Mistelzweig und Weihnachtsküsse

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Nach "Der 48-Stunden-Mann" endlich ein weiterer Hometown Heartbreaker! Zum ersten Mal in voller Länge übersetzt!

Von wegen "Oh du fröhliche"! Die Adventsstimmung ist Feuerwehr-Captain Jordan Haynes gründlich verhagelt. Denn bei dem Versuch, eine Katze zu retten, hat er sich so übel verletzt, dass er das Bett hüten muss. Immerhin hat die kratzbürstige Mistletoe überlebt, und ihre ebenso dankbare wie hübsche Besitzerin Holly tut alles, um ihm den Krankenstand mit Keksen und netten Plauderstunden zu versüßen. Der geborene Herzensbrecher ist bezaubert von ihrer offensichtlichen Unerfahrenheit im Umgang mit Männern und nimmt sich fest vor, Holly nicht zu nahe zu treten. Wie sich herausstellt, ist das aber leichter gesagt als getan. Und bald flammt heiße Leidenschaft zwischen ihnen auf …


  • Erscheinungstag 01.11.2013
  • ISBN / Artikelnummer 9783955763244
  • Seitenanzahl 260
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Susan Mallery

Mistelzweig und Weihnachtsküsse

Übersetzung aus dem Amerikanischen von Iris Homann

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright dieser Ausgabe © 2013 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Holly and Mistletoe

Copyright © 1996 by Susan W. Macias

erschienen bei: Silhouette Books, Toronto

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Covergestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Daniela Peter

Titelabbildung: Harlequin Enterprises, S.A., Schweiz

Autorenfoto: © by Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

ISBN epub 978-3-95576-324-4

www.mira-taschenbuch.de

eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

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Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder

auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich

der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

1. KAPITEL

Die Frau neben ihm umklammerte seine Hand, als fürchtete sie, er würde ihr davonlaufen. Ihre Augen waren geschlossen, und sie bewegte die Lippen wie in einem stillen Gebet. Lange blonde Haare fielen über ihre Schultern herab und streiften seine Hand.

Jordan Haynes erkannte den typischen Krankenhausgeruch. Verschwommen nahm er seine Umgebung wahr. Auch dieses Gefühl kannte er – offenbar hatte man ihm starke Schmerzmittel gegeben. Nur die Frau an seinem Bett konnte er nicht einordnen. Aber wer auch immer sie sein mochte, es war wirklich nett von ihr, so besorgt um ihn zu sein.

Sie ließ ihre Hand ein wenig sinken, und ihr Haar strich über sein Handgelenk. Wie kühle Seide, dachte er. Gern hätte er seine freie Hand gehoben und sie durch die hellen Strähnen gleiten lassen. Aber sein Arm fühlte sich an wie festgenagelt. Er war einfach zu geschwächt, um sich zu bewegen. Anstatt ihre Haare zu berühren, konzentrierte er sich also auf ihr Gesicht.

Sommersprossen sprenkelten ihre Wangenknochen und die Nase. Sommersprossen. Er zog eine Grimasse. Die Winkel ihres großzügigen Munds waren leicht nach oben gebogen. Außer dem Mascara, der ihre langen Wimpern betonte, trug sie kein Make-up. Er hätte fünfzig Dollar gewettet, dass sie blaue Augen hatte und früher einmal Cheerleaderin ihrer Highschool gewesen war. Mit ihrem kerngesunden Aussehen hätte sie das Model einer Milchwerbung sein können. Was suchte sie also in seinem Krankenzimmer?

Noch immer berührten ihre Haare seine Hand. Die sanfte, sinnliche Berührung ließ Fantasien in ihm aufsteigen, die sein geschundener Körper nie und nimmer verwirklichen konnte. Jedenfalls nicht in naher Zukunft.

Er zog seine Hand aus der Umklammerung. Sofort öffnete sie ihre Augen. Volltreffer! Sie waren tatsächlich dunkelblau. Jetzt schuldete er sich selbst fünfzig Dollar. Sobald er hier herauskam, war Zahltag.

Die Fremde strahlte, als hätte sie gerade im Lotto gewonnen.

„Sie sind wach“, stellte sie fest. Dann griff sie wieder nach seiner Hand, und ihr Lächeln wurde noch breiter. „Ich bin so froh! Die Schwester sagte schon, Sie würden wieder gesund, aber ich habe mir Sorgen gemacht. Wie fühlen Sie sich? Haben Sie Schmerzen? Möchten Sie einen Schluck Wasser?“

Er wollte etwas sagen, aber sein Hals war zu rau. Er hustete. Sofort sprang sie auf, langte nach einer kleinen Karaffe und schenkte ein wenig Wasser in ein Glas. Sie legte einen Arm um seine Schultern und hob das Glas an seine Lippen.

„Trinken Sie langsam“, forderte sie ihn auf.

Nachdem er die Hälfte getrunken hatte, nickte er zum Zeichen, dass es genug war. Rasch stellte sie den Becher auf den Tisch neben dem Bett und kehrte an ihren Platz zurück. Dieses Mal verschränkte sie gleich die Finger ihrer Hand mit seinen. Und bevor er sich entziehen konnte, lehnte sie sich vor und presste seine Hand an ihre Brust.

Jetzt gehörte ihr wirklich seine volle Aufmerksamkeit. Als sie aufgestanden war, hatte er einen Blick auf ihre beeindruckenden Kurven erhaschen können. Jeder Halbstarke träumte von einer Frau mit solchen Brüsten. Nun lag sein Handgelenk auf ihrem Dekolleté, während sein Zeigefinger ihren Hals streifte. Dass das weite Sweatshirt der Frau wenig verführerisch war, tat nichts zur Sache. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte sie seine Hand für den Rest des Tages weiter so halten können.

Dann bemerkte er, wie sich ihre blauen Augen verdunkelten. Ihn beschlich die unangenehme Vorahnung, dass sie gleich in Tränen ausbrechen würde. Guter Gott, alles, nur das nicht.

„Wer sind Sie?“, fragte er schroff.

Die Frau lächelte wieder. „Ich bin Holly Garrett“, verkündete sie, als würde das alles erklären.

Er kannte keine Holly Garrett. Aber so, wie sie ihn anstarrte – als hätte er gerade ganz allein die Welt gerettet –, kannte sie ihn offensichtlich sehr gut.

Großartig. Entweder hatten die Schmerztabletten merkwürdige Nebenwirkungen, oder er wurde verrückt.

„Und?“, fragte er weiter.

Einen Moment sah sie ihn verständnislos an. Dann begann sie zu lachen. Er spürte die Vibration des Klangs auf seinem Handrücken, den sie immer noch an ihre Brust drückte. Sie ist freundlich, dachte er. Eine charmante Eigenschaft an einer attraktiven Frau.

„Es hat ein Unwetter gegeben“, erklärte sie. „Sie haben meine Katze gerettet.“

Die Erinnerung brach über ihn hinein und ließ ihn aufstöhnen. Der Sturm hatte einen Baum in die Wohnung über einer freistehenden Garage krachen lassen. Dabei hatte er nicht nur das Dach durchschlagen, sondern leider auch die Wasserleitungen beschädigt. Als Jordan mit seinen Männern angerückt war, hatten sie kaum noch etwas retten können. Dunkel entsann er sich einer Frau, die völlig aufgelöst an einer klemmenden Tür zerrte. Überall war Wasser. Das zweistöckige Gebäude sah aus, als würde es jeden Moment einstürzen. Jordan hatte die Frau gepackt und in Sicherheit gebracht, während sie nach ihrer verdammten Katze schrie. Wie ein Idiot hatte er sich auf die Suche nach dem Tier gemacht. Und das war das Ergebnis: Obwohl er noch keine sechs Monate wieder in Glenwood lebte, war er schon wieder im Krankenhaus gelandet. Verflucht!

„Sie waren wunderbar“, sagte Holly mit belegter Stimme. „Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn …“ Ihre Stimme schwankte.

„Äh, ja … Aber es ist ja nichts passiert, stimmt’s?“

Sie schniefte. „Danke“, murmelte sie und drückte seine Hand.

„Ich habe nur meinen Job gemacht“, brummte er. Und den auch noch miserabel. Der Spott seiner Kollegen war ihm jedenfalls sicher, wenn er wieder zu seiner Arbeit bei der Feuerwehr zurückkehrte.

Dem Pochen in seinen Beinen und im Rücken nach zu urteilen, würde das jedoch nicht allzu bald sein. Alle hatten gesehen, was passiert war. Er hatte die Katze gefunden und war sicher aus der Wohnung herausgekommen. Das zappelnde Fellbündel hatte er unter seiner Jacke festgehalten, bis es draußen auf dem Balkon versucht hatte, sich zu befreien. Aus Angst, die Katze könnte von den Feuerwehrwagen überfahren werden oder in der Menschenmenge verschwinden, umklammerte er sie so fest er konnte. Fast hätte das Biest den Kampf gewonnen, doch dann bekam Jordan das Nackenfell zu packen. Leider hatte er aber bei dem Gerangel den Halt auf den nassen Holzbohlen verloren und war seitlich vom Balkon heruntergefallen.

Vor aller Augen. Er fluchte innerlich.

„Ist irgendetwas gebrochen?“, fragte er, den Blick auf sein Bein unter der weißen Decke gerichtet. Er konnte nicht sehen, ob es eingegipst war.

Holly schüttelte den Kopf. „Nein. Der Tierarzt hat Mistletoe untersucht, es geht ihr prima.“

„Ich meinte nicht die Katze“, antwortete er trocken.

Nachdem sie ihn ein paar Sekunden angestarrt hatte, stieg ihr die Röte ins Gesicht, vom Hals über die Wangen und weiter bis unter die Haarwurzeln.

Ihr Mund formte einen perfekten Kreis. „Oh.“ Dann senkte sie den Blick und schien erst jetzt zu bemerken, dass sie seine Hand festhielt. Sie ließ ihn los. „Oh, entschuldigen Sie. Sie meinten Ihre Verletzungen. Darüber weiß ich nichts. Die Schwester meinte, Sie können morgen wieder nach Hause, falls Ihnen das weiterhilft.“ Sie warf ihm einen kurzen Blick zu. „Es tut mir leid, dass wir Ihnen so viel Ärger beschert haben.“

Seine Hand fühlte sich kalt an, seit Holly sie nicht mehr berührte. Er vermisste ihre Wärme und den leichten Herzschlag – ganz zu schweigen von ihren eindrucksvollen Brüsten.

„Ich habe nur meinen Job gemacht“, wiederholte er sich lahm.

Doch sie schüttelte erneut den Kopf. „Sie haben mehr als das getan. Es war gefährlich, wegen Mistletoe zurück ins Haus zu gehen. Ein Feuerwehrmann hat mir gesagt, dass Einsturzgefahr bestand. Und Sie haben sich verletzt. Es tut mir so leid. Wenn ich irgendetwas für Sie tun kann, sagen Sie es mir bitte.“

Tatsächlich hätte er sie beinahe gebeten, wieder seine Hand zu nehmen. Aber bevor er seinen Wunsch äußern konnte, öffnete sich die Tür, und ein halbes Dutzend Menschen strömte herein.

Jordans jüngerer Bruder Kyle war der Erste. „Hab gehört, du bist von einem Haus gefallen“, grinste er. „Was tut man nicht alles, um zum Helden zu werden.“

Zwei von Jordans Schwägerinnen schoben ihn aus dem Weg und eilten zum Krankenbett.

„Wie geht es dir?“, erkundigte sich Elizabeth.

„Du kannst dich bei uns erholen“, bot ihm Rebecca an. „Wir haben genug Platz.“

Jordans dritte Schwägerin Sandy fragte: „Hast du dir etwas gebrochen?“

„Ich weiß es noch nicht“, konnte Jordan gerade noch antworten, bevor ihn seine älteren Brüder Travis und Craig mit ihren mehr oder weniger fachmännischen Einschätzungen zu seinem Gesundheitszustand übertönten.

Austin Lucas, ein alter Familienfreund, trat an die andere Seite des Betts und schüttelte Jordans Hand. „Gut zu wissen, dass du bald wieder auf dem Damm bist.“

„Finde ich auch“, erwiderte Jordan. Plötzlich bemerkte er, dass Holly verschwunden war. Irgendwie war sie aus dem Zimmer geschlüpft, als seine Familie hereingekommen war.

Er betrachtete die besorgten Menschen um ihn herum. Sie diskutierten lebhaft seinen Zustand und zankten sich, bei wem er bleiben würde, bis er wieder ganz gesund wäre. Die Gespräche schwappten über ihn hinweg und hüllten ihn ein wie eine warme Decke aus liebevoller Zuneigung. Er wusste, dass alle im Raum sich so um ihn sorgten wie er sich um sie. Obwohl er sich nicht immer dazugehörig fühlte, liebte er seine Familie. Ähnlich wie Austin war Jordan schon immer ein Einzelgänger gewesen.

Ohne ein Wort zu sagen, ließ er die anderen streiten. Am Ende würde er ja doch das tun, was er wollte: allein nach Hause gehen. So war es ihm am liebsten.

„Schon klar, du willst den Macho raushängen lassen, aber damit kannst du mich nicht beeindrucken.“ Elizabeth Haynes hatte die Hände in die Hüften gestemmt. Obwohl ihr Mann Travis nicht der älteste der Haynes-Brüder war, hatten die beiden als Erste geheiratet. So war Elizabeth zur Wortführerin unter den Frauen geworden. Auch jetzt sprach sie stellvertretend für alle.

„Ich bleibe hier, in meinem Haus“, erwiderte Jordan und funkelte sie trotzig an. Dass er flach auf dem Rücken lag, verlieh ihm nicht besonders viel Durchsetzungskraft – aber das hätte er sich niemals eingestanden.

„Gut. Dann bleibst du eben in deinem Haus. Aber nicht allein“, kam die prompte Antwort.

Jeder Knochen in seinem Körper schmerzte. Seine Beine, sein Brustkorb, sein Rücken, sogar die Haare. Heute Morgen hatte er die Schmerztabletten abgesetzt. Vielleicht war das ein Fehler gewesen.

Elizabeth setzte sich auf die Bettkante und nahm seine Hand. Er musste an eine andere Frau denken, die vor Kurzem im Krankenhaus das Gleiche getan hatte.

Holly Garrett ging ihm nicht aus dem Kopf. Normalerweise machte er einen großen Bogen um romantische Abenteuer. Aber dieses Mal war er sehr versucht, eine Ausnahme zu machen. Zum Glück hinderten ihn seine Verletzungen daran, etwas Unüberlegtes zu tun. Mit ein bisschen Glück hatte er sie vergessen, wenn er wieder gesund war. Und in der Zwischenzeit musste er dafür sorgen, dass ihn nicht alle wie einen Invaliden behandelten.

„Es gibt zwei Möglichkeiten“, erklärte Elizabeth. „Entweder du kommst mit einem von uns nach Hause, oder …“

„Ich nehme oder“, entschied er schnell.

„Oder Louise bleibt hier und kümmert sich um dich.“

Zornig starrte er seine Schwägerin an.

„Ich weiß“, sagte sie. „Du hasst Louise. Keiner versteht warum, nicht einmal Louise. Seit Jahren lässt du keinen Zweifel daran aufkommen. Aber es gibt keine Alternative. Der Arzt hat gesagt, dass du zwei Wochen liegen sollst, also muss sich jemand um dich kümmern. Suchs dir aus, Jordan. Bleib hier mit Louise, oder komm mit zu einem deiner Brüder.“

Völlig entnervt drehte Jordan das Gesicht zum Fenster und blickte in den hellblauen Himmel und auf ein paar weiße Schäfchenwolken. Der Spätherbst in Nordkalifornien konnte verregnet sein, aber heute hieß ihn das Wetter zu Hause willkommen.

Mit Louise hierbleiben oder bei einem seiner Brüder unterkommen … Letzteres war kein Problem, er verstand sich mit allen von ihnen. Aber bis Weihnachten war es nur noch ein Monat. Alle würden mit den Vorbereitungen beschäftigt sein, und er wäre ihnen nur im Weg.

Louise. Er fluchte innerlich. Keiner wusste, warum er sie nicht mochte. Doch er kannte die Wahrheit, kannte ihr schmutziges Geheimnis. Seit siebzehn Jahren trug er es schon mit sich herum. Alle akzeptierten sie wie ein Familienmitglied. Alle außer Jordan. Er misstraute ihren Gründen, die Nähe zu den Brüdern zu suchen.

„Also?“ Elizabeth gab keine Ruhe.

„Du lässt mir ja keine Wahl.“

„Genau das ist meine Absicht.“

Er holte tief Luft. Das viktorianische Herrenhaus hatte er vor weniger als zwei Monaten gekauft. Bis jetzt war von seinen Renovierungskünsten kaum eine Spur zu sehen. Vielleicht konnte er einiges erledigen, während er sich erholte. Vor Neujahr durfte er ohnehin nicht zur Feuerwehr zurück.

„Ich bleibe hier“, erklärte er und bereute seine Entscheidung sofort.

„Wie du meinst.“ Elizabeth lehnte sich vor und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Sei nett zu ihr, ja? Sie tut dir einen Gefallen.“

„Kein Problem.“

Da lachte sie. „Alter Lügner. Du wirst ihr das Leben zur Hölle machen. Ich warne sie lieber vor.“ Damit machte sie sich auf den Weg aus dem Zimmer. In der Tür drehte sie sich noch einmal um und sah zu ihm zurück. „Das wäre alles kein Problem, wenn du dir eine Frau gesucht hättest.“

Über diese altbekannte Diskussion musste er schmunzeln. Unermüdlich versuchte Elizabeth, ihn unter die Haube zu bringen. „Ich mag mein Singleleben.“

Sie erwiderte sein Lächeln nicht. „Jetzt lügst du mich schon zum zweiten Mal an, Jordan. Du hast Glück, dass ich dich so gern mag. Vielleicht schicke ich meinen Mann vorbei, damit er dir ein wenig Vernunft einprügelt.“

„Mit dem nehme ich es noch lange auf.“

Darauf erhielt er ein skeptisches Heben der Augenbrauen als Antwort.

„Na ja, vielleicht nicht heute, aber in einer Woche bestimmt!“

Für einen Moment musterte Elizabeth ihn eindringlich. „Im Grunde tut dir das mal ganz gut – solange du ans Bett gekettet bist, kannst du in aller Ruhe über dein Leben nachdenken.“

„Mein Leben ist vollkommen in Ordnung.“

„Deine Brüder nehmen dir das ab, aber deinen Schwägerinnen kannst du nichts vormachen. Du brauchst eine Frau.“

„Ich bin ein verwundeter Held. Lass mich in Frieden.“

„Du bist ein störrischer Quälgeist, aber ich liebe dich trotzdem. Pass auf dich auf, und sei nett zu Louise.“

Sie winkte ihm zu und verschwand in den Flur. Jordan lauschte ihren Schritten auf den Holzdielen hinterher, bis sie nicht mehr zu hören waren. Dann war er allein.

Und genau das gefiel ihm, so hatte er sich sein Leben eingerichtet. Aber in den nächsten Tagen würde er Gesellschaft bekommen. Louise. Beim Gedanken daran verzog er das Gesicht. Wenn Elizabeth die Wahrheit wüsste, hätte sie Louise sicher nicht mehr so gern in ihrer Nähe. Doch sie ahnte nichts. Keiner vermutete irgendetwas. Ihm war selbst nicht klar, warum er Louises Geheimnis so gewissenhaft hütete, vielleicht aus irgendeinem unsinnigen Ehrgefühl heraus. Dass er ihr rein gar nichts schuldete und dass sie seine Familie zerstört hatte, änderte nichts daran. Er konnte sie trotzdem nicht verraten.

Wieder hörte er Schritte, aber diesmal waren es nicht die seiner Schwägerin. Louise Carberry betrat den Raum und starrte auf ihn herab. Sie war nicht besonders groß, hatte kurze blonde Haare und blaue Augen. Er schätzte sie auf etwa Mitte vierzig, obwohl sie jünger aussah. Ihre fuchsienrote langärmelige Bluse hing locker über der fliederfarbenen Hose. Louise kleidete sich wie eine Farbenblinde. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und musterte ihn. Er hielt ihrem Blick stand.

Die Situation erinnerte ihn an seinen Kampf mit der verdammten Katze. In der Schlacht auf dem Balkon war er zwar der Stärkere gewesen, aber den Krieg hatte er trotzdem verloren, als er seitwärts über das Geländer auf den harten Boden gestürzt war. Seine Augen verengten sich, während er überlegte, ob er aus dieser Begegnung wohl ähnlich geschlagen hervorgehen würde.

Holly parkte ihren Wagen vor dem viktorianischen Haus. Obwohl es erst kurz nach sechs war, lag draußen schon alles im Dunkeln. Im kalifornischen Spätherbst ging die Sonne schon vor fünf Uhr nachmittags unter. Gerade konnte Holly noch die Umrisse des herrlichen alten Gebäudes erkennen, das spitze Dach und die ungewöhnlich geformten Fenster.

Vor langer Zeit hatte dieser Teil von Glenwood den wohlhabenden und mächtigen Familien gehört, die mit der Holzindustrie, dem Bergbau und der Eisenbahn ein Vermögen gemacht hatten. Während des Zweiten Weltkrieges waren die meisten von ihnen aus dem kleinen Ort nach San Francisco oder Los Angeles gezogen. Die Häuser aber waren geblieben. Manche waren abgerissen worden, andere in Bürogebäude umgewandelt. Einige wenige wurden renoviert.

Holly bestaunte den Bau und wünschte, sie hätte das Geld für so ein Haus. Das Erdgeschoss wäre ihr Verkaufsraum, und in den oberen Etagen würde sie wohnen. Sie lächelte. Es war ein schöner Traum, der nichts mit der Realität zu tun hatte.

Bevor sie aus dem Auto stieg, nahm sie die rosa Schachtel aus der Konditorei vom Beifahrersitz. Der Abend war ruhig. Nur der Gesang einer Amsel durchdrang die Stille. Sie sog tief die Luft ein und inhalierte den Duft der Bäume und eines entfernten Feuers. Der heimelige Geruch erinnerte sie daran, dass ihr eigenes Zuhause vor drei Tagen zerstört worden war. All ihr Besitz war irreparabel zerschlagen oder vom Wasser durchweicht. Aber wenigstens war Mistletoe in Sicherheit.

Die Keksschachtel fest umklammert, stieg Holly die Treppenstufen hinauf. Zwar konnten die gekauften Kekse ihre Schuld gegenüber Captain Jordan Haynes nicht ansatzweise begleichen, aber mehr hatte sie im Moment nicht zu bieten. Im Augenblick verfügte sie über keine eigene Küche. Sobald sie das Geld für eine neue Wohnung beisammenhatte, würde sie ihm etwas Wunderbares backen.

Sie nahm die letzten drei Stufen, die zur Veranda hinaufführten. Die großzügige hölzerne Fläche war leer, nur ein einzelnes Licht brannte neben der Eingangstür. Die Veranda konnte sie sich lebhaft im Sommer vorstellen, wenn das Sonnenlicht auf die frisch abgeschliffenen Holzplanken fiel. Eine Hollywood-Schaukel stünde an dem einen Ende, neben dem hohen Fenster zu ihrer Rechten. Und vielleicht ein weißer schmiedeeiserner Tisch und dazu passende Stühle auf der anderen Seite. Vor ihrem inneren Auge sah sie Damen in langen Kleidern und Herren mit hohen Hüten. Kinder spielten auf der Rasenfläche. Ihr Gelächter bildete ein fröhliches Hintergrundgeräusch zur höflichen Konversation der Erwachsenen.

„Du bist der größte Dickschädel, der mir in meinem verkorksten Leben jemals begegnet ist.“

Die laute Stimme riss Holly aus ihrem Tagtraum und ließ sie zurückschrecken. Verunsichert starrte sie auf die Tür. Sie hatte die Hand bereits zum Klopfen erhoben, aber offensichtlich war es gerade ungünstig.

Eine tiefe männliche Stimme grollte etwas zurück, aber Holly konnte die einzelnen Wörter nicht verstehen.

„Wenn mir der Rest der Familie nicht so wichtig wäre, würde ich dich einfach hier liegen und verhungern lassen“, schimpfte die Frau weiter. „Und es geschähe dir recht. Nicht einmal mein seliger Alfred hat sich so mit seinem Essen angestellt.“

Wieder grollte die Männerstimme eine Antwort.

„Gut. Dann sei eben beleidigt. Du magst ja sowieso nichts an mir. Was wundert es mich da, dass du dich beschwerst, wenn ich dich mit einem Hund vergleiche? Oh, und übrigens war Alfred deutlich hübscher als du.“

Bevor Holly zurückweichen konnte, flog die Haustür auf. Eine Frau stand im Eingang und starrte ihr entgegen. „Dachte ich mir doch, dass ich ein Auto auf der Einfahrt gehört habe“, rief sie.

Holly wusste nicht, was sie tun sollte. Linkisch stand sie auf der Veranda, mit einem Bein schon bereit zur Flucht.

„Ich …“, brachte sie hervor, dann brach sie ab. „Ich wollte zu Captain Haynes, aber ich komme lieber später wieder. Jetzt ist wohl nicht der beste Zeitpunkt.“

Die Frau verzog den Mund. „Mit dem gibt es nie einen guten Zeitpunkt. Er ist der dickköpfigste, sturste und schwierigste Mann, der mir jemals untergekommen ist.“ Sie hielt inne und schüttelte den Kopf. „Warum Sie ihn besuchen wollen, ist mir zwar ein Rätsel, aber Sie können ebenso gut hereinkommen. Vielleicht bringen Sie ihn ja zur Vernunft. Ach übrigens, ich bin Louise, Louise Carberry.“

Da Louise ihr die Tür aufhielt, zwang Holly sich hindurchzugehen. Drinnen trat sie unsicher von einem Fuß auf den anderen und beäugte ihre Gastgeberin.

Die Frau trug ein knallgelbes langärmeliges Shirt, das sie in ihre kobaltblaue Stoffhose gestopft hatte. Der silberfarbene Gürtel um ihre Hüften passte zu den silbernen Monden und Sternen, die sie als Ohrringe trug. Obwohl Holly noch ihre dezent hochhackigen Schuhe von der Arbeit anhatte, waren die zwei Frauen etwa auf Augenhöhe.

„Was machst du?“, fragte die männliche Stimme.

„Ich bin zur Tür gegangen. Hör auf, dich wie ein Kleinkind zu benehmen. In deiner Nähe willst du mich nicht haben, aber wenn ich weggehe, fängst du an zu quengeln. Entscheide dich mal, Jordan.“

„Wer ist da?“, fragte er.

Louise verdrehte die Augen. „Eins von deinen Frauenzimmern.“

„Oh, nein“, warf Holly ein. „Ich bin nicht …“

„Welche?“

Louise streifte sie mit einem Blick. „Wie heißen Sie?“

„Holly, aber ich bin nicht …“

„Holly“, brüllte sie quer durch das Haus.

Jordan blieb still. Vermutlich versuchte er, sich an ihr Gesicht zu erinnern.

„Ich bin keine von Captain Haynes’ Frauen“, sagte sie.

Da lächelte die andere. „Dann sind Sie ein cleveres Mädchen. Der Kerl da hinten ist einfach nur ein anstrengendes Ekel!“ Die letzten Worte rief sie in die Richtung, in der sein Zimmer liegen musste. Sie atmete tief ein und stieß dann die Luft langsam und kontrolliert wieder aus. „Ich bereue es, mich hierzu bereiterklärt zu haben. Er bringt mich noch ins Grab. Und der liebe Herrgott weiß, dass ich viel zu jung bin zum Sterben.“ Gleich darauf kniff sie die Augenbrauen zusammen. „Und wer sind Sie denn dann?“

„Mein Name ist Holly Garrett.“ Holly klemmte die Schachtel unter den linken Arm und streckte ihre Hand aus. „Meine Wohnung wurde bei dem Unwetter in der letzten Woche zerstört. Captain Haynes ist hineingegangen, um meine Katze zu retten.“ Sie schüttelte Louises Hand. „Meinetwegen hat er sich verletzt. Streng genommen war Mistletoe schuld, aber ich fühle mich verantwortlich.“

„Mistletoe?“

„Meine Katze. Als er mit ihr aus der Wohnung kam, hat sie sich erschreckt und wollte weglaufen. Captain Haynes hat sie festgehalten, dabei aber den Halt unter den Füßen verloren und ist vom Balkon gefallen. Ich habe ein schrecklich schlechtes Gewissen.“

Louises Mundwinkel begannen zu zucken. Sie lachte in sich hinein. „Zu Fall gebracht von einer Katze. Geschieht ihm recht.“

„Ich habe Kekse mitgebracht.“ Holly hielt ihr die Box entgegen. „Es ist nichts Großes. Sie sind auch nicht selbst gemacht. Ich habe gerade keine Küche – ich wünschte, ich hätte eine. Ich koche und backe unglaublich gern.“

„Louise!“, brüllte Jordan.

„Warte einen Moment!“, rief Louise zurück. Dann senkte sie die Stimme: „Früher als in zwei Wochen wird er nicht aufstehen können. Ich glaube nicht, dass ich es so lange mit ihm aushalte.“

„Und Sie sind seine …“

„Seine Haushälterin. Nur vorübergehend. Sehr vorübergehend. Möchten Sie einen Kaffee?“ Louise wartete die Antwort nicht ab, sondern ging schnurstracks in Richtung der hinteren Zimmer des Hauses.

Holly lief ihr nach. Staunend bemerkte sie den stattlichen Kronleuchter, der von der Decke zwei Stockwerke weiter oben in die Eingangshalle herabhing. Die winzigen kristallenen Tropfen waren echt. Sie fingen das Licht ein und brachen es in alle Regenbogenfarben. Bewundernd musterte Holly das handgeschnitzte Treppengeländer und den gut erhaltenen Bodenbelag. Sie stellte sich das Haus vor, wie es einmal gewesen sein musste. Und wie es aussehen könnte, wenn man genügend Zeit, Geld und Liebe hineinsteckte.

„Er ist da drin“, sagte Louise und zeigte auf eine halb geöffnete Tür.

Dahinter erkannte Holly eine Bibliothek. Noch weiter hinten, wo früher vermutlich das Studierzimmer gewesen war, erspähte sie durch eine weitere Tür das Fußende eines Betts.

„Wie geht es ihm?“

Die andere schnaubte. „Gemessen an seiner schlechten Laune geht es ihm stündlich besser.“

Sie betraten die große Küche. Auf dem Tisch in der Mitte des Raums stand ein Tablett. Louise deutete darauf. „Das isst er nicht, hat er gesagt. Können Sie sich das vorstellen? Mein ganzes Leben koche ich nun schon, aber Seiner Hoheit ist es nicht gut genug.“

Genüsslich betrachtete Holly den Teller mit Hackbraten, Kartoffelpüree und Gemüse. Es roch wunderbar. Ihr Magen knurrte. Seit dem Morgen hatte sie nichts mehr gegessen, und auf einmal merkte sie, wie hungrig sie war.

„Bedienen Sie sich“, bat Louise.

„Oh, das kann ich nicht annehmen.“

„Louise!“, rief Jordan inzwischen wutentbrannt.

Daraufhin sah Holly zuerst auf das Tablett und dann in Richtung des provisorischen Krankenzimmers. Sie stand tief in Jordan Haynes’ Schuld, schließlich hatte er ihre Katze gerettet. Mistletoe war ein Geschenk ihrer Mutter gewesen – zum letzten Weihnachtsfest, bevor sie starb. Mit einem simplen Abendessen konnte sie sich nicht annähernd bei ihm revanchieren, aber es wäre vielleicht ein Anfang. Sie wusste zwar nicht viel über Männer, doch in Krankenzimmern kannte sie sich bestens aus.

„Vielleicht kann ich helfen“, bot sie vorsichtig an.

„Nur zu, Schätzchen.“ Louise warf einen Blick zur Uhr über dem Herd. „In vierzig Minuten fängt meine Abendschule an. Ich habe keine Zeit, etwas Neues für Jordan zuzubereiten. Warum gehen Sie nicht einfach zu ihm? Und wenn Sie etwas für ihn kochen wollen, dann tun Sie sich keinen Zwang an.“

„Danke“, sagte Holly und ging zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Sie kannte einige Gerichte, die garantiert den Appetit eines Kranken anregten. Schließlich hatte sie jahrelang ihre Mutter versorgt.

„Ach, noch etwas, Holly!“, rief Louise ihr nach.

Sie blieb stehen und sah über die Schulter zurück. „Ja?“

„SAGEN SIE IHM, ER SOLL SICH ETWAS ANZIEHEN“.

2. KAPITEL

Jordan sollte sich etwas anziehen? Holly blinzelte mehrmals. „Sie meinen, er ist …“ Das Wort konnte sie nicht einmal laut aussprechen, aber denken konnte sie es. Nackt?

Louise zwinkerte ihr zu. „Gehen Sie einfach und finden Sie es heraus. Und seien Sie unbesorgt – es ist nichts an ihm, das Sie nicht schon Dutzende Male gesehen haben.“

Darauf lächelte Holly schwach und machte sich auf den Weg zum Studierzimmer. Tatsächlich hatte Louise unrecht: An Jordan war doch etwas, das Holly noch nie gesehen hatte – zumindest, wenn er nackt war.

Als sie durch die Bibliothek ging, bemerkte sie die maßgezimmerten Bücherschränke, die vom Boden bis zur Decke reichten. In jeder Ecke des Raums hingen große kristallene Lampenhalter. Dann erschien vor ihren Augen das Fußende eines Betts, und ihre Schritte verlangsamten sich. Er war nackt? Das konnte Louise ihr nicht antun.

An der Tür blieb Holly stehen und räusperte sich. Vielleicht sollte sie ihn warnen, bevor sie eintrat. Wenn er wirklich … nackt war, konnte er sich schnell zudecken.

Trotzdem zögerte sie. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Allein der Gedanke an den attraktiven Feuerwehrmann machte sie schon nervös. Im Krankenhaus war sie so besorgt um ihn gewesen, dass sie kaum auf sein Aussehen geachtet hatte. Aber nachdem er aufgewacht war und sie miteinander geredet hatten, hatte sie an nichts anderes mehr denken können. Plötzlich waren Schmetterlinge in ihrem Bauch herumgeflattert, und sie hatte keinen vollständigen Satz mehr herausgebracht. Zum Glück war seine Familie aufgetaucht. Bevor sie sich völlig blamierte, hatte sie Reißaus genommen.

Und jetzt stand sie hier mit einem Fuß in seinem Schlafzimmer. Na ja, es war ja kein richtiges Schlafzimmer. Er schlief nur im Erdgeschoss, weil es praktischer war und er keine Treppen steigen musste. Sie erinnerte sich daran, wie sie ihre Mutter das erste Mal ins Wohnzimmer umquartiert hatten. Bei diesen trüben Gedanken musste Holly seufzen. Mit Männern hatte sie wenig Erfahrung, aber sie wusste, wie man einen Kranken versorgte. Und deshalb war sie hier – weil Jordan Haynes sich verletzt hatte. Wenn sie sich darauf konzentrierte und sein Aussehen vergaß, würde schon alles gutgehen.

„Captain Haynes?“, fragte sie leise, während sie die Kratzer auf dem Fußboden betrachtete. „Hier ist Holly Garrett. Wir kennen uns aus dem Krankenhaus. Kann ich hereinkommen?“

„Klar.“

Sie wartete und lauschte, ob er sich die Bettdecke überzog. Aber es war nichts zu hören. Kranke und Verletzte hatten vieles gemeinsam, rief sie sich ins Gedächtnis. Sie langweilten sich, sie wurden verbittert und ihrer Schmerzen und der Einsamkeit überdrüssig. Wenn der Anblick seines nackten Körpers sie verunsicherte, würde sie eben nicht tiefer als bis zum Hals sehen.

Also holte sie tief Luft, setzte ein breites Lächeln auf und betrat das umfunktionierte Büro.

Dichte Gardinen waren vor zwei große Fenster gezogen. Morgens bekam das Zimmer ohne die Vorhänge direktes Sonnenlicht. In der Mitte des Raums stand ein Krankenhausbett. Holly kannte das Modell: Mithilfe eines elektrischen Motors konnte der Kranke das Kopf- und Fußende bis zur gewünschten Position verstellen. Ein niedriger Tisch und ein Küchenstuhl standen neben dem Bett.

Holly ignorierte den Patienten, solange es ging. Dann schickte sie ein kleines Bittgebet für mehr Mut zum Himmel und wandte ihm den Blick zu.

Er war nicht nackt. Jedenfalls nicht ganz. Trotzdem blieb ihr die Luft weg, ihr Herz setzte aus, und sie hatte das unangenehme Gefühl, feuerrot zu werden.

Jordan hatte seine Rückenlehne erhöht, sodass er beinahe aufrecht saß. Die dunklen Haare fielen ihm in die Stirn, und er musterte Holly aus seinen ebenso dunklen Augen. Vielleicht war es wegen seiner maskulinen Gesichtszüge und des markanten Kinns, vielleicht spielte auch ihre Wahrnehmung verrückt. Aber sie war sicher, dass sie nie einen schöneren Mann gesehen hatte. Die Muskeln in ihren Beinen fühlten sich merkwürdig an, und erst nach einer Weile begriff sie, dass ihre Knie zitterten.

Ihr Blick glitt zu seinem freien Oberkörper und das um die Hüften gestopfte Laken. Sie schluckte. Tapfer widerstand sie dem Impuls, davonzulaufen. Schultern und Arme sowie die feste, flache Bauchregion verrieten ausgeprägte Muskelpartien. Er sah aus, als posierte er für einen Pin-up-Kalender.

„Suchen Sie nach Beweisen für meine Verletzungen?“, fragte er.

Ihr wurde bewusst, dass sie ihn angestarrt hatte. Jetzt gab es keine Zweifel mehr an ihrer Gesichtsfarbe, denn die Hitze schoss ihr vom Hals in die Wangen. Sie sah betreten zu Boden.

„Ich …“ Was sollte sie sagen?

„Setzen Sie sich.“

Gehorsam sank sie auf den Stuhl und faltete die Hände im Schoß.

„Sie sind die Frau mit der Katze“, stellte er fest.

Vorsichtig riskierte sie einen Blick auf sein Gesicht. Er schien nicht wütend zu sein. „Ja. Sie haben sie gerettet. Ich möchte nicht stören. Ich wollte nur sehen, wie es Ihnen geht.“

Er musterte sie ebenso aufmerksam wie sie ihn vor einigen Minuten. Obwohl sie sich unter seinem prüfenden Blick wand, wagte sie es nicht, zu protestieren. Gerecht war gerecht.

Mit einer Hand strich sie über ihren Rock. Was für einen Eindruck mochte er von ihr bekommen? Blonde Haare und blaue Augen, das hörte sich spannender an, als es war. Runde Kurven, dachte Holly grimmig. Ihr fünfjähriger Krieg gegen die überschüssigen sieben Kilo hatte in einem unsicheren Waffenstillstand geendet. Die Pfunde vermehrten sich nicht weiter, und sie hatte aufgegeben, sie zu bekämpfen. Daher waren ihre Brüste und Hüften fülliger als von den Modemagazinen vorgesehen. Sie würde es überleben.

„Haben Sie die Katze mitgebracht, um mir den Rest zu geben?“, fragte er schließlich.

Zuerst verstand sie nicht, dass er sie neckte. Dann lächelte sie. „Mistletoe ist sehr lieb. Sie wollte Ihnen bestimmt nichts Böses tun. Sie hatte nur Angst.“

„Ja, klar. Ich habe den Ausdruck in ihren Augen gesehen. Sie war froh, als ich vom Balkon stürzte.“ Sein Blick huschte über ihr Gesicht. „Was ist mit Ihren Haaren?“

„Mit meinen Haaren?“ Sie tastete nach dem Zopf an ihrem Hinterkopf. „Nichts. Ich habe sie nur geflochten.“

„Lassen Sie sehen.“

Also rückte sie den Stuhl herum und drehte sich zur Seite. Das Ende des Zopfs hatte sie im Nacken zu einer Schlaufe hochgesteckt.

„Ich mag es offen“, sagte er. „Sie haben sehr schönes Haar.“

„Oh.“ Sie blinzelte. „Ähm, danke.“

Hatte er ihr gerade ein Kompliment gemacht? Anscheinend schon. Warum? Machten Männer und Frauen das so? Flirtete er etwa mit ihr? Niemals, nicht mit ihr. Sie war nicht sein Typ. Eigentlich hatte sie keine Ahnung von seinem Geschmack, aber mit Sicherheit stand sie am untersten Ende der Skala. Er war verletzt, das war alles. Vielleicht halluzinierte er auch.

Sie räusperte sich und wünschte, sie würde sich mit solchen Situationen besser auskennen. Aber mit einem Mann mit freiem Oberkörper hatte sie noch nie ihre Zeit verbracht.

„Ich habe Kekse mitgebracht“, erklärte sie. „Aus der Bäckerei. Meine Küche ist hin, aber wenn ich wieder eine habe, backe ich selbst etwas – ich meine, wenn es Ihnen keine Umstände macht.“

„Mit so einer Art von Umständen komme ich klar“, antwortete er lächelnd.

Das Lächeln erwischte sie mit voller Breitseite. Um seine dunklen Augen bildeten sich kleine Fältchen. Die weißen Zähne blitzten, und das ohnehin attraktive Gesicht wurde fast unerträglich schön. In ihr brodelte es, und sie fühlte sich, als würde sie jeden Moment abheben. Wow. Sie sollte wirklich öfter ausgehen.

„Ich bin ziemlich hungrig“, stellte er fest. „Könnten Sie mir ein paar von den Keksen bringen? Ich würde sie auch selbst holen, aber ich bin …“ Er deutete auf das Laken.

„Nackt“, vollendete sie seinen Satz, ohne nachzudenken.

„Wie? Nein. Ich soll nur ein paar Tage nicht aufstehen. Ich bin nicht nackt.“

Hatte sie tatsächlich nackt gesagt? Holly vergrub ihr Gesicht in den Händen und stöhnte auf. „Nein“, stotterte sie. „Ich meinte … Das heißt, ich …“

„Holly?“

Leise rief er sie beim Namen. Am liebsten wäre sie aus dem Zimmer gerannt, aber ihre Beine waren wie aus Gummi.

„So habe ich das nicht gemeint“, murmelte sie. „Louise meinte, ich solle Ihnen raten, etwas anzuziehen. Also dachte ich …“

„Ist schon in Ordnung.“

Vorsichtig ließ sie die Hände ein wenig sinken, bis sie nur noch ihren Mund bedeckten. Dann blinzelte sie in seine Richtung. Er lächelte nicht, aber er sah auch nicht verärgert aus. Erleichtert seufzte sie und ließ die Hände in den Schoß fallen. „Entschuldigen Sie. Ich hole jetzt die Kekse.“

Während sie sich erhob, rief sie sich seine Verletzungen ins Gedächtnis, die sie gewissermaßen mitverschuldet hatte. Benimm dich wie eine Krankenschwester, ermahnte sie sich im Stillen. Das konnte sie gut.

„Bekommen Sie Medikamente?“, erkundigte sie sich. „Tabletten, die Sie zum Essen einnehmen sollen?“

„Nein.“

Kurz überlegte sie, ob sie an seiner Stirn nach der Temperatur fühlen sollte. Aber das hätte einen sofortigen Ohnmachtsanfall ausgelöst. Also beruhigte sie sich damit, dass er nicht heiß aussah.

Sie unterdrücke einen nervösen Lachanfall. Zugegeben, er war heiß – aber nicht, weil er Fieber hatte.

Noch immer zitterte sie, doch sie ignorierte es. Nach ein paar Schritten blieb sie stehen. „Ich bin eine gute Köchin“, sagte sie ohne sich umzudrehen und betrachtete stattdessen die Tür zur Bibliothek. „Wenn Sie Louises Abendessen nicht mögen, könnte ich Ihnen etwas anderes kochen.“ Sie schluckte. „Vergessen Sie’s. Das war keine gute Idee.“

Wie auch immer. Besser sie verschwand, bevor sie sich noch einmal blamierte. Sie wollte Jordan erklären, dass es nicht ihre Schuld war. Außer den Ärzten ihrer Mutter hatte sie nie etwas mit Männern zu tun gehabt. Für Holly hätten sie genauso gut Marsmenschen sein können.

„Das wäre schön“, sagte er.

Überrascht wirbelte sie herum. „Wirklich?“

„Ja, hört sich gut an. Aber nur, wenn Sie mir Gesellschaft leisten. Seit zwei Tagen habe ich mit niemandem geredet. Das macht mich noch verrückt.“ Wieder schenkte er ihr dieses Wahnsinnslächeln.

Sie zwang sich zurückzulächeln, obwohl sie am ganzen Körper schlotterte und ihr Herz gegen die Rippen donnerte. „In Ordnung. Ich beeile mich.“

„Ich kann es kaum erwarten.“

Später konnte Holly sich nicht mehr erinnern, wie sie vom Krankenzimmer durch die Bibliothek und den Flur gekommen war. Ehe sie sichs versah, schwebte sie durch die Küchentür. Dort lehnte Louise an der Spüle und hob fragend die blonden Augenbrauen.

„Nun?“, fragte sie.

„Ich habe ihm angeboten, etwas für ihn zu kochen. Er hat ja gesagt.“

Die Ältere schüttelte den Kopf. „Er ist der dickköpfigste Mann, den ich jemals getroffen habe. Fühlen Sie sich wie zu Hause.“ Sie ging an den Kühlschrank und zog zwei Steaks heraus.

Zweifelnd betrachtete Holly das Fleisch. „Kann er so viel essen?“

Louise grinste. „Er bekommt nur eins davon. Das andere ist für Sie. Ich habe Ihren Magen knurren gehört. Sie haben den ganzen Tag gearbeitet, nicht wahr? Keine Zeit gehabt für eine Mittagspause?“

Leicht wehmütig dachte Holly an das halbe Sandwich, das sie vor lauter Eile liegengelassen hatte. Es war ein anstrengender Nachmittag gewesen. Trotzdem verzichtete sie lieber auf die Essenspause, als ihren Laden einen Moment allein zu lassen.

Bevor sie etwas erwidern konnte, nickte Louise und fuhr fort: „Ich weiß, wie es den jungen Leuten geht. Tausend Sachen im Kopf, nur nicht die Gesundheit.“ Sie zeigte auf das unterste Fach im geöffneten Kühlschrank. „Hier ist jede Menge frisches Gemüse. Er isst es gern gedämpft. Natürlich nicht von mir.“

„Was hat er gegen Sie?“, fragte Holly.

Die Haushälterin zuckte mit den Schultern, lief über den Linoleumboden und griff nach der Jeansjacke am Kleiderhaken bei der Hintertür. „Ich weiß es nicht. Er war schon immer so. Seit Jahren arbeite ich hin und wieder für die Familie. Es gibt vier Haynes-Brüder – fünf, wenn Sie Austin mitzählen. Er ist zwar kein offizielles Familienmitglied, aber es macht kaum einen Unterschied. Ich habe den Frauen mit ihren Babys geholfen, für die Junggesellen gekocht, die Kranken gepflegt …“ Mit dem Kopf deutete sie in Richtung des Arbeitszimmers, „… und die Verletzten versorgt.“ Sie lächelte. „Sie sind wunderbare Leute. Nur er nicht.“

„Warum sind Sie dann hier?“

Louise schlüpfte in ihre Jacke. Dann angelte sie sich den Rucksack vom zweiten Haken und warf ihn sich über die Schulter. „Weil mir die Familie viel bedeutet. Ich habe zugesagt, mich um ihn zu kümmern. So Gott will, werde ich es überleben. Aber Jordan ist ein notorischer Miesmacher. Fragen Sie mich nicht warum. Er hat es mir nie erklärt, und ich habe ihn nicht gefragt. Vielleicht hole ich das demnächst einmal nach.“

Sie öffnete die Hintertür. „Mein Unterricht beginnt um sieben. Gegen halb elf bin ich zurück.“

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