Romana Exklusiv Band 264

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BLITZHOCHZEIT IN DER TOSKANA von LUCAS, JENNIE
"Ja", haucht Eve beglückt. Seit einem Gedächtnisverlust weiß sie nicht mehr, welche Rolle der Milliardär Talos Xenakis in ihrem Leben spielt - und dass sie gerade ihren größten Feind geheiratet hat! Doch in der Hochzeitsnacht kommen die Erinnerungen wieder …

WIE FEUER AUF EIS von LAWRENCE, KIM
Unter Rose splittert das Eis - in letzter Sekunde rettet sie ein attraktiver Mann vor dem Ertrinken. Mathieu Demetrios bringt sie zwar in Sicherheit, nur ist die Gefahr längst nicht gebannt: Erst küsst er sie glühend, dann verlangt er von ihr, seine Verlobte zu spielen!

SÜßE UMARMUNG IN NIZZA von BAXTER, CLAIRE
Malerische Gassen, azurblaues Meer -in Nizza will Leonie ein neues Leben beginnen. Und in Jacques hat sie schnell einen charmanten Fremdenführer gefunden. Von Anfang an knistert es zwischen ihnen. Warum nur zeigt er ihr die kalte Schulter, sobald es ernst wird?


  • Erscheinungstag 20.11.2015
  • Bandnummer 0264
  • ISBN / Artikelnummer 9783733740252
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jennie Lucas, Kim Lawrence, Claire Baxter

ROMANA EXKLUSIV BAND 264

1. KAPITEL

Talos Xenakis hatte in seinem Leben schon viele Lügen gehört, besonders hinsichtlich seiner wunderschönen, skrupellosen Ex-Geliebten. Aber diese schlug dem Fass den Boden aus!

„Das kann nicht stimmen“, sagte er und blickte den Arzt wütend an. „Sie lügt!“

„Ich versichere Ihnen, Mr Xenakis, es liegt kein Irrtum vor“, entgegnete Dr. Bartlett mit Grabesstimme. „Sie kann sich an nichts mehr erinnern. Nicht an Sie, nicht an mich, und auch nicht an den gestrigen Unfall. Trotzdem liegen keine erkennbaren Verletzungen vor.“

„Weil sie lügt!“

„Glücklicherweise war sie angeschnallt, als der Airbag aufging“, fuhr Dr. Bartlett unbeeindruckt fort. „Deshalb hat sie keine Gehirnerschütterung.“

Mit finsterer Miene blickte Talos den Arzt an, dessen Reputation ohne jeden Makel war und dessen professionelle Fähigkeiten berühmt waren. Außerdem hatte sich dieser Mann eine goldene Nase an seinen steinreichen, adeligen Patienten verdient und war schon aus diesem Grunde nachweislich nicht bestechlich. Ein Familienmensch, der seiner fünfzigjährigen Ehefrau noch immer in Liebe treu ergeben war; drei Kinder, acht Enkelkinder – also hatte er sich sicherlich nicht verführen lassen. Offenbar glaubte er tatsächlich, dass Eve Craig an einer Amnesie litt.

Talos verzog verächtlich den Mund. Vor elf Wochen, nachdem sie ihn so schamlos hintergangen hatte, verließ Eve Craig Athen wie ein lautloser Geist. Seine Männer hatten auf der ganzen Welt nach ihr gesucht – bis sie vor zwei Tagen erfolgreich waren. Eve tauchte plötzlich in London zur Beerdigung ihres Stiefvaters auf.

Um schnellstmöglich mit dem Privatjet nach England reisen zu können, ließ Talos sogar in diesem Augenblick einen Millionendeal in Sydney platzen. Kefalas und Leonidas hatten Eve bis zu dem gestrigen Nachmittag observiert, als sie die Privatklinik in der Harley Street verließ und anschließend in ihrem silbernen Aston Martin direkt in einen Briefkasten auf dem Bürgersteig raste.

„Es war seltsam, Boss“, hatte Kefalas später erklärt. „Bei der Beerdigung schien es ihr noch gut zu gehen. Aber nachdem sie beim Arzt war, fuhr sie plötzlich wie eine Betrunkene. Sie hat uns nicht einmal wiedererkannt, als wir ihr nach dem Unfall zurück in die Klinik halfen.“

Dr. Bartlett kratzte sich ratlos am ergrauten Hinterkopf. „Ich werde sie zur Beobachtung über Nacht hierbehalten. Auch wenn ich keinerlei äußere Verletzungen feststellen konnte“, fügte er noch einmal nachdenklich hinzu.

Frustriert wiederholte Talos seinen Vorwurf. „Weil sie keine Amnesie hat! Sie hält uns zum Narren!“

Der ältere Arzt richtete sich kerzengerade auf. „Ich glaube nicht, dass Miss Craig lügt, Mr Xenakis. Immerhin kenne ich sie seit ihrem vierzehnten Lebensjahr, nachdem sie mit ihrer Mutter aus Amerika hierhergekommen ist.“ Er schüttelte leicht den Kopf. „Alle Tests waren negativ. Die Amnesie stellt das einzige deutliche Symptom dar. Dieser Umstand deutet darauf hin, dass der Autounfall lediglich als Auslöser fungierte, das eigentliche Trauma allerdings emotionaler Natur ist.“

„Sie ist also selbst daran schuld?“

„So würde ich das nicht formulieren. Aber das ist ohnehin nicht mein Fachbereich, deshalb habe ich meinen Kollegen Dr. Green konsultiert.“

„Einen Psychiater?“

„Ja.“

Talos räusperte sich. „Wenn körperlich alles mit ihr stimmt, kann sie das Krankenhaus doch verlassen, oder?“

Der Arzt zögerte. „Stark genug ist sie schon. Allerdings fehlt ihr jegliche persönliche Erinnerung, daher wäre es ratsam, wenn ein Familienmitglied …“

„Sie hat keine Familie“, unterbrach Talos. „Ihr Stiefvater war der einzige noch lebende Verwandte, und er starb vor drei Tagen.“

„Ich habe von Mr Craig gehört, und es tut mir sehr leid. Aber ich hoffte, Eve hätte zumindest einen Onkel oder eine Tante, die sich ihrer annehmen könnten. Vielleicht eine Cousine in Boston?“

„Gibt es nicht“, antwortete Talos schlicht, obwohl er es gar nicht genau wusste. Aber nichts würde ihn heute daran hindern, Eve mit zu sich nach Hause zu nehmen. „Ich bin ihr …“ Ja, was eigentlich? Ex-Lover mit Rachegelüsten? „Lebensgefährte“, schloss er. „Und ich werde mich um sie kümmern.“

„Das haben Ihre Mitarbeiter mir gestern auch schon gesagt.“ Dr. Bartlett betrachtete Talos, als würde ihm nicht recht gefallen, was er sah. „Allerdings klingt es nicht gerade so, als würden Sie akzeptieren, dass Eve besonderer Pflege und Fürsorge bedarf.“

„Solange Sie behaupten, sie hätte eine Amnesie, bleibt mir doch gar nichts anderes übrig, als das zu glauben.“

„Sie haben Eve als Lügnerin bezeichnet.“

Kurzerhand schenkte Talos dem Arzt ein entwaffnendes Lächeln. „Kreative Unwahrheiten sind eben Teil ihrer charmanten Persönlichkeit.“

„Sie stehen sich also sehr nahe?“, vermutete Dr. Bartlett und kniff die Augen leicht zusammen. „Haben Sie vor, Eve zu heiraten?“

Natürlich wusste Talos, welche Antwort er darauf geben musste, um Eve problemlos mitnehmen zu können. Also sagte er die Wahrheit. „Sie bedeutet mir alles. Einfach alles!“

Nachdenklich strich der Arzt sich über den Bart, und nach einer Weile nickte er kurz. Offenbar hatte er einen Entschluss gefasst. „Nun gut. Ich entlasse sie in Ihre Obhut, Mr Xenakis. Passen Sie gut auf Eve auf!“

In sein Zuhause nach Mithridos wollte Talos Eve auf gar keinen Fall bringen, höchstens nach Athen. Dort konnte er sie dann einsperren und dafür sorgen, dass sie ihren üblen Verrat bereute. „Dann werden Sie Eve heute entlassen?“

Der Arzt nickte. „Ja. Und bitte geben Sie ihr das unbedingte Gefühl, angenommen zu werden. Sie braucht jetzt sehr viel Unterstützung und Hilfestellung.“

„Zuneigung und Sicherheit“, vermerkte Talos, und seine Stimme klang betont trocken.

Dr. Bartlett nickte. „Sie können sich sicherlich vorstellen, Mr Xenakis, was die vergangenen vierundzwanzig Stunden für Eve bedeutet haben. Sie hat nichts mehr, an dem sie sich festhalten kann – keinerlei Erinnerung an Freunde oder Familie. Kein Zuhause oder auch nur eine Vorstellung davon, wo sie hingehört. Sie kannte nicht einmal mehr ihren Namen, bevor ich ihn ihr verraten habe.“

„Keine Sorge“, beruhigte Talos den Arzt grimmig. „Ich werde mich schon gut um sie kümmern.“ Er wollte sich schon abwenden, aber der Arzt hielt ihn zurück.

„Eines sollten Sie noch wissen! Normalerweise würde ich diese Information gar nicht weitergeben, aber in diesem besonderen Fall …“

„Worum geht es?“, unterbrach Talos ungeduldig.

„Eve ist schwanger.“

Talos wollte etwas antworten, öffnete aber zunächst nur wortlos den Mund. „Schwanger?“, wiederholte er erstickt. „Seit wann?“

„Dem Ultraschall nach zu urteilen, den wir gestern gemacht haben, kann ich die Empfängnis auf Mitte Juni festlegen.“

Juni.

Den gesamten Monat lang war Talos ihr praktisch nicht von der Seite gewichen. Widerwillig hatte er sich seinen wichtigsten Geschäftsterminen gewidmet und jeden einzelnen Moment bereut, den er nicht mit ihr im Bett verbringen konnte. Ihre gemeinsame Affäre hatte ihn fest im Griff gehabt: seine Lust, seinen Willen und seine Selbstkontrolle.

„Ich gebe mir selbst die Schuld“, murmelte Dr. Bartlett betroffen. „Wenn ich geahnt hätte, wie sehr Eve die Nachricht von ihrer Schwangerschaft durcheinanderbringt, wäre ich doch niemals damit einverstanden gewesen, sie hier allein aus dem Krankenhaus gehen zu lassen. Aber keine Sorge“, fügte er hastig hinzu. „Ihrem Baby geht es blendend.“ Der Arzt lachte nervös. „Herzlichen Glückwunsch, Mr Xenakis! Sie werden Vater!“

Um sie herum nahm Eve gedämpfte Stimmen und das leise Surren einer Maschine wahr. Irgendjemand, vielleicht eine Krankenschwester, tupfte Eves Stirn mit einem kühlen, feuchten Tuch ab. Der Stoff fühlte sich schwer an und roch nach Regen und Baumwolle. Trotzdem wollte sie die Augen noch nicht aufschlagen. Der weiche, dunkle Schlaf, der sie umfing, war einfach zu verlockend.

Eve wollte nicht zu dem Nichts ihrer Existenz zurückkehren, denn dort hatte sie keine Identität, konnte sich an keine Details ihres Lebens erinnern und fand keinerlei Halt. Diese Leere war weitaus schlimmer als jeder körperliche Schmerz. Und vor drei Stunden hatte man ihr auch noch mitgeteilt, dass sie schwanger war.

Ich kann mich nicht einmal daran erinnern, wie ich dieses Kind empfangen habe, dachte Eve traurig. Wie sieht das Gesicht des Vaters aus? In welcher Beziehung stehe ich zu ihm?

Heute würde sie ihm begegnen – er konnte jede Minute den Raum betreten.

Mit beiden Händen presste Eve sich ein kleines Kissen auf ihr Gesicht und kniff die Augen fest zusammen. Langsam zerrte es an ihren Nerven, den gnädigen Schlummer abzuschütteln und sich dafür dem Treffen mit dem Vater ihres Kindes zu stellen.

Was er wohl für ein Mann sein mochte?

Sie hörte, wie die Tür geöffnet und wieder geschlossen wurde, und hielt den Atem an. Dann setzte sich jemand neben sie auf die Matratze, und Eve lehnte sich gezwungenermaßen leicht gegen den anderen Körper. Ein kräftiger Arm legte sich sanft um sie, und der maskuline Geruch nach Rasierwasser, Holz und Abenteuer wurde von Sekunde zu Sekunde intensiver.

„Eve, ich bin hier.“ Die Männerstimme klang tief und rau mit einem leichten fremdländischen Akzent, den Eve nicht gleich einzuordnen wusste. „Ich möchte dich abholen.“

Ein Schauer durchfuhr sie, als sie entschlossen das Kissen zur Seite schob. Zuerst nahm Eve nur markante Gesichtszüge wahr. Gebräunte Haut und den leichten Schatten eines dunklen Barts. Dann sah sie das ganze Gesicht, und ihre Augen weiteten sich.

Dieser Kerl ist ja unverschämt attraktiv! schoss es ihr durch den Kopf.

Wie konnte ein Mann bloß so wunderschön aussehen? Sein lockiges schwarzes Haar kringelte sich leicht über seine Ohren, und sein Gesicht war eine Mischung aus Engel und Krieger. Der geschwungene Mund wirkte sehr sinnlich und einladend, und die markante Nase war mit Sicherheit wenigstens einmal gebrochen worden, was die Züge nicht zu lieblich aussehen ließ.

Dunkle, funkelnde Augen waren fest auf Eve gerichtet, und in der Tiefe des Blicks glaubte sie so etwas wie lodernden Hass zu erkennen. Ein gruseliger Anblick, der so gar nicht zum freundlichen Lächeln dieses Mannes passte.

Habe ich mir das eben nur eingebildet? dachte sie nur einen Sekundenbruchteil später. Es wäre kaum ein Wunder, nachdem sie sich bei ihrem Unfall, an den Eve sich ebenfalls nicht erinnern konnte, hart den Kopf angeschlagen hatte.

„Eve“, flüsterte er. „Ich dachte schon, ich würde dich nie finden.“

Mit warmen Fingerspitzen strich er über ihre Wange, und diese Berührung weckte ein vertrautes Gefühl in Eves Herz. Aber in ihrer Magengegend kribbelte es, und sie konnte kaum glauben, was nun offensichtlich wurde. War dieser Mann etwa ihr Liebhaber? So hatte sie ihn sich überhaupt nicht vorgestellt!

Als Dr. Bartlett ihr erzählte, ihr Freund würde aus Australien anreisen, hatte sie sich im Geiste einen freundlich aussehenden Mann mit herzlicher Ausstrahlung und einem offensichtlichen Sinn für Humor ausgemalt. Ein Lebensgefährte, mit dem man am Ende eines Tages gemeinsam das Geschirr abwusch und die alltäglichen Sorgen teilte. Sie wünschte sich einen liebevollen Partner, einen ebenbürtigen Gleichgesinnten.

Nicht in ihren wildesten Träumen hatte sie einen dunklen Schönling mit harter Ausstrahlung erwartet – subtile Grausamkeit gepaart mit unheimlich anziehendem Sex-Appeal. Ohne Zweifel konnte dieses Prachtexemplar ein Frauenherz mit einem einzigen Blick in zwei Hälften schneiden.

„Freust du dich denn gar nicht, mich zu sehen?“, fragte er mit tiefer Stimme.

Stumm betrachtete sie sein Gesicht, doch in ihrem Kopf ließ sich keine einzige persönliche Erinnerung an diesen Mann abrufen. Nicht an die Intimitäten, die sie geteilt haben mussten, nicht an die Emotionen. Nichts!

Behutsam half er Eve, sich aufzusetzen. Dabei ließ er seine Hand etwas länger auf ihrem Rücken liegen, und Eve befeuchtete nervös ihre trockenen Lippen.

„Sie müssen … du bist dann wohl Talos Xenakis?“, begann sie unsicher und wartete darauf, dass er diese Vermutung abstreiten würde. Beinahe hoffte sie, er würde sich als jemand anderer vorstellen. Und dann könnte ihr liebevoller, warmherziger Lebensgefährte mit einem tröstenden Lächeln auf dem Gesicht das Krankenzimmer betreten …

„Also erkennst du mich doch?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Deine zwei Angestellten, auch der Arzt, haben mir deinen Namen verraten. Sie sagten, du wärst unterwegs hierher.“

Eindringlich betrachtete er sie.

„Dr. Bartlett sprach von einer Amnesie, aber ich kann das kaum glauben. Doch es stimmt, oder? Du kannst dich wirklich nicht mehr an mich erinnern?“

Eve konnte sich vorstellen, wie sehr ihn das verletzen musste. „Es tut mir so leid“, entschuldigte sie sich und rieb sich die Stirn. „Ich versuche es ja, aber das Erste, woran ich mich wieder erinnern kann, ist die Tatsache, dass dein Angestellter Kefalas mich aus dem Wagen gezogen hat. Zum Glück waren die beiden zum Unfallzeitpunkt genau hinter mir.“

Sein Mund verzog sich unmerklich. „Ja. Das war wirklich Glück.“ Talos richtete sich auf. „Du wirst heute entlassen.“

Ihr stockte der Atem. „Heute schon?“

„Um genau zu sein: jetzt.“

„Aber …“ Zuerst biss sie sich auf die Lippe, dann sprach sie doch weiter. „Aber ich erinnere mich doch an nichts. Eigentlich habe ich gehofft, dass dein Besuch bei mir …“

„Ich sollte deine Erinnerung wecken?“

Eve nickte kleinlaut. Es hatte natürlich keinen Sinn, jetzt enttäuscht zu sein, das wusste sie genau. Außerdem wollte sie Talos nicht noch mehr verunsichern, als sie es ohnehin schon tat.

Allerdings wurde sie den dicken Kloß in ihrem Hals einfach nicht los. Es schien ihr so plausibel zu sein, dass ihr Herz reagieren würde, wenn sie den Mann erblickte, den sie liebte. Es sei denn, sie liebten sich gar nicht!

Dieser plötzliche Gedanke erschreckte Eve. War sie etwa schwanger von einem besseren One-Night-Stand?

„Mir ist klar, dass dich diese Situation ziemlich belasten muss“, begann sie und schob ihre eigene Angst beiseite. „Ich habe keine Ahnung, wie schrecklich sich das anfühlen muss, wenn man jemanden liebt, und dieser jemand erinnert sich nicht an dich.“

Liebst du mich denn? fragte sie im Stillen und versuchte, in seinem Gesicht zu lesen. Liebe ich dich?

„Scht! Schon gut“, beruhigte er sie und küsste sie auf die Stirn. Seine wärmende Nähe fühlte sich an wie die Sonne an einem Wintertag. Dann hob er sein Kinn, und der Blick aus seinen Augen wurde distanzierter. „Mach dir keine Gedanken, Eve! Ganz bald wirst du dich wieder an alles erinnern.“

Dankbar nickte Eve und fand, dass ihr erster Eindruck von ihm sie wohl getäuscht hatte. Talos war nicht der grausame Typ, für den sie ihn zuerst hielt, sondern sein Äußeres verlieh ihm einfach eine etwas grobe Aura. Wahrscheinlich versteckte sich dahinter ein sehr geduldiger und sanfter Mensch. Warum hätte sie sich sonst in ihn verlieben sollen?

Tapfer atmete sie durch und schob ihre Bettdecke beiseite. „Dann werde ich mich mal anziehen.“

Er hielt sie zurück. „Warte! Da gibt es noch etwas, über das wir sprechen müssen.“

Eve wusste sofort, worauf er anspielte. Und in ihrem papierdünnen Nachthemd fühlte sie sich viel zu verletzlich für ein derartiges Gespräch. Deshalb hüllte sie sich eilig wieder in ihre Decke ein und zog sie bis zum Hals hoch.

„Er hat es dir also erzählt?“, fragte sie leise.

Sein Tonfall war beinahe grimmig, als er ihr antwortete. „Ja.“

„Und? Freust du dich?“ Ihre Stimme zitterte. „Über die Neuigkeiten?“

Sie hielt den Atem an, während Talos sie schweigend ansah. Als er endlich antwortete, konnte sie nicht ausmachen, was für Gedanken ihm wirklich durch den Kopf gingen. „Ich war überrascht.“

„Demnach war dieses Baby von uns nicht geplant?“

Seine Hände verkrampften sich auf ihrer Bettdecke. Zuerst blickte er auf seine Fäuste hinunter, dann in Eves Gesicht.

„Ich habe dich noch nie so gesehen“, sagte er schließlich leise. Mit einem Finger strich er ihr ein paar Locken aus dem Gesicht. „So ganz ohne Make-up, ganz pur.“

Vergeblich versuchte sie, ihm auszuweichen. „Ich sehe bestimmt furchtbar aus.“

Talos zog Eve zu sich heran. Seine Augen wirkten noch eine Nuance dunkler und jagten ihr erneut Schauer über den Rücken.

„Freust du dich denn nun über das Baby?“, hakte sie nach.

Er legte die Arme um sie. „Ich werde gut für dich sorgen.“

Warum wich er einer Antwort aus? Eve schluckte und zwang sich dann zu einem halbherzigen Lächeln. „Schon gut, ich bin keine Invalidin. In wenigen Tagen wird die Amnesie vorüber sein. Dr. Bartlett sagte etwas von einem Spezialisten …“

Seine Umarmung wurde etwas fester, als er Eve an seine harte Brust drückte. „Du brauchst keinen weiteren Arzt“, widersprach er. „Jetzt musst du nur mit mir nach Hause kommen.“

Durch das dünne Nachthemd spürte Eve sogar die Knöpfe von Talos’ Hemd, und der männliche Duft des Rasierwassers wurde beinahe unerträglich in seiner Anziehungskraft. Gegen ihren Willen schloss sie die Augen und ließ sich ein Stück weit fallen. Tief atmete sie Talos’ erotischen Duft ein und ließ sich von der betäubenden Wirkung gefangen nehmen.

Alles andere war für den Moment ausgeblendet. Das private Krankenzimmer, die Ärzte und Schwestern, die diskret vor der Tür warteten, das Rauschen der Überwachungsmonitore, der antiseptische Geruch … Alles entglitt in ein Nirvana.

Es gab nur noch diesen Moment. Nur noch ihn.

In seinen starken Armen fühlte Eve sich zum ersten Mal seit ihrem Unfall geborgen und unangreifbar. Geliebt. Endlich hatte sie einen Platz in dieser Welt. Bei ihm.

Zärtlich drückte er ihr einen Kuss auf die Haare. Sie spürte Talos’ heißen Atem, und in ihr wuchs … Ja, was eigentlich? Angst? Sehnsucht? Liebte er sie?

Mutig hob sie eine Hand und strich über sein stoppeliges Kinn. Vermutlich hatte er keine Zeit gehabt, sich während des langen Fluges zu rasieren. Immerhin kam er gerade aus Australien. War das ein Zeichen für seine Liebe?

„Warum warst du nicht mit mir zusammen in London bei der Beerdigung meines Stiefvaters?“, fragte Eve.

Talos schien seine Worte mit Bedacht zu wählen. „Ich hatte in Sydney zu tun, um eine neue Firma aufzubauen. Glaube mir“, fügte er hinzu, „ich wollte nicht so lange von dir getrennt sein.“

Eve gewann den Eindruck, dass er ihr etwas verschwieg. Oder spielte ihre eigene Verwirrung ihr einen Streich? In dieser merkwürdig nebligen, leeren Welt konnte sie keinem ihrer Gefühle wirklich vertrauen.

„Du bist so hübsch, Eve“, fuhr Talos fort und umfasste ihr Gesicht. Dann stieß er einen Seufzer aus. „Ich hatte schon befürchtet, dich nie wiederzusehen.“

„Du meinst, nachdem du von dem Unfall erfahren hast?“, hakte sie nach. Als er ihr eine Antwort schuldig blieb, befeuchtete sie hastig ihre Lippen und kam mit der Frage heraus, die sie eigentlich beschäftigte. „Weil wir uns wirklich lieben, oder?“

An seiner Wange zuckte ein Muskel. „Du warst noch jungfräulich, als wir miteinander intim wurden“, begann er umständlich. „Vor drei Monaten sind wir zum ersten Mal miteinander im Bett gelandet.“

Ich war eine Jungfrau? dachte sie und fühlte sich unendlich erleichtert. Wenigstens war so ausgeschlossen, dass ein anderer als Vater für ihr Kind infrage kam. Es war schon schlimm genug, dass sie sich nicht auf ihren Lebensgefährten besinnen konnte.

Warum sind wir eigentlich nicht verheiratet? wunderte sich Eve. Aber wenn ich mit fünfundzwanzig noch Jungfrau bin und nur einen Liebhaber hatte, sagt das doch schon eine Menge über meinen Charakter aus. Aber was ist mit der Liebe?

In Talos’ düsteren Augen lag etwas, das Eve nicht einordnen konnte. Etwas versteckte sich zwischen den Zeilen, wenn er sprach, und sie wüsste nur zu gern, worum es sich bei diesem Geheimnis handelte.

„Mach dich jetzt fertig, damit wir fahren können“, bat er sie und gab ihr noch einen Kuss auf die Schläfe. Mit beiden Händen strich er über Eves nackte Arme. „Ich möchte dich endlich nach Hause bringen.“

Ihr Atem wurde flacher, und ihre erhitzte Haut kribbelte unerträglich stark unter Talos’ zärtlicher Liebkosung. Die feinen Härchen in ihrem Nacken vibrierten und kitzelten dabei leicht die empfindsame Rückseite ihrer Ohrläppchen. Eve hatte den Eindruck, dass ihre Brüste etwas fester und voller waren als noch vor wenigen Momenten, aber das konnte auch an dem extrem dünnen Stoff des Nachthemds liegen.

„In Ordnung“, antwortete sie leise und ließ sich von Talos aus dem Bett helfen. Erst jetzt fiel ihr auf, wie groß und breit gebaut er im Gegensatz zu Eve war. Fasziniert sah sie zu ihm hoch und bewunderte die ausgeprägten Muskeln unter seinem Hemd.

„Entschuldige, dass ich so lange gebraucht habe, um zu dir zu kommen“, sagte er und legte beide Arme um sie. „Aber jetzt bin ich hier, und ich werde dich nie wieder aus den Augen lassen.“ Er besiegelte sein Versprechen mit einem Kuss auf ihre Stirn.

2. KAPITEL

Mit halb geschlossenen Lidern beobachtete Talos Eve, während er sie zu dem schwarzen Rolls-Royce führte, der vor dem Krankenhaus auf sie wartete. Eve täuschte diese Amnesie nicht vor, davon war er inzwischen überzeugt. Sie ahnte nicht im Geringsten, wer er war oder was sie getan hatte.

Und nun trug sie auch noch sein Kind unter ihrem Herzen. Das änderte die ganze Sachlage.

Behutsam half er Eve beim Einsteigen. Sie hatte kein Gepäck dabei. Talos’ Männer hatten Eves kaputten Aston Martin in die Werkstatt gebracht und sich um die Reparatur des beschädigten Briefkastens gekümmert.

Eve trug das schwarze enge Seidenkleid von der Beerdigung ihres Stiefvaters und umklammerte mit beiden Händen eine kleine, dazu passende Handtasche. Ihre glänzenden Haare hatte sie zu einem hohen Pferdeschwanz zusammengebunden. Talos entging nicht, wie verführerisch sich das schimmernde Kleid um Eves Hüften und ihre runden Brüste schmiegte.

Ohne Make-up sah sie wirklich anders aus als früher. Und sie hatte auch keinerlei zusätzliche Kosmetik nötig. Mit ihrer makellosen Haut, ihren zartrosa Lippen und den leuchtend blauen Augen schaffte sie es mühelos, jeden Mann zwischen acht und achtzig Jahren dazu zu bringen, sich bewundernd nach ihr umzudrehen. Auch Talos selbst war alles andere als immun gegen Eves natürlichen Charme.

„Wo fahren wir eigentlich hin?“, erkundigte sie sich mit gerunzelter Stirn. „Darüber haben wir noch gar nicht gesprochen.“

„Nach Hause“, entgegnete Talos schlicht und warf die Autotür hinter ihr ins Schloss.

Es störte ihn, wie sehr sein Körper sich nach Eve sehnte, denn sein Verstand verachtete diese Frau für das, was sie sich geleistet hatte. Talos träumte davon, ihr Leben zu zerstören, und nur deshalb war er nach London gekommen. Seit drei Monaten konnte er kaum an etwas anderes denken.

Doch jetzt regte sich plötzlich sein Beschützerinstinkt. Eve sah so zart und zerbrechlich aus, viel jünger als ihre fünfundzwanzig Jahre. Wie konnte Talos nun Rache nehmen, wenn sie sich nicht einmal an ihre Vergehen erinnerte? Noch dazu, nachdem sie schwanger mit seinem Baby war?

Frustriert ballte er die Hände zu Fäusten und stapfte um den Wagen herum. Obwohl es erst September war, hatte der Sommer London abrupt verlassen. Konstanter Nieselregen strömte aus den grauen Wolken hinab auf die Straße.

Talos nahm neben Eve auf der Rückbank der Limousine Platz, und sie wandte sich sofort direkt an ihn. „Wo ist unser Zuhause?“

„Mein Heim“, begann er und schlug die Autotür etwas zu laut zu, „befindet sich in Athen.“

Erschrocken schnappte sie nach Luft. „Athen?“

„Dort lebe ich, und ich muss mich um dich kümmern.“ Mühsam zwang er sich zu einem Lächeln. „Ärztliche Anordnung.“

„Dann wohne ich bei dir?“

„Eigentlich nicht.“

„Wir leben nicht zusammen?“

„Du bist gern unterwegs“, erklärte er leicht ironisch. „Auf Reisen.“

„Wo sind denn dann meine Sachen?“, fragte sie zaghaft. „Und mein Pass?“

„Vermutlich im Haus deines Stiefvaters. Meine Mitarbeiter werden das Nötigste dort abholen und zum Flughafen bringen.“

„Aber …“ Eve sah aus dem Fenster, dann wandte sie sich abrupt zu Talos um. „Ich möchte gern dorthin und sehen, ob der Ort eventuell Erinnerungen in mir wachrufen kann. Wo ist es?“

„Sein Anwesen befindet sich meines Wissens in Buckinghamshire. Doch ein Besuch dort würde dir nicht weiterhelfen. Du hast dort vor der Beerdigung nur eine Nacht verbracht – es war nicht gerade dein Heim.“

„Bitte, Talos“, unterbrach sie flehentlich. „Ich würde so gern dorthin fahren.“

Mit gerunzelter Stirn sah er ihr in die Augen. Eve hatte sich tatsächlich stark verändert. Seine ehemalige Geliebte hatte ihn niemals um etwas gebeten. Bis auf …

Bis auf die erste Nacht, in der sie miteinander im Bett gelandet waren. Eves Abwehrhaltung war verflogen, und Talos erkannte in ihr die begehrenswerteste Frau, die er sich vorstellen konnte. Und entgegen all seiner Erwartung war diese hinreißende Verführerin eine Jungfrau! Als er tief in ihr versank, sah Eve ihn aus dunkelblauen Augen an, und für einen Moment glaubte er … hoffte er …

Entschlossen warf er diese Gedanken über Bord. Talos wollte nicht darüber nachdenken, wie es einmal zwischen ihnen gewesen ist. Er wollte vergessen, dass sie ihn beinahe dazu gebracht hätte, alles zu verlieren – vor allem seinen Verstand.

Eve Craig stellte lediglich eine schlechte Angewohnheit dar, mit der Talos endgültig gebrochen hatte, und so sollte es auch bleiben.

„Nun gut“, sagte er mit gepresster Stimme. „Ich bringe dich dorthin. Aber nur, um deine Sachen abzuholen. Wir können nicht bleiben.“

Ihr hübsches Gesicht hellte sich auf. Ohne Make-up und mit dem Pferdeschwanz sah sie aus, als wäre sie gerade erst auf dem College. Talos fühlte sich mit seinen achtunddreißig Jahren mit einem Mal unendlich alt.

„Danke“, sagte Eve strahlend.

Noch ein Wort, das er noch nie von ihr gehört hatte.

Talos wandte sich ab und sackte tiefer in den hellen Lederbezug des Rücksitzes, während der Chauffeur gerade in die Edgware Road einbog und auf die M1 Richtung Norden zusteuerte. Missmutig schaute Talos in den Regen hinaus und spürte seinen Jetlag mit jeder Faser seines Körpers. Oder war es der Schock? Immerhin wurde er Vater.

Kein Wunder, dass Eve selbst vor Schreck gegen einen Briefkasten gefahren war! Allein der Gedanke daran, ihre schlanke Figur einer Schwangerschaft zu opfern und nicht mehr in ihre Designerkleider zu passen, musste sie wahnsinnig gemacht haben. Monatelang keinen Champagner trinken zu können, nicht mehr mit all den reichen, schönen, oberflächlichen Freunden durch die Nächte tanzen … Mit Sicherheit war Eve außer sich gewesen, als sie von dem Baby erfuhr.

Talos traute ihr kaum zu, sich um eine Zimmerpflanze kümmern zu können, geschweige denn um ein Kind. Sie war nicht im Mindesten der mütterliche Typ und darüber hinaus die liebloseste Person, der Talos jemals begegnet war.

Er musste seinen Nachwuchs um jeden Preis beschützen.

„Also lebe ich gar nicht in England“, hörte er sie sagen. Eve sah beinahe traurig aus, als sie leise hinzufügte: „Dann habe ich gar kein Zuhause?“

Ohne es zu wollen, stellte er sich vor, wie sie auf Mithridos in seinem Schlafzimmer auf dem Bett lag und warme Meeresluft durch die geöffneten Fenster hereinströmte und die Vorhänge aufblähte. Doch dieses Bild würde niemals wahr werden!

„Du wohnst grundsätzlich in Hotels“, antwortete er kalt. „Ich sagte doch, du bist ständig auf Reisen.“

„Aber wie verdiene ich denn dann mein Geld?“, wollte sie wissen.

„Gar nicht. Deine Tage bestehen aus Einkaufsbummeln und Partys auf der ganzen Welt. Du bist eine reiche Erbin, eine berühmte Schönheit.“

Fassungslos sah sie Talos an. „Du machst Witze!“

„Nein.“ Dabei beließ er es. Wie sollte er schließlich erklären, dass Eve und ihre zügellose Entourage wie ein Haufen Parasiten in jedes Luxushotel einfielen, um sich zu amüsieren. Wenn er dafür die richtigen Worte finden müsste, würde er seinen Zorn kaum verbergen können, und dann zweifelte Eve sicherlich an seinen Gefühlen.

Wie konnte es bloß angehen, dass er derart von ihr abhängig war? Warum war es so weit gekommen? Jetzt musste Talos dafür sorgen, dass sein Kind nicht von Eve vernachlässigt oder gar verstoßen wurde, sobald sie ihre Amnesie überwand.

Aber solange ihre Erinnerung gelöscht war, konnte sie sich kaum gegen den Einfluss von Talos wehren. Er war in der Position, ihr alles zu nehmen, letztendlich auch ihr gemeinsames Kind. Und Eve wäre ahnungslos.

„Ich kam also zur Beerdigung meines Stiefvaters hierher“, schloss sie. „Bin aber keine Britin?“

„Deine Mutter war eine, glaube ich. Ihr seid beide vor vielen Jahren von Amerika nach England gezogen.“

Überrascht blickte sie auf. „Meine Mutter?“

„Tot“, informierte er sie ohne Umschweife, und Eves Miene erstarrte. Erst jetzt ging ihm auf, dass der Tod ihrer Mutter in diesem Augenblick eine Neuigkeit für sie war. Und vor allem besann er sich darauf, dass er selbst eigentlich vorgeben sollte, sie zu lieben. Davon musste er sie sogar überzeugen, wenn er seinen Plan in die Tat umsetzen wollte.

„Es tut mir sehr leid, Eve“, sagte er etwas sanfter. „Aber soweit ich weiß, hast du keine weitere Familie.“

„Oh.“ Es war nicht mehr als ein Seufzer.

Er zog sie in seine Arme, drückte sanft ihren Kopf an seine Brust und küsste ihr Haar. Es roch angenehm nach Vanille, ein Duft, den er von Anfang an mit Eve verband. Und wie üblich antwortete sein Körper auf diesen Reiz mit gnadenloser Lust.

Verdammt! Warum hatte er sein Verlangen nach ihr nicht im Griff? Nach allem, was sie ihm angetan hatte, durfte sich sein Körper doch nicht nach ihr sehnen! War er denn so masochistisch veranlagt? Wo war sein Stolz? Seine Würde?

Talos ermahnte sich, seinen Stolz nicht außer Acht zu lassen. Auch wenn Eve sich heute so demütig und sanft gab, vergaß er nicht, wie viel Leidenschaft in ihr schlummerte. Und er war der einzige Mann, der jemals in den Genuss gekommen war, von diesem Feuer zu kosten.

Jetzt spürte Talos, wie erregt er war … Halt! Das musste aufhören. Er durfte sich nicht vorstellen, wie sie beide im Bett harmonierten, wie sehr er Eve begehrte! Wo war seine Selbstkontrolle geblieben?

Mit beiden Händen klammerte Eve sich an seinen Ärmel. „Dann habe ich ja niemanden mehr“, flüsterte sie. „Keine Eltern, keine Geschwister. Niemanden.“

Mit einer Hand strich er behutsam über ihre Wange. „Du hast mich.“

Sie schluckte und sah zu ihm auf. Krampfhaft gelang es Talos, seinem Gesicht einen möglichst verständnisvollen, liebenden Ausdruck zu verleihen. Obwohl er im Grunde keine Ahnung hatte, wie sich echte Liebe anfühlte.

Eve stieß einen Seufzer aus und lächelte schwach. „Und unser Baby.“

Sein grimmiges Nicken bemerkte sie nicht. Dieses Kind machte es für Talos notwendig, Eve permanent unter seine Fittiche zu nehmen. Sie musste in dem Glauben gehalten werden, er würde sich ernsthaft um sie sorgen.

Damit zahlte er ihr nur heim, was sie sich ihm gegenüber geleistet hatte. Jedenfalls redete er sich das ein. Talos musste ihr Vertrauen gewinnen, damit sie seinen Heiratsantrag akzeptierte. Und dann …

Sobald ihre Ehe rechtskräftig war, würde Talos alles daran setzen, dass Eve die Wahrheit wieder in den Sinn kam. Er würde bei ihr sein, wenn die Erinnerung sie einholte. Und er wollte ihr ins Gesicht schauen, wenn der Groschen schließlich fiel.

Und dann würde seine Rache ihren Höhepunkt erreichen. Obwohl es eher um Gerechtigkeit als um Rache ging.

Er drückte Eve noch fester an sich und umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen. „Eve, ich möchte, dass du mich heiratest.“

Ihn heiraten?

Ja, dachte Eve etwas verwirrt und sah Talos in sein attraktives Gesicht. Die rauen, warmen Hände auf ihren Wangen beruhigten sie zutiefst.

Wie konnte ein einziger Mann so maskulin, so wunderschön und einnehmend sein? Talos war genau das, was ihre geschundene, vereinsamte, furchtsame Seele brauchte. Er würde sie beschützen, sie lieben und ihrem Leben einen Sinn geben.

Ja, ja, ja!

Aber bevor die Worte ihre Lippen erreichten, stellte sich ihnen ein Hindernis in den Weg. Irgendetwas zwang Eve, ihr Gesicht abzuwenden.

„Dich heiraten?“, wiederholte Eve irritiert. „Ich kenne dich doch überhaupt nicht.“

Überrascht blinzelte er, dann zog er seine Augenbrauen dicht zusammen. „Gut genug, um mein Kind unter deinem Herzen zu tragen.“

Eve schluckte. „Aber ich kann mich nicht an dich erinnern. Es wäre nicht fair, dich zum Mann zu nehmen.“

„Ich bin ohne Vater aufgewachsen, und dieses Schicksal will ich meinem Kind ersparen. Es soll meinen Namen bekommen. Bitte weise mich nicht ab!“

Wie könnte man einen Traumtypen wie Talos Xenakis abweisen? dachte Eve unschlüssig. Trotzdem fühlt es sich nicht richtig an.

Schwer atmend rückte sie von ihm ab und betrachtete die vorbeiziehende Landschaft. Sie hatten London bereits hinter sich gelassen, und jenseits der verregneten Scheiben war die vorherrschende Farbe mittlerweile ein sattes Grün, gemischt mit den roten und gelben Tönen des kommenden Herbstes.

„Eve.“

Sie drehte sich wieder zu Talos um. Er hatte eine so kraftvolle Ausstrahlung, und sein fester Mund deutete darauf hin, dass er seinen Willen durchzusetzen wusste. Aber er war Eve nicht vertraut, und deshalb erschien es ihr viel natürlicher, sein Angebot abzulehnen.

„Danke für deinen lieb gemeinten Vorschlag“, begann sie etwas umständlich. „Aber mein Kind kommt erst in ein paar Monaten zur Welt …“

Unser Kind“, unterbrach er sie korrigierend.

„Aber ich kann nicht deine Frau werden, solange ich mich nicht an dich erinnere.“

„Wir werden sehen“, entgegnete er ausweichend. Den Rest der Fahrt verbrachten sie in einvernehmlichem Schweigen, bis der Wagen in eine kleine Seitenstraße einbog und ein georgianisches Anwesen aus rotem Stein zum Vorschein kam, das sich hinter einem riesigen grauen See auf einem grün bewachsenen Hügel erhob.

„Hier hat mein Stiefvater gewohnt?“, fragte sie atemlos.

„Ja.“

Nachdem sie vor dem Haupteingang gehalten hatten, half Talos Eve beim Aussteigen. Sie musste den Kopf in den Nacken legen, um das Gemäuer in seiner ganzen Pracht bewundern zu können. Die imposante viktorianisch-gotische Brüstung zeichnete sich gegen den stahlgrauen Himmel ab.

„Hier habe ich als Teenager gelebt?“, erkundigte sie sich.

„Und nun gehört es dir, zusammen mit einem stattlichen Vermögen.“

Ihr Kopf fuhr herum. „Woher weißt du das?“

„Gestern noch wusstest du es selbst, nachdem du der Testamentsverlesung beigewohnt hast.“

„Vielleicht, aber wann hast du es erfahren?“

Er zuckte die Schultern. „Ich habe mir eine Kopie des Testaments besorgt. Komm jetzt!“ Talos nahm ihre Hand und führte sie die breite Eingangstreppe hinauf. Im Foyer warteten bereits fünf Hausangestellte darauf, Eve zu begrüßen, angeführt von der Haushälterin.

„Oh, Miss Craig“, schniefte die ältere Dame und tupfte sich mit einem Taschentuch großflächig über das Gesicht. „Ihr Stiefvater hat sie so sehr geliebt. Er wäre außerordentlich glücklich darüber, dass Sie endlich nach Hause gekommen sind.“

Aber dies ist doch offenbar gar nicht mein Zuhause, wunderte Eve sich. Wieso bin ich lange Zeit nicht hier gewesen?

Das traurige Gesicht der älteren Dame rührte sie, und voller Mitgefühl legte Eve einen Arm um die bebenden Schultern.

„Er war ein guter Mann, nicht wahr?“, sagte sie leise.

„Oh, ja, das war er, Miss. Er war der Beste. Und er hat Sie wie eine leibliche Tochter geliebt. Dass Sie endlich wieder da sind …“

„Ist es denn schon so lange her?“, fragte Eve unsicher.

„Sechs, nein, schon sieben Jahre. Dabei hat Mr Craig Sie immer zu Weihnachten eingeladen.“ Ihre Stimme brach, und sie tupfte sich erneut die Augen.

„Aber ich bin nie hergekommen, oder?“, hakte Eve behutsam nach.

Die Haushälterin schüttelte heftig den Kopf.

Mit Mühe schluckte Eve den Kloß in ihrem Hals hinunter. Offenbar hatte sie das Geld ihres Stiefvaters angenommen, ihn alle Rechnungen bezahlen lassen und auf seine Kosten eine endlose Party gefeiert – dabei aber nicht den Anstand besessen, sich auch nur einmal bei ihm blicken zu lassen. Und nun war er tot!

„Es tut mir so leid“, stieß Eve hervor.

„Ich werde Ihnen Ihr Zimmer zeigen. Es ist noch genauso, wie Sie es hinterlassen haben.“

Kurz darauf ließ die schluchzende Frau Eve in ihrem Schlafzimmer allein. Talos blieb im hell erleuchteten Flur stehen, während sie den düsteren Raum durchquerte und entschlossen die Vorhänge zur Seite riss. Graues Licht fiel herein, und Eve drehte sich auf dem Absatz um – und erstarrte.

Die gesamte Einrichtung war in Schwarz und Rot gehalten, bis hin zu dem riesigen, schwarzen Lackbett. Sehr dramatisch, modern und ausgesprochen sexy! Gleichzeitig grell und geschmacklos.

Talos lehnte am Türrahmen und beobachtete Eve, die auf der Suche nach Anhaltspunkten alle Schränke und Schubladen öffnete. Die Kleider im Schrank waren genau wie das ganze Zimmer aufreizend und exzentrisch. Die Garderobe einer Frau, die Aufmerksamkeit erregen wollte und auch genau wusste, wie sie es anstellen musste.

Eve zitterte leicht.

Schwarze Stiefel mit Pfennigabsatz, eine Gucci-Handtasche, ein Koffer von Louis Vuitton. Sie fand ihren Pass und blätterte ihn ratlos durch: Sansibar? Mumbai? Kapstadt?

„Du hast nicht übertrieben“, bemerkte sie trocken. „Ich bin anscheinend permanent unterwegs gewesen. Vor allem während der letzten drei Monate.“

Als er ihr eine Antwort schuldig blieb, drehte Eve sich zu Talos um. Sein Gesicht war ausdruckslos.

„Ja“, sagte er nur. „Ich weiß.“

Schnell warf sie den Pass in den Koffer, zusammen mit Kleidern und Schuhen, die ihr völlig fremd waren. Dann lehnte sie sich gegen einen Bettpfosten und sah sich um. „Hier gibt es fast nichts Persönliches.“

„Das habe ich dir ja prophezeit.“

Im Bücherregal befanden sich zahllose alte Modezeitschriften und ein paar Bücher über Etikette und Promis. Wahllos zog sie ein Werk hervor, das den Titel trug: „Wie man sich einen Mann angelt“.

„Das war noch nie dein Problem“, brummte Talos trocken.

Ihr war hundeelend zumute, und er riss seine Witze? Eve machte einen abfälligen Laut und warf das Buch in seine Richtung. Mühelos fing er es auf.

„Sieh mal, Eve“, beruhigte er sie. „Das spielt doch alles keine Rolle.“

„Natürlich tut es das! Diese Dinge hier verraten mir, wer ich wirklich bin.“ Mit einem Finger wies sie auf den Kleiderschrank. „Gerade habe ich herausgefunden, dass ich mich als Mädchen nur für mein Aussehen interessiert habe, meinen Stiefvater – der mich liebte – offensichtlich ignorieren wollte und an Weihnachten nie zu Hause war.“ Tränen stiegen ihr in die Augen. „Ich habe ihn allein sterben lassen“, setzte sie mit erstickter Stimme hinzu. „Wie kann man nur so grausam sein?“

Verzweifelt nahm sie ein Foto zur Hand, auf dem ein sympathisch lächelnder Mann zu sehen war. Den Arm hatte er um eine hübsche, dunkelhaarige Frau gelegt, die ebenfalls lächelte, und vor den beiden stand ein stämmiges kleines Mädchen, dem beide Vorderzähne fehlten.

Lange betrachtete sie das Bild, aber in ihrer Erinnerung regte sich nichts. Dies mussten ihre Eltern sein, doch leider erkannte Eve keinen von beiden. War sie tatsächlich so herzlos?

„Was hast du da?“, wollte Talos wissen.

„Nichts, was mir weiterhelfen würde.“ Dann ließ sie den schweren Rahmen aufs Bett fallen und vergrub das Gesicht in beiden Händen. „Ich kann mich einfach nicht mehr erinnern. Ich kann nicht!“

Mit zwei großen Schritten war Talos bei ihr und umfasste ihre Schultern. „Ich habe meine Eltern auch kaum gekannt, und es hat mir nicht geschadet.“

„Es geht doch nicht nur um die Vergangenheit“, flüsterte sie. „Warum solltest du mit einer Person wie mir zusammen sein wollen? Ein Mensch ohne Substanz und ohne Seele?“

Er antwortete nicht.

„Und jetzt ist es zu spät“, fuhr sie unglücklich fort. „Ich habe meine Familie verloren und mein Heim.“

„Dein Zuhause ist bei mir“, sagte er leise.

Eve sah zu ihm hoch. Draußen hatte sich die Sonne durch die grauen Regenwolken gekämpft und warf nun ihre Strahlen auf Talos’ schönes Gesicht. Winzige Staubpartikel tanzten glitzernd um seinen Kopf herum.

„Lass es mich dir beweisen“, drängte er und streichelte ihre Arme. „Heirate mich!“

Wie fließender Strom ging seine Wärme in Eves Körper über, doch sie schüttelte nur betrübt den Kopf. „Ich kann nicht.“

„Wieso nicht?“

„Weil ich nicht aus Mitleid geheiratet werden möchte.“

Seine Arme schlossen sich um sie, und Talos strich beruhigend über ihren Rücken. „Mitleid ist wohl das Letzte, was ich für dich empfinde.“

Ergeben schloss sie die Augen und ließ sich gegen ihn sinken. Sie wollte mehr von ihm, wollte seine Wärme spüren, sein inneres Feuer.

„Komm fort mit mir“, drängte er. „Komm mit nach Athen und werde meine Frau!“

Talos war so groß und muskulös, dass Eve sich in seiner Gegenwart schutzbedürftig und winzig vorkam. Es war ein herrliches Gefühl, behütet und umsorgt zu werden.

„Ich kann nicht einfach davonlaufen“, seufzte sie und presste ihre Wange gegen sein Hemd. „Ich will mein Gedächtnis zurück, Talos. Ich kann nicht durch die Weltgeschichte tingeln, ohne zu wissen, wer ich bin. Und ganz sicher kann ich nicht mit einem praktisch Fremden vor den Traualtar treten, auch wenn du der Vater meines Kindes bist.“

„Dann bringe ich dich zu dem Ort, an dem wir uns zuerst begegnet sind. Dort fing alles an.“ Sein intensiver Blick fiel auf ihren Mund. „Ich zeige dir, wo wir uns zum ersten Mal geküsst haben.“

Ihre Knie schienen sich in Gummi zu verwandeln. Mit pochendem Herzen begegnete sie Talos’ Blick. „Wo war das?“

In seinen Augen schien plötzlich ein Feuer zu lodern. „Venedig.“

„Venedig“, wiederholte Eve kaum hörbar. Sehnsüchtig sah sie ihn an. Eigentlich müsste sie in London bleiben und sich einen Termin bei dem Spezialisten holen, den Dr. Bartlett empfohlen hatte. Aber ihre Absage blieb Eve im Hals stecken. Sie wurde erstickt durch ihr unstillbares Bedürfnis nach Romantik, nach Zukunft – nach ihm.

„Komm mit nach Venedig“, bat Talos sie und strich mit dem Daumen über ihre Lippen. „Ich werde dir alles zeigen. Und dann“, versprach er, „wirst du mich ganz bestimmt heiraten.“

3. KAPITEL

Mit einem privaten Wassertaxi durchquerten Talos und Eve die Lagune, um vom Marco Polo Airport zu ihrem Hotel zu gelangen. Das herbstliche Sonnenlicht glitzerte auf den seichten Wellen, während sie den Markusplatz und die Seufzerbrücke passierten.

Venedig. Talos hatte nicht damit gerechnet, hierher zurückzukehren. Aber manchmal musste ein Mann eben Zugeständnisse machen, um einen guten Plan bis zum Ende durchführen zu können. Und wenn er sich zum romantischen Idioten machen musste, um Eve nach seiner Pfeife tanzen zu lassen, sollte es eben geschehen.

Sie lag in seinen Armen, und Talos blickte missmutig auf ihr Profil. Die blauen Augen leuchteten vor Erstaunen, während Eve die beeindruckenden Sehenswürdigkeiten dieser Stadt betrachtete. Genau so reagierten Männer für gewöhnlich, wenn sie Eve erblickten.

Selbst hier in diesem Wassertaxi beobachtete der italienische Skipper Eve in seinem Spiegel. Talos’ Bodyguard Kefalas saß auf der Bank hinter ihnen, und sein Blick wanderte ebenfalls öfter als nötig zu Eve.

Sie trug ein rotes Jerseykleid, das ihre Brüste extrem betonte. Ihre Haare fielen in weichen, glänzenden Wellen über die Schultern und verdeckten wenigstens einen Teil der hauchdünnen Spaghettiträger, die sich über den nackten Schultern spannten. Das Kleid endete ziemlich weit oberhalb ihrer Knie und brachte die langen, schlanken Beine gut zur Geltung. Eves zierliche Füße steckten in hochhackigen Sandaletten.

Talos konnte keinem Mann verdenken, wenn er Eve begehrlich ansah, trotzdem hätte er sie am liebsten dafür getötet. Merkwürdig, denn früher war er niemals eifersüchtig gewesen, wenn sie Aufmerksamkeit von anderen Männern bekam. Schließlich war er es gewohnt, dass er um das beneidet wurde, was er besaß.

Aber heute machte ihn allein der Gedanke daran unglaublich wütend. Vielleicht war der Unterschied, dass Eve jetzt schwanger war und er sie heiraten wollte? Natürlich handelte es sich lediglich um eine Zweckehe, die allein dazu gedacht war, sein Kind zu beschützen. Eve gegenüber empfand er nichts als Verachtung – und Verlangen, wenn er ganz ehrlich war.

Entschlossen bedachte Talos den Italiener mit einem finsteren Blick, bis dieser sich voll und ganz wieder dem Steuer widmete, dann zog Talos Eve noch etwas fester an sich. Lächelnd lehnte sie ihren Kopf an seine Brust.

„Es ist wunderschön hier.“ Ihre Augen leuchteten noch stärker als sonst. „Danke, dass du mich nach Venedig gebracht hast. Vor allem, weil diese Exkursion für dich bestimmt ziemlich ungelegen kommt.“

Er nahm ihre Hand und küsste jeden einzelnen Finger. „Nichts kommt ungelegen, solange es dir Freude bereitet.“

Trotz der recht warmen Nachmittagssonne erzitterte Eve unter seiner Berührung, und Talos gefiel das. Die Luft war salzig und frisch, und aus der Ferne hörte man Möwenschreie und gedämpfte Kirchenglocken.

„Du bist so gut zu mir“, flüsterte sie überwältigt.

Allmählich dämmerte Talos, dass Eve praktisch als jungfräulich galt, obwohl sie bereits von ihm schwanger war. Sie konnte sich nicht an ihre gemeinsamen Nächte erinnern, und auch ihr Wesen war so unbedarft und harmlos wie nie zuvor. Erstaunlicherweise reizte ihn diese Unschuld mehr, als er sich eingestehen wollte.

Die Femme fatale von einst war verschwunden, zusammen mit Eves Erinnerungen. In diesem roten Kleid mit passendem Lippenstift, edler Handtasche und sexy Schuhen sah sie zwar wieder aus wie ein arroganter, faszinierender Vamp, aber innerlich war sie vollkommen verändert. Nicht mehr so launisch und unberechenbar wie früher, sondern erfrischend naiv und freundlich.

Nur war sie längst keine Jungfrau mehr und außerdem schwanger. Und als unschuldig konnte man sie sicherlich auch nicht bezeichnen. Trotzdem, der Gedanke daran, wie dieses Baby gezeugt worden war, rief in Talos’ Kopf unerträglich heiße Bilder wach. Plötzlich glaubte er, noch einmal ihren heißen Atem auf seinem Gesicht zu spüren und ihren schlanken, nackten Körper unter seinem zu fühlen. Damals hatte er gehofft, es würde hinter ihrer oberflächlichen Fassade etwas geben, das sich zu besitzen lohnte.

Doch diese Vorstellung zerschlug sich spätestens bei dem Frühstück mit seinem Erzrivalen, der ihm Beweismaterial vorlegte, mit dem er Talos’ Milliardenunternehmen ruinieren konnte. Diesen Augenblick musste er im Geiste abrufen, sobald er schwach wurde. Immer wieder diesen fürchterlichen Augenblick.

Als Eve verträumt zu ihm hochsah, konnte Talos allerdings nur noch daran denken, wie gern er sie küssen würde. Jetzt sofort und voller Leidenschaft! Es sollte besiegeln, dass sie zu ihm gehörte, und er wollte ihre kirschroten Lippen bestrafen, bis sie um Gnade winselte …

Seine Finger gruben sich etwas fester in ihre Schulter, während er sich die gemeinsamen Tage und Nächte des Sommers in Erinnerung rief. Talos war buchstäblich süchtig nach Sex mit ihr gewesen. Eve hatte ihn viel enger an sich gebunden, als es jemals zuvor einer Frau gelungen war.

Dabei war er für gewöhnlich doch ein skrupelloser Rationalist, der sich in den Kopf gesetzt hatte, dass zu starke Emotionen zerstörerisch waren und um jeden Preis unterdrückt werden mussten.

Man durfte einer Versuchung nicht einfach nachgeben. Und auch wenn die kurze Affäre mit Eve das erregendste, erotischste Erlebnis war, das Talos sich vorstellen konnte, würde er es nicht noch einmal darauf ankommen lassen. Wenn er Eve auch nur küsste, konnte es zu leicht passieren, dass er erneut in Flammen aufging!

Irritiert beobachtete er, wie sie sich mit der Zungenspitze über die Lippen fuhr. Ihm war klar, dass auch Eve von der unübersehbaren Anziehungskraft zwischen ihnen beeindruckt war. Vor allem, weil sie nicht viel von solchen Dingen verstand. Ganz im Gegensatz zu früher. Auch wenn sie sich körperlich nicht an andere Männer verschenkt hatte, war ihr doch immer bewusst gewesen, wie sie ihre Reize einsetzen musste, um ihre persönlichen Ziele zu erreichen. Doch heute gelang es ihr offenbar nicht mehr, berechnend zu sein. Jeder Gedanke war auf ihrem engelsgleichen Gesicht deutlich ablesbar.

Gut, denn diese Waffe konnte er gegen sie benutzen. Talos wollte sie in die Ehe locken, und dazu musste er um sie werben, sie bezirzen – ihr in aller Form den Hof machen. So schnell es irgend ging, würde er sie vor den Traualtar zerren, aber auf keinen Fall durfte er wieder mit ihr im Bett landen!

Eve hielt ihr Gesicht in die helle italienische Sonne und ließ sich seufzend tiefer in Talos’ Arme sinken. Sein starker Körper stützte ihren und schenkte ihr ein wunderbares Gefühl der Geborgenheit, während die mit Kunstleder bezogene Sitzbank unter ihr durch den kraftvollen Motor des Bootes leicht vibrierte.

Tief sog sie die salzige Meeresluft ein. Eves Haut war angenehm warm und heizte sich weiter auf, je bewusster sie sich die breite, muskulöse Brust von Talos vorstellte.

Sein Lächeln, das er ihr hin und wieder schenkte, weckte die unterschiedlichsten Gefühle in ihr und brachte ihr Herz zum Rasen. Vergessen waren die trüben, verregneten Straßen von London. Sie befand sich im schönen, romantischen Italien – mit Talos und mit ihrem gemeinsamen Baby. Nachdenklich legte sie eine Hand auf ihren Unterleib. Vielleicht würde in absehbarer Zeit doch noch alles gut werden.

Das Wassertaxi wurde langsamer und legte schließlich am Steg vor einem Palazzo aus dem fünfzehnten Jahrhundert an. Beeindruckt sah Eve zu den riesigen Fenstern hoch, die der Stuckfassade den letzten gotischen Schliff verliehen.

Talos bemerkte Eves fragenden Gesichtsausdruck. „Ja, dies ist unser Hotel“, antwortete er, bevor sie eine direkte Frage formulieren konnte.

Ohne ein weiteres Wort trat sie vorsichtig auf den hölzernen Steg. Dabei dachte sie ununterbrochen daran, wie es sein würde, mit diesem Mann ein Zimmer und vor allem ein Bett zu teilen. Allein die Vorstellung brachte sie etwas aus der Fassung und Eve stolperte über eine unregelmäßige Holzplanke.

„Vorsichtig“, brummte Talos und ergriff ihren Arm, um sie zu stützen. „Du bist nach der Überfahrt noch etwas wackelig auf den Beinen.“

Die Farben und die Lichter von Venedig schienen hinter seinem breiten Rücken zu verblassen. „Ja, damit hast du bestimmt recht“, erwiderte sie mit erstickter Stimme.

Hinter ihnen bezahlte Kefalas den Fahrer des Taxis und kümmerte sich um das Gepäck, aber Eve hatte nur Augen für Talos.

„Haben wir eigentlich getrennte Zimmer?“, erkundigte sie sich so beiläufig wie möglich, doch er schüttelte nur langsam den Kopf.

„Ich werde dich nicht mehr aus den Augen lassen.“ Dann trat Talos einen Schritt auf sie zu, und es kostete Eve ihre gesamte Willenskraft, um nicht auszuweichen. Sein Kuss fühlte sich auf ihrer Schläfe federleicht an. „Oder aus meinen Armen.“

Er verschränkte seine Finger mit ihren und zog Eve hinter sich her bis hinauf zum Palasthotel, wo sie bereits vom übereifrigen Personal erwartet wurden.

Staunend durchquerte sie die exquisite Lobby, vorbei an vergoldeten Torbögen und geschwungenen Treppen, und merkte langsam, dass sich buchstäblich jeder anwesende Mann interessiert nach ihr umsah.

Sie fand diese Situation beinahe komisch, wenn ihr all die Aufmerksamkeit nicht so unangenehm gewesen wäre. Warum starrte jeder hier sie an? Was stimmte denn nicht mit ihr?

Eine Gruppe italienischer Geschäftsleute verhielt sich sogar richtig unhöflich, indem sich die Männer gegenseitig vielsagend in die Rippen boxten. Dann bewegten sie sich sogar direkt auf Eve zu, bis einer von ihnen Talos an ihrer Seite bemerkte und alle sofort stehen blieben. Eve schnappte ein paar gemurmelte Komplimente auf und fühlte sich plötzlich unsicher und verletzlich. Irgendwie bloßgestellt.

Dankbar atmete sie auf, als Talos einen Arm um sie legte und sie auf schnellstem Wege zu den Fahrstühlen brachte. Das klackende Geräusch ihrer Stilettos auf dem glänzenden Marmorboden klang selbst für ihre eigenen Ohren aufdringlich laut. Winzige Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn, und dann dämmerte es Eve: ihr Kleid.

Das kleine rote Kleid aus dem Schrank in Buckinghamshire. Verglichen mit dem Rest der unbekannten Garderobe kam es Eve verhältnismäßig dezent vor, eben schlicht geschnitten und bequem. Ein enges Sommerkleid aus Stretchstoff. Und in den hochhackigen Sandalen hatten ihre Zehen genug Platz, um ihr auch nach stundenlangem Tragen keine Schmerzen zu bereiten. Eine durch und durch praktische Entscheidung. Und dass sie den Lippenstift aus der Edelhandtasche ausprobiert hatte, war eher aus einer Laune heraus geschehen.

Eve hoffte, sich allmählich an diesen Stil, der ihr altes Leben bestimmt hatte, zu gewöhnen, doch es gelang ihr einfach nicht. Vielleicht musste sie sich auch nur mehr Zeit geben.

Vor allem hatte sie unterschätzt, wie ihr Schwangerschaftsbusen den Ausschnitt des Kleids zum Bersten bringen würde. Es sah zwar unheimlich sexy aus, aber eben auch gewollt. Und um auf den hohen Absätzen einigermaßen sicher laufen zu können, schwangen Eves Hüften bei jedem Schritt reizvoll von rechts nach links.

Letztendlich war ihr Outfit also alles andere als dezent. Ihr Äußeres schrie praktisch nach männlicher Aufmerksamkeit, und mittlerweile gab es keinen Zweifel mehr daran, dass Eve tatsächlich im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses stand.

Als sich die Fahrstuhltüren hinter ihnen schlossen, seufzte Eve auf. Bestimmt hielten sie alle für eine Edelprostituierte! Und jetzt war sie auch noch mit Talos allein.

In der edlen Penthousesuite wurde Eve für einen Moment von der beeindruckenden Ausstattung abgelenkt. Die Decken waren mit Fresken bemalt und wurden von massiven Kronleuchtern illuminiert. An den Wänden hingen alte Gemälde, der offene Kamin war in Marmor eingefasst, und dicke Brokatvorhänge umrahmten den gläsernen Durchgang zu einer großen Veranda mit Blick auf den Kanal.

Zur Suite gehörten ein geräumiges Wohnzimmer und ein Schlafzimmer, in dem allerdings nur ein einziges Himmelbett stand. Eve konnte ihren Blick nicht mehr davon abwenden.

„Wollen wir essen gehen?“, schlug Talos hinter ihr vor.

Mit hochrotem Kopf wirbelte sie herum.

„Essen gehen? Du meinst Dinner? Jetzt?“, stammelte sie und schüttelte heftig den Kopf. Für heute war sie von genügend Leuten angestarrt worden. „Ich würde lieber nicht ausgehen.“

„Perfekt“, lenkte er ein. „Dann bleiben wir eben hier.“

Nervös ging Eve zum Fenster und fühlte sich im Herzen wie ein unberührter Teenager. Schließlich erinnerte sie sich nicht an den Sex mit Talos, aber sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie sinnlich und ekstatisch er gewesen sein musste! Während sie draußen die anderen Hotels, Palazzi und Boote betrachtete, fühlte sie, wie er ihr ganz behutsam eine Hand auf die Schulter legte.

„Sind wir beim letzten Mal auch in diesem Hotel gewesen?“, wollte Eve wissen. „Haben wir uns hier getroffen?“

„Ich bin hier allein abgestiegen“, sagte er ruhig. „Du wolltest nicht mit auf meine Suite kommen.“

Verwundert fuhr sie herum. „Nicht?“

„Ich habe versucht, deine Meinung zu ändern.“ Mit dem Handrücken strich Talos ihr über die Wange, und Eve atmete den herben, männlichen Duft seiner Haut ein. „Doch du hast mir widerstanden.“

„Wirklich?“, stieß sie hervor, und der schöne Grieche lachte laut auf.

„Du hast mich dazu gezwungen, dir nachzujagen. Härter und länger, als ich jemals einer Frau nachgestellt habe. In dieser Hinsicht wird dir niemals jemand das Wasser reichen können.“

Als Talos von ihr abließ, ging Eves Atem nur noch stoßweise. Er war vielleicht gute zehn Jahre älter als sie, und doch kam es ihr so vor, als wäre er dreimal so stark und etwa tausend Mal so erfahren.

Plötzlich wurde Eves Hals enger, und es erschien ihr unmöglich, abgeschieden in dieser romantischen Suite mit Talos allein zu bleiben. „Ich habe mich anders entschieden“, platzte sie heraus. „Lass uns zum Essen weggehen!“ Das Gefühl, gegen Talos nicht bestehen zu können, verunsicherte Eve zutiefst.

„Dann hast du ja doch Hunger“, sagte er lächelnd und holte ihren weißen Mantel.

Seufzend warf Eve einen letzten Blick auf das einladende Himmelbett und hatte das Gefühl, vom Regen in die Traufe zu kommen – ganz gleich, was sie tat.

4. KAPITEL

Die Sonne neigte sich nun endgültig gen Horizont und tauchte die Lagune vor Venedig in leuchtend orangerotes Licht, begleitet von einer kühlen Herbstbrise. Leichter Nebel zog von der Wasseroberfläche auf, und Talos ergriff Eves Hand.

Ihre Handflächen pressten sich gegeneinander und erzeugten eine Wärme, die sich über Eves ganzen Körper ausbreitete. Unwillkürlich stellte sie sich vor, wie ihre Körper Haut auf Haut lagen, wie sie einander liebkosten …

Heimlich beobachtete sie den Mann an ihrer Seite. In seinem schwarzen Wollmantel, der sich gegen sein weißes Hemd und die tief gebräunte Haut abhob, sah er wirklich unverschämt gut aus. Vielleicht war sein Anblick für Eve noch zu ungewohnt, aber jedes Mal, wenn ihr Blick auf ihn fiel, brachte sie das für einen Sekundenbruchteil außer Fassung.

Zwei Männer schoben sich an ihnen vorbei, und Eve vernahm einen leisen, anerkennenden Pfiff. In diesem Moment wurde ihr klar, dass ihr modischer Trenchcoat das knallrote Kleid vollständig verbarg. Vermutlich sah es aus, als würde sie gar nichts darunter tragen!

Verlegen biss sie sich auf die Unterlippe. „Vielleicht sollten wir ein Wassertaxi nehmen?“

„Das Restaurant ist hier ganz in der Nähe. Gegenüber von diesem Platz.“ Er nahm ihre Hand und legte sie auf seinen Arm. „Komm!“

Der Anblick, wie die Sonne über dem Canal Grande unterging, war unbeschreiblich romantisch. Trotzdem gelang es Eve nicht, sich zu entspannen. Allmählich wurden die hochhackigen Schuhe doch unbequem, aber das war nicht ihr größtes Problem. Die musternden Blicke aller möglichen Männer hörten einfach nicht auf, und inzwischen reagierte Talos wie ein Raubtier, das seine Beute verteidigen wollte. Wütend sah er die Rivalen an und gab ihnen deutlich zu verstehen, dass ihre Aufmerksamkeit unerwünscht war.

Eve kam sich vor wie eine hilflose Maus in einer Schlangengrube. Alles war so ungewohnt für sie, vor allem die Tatsache, dass ihnen ein Bodyguard in diskretem Abstand überall hin folgte. Doch angesichts des allgemeinen Interesses, das Talos und ihr entgegenschlug, wusste sie diese kleine Sicherheitsmaßnahme durchaus zu schätzen.

„Mir gefällt das nicht, ständig so angesehen zu werden“, gab sie mit leiser Stimme zu und klammerte sich etwas fester an Talos’ Arm. An dem ironischen Zug um seinen Mund erkannte sie, dass er ihr nicht glaubte.

Ich muss mir dringend andere Kleidung besorgen, sagte sich Eve und machte eine gedankliche Notiz.

Wenig später nahmen sie an einem der besten Tische des überfüllten Restaurants Platz, dessen weitläufige Terrasse einen herrlichen Blick auf das Wasser bot. Talos und Eve teilten sich ein exquisites Meeresfrüchterisotto, gefolgt von zartem Tiramisu, doch Eve war hauptsächlich damit beschäftigt, seinem intensiven Blick auszuweichen. Plötzlich fiel ihr in der Ferne eine weiße, hell angestrahlte Kirche auf.

„Das ist Santa Maria della Salute“, erklärte Talos gleichmütig. „Beim letzten Mal hat sie dir außerordentlich gut gefallen.“

„Beim letzten Mal?“

„Kannst du dich eventuell an dieses Restaurant erinnern?“

„Sollte ich das denn?“, fragte Eve zaghaft.

Das flackernde Kerzenlicht spiegelte sich in seinen Augen. „Hier hatten wir unser erstes Date.“ Spontan griff er über den Tisch nach ihrer Hand. „Ich bin so froh, dich wiedergefunden zu haben. Es ist schön, dass wir beide wieder hier sind.“

Mit einer Hand bedeckte Eve ihre Augen. Sie konnte kaum glauben, wie lieb und geduldig Talos mit ihr war. „Ich muss dir fürchterlich auf die Nerven gehen“, seufzte sie.

„Warum sagst du so etwas?“

Mit Tränen in den Augen sah sie auf. „Weil ich mich nicht an dich erinnern kann. Du bist mein Liebhaber, der Vater meines Kindes, und du bemühst dich so sehr um mich. Aber das ist alles zwecklos, weil meine Erinnerung mich einfach im Stich lässt!“

Lautlos rannen die Tränen Eves Wangen hinunter, und um eine peinliche Szene zu vermeiden, stand sie mit einer gemurmelten Entschuldigung auf und verschwand in den Waschräumen.

Als sie wenig später gefasst wieder zu Talos zurückkehren wollte, wartete dieser bereits vor der Tür auf sie und half ihr in den Mantel. „Ist schon gut“, murmelte er und küsste ihre Stirn. „Du musst dich ein wenig beruhigen. Der Stress ist nicht gut für das Baby.“

„Vielleicht sollte ich nach London zurückkehren und mit diesem Spezialisten sprechen, den Dr. Bartlett empfohlen hat“, überlegte Eve laut.

„Nein“, widersprach Talos etwas zu eilig und räusperte sich schnell. Dann legte er eine Hand unter Eves Kinn und sah ihr tief in die Augen. „Du brauchst keinen Arzt, nur etwas Zeit für dich. Viel Ruhe und vor allem jemanden, der sich um dich kümmert. Mich. Ich werde das Gedächtnis für uns beide sein. Heirate mich, Eve! Lass uns zusammen glücklich werden!“

Eve spürte eine angenehme Wärme, als er sie sanft berührte und sie seinem Blick begegnete. Hinter Talos erkannte sie den riesigen Markusplatz, und die Atmosphäre um sie herum konnte man nur als magisch bezeichnen. Die meisten Touristen waren in der diesigen Nacht verschwunden, und Eve wünschte sich von ganzem Herzen, dass Talos sie nun küsste. Sie waren allein, und die Umgebung war perfekt. Er senkte den Kopf, beugte sich leicht vor, sie spürte seinen Atem …

Und plötzlich wandte sie sich ab. Eves Atem ging stoßweise, und Talos sah sie verwundert an.

„Was ist los mit dir, Eve?“, fragte er. „Warum bist du so hastig zurückgewichen?“

„Ich weiß nicht.“ Hilflos schluckte sie ein paar Mal. „Ich wollte dich auch küssen, aber aus irgendeinem Grund hatte ich schreckliche Angst.“

Sein Lachen klang knochentrocken und wurde vom dunkel glänzenden Wasser als Echo zurückgeworfen. „Kein Wunder!“

„Wie meinst du das?“

Anstelle einer Antwort küsste er die Innenseiten ihrer Hände. „Dieses Feuer könnte uns beide erfassen und fortreißen“, flüsterte er und bedeckte auch ihre Handrücken mit federleichten Küssen. „Wenn ich deine Lippen berühre, kann es leicht passieren, dass ich nie wieder aufhöre.“

Zu ihrer anfänglichen Angst mischten sich neue Gefühle: Erregung, Leidenschaft, Neugier. Talos’ Gesicht war so rätselhaft düster unter dem Nachthimmel Venedigs.

„Komm“, sagte er und hakte Eve bei sich unter. „Es ist spät. Zeit für uns, ins Bett zu gehen.“

Ihre Knie zitterten schon allein bei der Vorstellung daran, sich ein Bett mit Talos zu teilen. Natürlich war er unfassbar sexy, aber Eve fühlte sich von seiner Erwartungshaltung eingeschüchtert. Immerhin wollte er sie unbedingt heiraten. Ein traumhaft schöner, erfolgreicher griechischer Geschäftsmann wollte mit ihr vor den Altar treten, und Eve fragte sich allmählich, warum sie diese Gelegenheit nicht beim Schopfe packte.

Wieso kann ich mich nicht wenigstens von ihm küssen lassen? überlegte Eve. Warum steht ausgerechnet mein eigener Körper mir dabei im Weg?

Als sie schließlich wieder ihr gemeinsames Penthouse betraten, verschwand Eve sofort im Bad, um sich bettfertig zu machen. Talos hatte ihr eines seiner Schlafanzugoberteile geliehen, denn damit fühlte sie sich wesentlich wohler als mit den ultrakurzen, sexy Negligés, die sie in ihrer eigenen Garderobe vorgefunden hatte.

„Früher hast du immer nackt geschlafen“, bemerkte Talos provokativ, als Eve wenig später etwas verlegen vor ihm stand.

„Nun, ja …“ Ihr fehlten die Worte.

„Nimm du ruhig das Bett“, sagte Talos und beendete damit Eves Qualen – oder verursachte er damit neue?

Einerseits war sie erleichtert, dass er ihren unausgesprochenen Wunsch nach Abstand respektierte, andererseits erschreckte sie der plötzlich stark abgekühlte Ausdruck in seinen Augen. „Ich habe noch eine Menge Arbeit zu erledigen, und ich will dich nicht stören. Deshalb schlafe ich lieber gleich auf der Couch.“

Nachdem sie so lange daran gearbeitet hatte, sich auf die gemeinsame Nacht mit Talos einzustellen, fühlte Eve sich um ihre eigene Courage betrogen. Er behandelte sie ja beinahe, als wäre sie lediglich sein Gast. Unsicher musterte sie zuerst seine hochgewachsene, muskulöse Gestalt und anschließend das elegante Sofa.

„Da wirst du nicht draufpassen“, gab Eve zu bedenken.

„Das geht schon.“ Er wandte sich ab. „Du und das Baby, ihr beide braucht jetzt dringend Erholung.“ Kurz bevor er den Raum verließ, blieb er in der Tür stehen. „Gute Nacht.“

Dann schaltete er den Kronleuchter über dem Bett aus, und so blieb nur die gedämpfte Nachttischlampe als einzige Lichtquelle übrig. Eve schlüpfte ergeben unter die Decke und bemühte sich, zur Ruhe zu kommen. Sie vermisste Talos’ Wärme und fühlte sich einsam und miserabel.

Vergeblich versuchte Eve, eine bequeme Schlafposition zu finden. Immer wieder drehte sie den Kopf in ihrem weichen Kissen hin und her. Wie es sich wohl angefühlt hätte, Talos zu küssen? So sehr sie sich bemühte, dieses Bild wurde sie nicht wieder los.

Hat meine Angst mich davon abgehalten? fragte sie sich. Aber wovor fürchte ich mich denn? Talos ist so wundervoll zu mir: geduldig, rücksichtsvoll und vernünftig. Wir werden Eltern! Und er will mich heiraten. Wo ist also das Problem?

Sie war es sich selbst, ihm und vor allem ihrem gemeinsamen Kind schuldig, sich ihre Erinnerungen zurückzuholen. Ab morgen würde sie tapfer sein und dafür kämpfen, dass sie alle eine gemeinsame Zukunft hatten. Das schwor sich Eve, bevor ihr die Augen zufielen. Morgen würde sie sich küssen lassen …

Als Talos am nächsten Morgen erwachte, war Eve verschwunden. Ruckartig drehte er sich auf dem Absatz um und durchsuchte die Suite, nachdem er das Bett leer vorfand. Dabei fiel ihm auf, dass Eve die Tagesdecke ordentlich über dem Oberbett und den Kissen ausgebreitet und gerichtet hatte.

Sie machte das Bett selbst?

Dann plötzlich entdeckte er den kleinen Zettel, den sie neben dem Bettpfosten platziert hatte: Bin einkaufen und bald wieder zurück.

Erleichtert atmete er auf. Demnach hatte sie ihre Erinnerung noch nicht zurückerlangt und war einfach geflohen, um ihm aus dem Weg zu gehen. Doch selbst für diesen Fall hatte Talos vorgesorgt und Kefalas beauftragt, ein Auge auf Eve zu haben.

Sie war also einkaufen. Talos verzog den Mund zu einem verächtlichen Lachen. Offenbar hatte sie sich nicht so stark verändert, wie es auf den ersten Blick den Anschein machte.

Gähnend streckte er sich und sah an seinem nackten Oberkörper hinunter. Die Beine steckten in den Schlafanzughosen, die zu Eves Oberteil gehörten. Diese Vorstellung hatte Talos die halbe Nacht wach gehalten: dass sie beide sich ein und denselben Schlafanzug teilten. Dies und die Tatsache, dass er durch die geschlossene Tür fast ihren Atem hören konnte. Ihr so nah zu sein, ohne sie anfassen zu dürfen, war pure Folter gewesen.

Beim letzten Mal, als sie zusammen eine Nacht verbrachten, schliefen sie im gleichen Bett.

Mit gespreizten Fingern fuhr Talos sich durch die Haare. Einen ganzen Tag lang den devoten Lebensgefährten zu spielen, war wahnsinnig anstrengend gewesen. Aber die ganze Nacht lang auf dem Sofa zu bleiben und Eve nicht zu verführen, hatte Talos beinahe um den Verstand gebracht.

Er hasste sich selbst für diese Schwäche.

Bis drei Uhr morgens hatte er E-Mails beantwortet und lange Telefonate mit Sydney geführt. Bis zur totalen Erschöpfung hatte er Papiere durchgearbeitet, damit ihm die Augen zufielen, bevor er auf dumme Gedanken kam. Doch selbst im Schlaf blieb er nicht verschont, sondern wurde von erregenden Träumen geplagt, in denen Eve die Hauptrolle spielte.

Um wieder einen klaren Kopf zu bekommen und seine verspannten Muskeln zu lockern, gönnte Talos sich eine ausgiebige, heiße Dusche.

Er hatte Eve von Beginn an als oberflächlich und selbstsüchtig kennengelernt, und jetzt reizten ihn die krassen Widersprüche in ihrem Verhalten seit dem Unfall. Was war aus dieser verwegenen, jungfräulichen Verführerin geworden? Aus der hinreißenden Schönheit, die ihm nie Fragen gestellt oder Einzelheiten von sich preisgegeben hatte? Anders als die meisten Frauen schien Eve Sex auch ohne irgendwelche emotionalen Verwicklungen genießen zu können.

Das gefiel Talos besonders gut. Wenn sie neben ihm im Bett lag und er sie zu einem pulsierenden Orgasmus lockte, leuchtete in ihren Augen eine kostbare Verletzlichkeit, die nur äußerst selten zum Vorschein kam. In ihrer Seele musste es mehr geben als das, was er kannte. Irgendein Geheimnis, das es zu lösen galt.

Jedenfalls hatte er das geglaubt, bis Eve eines Tages aus seinem Bett stieg und zu seinem Safe schlich, um kompromittierende Finanzunterlagen zu stehlen und diese Jake Skinner bei einem romantischen Frühstück auszuhändigen.

Über Nacht halbierte sich der Aktienwert der Xenakis Group, und Talos hätte um ein Haar seine Firma verloren. Allein der Umstand, finanziell in der Lage zu sein, den Kurs aus eigener Tasche zu stabilisieren, hatte seine Existenz und obendrein unzählige Arbeitsplätze gerettet.

Talos fluchte leise. Wie immer, wenn er an dieses dunkle Kapitel seiner Karriere dachte. Und trotz alledem begehrte er Eve mehr als jede andere Frau auf diesem Erdball. Es fiel ihm schwer, gegen seine Lust anzukämpfen, die sich zu seinem Unmut noch mit anderen Gefühlen mischte … Am liebsten hätte er jeden einzelnen Italiener, der es wagte, einen zweideutigen Blick in Eves Richtung zu werfen, eigenhändig in den Kanal geworfen.

Ein Faustkampf zwischen zwei Männern kam ihm im Vergleich zu den inneren Dämonen, gegen die er sich zur Wehr setzen musste, wie ein Picknick vor. Zudem war es eine beinahe unlösbare Aufgabe, das Objekt seiner Begierde und Abneigung lächelnd zum Altar zu führen.

Mit geballten Fäusten trat Talos aus der Dusche, griff nach einem Badehandtuch und ging ins Schlafzimmer hinüber, um sich anzuziehen.

Plötzlich kam ihm ein verwegener Gedanke. Was wäre so schlimm daran, der Versuchung einfach nachzugeben? Warum nahm er sich nicht, was er so dringend wollte? Dann konnte er sich an Eve berauschen, bis er ihrer überdrüssig war.

Wie bei einem guten Scotch.

Zum ersten Mal hatte Talos einen teuren Single Malt gekostet, als er mit neunzehn Jahren gerade in New York angekommen war. Seine Arbeit in Athen für einen amerikanischen Geschäftsmann war außerordentlich erfolgreich, aber dies war ein neues Land – eine ganz andere Welt.

Eine halbe Stunde lang wartete er in Dalton Hunters Büro und wurde von Minute zu Minute nervöser. Schließlich schenkte er sich zur Beruhigung ein Glas aus der bräunlichen Karaffe ein, die auf einem Silbertablett in der Zimmerecke stand. Er hatte gerade den ersten köstlichen Schluck genommen, als er Dalton in der Tür bemerkte, der ihn schweigend beobachtete.

Autor

Jennie Lucas

Jennie Lucas wuchs umringt von Büchern auf! Ihre Eltern betrieben einen kleinen Buchladen und so war es nicht weiter verwunderlich, dass auch Jennie bald deren Leidenschaft zum Lesen teilte. Am liebsten studierte sie Reiseführer und träumte davon, ferne Länder zu erkunden: Mit 17 buchte sie ihre erste Europarundreise, beendete die...

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Claire Baxter ist in Warwickshire England aufgewachsen und arbeitete, wie manch andere Autoren auch, in vielen anderen Bereichen, bevor sie genau wusste, was sie wollte: Liebesromane schreiben. Sie arbeitete unter anderem als persönliche Assistentin, Übersetzerin für Französisch, PR-Beraterin und im Kommunikationsmanagement.
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