Nur eine Nacht mit Dr. Santini

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Dr. Elias Santini traut seinen Augen nicht: Vor ihm liegt die bezaubernde Beth, mit der er vor Monaten eine unvergessliche Nacht verbracht hat – und bringt sein Kind zur Welt! Wie wird sie erst reagieren, wenn sie erfährt, dass er nicht nur Arzt, sondern auch noch Thronfolger eines kleinen Landes ist?


  • Erscheinungstag 18.09.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751508506
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Warst du Weihnachten bei deiner Familie, Elias?“

Es war fast Mitternacht und nach einigen geschäftigen Stunden in der Notaufnahme die erste Gelegenheit für die Mitarbeiter, sich zu unterhalten.

Mandy war heute die verantwortliche Krankenschwester und hatte ein Tablett mit Kaffee und Kuchen gebracht. Sie hatte offensichtlich Lust auf ein wenig Geplauder.

„Nein.“ Elias Santini nahm einen sehr willkommenen Schluck Kaffee, während er seinen Befund zu einem Patienten notierte. Er hatte Mr. Evans gerade an die Kardiologie überwiesen.

„Hast du etwa gearbeitet?“, fragte Mandy.

Elias war als stellvertretender Assistenzarzt in der Notaufnahme tätig. Er hatte in den letzten Monaten an verschiedenen Orten in London gearbeitet, wobei er regelmäßig ins Royal Hospital kam. Das bedeutete, dass die Leute dort, die ihn langsam besser kennenlernten, mehr über ihn und sein Leben wissen wollten.

„Nein“, sagte er. „Ich habe zwei Wochen freigenommen und bin gereist. An Silvester und Neujahr war ich in Schottland.“

Es geschah selten, dass Elias etwas über sein Privatleben erzählte. Mit diesem Informationshappen wollte er Mandy lediglich davon abhalten, das zu fragen, was sie bestimmt gerade hatte fragen wollen.

Doch leider funktionierte es nicht. Sie fragte trotzdem.

„Wo lebt eigentlich deine Familie?“

Es wäre einfacher gewesen, zu lügen.

Mit seinem dunklen, guten Aussehen und seinem Akzent hätte Elias sagen können, dass er aus Italien oder Griechenland käme. Er sprach beide Sprachen und wäre damit durchgekommen. Aber er wollte nicht lügen, außerdem wollte er seine Herkunft nicht verleugnen.

Er hatte nur bisher nicht darüber sprechen wollen.

„Medrindos“, antwortete er deshalb.

„Oh!“, rief Mandy. „Da waren Mark und ich in unseren Flitterwochen! Wir möchten unbedingt noch mal zurück, um zu sehen, ob es immer noch so wunderschön ist.“

„Das ist es“, versicherte Elias ihr.

„Wo ist es wunderschön?“, fragte Valerie, eine andere Krankenschwester, die zu ihnen trat und sich ein Stück Kuchen auswählte.

„Medrindos“, sagte Mandy. „Da kommt Elias her. Eine herrliche Insel im Mittelmeer.“

Damit hatte sie natürlich recht. Zudem handelte es sich um ein kleines, aber enorm vermögendes Königreich. Ein mediterranes Juwel und ein teures Urlaubsziel. Mandy schwärmte von den makellosen Stränden und dem azurblauen Wasser, den Kirchen und dem Palast. Elias schrieb weiter.

Er hatte sein Land nicht verleugnet, aber er hatte nicht erwähnt, dass er dort als Prinz an zweiter Stelle der Thronfolge stand. Doch Elias wusste, dass auch diese Information irgendwann durchsickern würde. Jemand würde etwas in den Nachrichten sehen, oder Mandy würde im Internet surfen, um ihre Erinnerungen an die schönen Flitterwochen aufzufrischen, und dort würde sie Fotos der Königsfamilie finden. Oder sie würde eine Schlagzeile über die wilden, jungen Royals lesen. Sein Bruder machte sich gerade ein schönes Leben an Bord der königlichen Jacht und besuchte in Südfrankreich eine Party nach der anderen.

Elias wusste, dass er bald erkannt werden würde. Vielleicht würde auch die Presse herausfinden, dass er hier arbeitete, genauso wie damals, als er in Oxford tätig war. Die aufgeregte Berichterstattung hatte dazu geführt, dass der Palast ihn nach Hause zitiert hatte. Daraufhin hatte Elias eine Weile dasselbe langweilige, wenn auch luxuriöse Leben geführt, das sein Bruder Andros offenbar so sehr genoss. Dass es dabei einige Skandale gegeben hatte, wurde geduldet, solange er den Schoß der Familie nicht verließ.

„Prinzen sind eben Prinzen“, hatte seine Mutter immer gesagt, wenn wieder einmal ein sensationslüsterner Artikel erschien.

Doch eine Schlagzeile hatte sie nicht einfach so beiseite wischen können. Elias war in etwas hineingeschlittert, das für einen Mann in seiner Position wohl immer eine Gefahr darstellte: Eine hochschwangere Frau hatte sich an die Presse gewandt und behauptet, sie trage sein Kind unter dem Herzen.

Auch wenn Elias dem Palast versichert hatte, dass es keinen Grund gab, hatten sie Anwälte und PR-Menschen losgeschickt. Sie hatten sogar schon Zahlungspläne ausformuliert, falls das Baby tatsächlich seins war.

Allerdings hatten sie zwei Punkte übersehen.

Ja, es gab Fotos von dieser Frau und Elias auf einer Hochzeit in London, und ja, sie waren auf derselben Feier in einem Luxushotel gewesen.

Aber sie hatten nie miteinander geschlafen.

Und wenn seine Mutter ihn auch nur ein kleines bisschen gekannt hätte, hätte diese Sache sie zum Lachen gebracht, absurd, wie sie war. Denn die Frau hatte behauptet, Elias hätte ihr seine Liebe gestanden.

Solche Worte hatte Elias niemals auch nur gedacht, geschweige denn ausgesprochen.

Doch dafür hatte sich niemand interessiert. Sie hatten alle nur auf das Ergebnis des DNA-Tests gewartet. Und als der zeigte, dass Elias nicht der Vater war, hatte der Palast kollektiv aufgeatmet.

Elias hatte es natürlich von Anfang an gewusst.

Der Skandal hatte nicht dazu beigetragen, dass er sich in seinem Leben wohler fühlte. Auch wenn es anfangs Spaß gemacht hatte, als junger Mann aus königlicher Familie die Beine von der Jacht baumeln zu lassen, kam ihm dieses Dasein doch schnell sinnlos vor. Er wollte nicht sein Leben lang auf verschwenderische Partys, quälend lange Empfänge und Eröffnungen gehen oder sich auf einer Jacht betrinken.

Das war ein leeres Leben, völlig bedeutungslos. Als er mit seinen Eltern darüber gesprochen hatte, war ihr Vorschlag gewesen, doch zu heiraten. Prinzessin Sophie von Theodora war ihre erste Wahl. Sie weigerten sich, seiner Liebe zur Medizin weitere Gedanken einzuräumen, und er weigerte sich, auf ihren Befehl hin zu heiraten. Und so hatte er all das vor ungefähr sechs Monaten hinter sich gelassen und war erneut nach England gezogen. Dieses Mal jedoch nach London.

Er flog zurück nach Medrindos, wenn er dort bei offiziellen Anlässen gebraucht wurde, aber hier in London genoss er es, dass niemand von seiner königlichen Abstammung wusste. Auch wenn das nicht immer einfach war – er musste stets einen gewissen Abstand zu anderen wahren. Aber er war willens, diesen Preis zu zahlen, um ganz normal leben zu können und seiner geliebten Arbeit nachzugehen.

Er sah auf, als Roger, der Facharzt, der heute im Dienst war, hereinkam.

„Wie geht es Mr. Evans?“, fragte Roger.

„Ich habe ihn gerade an die Kardiologie überwiesen“, sagte Elias. „Aber die haben mit einem Patienten auf der Intensivstation zu tun, deswegen dauert es wohl noch eine Weile, bis jemand runterkommt.“

„Willst du dich kurz schlafen legen, während es so schön ruhig ist?“, fragte Roger.

Er würde um neun Uhr mit seiner Schicht durch sein, während Elias das ganze Wochenende über Bereitschaft hatte. Es schien ihm ein wenig früh, um schon Pause zu machen, aber hier musste man jede Chance nutzen, die sich bot. Wer wusste schon, wann es wieder so ruhig sein würde.

„Gern.“ Elias trank den Rest seines Kaffees aus, doch noch während er sich umdrehte, entschied er sich anders.

„Roger, können wir uns wohl am Montag mal unterhalten?“

„Wir können uns auch jetzt unterhalten“, sagte Roger.

Aber Mandy war immer noch da, und Elias wollte es richtig machen.

„Lieber am Montag.“

„Na gut. Dann komme ich um halb neun rein“, sagte Roger. „Wir können sprechen, bevor du nach Hause gehst.“

„Wunderbar.“

Elias ging quer durch die Abteilung zur Beobachtungsstation. Dahinter lagen der Personalraum und der Bereitschaftsraum.

Ein älterer Herr, den Elias vor ein paar Stunden auf die Beobachtungsstation gebracht hatte, sang I belong to Glasgow, auch wenn sie sich im Herzen Londons befanden. Elias lächelte der Krankenpflegerin zu, die hinter dem Schreibtisch saß.

„Ich brauche Ohrenstöpsel“, sagte sie. „Der singt bestimmt noch eine Weile.“

Das Lied verfolgte ihn bis in den Bereitschaftsraum, und Elias sah sich nach dem Schlafhilfegerät um, das weißes Rauschen erzeugte und den Lärm von außerhalb blockierte. Irgendwo musste es sein. Manchmal, wenn neue Reinigungskräfte anfingen, stellten sie es in den Schrank. Und dort war es tatsächlich. Elias schaltete das Gerät an und das Licht aus. Er ließ die Schuhe an, streckte sich auf dem Bett aus und schloss die Augen.

Das Gerät war gut, aber nicht gut genug. Die dunkle Baritonstimme erreichte ihn noch immer.

„I belong …“

Der Mann musste Schotte sein. Und er selbst? Wo gehöre ich hin, fragte sich Elias. Langsam hatte er das Gefühl, nach London zu gehören. Hier gefiel es ihm. Natürlich würde er immer auch nach Medrindos gehören, darauf wiesen seine Eltern ihn oft genug hin. Aber vielleicht konnte er sich ja an zwei Orten zu Hause fühlen?

Ja, Mandy oder irgendjemand anderes würde bald herausfinden, wer er war. Aber darauf war er vorbereitet. Er wurde bald dreißig und wusste, dass er sich auf die Notaufnahme spezialisieren wollte. Nach seinen zwei Jahren beim Militär von Medrindos hatte er sich durchgesetzt und in England Medizin studiert.

Sein königlicher Status verbot es ihm jedoch, in Medrindos als Arzt zu arbeiten.

Elias liebte sein Land sehr, und seine Eltern kümmerten sich gut darum.

Aber das war auch das Problem.

Das Königreich war wohlhabend, und jemand, der an zweiter Stelle der Thronfolge stand, hatte wenig zu tun. Sein Vater Bruno war sechzig, und mit den typischen Genen der Familie würde er vielleicht noch dreißig weitere Jahre König bleiben. Dann würde sein wilder Bruder Andros den Thron besteigen.

Elias hingegen wollte seine Karriere im medizinischen Bereich vorantreiben. Er wollte noch mehr lernen und seine Kompetenzen erweitern. Er überlegte, ob er sich bewerben sollte, fest hier im Krankenhaus zu arbeiten, um sich zum Facharzt ausbilden zu lassen.

Er atmete tiefer und glitt in den Schlaf.

Vielleicht war es der schottische Akzent des Sängers dort draußen, der seine Gedanken und seine Träume zurückführte zu jener einen Nacht.

Zu jener Nacht, in der er alles hinter sich gelassen hatte …

Elias sah sich auf der Jacht stehen, nachdem sie wochenlang zwischen den griechischen Inseln herumgekreuzt waren. In dieser Nacht hatten er und Andros zu einer feudalen Party geladen.

Prinzessin Sophie war dort, und das war kein Zufall.

Alvera, die Leiterin der Palast-PR, hatte vorgeschlagen, dass Sophie und Elias öffentlich zusammen tanzen und am nächsten Morgen gemeinsam an Land beim Frühstück gesehen werden sollten. Es sollte eine Hochzeit geben. Einer der jungen Prinzen sollte endlich sesshaft werden.

Er blickte zu Sophie hinüber. Sie schien genauso wenig begeistert zu sein wie er, diese Sache ins Rollen zu bringen, und lächelte ihm mit einem Achselzucken zu.

Ihre beiden Länder wünschten sich diese Hochzeit und warteten atemlos darauf. Sophie und Elias wussten, dass schon ein Tanz oder ein einziger Kuss bedeuten würde, dass sie eine Beziehung eingehen würden. Und auch wenn diese eine Weile lang inoffiziell bleiben würde, wäre eine Trennung nur noch mit großer Peinlichkeit für Sophie und ihre ganze Familie möglich.

Also wäre es besser, erst dann etwas anzufangen, wenn sie sich wirklich sicher waren.

Deshalb ging Elias nicht zu ihr hinüber, sondern nahm sich eine noch nicht geöffnete Flasche Champagner und verließ das Deck so diskret wie möglich.

Niemand sah, wie er von der Jacht trat und den Pier entlangging. Er trug eine schwarze Hose, ein maßgeschneidertes weißes Hemd und keine Schuhe. Er ging zum Strand hinunter, spürte den Sand unter den Füßen und ein Gefühl der Freiheit. Dadurch, dass er nicht mit Sophie tanzte, hatte er sich Zeit erkauft. Wenn auch nicht viel, denn in den Augen ihrer Familien waren sie bereits verlobt. Es würde nicht mehr lange dauern, bis diese Verbindung auch offiziell bekannt gemacht werden würde.

Dass er die Sache verzögerte, würde ihn noch etwas kosten. Aber daran war er gewöhnt.

Mit seiner Mutter sprach er eigentlich nur, wenn es nötig war, einen Skandal auszubügeln oder eine Tradition aufrechtzuerhalten. Das war schon immer so gewesen. Königin Margarita hatte im Leben ihrer Söhne kaum jemals eine Rolle gespielt. Dafür hatten sie Kindermädchen gehabt. Manchmal war sie zu ihnen gekommen, nachdem sie zu Abend gegessen hatten, um eine gute Nacht zu wünschen. Das war eine seiner frühesten Erinnerungen. Er hatte sich so sehr gefreut, seine Mutter zu sehen, dass er vor Aufregung seine Milch verschüttet hatte und die Königin verschreckt zurückgewichen war.

„Kümmert sich bitte jemand um Elias?“, hatte sie gesagt.

Heute trank er keine Milch mehr, aber das Gefühl war geblieben. Seine Aufgabe und die von Andros war, bei öffentlichen Auftritten neben ihrer Mutter zu stehen.

Das reichte ihm jedoch nicht. Er wollte mehr. Er wollte nicht heiraten, er wollte keine Partys mehr feiern, er wollte nicht mehr mit Frauen schlafen, die ihm nichts bedeuteten.

Elias grub die Füße in den Sand und blickte zur Jacht hinüber. Lachen war über das Wasser hinweg zu hören, und er war froh, allein hier zu stehen. Dieses Leben war so langweilig. Er vermisste es, Teil eines Teams zu sein und vor allem, sein Hirn einzusetzen. Sein Vater hatte vorgeschlagen, ihm eine Beraterrolle im Krankenhaus von Medrindos zu verschaffen, aber Elias konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen.

Er öffnete die Flasche Champagner.

„Feierst du etwas?“

War er gar nicht allein am Strand? Er drehte sich um. Unter einem Baum saß eine Frau, die Beine lang ausgestreckt und die Hände hinterm Kopf verschränkt, als würde sie sich im Licht des Mondes sonnen.

„Glaube schon“, sagte Elias. Auch wenn in seiner Welt die Champagnerkorken jeden Tag schon zum Mittagessen knallten.

„Dabei hatte ich gedacht, ich könnte hier in Ruhe das Paradies genießen.“

„Ich wollte nicht stören“, sagte er und lächelte über ihren leichten schottischen Akzent.

„Schon gut.“ Sie hielt ein Plastikglas in der Hand, und er hob die Flasche, um ihr einen Schluck Champagner anzubieten. Als sie lächelte, blitzten ihre Zähne auf. „Ich dachte schon, du fragst nie.“

Er ging zu ihr hinüber und goss ihr etwas Champagner ins Glas. Sie hatte lange Locken, aber im Dunkeln konnte er die Haarfarbe nicht erkennen.

„Cheers!“, sagte sie.

„Cheers.“

Sie nahmen beide einen Schluck, sie aus dem Plastikglas, er aus der Flasche. Ein angenehmer Moment.

„Klingt, als ob die da drüben Spaß haben“, sagte sie und wies mit dem Kopf in Richtung der Jacht.

Elias wollte ihr nicht verraten, dass er gerade dort herkam und von Spaß nicht die Rede sein konnte.

„Anscheinend. Ich bin Elias“, sagte er und runzelte gleichzeitig die Stirn. Seine Stimme hatte, als er seinen Namen sagte, wie die einer Frau geklungen.

„Elias!“

Er öffnete die Augen. Mandy hatte sich in seinen Traum von jener Nacht geschlichen. Er setzte sich auf, als die Tür des Bereitschaftsraums weiter geöffnet wurde und das helle Licht hineinfiel. Die Nacht am Strand war mit einem Mal wieder weit weg.

Der dringende Klang in Mandys Stimme sagte ihm, dass etwas geschehen war. Sonst hätten sie ihn weiterschlafen lassen. Er stand auf und folgte ihr durch den Korridor.

„Wir haben eine junge Frau, die zu früh ihre Wehen bekommen hat. Ich hab das Gyn-Team angefragt, aber da oben scheint die Hölle los zu sein.“

Das passierte hin und wieder. Die Gynäkologen warteten schließlich nicht Kaffee trinkend darauf, dass sich die Notaufnahme meldete. Erst letzte Woche hatte Elias selbst einem Jungen auf die Welt geholfen, bevor jemand gekommen war. Doch es war eine einfache Geburt gewesen, und das Kind war zum errechneten Termin gekommen. Anders als heute.

Er war schlagartig wach, als Mandy weitersprach: „Mr. Evans geht es leider schlechter. Ich habe Unterstützung angefordert, denn Roger ist gerade dabei, ein Kind wiederzubeleben.“

Wie so oft war es in der Notaufnahme ganz plötzlich hektisch geworden.

„Wie weit ist die Schwangerschaft?“, fragte Elias.

„Neunundzwanzigste Woche. Ihre Fruchtblase ist geplatzt, als wir sie aufs Bett gelegt haben. Das Baby kommt, und zwar sehr schnell.“

Sie hatten die Kabine erreicht, und Elias atmete einmal tief durch. Er hatte noch nie allein ein Frühchen holen müssen. Hinter dem Vorhang hörte er ein Stöhnen.

„Wie heißt sie?“

Bevor Mandy ihm den Namen der Patientin sagen konnte, betrat Elias die Kabine. Und bevor Mandy ihn aussprach, wusste er es auch schon.

„Beth.“

Sie saß aufrecht und in einen Krankenhauskittel gehüllt auf dem Bett. Eine Decke war über Bauch und Beine gebreitet. Sie trug ihr wunderschönes rotes Haar aufgesteckt, aber einige Locken hatten sich gelöst und glänzten dunkel vor Schweiß. Ihre mandelförmigen Augen waren geschlossen. Lange, weißgoldene Ohrringe mit Rubinen glitzerten an ihren Ohren.

Die hatte sie auch an dem Abend getragen, als sie sich kennengelernt hatten.

Er konnte sich noch genau erinnern, wie er ihr Hotelzimmer betreten, das Licht eingeschaltet und die Frau erblickt hatte, die er davor nur im Mondlicht hatte betrachten können – das dunkle Rot ihres Haars, ihre blassrosa Lippen und die meerblauen Augen.

Nun hatte Valerie ihren Arm um Beths Schultern gelegt und bat sie, noch nicht zu pressen.

Elias zögerte. Könnte Mandy einen anderen Arzt suchen? Könnte er vielleicht mit Roger tauschen?

Aber natürlich war das nicht möglich. Bis Roger ihm alles über das Kind berichtet und sich selbst über Beth informiert haben würde, wären für beide Patienten wertvolle Minuten verstrichen. Es gab keine Zeit zu verlieren. Mandy hatte gesagt, das Baby wäre schon fast da.

Sein Baby?

Darüber konnte er momentan nicht nachdenken.

„Beth“, sagte Valerie. „Dr. Santini ist da …“

2. KAPITEL

Beth blinzelte ungläubig, als sie die Augen öffnete und Elias auf sich zukommen sah. Es dauerte einen Moment, bis sie erkannte, dass er dunkelblaue Krankenhauskleidung trug und ein Namensschild. Er war der Arzt, der sie behandeln sollte?

Sie bekam ja kaum Luft, wie sollte sie da protestieren? Sie wollte nicht, dass er sie so sah! Sie wollte nicht, dass er auf diese Weise herausfand, dass er Vater wurde.

Nichts lief wie geplant.

Noch vor fünfzehn Minuten hatte sie sich selbst wegen eines gut erledigten Jobs auf die Schulter geklopft. Sie war aus dem Restaurant getreten und wollte die Straße überqueren, um zu ihrem Hotel zurückzukehren. Und nun blickte sie in die Augen des einzigen One-Night-Stands, den sie jemals gehabt hatte.

Elias.

Beth wünschte sich, in ihrem Hotelbett zu erwachen und herauszufinden, dass sie nur einen Albtraum hatte. Sie versuchte, vom Bett zu steigen.

„Ich will nach Hause.“

„Beth, Sie müssen sich hinlegen“, sagte Valerie und hielt sie auf.

Aber Beth machte sich von ihr los. Dabei rutschte ihr der Kittel herunter.

„Ich kann nicht …“ Beth griff nach einer Stange des Metallbetts und rüttelte daran. „Ich will zurück ins Hotel. Ich will …“

Elias nahm ihre Hand. Er sah, wie verzweifelt sie war, und das lag nicht nur an ihm. Sie hatte Wehen, starke, heftige Wehen, die ihr Angst machten.

„Es ist alles in Ordnung“, sagte er.

Seine Stimme klang so ruhig und vernünftig. Beth starrte ihn an. Ob er sie überhaupt erkannte? Wie konnte er so ruhig sein, obwohl alles, wirklich alles schiefging?

Beth war in ihrer Rolle als Eventmanagerin nach London gekommen, um Mr. Costas bei der Eröffnung der neuesten Niederlassung seiner renommierten Restaurantkette zur Seite zu stehen.

Er war ihr wichtigster Kunde.

Der Abend war gelaufen wie geplant. Das Restaurant hatte sich hauptsächlich mit Freunden und Verwandten von Mr. und Mrs. Costas gefüllt. Die meisten waren extra nach London gereist, aber weil sie viele der Gäste schon von anderen Events kannte, war die Organisation fast ein Kinderspiel gewesen. Im Hotel auf der anderen Straßenseite waren genug Zimmer reserviert, und alles verlief perfekt.

Doch dann, als die meisten Gäste sich schon verabschiedet hatten, hatte Beth plötzlich Hitze in sich aufsteigen gefühlt. Sie hatte ein schwarzes Wollkleid getragen, schwarze Strumpfhosen und High Heels, und obwohl es eine kalte Januarnacht war, legte sie sich den Mantel nur über den Arm. Die Kälte draußen hatte ihren heißen Wangen gutgetan, und sie hatte gierig nach Luft geschnappt. Als sie gerade die Straße überqueren wollte, durchfuhr sie ein scharfer Schmerz im Rücken.

Bestimmt die High Heels, dachte Beth, aber der Schmerz ließ sie innehalten. Obwohl der Asphalt nass war, wollte sie sich mitten auf der Straße die Schuhe ausziehen. Doch als sie sich dafür vorbeugte, breitete sich der Schmerz weiter im Rücken und so weit nach vorne aus, dass er sie wie ein Gürtel umschloss. Beth legte sich eine Hand auf den Bauch, der sich hart und angespannt anfühlte.

Als der Schmerz vorbeiging, richtete sie sich wieder auf und lehnte sich gegen einen Laternenpfahl, um durchzuatmen. Da stand sie auf Strümpfen und brach in der nächsten Sekunde in kalten Schweiß aus. Sie glaubte, sich übergeben zu müssen. Das Hotel lag einfach nur auf der anderen Straßenseite, aber für Beth schien es meilenweit entfernt.

Sie nahm ihr Telefon zur Hand und blickte es ratlos an. Was sollte sie tun? Sollte sie das Krankenhaus anrufen, in dem sie sich für die Geburt angemeldet hatte? Aber was sollten sie in Edinburgh für sie tun? Sollte sie einen Krankenwagen rufen? Nein, entschied sie. Der Schmerz war vorbei. Vielleicht hatte sie sich nur den Magen verdorben.

Auch wenn das vermutlich bedeuten würde, dass alle Gäste der Costas über der Toilette hängen würden.

Da kam der nächste Schmerzanfall.

Er war nicht so schlimm wie der erste, aber schlimmer als die Übungswehen sein sollten, auf die sie die Hebamme bei ihrem letzten Besuch hingewiesen hatte. Tief im Becken verspürte Beth ein Ziehen, als hätte sich das Baby nach unten verlagert und drängte nun nach außen.

Sie musste ins Krankenhaus. Zum Glück kam in diesem Moment ein Taxi vorbei, dem sie entschlossen winkte.

„Können Sie mich bitte ins nächste Krankenhaus fahren?“, fragte sie.

„Das Royal?“

„Ja.“

Beth saß mit klopfendem Herzen im Fond und versuchte, sich davon zu überzeugen, dass sie überreagierte.

Wen sollte sie anrufen? Ihre Eltern? Diesen Gedanken schob sie sofort zur Seite. Ihre Eltern waren wütend und beschämt darüber, dass Beth schwanger war. Sie wollten nichts mit ihr zu tun haben.

Ihre Mutter kam dann und wann zu Besuch, mit selbst gestrickten Jäckchen und Socken, und ihr Vater hatte ihr eine Karte geschickt und einen Scheck beigelegt, damit sie ein paar Babysachen kaufen konnte. Es war schließlich nicht die Schuld des Kindes, hatte er geschrieben.

Vielleicht könnte sie Rory anrufen, ihren Ex-Freund.

Nur dass es unfair war, ihn nach Mitternacht aus dem Bett zu klingeln. Er konnte schließlich nichts tun.

Außerdem war es nicht sein Kind.

Beth zwang sich, ruhig zu bleiben. Der Schmerz war wieder vorbei, und selbst wenn sie wirklich schon Wehen hatte, gab es Medikamente, mit denen man sie aufhalten konnte. Einer Freundin war das so passiert. Vielleicht würde sie also länger in London bleiben als geplant, aber das wäre machbar.

Hauptsache, dem Baby ging es gut.

Da kam die nächste Schmerzwelle auf sie zugerollt. Und die war sogar noch heftiger als die erste. Beth entfuhr ein lang gezogenes Stöhnen. Am liebsten hätte sie sich auf dem Boden des Taxis zusammengerollt.

„Halten Sie durch“, rief der Taxifahrer. „Wir sind gleich da.“

Er hielt vor der Notaufnahme, drückte auf die Hupe und fuchtelte mit den Armen, um zu zeigen, dass sie Hilfe brauchten. Einer der Wachmänner eilte ins Gebäude.

Die Schmerzen waren wieder vorbei, aber Beths Beine fühlten sich an wie Wackelpudding. Sie konnte sich nicht bewegen und begann zu zittern. Es war nicht möglich, dass das Baby schon unterwegs war. Bei der ersten Geburt dauerte es schließlich immer ewig. Und sie hatte ja nur ein paar Wehen. Sie griff nach ihrer Handtasche.

„Wie viel schulde ich Ihnen?“, fragte Beth und versuchte, ihre Stimme normal klingen zu lassen.

„Schon gut“, sagte der Fahrer. „Geht aufs Haus.“

„Hier.“ Beth hielt ihm einen Geldschein hin. Er nahm ihn nicht. „Hier!“, schrie sie. Sie schrie nie. Es sollte eine ganz normale Taxifahrt sein, kein Notfall. „Nehmen Sie mein Geld.“

Man musste immer die Kontrolle behalten – das hatte Beth gelernt. Irgendwo in ihr gab es zwar diesen Drang, etwas Verrücktes, Wildes zu tun, aber sie hatte immer gewusst, wie man diesen Drang unterdrückte.

Abgesehen von diesem einen Mal.

Und deshalb war sie jetzt hier.

Beth versuchte, an den zwei Krankenschwestern vorbeizusehen, die mit einem Rollstuhl auf sie zukamen. Endlich nahm der Taxifahrer das Geld. Die Tür wurde geöffnet.

„Ich kann selbst laufen“, sagte sie, musste sich jedoch am Griff festhalten, um sich nicht zusammenzukrümmen.

„Wir helfen Ihnen“, sagte eine der Pflegerinnen.

Beth hatte keine Wahl. Sie griff nach der ausgestreckten Hand. Sie trug noch immer den Mantel und die Schuhe mit sich und zitterte am ganzen Körper.

„Ich bin Mandy“, sagte die andere Pflegerin. „Und das hier ist Valerie. Wie heißen Sie?“

„Beth.“

„Wie weit sind Sie, Beth?“, fragte Mandy und half ihr in den Rollstuhl.

„Neunundzwanzigste Woche.“

Sie wurde in die geschäftige Notaufnahme geschoben. Die Türen zu einem angrenzenden Raum öffneten sich, und Beth sah, wie mehrere Ärzte um ein Kind herumstanden, und noch weiter hinten bekam ein Mann eine Herzmassage.

Sollten die Krankenschwestern nicht lieber dort mithelfen?

Inzwischen hatten sie sie in eine Kabine gerollt, halfen ihr beim Aufstehen und fragten sie über ihre Schwangerschaft und die Schmerzen aus. Da fühlte Beth etwas Heißes, Nasses zwischen den Beinen.

„Ich hab mir in die Hose gemacht“, flüsterte Beth und fing an zu weinen. Das war alles so peinlich. Die beiden Frauen halfen ihr auf das Bett.

Mandy zog ihr die Strumpfhose und den Slip aus, während Valerie versuchte, ihr Kleid zu öffnen. Da kam noch eine Helferin herein. Wieso konnten einfach so Leute reinkommen, wenn sie fast nackt war? Zum Glück bedeckte Mandy sie schnell mit einer Decke. Beth sah die Sorge in den Augen der Schwester. Mandy nahm ihr Handy aus der Kitteltasche, und plötzlich war sie verschwunden.

„Wir brauchen Ihren Namen und Ihre Adresse“, sagte die Helferin.

Konnte das jetzt wirklich so wichtig sein?

„Elizabeth Foster.“

„Und Ihre Adresse, Elizabeth?“

„Beth“, korrigierte sie die Frau. Sie hatte schon wieder geschrien, aber sie hasste es, Elizabeth genannt zu werden. So riefen ihre Eltern sie, wenn sie wütend waren.

Und in letzter Zeit waren sie ständig wütend gewesen.

„Ihre Adresse?“

Beth leierte sie herunter.

„Da sind Sie aber weit weg von zu Hause“, sagte Valerie.

Autor

Carol Marinelli
<p>Carol Marinelli wurde in England geboren. Gemeinsam mit ihren schottischen Eltern und den beiden Schwestern verbrachte sie viele glückliche Sommermonate in den Highlands. Nach der Schule besuchte Carol einen Sekretärinnenkurs und lernte dabei vor allem eines: Dass sie nie im Leben Sekretärin werden wollte! Also machte sie eine Ausbildung zur...
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