Nur ein Abenteuer mit dem Duke?

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Miss Isobel Tinker hat ihre Kindheit auf Reisen durch ganz Europa verbracht. Nun träumt die unkonventionelle junge Frau von einem sesshaften Dasein in London und einem eigenen Reisebüro. Da stürmt der attraktive Jason „North“ Beckett, Duke of Northumberland in ihr Leben. Er braucht dringend einen Reiseführer und Übersetzer – zur Not einen weiblichen –, um seinen Cousin aus einer Notlage im Ausland zu retten. Im Gegenzug verspricht ihr der Adelige, nach der Rückkehr ihr Reisebüro zu finanzieren. Widerstrebend sagt Isobel zu, ein letztes Mal ihre Heimat zu verlassen, um den charmanten Duke zu begleiten. Sie ahnt nicht, dass an seiner Seite das größte Abenteuer ihres Lebens auf sie wartet …


  • Erscheinungstag 04.07.2023
  • Bandnummer 393
  • ISBN / Artikelnummer 0871230393
  • Seitenanzahl 400

Leseprobe

1. KAPITEL

Mayfair 1817

Hält der Mann sich vielleicht für unsichtbar?

Isobel Tinker sah aus dem Schaufenster ihres kleinen Reisebüros in Mayfair. Draußen auf dem Bürgersteig stand mit dem Gesicht dicht an der Scheibe ein hochgewachsener Mann und erwiderte ihren Blick.

Sie war ein paar Meter vom Fenster entfernt, und die Gesichtszüge des Mannes wurden von seinem Hut verdeckt, aber sie konnte den Umriss seiner Augen durch das A und das N des Schriftzuges „Everland Reisen“ auf der Scheibe erkennen.

Sie hob fragend die Augenbrauen.

Keine Reaktion.

Sie zeigte auf die Tür. Wollen Sie nicht hereinkommen?

Gar nichts.

Sie winkte elegant mit zwei Fingern.

Er schaute sie weiter ausdruckslos an, als nähme er sie nicht einmal wahr.

„Samantha?“, rief Isobel nach ihrer Angestellten. „Da steht ein Mann vor dem Schaufenster. Sehen Sie ihn?“

„Ein Mann?“, fragte Samantha, die gerade hinter dem Tresen damit beschäftigt war, Akten zu sortieren.

„Dort. Auf der linken Seite. Violetter Mantel, hoher Kragen, ein Hut wie ein Wegelagerer.“

„Oh ja, jetzt sehe ich ihn“, sagte Samantha und neigte den Kopf zur Seite. „Soll ich den Säbel holen?“

Isobel verkniff sich ein Lachen. „Ich hoffe doch sehr, dass das mit dem Säbel ein wenig übereilt wäre. Es scheint mir, als ob er einfach –“

„Herumschleicht“, sagte Samantha wissend. „Oder vielleicht eher … inspiziert? Abwägt?“

„Ich wollte ‚dasteht‘ sagen“, erwiderte Isobel. „Er sieht so aus, als ob er gern hereinkommen würde, aber aus irgendeinem Grund nicht dazu in der Lage wäre. Vielleicht hat er eine grundlegende Abneigung gegen …“

„Gesetzestreue?“

„Reisebüros“, beendete Isobel ihren Satz.

„Tja, ich habe die Fenster verriegelt, und für den Kamin ist er nicht schmal genug. Wenn er also nicht durch die Tür kommen will, brauchen Sie sich keine Sorgen –“

„Ich habe keine Angst, Samantha. Ich wollte nur sichergehen, dass er keine Erscheinung ist. Wenn Sie ihn sehen können, und ich ihn sehen kann, dann muss er da sein.“

„Oh, er ist da, kein Zweifel“, sagte Samantha. „Und ich muss schon sagen, dass mir nicht gefällt, wie er aussieht. Viel zu groß. Ich kann große Männer nicht ausstehen. Konnte ich noch nie.“

„Und wie kommt es dazu?“ Isobel erfuhr beinahe jeden Tag von etwas Neuem, das Samantha nicht ausstehen konnte.

„Die können in einer Menschenmenge über die Köpfe hinwegsehen.“

„Und das ist ein Problem, weil …?“

„Menschenaufläufe“, sagte Samantha, „werden von großen Männern ausgelöst, immer.“ Allein die Festigkeit von Samanthas Überzeugungen konnte es mit der Heftigkeit ihrer Worte aufnehmen. Es hatte noch nie zuvor eine Pfarrerstochter mit Brille gegeben, die so blutrünstig gewesen wäre.

„Natürlich“, sagte Isobel und blickte wieder aus dem Fenster.

Jetzt war der Mann verschwunden. Selbstverständlich.

Isobel fluchte leise. „Ich brauche frische Luft“, sagte sie und schob ihren Stuhl zurück. „Ich mache einen Spaziergang um den Block.“

„Der Säbel liegt im Sekretär neben der Seitentür!“, rief Samantha, ohne aufzusehen.

„Ich wage mich heute unbewaffnet auf die Lumley Street hinaus, abgesehen von meinem Sonnenschirm.“ Sie holte sich ihren Schirm und die Handschuhe, blieb aber auf halbem Wege zur Tür stehen.

„Was ist denn los?“, fragte Samantha.

„Es ist sicher gar nichts.“ Isobel sah nach rechts und links aus dem Fenster. „Es ist nur so, dass … ich diesen Menschen nicht zum ersten Mal gesehen habe. Finden Sie das nicht merkwürdig? Dass man denselben Mann dreimal in einer Woche herumlungern sieht?“

Samantha hob abrupt den Kopf. Sie sah zu der Stelle hinüber, wo der Mann gestanden hatte und kniff die Augen zusammen, als würde sie ein Ziel anvisieren.

„Wir sollten dem nicht zu viel Bedeutung zumessen“, sagte Isobel. „Er ist mir hier und da aufgefallen. Er hat kein Verbrechen begangen.“

„Das bleibt abzuwarten. Wo denn ‚hier und da‘?“

„Er hat in der Teestube an der Ecke auf seine Bestellung gewartet. Er hat an der Wand hinter dem Blumenstand gelehnt. Er war mit seinem Pferd in den Stallungen am Ende der Straße. Er taucht auf und ist gleich darauf wieder verschwunden.“

„Ich wusste es“, sagte Samantha und ihre Stimme war dabei voller nervöser Unruhe.

„Ich glaube wirklich nicht, dass er etwas Böses im Schilde führt“, meinte Isobel. „Ich denke, es ist nicht der Mühe wert, ihn zur Rede zu stellen, außer heute. Ausgerechnet. Er darf nicht –“

„Arglosen Frauen nachjagen –“

„Vor dem Laden herumlungern“, verbesserte Isobel.

„Und Sie wollen jetzt – was genau tun? Strenge Worte und ein drohender Blick?“

„Ich hoffe, es reicht aus, wenn ich mich ihm einfach vorstelle. Ihn frage, wie wir ihm helfen können. Ihn darum bitte, dass er ein andermal wiederkommt. Wie viel Zeit haben wir noch, bevor Drummond Hooke kommt?“

„Eine Stunde. Höchstens.“

„Richtig.“ Isobel seufzte und verzog dabei das Gesicht. „Eine Stunde.“

Drummond Hooke war der unzufriedene und meistens unsichtbare Besitzer von Everland Reisen. Er war gerade einmal zweiundzwanzig Jahre alt, seine Eltern waren vor drei Jahren gestorben und hatten ihm das Geschäft hinterlassen. Drummond war von Natur aus faul und vorsätzlich ein Geizkragen. Wenn man ihm alle Entscheidungen allein überlassen hätte, hätte er das Geschäft innerhalb weniger Monate in den Bankrott getrieben.

Aber er war nicht auf sich allein gestellt; im Testament seiner Eltern war klugerweise festgelegt, dass ihr Sohn Eigentümer des Geschäfts wurde, aber dass die Geschäftsführung von Everland Reisen ihrer geschätzten Angestellten Isobel Tinker übertragen wurde.

Drummond hatte die Bedingungen seiner Eltern akzeptiert, solange der Laden Gewinn abwarf – wofür Isobel zuverlässig sorgte. Sie ließ ihn außerdem in dem Glauben, dass er das unsichtbare Genie wäre, das hinter diesem Erfolg stand. Das war er allerdings mit Sicherheit nicht.

Isobel und Samantha bereiteten sich stundenlang auf jeden Besuch von Hooke vor. Die Geschäftsräume und die Kunden mussten wohlhabend und würdevoll wirken, Isobel selbst hingegen bescheiden und mütterlich. Dabei war es Drummonds Rolle – auch wenn er fünf Jahre jünger war als Isobel – kritisch und herablassend zu sein.

Wenn Isobel dafür sorgte, dass alles makellos aussah, kehrte der junge Mann auf das Anwesen der Hookes in Shropshire zurück und ließ sich wieder sechs Wochen lang nicht blicken.

Doch herumlungernde Kerle trübten das makellose Bild. Allein der Hauch einer Unregelmäßigkeit oder ungebührlichen Verhaltens hätte gereicht, damit Hooke Isobel die Geschäftsführung abnahm, nach London umzog und alles kaputt machte.

Isobel war fest entschlossen, dem zerstörerischen Einfluss von Drummond Hooke zu entgehen.

Ihr eigentliches Ziel war es, so viel Geld zu sparen, dass sie ihm Everland Reisen abkaufen konnte und nicht mehr nur Geschäftsführerin, sondern Inhaberin war, ihre eigene Herrin.

Dafür brauchte sie nur noch fünf Jahre lang zu sparen, höchstens zehn.

Sie stieß die Tür auf und trat auf die Lumley Street hinaus, um den herumlungernden Kerl rechtzeitig zu vertreiben, bevor Hooke auftauchte. Die Augustsonne schien hell und ganz Mayfair strahlte im Licht. Man konnte sich bei so viel Helligkeit unmöglich verstecken, und Isobel versuchte es gar nicht erst. Wenn der merkwürdige Kerl hinter ihr her war, tja – hier war sie.

Aber er verfolgte oder jagte sie nicht, ganz gleich, was Samantha dachte. Der Mann kam Isobel nicht gefährlich vor, nur fehl am Platz. Er schien wirklich nur ein wenig seltsam zu sein. Isobel kannte sich mit seltsamen Menschen aus. Sie war eine junge Frau, die ein erfolgreiches Geschäft leitete. Geschäftsfrauen galten bestenfalls als ungewöhnlich und schlimmstenfalls als ungebührlich. Dieser Kerl war nicht der erste Ehemann oder Bruder, den sie beim Herumlungern erwischte.

Isobel Tinker war auf reibungslose Erholungsreisen für Frauen und Mädchen spezialisiert. Ihre Reisen waren sicher, anständig und luxuriös. Sie hatten die schönsten Reiseziele in Europa im Programm, inklusive Personal in Livree. Eine Lady konnte ihren Horizont erweitern, zum Neid ihrer Freundinnen.

Deswegen hatten Mr. und Mrs. Hooke ihr die Geschäftsführung übertragen und nicht ihrem idiotischen Sohn.

Auf diese Weise hatte sie Everland Reisen nämlich auch von einem preisgünstigen Reisebüro in finanziellen Schwierigkeiten zu seinem jetzigen erstklassigen Status verholfen: „Das Reisebüro der angesehensten Damen in England“, wie die Times zu ihrer großen Freude geschrieben hatte.

Es war ihr Lebenswerk. Sie war zwar so etwas wie eine Kuriosität – aber sie war eine erfolgreiche Kuriosität.

Wenn es ihr gelang, ihren Traum zu verwirklichen und das Reisebüro zu kaufen, wollte sie Everland Reisen nicht nur zu nie da gewesenen Erfolgen führen; es würde ihr auch gehören.

„Ich habe für so etwas keine Zeit“, brummte Isobel, während sie den Blick über den Bürgersteig schweifen ließ. Sie wandte sich nach links und musterte die Fußgänger auf der Lumley Street.

Der herumlungernde Kerl neigte zwar zum plötzlichen Verschwinden, aber seine zweite hervorstechende Eigenschaft war seine erhebliche Größe und Breite. Er hob sich von der Umgebung ab wie ein Preisboxer. In der Teestube war seine Größe besonders aufgefallen; die zierlichen Tische und Stühle dort schienen sich unter seinem Gewicht zu biegen und zu knarren. Der Blumenstand, der aus einem nicht mehr fahrbaren, klapprigen Karren mit eiernden Rädern bestanden hatte, schien nur auf seine Kraft gewartet zu haben, um mit Leichtigkeit weggerollt zu werden. Das Pferd, das er in die Stallungen hatte bringen wollen, hatte ausgesehen wie ein Fabelwesen. Der Mann, der einem Stalljungen gerade Anweisungen für die Versorgung des Pferdes gegeben hatte, hatte Isobel erinnert an …

Nun ja, der Ausdruck, den sie plötzlich im Kopf gehabt hatte, war griechischer Gott gewesen.

Sie kam an die Kreuzung, an der die Brown Hart Gardens lagen, und setzte ihren Weg in Richtung Duke Street fort. Hier auf dem Bürgersteig waren ebenfalls weder Preisboxer noch griechische Götter zu entdecken. Sie wollte gerade in die Duke Street abbiegen, als sie sah, wie sich in der schmalen Gasse hinter ihrem Laden etwas bewegte.

Isobel verlangsamte ihre Schritte und blinzelte mit zusammengekniffenen Augen in den dunklen, schiefen Durchgang hinein. Sie neigte den Kopf und lauschte. Sie hörte im undurchsichtigen Halbdunkel das Knirschen von Schritten, schweren Schritten mit Stiefeln für Götter.

Isobel seufzte, sah auf ihre Taschenuhr und folgte dem Geräusch. Drummond Hooke würde in einer Dreiviertelstunde da sein. Wenn sich der Mann in der Gasse herumtrieb, hatte sie eine Viertelstunde Zeit, um herauszufinden, was er wollte, und ihn wegzuschicken, und eine halbe Stunde, um wieder an ihren Schreibtisch zu kommen.

Wo ist der Kerl hin?, fragte sie sich, während sie sich vorsichtig einen Weg durch das Gerümpel in dem schmalen Durchgang bahnte. Eine Katze sprang ihr in den Weg. Sie erschrak. Sie nahm den Sonnenschirm, den sie sich über den Arm gehängt hatte, in die Faust und hielt ihn so gerade, als wäre er der Handlauf eines Geländers. Die Seitentür zu ihrem Geschäft geriet in ihr Blickfeld. Sie sah die Hintertreppe. Das rostige Geländer. Ihren Wischeimer. Und –

Ihn.

Der Mann stand auf dem Treppenabsatz zu ihrer Seitentür und hatte ihr den Rücken zugewandt.

Sie atmete leise ein und drehte den Sonnenschirm um, sodass die Spitze von ihr wegzeigte. Ihr Herz klopfte schnell, aber sie hatte keine wirkliche Angst. Sie war weiß Gott in der Welt herumgekommen. Hier war sie in Mayfair. Sie hatte in Mayfair noch nie, ob am Tag oder in der Nacht, irgendetwas gesehen, das dem Leben, das sie vor ihrer Rückkehr nach England geführt hatte, auch nur nahegekommen wäre. Und was hatte sie schließlich für eine Wahl, außer ihn zur Rede zu stellen? Drummond Hooke ging bei seinen Besuchen häufig hinaus in diese Gasse, um zu rauchen. Es wäre inakzeptabel, wenn bei dieser Gelegenheit ein riesengroßer Mann vor ihrer Seitentür herumlungern würde.

„Entschuldigung bitte!“, rief sie und musterte dabei den breiten Rücken des Mannes.

Ihr Tonfall war scharf und unnachgiebig, und der Mann zuckte zusammen.

„Umdrehen, wenn ich bitten darf!“, befahl sie. „Aber langsam.“

Der Mann hob folgsam seine beiden großen, behandschuhten Hände und drehte sich langsam um die eigene Achse.

Isobel hielt den Atem an und sah zu, wie er sich umdrehte. Sie richtete sich zu ihrer ganzen Größe von einhundertsiebenundfünfzig Zentimetern auf. Seine breiten Schultern wurden glatt von grau-violettem Wollstoff umhüllt; sein Profil war markant, soweit das unter dem gewagten breitkrempigen Hut zu erkennen war. Er hatte den Mantel nicht zugeknöpft, sodass der ein wenig hochwirbelte, als er sich umwandte.

Schließlich blickte er auf, und sie sah sein Gesicht.

Isobel blinzelte.

Seine Augen hatten die dunkle Bernsteinfarbe von Karamell. Sein Mund war … nun ja, perfekt war das einzige Wort, das ihr einfiel, so nutzlos es auch war. Seine Nase (wer kümmerte sich eigentlich um Nasen?) war genau wie seine Größe: die eines griechischen Gottes.

Isobel holte tief Luft.

Natürlich war es völlig egal, wie seine Nase oder sein Mund aussahen. Es schien ihr allerdings nicht egal zu sein, dass er ein kleines bisschen lächelte. Es war nur ein seltsames Zucken seiner (perfekten) Mundwinkel.

Sein Lächeln war das eines Mannes, der aus dem Pub gestolpert kam und den Weihnachtspudding schon am Abend vor dem Fest aufgegessen hatte.

„Guten Tag“, sagte der Kerl.

Sein Tonfall klang ruhig. Spielerisch. Selbstsicher.

Isobel spürte ein flackerndes Licht in ihren Handgelenken und ihrer Kehle.

Nein, dachte sie. Oh nein.

Vor sieben Jahren hatte sie Europa mit nichts als den Kleidern, die sie auf dem Leib trug, verlassen und sich dabei feierlich zwei Dinge geschworen: Sie wollte niemals nach Europa zurückkehren, und sie wollte sich nie, nie wieder auf spielerische, selbstsichere Männer einlassen.

Das Wort Gefahr tauchte grell leuchtend und tosend in ihrem Kopf auf.

Der Kerl fuhr ohne Argwohn und gut gelaunt fort: „Wissen Sie zufällig, ob diese Tür immer abgeschlossen ist?“

Es war eine lächerliche Frage, das wussten sie beide genau. Entweder wollte er sie von seinem Diebstahl ablenken oder sie verunsichern, um ein noch schlimmeres Verbrechen zu begehen.

Es ärgerte Isobel zutiefst, dass sie sowohl abgelenkt als auch verunsichert war.

Es war so lange her. So schrecklich lange.

„Ich weiß allerdings, dass diese Tür immer abgeschlossen ist“, sagte Isobel, „es ist nämlich meine Tür, und ich schließe sie ab.“

„Immer?“, fragte er weiter.

„Hören Sie auf“, sagte sie, denn sie war nicht bereit, auf dieses Spiel einzugehen. Wenn Isobel Tinker eins begriff, dann die Leichtigkeit, mit der gut aussehende Männer alles nur „spielten“, was sie taten. Sie hatte es von einem der Besten gelernt und war beinahe daran zugrunde gegangen. Doch sie hatte es überlebt, und jetzt war sie immun.

Oder weitestgehend immun.

„Wer sind Sie?“, fragte sie mit Nachdruck und klopfte mit dem Sonnenschirmgriff in ihre Handfläche. „Und was haben Sie an der Seitentür meines Geschäfts zu suchen?“

„Ich hatte… gehofft, ins Haus zu gelangen?“ Noch ein Witz.

„Warum benutzen Sie nicht die Vordertür?“

„Warum öffnen Sie nicht die Hintertür?“, schlug er vor. „Doppelt so viel Laufkundschaft?“

„Weil das hier ein enger Durchgang ist und hier niemand herumläuft, von Ratten abgesehen und vielleicht von Männern, die versuchen, das Schloss zu knacken.“

„Tja, da haben Sie es – zwei mögliche Kunden für Sie.“

„Ich rufe den Wachtmeister“, sagte sie.

„Nein, warten Sie.“ Er streckte einen Arm aus. „Ich bin ein Kunde. Ich muss eine Passage buchen. Ganz im Ernst.“

„Eine Passage für wen?“ Sie hatte die Worte ausgesprochen, ohne dass sie etwas dagegen hätte tun können. Sie biss die Zähne zusammen. Wäre er alt gewesen oder widerlich oder picklig oder irgendetwas anderes als attraktiv und schneidig und fröhlich, hätte sie dieses Gespräch überhaupt nicht geführt. Nicht eine. Sekunde. Länger.

Aber er war attraktiv und schneidig.

Und sie war überhaupt nicht klüger geworden.

Offensichtlich.

„Für mich selbst“, sagte er. Er hüpfte vom Treppenabsatz und landete mit einem Sprung in der Gasse.

Isobel trat einen Schritt zurück. „Everland Reisen bietet vornehmlich Erholungsreisen und Fahrten für Damen an“, teilte sie ihm mit. „Es tut mir leid, Mr. –“

„Northumberland“, ergänzte er. „Duke of Northumberland.“

Isobel stieß ein Lachen aus. „Der Duke of Northumberland?“ Sie schüttelte den Kopf. „Entzückend. Ein Mann, der Frauen belästigt und auch noch ein Hochstapler.“

„Sie haben also schon von mir gehört.“

Isobel starrte ihn an, dachte über seinen vornehmen Akzent, seine fein gearbeiteten Stiefel und seine gelassene Selbstsicherheit nach.

Ganz sicher nicht.

Er fügte hinzu: „Ich ziehe es vor, wenn man mich ‚North‘ nennt.“

Ganz, ganz sicher nicht.

Er beendete seine Feststellung mit: „Ich muss mich erst noch an den Titel gewöhnen. Er ist …“ Er seufzte. „… neu. Für mich.“

Isobel öffnete den Mund, um dieser ungeheuerlichen Lüge zu widersprechen. Ein Duke, ganz gleich, wie lange er schon einer war, der in der Gasse hinter ihrem Laden herumlungerte? Ausgesprochen unwahrscheinlich. Aber irgendetwas hielt sie davon ab, das zu sagen. Sie hatte keine Zeit für ungeheuerliche Lügen oder Widerspruch. Sie musste sich um Drummond Hooke kümmern, der jeden Augenblick hier sein konnte.

„Ich sehe mich gezwungen, Sie zu bitten, zu gehen, Sir“, sagte sie. „Und außerdem müssen Sie bitte wirklich aufhören, hier herumzuschleichen.“

„Herumzuschleichen –“

„In der Gasse, vor dem Schaufenster, den Geschäften in der ganzen Lumley Street? Und das auch noch ausgerechnet heute. Auch wenn es mir lieber wäre, wenn in meinem Viertel an gar keinem Tag irgendjemand herumschleicht. Also wenn Sie jetzt einfach …“

Sie ließ ihre Finger durch die Luft laufen, wie etwas Kleines, Aufdringliches, das sich verkriecht.

„Aber ich, warten Sie –“, setzte er an.

„Sie liegen falsch, wenn Sie glauben, dass ich es nicht bemerkt hätte. Sie liegen ebenfalls falsch, wenn Sie vorhaben, Geschäfte mit Everland Reisen zu machen. Und falls Sie noch einmal versuchen sollten, sich als Duke auszugeben, rufe ich wirklich den Wachtmeister. Der Duke of Northumberland ist ein Nationalheld, wie jeder weiß. Und er trauert um seinen Bruder, den früheren Duke. Möge er in Frieden ruhen. Lassen Sie uns respektvoll über Familien reden, die einen so großen Verlust erlitten haben. Wenigstens das.“

Der Mann wollte sie unterbrechen, aber Isobel fuhr fort. Jetzt fiel ihr alles wieder ein – wie man mit unverschämten Männern umgehen musste, die einen mit ihrem Charme umgarnen wollten. Man wies sie zurecht und schickte sie fort. Man hielt sich von ihnen fern.

Sie ließ den Sonnenschirm kreisen. „Sie sind ein gut aussehender Kerl – das gebe ich zu –, aber ich habe weder Zeit noch Geduld für Herumtreiber und Lügner, ganz gleich, wie sie aussehen. Ich habe in weniger als einer Stunde eine wichtige Besprechung in meinem Geschäft. Dabei kann ich keine Unterbrechungen und keine Unregelmäßigkeiten gebrauchen. Also.“ Tiefer Atemzug. „Bitte, Sir, verschwinden Sie.“

Sie hängte sich ihren Sonnenschirm über den Arm, rieb sich die Hände und wollte weggehen.

„Miss Isobel Tinker, nehme ich an?“

Isobel wirbelte herum. „Wie bitte?“

„Sie sind Miss Isobel Tinker?“

Viele Leute kennen meinen Namen, rief sie sich selbst zur Ordnung. Ich habe der Hälfte aller Erbinnen in ganz London Reisen verkauft.

Sie starrte ihn an, ohne seine Worte zu bestätigen oder zu verneinen.

„Ich hatte Sie für älter gehalten“, sagte er. „Wesentlich älter. Sie sind ja noch keine dreißig. Darauf würde ich wetten.“

„Und was geht Sie mein Alter an?“ Sie war letzte Woche siebenundzwanzig geworden.

„Man hat mich in dem Glauben gelassen, Sie wären eine schnippische, grauhaarige Matrone, die mit dicken Brillengläsern hinter einem Stapel verstauber Reiseführer in diesem Geschäft sitzt.“

Eine mögliche Zukunft blitzte vor Isobels innerem Auge auf, sie war sich nicht sicher, ob sie ihr gefiel.

Und Sie sind kleiner“, ergänzte er.

„Wer hat Sie in diesem Glauben gelassen?“

„Das Außenministerium.“ Er kam auf sie zu und wies auf die Lumley Street. „Nach Ihnen.“

Isobels Füße bewegten sich ohne ihr Zutun auf den Sonnenschein zu. „Was für ein Außenministerium?“

„Dasjenige, das die Interessen seiner Majestät König Georges außerhalb Englands vertritt.“

„Sie lügen.“

„Die Regierungsbehörde, in der sich Nationalhelden herumtreiben und ihre Pflicht tun. Für Krone und Vaterland.“

Isobels Gedanken drehten sich im Kreis. Sie ging mit bleiernen Beinen hinunter in die Lumley Street. Sie blinzelte. Sie machte einen Schritt auf ihr Geschäft zu. Und noch einen.

„Es tut mir leid, dass unsere erste Begegnung in diesem Durchgang stattgefunden hat“, sagte er. „Ich bin kein Dieb, das versichere ich Ihnen. Ich habe ein paar Nachforschungen angestellt, allerdings sehr ungeschickt, fürchte ich. Ich habe keine Rechtfertigung dafür, dass unsere Bekanntschaft so wenig geschmeidig begonnen hat.“

„Das hier ist keine Bekanntschaft.“

„Für mein Verhalten gibt es keine Entschuldigung, obwohl ich eine habe.“ Er sah sie herzerweichend lächelnd an, und Isobel wandte sich ab. Sie spürte ein Klirren in ihrer Brust, das widerzuhallen schien.

Er fuhr fort: „Meine Akte über Sie und dieses Geschäft war voll von falschen Informationen. Das ist ganz offensichtlich.“

Sie erwiderte seinen Blick. Er musterte sie offen und gründlich, als wäre es sein Beruf, Menschen zu studieren.

„Verflucht unprofessionell“, fuhr er fort. „Amateurhaft sogar. Kein Wunder, dass Sie mir nicht glauben, dass ich ein Duke bin.“

„Ich hatte Sie gebeten zu gehen“, sagte Isobel leise. Ganz gleich, wer er war, er musste verschwinden. Drummond Hooke, die Besprechung. Sie streckte eine Hand nach dem Türgriff aus –

„Nicht ohne dass“, sagte er und hielt die Tür über ihrem Kopf fest, „wir uns über diese Reise unterhalten haben.“

„Aber es kann doch unmöglich Ihr Ernst sein …“ Ihr wurde ganz schwindlig angesichts der höchst unwahrscheinlichen (aber dennoch nicht völlig ausgeschlossenen) Möglichkeit, dass Dukes und Außenministerien und Nationalhelden eine Akte über sie hatten. Sie ging zu ihrem Schreibtisch.

Sie traten ein, und Samantha sah von ihrem Platz hinter dem Tresen auf. Sie starrte den Kerl mit zusammengekniffenen Augen an. „Sie haben ihn erwischt, wie ich sehe“, sagte sie in einem Tonfall, der nahelegte, dass Isobel eine Schlange unter der Scheune gefunden hatte.

„Wie geht es Ihnen?“, fragte der Kerl freundlich.

„Haben Sie also endlich unsere Tür gefunden, ja?“, fragte Samantha.

„In der Tat“, entgegnete der Mann.

„Haben Sie es ihm gesagt?“ Samantha sah Isobel an.

Isobel erwiderte den Blick, ihr Kopf war so gut wie leer. Ihr einziger Gedanke war: Ich werde ihm überhaupt nichts sagen.

Samantha wandte sich an den Mann: „Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass wir in zehn Minuten eine sehr wichtige Besprechung haben, Sir. Der Besitzer dieses Reisebüros kommt aus Shropshire zu einer Überprüfung. Wenn er hier ist, müssen wir alle Kunden bitten –“

„Er ist kein Kunde“, widersprach Isobel, der das Herz bis zum Hals klopfte. „Samantha, darf ich Sie bitten, Tee aufzusetzen? Mr. Hooke erfreut sich an kleinen Annehmlichkeiten.“

„Ich habe den Kessel bereits aufgesetzt“, erklärte Samantha und sah dabei von Isobel zu dem Mann und wieder zurück.

„Sehen Sie nach ihm“, sagte Isobel scharf.

„Er hat noch nicht gepfiffen.“

„Bitte.“

„Schon gut“, knurrte Samantha. „Darf ich jetzt den Säbel –?“

„Samantha!“, flüsterte Isobel.

Samantha zog sich mit übertriebener Vorsicht aus dem Verkaufsraum zurück. Als sie weg war, eilte Isobel hinter ihren Schreibtisch. Mit der vertrauten Eichenholzplatte zwischen sich und dem angeblichen Duke fühlte sich sicherer. Sie holte tief Luft und wandte sich dem Kerl zu. Dabei zerrte sie sich gereizt die Handschuhe von den Fingern.

Er atmete aus. „Können wir noch einmal von vorn anfangen?“

„Können Sie in zehn Minuten verschwunden sein?“

„Mein Name ist Northumberland – North, wenn es Ihnen recht ist – und ich bin hier, um eine Reise zu buchen.“ Er erreichte mit nur zwei Schritten ihren Tisch.

Isobel wappnete sich gegen seine Nähe. In der Gasse zwischen den Häusern, wo es dunkel war und man leicht weglaufen konnte, war es eine Sache. Jetzt, da die Sonne, die durch das Schaufenster fiel, ihn wie einen Engel erstrahlen ließ und sie hinter ihrem Schreibtisch gefangen war, eine ganz andere.

Sie sah auf die Uhr. Wieso war er ihr tagelang aus dem Weg gegangen, aber jetzt auf dem Fuße ins Haus gefolgt? Vielleicht musste sie einen anderen Tonfall anschlagen. Was, wenn sie einfach mitspielte?

„Es ist eine Reise für Sie selbst?“, fragte sie. Sie nahm einen Federhalter in die Hand.

„Ja.“

„Wie bereits gesagt ist Everland Reisen auf Erholungsreisen für weibliche Kunden spezialisiert.“

„Aber Sie sind in der Lage, eine Passage für einen Mann zu buchen? Es ist möglich?“

Sie seufzte tief und setzte sich. Sie rückte ihren Stuhl an ihren Tisch. Sie hielt den Federhalter über einem leeren Bogen Büttenpapier bereit.

„Wohin möchten Sie reisen?“ Sie sah ihn mit gespieltem beruflichem Interesse an.

„Island“, sagte er.

Ihre Professionalität und ihre Zurückhaltung lösten sich auf. Isobel blinzelte. Sie umklammerte den Federhalter. Ein einzelner Tropfen Tinte fiel auf das Blatt.

„Wie bitte?“, fragte sie den Tropfen.

„Island?“, wiederholte er. „Nordische Insel? Zu Dänemark gehörend? Voller Vulkane und wahrscheinlich auch Eis?“

Isobel spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich, während ihre Wangen wie Feuer brannten.

„Warum?“, fragte sie heiser.

„Ich habe auf der Insel etwas zu erledigen“, sagte er nur.

„Und zwar … Schafe zu hüten?“, fragte sie mit merkwürdig hoher, atemloser Stimme. „Oder Ziegen? Die einzige Arbeit, die im Augenblick in Island zu bekommen ist, ist Schafzucht und Agrarwirtschaft.“

„Nein“, sagte er zögernd, „ich habe einen Auftrag vom Außenministerium. Wie bereits gesagt.“

Sie schloss die Augen. Das wieder. „Und warum hat das Außenministerium diese Reise im Auftrag des Außenministeriums nicht für Sie gebucht? Wenn die Krone Sie ins … ins Ausland schickt, kümmert sie sich doch sicher auch um die praktische Seite der Reise.“

„Mein Büro könnte das alles organisieren“, antwortete er, „aber das würde Zeit kosten, die ich nicht habe, und mein Auftrag ist außerordentlich heikel. Geheimer als gewöhnlich. Ich bin zu Ihnen gekommen, weil aus meiner Akte – das heißt aus den Hintergrundinformationen für diesen Auftrag – hervorgeht, dass es klug wäre, mich an eine Frau namens Isobel Tinker in einem Reisebüro in der Lumley Street zu wenden. Man hat mir gegenüber angedeutet, dass Sie teuflisch viel über Island wissen, mehr als irgendjemand in der Reiseabteilung des Außenministeriums. Und da bin ich nun.“

„Das muss ein Scherz sein“, sagte sie und ließ den Federhalter fallen. Sie hatte noch nie ein Gespräch geführt, das ihr so vollkommen absurd, aber gleichzeitig so erschreckend plausibel erschienen war.

Wenn er tatsächlich so eine Art Regierungsagent war und Zugang zu Informationen („Akten“?) über Privatpersonen hatte, konnte seine Behörde dann etwas wissen? Über sie? Isobel Tinker? Nachdem sie jahrelang so brav gewesen und immer an einem Ort geblieben war und so … so –

Isobel schloss die Augen. War es möglich, dass ihr Onkel Spuren hinterlassen hatte, als er sie herausgeholt hatte?

Konnte dieser Fremde wirklich irgendetwas darüber wissen, was sie in Island getan hatte?

„Das ist kein Scherz“, sagte er ruhig. „Und so wie Sie mich ansehen, würde ich sagen, dass Sie eigentlich nicht überrascht sind, dass ich Sie aufsuche.“

„Ich bin sehr überrascht“, flüsterte sie. „Ich bin schockiert.“ Das war die Wahrheit.

„Warum?“

„Weil Island eine einsame Insel ist, die sieben Monate im Jahr überhaupt nicht erreichbar ist und sonst nur schwer. Das am wenigsten bereiste Ziel in ganz Skandinavien, so viel ist sicher.“ Das war ebenfalls wahr, aber nur einer von mehreren Gründen dafür, dass sie überrascht war.

Es gelang ihr, hinzuzufügen: „Sie ist dünn besiedelt von einfachen Arbeitern und einer Handvoll Familien mit Großgrundbesitz. Es gibt keine Bäume. Zu sagen, dass sie entlegen ist, wäre eine Untertreibung.“

Sie hob den Federhalter auf und steckte ihn zurück ins Tintenfass. Sie rückte vom Tisch ab. „Das ist wirklich alles, was ich Ihnen im Augenblick sagen kann, Mr. –“

„North. Der Duke of Northumberland.“

„Bitte hören Sie auf, das zu sagen.“

„Das ist mein Name.“

„Sie sind kein Duke … und stehen auch nicht im Dienste des Königs … Sie befinden sich nicht in meinem Reisebüro und bitten mich darum, für Sie eine Passage auf eine Insel zu buchen, die ich –“

Sie konnte es nicht aussprechen.

„Sie verkaufen keine Reisen nach Island?“, fragte er. Er wirkte sehr verwirrt.

„Nein.“

„Wirklich?“

„Wirklich.“

„Warum nicht?“

„Weil ich Ihnen nicht glaube, wenn Sie behaupten, dass Sie dorthin reisen wollen.“ Insgeheim dachte sie: Weil ich in Island beinahe zugrunde gegangen wäre und die Erinnerung daran so schmerzhaft ist, dass ich sie nicht ertrage.

„Nun ja“, sagte er seufzend und zuckte mit seinen breiten Schultern, „dort muss ich hin.“

„Dann müssen Sie sich ein anderes Reisebüro suchen, denn das, was Sie wünschen, habe ich leider nicht im Angebot.“

„Aber die Akte –“

„Hören Sie auf, von ‚der Akte‘ zu reden oder vom Außenministerium oder davon, dass Sie angeblich ein Duke sind“, unterbrach sie ihn brüsk.

Er sah sie blinzelnd an. Sein schönes Gesicht hatte sich vor argloser Verwirrtheit in Falten gelegt.

Isobel sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an, legte die Fingerspitzen auf die Schreibtischplatte und beugte sich zu ihm vor. „Es tut mir leid, dass ich Ihnen nicht helfen kann. Sie müssen sich jemand anderen suchen. Ich habe, wie gesagt, eine wichtige Besprechung, also …“

Ein tiefer Atemzug.

„… muss ich Sie leider bitten –“

Sie wurde von Mr. Drummond Hooke unterbrochen, der zur Tür hereinstolziert kam.

2. KAPITEL

Jason war verwirrt.

Jason war verwirrt und verärgert und außerordentlich in Eile, und das schien niemanden in den heiligen Hallen von Everland Reisen zu kümmern.

Miss Isobel Tinker, die ihn zunächst hatte abwimmeln und loswerden wollen, ignorierte ihn jetzt einfach.

Sie ignorierte ihn.

Selbst als er noch nicht der Duke of Northumberland gewesen war, war es für Jason „North“ Beckett nicht normal gewesen, ignoriert zu werden. Oder abgewimmelt. Und mit Sicherheit nicht übergangen, nicht von einer Frau.

„Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen, Sir“, hatte sie gesagt, als die kleine Glocke über ihrer Ladentür läutete, und war ihm dabei geschmeidig aus dem Weg gegangen. „Meine Besprechung. Es ist so weit. Jetzt. Wir vertagen wohl lieber Ihre …“

Sie war verstummt, offenbar ratlos, was sie für ihn tun konnte.

Ratlos, nachdem er doch wenigstens fünf Mal ganz deutlich gesagt hatte: „Bitte buchen Sie eine Passage nach Island für mich.“ Es kam ihm beinahe so vor, als ob sie wüsste, dass er keine Erholungsreise brauchte. Als ob sie wüsste, dass er in Wirklichkeit jemanden brauchte, der sich in Island auskannte.

Jason sah wieder den Mann an, der durch die Tür gefegt gekommen war. Er stand mitten im kleinen Eingangsbereich des Geschäfts und drehte sich langsam und sorgfältig im Kreis, um dabei den ganzen Verkaufsraum zu taxieren. Er war mittelgroß, dünn und hatte einen spärlichen Bart. Dazu kamen kleine Augen, als wäre er ein Tier, das sich für gewöhnliche in der Erde vergrub. Ein Maulwurf? Er trug einen prächtigen Mantel und eine voluminöse Krawatte, als wäre er viel älter, wie ein Landadliger bei seinem ersten Besuch in London. In der Hand hatte er einen Gehstock mit vergoldetem Knauf, und er schwankte auf den hohen Absätzen seiner Stiefel. Und er sah Miss Tinker an, als wäre er ein Puppenspieler, der seine liebste Marionette betrachtet.

Miss Tinker begrüßte den Mann ihrerseits mit einem tapferen Lächeln, wie man es sonst nur einem aufdringlichen Vikar schenkt.

Jason versuchte, sich zu erinnern, ob sie ihn auch so angelächelt hatte. Er war ihr drei Tage lang gefolgt. Sie hatte Nachbarn gegenüber höfliche Freundlichkeit und gegenüber Fremden distanzierte Hilfsbereitschaft an den Tag gelegt, aber sie flatterte nicht ständig lächelnd umher. Bei ihrer Begegnung in der Gasse hatte sie ihn empört bis ungeduldig angesehen. Sie hatte nicht gelächelt.

Das Treffen in der Gasse war ein Wendepunkt gewesen. Jason war klar geworden, dass seine Akte vollkommen falsche Informationen enthielt; die darin beschriebene Isobel Tinker hatte kaum Ähnlichkeit mit der echten Isobel Tinker.

Im Allgemeinen war er nicht an kleinen, zarten Frauen interessiert, aber Isobel Tinker war sehr hübsch. Jedoch weder süßlich hübsch noch vornehm hübsch; eher unvorhersehbar hübsch, aufregend hübsch. Wie ein Schlangenjunges. Oder eine brennende Lunte.

Sie hatte etwas an sich, das ihn an eine Vorführung erinnerte, die er in einem Chemielabor in Oxford gesehen hatte: ein leuchtender Funken elektrischer Spannung im Inneren einer winzigen Glaskugel. Sie sirrte. Ihre ganze Haltung deutete auf versteckte Kraft hin. Er hatte Angst, den Blick abzuwenden, aus Furcht, dann die Explosion zu verpassen.

In der Gasse zu verschwinden war, im wahrsten Sinne des Wortes, ein Wegschauen gewesen. Er hatte gehofft, mehr über das Geschäft zu erfahren; stattdessen war sie hinter ihm aufgetaucht. Sie war direkt und wortgewandt gewesen, hatte ihm zu Recht vorgeworfen, sich im Dunkeln herumzutreiben.

Und sie strahlte so sehr. Große blaue Augen, der schwingende Schirm, das helle Haar, das in einem Knoten auf ihrem Kopf wippte.

Er hatte fünfzehn Jahre lang im diplomatischen Dienst gestanden und Schlachtfelder gesehen, aber in der Gasse war er kaum mitgekommen.

Er schaffte es immer noch nicht.

„Samantha?“, rief Miss Tinker jetzt. „Dürfte ich Sie bitten, diesen Gentleman hier mit Literatur über unsere skandinavischen Reiseziele zu versorgen? Und einen Termin für einen anderen Tag zu vereinbaren?“

Sie meinte natürlich ihn. Er war der Gentleman. Er würde mit Literatur über Skandinavien versorgt und für heute weggeschickt werden.

Mit Sicherheit nicht. Er sah Isobel Tinker an.

Mit Sicherheit ja, sagte Miss Tinkers Blick.

Ihre Angestellte Samantha sagte mit zusammengebissenen Zähnen: „Hier entlang, bitte, Sir.“ Sie zeigte mit spitzem Finger auf einen Schreibtisch dicht am Schaufenster.

Jason hatte keine andere Wahl, als ihr zu folgen.

Samantha ließ einen Stapel Reiseführer auf den Tisch fallen und schob sie ihm zu. „Sie“, flüsterte sie, „müssen jetzt gehen.“

„Wer ist der Kerl?“, entgegnete Jason flüsternd, während er das oberste Buch aufschlug.

„Und wer sind Sie?“, erwiderte die Angestellte.

„Ich bin der Duke of Northumberland“, sagte er und sprach die Worte mit gezierter Vornehmheit aus. Es war vielleicht das erste Mal, dass er sich auf seinen Titel berief.

„Warum schleichen Sie die ganze Woche schon Miss Tinker hinterher?“

„Ich –“

Jason hielt inne. Reichte der Titel nicht aus? Für seinen Vater und seinen Bruder hatte der Titel immer ausgereicht.

Er versuchte es noch einmal und redete dabei wie der Agent, der er gewesen war, bevor er den Titel geerbt hatte.

„Ich schleiche Miss Tinker nicht nach“, flüsterte er. „Ich richte eine Bitte an sie. Im Namen des englischen Außenministeriums.“

„Eine Bitte um was?“

„Informationen. Über die Insel Island. Und möglicherweise eine Buchung. Allerdings kommt sie mir für eine Expertin für Auslandsreisen sehr jung vor. Sie kommt mir für eine Expertin für überhaupt irgendetwas sehr jung vor. Man hat mich in dem Glauben gelassen, sie wäre … älter und, ähm – älter.“ Innerlich verdrehte er die Augen über sein Gestammel.

„Sie ist siebenundzwanzig“, sagte die Angestellte langsam. Sie warf Miss Tinker einen Blick zu und sah dann wieder Jason an. Ihre Bewegung war die eines Menschen, der weiß, dass es eine Anmaßung ist, wenn er über etwas Bestimmtes spricht.

„Miss Tinker hat mir versichert“, log Jason, „dass sie mir Informationen über Island verschaffen kann. Sie hat gesagt, dass sie dort einige Zeit verbracht hat. Sie war dorthin ausgewandert, soweit ich weiß, vor etwa acht Jahren?“

Die Angestellte biss sich auf die Lippen. Sie sah noch einmal zu ihrer Chefin hinüber.

Jason blätterte eine Seite um und versuchte es noch einmal: „Aber können Sie mir sagen, wie oft sie jetzt noch nach Island fährt?“

„Miss Tinker wird niemals nach Island zurückkehren.“

„Was glauben Sie, woran das liegt?“

Die Angestellte schüttelte langsam den Kopf.

„Gut.“ Jason gab nach. „Aber wie lange hat sie dort gelebt? Zwei Jahre? Oder waren es drei?“

„Sie spricht mit mir nicht über Island“, sagte die Angestellte. „Mit niemandem.“

Jason nickte und kehrte zur Wahrheit zurück. „Nun ja, es war sehr aufmerksam von ihr, dass sie mich in den letzten Tagen überhaupt entdeckt hat. Ich habe mir das Geschäft nur angesehen, um mir einen ersten Eindruck zu verschaffen. Ich hatte keine Ahnung, dass sie die Besitzerin ist. Oder ist sie nur die Geschäftsführerin?“ Er musterte das Mädchen.

„Miss Tinker ist die Geschäftsführerin“, teilte Samantha ihm mit. „Aber sie könnte genauso gut die Besitzerin sein. Sie sollte es sein.“

Jason klappte das Buch zu. Diese Information wollte er sich für später merken. „Dieses Buch ist auf Holländisch geschrieben“, sagte er. „Was ich nicht beherrsche. Wie lange wird die Besprechung mit diesem Menschen dauern?“

„Mit Mr. Hooke? Vier Stunden. Mindestens.“

„Wieso?“

„Er ist der Eigentümer von Everland Reisen.“

Diesem Mann gehört das Geschäft?“

Ein Nicken. „Er hat es von seinen Eltern geerbt. Den überwiegenden Teil des Jahres verbringt er in Shropshire, und Isobel kümmert sich um die Geschäfte. Wenn er nach London kommt, muss er über alles informiert werden. Und beachtet.“ Wieder ein Stirnrunzeln. „Er muss sich sonnen.“

Jason stieß ein Knurren aus. „Sonnen?“

Die Angestellte senkte den Kopf und verwies auf das gerade stattfindende Gespräch in der Mitte des Verkaufsraums.

„Ich sehe, dass Sie das Kleid tragen, das mir so gut gefällt“, sagte Hooke in singendem Tonfall zu Miss Tinker.

Ärger flammte in Jason auf, und er musste den Drang unterdrücken, sich in das Gespräch einzumischen. Seine Haut kribbelte vor einer vertrauten, nervösen Unruhe, die ihn immer dann plagte, wenn er gezwungen war, tatenlos abzuwarten. Er zog eine Münze aus der Tasche und warf sie in die Luft. Er fing sie auf, drehte sie in seiner Handfläche um und warf sie noch einmal in die Luft.

„Hatte Ihnen das hier besonders gut gefallen?“, fragte Miss Tinker ihren Arbeitgeber.

„Aber Sie tragen keine Schürze, wie ich sehe“, sagte Hooke.

„Ach ja, die Schürzen“, beschwichtigte Miss Tinker ihn. „Ich muss die Schneiderin kommen lassen. Ich glaube, es gab Schwierigkeiten mit der Stickerei.“

„Oh, die Stickerei muss makellos sein“, erklärte Hooke. „Bitte denken Sie daran, dass der Schneider bei mir im Dorf die Verzierungen anbringen kann, die mir vorschweben.“

„Machen Sie sich keine Umstände, Mr. Hooke“, beruhigte Miss Tinker ihn. „Bis Sie das nächste Mal kommen, sind sie fertig …“

Jason fing die Münze auf und flüsterte Samantha zu: „Schürzen?“

„Er möchte, dass wir gerüschte gelbe Schürzen tragen, auf deren Latz ‚Hookes Everland Reisemädchen‘ aufgestickt ist.“

„Nein.“

Das Mädchen nickte. Jason hustete künstlich und warf noch einmal die Münze hoch.

„Ich war überrascht“, sagte Hooke gerade, „dass Sie das Geschäft für unsere Besprechung nicht geschlossen haben. Wir haben so viel zu erörtern. Ideen und Vorschriften. Maßnahmen für Einsparungen …“

Jetzt sah der Mann vielsagend zum Tisch vor dem Schaufenster hinüber. Jason erwiderte den Blick und warf wieder die Münze in die Luft.

Miss Tinker beeilte sich zu sagen: „Oh, dieser Gentleman wollte gerade gehen.“ Sie warf Jason einen bittenden Blick zu.

„Ein Kunde, der zufällig vorbeigekommen ist, nehme ich an?“ Drummond Hooke musterte Jason skeptisch.

„In der Tat“, sagte Miss Tinker.

„Wie oft“, fragte Drummond Hooke jetzt, „kommen Gentlemen allein und ohne ihre Ehefrauen oder Schwestern zu uns?“ Er blies sich auf, indem er tief einatmete. „Das ist nicht gerade –“

„Oh, sehr selten“, versicherte ihm Miss Tinker. „Ehrlich gesagt kann ich mich nicht einmal daran erinnern, wann wir das letzte Mal einen Gentleman ohne seine Familie bedient haben. Die Damen möchten normalerweise an jedem Schritt der Planung beteiligt sein. Die Vorfreude gehört zu einer Reise dazu.“

Sie beeilte sich, ihn zu besänftigen und gab ihrer Angestellten dabei Zeichen. „Samantha, würden Sie vielleicht die Reiseführer für –“

Es reicht.

Jason warf die Münze ein letztes Mal hoch und fing sie wieder auf. Er ging zu dem jüngeren Mann hinüber.

„Northumberland“, sagte er mit einer leichten Verneigung. „Der Duke of Northumberland. Wie geht es Ihnen?“

Es war das zweite Mal in seinem Leben, dass er seinen Titel mit der Absicht genannt hatte, alle Anwesenden zu beeindrucken.

„Northumberland?“, fragte Hooke atemlos. Er war eindeutig beeindruckt. „Aber Euer Gnaden!“ Hooke riss sich den Hut vom Kopf und verneigte sich übertrieben. „Isobel?“, schalt Hooke. „Warum haben Sie denn nichts gesagt?“

„Ich – äh …“, fing Miss Tinker an.

„Was für eine Ehre, Sie bei uns begrüßen zu dürfen, Sir“, fuhr Hooke fort. „Wie ähnlich Sie dem Porträt sehen, das ich in der Zeitung von Ihnen gesehen habe. Augenblick! Ich habe die heutige Ausgabe dabei.“

Während ihn alle im Geschäft anstarrten, holte Hooke eine Zeitung aus seiner Manteltasche und entfaltete sie.

„Aha, da ist es!“ Hooke drückte Jason die Times in die Hand, aber es waren Miss Tinker und Samantha, die sich vorbeugten, um hineinzusehen.

Die Schlagzeile „Northumberland verlässt Außenministerium, um seinen Titel anzunehmen“, prangte auf der Seite, zusammen mit einer verkniffen aussehenden Radierung von Jasons Gesicht.

Der Anblick der Schlagzeile rief ein ihm inzwischen vertrautes Brennen in seiner Magenwand hervor, und Jason wandte den Blick ab.

„Lassen Sie mich raten“, prahlte Hooke, „Sie wollen Ihre Mutter und Ihre Schwestern auf eine Reise schicken, sodass Sie sich in Ruhe und Frieden auf Syon Hall einrichten können?“

„Mr. Hooke“, sagte Isobel Tinker mit leisem Schrecken, „die Duchess of Northumberland und die Schwestern Seiner Gnaden haben einen tragischen Verlust erlitten.“

Hooke kümmerte sich nicht um sie. „Sie hätten sich kein verlässlicheres, anständigeres und, wenn ich das sagen darf, beliebteres Reisebüro für die Damen aussuchen können! Und was für ein Glück, dass Sie ausgerechnet an dem Tag gekommen sind, an dem der Besitzer – das bin dann ich, Sir – vor Ort ist. So kann ich mich um alle Einzelheiten kümmern. Samantha?“, blaffte er die Angestellte an. „Holen Sie Stühle, sodass Seine Gnaden und ich uns hinsetzen können.“

Jason hob eine Hand. „Wenn Sie damit einverstanden sind, Mr. Hooke – Sie sind doch Mr. Hooke, nicht wahr?“

„Drummond Hooke, zu Ihren Diensten.“ Hooke verneigte sich dabei noch einmal.

„Gut“, sagte Jason. „Wenn Sie damit einverstanden sind, hatte ich gehofft, hier schnell fertig zu werden und dann stehe ich Ihnen nicht länger im Weg. Ich habe Ihrer Miss Tinker hier bereits meine Adresse gegeben. Ich weiß, dass Sie hier in der Stadt wichtige Geschäfte zu erledigen haben, und es wäre entsetzlich für mich, Ihre Besprechung zu stören.“

„Sie stören doch nicht“, widersprach Hooke.

Jason knirschte mit den Zähnen. „Miss Tinker und ich haben bereits so gut wie alles besprochen, und ich habe heute selbst noch einiges zu erledigen.“

Hooke wirkte verunsichert.

Jason beendete die Sache. „Ehrlich gesagt geht es nur noch um Schreibarbeiten, um die sich der Besitzer mit Sicherheit nicht zu kümmern braucht.“ Er warf dem jüngeren Mann einen wissenden Blick zu. „Das Mädchen kann sich darum kümmern.“

Hooke nickte folgsam.

Miss Tinker räusperte sich. „Vielleicht kann ich dem Duke alles Nötige mit auf den Weg geben und Sie überprüfen solange mit Samantha die Bücher, Mr. Hooke?“

Der jüngere Mann sah zunächst Samantha an und dann das aufgeschlagene Geschäftsbuch, das auf dem Tresen lag, anschließend Miss Tinker. Jason ging auf, dass Drummond Hooke sich darauf gefreut hatte, das Geschäftsbuch mit Isobel durchzugehen.

„Dann ist ja alles geklärt“, sagte Jason schnell. „Ich werde Miss Tinker keine fünf Minuten mehr in Anspruch nehmen.“

Samantha schoss hinter den Tresen und begann, in irgendwelchen Unterlagen zu blättern.

„Hier, bitte sehr, Mr. Hooke!“, rief die Angestellte. „Ich habe tatsächlich eine Frage zu den Gewinnen für dieses Quartal. Wir haben schon wieder mehr eingenommen, das zeige ich Ihnen gleich.“

„Na dann legen Sie mal los“, sagte Hooke langsam und sah zu, wie Jason noch einmal seine Münze warf.

Isobel Tinker ließ sich auf den Stuhl gleiten. „Sie haben drei Minuten Zeit“, flüsterte sie.

„Ich hatte fünf gesagt.“ Jason setzte sich ihr gegenüber.

Sie schloss die Augen und atmete tief und ruhig ein. Als sie die Augen wieder öffnete, fragte sie: „Warum haben Sie mir nicht gesagt, dass Sie ein Duke sind?“

„Das habe ich.“

„Dukes lungern nicht in engen Gassen herum. Sie buchen auch keine Reisen in kleinen Reisebüros für Frauen.“

„Nun ja, ich bin ja noch nicht besonders lange Duke“, sagte er beiläufig. „Was also Island betrifft –“

„Halt.“ Sie hob eine zarte Hand. „Ich weiß nicht, wie ich mich Ihnen noch verständlich machen soll: Niemand reist nach Island. Es ist einfach nicht möglich. Wenn Sie vorhaben, unser beider Zeit für einen solchen Unsinn zu verschwenden, haben Sie sich dafür einen sehr ungünstigen Tag ausgesucht. Es ist schwierig und ermüdend, mit meinem Arbeitgeber zurechtzukommen. Mein Lebensunterhalt hängt davon ab, dass ich ihm auf hundert verschiedene Arten entgegenkomme. Mich mit Ihren seltsamen Fragen zu befassen gehört nicht dazu. Ich darf Ihnen nicht noch einmal sagen, dass es keine Ferienreisen nach Island gibt. Island ist in vielerlei Hinsicht wundervoll, aber es ist kein Urlaubsreiseziel.“

„Das ist kein Unsinn, Miss Tinker“, sagte er.

„Und was soll das dann –?“

„Piraten“, sagte er geradeheraus. „Nordische Piraten. Deswegen bin ich hier, und deswegen kann ich nicht wieder verschwinden, bevor wir miteinander gesprochen haben.“

Sie machte große Augen. „Und was hat es mit diesen nordischen Piraten auf sich?“

Er atmete heftig aus und sah zu den beiden am Tresen hinüber. Dann richtete er den Blick wieder auf Isobel. „Eine Bande von nordischen Piraten hat eine Abordnung englischer Kaufleute gefangen genommen.“

„Oh“, sagte sie und es klang hohl. „Wie? Warum?“

„Das können wir nicht mit Sicherheit sagen. Die Kaufleute haben versucht, eine inoffizielle Handelsvereinbarung zwischen der englischen Ostküste und Island zu schließen. Sie haben sich auf den Weg zu den Hauptleuten in Reykjavik gemacht, um über Warenimporte zu verhandeln, doch stattdessen sind sie von Piraten gekidnappt worden.“

„Aber die Kaufleute hätten nach Dänemark fahren sollen, nicht nach Island“, sagte Isobel. „Dänemark kontrolliert den Handel in Island.“ Sie griff nach einer Broschüre mit dem Titel Reise durch das königliche Dänemark.

„Das hätten sie tun sollen“, räumte Jason ein, „aber sie haben es nicht getan. Die Kaufleute wollten die Dänen außen vor lassen und direkt mit Island Handel treiben.“

„Um den dänischen Zöllen zu entgehen“, mutmaßte sie.

„Ja“, sagte Jason, dessen Herzschlag sich plötzlich beschleunigte. Diese junge Frau wusste weit mehr über Skandinavien, als man ihn glauben gemacht hatte. Vielleicht konnte sie ihm wirklich eine große Hilfe sein.

„Die Kaufleute waren im Grunde genommen dabei, eine Schmuggelroute einzurichten“, sagte er. Er hatte nie vorgehabt, so viel preiszugeben. Aber er hatte auch nicht erwartet, dass sie so viel wusste.

„Sie wären nicht die ersten englischen Schmuggler in Island“, sagte Miss Tinker. „England und Island sind Nachbarn, die sich seit Jahrhunderten entweder bekriegt oder miteinander Handel getrieben haben – oder beides.“

„In der Tat. Und unsere Regierung lässt vielleicht einfach zu, dass die Kaufleute in Gefangenschaft bleiben – Piraten sind schließlich eine Konsequenz der Schmuggelei – aber einer der gefangen genommenen Kaufmänner ist zufällig ein … Verwandter von mir.“ Ein weiterer heftiger Atemzug. „Ein Cousin. Sein Vater, mein Onkel, hat mich um Hilfe gebeten. Ich soll dafür sorgen, dass der Handelsminister von Dänemark keinen Wind von der Sache bekommt. Niemand aus der isländischen Führung soll einbezogen werden. Es ist ein kolossaler Schlamassel und entwickelt sich möglicherweise zu einem diplomatischen Albtraum.“

„Oh“, sagte sie noch einmal, ohne auch nur zu blinzeln.

Jason fuhr fort: „Die Rettung meines unglücklichen Cousins und seiner Kumpane soll mein letzter Auftrag werden, ehe ich mich nach Syon Hall in Middlesex zurückziehe und mich meinen Aufgaben als Duke widme.“

Jason hörte sich selbst die Worte mit bemerkenswert fester Stimme sagen. Sein Körper war dabei ganz ruhig. Er wurde langsam besser darin, die Furcht zu überspielen, die ihm den Magen umdrehte.

Er zwang sich selbst weiterzusprechen: „Mein Bruder ist vor beinahe einem Jahr gestorben. Ich habe mich vor meinen familiären Verpflichtungen lange genug gedrückt. Meinen Posten habe ich bereits offiziell geräumt, aber ich würde gerne meinen Cousin nach Hause holen, ehe ich endgültig gehe. Er ist nicht gerade … die hellste Kerze im Leuchter, aber wir haben uns als Kinder sehr nahegestanden, und ich habe ihn gern. Außerdem ist alles von Vorteil, was ich tun kann, damit England mit Dänemark Schritt halten kann. Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern sind im Augenblick ziemlich zerrüttet.“

Miss Tinker nickte. „Sie haben sich im Krieg auf die Seite von Frankreich gestellt.“

„Das haben sie allerdings.“ Es war kein Geheimnis, mit wem die Dänen verbündet gewesen waren, aber er kannte keine andere junge Dame, die aus dem Stegreif hätte sagen können, wer auf Napoleons Tanzkarte gestanden hatte. Sie überraschte ihn beinahe jedes Mal, wenn sie den Mund aufmachte. Er wartete ab, was sie als Nächstes sagen würde.

„Ich …“, setzte Miss Tinker an, schwieg dann aber und schloss die Augen. Sie wirkte so beunruhigt, dass man beinahe den Eindruck bekommen konnte, dass ihr Cousin von Piraten entführt worden wäre.

Er sagte zögernd: „Ich möchte Sie nicht übermäßig belasten, Miss Tinker, aber es besteht der gefangenen Händler wegen eine gewisse Dringlichkeit. Sie stammen zum größten Teil aus der Küstenstadt Grimsby in Lincolnshire. Zu der Gruppe gehören überwiegend unerfahrene Leute aus der Stadt, die in gewisser Weise von einer ehrgeizigen Stadtverwaltung zu diesem Abenteuer überredet wurden. Man hat sie in die Irre geführt und unter Druck gesetzt – meinen Cousin ebenfalls. Alles in allem liegt den gefangenen Händlern der Gedanke an Schmuggelei vollkommen fern. Entsprechend verängstigt sind sie auch.“

Sie öffnete die Augen, warf ihm einen Blick zu, der beinahe verzweifelt wirkte, und hob dann den Kopf, um zur Decke hinaufzustarren.

„Einer der Männer ist alt und gebrechlich; ein anderer hat ein krankes Kind zu Hause. Sie sollten nur einen Monat lang unterwegs sein, und jetzt sind es beinahe drei. Ich muss ihnen nachreisen, aber Island ist zufällig ein blinder Fleck im Reich meiner Erfahrung. Ich bin schon in vielen Ländern gewesen, Miss Tinker, aber dort noch nie. Ich habe jedoch gehört, dass Sie dort waren. Und ich brauche Ihre Hilfe.“ Hoffnungsvoll sah er sie an.

Jetzt nickte sie und warf ihrem Arbeitgeber hinter dem Tresen einen Blick zu. Als sie anfing zu reden, zitterte ihre Stimme. „Sehen Sie, Sie scheinen alles zu sein, was Sie behauptet haben. Das muss ich zugeben. Und die Lage, die Sie beschrieben haben, klingt sowohl glaubwürdig als auch … dringlich. Aber warum ich? Sie behaupten, dass Sie Informationen über mein Leben in Island haben, aber Sie kennen mich doch nicht – nicht wirklich. Es gibt Gelehrte, die sich mit der nordischen Kultur befassen, und Nordmeerfahrer und sogar Einwanderer aus Island in England, an die Sie sich mit Ihrer Bitte um Informationen wenden könnten. Ich bin … ich bin ein Niemand. Ich bin außerdem anderweitig beschäftigt und sträube mich. Warum ich?“

„Ach ja“, sagte er. „Das. Ich brauche aus ebendiesen Gründen Ihre Hilfe. Zufällig sind Sie die beste Informationsquelle, weil Sie unbekannt und nach allem was man hört, von Natur aus diskret sind. Sie sind eine junge Frau, die in Mayfair ein ruhiges Leben führt und nichts mit internationaler Diplomatie zu tun haben will.“

„Das bedeutet, dass ich niemandem etwas erzählen würde, und wenn ich es täte, würde mir niemand zuhören?“

„Genau“, sagte er. Er dachte Und sehr, sehr klug.

Isobel Tinker nickte, was mehr ihr selbst galt als ihm, und sah nachdenklich zur Seite. Deswegen konnte er einen ausgiebigen Blick auf ihr Profil werfen. Zarte Nase, geschwungene Wimpern, weiche blonde Locken in der Stirn. Sie war zauberhaft. Überraschend. Anders. Feurig und kampflustig. Was war wohl nötig, um sie friedlich zu stimmen?

Er fragte sich, warum sie nicht verheiratet war. Warum sie tagein und tagaus im Reisebüro schuftete und die Überwachung des kleinlichen Besitzers duldete. Die meisten klugen und hübschen Frauen waren mit siebenundzwanzig verheiratet und hatten eine Familie gegründet.

„Und wenn ich Ihnen sage, dass ich Ihnen nicht helfen kann?“, fragte sie leise. „Wenn ich sage, dass ich nichts über Island oder über Piraten weiß?“

„Dann würde ich sagen, dass Sie lügen.“ Er beobachtete sie genau. Sie verzog ihr herzförmiges Gesicht, leugnete es aber nicht. Irgendetwas an ihrer Nervosität kam ihm seltsam vor. Ihr Gesichtsausdruck schien zu sagen Jede, nur ich nicht.

„Leben stehen auf dem Spiel, Miss Tinker“, sagte er ruhig und an die Münze in seiner Hand gerichtet. Er war nicht immun gegen stummes Flehen, aber er brauchte wirklich Hilfe. Und sie schien eine sehr vielversprechende Quelle zu sein.

Er sah auf. Hoffentlich war aus seinem Gesicht das gleiche Flehen zu lesen. „Werden Sie uns helfen?“

Sie sagte tonlos etwas, das er nicht verstand. Ein Fluch? Ein Gebet? Er war sich nicht sicher. Sie sah sich über ihre Schulter hinweg nach Hooke um.

„Wahrscheinlich wäre mein Beitrag überhaupt gar keine Hilfe“, sagte sie, als sie sich wieder ihm zuwandte, „aber das wenige, an das ich mich … mich erinnern kann, werde ich Ihnen sagen.“ Sie warf noch einen Blick auf den Tresen. „Nur bitte nicht jetzt. Und nicht hier.“

„Schön. Dann heute Abend?“

„Mr. Hooke erwartet von mir, dass ich ihm beim Abendessen und irgendeiner Unterhaltung Gesellschaft leiste.“

Jason spürte ein Zucken dicht an seinem linken Auge. „Unterhaltung?“

Sie schüttelte den Kopf und hob eine Hand. „Es hat nichts mit … Liebesdingen zu tun. Das möchte ich klarstellen.“

„Sie haben gesagt, dass Sie ihm in hundert Dingen entgegenkommen würden.“

Sie schüttelte brüsk und nur ein einziges Mal den Kopf. „Nicht diese Art von Entgegenkommen. Ein Abendessen und ein Konzert im Park oder so etwas Ähnliches.“

„Das glaube ich Ihnen“, sagte er. Er hatte sie nicht bloßstellen wollen, aber er hatte es wissen wollen. Aus irgendeinem Grund war es ihm sehr wichtig zu wissen, wie sie dem verfluchten Drummond Hooke entgegenkam.

„Mein Lebensunterhalt hängt davon ab, dass ich ihm diesen Gefallen tue“, sagte sie. „Aber ich kann noch nicht sagen, wann ich wieder zu Hause sein werde.“

„Wohnen Sie hier?“, fragte er.

Sie nickte. „Im oberen Stockwerk.“

„Ganz allein?“, hakte er nach und hielt den Atem an. Das erschien ihm ebenfalls wichtig.

Ein Nicken.

Jason stieß den Atem aus. „Schön. Ich werde auf Sie warten. Sehen Sie in der Gasse nach, wenn Sie zurückkommen.“

„Es ist nicht meine Gewohnheit, in dunklen Gassen herumzuschleichen, Euer Gnaden. Abgesehen von heute Nachmittag.“

„Reden Sie nicht schlecht über dunkle Gassen“, sagte er. „Die sind eins der vielen Dinge, die ich vermissen werde, wenn ich diese Arbeit nicht mehr mache.“

Miss Tinker betrachtete ihn mit unergründlichem Blick. Jason hatte normalerweise nichts für unergründliche Frauen übrig, vor allem da es so viele offenherzige Frauen gab. Aber er hatte sie nicht aufgesucht, weil er etwas für sie übrighatte. Er hatte sie aufgesucht, weil er ihre Hilfe brauchte.

„Schön“, meinte sie schließlich, „wir treffen uns um zehn Uhr auf der Straße – nicht in der Gasse. Bis dahin bin ich mit Sicherheit zu Hause. Sie bekommen von mir eine halbe Stunde auf einer Parkbank im Grosvenor Square. Aber nicht mehr.“

3. KAPITEL

Isobels Abend mit Drummond Hooke endete mit einem einzigen Gedanken: Wenn dieser Mann mich noch ein … Mal … anfasst …

Sie knüllte die Schnüre ihres Abendtäschchens zusammen und schwang es lustlos herum. Sie hatte ein Angelblei in das Futter eingenäht, falls sich ihr jemand unsittlich nähern sollte, Samantha wäre deswegen so stolz auf sie gewesen. Wenn sie ihm damit auf den Knöchel zwischen Handgelenk und Daumen schlüge …

Das durfte sie natürlich nicht tun. Genau wie sie ihm nicht den Absatz ihres Schuhs in den Fuß gebohrt und ihm keinen Schlag mit dem Sonnenschirm versetzt hatte.

Wenn sie Drummond Hooke nicht einmal widersprechen durfte, wie konnte sie ihn dann verletzen?

Ihre einzige Hoffnung bestand in der Flucht, und zum Glück waren sie schon in ihrer Straße.

„Was für eine wunderbare Art und Weise, die Gewinne für dieses Quartal zu überprüfen, Mr. Hooke“, sagte sie leichthin und wich einer Pfütze aus, sodass sie nicht mehr in seiner Reichweite war. „Es ist ganz unnötig, dass Sie mit mir ausgehen, aber vielen Dank. Das Abendessen war wirklich eine großzügige Geste...

Autor

Charis Michaels
<p>Schon auf der Highschool verschlang Charis Michaels unzählige Romances, und jetzt lebt sie ihren Traum und schreibt Bücher über Leute, die in Kutschen fahren, auf Bälle gehen und sich unsterblich verlieben. Die gebürtige Texanerin lebt mit ihren Kindern, ihrem Mann und ihren zwei Hunden in Washington, D.C.</p>
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