Mein rätselhafter Märchenprinz

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Naomi ist 24, Single, schwanger und ausgesprochen hilfsbereit. Freundlich erklärt sie dem sympathischen, aber offensichtlich überforderten jungen Mann, der sich als Dave vorstellt, die Bedienung einer Waschmaschine. Ist es die große Liebe, die hier im Waschsalon beginnt? Doch je stärker Naomi sich zu Dave hingezogen fühlt, desto größer werden die Rätsel, die er ihr aufgibt. Spätestens, als er ihr eine Luxuswiege schenkt, wird ihr klar, dass Dave ein Geheimnis hat. Wer ist der Mann, der großzügig teure Geschenke macht, seine Gefühle aber streng unter Verschluss hält?


  • Erscheinungstag 03.10.2009
  • Bandnummer 1700
  • ISBN / Artikelnummer 9783862952694
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Naomi Shannon saß neben dem Trockner und blätterte eine College-Broschüre durch, als der Mann mit dem feuerroten Tomatenfleck auf seinem Hemd den Waschsalon betrat.

Die Glocke über der Tür bimmelte und – wow! – da war er.

Eine Aura von unterdrücktem Zorn schien ihn zu umgeben, als er geradewegs auf den Waschmittel-Automaten zusteuerte. Die selbstbewusste und sichere Art seiner Bewegungen zog ihre Aufmerksamkeit magisch an. Durch seine bloße Anwesenheit beherrschte er den ganzen Raum.

Als er mit in die Hüften gestemmten Händen vor dem altertümlichen Waschmittelspender stand, ermahnte Naomi sich, ihn nicht länger anzustarren. Erstens einmal war es unhöflich, und, viel wichtiger noch, es stand nicht auf ihrer To-Do-Liste.

Und dennoch … sie konnte nicht anders.

Dunkelblondes, ordentlich und relativ konservativ geschnittenes Haar. Neue Jeans und ein frisches, hellblaues Hemd, das die Farbe seiner Augen widerspiegelte. Lederstiefel, die ebenfalls neu zu sein schienen. Er war schlank, aber durchtrainiert und muskulös, und auf seinen sonnengebräunten Armen traten die Adern hervor. An seinem Kiefer zuckte ein Muskel, trotzdem wirkte er unter ihrem prüfenden Blick cool und gelassen.

Natürlich war Naomi klar, weshalb er den Waschsalon aufgesucht hatte, der hässliche rote Fleck auf seinem ansonsten perfekten Hemd sprach Bände.

Es gelang ihr nicht, die Augen von ihm abzuwenden. Er nahm sich viel Zeit vor dem Automaten, genug Zeit, dass sie eine Gänsehaut bekam …

Starr ihn nicht so an.

Sie schüttelte den Kopf und widmete sich mit doppelter Aufmerksamkeit den in ihrer Broschüre aufgelisteten Kursen.

Ihre Wäsche im Trockner drehte sich mit einem monotonen Bum, bum, bum, das ihren Herzschlag zu wiederholen schien.

Doch Naomi hatte nicht fast das ganze Land von Kane’s Crossing bis hierher nach Placid Valley in der Nähe von San Francisco durchquert, um sich schon wieder in einen Mann zu verlieben. Der Himmel wusste, dass sie schon genug Ärger wegen Männern hatte.

Im Fernsehen erklang die Titelmelodie von Flamingo Beach, der Soap, die jeden Vormittag um diese Uhrzeit über den Bildschirm flimmerte. Endlich brauchte sie den Fremden nicht mehr anzuschauen – ihre Augen fanden ein besseres Ziel.

Unter dem Fernseher, der in einer Ecke oben an der Decke befestigt war, versammelten sich die üblichen Leute. Obwohl Naomi noch recht neu in der Stadt war, hatte sie schon Freundschaft mit einigen der Frauen geschlossen. Ungefähr zehn Personen versammelten sich hier an jedem Wochentag, um sich die neueste Folge der Seifenoper gemeinsam anzusehen, und nach und nach hatten sie Naomi in ihren Kreis aufgenommen. Heute waren nur etwa sechs der zum harten Kern gehörenden Leute da, die alle ihre Wäsche wuschen.

Freunde, dachte sie. Schön, schon ein paar Freunde in dieser neuen Stadt zu haben.

Mit einer Hand strich sie über ihren noch flachen Bauch. Obwohl wir es auch allein schaffen würden.

Sie klopfte sanft auf die Stelle, wo ihr Baby wuchs, und wandte sich dann wieder dem Fernseher zu, wobei sie sich der Anwesenheit des Fremden in ihrem Rücken immer noch viel zu deutlich bewusst war.

„Hier sind jede Menge freie Stühle“, rief eine Blondine, die dunkle Wäsche in einen Trockner stopfte, Naomi zu, während eine Werbepause das wahre Drama von Flamingo Beach verzögerte.

Nachdem sie den Trockner eingeschaltet hatte, bedeutete sie Naomi, sich zu ihnen zu gesellen, während sie selbst Platz nahm, die langen Beine übereinanderschlug und den Rock ihres schicken, pinkfarbenen Kleides glattstrich.

Heute hatte Jenny Hunter ihren sogenannten „Home-Office“-Tag, also den Tag, an dem sie einmal in der Woche von zu Hause aus arbeitete. Sie erzählte Naomi immer, wie einsam sie sich jeden Mittwoch fühlte, wenn sie in ihrer Wohnung war. Sie brauchte Menschen um sich und vermisste die Geschäftigkeit ihres Büros mitten in der Stadt. Deshalb erledigte sie ihre Wäsche am liebsten im Waschsalon, wo sie nette Gesellschaft hatte.

Naomi schlug ihre Broschüre zu. „Komme.“

Trotzdem zögerte sie und warf noch rasch einen Blick hinter sich auf den fremden Neuankömmling.

Er kämpfte mit einem widerspenstigen Hebel des Automaten, und dabei war sein Gesicht so angespannt, dass Naomi sich allmählich Sorgen um ihn machte.

„Naomi? Es geht los.“

Aus ihrer träumerischen Betrachtung des Fremden gerissen, wandte sie sich um und begegnete Meis leicht amüsiertem Blick, die es sich mit einem Armvoll Kinderkleider auf einem der Stühle vor dem Fernseher bequem machte. Mei kam ursprünglich aus Hongkong, lebte aber schon seit ihrer Jugend in San Francisco. Langes schwarzes Haar, sahnefarbener Teint und ihr mütterliches Auftreten ließen sie reifer erscheinen, obwohl sie nur wenig älter war als Naomi mit ihren vierundzwanzig Jahren.

Meis amüsiertem Lächeln nach zu urteilen, waren ihr Naomis intensive Blicke auf den Typen mit dem Tomatenfleck nicht entgangen.

Aber gut, die Freundinnen im Waschsalon wussten schließlich, dass Naomi nicht auf der Suche nach einem Mann war. Die Sache in Kane’s Crossing mit Bill Vassey war so gründlich schiefgelaufen, dass Naomi zumindest in absehbarer Zeit keine Lust auf eine Wiederholung hatte.

Geistesabwesend legte sie eine Hand auf ihren Leib. Sie trug ihr Baby jetzt etwas mehr als zwei Monate im Bauch, und sie wusste noch nicht, ob es ein Junge oder ein Mädchen werden würde. Demnächst war die zweite Vorsorgeuntersuchung fällig. Glücklicherweise hatte sie schnell einen neuen Job bei Trinkets gefunden, durch den sie zumindest in bescheidenem Umfang krankenversichert war.

Dieses Kind gehörte ihr, nur ihr allein. Es war das Beste, was ihr je geschehen war, auch wenn sie hatte umziehen müssen, um noch einmal ganz von vorn anzufangen.

Du allein zählst, mein Süßes, niemand sonst. Nur du und ich.

Alle klatschten erfreut in die Hände, als die Seifenoper endlich weiterging, und Naomi stand auf, um sich zu den anderen zu gesellen, die sich ironisch „Der Club der einsamen Herzen“ nannten.

Doch sie schaffte es nicht zu ihrem freien Platz vor dem Fernseher.

Mister Tomatenfleck stand noch immer erfolglos vor dem Waschpulver-Automaten. Mitleid erwachte in ihr. Sie bedeutete Mei, dass sie gleich kommen würde … und schlenderte zu ihm hinüber. Einer musste ihm doch helfen. Auch wenn sie in Pflegefamilien aufgewachsen war, waren Höflichkeit und Hilfsbereitschaft keine Fremdwörter für sie.

Inzwischen hatte er sein Portemonnaie herausgezogen und stand vor dem Geldwechsler. Wahrscheinlich hatte der Waschpulver-Automat all seine Münzen verschluckt, ohne auch nur die kleinste Menge Waschmittel herauszugeben. Naomi war es bei ihrem ersten Besuch hier nicht anders ergangen.

Sie stand hinter seinem breiten Rücken, der sich zu schmalen Hüften hin verjüngte, und räusperte sich. Als er sich zu ihr umdrehte, lief es ihr ganz unerwartet heiß den Rücken hinunter.

Seine Augen waren so unglaublich blau, dass sie gar nicht anders konnte, als ihn anzustarren.

Eine endlose Sekunde lang brachte Naomi kein einziges Wort heraus. Nicht einmal ein simples „Hi“.

Stattdessen stand sie unbeholfen wie ein kleines Mädchen vor diesem Mann, der sich so aufreizend selbstbewusst gab.

Das dachte sie zumindest, bis ihr bewusst wurde, dass auch er sie in gewisser Weise anstarrte.

Seine Miene wechselte unvermittelt, und er betrachtete sie jetzt mit einer gewissen Distanz, als wäre sie ein Zimmermädchen, das unangemeldet sein Hotelzimmer betreten hatte.

Naomi verdrängte ihre aufkommende Verlegenheit. In ihrer Heimatstadt war ihre Hautfarbe immer ein heikles Thema gewesen. Da ihre Mutter sie schon als kleines Kind weggegeben hatte, wusste Naomi nicht wirklich, woher ihr etwas dunklerer Teint stammte.

„Ich …“ Sie wies auf den Waschmittel-Automaten. „Ich habe … beobachtet, wie Sie vergeblich versuchten, unser Seifenmonster in Gang zu bringen. Ich habe einen ganz guten Draht zu dem Ding und könnte Ihnen behilflich sein, wenn Sie möchten.“

Er zog eine Augenbraue in die Höhe und brachte damit all seine männliche Überheblichkeit zum Ausdruck. Sehr eindrucksvoll angesichts seines bekleckerten Hemdes.

„Eigentlich“, erwiderte er leise und gemessen, „bin ich sicher, dass ich …“ Er unterbrach sich, und seine Miene wurde ernsthaft, als hätte ihn etwas irritiert.

„Sie haben einen ‚Draht‘?“, wiederholte er.

Ihre Blicke trafen sich, und sie ermahnte sich, auf keinen Fall zu erröten. Nicht rot werden, nicht rot werden …

Mit heißen Wangen drehte sie sich auf dem Absatz um. Sie fischte ein paar Münzen aus ihrer Rocktasche, um den Automaten in Gang zu setzen, und spürte dabei seine Blicke in ihrem Rücken. Heiß und durchdringend.

Um ihre Unsicherheit zu überspielen, konzentrierte sie sich auf Flamingo Beach. Die Helden der Serie, Dash und Trina, flüsterten sich gerade Liebesschwüre zu. Doch es klang wie Kauderwelsch in ihren Ohren, genauso unverständlich wie die Befehle, die ihr Gehirn an ihre zittrigen Finger aussandte.

Du bist nicht auf der Suche nach einem Mann, sagte sie sich immer wieder vor.

Während sie an dem Automaten herumfummelte, räusperte sie sich erneut, riskierte einen Blick über die Schulter zurück und musste lächeln.

Tatsächlich waren seine Blicke auf sie gerichtet.

Ja! Oder besser … nein. Er sollte sie nicht so interessiert mustern. Warum das Leben komplizierter machen, als es ohnehin schon war?

Nicht auf der Suche nach einem Mann …

Der Automat kam allmählich in Schwung, und Naomi sprach sich Mut zu, ehe sie sich nach Mister Tomatenfleck und seinen blauen Augen umdrehte. Sie brauchte nur die Hand auf ihren Bauch zu legen, um ihre Bodenhaftung zu spüren.

Mit der anderen Hand bediente sie weiter den Automaten, fest entschlossen, sich nicht noch einmal von den blauen Augen des Fremden verwirren zu lassen.

Schließlich musste sie an ihr Baby denken.

Und da gab es auch noch ihr gebrochenes Herz und ihren Stolz.

David Chandler kannte solche Tage normalerweise nicht.

Während er darauf wartete, dass die freundliche, hilfsbereite junge Frau den Automaten zähmte, fragte er sich, ob ihm seine Verlegenheit anzusehen war.

Ausgerechnet ihm, der so sehr an den perfekten Ablauf sorgfältig geplanter Meetings gewöhnt war, bei denen es um den Aufkauf von Fernseh- oder Radiosendern, Hotels oder anderer Unternehmen ging.

Ihm, dem Firmenchef eines Milliarden-Unternehmens.

„Dieser Besuch hier im Waschsalon war wohl nicht geplant, oder?“, fragte die junge Frau, die ihm noch immer den Rücken zuwandte.

„Genau. Mein Hotel ist in der Stadt, und ich wollte wegen eines frischen Hemdes nicht extra dorthin zurück.“ Andererseits hatte er nicht vor, den Rest des Tages mit einem Tomatenfleck herumzulaufen. „Bisher bin ich an keinem Bekleidungsgeschäft vorbeigekommen und wusste auch nicht, wann ich eines finden würde. Und dann sah ich den Waschsalon hier.“

Dass er die Kontrolle über diesen Tag so schnell verloren hatte, frustrierte ihn ungemein.

Normalerweise brachte ihn nichts aus der Ruhe. Niemals. Aus diesem Grund glaubten die Angestellten seiner The Chandler Corporation – kurz TCO genannt – auch, ihr Chef sei ein wahrer Eisblock.

„Dann willkommen im Club“, erwiderte sie und warf ihm ein Lächeln zu.

„Freut mich, hier zu sein“, sagte er nicht ganz wahrheitsgemäß. Aber es war immerhin schon mal positiv, einer freundlichen und noch dazu sehr hübschen Einheimischen begegnet zu sein.

Ob zu Hause in New York wohl alles glattlief?

Ein schweres Gewicht schien sich augenblicklich auf seinen Brustkorb zu senken. Diese Unruhe quälte ihn in letzter Zeit öfter als ihm lieb war, obwohl er im Grunde darauf vertraute, dass sein älterer Halbbruder Lucas die Geschäfte in der Firmenzentrale im Griff hatte. Seit eineinhalb Jahren hatte Lucas diese Stellung nun inne und hatte sich vom ehemaligen Playboy zum verantwortungsvollen Chef eines Familienunternehmens gewandelt.

Geschäftspartner, Gesellschaft und Presse waren alle in höchstem Maße überrascht gewesen von Lucas’ Wandlung, doch David allein kannte den wahren Grund dafür. Die Ehe. Die Ehe mit einer Frau namens Alicia, der es auf wundersame Weise gelungen war, den Don Juan zu zähmen.

Ironischerweise hatte ausgerechnet David diese Ehe eingefädelt.

Das Gewicht auf seiner Brust fühlte sich jetzt noch schwerer an. Er war nicht gerade stolz auf seine Rolle in diesem Komplott, obwohl sich alles zum Besten gefügt hatte. Das Paar hatte sich ineinander verliebt, trotz all der Lügen, mit denen Lucas auf Davids Geheiß die unschuldige, naive Alicia erobert hatte. Sie hatte wirklich an Lucas’ Liebe geglaubt, der sie anfangs jedoch nur wegen ihres guten Rufes aus Publicitygründen umworben hatte. Doch schließlich verliebte auch Lucas sich in sie, und als es zum Happy End kam, brachte David es nicht über sich, die Wahrheit ans Licht zu zerren.

In letzter Zeit hatte er immer häufiger versucht, seinem Bruder und dessen Frau aus dem Weg zu gehen, doch es gelang ihm kaum, sie aus seinen Gedanken zu vertreiben. Und jetzt stand diese Frau vor ihm, die ihn auf den ersten Blick an Alicia erinnerte. Erst als er ihren leichten Südstaatenakzent vernahm, erholte sich David ein wenig von seiner Überraschung über die frappierende Ähnlichkeit.

Genau wie Alicia hatte diese Frau dickes, lockiges braunes Haar, doch im Gegensatz zur Frau seines Bruders, deren Haare länger und etwas dunkler waren, trug die Fremde einen kinnlangen Bob. Auch ihre Augen waren größer und hatten einen olivfarbenen Braunton. Außerdem war sie größer und schlanker und ihre Haut etwas dunkler.

Nicht etwa, dass er „Gefühle“ für Alicia gehabt hätte. Davids Interesse hatte in Wahrheit mehr damit zu tun, dass er haben wollte, was Lucas hatte; die Beziehung zwischen Alicia und seinem Bruder war es, die ihn faszinierte. Dass David glücklich für seinen Bruder war, stand außer Frage.

Dennoch war er irgendwie neidisch, und dafür schämte er sich.

Bei diesem Gedanken wandte er seinen Blick von der Fremden ab und richtete ihn auf die Leute, die aufmerksam die Seifenoper verfolgten. Er zog sich wieder zurück in seine bequeme, kalte Schale, und sein Puls nahm seinen alten, kontrollierten Rhythmus auf. Ihm wurde klar, dass ihr erster Blickkontakt einen wahren Adrenalinstoß in ihm erzeugt hatte, und er fragte sich, ob sein Interesse an ihr dem Wettstreit mit seinem Bruder entsprang.

Der Druck auf seiner Brust nahm ihm fast den Atem.

Er musste sich unbedingt von diesem quälenden Neid befreien, der der Auslöser für diese „Auszeit“ war, die er sich genommen hatte.

Die muntere Stimme der Frau unterbrach seine Gedanken. „Na bitte! Ich glaube, Ihr kleines Waschpulver-Problem ist gelöst. Jetzt müssen Sie nur noch die Sorte wählen.“

David nahm seine gewohnte unnahbare Haltung ein, schließlich wurmte es ihn doch ziemlich, dass er an einem simplen Waschpulver-Automaten gescheitert war. Doch dann überlegte er sich, was sein Stolz ihm an diesem Ort bringen sollte, wo niemand ihn kannte.

„Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihren … ‚Draht‘.“

„Ach, wissen Sie, am Anfang hatte ich das gleiche Problem mit diesem Automaten“, lachte sie. „Aber inzwischen haben wir uns aneinander gewöhnt. Was für ein Waschmittel wollen Sie?“

„Irgendeines.“

Er trat einen Schritt näher. Als sie sich lächelnd umwandte, ließ ihn der zarte, frische Duft ihres Haars für einen Moment die Augen schließen.

Spielerisch kreiste sie mit dem Finger über den verschiedenen Knöpfen und drückte schließlich den mittleren nach unten, bis eine kleine Schachtel herauspurzelte.

„Meine Lieblings-Marke.“ Mit einem stolzen Lächeln hielt sie ihm die Schachtel hin. „Genau das Richtige für diesen Fleck auf Ihrem Hemd.“

Sie strahlte ihn an.

Und da war wieder das beklemmende Gefühl in Davids Brust. Ein Pochen, das David nicht verstand, wie ein verschlüsseltes Signal seines Gehirns an seinen Körper.

Er nahm ihr das Waschpulver aus der Hand, als ihm einfiel, dass er sich noch nicht vorgestellt hatte. „Vielen Dank noch einmal. Ich bin Dav…“ Er unterbrach sich und beschloss spontan, seinen Namen abzukürzen. „Dave“, vollendete er schließlich den begonnenen Satz. „Ich bin Dave.“

„Sehr erfreut. Ich heiße Naomi.“ Sie schüttelte seine Hand.

Dieser Augenblick war die Geburt von Dave.

Sein Beschützerinstinkt erwachte, als ihm bewusst wurde, wie klein sich ihre Hand anfühlte. Ein Funke entzündete sich an seinen Fingern, wanderte seinen Arm hinauf und hinunter in seinen Bauch, wo er ein anderes, gefährlicheres Feuer entfachte.

Wortlos ließ er ihre Hand im gleichen Moment los wie sie seine. Aus großen Augen sah sie ihn an.

Bildete er es sich nur ein, oder war sie nervös geworden?

Er wusste es nicht. Er war nicht der Typ Mann, dem die Frauenherzen reihenweise zuflogen. Das war eher Lucas’ Fachgebiet. David dagegen pflegte auch in Herzensdingen seine Erfolgsaussichten erst sorgfältig abzuwägen, ehe er aktiv wurde.

„Tja, Dave“, sagte Naomi und verschränkte die Arme vor der Brust. „Da haben Sie allerhand Arbeit vor sich.“

Schlagartig wurde ihm klar, dass es außer ihnen beiden noch etwas anderes gab, und er schaute hinunter auf den roten Tomatenfleck auf seinem Hemd, den er beinahe vergessen hatte.

„Das da erhielt ich statt eines Mittagessens bei dem Italiener nebenan“, erklärte er und entspannte sich ein wenig. Er war Dave, nicht David. „Zwei Jungs rannten aus dem Restaurant, der eine warf dem anderen eine Tomate hinterher, verfehlte ihn aber.“ Er überlegte kurz und entschied dann, dass Dave hinzufügen würde: „Zum Glück für mich.“

„Ach, die Amati-Jungs. Das sind richtige Lausebengel. Ich höre ihr Geschrei jeden Tag bis in meine Wohnung.“ Auf seinen fragenden Blick hin fuhr sie fort: „Ich wohne gleich um die Ecke.“

„Scheint ja eine Spitzen-Wohnlage zu sein.“

„Na ja …“ Sie zuckte die Schultern. „Ich nutze übergangsweise die Wohnung meiner Freundin, die als Flugbegleiterin ständig durch die Gegend reist.“

Zu seiner Freude bemerkte David, dass er eine normale, gewöhnliche Unterhaltung mit jemandem führte. Wenn er sich selbst von außen hätte beobachten können, hätte er womöglich festgestellt, dass er nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem Milliarden-Hai David Chandler hatte. Und dieses Gefühl gefiel ihm.

Doch während er weiter versuchte, sich von außen zu betrachten, erkannte er, dass er sich alles in allem noch nicht sehr verändert hatte. Gut, statt eines Designer-Anzugs trug er die neuen Freizeit-Klamotten, die er sich heute Morgen gekauft hatte. Doch was nützten ihm die Jeans, wenn er damit genauso steif wirkte wie im Anzug?

Ein seltsamer Gedanke streifte ihn. Wenn er sich zu diesen normalen Mittelklasse-Frauen vor dem Fernseher setzte, würden sie dann wohl glauben, er sei einer von ihnen?

Die bloße Vorstellung ließ ihn leichter atmen. Könnte er wirklich …?

Aber nein, was für ein Unsinn.

Naomi hatte sich kurz dem Geschehen auf dem Bildschirm zugewandt, wo eine gewisse Delia das romantische Stelldichein zwischen Trina und Dash störte. David hatte keine Ahnung, wer Trina und Dash waren, offensichtlich waren sie aber sehr wichtig.

„Das ist gar nicht gut“, kommentierte Naomi die Szene, ehe sie sich wieder David zuwandte. „Da fällt mir ein, ich habe hier einen Fleckenentferner, der würde wahrscheinlich besser wirken als das Waschmittel allein …“

Sie wühlte in ihrer großen Umhängetasche. „Hier. Da ist das Wundermittel.“

Automatisch griff David nach seinem Geldbeutel. „Vielen Dank. Wie viel …?“

„Oh, nein. Nehmen Sie es einfach. Ich habe daheim noch mehr davon.“

Dass diese Leute hier anscheinend nicht für jede Kleinigkeit entschädigt werden wollten, war eine neue Erfahrung für ihn. Einen Augenblick schwelgte er in der Anonymität.

Wenn sie gewusst hätten, wer er in Wirklichkeit war, wären sie dann wohl auch so aufgeschlossen und freundlich? Der Gedanke ernüchterte ihn.

„Danke“, erwiderte er schlicht und fügte mit einer Handbewegung zur Waschmaschine hinzu: „Also dann …“

„Okay.“ Naomi hob zum Abschied eine Hand und ging rückwärts in Richtung des Fernsehers. „Viel Erfolg.“

Am liebsten hätte David sie gebeten, ihm weiter behilflich zu sein, da er noch nie in seinem Leben ein Hemd gewaschen hatte, aber er würde es schon schaffen.

Als er das Hemd auszog, stellte er fest, dass der Tomatenfleck bis auf sein Unterhemd durchging. Verflixt. Er hatte wenig Lust, mit nacktem Oberkörper durch den Waschsalon zu laufen. Er würde das Unterhemd anbehalten und Naomis Wundermittel einfach aufsprühen.

Instinktiv hob er den Blick und bemerkte, dass Naomi ihn beobachtete. Aber sie schaute ganz schnell wieder weg, und er konnte nur staunen über den Stromstoß, der durch seinen Körper fuhr.

Er wandte sich ab und fuhr überrascht zusammen, als eine Asiatin mit langem Haar zu ihm trat und ihm ein schwarzes Hemd hinhielt.

„Das dürfte Ihre Größe haben. Mein … Mann hat in etwa Ihre Figur.“

Als sie zu ihrem Platz zurückging, tauschte sie einen Blick mit Naomi, die sich anscheinend nicht entschließen konnte, Platz zu nehmen.

David hielt das Hemd in die Höhe und rief ihr nach: „Sie bekommen es gleich wieder zurück.“

Die Frau nickte nur und setzte sich hin, um Kleidungsstücke zusammenzulegen.

Einen Moment lang durchzuckte ihn die Frage, was die Frau wohl als Gegenleistung von ihm erwartete. Er verstand nicht, wieso diese Leute sich so normal verhielten, während ihm das so gar nicht gelang.

Eine Blondine, die als Heldin eines Hitchcock-Films hätte durchgehen können, erhob sich nun und schlenderte betont unauffällig zum Getränkeautomaten in der Ecke. Auf dem Weg dorthin kam sie an einem Typen vorbei, der mit seinem Laptop beschäftigt war. Er trug zerschlissene Jeans und ein langärmeliges weißes Hemd über einem dünnen Shirt.

Als die Blondine auf ihrem Rückweg erneut an ihm vorbeiging, bedachte er sie mit einem unangenehmen Lächeln, das sie jedoch geflissentlich übersah. Daraufhin schüttelte der Mann den Kopf und grinste in sich hinein, während er den Fernseher im Auge behielt.

David hätte fast laut aufgelacht. War der Mann etwa ein heimlicher Seifenoper-Fan? Anscheinend ja.

David musterte jetzt die anderen Anwesenden eingehender, als er das üblicherweise tat. Er entdeckte eine lebhafte Inderin mit einem grell-orangefarbenen Sari über ihrem langen geblümten Rock, eine Rothaarige mit Igelfrisur und Punkerstiefeln, eine Brünette im Radtrikot …

Dann fiel sein Blick auf Naomi, die ganz auf die Serie konzentriert wirkte, so als hätte sie keinerlei Interesse an ihm.

Sein Körper reagierte derartig intensiv auf ihren Anblick, dass er sich fragte, ob er sich je zu einer Frau so hingezogen gefühlt hatte. Sicher hatte er die eine oder andere begehrt, doch dies hier war anders – ein heftiges, schier unkontrollierbares Verlangen.

Doch der Ursprung seiner Gefühle war falsch, oder etwa nicht? Sie erinnerten ihn an das ständige Genörgel seines Vaters.

Wann findest du endlich wie Lucas die richtige Frau?

Anscheinend war er unfähig, dieses eine Ziel im Leben zu erreichen, mit dem der ehemalige Taugenichts Lucas über den einstigen Lieblingssohn David triumphiert hatte.

Mit einer heftigen Bewegung zog David sich das Unterhemd über den Kopf und schlüpfte in das schwarze Hemd. Es lag eng an seinem Körper an, und als er an sich hinunterblickte, entdeckte er das kleine Logo auf der rechten Brusttasche – eine Hand mit ausgestrecktem Mittelfinger.

Von den Stuhlreihen her hörte er ein unterdrücktes Kichern.

Es kam von Naomi. Sie zuckte mit den Schultern, warf einen letzten Blick auf den Bildschirm und wandte sich dann ihm zu. „Tut mir leid. Sie sind ganz offensichtlich nicht so … extrovertiert. Meis Mann … ihr Exmann … oder was auch immer … ist manchmal, nun, wie soll ich sagen, ein wenig …“ Sie wedelte mit der Hand in der Luft herum.

„Rebellisch?“ Er sprühte seine beiden Hemden mit dem Fleckentferner ein und wollte ihn dann Naomi zurückgeben.

„Nein, wirklich, behalten Sie ihn“, wehrte sie ab. „Wer weiß, wann die Amati-Jungs Sie das nächste Mal erwischen.“

„Ich werde wohl kaum lange genug hier in der Gegend sein, dass das noch einmal passieren könnte.“

Sie sah ihn an, nickte und schien etwas verwirrt.

„Sie sind auf der Durchreise?“, fragte sie.

„Genau.“ Wie viel sollte er ihr erzählen? Er entschloss sich, die Wahrheit ein wenig zu strapazieren, für den Fall, dass das Spiel, nicht David Chandler zu sein, ihm womöglich Spaß machen würde. „Ich bin seit gestern hier in Placid Valley. Morgen hatte ich eine Tour in die Weinberge geplant.“

„Ach, dann haben Sie Urlaub?“

Er nickte. Urlaub von sich selbst.

„Woher kommen Sie?“, fragte sie weiter.

„Aus Manhattan.“

„Ich wusste es gleich – ein Großstädter. Schade, dass ich nicht schon länger hier lebe, sonst hätte ich Ihnen ein paar Weingüter empfehlen können …“

„Seit wann wohnen Sie denn hier?“

„Seit ungefähr zwei Wochen.“

„Lassen Sie mich raten.“ Er riskierte ein Lächeln. Es fühlte sich gut an, deshalb lächelte er weiter. „Sie kommen aus den Südstaaten?“

„Stimmt, aber ein bisschen genauer darf es schon sein.“ Sie lehnte mit der Hüfte an einer Waschmaschine und sah ihn herausfordernd an.

David war weit gereist, kannte sich aber hauptsächlich in den Großstädten dieser Welt aus, in die ihn seine Geschäfte führten. Trotzdem gab er sich Mühe. „Tennessee.“

„Etwas nördlicher.“

Wie von selbst entstand vor seinem inneren Auge eine Landkarte. „Kentucky.“

„Bingo! Nur zwei Versuche. Nicht schlecht für einen Großstädter.“

Ihre gute Laune war ansteckend. „Haben Sie Heimweh?“

„Ich? Hm …“ Sie schürzte die Lippen. „Manchmal vielleicht.“

Ihre Antwort kam ihm so merkwürdig vor, dass er mehr wissen wollte. Woher rührte diese echte Melancholie?

In diesem Augenblick klingelte sein Handy, und auf dem Display erkannte er Lucas’ private Nummer. Er musste den Anruf annehmen, vor allem deshalb, weil sein Bruder um diese Uhrzeit eigentlich im Büro war, und das bedeutete, dass der Anrufer jemand anders war.

Er entschuldigte sich bei Naomi und ging nach draußen.

Als er den Anruf annahm, hörte er die Stimme seines vierjährigen Neffen. „Hallo, Onkel David.“

Gabriel war einer der beiden Menschen, die ihm überall und jederzeit ein Lächeln entlocken konnten. Seine einjährige Nichte Phoebe war der andere.

„Hast du schon wieder das Telefon stibitzt?“, fragte David in spielerischem Tonfall, da er wusste, wie glücklich Gabe war, wenn er seiner Mutter entwischen und David anrufen konnte.

„Mom hat es erlaubt. Wo bist du?“

Seit David vor ein paar Tagen abgereist war, hörte er ständig diese Frage, angefangen von Lucas bis hin zu seinem Vater. Bisher hatte er nur geantwortet, dass alles bestens sei, seinen Aufenthaltsort aber verschwiegen. Dabei wollte er es belassen.

Autor

Crystal Green
<p>Crystal Green – oder bürgerlich Chris Marie Green – wurde in Milwaukee, Wisconsin, geboren. Doch sie blieb nicht lange: Sie zog zunächst nach Südkalifornien, von dort nach Kentucky und wieder zurück nach Kalifornien. Die Reisezeit vertrieb sie sich, indem sie Gedichte und Kurzgeschichten über die ultimativen Superhelden Supermann und Indiana...
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