Kleiner Streuner - große Liebe

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Pünktlich zum ersten Schnee bekommt der kleine Streuner ein warmes Zuhause und einen Namen. "Socke" gefällt ihm ganz wunderbar. Es passt zu seinen weißen Pfötchen. Er wohnt jetzt bei André und darf jeden Tag mit ihm zur Arbeit fahren und dort Eva sehen. Sie ist nun Sockes neues Frauchen. Warum sie allerdings nicht auch bei ihm und André einzieht, versteht Socke nicht ganz, aber das scheint so ein Menschending zu sein. Das will Socke unbedingt lösen- am besten noch vor Weihnachten.

"‚Kleiner Streuner - große Liebe' ist ein zu Herzen gehendes Buch, ein unkomplizierter Liebesroman für Erwachsene mit der Petra Schier eigenen Mischung aus Spannung, Emotionen und einem Hauch knisternder Erotik. Ein wunderbares Feiertagsbuch und unterhaltende Weihnachtslektüre für jeden Hundefreund." elli-radinger.de


  • Erscheinungstag 09.10.2017
  • Bandnummer 2
  • ISBN / Artikelnummer 9783955767204
  • Seitenanzahl 304
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. Kapitel

„Prost, Mädels!“ Kichernd schenkte Eva Lange Weißwein aus der frisch geöffneten Flasche in die Gläser ihrer Freundinnen Lidia und Sophie. Es war bereits die dritte Flasche an diesem Abend, und entsprechend ausgelassen waren die drei Frauen. „Ohne euch wäre ich wirklich aufgeschmissen gewesen.“ Sie goss sich selbst ebenfalls ein gutes Quantum Wein in ihr Glas und schwenkte es dann übermütig.

„Du wiederholst dich.“ Sophie Braumann ließ sich in einen der beiden abgeschabten Ledersessel fallen und lehnte sich bequem zurück. Zufrieden blickte sie sich in Evas kleinem Wohnzimmer um, in dem sich vollgepackte Umzugskartons säuberlich neben- und übereinander stapelten. „Aber wir waren fleißig, das gebe ich gern zu.“

„Bloß warum du jetzt schon all deine Sachen wegpackst, wo es doch noch mindestens vier Wochen dauert, bis du in die neue Wohnung ziehen kannst, begreife ich nicht.“ Auch Lidia ließ sich in einem Sessel nieder.

Eva setzte sich auf die Armlehne. „Ich hab doch schon ­erklärt, dass ich diesen Umzug gerne möglichst stressfrei hinter mich bringen will. In drei Wochen ist der erste Advent. Ihr wisst selbst, wie anstrengend die Vorweihnachtszeit in der Sozialstation ist. Wir planen wieder einen Benefizball, ganz zu schweigen von den Bastelstunden, Waldspaziergängen für die Kinder – und was weiß ich nicht alles. Dann auch noch Weihnachtsfeiern an jeder Ecke. Da komme ich doch zu nichts. Lieber schränke ich mich ein paar Wochen ein und habe es dann einfach, sobald meine neue Wohnung bezugsfertig ist.“

„Wo du recht hast, hast du recht.“ Sophie lächelte ihr zu. „Was die Sozialstation angeht: Wir sind alle heilfroh, dass dein Jahr in London vorbei ist. Ohne dich ging alles drunter und drüber.“

Eva lachte und fuhr sich halb geschmeichelt, halb verlegen durch ihr kurzes schwarzes Haar, das sie zu einem frechen Pixie-Cut geschnitten trug. „Übertreib mal nicht.“

„Tut sie nicht.“ Lidia lachte. „Wir haben dich wirklich vermisst. Erst wenn eine Perle wie du nicht mehr da ist, weiß man so richtig, was man an ihr hatte. Ich habe zwar ausgeholfen, wo ich konnte, aber mein Bereich ist ja mehr die Küche, und da haben André und Lisette die Zügel fest in der Hand. Ganz zu schweigen davon, dass ich halbtags noch in Paps’ Firma arbeite und wir ja jetzt Marjana haben, die ich auf keinen Fall zu kurz kommen lassen will.“

„André und die Zügel in der Hand? Mhm, ja, bestimmt.“ Evas Miene verfinsterte sich kurz, doch nur für einen winzigen Moment, dann hatte sie sich wieder in der Gewalt und lächelte. „London war toll. Ich habe unglaublich viel gesehen und gelernt. Viel mehr als bei meinem ersten Aufenthalt dort vor einigen Jahren. Aber ich bin auch froh, wieder hier zu sein. Auf Dauer ist mir unsere kleine Stadt lieber als so eine Metropole. Ständig dieser Lärm und die vielen Menschen! Hier habe ich irgendwie mehr das Gefühl, dass wir etwas gegen die Armut und das Elend mancher Menschen ausrichten können. In einer so großen Stadt wie London scheint man permanent gegen Windmühlen anzukämpfen.“

„Das glaube ich dir gern.“ Sophie nickte. „Als Carsten und ich letztes Jahr für den Zeitschritte – Artikel in London waren, haben wir ja eine Menge mitbekommen. Unglaublich, in was für Zuständen dort manche Menschen dahinvegetieren. Dagegen ist es bei uns ja fast schon ein Schlaraffenland.“

„Genau.“ Eva trank einen großen Schluck von ihrem Wein und schenkte sich nach, obwohl ihr Glas noch nicht leer war. „Danke noch mal, dass ihr mir beim Packen geholfen habt. Ich werde mich irgendwie revanchieren, ganz bestimmt.“

„Vielleicht missbrauche ich dich demnächst mal als Baby­sitter“, schlug Sophie vor. „Kristina ist jetzt anderthalb und hält es problemlos mal einen Abend ohne Mama und Papa aus.“

„Klar, gerne. Sag mir nur, wann!“ Eva strahlte, glücklich, dass sie ihrer Freundin einen Dienst erweisen konnte. „Immerhin müsst ihr ja auch mal Zeit haben, ein Brüderchen oder ein Schwesterchen für die Süße zu machen.“

„Ach das.“ Sophie winkte lachend ab. „Wir üben fleißig, aber es muss jetzt auch nicht sofort sein. Alles zu seiner Zeit, wie man so schön sagt. Was meinst du, Lidia?“

Die Angesprochene lachte ebenfalls. „Marjana ist gerade mal fünf Monate alt, da denke ich darüber noch nicht nach. Ich bin schon überglücklich, wie gut sich Noah in seine Vaterrolle gefunden hat. Wenn man seine Vorgeschichte bedenkt, hätte es auch ganz anders kommen können.“

„Nein.“ Eva schüttelte entschieden den Kopf. „Noah ist ein Familienmensch, das habe ich gleich gemerkt, als ich ihm zum ersten Mal begegnet bin. Er hat es nur selbst lange Zeit nicht gewusst. Wenn man ihn mit Marjana sieht, erkennt man sofort, dass er der beste Vater ist, den eure Tochter sich erträumen könnte.“ Ihre Miene verdüsterte sich wieder leicht. „Jedem Kind sind Eltern, wie ihr es seid, von Herzen zu wünschen.“

„Hey, was ist denn jetzt los?“ Sophie beugte sich vor und legte Eva eine Hand auf den Arm.

Eva atmete tief durch. „Ach, nichts. Ich werde nur manchmal neidisch, weil meine Familie dieses Ausdrucks nicht wirklich wert ist. Meine Eltern haben sich schon immer mehr für sich selbst und ihre Jobs interessiert als für mich.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Was soll’s! Dafür habe ich ja jetzt euch, das ist mir Familie genug.“

„Das ist die richtige Einstellung.“ Sophie drückte ihren Arm. „Nicht alle Menschen sind als Eltern geeignet. Wenn du darüber reden möchtest …“

„Nein.“ Vehement schüttelte Eva den Kopf. „Das bringt nichts, denn dadurch ändert sich nichts.“

„Wie du meinst.“ Auch Lidia richtete sich ein wenig auf. „Vielleicht solltest du einfach eine eigene Familie gründen, dann kannst du alles so machen, wie du gerne möchtest.“

Eva gluckste. „Dazu brauche ich aber erst mal den richtigen Mann – und was das angeht, herrscht bei mir schon ziemlich lange Ebbe.“

„Hattest du eigentlich seit der Sache mit André überhaupt noch mal einen Freund?“ Sophies Frage ließ Eva zusammenzucken. Sie wusste, wie direkt ihre Freundin werden konnte. Darin unterschied sie sich sehr von Lidia, die meistens viel ruhiger und zurückhaltender war und Sophie auch prompt mit dem Handrücken gegen das Knie schlug.

„Was denn?“ Sophie tat, als könne sie kein Wässerchen ­trüben. „Willst du etwa nicht den neuesten Beziehungstratsch hören?“

Eva musste gegen ihren Willen schmunzeln. „Ich bin erst mal lieber solo geblieben. Manche Affären haben einen zu bitteren Nachgeschmack, da muss man erst mal pausieren, um das zu verdauen.“

„Hey, das ist jetzt, lass mich überlegen“, Sophie runzelte die Stirn, „zweieinhalb Jahre her! So was nenne ich keine Pause, sondern Trockendock.“

„Sophie!“ Erneut traf sie Lidias Schlag.

Sophie schüttelte so heftig ihren Kopf, dass ihr langes ­kastanienbraunes Haar wild mitschwang. „Ist doch wahr! Zweieinhalb Jahre! Das ist ja eine Ewigkeit. Sag mir, dass du wenigstens in London ein paar heiße One-Night-Stands ­hattest.“ Erwartungsvoll sah sie Eva an.

„Nein. Oder … Na ja.“

„Aha! Erzähl!“ Nun beugten sich beide Freundinnen neugierig vor und tranken gleichzeitig von ihrem Wein.

Eva seufzte. „Nicht dass es keine Männer gegeben hätte, die etwas mit mir anfangen wollten. Nette Männer. Gut aussehende Männer.“

„Sehr schön!“, kommentierte Sophie begeistert.

„Nein, gar nicht schön. Ich fand sie wirklich nett und so, aber mehr eben nicht.“ Eva schenkte den beiden neuen Wein ein. „Mit George bin ich ein paarmal aus gewesen, und einmal haben wir auch … sind wir zusammen im Bett gelandet.“

„Das ist doch zumindest etwas“, befand Sophie zufrieden.

„Danach hat er sich nie wieder bei mir gemeldet.“

„Mistkerl.“ Sophies Miene wurde sofort finster.

„Ach, weißt du, es hat mir gar nichts ausgemacht.“ Eva hob die Schultern. „Er war mir einfach nicht wichtig genug. Es war ziemlich am Anfang meiner Zeit in London. Danach bin ich, wenn überhaupt, nur noch in größeren Gruppen ausgegangen.“

Was sie nicht erwähnte, war die Tatsache, dass sie Georges Avancen so rasch nachgegeben hatte, weil sie gehofft hatte, dadurch die ständigen Gedanken an André zu verscheuchen. Der Erfolg war mehr als mäßig gewesen. Nicht dass sie noch etwas für André empfand, das war lange vorbei. Doch aus irgend­einem unerfindlichen Grund spukte er auch heute noch viel zu oft durch ihren Kopf. Selbst jetzt musste sie ihn beinahe gewaltsam auf den ihm zustehenden Platz im hintersten Winkel ihres Bewusstseins verweisen.

„Das ist wirklich traurig. Vielleicht findest du ja jetzt, wo du wieder hier bist, deinen Mr. Right.“ Lidia lächelte ihr ermunternd zu. „Wir haben es ja auch geschafft – und was mich angeht, so hatte ich auch schon fast alle Hoffnungen aufgegeben, weil ich dachte, dass es keinen Mann gibt, der wirklich zu mir passt. Und sieh mich und Noah jetzt an. Oder Sophie und Carsten, obwohl ich mich heute noch manchmal frage, wie sie bei ihren dauernden Wortgefechten überhaupt dazu gekommen sind, die kleine Kristina zu zeugen.“ Zwinkernd sah sie zu Sophie hinüber, die herzlich auflachte. „Keine Sorge, dazu ist immer genügend Zeit gewesen. Du wirst doch selbst wissen, dass Versöhnungssex oftmals der beste Sex überhaupt ist.“ Sie stellte ihr Glas auf den Couchtisch. „Aber wisst ihr was? Ich habe eine Idee.“

„Oh, oh.“ Lidia grinste. „Sie ist betrunken. Alle Mann in Deckung!“

„Alle Frauen, wenn ich bitten darf.“ Sophie kicherte. „Oder habt ihr hier irgendwo Männer versteckt?“

„Nicht dass ich wüsste.“ Auch Eva stellte ihr Glas ab. Sie war ebenfalls angeheitert – und nicht zu knapp. Ganz allmählich begann das Zimmer leicht zu schwanken, ein sicheres Zeichen, dass es an der Zeit war, mit dem Wein aufzuhören, wenn sie es am nächsten Tag nicht bitter bereuen wollte. Doch Sophie nutzte die Gelegenheit, um die Gläser erneut zu füllen. Die leere Flasche stellte sie auf den Boden zu den beiden anderen. „Lasst mich doch erst mal erklären, was ich vorhabe. Die Idee ist perfekt für dich, Eva. Bei mir hat es damals funktioniert, seitdem bringt mich niemand mehr von meinem festen Glauben an den Weihnachtsmann ab.“

„Du glaubst noch an den Weihnachtsmann?“ Lidia kicherte.

„Nicht noch, sondern wieder.“ Schwungvoll griff Sophie nach ihrem Glas, trank einen großen Schluck daraus und stellte es wieder ab, wobei sie nur ganz wenig verschüttete. Sie angelte nach Evas Laptop, der ebenfalls auf dem Couchtisch stand, und schaltete ihn ein.

„Was jetzt?“ Lidia kicherte noch immer. „Willst du Eva einen Mann aus dem Katalog bestellen? Ich hab gehört, Frauen kann man auf diese Weise aus dem Ausland ordern. Warum nicht auch einen hübschen, gut gebauten Kerl für besondere Stunden.“

„Quatsch!“ Sophie wartete ungeduldig, bis der Laptop hochgefahren war, dann öffnete sie den Browser und gab mit fliegenden Fingern eine Adresse ein. Eva und Lidia hockten sich rasch links und rechts von ihr auf die Armlehnen des Sessels.

„Was wird das denn?“ Eva gluckste. „Soll ich einen Wunschzettel an den Weihnachtsmann schreiben?“

„Ganz genau.“ Sophie blickte sie mit allem Ernst an, den sie in ihrem Zustand aufbringen konnte. „Du wünschst dir jetzt deinen Mr. Right zu Weihnachten. Bei mir hat’s funktioniert.“

„Du hast dir Carsten vom Weihnachtsmann gewünscht?“ Eva lachte schallend.

„Nicht Carsten in persona, den kannte ich doch damals noch gar nicht.“ Leicht beleidigt verzog Sophie die Lippen.

„Warte mal.“ Lidia runzelte die Stirn. „Davon hast du doch mal erzählt. Hast du nicht irgendwann zum Geburtstag so was gemacht? Eine E-Mail an den Weihnachtsmann oder so?“

„Exakt!“ Sophie lächelte sogleich wieder. „Es war mein achtzehnter Geburtstag, und ich hatte mit meiner Schwester Tessa gefeiert. Wein hat damals auch eine große Rolle gespielt, aber das ist ja mal egal. Tessa hat damals wegen Tom eine schwere Zeit durchgemacht und … Na ja, ich habe jedenfalls aus einer Laune heraus vorgeschlagen, mir meinen zukünftigen Ehemann vom Weihnachtsmann zu wünschen. Wir haben sogar gewettet, und ich habe gewonnen.“ Sie grinste breit. „Denn genau zehn Jahre später zu Weihnachten, so wie ich es mir gewünscht hatte, hat Carsten mir den Heiratsantrag gemacht. Wenn das nicht eine pünktliche Lieferung ist, was dann?“

„Das kann auch Zufall gewesen sein“, wandte Eva ein.

„Oh nein, bestimmt nicht, denn am ersten Weihnachtsfeiertag erhielt ich tatsächlich eine Mail vom Weihnachtsmann, in der er mir und Carsten viel Glück für unsere gemeinsame Zukunft gewünscht hat.“

„Du machst Witze!“ Eva starrte sie verblüfft an, dann warf sie einen skeptischen Blick auf das Internetportal des Weihnachtsmannes. „Das da ist die Seite, über die ihr die Mail geschickt habt?“

„So ist es.“

„Wer weiß, was für Daten die im Hintergrund über dich abgreifen! Vielleicht installieren sie auch ein Spionprogramm auf dem Computer.“

„Unsinn!“ Sophie winkte ab. „Das ist ein ganz normales ­E-Mail-Formular. Du musst nur versichern, dass du die E-Mail-Adresse, unter der du ihnen schreibst, behältst, bis sich dein Wunsch erfüllt hat. Carsten hat die Seite überprüfen lassen. Er beschäftigt in der Firma mehrere Computer- und Internetexperten, und die konnten keinerlei Späh- oder Schadprogramme finden.“

„Bist du sicher?“ Misstrauisch beäugte Eva das Formular, das Sophie angeklickt hatte.

„Vollkommen sicher. Komm schon, dir kann nichts Schlimmes passieren. Höchstens, dass dir Mr. Right begegnet, und damit kannst du doch bestimmt gut leben, oder?“

„Wo sie recht hat, hat sie recht.“ Lidia schmunzelte. „Schaden kann es nicht. Noah hat als Kind auch mal einen Wunschzettel an den Weihnachtsmann geschrieben, und auch wenn es ziemlich lange gedauert hat, sind seine Wünsche alle in Erfüllung gegangen. Nein, wirklich! Er hat mir den Wunschzettel gezeigt.“

„Er hat ihn nicht mal abgeschickt? Wie konnte der Weihnachtsmann dann davon wissen?“ Eva legte den Kopf schräg.

„Der Weihnachtsmann sieht und hört alles, genau wie das Christkind, das haben wir doch schon als Kinder gelernt. Man muss nur daran glauben.“ Sophie zwinkerte ihr zu, dann drehte sie den Laptop ein wenig in Evas Richtung. „Na los, schreib schon! Oder hast du Angst, dein Wunsch könnte tatsächlich in Erfüllung gehen?“

„Davor brauche ich keine Angst zu haben, weil es nicht geschehen wird. Schon gar nicht bis Weihnachten, das sind nämlich nur noch sieben Wochen, und so schnell findet nicht mal Santa Claus den richtigen Mann für mich.“ Lachend setzte Eva sich in den anderen Sessel und zog den Laptop auf den Schoß. „Aber bitte, damit es nicht heißt, ich sei eine Spielverderberin. Was schreibt man denn da so? Ich habe noch nie einen Wunschzettel an den Weihnachtsmann geschrieben.“

„Wirklich noch nie?“ Erstaunt hob Lidia den Kopf. „Auch nicht, als du noch klein warst? Ich habe schon Wunschzettel gemalt, als ich noch nicht schreiben konnte, und meine Eltern haben sie mit denen meiner Geschwister zusammen immer pflichtschuldigst abgeschickt. Per Post wohlgemerkt. Wenn ich es recht bedenke, sind wohl auch meine Wünsche so gut wie alle in Erfüllung gegangen. Obwohl ich mich gar nicht mehr so genau erinnern kann, was auf den Wunschzetteln alles draufstand.“

„Meine Eltern haben mir den Glauben an den Weihnachtsmann oder das Christkind schon ausgetrieben, bevor ich wusste, wer die beiden überhaupt sind.“

„Wie traurig, dass manche Eltern so etwas tun.“ Mitfühlend streichelte Lidia über Evas Arm.

Eva zuckte nur mit den Achseln. Ihre Wunschzettel waren immer auf direktem Weg an die Einkäuferin ihres Vaters gegangen, doch das brauchten ihre Freundinnen nicht zu erfahren. Niemand wusste, dass ihre Eltern steinreich waren, und dabei würde es auch bleiben, solange es irgendwie ging.

„Wie sieht dein Mr. Right eigentlich aus, Eva?“ Interessiert musterte Lidia sie. „Groß, dunkel, verwegen?“

Eva grinste. „Das ist wohl eher dein Typ.“

Alle drei Frauen kicherten.

„Eigentlich ist es mir egal, wie ein Mann aussieht, wenn er einen guten Charakter hat.“

„Pfff.“ Sophie warf ihr einen bezeichnenden Blick zu. „Nichts gegen einen guten Charakter, aber das nehme ich dir nicht ab. Du würdest doch nicht jeden potthässlichen Quasimodo toll finden, auch wenn er noch so nett ist, oder?“

Eva hob die Schultern. „Was man von schönen Männern hat, durfte ich bei André erleben. Das hat mir gereicht.“

„Ach, man darf nicht alle gut aussehenden Kerle über einen Kamm scheren“, widersprach Lidia. „Schau dir unsere Ehemänner an, die sind wirklich prachtvolle Exemplare und haben trotzdem einen guten Charakter.“

„Mag sein, aber so einen zu finden ist wie ein Lottogewinn.“

„Was hat André denn eigentlich damals angestellt, dass ihr so schnell wieder auseinander wart? Anfangs sah es doch ziemlich vielversprechend aus. Hat er dich betrogen?“ Sophie blickte sie erwartungsvoll an.

Eva biss sich auf die Unterlippe. „Nein. Ich … äh … habe die Notbremse gezogen, das ist alles.“

„Was soll das denn heißen?“ Verwundert sah Lidia sie an.

„Er hätte sowieso bald genug von mir gehabt, da bin ich ihm zuvorgekommen.“ Eva schluckte und spürte, wie sich ihre Wangen erwärmten. „Er war ziemlich beleidigt deswegen. Wahrscheinlich, weil er nicht daran gewöhnt ist, dass die Frau ihn zuerst abserviert, aber eine Dosis seiner eigenen Medizin hat ihm bestimmt mal gutgetan.“

„Deshalb hackt ihr seither dauernd aufeinander herum?“ Sophie kräuselte die Lippen.

„Das hat sich halt so ergeben. Er war sauer, das sagte ich doch.“ Eva zog den Kopf zwischen die Schultern. Dass sie in Wahrheit die Affäre beendet hatte, damit sie sich nicht Hals über Kopf und unwiderruflich in André verliebte, verschwieg sie tunlichst. Das war lange vorbei und ging niemanden außer ihr selbst etwas an.

„Nur sauer?“, hakte Lidia vorsichtig nach.

„Was denn sonst noch?“

„Vielleicht war er ja auch verletzt“, schlug Sophie vor. „Das könnte ich verstehen, wenn ihm etwas an dir lag.“

Eva stieß ein etwas zu schrilles Lachen aus. „André und verletzt? Das würde ja voraussetzen, dass er ein Herz besitzt. Nein, er war beleidigt und wütend, dass ich ihm den Laufpass gegeben habe, bevor er das bei mir tun konnte.“

„Also ein Herz hat er schon“, verteidigte Lidia ihn. „Er ist ein sehr netter Mann und sehr hilfsbereit und zuvorkommend.“

„Hat er dir nicht auch mal nachgestellt?“ Eva sah ihre Freundin mit zusammengekniffenen Augen an.

Lidia lachte. „Ja, früher mal. Das ist typisch für ihn, aber ich bin nie darauf eingegangen, und wenn man davon mal absieht, bin ich immer wunderbar mit ihm ausgekommen. Er und Noah sind gute Freunde, und André hat uns viel beim Renovieren unseres Hauses geholfen. Für gefühlskalt halte ich ihn nicht. Er ist eben ein Schürzenjäger, aber ein liebenswerter.“

„Mhm.“ Eva verzog spöttisch die Lippen. „Liebenswert genug, dass er sich in Lichtgeschwindigkeit mit irgendeinem Mäuschen getröstet hat. Wenn ich auch nicht glaube, dass er Trost gebraucht hat.“

„Woran hast du denn gemerkt, dass du die Notbremse ziehen musstest, wie du es nennst?“ Lidia leerte den kleinen Rest Wein in ihrem Glas in einem Schluck und stellte es dann beiseite. „Hat er angefangen, dich zu vernachlässigen oder so etwas?“

Eva dachte kurz nach. „Nein, das nicht gerade, aber er war immer öfter so merkwürdig schweigsam und wie abwesend. Manchmal auch gereizt und unleidlich. Wir haben uns immer häufiger in die Wolle gekriegt, und auch wenn der Versöhnungssex toll war – da hast du recht, Sophie –, wusste ich doch gleich, dass etwas nicht stimmt. Ich sehe mich gegenüber einem Mann ungern in der Opferrolle, deshalb habe ich gehandelt und einen Schlussstrich gezogen, hart und glatt.“

„Männer!“ Sophie seufzte. „Schade, dass manche von ihnen sich in Beziehungen derart unmöglich benehmen. Weißt du was, schreib doch auf den Wunschzettel auch gleich mit drauf, dass André für sein Verhalten die passende Quittung kriegen soll!“

Eva kicherte. „Kann man sich auch für andere Menschen etwas wünschen?“

„Warum denn nicht?“ Sophie deutete auf das E-Mail-Formular. „Die Idee gefällt mir immer besser. So nett André auch ist, ich mag es nicht, dass er meine Freundin so blöd behandelt hat. Also soll er kriegen, was er verdient hat.“

„Gut gebrüllt, Löwin!“ Lidia gluckste vergnügt.

Eva sah erst Sophie, dann Lidia auffordernd an. „Also gut, dann mal los. Ihr diktiert, und ich schreibe.“

2. Kapitel

„Nanu, Elfe-Sieben, was machst du denn da?“ Verwundert blieb Santa Claus, auch als Weihnachtsmann bekannt, mitten in seinem Büro stehen. Er trug einen Korb mit der Tagespost vor sich her, den er jedoch vollkommen vergaß, als er die kleine Elfe an seinem Computer erblickte. Sie war seit einigen Jahren seine Assistentin und immer gut gelaunt, doch nun saß sie vor dem Bildschirm und wischte sich ein ums andere Mal die Tränen aus den Augen.

Schniefend sah sie zu ihm auf. „Ich bin gerade ein bisschen durchs Internet gesurft, und schau mal, was ich dabei entdeckt habe. Der arme Kleine! So einsam und abgemagert. Er tut mir schrecklich leid!“

Erschrocken trat Santa Claus näher, stellte den Korb ab und warf einen Blick auf den Bildschirm. „Du liebe Zeit, wen meinst du denn?“

„Na ihn!“ Elfe-Sieben deutete auf den Livestream von der Erde, den sie aufgerufen hatte. Zu sehen war ein kleiner Hund mit struppigem dunkelbraunem, an einigen Stellen fast schwarzem Fell und vier weißen Pfötchen, der erbarmungswürdig dünn und krank aussah. Zitternd drückte er sich zwischen zwei Mülltonnen und kaute auf einem Kanten Brot herum, den er offenbar irgendwo gefunden hatte. „Der muss noch ganz jung sein, aber scheußlich verwahrlost. Bestimmt hat ihn irgendein herzloser Mensch ausgesetzt, und jetzt muss er so schrecklich hungern und leiden.“

Betroffen sah der Weihnachtsmann dem kleinen Hund für eine Weile zu. „Das ist wirklich traurig. In seinem Zustand wird er nicht mehr allzu lange überleben.“

„Können wir nichts für ihn tun?“ Flehend blickte Elfe-Sieben zu ihm auf, doch der Weihnachtsmann hob nur die Schultern. „Ich könnte zwar Elf-Siebzehn zu ihm schicken, aber was soll das bringen? Wir können ihn nicht durchfüttern, dann müssten wir das auch mit allen anderen leidenden Wesen auf der Erde tun.“

„Aber wir könnten ein Zuhause für ihn finden“, schlug die Elfe vor. „Einen Menschen, der sich um ihn kümmert. Das haben wir doch zu Weihnachten schon oft getan.“

„Das haben wir“, stimmte Santa Claus ernst zu. „Doch ich fürchte, dass der Kleine es nicht mehr bis Weihnachten schafft.“

„Ich möchte ihm so gerne helfen!“ Elfe-Sieben wischte sich erneut die Tränen von den Wangen und nahm dankbar das Taschentuch entgegen, das der Weihnachtmann ihr reichte. Geräuschvoll schnäuzte sie sich.

Santa Claus seufzte aus tiefstem Herzen. Jetzt, wo er den kleinen Hund gesehen hatte, ging es ihm ähnlich. „Wir überlegen uns etwas.“

„Aber wir müssen uns beeilen!“ Elfe-Sieben stand zögernd auf und griff nach dem Korb mit der Post. „Der Kleine sieht so elend aus. Nicht dass er erfriert. Die Nächte sind schon ziemlich frostig.“

„Ich weiß.“ Der Weihnachtsmann tippte etwas in den Computer ein und legte den Livestream auf einen der LCD-Bildschirme an der großen Videowand. In dem Moment ertönte ein leises Glöckchenklingeln aus dem Computerlautsprecher. „Nanu!“ Rasch schaltete er auf sein E-Mail-Programm. „Was haben wir denn da? Siebzehn neue E-Mails? Hast du das Mailpostfach heute noch nicht durchgesehen, Elfe-Sieben?“

„Äh, nein.“ Die Elfe wurde rot. „Entschuldige. Das wollte ich eigentlich vorhin tun, aber dann bin ich bei dem Hund hängen geblieben und habe die E-Mails ganz vergessen.“

„Ts, ts, ts.“ In gespielter Strenge hob Santa Claus den Zeigefinger, dann sah er die Mails durch. Nach einem Moment runzelte er leicht die Stirn. „Ich muss Elf-Vierzehn Bescheid sagen, dass er den Spamfilter neu justiert. Wir haben schon wieder neun Mails von Spam-Robotern über das Formular auf der Homepage. Sehr ärgerlich. Ich finde … Moment mal, was ist das denn?“, unterbrach er sich und öffnete eine der eingegangenen E-Mails. Aufmerksam las er den Text. „Das ist ja ein Ding! Elfe-Sieben, schau dir das an!“

Die Elfe eilte zu ihm und las ebenfalls den Text auf dem Bildschirm. „Ist das etwa die Eva aus der kleinen Stadt im Rheinland? Dort, wo wir schon so viele große Weihnachtswünsche erfüllt haben?“

„Genau die. Sie arbeitet in der Sozialstation, in der auch Noah und Lidia angestellt sind.“

„Und in der Elena vergangenes Jahr Tanzunterricht gegeben hat, wegen dieses Benefizballs“, ergänzte Elfe-Sieben. „Ich dachte, Eva lebt jetzt in London.“

„Dort war sie offenbar nur auf Zeit.“ Der Weihnachtsmann rieb sich nachdenklich übers Kinn. „Sag mal, wo genau befindet sich eigentlich dieser kleine Hund?“

Erstaunt hob die Elfe den Kopf. „In Köln, glaube ich. Moment mal, glaubst du etwa …? Aber Eva hat sich keinen Hund gewünscht, sondern Mr. Right, und ich bin mir nicht sicher, ob sie das wirklich so ernst gemeint hat. Sie schreibt doch selbst, dass sie mit ihren Freundinnen zu viel Wein getrunken hat.“

„Das ist nebensächlich.“ Der Weihnachtsmann rieb sich die Hände. „Ein Wunsch ist ein Wunsch ist …“

„… ein Wunsch, ich weiß.“

„Und muss erfüllt werden“, beendete Santa sein Motto. Seine Miene hellte sich immer mehr auf. „Erinnerst du dich noch an die Ereignisse um Lidia und Noah vor zwei Jahren?“

„Ja, selbstverständlich.“ Fragend sah die Elfe zu ihm auf. „Was führst du im Schilde, Santa? Du siehst aus, als hättest du eine tolle Idee.“

„Und wie ich die habe! Ruf bitte die Elfenbrigade zusammen, ich berufe eine sofortige Sitzung ein. Wir müssen uns beeilen, damit mein Plan nicht zu spät für den kleinen Hund kommt … und für Eva und ihren Mr. Right.“

„Sag bloß, du weißt schon, wer das sein soll!“

„Wissen – ist zu viel gesagt, aber ich habe da so eine Eingebung. Etwas, was mich schon vor zwei Jahren gezwickt hat, aber damals war es wichtiger, Noah und Lidia zu helfen. Außerdem hatte ich da auch noch keinen konkreten Wunsch zu erfüllen.“

„Also gut, ich rufe die Elfen zusammen.“ Elfe-Sieben war bereits an der Tür. „Hoffentlich funktioniert der Plan, den du dir ausgedacht hast.“

„Ausgedacht habe ich ihn noch gar nicht“, murmelte Santa Claus, nachdem die Elfe das Zimmer verlassen hatte. „Aber mir wird schon etwas Passendes einfallen. Wäre doch gelacht!“ Entschlossen legte er auch noch einen Livestream aus der Sozialstation und Evas Wohnung auf den Bildschirm an der Wand, der sich gleich neben dem mit dem süßen kleinen Hund befand. Gedankenverloren beobachtete er für einige Minuten die Vorgänge in der Sozialstation. Was er dort sah, entsprach exakt seinen Erwartungen, und seine Augen begannen vergnügt zu glitzern. „Wäre doch gelacht!“, wiederholte er lächelnd.

3. Kapitel

„Komm, Kleiner, das schaffst du!“ Zusammen mit Elf-Zwei und Elfe-Acht half Elf-Siebzehn dem kleinen Hund auf die Lade­fläche des Pick-ups und zog die Abdeckplane über ihnen zurecht, damit niemand sie sehen konnte.

Warum tut ihr das? Der kleine dunkelbraune Hund mit den weißen Pfötchen, gerade ein knappes Jahr auf dieser Erde, keuchte ein wenig vor Anstrengung. Er hatte kaum Kraft, sich aufrecht zu halten, obwohl Elf-Siebzehn, der die Tiersprache am besten beherrschte, ihm Wasser und einige Leckerchen gegeben hatte. Ich bin so müde, ich möchte nicht mehr leben. Es ist alles viel zu anstrengend.

„Oh nein, so etwas darfst du nicht einmal denken!“ Betroffen streichelte der Elf dem Hund über das struppig-verfilzte Fell, das sich über den Rippen spannte. „Du darfst nicht aufgeben, mein Kleiner. Wir finden ein schönes Zuhause für dich.“

Ein Zuhause? Matt schloss der Hund die Augen. Ich weiß gar nicht, was das ist. Mich will doch sowieso niemand. Mein erstes Herrchen hat mich meiner Mama weggenommen, als ich noch ganz klein war, und hat mich an eine Frau verkauft, die zuerst noch ganz lieb zu mir war. Und die anderen Menschen aus ihrem Rudel auch. Aber dann haben sie mich eines Tages in einen Wald neben einer großen Straße gebracht und an einem Baum festgebunden. Ich dachte, sie wollten nur mal kurz weg, aber sie sind nie wieder zurückgekommen. Ich hatte solche Angst! Und Durst. Irgendwann habe ich es geschafft, mich loszumachen, und seitdem laufe ich einfach so rum. Wohin ich auch komme, jagen die Menschen mich weg oder reden vom Tierheim. Dahin will ich aber nicht, denn von anderen Hunden auf der Straße habe ich gehört, dass es dort gar nicht schön ist. „Hundegefängnis“ nennen sie das.

„Ach, du Armer.“ Traurig tätschelte Elfe-Acht den Hund hinter den Ohren. „Aber so schlimm ist das Tierheim auch wieder nicht. Zumindest hättest du dort nicht hungern müssen.“

Bringt ihr mich etwa jetzt ins Tierheim? Der kleine Hund sah traurig zu den Elfen auf. Macht euch nicht so viel Mühe. Ich habe doch sowieso kaum noch Kraft. Vielleicht schlafe ich irgendwann einfach ein und wache nicht mehr auf.

„Nein!“ Erschrocken umfasste Elf-Zwei seine Pfote und drückte sie sanft. „Nein, das darf auf gar keinen Fall passieren. Du musst kämpfen und am Leben bleiben. Wir haben Santa Claus versprochen, dass wir alles tun, damit du ganz bald dein neues Zuhause bekommst. Nicht im Tierheim, sondern bei lieben Menschen. Aber du musst dann auch etwas für uns tun, und das geht nur, wenn du stark bleibst.“

In den Augen des Hundes glomm ein Funken Neugier auf. Was muss ich denn tun? Und wer ist Santa Claus?

Elf-Siebzehn atmete auf und lächelte geheimnisvoll. „Das erklären wir dir jetzt, damit können wir uns die Zeit vertreiben, bis wir an unserem Ziel angekommen sind. Hör gut zu!“

4. Kapitel

„André, kannst du mir einen Gefallen tun?“ Arthur Mondoli, Leiter der Sozialstation, streckte den Kopf zur Küchentür ­herein und grinste breit, sodass sich seine strahlend weißen Zähne deutlich von seiner hellbraunen Haut abzeichneten. Er war Anfang fünfzig und halb Senegalese, halb Italiener. Seine dunklen Augen funkelten unternehmungslustig.

André Weißmüller grinste zurück. „Ich könnte mich überreden lassen. Was gibt es denn?“ Er legte das Wiegemesser zur Seite, mit dem er gerade Kräuter für den Eintopf gehackt hatte, den sie heute für ihre Schützlinge zubereiteten, und wischte sich die Hände an einem Küchentuch trocken. „Lisette, übernimmst du mal bitte?“ Er winkte die zweite Köchin der Station zu sich, eine rundliche Frau Ende vierzig mit schwarzen, zu einem kurzen Zopf gebundenen Haaren und leicht geröteten Wangen.

„Na, sicher doch, geh schon. Hallo, Chef.“ Sie zwinkerte Arthur zu.

„Hallo, Lisette.“ Arthur nickte freundlich, wandte sich aber gleich wieder an André. „Ich muss, wie du weißt, morgen Abend zu dem Theaterstück, das Belinda mit ihrer Klasse aufführt.“

„Ja, ist mir bekannt.“ André lächelte. „Ich hoffe, ihr macht mindestens tausend Fotos.“

„Wir nehmen das Ganze auf Video auf, was dachtest du denn!“ Arthur lachte, wurde aber gleich wieder ernst. „Meine Eltern kommen auch und haben sich jetzt etwas früher als gedacht angemeldet, nämlich heute schon. Sie haben ganz kurzfristig einen extrem günstigen Flug bekommen, und ich muss gleich zum Flughafen und sie abholen. Deshalb kann ich nachher nicht noch mal herkommen, um abzuschließen. Würdest du das übernehmen? Ich weiß, du hast eigentlich schon um neun Uhr Feierabend, aber …“

„Klar, kein Problem.“ André nickte sofort.

„Ich hoffe, du hast kein Date oder so, das du deswegen absagen musst.“

„Habe ich nicht.“

„Ich wollte ja Eva fragen, aber sie ist im Großmarkt einkaufen und hat anscheinend ihr Handy nicht an, oder ihr Akku ist leer. Jedenfalls kann ich sie nicht erreichen.“

„Schon gut, ich übernehme das.“ André nahm seine dunkelgrau gerahmte Brille von der Nase und hielt sie prüfend gegen das Licht, dann setzte er sie wieder auf. „Ich hatte sowieso nichts vor. Vielleicht schaue ich mir nachher mit Walter, Theo und den anderen das Bundesligaspiel an.“

„Seit wann bist du Fußballfan?“ Erstaunt runzelte Arthur die Stirn.

„Bin ich nicht, aber zusammen mit den alten Herrn von der Straße wird das bestimmt witzig.“

„Wie du meinst. Danke.“ Erleichtert wandte sich Arthur zur Tür. „Ach ja, sag Eva bitte, dass die Lieferung mit der neuen Bett- und Tischwäsche vorhin gekommen ist. Sie soll aber warten, bis Bettina morgen früh da ist, bevor sie mit dem Beziehen der Betten beginnt. Sie muss nicht alles allein machen.“

„Mhm.“ André ging zu seinem Arbeitsplatz zurück. „Dann sage ich ihr besser genau das Gegenteil, damit sie tut, was du angeordnet hast.“

„Zankt euch nicht dauernd!“

„Ich zanke mich nicht.“ André schnaubte spöttisch. „Sie ist diejenige, die grundsätzlich das Gegenteil von dem tut, was ich ihr sage. Ich reagiere nur entsprechend.“

„Ihr seid unverbesserlich, alle beide.“ Kopfschüttelnd verließ Arthur die Küche.

„Da bin ich ganz seiner Meinung.“ Lisette warf ihm einen mütterlich strengen Blick zu. „Lass das arme Mädchen in Ruhe.“

„Ich tue ihr doch gar nichts!“ Andrés Miene verfinsterte sich eine Spur. „Sag dem armen Mädchen lieber mal, dass sie mich in Ruhe lassen soll.“

„Tut sie das denn nicht?“ Aufmerksam musterte Lisette ihn.

„Das weißt du doch so gut wie ich. Sie ist es, die mich angreift, nicht umgekehrt. Meistens jedenfalls.“

„So, so.“ Lisette schmunzelte. „Ich glaube, ihr habt beide euren Spaß an den ständigen Streitereien.“

„Spaß nennst du das?“ André hustete. „Da kann ich mir aber ganz deutlich etwas Schöneres vorstellen.“

„Komm schon, als ob du nicht froh gewesen bist, als sie aus London zurückgekommen ist!“

„Ich war für Arthur und Bettina froh, weil sie Eva hier brauchen.“

„Von mir aus.“ Lachend winkte Lisette ab. „Euch beiden ist nicht zu helfen. Du solltest ihr anbieten, ihr mit der Bettwäsche zu helfen. Vielleicht stimmt sie das milde.“

„Den Teufel werde ich tun.“ André griff nach einem Bund Karotten und begann sie zu putzen. „Wirf mal einen Blick in den Aufenthaltsraum. Wie viele Leute haben wir denn heute schätzungsweise zu beköstigen? Ich glaube, wir müssen allmählich wieder doppelte Portionen zubereiten. Ab November kommen immer mehr Leute zu uns.“

„Gut vom Thema abgelenkt.“ Lisette stieß ihm auf dem Weg zur Tür, die direkt in den Aufenthaltsraum führte, den Ellenbogen in die Seite. „Jetzt schon um die zwanzig“, sagte sie, nachdem sie die Anwesenden durchgezählt hatte. „Also sollten wir mal vorsichtig geschätzt für fünfunddreißig kochen.“ Sie schloss die Tür wieder. „Du weißt, dass ich gleich nach dem Essen auch wegmuss? Ich besuche meine Mutter im Krankenhaus. Sie ist ganz elend wegen ihres gebrochenen Fußes und hat ein bisschen Angst vor der OP übermorgen. Ich muss sie etwas aufheitern.“

„Ja, ja, ich komme schon zurecht.“ André konzentrierte sich auf das Gemüse und versuchte, nicht darüber nachzudenken, dass er den Abend dann wohl mit Eva gemeinsam hier in der Station verbringen musste. Die Aushilfen machten alle schon spätestens um acht Uhr Feierabend, doch sein Dienst ging, wenn er die Spätschicht hatte, bis neun und heute sicherlich mindestens bis elf Uhr. Eva hatte diese Woche auch die späte Schicht und würde sich vermutlich verpflichtet fühlen, ihm beim Aufräumen und Bestücken der großen Industriespülmaschine zu helfen. Lieber wäre es ihm gewesen, wenn er diese Arbeit ganz allein tun könnte, denn in ihrer Gegenwart verlor er allzu rasch die Beherrschung – in vielerlei Hinsicht. Das konnte und wollte er nicht riskieren.

***

Geschickt lenkte Eva den kleinen Transporter rückwärts in den Hof der Sozialstation und hielt dicht vor dem Hintereingang des Haupthauses. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass es bereits kurz nach neun war, später als geplant. Sie hatte etliche Besorgungen machen müssen und war anschließend noch für den Wocheneinkauf zum Großmarkt in Köln gefahren. Dort hatte sie eine halbe Ewigkeit an der Kasse angestanden. Offenbar fing das Weihnachtsgeschäft dieses Jahr besonders früh an. Einzig die Beschallung mit wunderbarer Musik hatte sie aufgeheitert, so sehr, dass sie die Kassiererin nach dem Namen der CD gefragt hatte. Diese hatte sogar extra den Marktleiter kommen lassen, der Eva verraten hatte, dass es sich um eine schon etwas ältere Winter-CD der Interpretin Loreena McKennitt handele, die sie sogar im Angebot hätten. Eva hatte bezahlt, die Lebensmittel in den Transporter geräumt und war dann noch einmal zurück in den Markt gelaufen, um die CD zu kaufen. Natürlich hatte sie dann zum zweiten Mal die lange Kassenschlange über sich ergehen lassen müssen, doch dafür hatte sie auf dem ganzen Rückweg wunderschöne winterlich-weihnachtliche Musik hören können.

Jetzt nahm sie die CD aus dem Player, legte sie in die Hülle zurück und packte diese in ihre Umhängetasche. Dann stieg sie aus und öffnete die rückwärtigen Türen des Transporters. Stöhnend blickte sie auf die Berge von Einkäufen, die alle noch ordentlich in Küche und Vorratsraum verstaut werden mussten. Um diese Zeit war bestimmt niemand mehr da, der ihr helfen konnte. Arthur wollte sie damit nicht belästigen, aber vielleicht war sein Sohn Toni noch da. Er war nur vier Jahre jünger als sie selbst und studierte Psychologie, hatte aber jetzt Semesterferien und half regelmäßig in der Station aus. Oder sie bat ein paar der Obdachlosen, die sicherlich um diese Uhrzeit noch im Aufenthaltsraum saßen, ihr zu helfen. Als sie die Hintertür aufstieß, die direkt in die Küche führte, verwarf sie diese Idee jedoch sogleich wieder. Die Verbindungstür zum Aufenthaltsraum stand offen, und sie vernahm eindeutige Geräusche einer Fußballübertragung.

Seufzend machte sie kehrt. Die alten Herren hatten kaum eine andere Freude als das gemütliche Beisammensein und gelegentliche Fernsehabende, da wollte sie sie nicht unterbrechen. Entschlossen griff sie nach der Kiste mit tiefgefrorenen Lebensmitteln, die sie gleich vornan gestellt hatte, und schleppte sie in den Vorratsraum. Mit geübten Handgriffen verfrachtete sie alles in eine der beiden großen Kühltruhen, klappte die Kiste zusammen und legte sie in ein Regal. Auf dem Weg nach draußen hörte sie Theo und Walter erboste Flüche über einen der Spieler ausstoßen und grinste in sich hinein. Wenigstens hatten sie ihren Spaß.

Sie schleppte zwei weitere Kisten nach drinnen und war gerade dabei, eine besonders schwere Box mit Konservendosen aus dem Inneren des Transporters zu zerren, als sie hinter sich Schritte vernahm und dann eine dunkle, hörbar verärgerte Männerstimme, die ihr prompt einen Stich versetzte, sosehr sie sich auch dagegen wappnete.

„Was in drei Teufels Namen tust du denn da? Warum sagst du uns nicht Bescheid?“ Ohne auf eine Antwort zu warten, schnappte André sich die bleischwere Box und trug sie ins Haus, als wöge sie nicht mehr als ein Sack Federn. Finster blickte sie ihm nach, dann hob sie die nächste Box aus dem Wagen und folgte ihm. „Woher soll ich denn wissen, dass du noch hier bist? Du hast doch schon längst Feierabend.“

„Hätte ich vielleicht gehabt, wenn du an dein Handy gegangen wärst.“ Rasch verteilte André die Konservendosen in einem Regal.

Eva griff überrascht in ihre Hosentasche und zog ihr Smartphone hervor. „Oh, Mist, der Akku ist schon wieder leer. Ich glaube, ich muss einen neuen kaufen. Der hier hält nicht mal mehr einen halben Tag.“ Sie schob das Handy zurück in die hintere Tasche ihrer Jeans. Da André mittlerweile den Inhalt ihrer Kiste dem Regal hinzufügte, verschränkte sie die Hände vor dem Bauch und sah ihm zu. „Hat Arthur versucht, mich zu erreichen?“

„Ja.“ Geräuschvoll klappte er die beiden Boxen zusammen. „Er musste zum Flughafen, seine Eltern abholen, die schon heute anstatt morgen zu Besuch gekommen sind.“

„Er wollte, dass ich länger bleibe?“

„Wie du siehst, habe ich das übernommen.“ Er ging zum Auto zurück, und ihr blieb nichts anderes übrig, als ihm erneut zu folgen.

Fast schon reflexartig stellte sie die Stacheln auf. „Ich hoffe, du musstest deswegen kein heißes Date absagen mit, wie hieß sie noch mal, Tiffy?“

„Tiffany.“ Er warf ihr einen kühlen Blick über die Schulter zu. „Und was, wenn dem so wäre? Willst du mich vielleicht dafür entschädigen?“

„Pfff, du träumst wohl.“ Sie kletterte in den Transporter und griff nach den Toilettenpapier-Paketen. „So schlecht kann mein Gewissen gar nicht werden.“

„Das könnte es aber ruhig, Tiffany ist nämlich sehr nett.“ André feixte.

Eva wich dem herausfordernd glitzernden Blick aus seinen strahlend blauen Augen aus und trug die Pakete umständlich nach drinnen.

Augenblicke später war er dicht hinter ihr, auf dem Arm einen Stapel Sandwichbrote. „Aber wenn du es genau wissen willst, wir waren nicht verabredet, sie hat nämlich einen festen Freund.“

„So ein Ärger aber auch. Bist du glatt zu spät gekommen?“ Eva wusste nicht, weshalb sie so bissig reagierte. Um die Wirkung etwas abzumildern, fügte sie hinzu: „Du kannst gerne jetzt Feierabend machen. Ich kümmere mich hier um den Rest und schließe hinter den Kameraden ab, sobald das Spiel vorbei ist.“

„Red keinen Unsinn.“ André ging erneut hinaus zum ­Wagen. „Du brauchst dich mit dem schweren Zeug hier nicht abzuschleppen. Ich trage den Rest hinein.“

„Ich hab es alleine geschafft, das ganze Zeug im Wagen zu verstauen, da werde ich es wohl auch schaffen, es wieder auszuladen.“

Er hielt inne und warf ihr einen gereizten Blick zu. „Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du unerträglich stur bist? Geh nach Hause. Du hast dich heute genug abgeschleppt. Und komm ja nicht auf die Idee, die Körbe mit der Bett- und Tischwäsche anzurühren, die drüben in der Waschküche stehen. Arthur hat gesagt, dass du damit warten sollst, bis Bettina morgen da ist.“

Eva hob den Kopf. „Die neue Wäsche ist da? Perfekt! Dann könnte ich eben noch …“

„Gar nichts könntest du.“ André stellte die Kiste mit Gemüse ab, die er gerade angehoben hatte, sprang aus dem Transporter und hielt Eva gerade noch rechtzeitig am Arm fest, bevor sie zurück ins Haus eilen konnte. „Hast du mir nicht zugehört? Du sollst die Sachen liegen lassen. Es ist schon zwanzig vor zehn. Feierabend. Für dich jedenfalls.“

Eva erstarrte, als sie seinen festen Griff um ihren Arm spürte. „Ich mache Feierabend, wann es mir passt.“

„Verschwinde, Eva. Ich kann dich hier nicht brauchen, wenn du wegen Erschöpfung giftig wirst.“

„Ich bin nicht giftig, sondern genervt. Lass mich endlich los, sonst kann ich nämlich nirgendwohin gehen.“

Einen langen Moment starrten sie einander wütend an, dann ließ André sie abrupt los. „Mach doch, was du willst“, knurrte er und schnappte sich die Gemüsekiste.

Schweigend luden sie den Rest der Einkäufe aus und verteilten sie auf ihre Bestimmungsorte. Eva atmete auf, als sie die Türen des Transporters zuschlug. „Ich hasse das“, murmelte sie.

„Was hasst du? Einkaufen? Warum fährst du dann immer wieder? Das könnte doch auch Bettina erledigen.“ Erstaunt sah André sie an.

„Nicht das Einkaufen, das macht mir sogar Spaß“, gab sie zögernd zu. „Das Ausladen und Wegräumen geht mir auf den Keks. Dafür müsste es Maschinen geben.“

„Du hast doch mich.“ Er grinste. „Stets zu Diensten, Miss Brummbär.“

„Lass mich in Ruhe, André.“

Er zuckte nur mit den Schultern. „Tue ich das etwa nicht? Ich fahre den Wagen rasch rüber auf seinen Standplatz. Du kannst jetzt wirklich nach Hause gehen. Hier ist heute nicht mehr viel zu tun.“

„Mhm.“ Sie hatte keine Lust mehr auf eine Konfrontation. „Ich hole nur schnell meine Sachen.“ Da sie ihre hellgraue Jacke und die Umhängetasche an die Garderobe gehängt hatte, eilte sie ins Haus, um beides zu holen. Als sie zurückkehrte, stieg André gerade in den Transporter und ließ den Motor an. Sie wollte sich in die entgegengesetzte Richtung auf den Weg zu ihrem knallroten Toyota machen, als sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung im diffusen Licht der Hinterhofbeleuchtung wahrnahm. Da der Transporter im selben Moment anrollte, blieb ihr fast das Herz stehen. „Halt, stopp, André! Stopp! Oh mein Gott!“ So schnell sie konnte, hechtete sie an dem Transporter vorbei und stellte sich ihm in den Weg.

André trat heftig auf die Bremse und kam dicht vor ihr zum Stehen. „Hey, spinnst du? Was ist denn jetzt los? Bist du ­lebensmüde, oder was?“

„Oh Gott, oh Gott, beinahe hättest du ihn überfahren. Der arme kleine … Ach du Scheiße! Wie siehst du denn aus, du armes Wesen?“

„Hast du den Verstand verloren?“, schimpfte André und sprang aus dem Wagen. „Was zum Teufel …? Shit, was ist das denn? Ist der hier aus der Hecke gekommen?“ Mit zwei Schritten war er neben ihr und ging in die Hocke. „Der war absolut im toten Winkel.“

Eva kniete auf dem eiskalten Pflaster, nur etwa zwei Armlängen von einem dunklen, verfilzten, abgemagerten Etwas mit unglaublich großen, ängstlichen braunen Augen und verdreckten, aber deutlich erkennbar weißen Pfoten. „Ein Hund. Das ist ein Hund, André! Um Gottes willen, sieh nur, wie dürr und krank er wirkt.“

„Ein Streuner.“ André musterte das Tier eingehend. „So wie der aussieht, macht er es nicht mehr lange. Der scheint schon eine halbe Ewigkeit herumzustromern. Vielleicht hat ihn ­jemand ausgesetzt.“

„Ich hasse Menschen, die so etwas tun.“ Evas Stimme schwankte, und sie schluckte hart. Ihr stiegen Tränen in die Augen. „Was machen wir denn jetzt? Wir können ihn doch nicht so laufen lassen.“

„Wir können versuchen, ihn einzufangen. Schnell laufen kann er bestimmt nicht mehr.“ Er rieb sich übers Kinn. „Ich kenne eine Tierärztin, die sich seiner annehmen kann. Aber vermutlich wird sie ihn einschläfern.“

„Oh nein, bitte nicht!“ Erschrocken sah Eva ihn von der Seite an. Allein die Vorstellung schnürte ihr die Kehle zu.

„Sieh ihn dir doch mal an.“ Andrés Stimme klang ruhig und vernünftig. „Wenn nicht ein Wunder geschieht, überlebt er so oder so nicht.“

„Vielleicht ist ihm doch noch zu helfen. Ruf Fiona an. Verflixt, es ist schon so spät! Aber das ist ein Notfall, bestimmt hilft sie uns.“

„Du kennst Fiona?“ Überrascht erwiderte er ihren Blick und griff gleichzeitig nach seinem Handy.

„Natürlich kenne ich sie. Sie gehört zu Sophies und Lidias Clique. Zu unserer Clique. Ruf sie an!“

„Bin ja schon dabei.“ Er erhob sich und ging ein paar Schritte beiseite.

Der kleine Hund hatte sich indes kaum bewegt. Er starrte Eva einfach nur an.

Tut mir leid, dass ich euch erschreckt habe. Elf-Siebzehn hat gesagt, dass ich das so machen soll. Meine Güte, ist dieses Auto groß! Ich dachte schon, es würde über mich drüberrollen. Vielleicht wäre das sogar besser gewesen. Ich bin so schwach, und mir ist so kalt. Aber du siehst irgendwie lieb aus. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann ich zuletzt einen netten Menschen gesehen habe. Was macht denn der große Mann da jetzt? Mit wem redet er? Mir ist sooo kalt, entschuldige, dass ich ein bisschen weine.

Der Hund stieß ein klägliches Winseln aus, das Eva tief ins Herz schnitt. „Du armer Kleiner, tut dir etwas weh? Bestimmt ist dir furchtbar kalt, nicht wahr?“ Ohne weiter darüber nachzudenken, breitete Eva ihre Jacke auf dem Pflaster aus. Hinter sich hörte sie André leise in sein Handy sprechen, doch sie achtete nicht weiter auf ihn. All ihre Aufmerksamkeit war auf das elende kleine Wesen vor ihr gerichtet. „Komm, Kleiner, komm her. Ja, trau dich, leg dich auf die Jacke, die ist schön warm und weich. Komm!“ Mit einschmeichelnder Stimme lockte sie den Hund, der zunächst nicht reagierte, dann jedoch ganz vorsichtig näher kroch.

„Ich hole eine von Amors Decken“, sagte André hinter ihr. „Wir können den Kleinen gleich zu Fiona bringen. Sie bereitet alles vor.“

Autor

Petra Schier

Seit Petra Schier 2003 ihr Fernstudium in Geschichte und Literatur abschloss, arbeitet sie als freie Autorin und Lektorin. Neben ihren zauberhaften Weihnachtsromanen schreibt sie auch historische Romane. Sie lebt heute mit ihrem Mann und einem deutschen Schäferhund in einem kleinen Ort in der Eifel.

Foto: © Privat

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