er setzte sich neben sie auf die Couch und strich ihr sanft über das Haar. Das einzige Märchen, an das er sich erinnerte, war eigentlich nicht lang genug, sodass er die Geschichte ein wenig ausbauen musste. Er machte eine echte Räuberpistole daraus. Als schließlich die schöne Prinzessin gerettet und der Bösewicht seiner gerechten Strafe zugeführt war, machte Claires Arm das, worauf er verzweifelt gehofft hatte. Das Gelenk rutschte zurück in seine Kapsel.

Die plötzliche Erleichterung wirkte wie ein Schalter in seinem Hirn. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er das Gefühl, ohnmächtig zu werden. Er beugte den Kopf zwischen die Knie, sonst wäre er vornüber vom Sofa gekippt.

„Es ist geschafft“, flüsterte Claire. Jetzt war sie es, die ihm zärtlich durch das feuchte Haar fuhr. „Vielen Dank.“

„Ich muss Ihnen danken“, ächzte Raoul. „Ich hätte es nicht ertragen, wenn Sie meinetwegen dauerhaft Schaden genommen hätten. Jetzt lassen Sie mich Ihnen eine Schlinge anlegen.“

„Raoul … legen Sie sich hin“, flüsterte sie. „Bitte … hier bei mir. Halten Sie mich!“

Zwei Tage lang war er in tödlicher Gefahr gewesen. Noch vor ein paar Stunden hatte er geglaubt, ertrinken zu müssen. Vor lauter Erschöpfung spürte er kaum noch seine Glieder.

„Erst die Schlinge“, stieß er hervor. Mit letzter Kraft befestigte er ihren Arm so, dass er nicht verrutschen konnte.

„Ich muss schlafen“, murmelte Claire. „Die Pillen … mein Arm … alles ist gut, aber bleiben Sie bei mir, Raoul.“

Sie lag auf dem breiten Sofa, halb bedeckt von Handtuch und Decke. Der Kamin strahlte eine wohlige Wärme aus.

Er schaffte es gerade noch, ein paar neue Scheite ins Feuer zu werfen. Dann starrte er in die Flammen und dachte … nichts. Sein Gehirn hatte die Arbeit eingestellt.

Claire war zur Seite gerutscht, um Platz für ihn auf dem Sofa zu machen. Bei wachem Verstand hätte er das sicher abgelehnt, aber er war zu schwach für eine ritterliche Geste.

Stöhnend ließ er sich neben ihr nieder. So groß das Sofa auch war, ließen sich Berührungen nicht vermeiden. Als sei es das Natürlichste in der Welt, legte er seinen Arm um sie. Sie schmiegte sich an ihn und murmelte schon halb schlafend: „Das ist schön.“

Als Raoul erwachte, war es draußen hell. War es jetzt später Nachmittag oder schon der nächste Tag? Für den Augenblick war es ihm egal.

Er lag immer noch auf dem breiten Sofa. Im Raum war es warm. Im Kamin glommen die Reste des Feuers.

Im Arm hielt er Claire.

Sein ganzer Körper schmerzte, und er wusste, dass die Schmerzen unerträglich werden würden, wenn er sich erst bewegte.

Einstweilen hatte er danach kein Bedürfnis. Er genoss die Wärme des Frauenkörpers an seiner Seite. Das Handtuch war verrutscht, und ihr halb entblößter Busen ruhte an seiner Brust. Er konnte ihren Herzschlag und ihren gleichmäßigen Atem spüren.

Nach all der Angst, der Gefahr und der Erschöpfung der letzten Tage überkam ihn ein Gefühl tiefen Friedens.

Auch früher schon war er in gefährlichen Situationen gewesen. Auch bei anderen Gelegenheiten hatte er dicht gedrängt an Kameraden schlafen müssen, sogar an Kameradinnen.

Doch nie hatte es sich so angefühlt wie diesmal. Es fühlte sich an, als sei diese Frau ein Teil von ihm.

Was für ein verrückter Gedanke, dachte er.

Er musste sich ein wenig bewegt haben, denn Claire begann sich zu regen und die Augen zu öffnen. Doch sie blieb, wo sie war, eng in seine Arme geschmiegt.

„Wie schön“, murmelte sie. „Der Wind hat sich gelegt.“

Raoul hatte es noch nicht bemerkt. Kein Wunder. Seine Sinne waren mit der Frau in seinen Armen beschäftigt.

„Schmerzen?“, fragte er.

Sie schien einen Moment darüber nachzudenken. „Nein“, stellte sie schließlich fest. „Nicht wenn ich ganz still liege.“

Das war ihm recht. Sie blieben still liegen.

„Ich muss ins Bad“, stellte sie nach einer Weile bedauernd fest, und er konnte ihr Bedauern nur teilen. Außerdem brauchte das Feuer neue Nahrung, und nicht zuletzt knurrte sein Magen. Das hätte er bereitwillig ignoriert, wenn Claire nur blieb, wo sie war. Doch Rocky hatte nun die Pfoten auf die Sofakante gelegt und sah sie erwartungsvoll an.

„So sieht er aus, wenn er Futter will“, erklärte Claire. Sie bewegte sich ein kleines bisschen, sodass sie mit der gesunden Hand den Hund hinter dem Ohr kraulen konnte. Mit veränderter Stimme sagte sie plötzlich: „Mein Handtuch ist verrutscht.“

„Das stimmt.“ Es fiel Raoul schwer, nicht begeistert zu klingen.

Sie zog das Handtuch zurecht und versuchte, ihn böse anzuschauen. Es war nicht sehr böse.

„Sie haben alles gesehen!“, warf sie ihm vor.

„Nein, Ma’am.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich habe die ganze Zeit nur Rocky angesehen.“

„Lügner!“

„Ja, Ma’am.“

Sie funkelte ihn aus ihren grünen Augen an. Mit zwei gesunden Händen hätte sie ihn bestimmt jetzt geboxt, doch mit einem Arm in der Schlinge war sie ungefährlich.

„Das Leben“, sagte sie plötzlich.

„Wie bitte?“

„Wir haben darum gekämpft, es zu behalten. Wir sollten es jetzt wieder in die Hand nehmen.“

„Sie meinen, das Feuer wieder anfachen, ins Bad gehen, den Hund füttern und auch für uns selbst etwas zu essen finden?“

„Und darüber nachdenken, wie wir Kontakt zum Festland herstellen können.“ Ihr bis dahin vergnügtes Lächeln schwand. „Wird man nach Ihnen suchen?“

Er musste an seine Leibwächter denken. Mittags hatten sie ihn zu Recht bei seiner Einheit vermutet und sich deshalb nicht für ihn verantwortlich gefühlt. Gegen Abend hatten sie dann bestimmt angerufen, um seine Pläne für den nächsten Tag zu erfahren. Zu der Zeit hatte er längst zurück an Land sein wollen. Er konnte sich ihre Panik vorstellen, als ihn niemand finden konnte.

„Was ist los?“, forschte Claire. Sie versuchte, sich aufzurichten und zuckte zusammen, als sie den Schmerz in ihrem lädierten Arm spürte.

„Was soll sein?“

„Ihr Gesichtsausdruck. Irgendjemand sucht nach Ihnen und macht sich schreckliche Sorgen. Ihre Frau? Partnerin? Familie?“

„Ich habe keine Frau oder Partnerin.“

„Dann die Familie? Eltern?“

„Meine Eltern starben, als ich fünf war, aber ich habe noch Großeltern.“

„Zu Hause in Marétal?“

„Ja.“ Er schloss die Augen und musste an die Aufregung denken, wenn seine Großeltern erfuhren, dass er verschollen war. Aufregung war untertrieben. Nachdem er nun schon zwei Tage verschwunden war, würde dort der reinste Horror herrschen.

Claire hatte sich jetzt aufrecht hingesetzt und die Decke um sich geschlungen. „Machen Sie sich keine allzu großen Sorgen“, versuchte sie, ihn zu beruhigen. „Der australische Rettungsdienst ist ziemlich gut. Sie können sich wahrscheinlich aus Wind- und Strömungsrichtung ein ganz gutes Bild machen, in welche Richtung Sie getrieben sind. Jeden Augenblick können wir einen Hubschrauber über uns hören, der nach einem verlorengegangenen Soldaten sucht.“

„Das wird wohl nicht passieren“, gestand er. „Ich habe niemandem gesagt, dass ich segeln gehen wollte. Außerdem war es das Boot meines Freundes, und der klettert gerade irgendwo in Nepal auf hohen Bergen herum. Er hat keine Ahnung, dass ich mir sein Boot ausgeliehen habe. Niemand weiß, dass ich überhaupt in See gestochen bin. Meine Großeltern werden verzweifelt sein.“

Es ging ja nicht nur um seine Großeltern. Seine Leibwächter waren zwei erfahrene Spezialisten, die sich jetzt als Versager fühlen mussten. Seine Vorgesetzten in der Armee würden in heller Panik sein. Zu Hause in Marétal würden die Medien sich mit wilden Schlagzeilen überbieten. Thronerbe verschwunden! Er mochte gar nicht daran denken.

Am liebsten hätte er laut geschrien, aber das würde auch nichts ändern.

„Raoul …“

„Mhhh.“

„Wir machen alle mal dumme Sachen“, versuchte sie, ihn zu trösten. „Manchmal sogar sehr dumme. Aber seien Sie froh! Es kann Ihnen ja nur peinlich sein, weil Sie noch leben! Das Versorgungsschiff wird nächsten Montag kommen. Sie gehen an Bord, die funken zum Festland und bevor sie Hobart erreichen, haben sich alle wieder beruhigt. Vielleicht müssen Sie sich bei ein paar Leuten entschuldigen, aber dann fahren Sie nach Hause und nehmen Ihre Großeltern in die Arme. Und die Armee? Die denken sowieso, Sie seien in einer Bar versackt oder bei einer Frau.“

Dabei lachte sie ihn verschmitzt an. „Genau genommen, stimmt ja sogar beides. Sie sind bei einer Frau, und wenn Sie die Tür dort öffnen, werden Sie eine ausgezeichnete Bar vorfinden.“

„Ich glaube, die brauche ich jetzt auch“, gestand er.

Sie kicherte und versuchte aufzustehen. Raoul musste sie stützen, da sie schwankte.

„Was haben Sie mir eingeflößt?“, fragte sie. „Ich fühle mich wie im Drogenrausch.“

„Ich wollte Sie nicht schreien hören, als Ihr Arm wieder ins Schultergelenk sprang. Sie waren sehr tapfer.“

„Ja, das war ich, nicht wahr?“ Sie machte eine geringschätzige Geste mit dem gesunden Arm. „Ich bin also tapfer, und Sie sind verschollen. Mein Arm ist wieder da, wo er hingehört. Das sind die Fakten. Um den Rest kümmern wir uns der Reihe nach.“

„Ich kann diese Insel wirklich nicht vor nächsten Montag verlassen?“

„Sie könnten versuchen, das Funkgerät zu reparieren“, schlug sie vor. „Verstehen Sie etwas von Elektronik?“

„Nein.“

„Dann lassen Sie lieber die Finger von dem Ding“, befahl sie. „Ich habe keine Lust, Ihnen schon wieder das Leben zu retten. Und jetzt …“

„Ja?“

„Bringen Sie das Feuer wieder in Gang, während ich Rocky füttere.“

„Ja, Ma’am.“ Mehr gab es nicht zu sagen.

4. KAPITEL

Heute Morgen hatte sie sich noch gelangweilt, und ihr ganzes Verlangen hatte einer guten Tasse Kaffee gegolten.

Jetzt hatte sie Aufregung genug, und ihr Verlangen ging in eine ganz neue Richtung. Claire stand unter der heißen Dusche und ließ ihre Gedanken treiben, wohin sie wollten. Sie wollten geradewegs zu Raoul.

Sie war allein auf der Insel mit einem Mann, von dem sie nichts wusste, außer dass er bei der Armee war und Großeltern hatte. Er war dunkelhaarig und sonnengebräunt, und um seine grauen Augen hatten sich kleine Fältchen gebildet. Er hatte ihren verletzten Arm kuriert, und er machte sich Sorgen wegen seiner Großeltern. Er schien ein guter Mensch zu sein.

Raoul. Netter Name, dachte sie. Netter Bursche. Mit einem sexy Akzent. Sehr sexy.

Sie sollte besser sofort aufhören, an diesen Mann zu denken.

„Alles in Ordnung da drinnen?“

Seine Stimme ließ sie zusammenfahren. Sie musste sich erst räuspern, ehe sie sprechen konnte. „Alles … alles gut.“

„Das Essen ist gleich fertig. Erst einmal sollte ich Ihnen aber den Rücken abtrocknen, denn mit einem Arm dürfte das schwierig sein.“

Tausend Gedanken schossen Claire gleichzeitig durch den Kopf. Sie war allein mit diesem Mann auf der einsamen Insel. Alle Vernunft riet ihr, seine Hilfe nicht anzunehmen.

Sie war achtundzwanzig Jahre alt, keine Jungfrau mehr und nicht prüde. In ihrem Hirn bildeten sich schließlich drei Fraktionen. Die eine sagte „Pass auf!“, die andere „Sei vernünftig!“ und die dritte forderte „Ja!“.

Sie ließ abstimmen. Sicherheit und Vernunft verloren haushoch.

„Ja“, flüsterte sie so leise, dass er sie nicht hören konnte.

„Claire? Alles in Ordnung?“

„Ja, mir geht es gut“, bestätigte sie. „Und ja, bitte. Ich glaube, ich brauche ein wenig Hilfe.“

Hätte Raoul nicht in den letzten zwei Tagen eine kalte Dusche nach der anderen über sich ergehen lassen müssen, hätte er jetzt eine gebrauchen können. Ganz behutsam rieb er Claires Rücken mit dem flauschigen, weichen Handtuch trocken. Er war froh, dass sie ihr Gesicht und ihre Vorderseite selbst einarmig getrocknet hatte. Ihren Busen zu berühren, und wenn auch nur unter einem Handtuch, hätte seine gute Erziehung und seinen starken Willen auf eine harte Probe gestellt. Es war schon herausfordernd genug, die sanften Konturen ihres Rückens durch das Handtuch zu spüren.

Bevor er ins Bad gekommen war, hatte er Steaks zum Auftauen in die Mikrowelle gelegt. Bis dahin war er sicher gewesen, dass ein gut gebratenes Steak alle seine Wünsche erfüllen würde. Jetzt nicht mehr. Sollte das Fleisch ruhig in der Mikrowelle verdorren. Alle seine Sinne waren jetzt auf diese Frau gerichtet.

„Ich glaube, ich bin jetzt trocken“, erklärte Claire, und ihre Stimme klang ein wenig zittrig. Offensichtlich war sie sich der aufgeladenen Situation genauso bewusst wie er.

Er könnte sie jetzt …

Ausgeschlossen! Diese Frau hatte ihn vor dem Ertrinken gerettet und ihm Schutz in ihrem Haus geboten. Seinetwegen war sie nun selbst verletzt. Außerdem stand sie wahrscheinlich immer noch unter dem Einfluss der starken Schmerzmittel. Sich jetzt an sie heranzumachen, wäre schändlich.

„Raoul …“, flüsterte sie.

„Ja, trocken“, stimmte er zu. „Wo kann ich Kleidung für Sie finden? Irgendetwas Vernünftiges.“

Er sprach zu laut, und die Betonung des letzten Wortes traf sie beide wie eine Ohrfeige. Vernünftig. Das musste jetzt die Devise sein.

„In … meinem Schlafzimmer. Gleich die nächste Tür. In der dritten Schublade von oben ist ein Jogging-Anzug und Unterwäsche ist gleich darunter. Aber ich kann mir das alles selbst holen.“

„Bleiben Sie, wo Sie sind!“, befahl er und trat hastig den Rückzug an.

Im Schlafzimmer fand er die gewünschten Dinge. Als er die Schublade mit der Unterwäsche aufzog, musste er einmal tief durchatmen. Zum Ausgleich wählte er aus einem Regal ein Paar Pantoffeln aus weichem Schaffell. Die waren wenigstens überhaupt nicht sexy.

Zurück im Bad überlegte Raoul einen Moment, ob er Claire beim Anziehen helfen solle, und entschied dann, dass sie allein zurechtkommen musste. Es wäre bei Weitem sicherer, wenn er auf der anderen Seite der Tür blieb.

Kritisch betrachtete Claire sich im Spiegel. Ihr Jogging-Anzug war alt und ausgebeult, und an den Füßen trug sie übergroße Pantoffeln. Ihr Haar war gekämmt, aber immer noch feucht, und für ein Make-up reichte ihre Energie noch nicht wieder.

„Er muss mich eben nehmen, wie ich bin“, erklärte sie ihrem Spiegelbild. Dann zuckte sie zusammen. Mich nehmen?

Rocky saß ihr zu Füßen und sah fragend zu ihr auf, als ahne er ihre Gedanken. „Wir beide sind zu lange allein gewesen“, erklärte sie ihm. „Vier Monate auf einer einsamen Insel, und dann tritt so ein Kerl in unser Leben!“

Ein wahrhaft prachtvolles Exemplar von Kerl. Schon allein sein Akzent machte ihr Gänsehaut, und dann war er auch noch sanft und zuvorkommend! Sie schob die Armschlinge ein wenig zurecht und war froh über den kleinen Schmerz, der sie auf den Boden zurückholte. Dann verließ sie das Bad und folgte dem köstlichen Duft von Steaks und gebratenen Zwiebeln. „Mehr Genuss als das kommt nicht infrage“, murmelte sie entschlossen.

„Hallo.“ Raoul wandte sich um, als sie die Küche betrat. Er musterte sie von Kopf bis Fuß, und sein Lächeln verriet, dass er mit dem Anblick einverstanden war, einschließlich des ausgebeulten Jogginganzugs und der unförmigen Pantoffeln.

„Fühlen Sie sich jetzt besser?“

„Oh ja.“ Sie war sauber, ihr war warm, und das Essen stand bereit. Was konnte sich eine Frau sonst wünschen?

„Mir geht es großartig“, erwiderte sie ein wenig zu aufgekratzt. Dann stellte sie verwundert fest, dass er ihr einen Stuhl bereitschob. Gute Manieren hatte er auch?

„Sie müssen das alles nicht für mich tun“, wehrte sie ab. „Ich bin hier die Bedienstete.“

„Die Bedienstete?“

„Don und Marigold gehört die Insel, aber im Winter kommen sie nie hierher. Sie suchten eine Verwalterin, und Rocky und ich haben uns für den Job beworben.“

„Nur Sie und Rocky?“ Er wandte sich ab, um die Steaks zu wenden. „Das ist nicht gerade die höchste Sicherheitsstufe.“

„Es sollte eigentlich auch noch ein Hausmeister-Gärtner-Wächter hier sein. Der hat aber plötzlich gekündigt und die Insel mit dem Schiff verlassen, mit dem ich angekommen bin.“

Raoul verteilte Kartoffelspalten ...

Autor

Marion Lennox
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