Romana Exklusiv Band 346

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VERFÜHRERISCHES SPIEL AUF MENORCA von PENNY ROBERTS
Sie soll den Hotelier Lorenzo Velásquez heiraten? Isabel bleibt keine andere Wahl, wenn sie ihr geliebtes Strandcafé auf Menorca nicht verlieren will. Während sie die liebende Ehefrau spielt, erwachen bald leidenschaftliche Gefühle in ihr. Doch was empfindet Lorenzo?

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  • Erscheinungstag 11.03.2022
  • Bandnummer 346
  • ISBN / Artikelnummer 9783751510752
  • Seitenanzahl 512
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Penny Roberts, Sandra Marton, Sharon Kendrick

ROMANA EXKLUSIV BAND 346

1. KAPITEL

Wie kann sie nur! Wütend schüttelte Lorenzo Velásquez den Kopf und trat das Gaspedal noch weiter durch. Sein Mercedes Cabrio nahm an Fahrt auf. Heiraten? Ausgerechnet ich?

Tief atmete er durch, während der Fahrtwind ihm das kurze schwarze Haar zerzauste. Die graublauen Augen hinter einer dunklen Sonnenbrille verborgen, ließ er den Blick hin und her schweifen, und das, was er sah, hätte wohl jeden anderen Menschen verzückt: Verschwiegene Buchten mit weißem Sandstrand und tiefblauem Wasser, umgeben von schroffen Felsen, wechselten sich ab mit kleinen Ortschaften mit weiß getünchten Häusern und lichten Pinienwäldern, die sich sanft in der Mittelmeerbrise wiegten. Auf Menorca war, wenn man den Reiseführern glauben konnte, die Welt noch in Ordnung. Anders als auf Mallorca, wo sich Lorenzos Hauptwohnsitz befand, hatte der Massentourismus hier noch keinen Einzug gehalten.

Doch Lorenzo konnte sich an der mediterranen Idylle generell nicht erfreuen – aber ganz besonders nicht heute. Und das war einzig und allein Inés’ Schuld. Inés! Unwillkürlich kniff Lorenzo die Augen zusammen. Der Gedanke an seine Tante nahm ihm fast die Luft zum Atmen. War sie sich überhaupt darüber im Klaren, was sie da von ihm verlangte?

Er drosselte seine Fahrgeschwindigkeit, als er die kleine Ortschaft Cala Tirant erreichte, und ließ seinen Wagen kurz darauf neben einem kleinen Lokal ausrollen. Das war es also – das Café del Playa. Das einstöckige Gebäude verfügte über Sitzplätze im Innern, doch das Herzstück des Lokals war sicher die große Terrasse, die oberhalb der Bucht auf einem Felsvorsprung thronte.

Es war ein hübsches kleines Café, das sich, wie er wusste, nicht nur bei den Touristen großer Beliebtheit erfreute. Auch Einheimische kamen aufgrund der hervorragenden Kaffeespezialitäten und Gebäcke aus eigener Herstellung regelmäßig hierher, sodass es dort auch außerhalb der Saison ausreichend zu tun gab. Das Problem war nur: Es befand sich einfach an der falschen Stelle!

Genau aus diesem Grund war Lorenzo gleich nach seiner Ankunft auf der Insel hierher gefahren, um endlich selbst mit der Frau zu sprechen, die seinen Plänen nun schon seit Wochen im Weg stand, indem sie sich vehement weigerte, einen Verkauf des Cafés auch nur in Betracht zu ziehen. Dabei wusste er genau, dass sie es sich gar nicht leisten konnte, so stur zu sein.

Er kannte die genauen Hintergründe nicht, und sie waren ihm auch völlig egal. Fest stand, dass der Gerichtsvollzieher in den vergangenen vier Wochen schon drei Mal bei ihr vor der Tür gestanden hatte. Sie steckte ganz offensichtlich in großen finanziellen Schwierigkeiten, und wenn kein Wunder geschah, würde sie schon sehr bald ohnehin alles verlieren.

Trotzdem hatte sie jedes seiner Kaufangebote bislang zurückgewiesen und seine Anwälte zum Teufel gejagt. Ärgerlich verzog er die Miene. Musste er jetzt eigentlich alles selbst machen? Konnte er sich denn auf niemanden mehr verlassen?

Lorenzo stieg aus und nahm seine Sonnenbrille ab. Dann ließ er den Blick langsam über die Bucht schweifen. Noch war das Gelände um das Café herum unbebaut, aber in seiner Vorstellung sah er es bereits vor sich: Zwei hohe Türme, in deren Glasfronten sich der makellos blaue Himmel spiegelte. Weitläufige Pools, gesäumt von Palmen und Orangenbäumen. Tausende von Touristen würden hier Ruhe und Erholung finden, natürlich zu entsprechenden Preisen.

Doch bevor es dazu kommen konnte, musste zunächst einmal das Problem mit der Besitzerin des Cafés, einer gewissen Isabel Culbraith, gelöst werden.

Unwillig schüttelte er den Kopf. Diese Angelegenheit durfte nicht weiter hinausgezögert werden, von welcher Seite auch immer, dazu war sie ihm einfach zu wichtig. Lorenzo brauchte den Platz dringend, denn direkt neben dem Café wollte er einen großen Hotelkomplex bauen. Und dort, wo sich jetzt noch das Lokal befand, sollte eine große Parkanlage samt Poollandschaft entstehen. Es ging um sehr viel Geld und für ihn selbst um noch viel mehr als das. Das Hotel, das hier entstehen sollte, besaß für ihn auch einen ideellen Wert. Nicht zuletzt würde er es auch für seine Eltern errichten.

Momentan beschäftigte ihn allerdings noch ein ganz anderes Problem. Was hatte Tante Inés da bloß wieder ausgeheckt? Wie konnte sie nur die Dreistigkeit besitzen, von ihm so etwas zu verlangen? Eine Familie zu gründen – ausgerechnet er! Das Beispiel seiner Eltern hatte ihm anschaulich vor Augen geführt, wohin es führte, wenn zwei freiheitsliebende Menschen sich von der Institution Ehe aneinanderketten ließen. Wie musste eine solche Farce dann erst enden, wenn einer der beiden Partner nicht mit ganzem Herzen bei der Sache war?

Doch so bitter es auch für ihn sein mochte – er musste sich eingestehen, dass Inés die Zügel in der Hand hatte. Sie konnte praktisch alles von ihm fordern. Denn wenn er dem nicht nachkam, verlor er das, worauf er nun schon so lange wartete, endgültig und unwiderruflich …

Doch ganz gleich, wie drängend diese Sache auch sein mochte – nun musste er sich erst einmal um diese Mrs. Culbraith kümmern.

Er ging gerade auf das Café zu, als sein Handy klingelte. Er zog es aus seiner Hosentasche, und ein flüchtiger Blick aufs Display verriet ihm, dass es sich bei dem Anrufer um seinen Anwalt Ricardo del Reyes handelte. Sofort nahm er das Gespräch an.

, wie sieht’s aus?“, kam er gleich zur Sache. „Haben Sie gute oder schlechte Neuigkeiten für mich?“ Das Schweigen am anderen Ende der Leitung war ihm fast schon Antwort genug.

Doch dann räusperte del Reyes sich. „Nun, sowohl als auch.“

„Dann fangen Sie mit den schlechten an!“

„Ich fürchte, es gibt keinerlei rechtliche Handhabe, gegen die Forderung Ihrer Tante vorzugehen“, erklärte der Anwalt. „Sie ist nun einmal die Hauptanteilseignerin von Nuñez Hoteles, und niemand kann ihr vorschreiben, was sie mit ihren Anteilen tut oder lässt.“

Lorenzo runzelte die Stirn. „Das bedeutet, sie kann mich tatsächlich zwingen, auf ihre Bedingungen einzugehen?“

Supuesto, no! Natürlich nicht. Jedoch steht es ihr frei, ihre Firmenanteile an eine dritte Person weiterzugeben, sollten Sie sich dagegen entscheiden.“

„Maldición!“, fluchte er. „Das darf einfach nicht wahr sein!“ Er atmete tief durch. „Und die guten Nachrichten?“

„Nun, es gibt da einige Unklarheiten in den Dokumenten, die Ihre Tante Ihnen zur Unterschrift vorgelegt hat.“

„Unklarheiten?“ Lorenzo zog eine Braue hoch. „Können Sie das auch ein bisschen genauer beschreiben?“

Sí, claro. In einigen Punkten könnten die Forderungen Ihrer Tante kaum eindeutiger sein: Sie verlangt, dass Sie innerhalb eines festgesetzten Zeitraums von zwei Jahren heiraten und es in dieser Verbindung ein Kind geben muss. Jedoch …“

„Ja?“ Nun wurde es für Lorenzo langsam interessant. „So spannen Sie mich doch nicht so auf die Folter, Ricardo!“

„Nun, ich habe die Papiere noch einmal von einem unabhängigen Gutachter prüfen lassen, und er ist zu demselben Ergebnis wie ich gekommen: Von einem Fortbestand der Ehe oder gar einem leiblichen Nachkommen ist darin keineswegs die Rede.“

Lorenzo stutzte. „Soll das etwa heißen …?“ Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Konnte es wirklich sein, dass seiner sonst mit allen Wassern gewaschenen Tante ein solcher Fauxpas unterlaufen war? Er vermochte es kaum zu glauben – und doch … „Wir unterhalten uns später darüber“, sagte er. „Ich habe im Augenblick andere Dinge zu erledigen. Erwarten Sie meinen Anruf heute Abend so gegen sechs.“

Mit diesen Worten unterbrach er die Verbindung und betrat das Café del Playa.

Die Kühle innerhalb des Gebäudes war nach der sengenden Sommerhitze mehr als angenehm. Lorenzo nahm seine Sonnenbrille ab, doch seine Augen brauchten noch ein paar Sekunden, um sich an die geänderten Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Was er dann sah, gefiel ihm ausgesprochen gut.

Die Einrichtung war in gedeckten Farben wie Mocca, Creme und Cappuccino gehalten, das leuchtende Türkisblau der Vorhänge und Klubsessel bildete dazu einen angenehm frischen Kontrast. Überall hingen Bilder, die Motive aus der Umgebung zeigten: den Sonnenuntergang über der Bucht von Mahón, die Steineichen auf dem El Toro, dem höchsten Berg Menorcas. Die Rückwand der Bar bestand aus indirekt von hinten beleuchteten wasserblauen Glasbausteinen. Hinter dem Tresen stand eine junge Frau, die gerade Milchschaum zubereitete und sogleich sein Interesse weckte.

Was für ein hinreißendes Wesen! Hellblondes Haar umschmeichelte ein alabasterfarbenes herzförmiges Gesicht mit sanft geschwungenen Lippen und den aufregendsten grünen Augen, in die Lorenzo jemals geblickt hatte. Zumindest was die Auswahl ihrer Angestellten anging, traf Isabel Culbraith ganz eindeutig seinen Geschmack. „Buenos días, señor!“ Die junge Frau schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. „Herzlich willkommen im Café del Playa. Was kann ich für Sie tun?“

Er breitete die Arme aus. „Aber, aber. Ein bezauberndes Geschöpf wie Sie sollte einem Mann niemals eine solche Frage stellen“, erklärte Lorenzo mit einem anzüglichen Blick. Sein offensives Vorgehen kam nicht bei allen Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts gut an. Doch für die allzu Empfindsamen unter ihnen oder gar für Emanzen hatte er ohnehin nichts übrig.

Die hübsche Blondine quittierte seine Worte mit einem anerkennenden Lächeln. „Sie scheinen sich Ihrer Sache ja ganz schön sicher zu sein.“

„Das verdenken Sie mir hoffentlich nicht“, entgegnete er süffisant. „Bei einer Schönheit wie Ihnen muss ein Mann einfach sein Glück versuchen.“

Sie zuckte die Schultern. „Das haben schon viele vor Ihnen probiert – tun Sie sich also keinen Zwang an.“

„Also bin ich für Sie nur einer von vielen?“ Theatralisch griff er sich ans Herz. „Das trifft mich tief, Señorita.“

Damit brachte er sie nun endlich zum Lachen. „Das kann ich natürlich nicht verantworten. Außerdem finde ich, dass so viel Unerschrockenheit belohnt werden sollte. Was darf ich Ihnen bringen? Das erste Getränk geht auf Kosten des Hauses, Señor …?“

„Velásquez, Lorenzo Velásquez. Ich bin eigentlich nicht hier, um Kaffee zu trinken, so angenehm das in Ihrer Gesellschaft auch sein mag, sondern um mit der Besitzerin dieses schönen Lokals zu sprechen. Deshalb wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie Ihre Chefin rufen würden, Señorita.“

„So.“ Die Miene seines sexy Gegenübers verfinsterte sich schlagartig. „Nun, Sie haben die Inhaberin des Café del Playa bereits gefunden, Señor. Ich bin Isabel Culbraith, und mir gehört dieses Café.“ Aus zusammengekniffenen Augen blickte sie ihn an. „Auch wenn Sie es mir offenbar wegnehmen wollen!“

2. KAPITEL

Lorenzo Velásquez hatte sich also höchstpersönlich hierherbemüht! Isabel war entsetzt. So hatte sie sich diesen Mann nicht vorgestellt. In ihrer Fantasie war er zum abscheulichen Unhold aus einem jener Märchen geworden, die sie Louis abends vor dem Zubettgehen vorlas. Keine besonders realistische Einschätzung, wenn sie ganz ehrlich sein wollte.

Sie musste zugeben, dass Velásquez recht gut aussah. Nein, mehr als das. Sie konnte sich jedenfalls nicht daran erinnern, jemals einem attraktiveren Mann begegnet zu sein. Pechschwarzes, leicht gewelltes Haar umrahmte ein markantes Gesicht mit einer prominenten Nase und überraschend hellen, graublauen Augen. Er besaß den dunklen Teint eines Südländers und benahm sich auch wie ein solcher. Deshalb hatte sein Äußeres sie auch nicht vollends geblendet.

Isabel lebte schon lange auf Menorca. Sie war daran gewöhnt, sich Machosprüche anhören zu müssen. Was jedoch nicht bedeutete, dass sie ihr unbedingt gefielen. Und Lorenzo Velásquez’ Auffassung von einem Flirt hatte eindeutig etwas Penetrantes an sich, das ihr gleich unsympathisch gewesen war. Dass sie sich dennoch scheinbar auf ein Geplänkel mit ihm eingelassen hatte, lag nur daran, dass so etwas nun einmal zu ihrem Job gehörte. Wie überall in der Dienstleistungsbranche war auch im Café del Playa der Kunde stets König.

Oder redete sie sich das vielleicht nur ein? Jetzt, da sie wusste, wer er war. Schon möglich, aber … Sie schüttelte den Kopf. Wie dem auch sei, eines stand fest: Weder sein Äußeres noch seine inneren Werte, so es sie denn gab, hatten sie zu interessieren. Wichtig war nur, dass er der Mann war, der ihr nun schon seit einer ganzen Weile das Leben schwer machte, ohne bisher selbst auf der Bildfläche erschienen zu sein. Dass er nun doch vor ihr stand, konnte nur bedeuten, er wollte zum nächsten Schlag ausholen.

Als hätte ich nicht auch so schon genug um die Ohren …

Isabel schüttelte den Kopf. Die finanzielle Lage des Café del Playa als desolat zu bezeichnen hätte bedeutet, die Dinge zu beschönigen. Obwohl das Lokal gut lief – selbst jetzt, am frühen Nachmittag, hielten sich schon gut ein Dutzend Gäste auf der Terrasse auf, gegen Abend waren es oft gut drei Mal so viele –, reichten die monatlichen Einnahmen kaum aus, um die laufenden Kosten zu decken. Und das nicht erst seit Kurzem. Doch in den vergangenen zwei Monaten hatte sich die Situation immer weiter zugespitzt, und das war nicht zuletzt Señor Velásquez und seinen Handlangern zu verdanken.

Ein Beispiel stellte der Parkplatz vor dem Lokal dar, der bis vor sechs Wochen noch der Stadt gehört hatte. Velásquez hatte das Grundstück gekauft und forderte nun von ihr jeden Monat eine horrende Gebühr dafür, dass ihre Gäste ihre Fahrzeuge dort abstellen durften.

Hinzu kam, dass ihr mit einem Mal die Behörden Schwierigkeiten machten. So war sie gezwungen gewesen, einen Lagerschuppen, der schon seit vielen Jahren existierte, abzureißen, weil man damals angeblich versäumt hatte, den Bau genehmigen zu lassen.

Sie zweifelte nicht daran, dass auch für diese Unannehmlichkeiten Velásquez die Verantwortung trug.

Und nun war er selbst gekommen, um mit ihr über den Verkauf des Cafés zu sprechen. Sie ahnte, dass es nichts Gutes für sie bedeuten konnte.

„Melissa?“, rief sie ihre Angestellte, die sich nun schon geschlagene fünfzehn Minuten draußen auf der Terrasse herumdrückte, obwohl Isabel sie lediglich gebeten hatte, einem französischen Urlauber einen Café au lait zu servieren. Ungeduldig trommelte sie mit den Fingern auf dem Tresen. Dieses Mädchen würde sie irgendwann noch verrückt machen! Ständig war sie mit irgendwelchen Dingen beschäftigt, die absolut nichts mit ihren Aufgaben zu tun hatten. Sie flirtete mit den männlichen Gästen, feilte sich die Nägel hinter der Theke und war ständig mit ihren Haaren und ihrem Make-up beschäftigt. Dabei ließ Isabel ihr das nicht einfach so durchgehen, im Gegenteil: Mehr als einmal hatte sie die junge Frau schon ins Gebet genommen, und jedes Mal war es dasselbe: Melissa zeigte sich einsichtig und gelobte Besserung. Doch noch, ehe die erste Stunde verging, war alles wieder vergessen.

Eigentlich hätte Isabel ihr längst kündigen sollen, das Problem war nur: Melissa arbeitete für den Bruchteil des Lohns, den professionelle Kellner erwarteten. Nicht ganz freiwillig allerdings, was vermutlich auch ihre mangelnde Motivation erklärte. Ihr Vater war so etwas wie ein alter Bekannter von Isabel. Weil ihm die Faulheit seiner Tochter, die mit fünfundzwanzig ihr Studium abgebrochen hatte und seither in den Tag hinein lebte, gegen den Strich ging, hatte er sie vor die Wahl gestellt, entweder für Isabel zu arbeiten und endlich einmal den Ernst des Lebens kennenzulernen, oder aber zukünftig selbst zu sehen, wie sie über die Runden kam.

Zähneknirschend hatte Melissa sich in ihr Schicksal gefügt, und Isabel war froh darüber gewesen, endlich eine kostengünstige Hilfskraft gefunden zu haben. Inzwischen fragte sie sich allerdings immer öfter, ob Melissa für sie wirklich eine Unterstützung oder nicht viel mehr eine zusätzliche Belastung war. Isabel hätte ja auch gern mehr bezahlt, doch es ging einfach nicht. Im Grunde überstieg selbst das, was sie ihr am Monatsende überwies, ihre Leistungsfähigkeit. Wenn es so weiterging, würde der Gerichtsvollzieher sich nicht mehr lange von einer Pfändung abbringen lassen. Und der Himmel allein wusste, wie es mit dem Café del Playa weitergehen sollte, wenn man ihr den Ofen oder gar die Espressomaschine wegnahm.

„Melissa!“, rief sie erneut, dieses Mal noch etwas lauter. „Wo bleiben Sie denn?“

„Ja, ja, ich komme ja schon.“ Missmutig kam die Angestellte durch die Terrassentür zum Tresen und sah ihre Chefin genervt an. „Was gibt es denn schon wieder?“

Isabel verkniff es sich, ihre Untergebene zum x-ten Mal zurechtzuweisen, denn im Beisein von Gästen machte man so etwas nicht. „Würden Sie sich bitte eine Weile allein um den Ablauf kümmern?“, sagte sie daher, jedoch in einem Tonfall, der deutlich machte, dass es sich keineswegs um eine Frage oder Bitte, sondern um eine Anweisung handelte. „Ich habe etwas mit dem Señor hier zu besprechen.“

Melissa schaute auf, und ihre Miene, ja, sogar ihre Haltung veränderte sich, als sie Señor Velásquez erblickte. Ihre Augen funkelten plötzlich, und sie setzte ein strahlendes Lächeln auf. Dann wandte sie sich an ihn und säuselte: „Hola, Señor! Wenn es irgendetwas gibt, was ich für Sie tun kann …“ Sie zwinkerte ihm zu. „Ich wäre zu jeder Schandtat bereit …“

„Melissa!“ Isabel bedachte die junge Frau mit einem wütenden Blick. „Dies ist ein Café und keine Singlebörse, haben wir uns verstanden?“

Normalerweise hatte sie nicht so sehr etwas dagegen, dass Melissa mit den männlichen Gästen flirtete. Es war offenbar eines ihrer wenigen Talente, und da es sich durchaus verkaufsfördernd auswirkte, ließ sie die Blondine oft gewähren. Sie wusste selbst nicht so genau, warum es ihr ausgerechnet jetzt missfiel.

Es hatte doch wohl nichts mit Lorenzo Velásquez zu tun? Zugegeben, er war ein äußerst attraktiver Mann, die Art und Weise, wie er auftrat, behagte ihr allerdings nicht. Er schien daran gewöhnt zu sein, stets alles zu bekommen, was er wollte. Doch an ihr, Isabel Culbraith, würde er sich die Zähne ausbeißen!

„Ja, ja …“ Melissa verdrehte die Augen, um deutlich zu machen, was sie über die Zurechtweisung ihrer Chefin dachte. „Sonst noch was?“

„Ja“, erwiderte Isabel barsch. „Bringen Sie uns bitte zwei Playa Special an Tisch acht. Ich darf wohl davon ausgehen, dass Sie in der Lage sind, eine halbe Stunde ohne mich auszukommen? Señor Velásquez und ich haben etwas Privates miteinander zu besprechen. Ich wünsche nicht weiter gestört zu werden!“

Nachdem Melissa mit einem mürrischen Nicken hinter der Theke verschwunden war, wandte Isabel sich an Velásquez. „Kommen Sie!“

Tisch acht lag etwas abseits im hinteren Bereich des Cafés, vor neugierigen Blicken abgeschirmt durch die fächerförmigen Wedel einer Zwergpalme.

„Soso, hierher ziehen Sie sich immer zurück, wenn Sie etwas mit einem Mann zu besprechen haben, wie?“ Lorenzo Velásquez, der sich einfach gesetzt hatte, zwinkerte ihr zu, und in seinem Lächeln schwang ein Hauch von Spott mit. „Da könnte ich als Vertreter des männlichen Geschlechts ja fast schwach werden …“

Ärgerlich schüttelte Isabel den Kopf. „Bilden Sie sich lieber nichts darauf ein. Ich möchte nur verhindern, dass der Inhalt unseres Gesprächs gleich auf der ganzen Insel die Runde macht.“

„Schade – und ich hoffte viel mehr auf ein unmoralisches Angebot.“

„Darauf können Sie lange warten, ich …“ Sie verstummte, als Melissa mit den Getränken kam. Auf Anhieb fiel ihr auf, dass die Tochter ihres Bekannten wieder einmal vergessen hatte, Ingwerplätzchen zum Kaffee zu servieren. Missbilligend runzelte sie die Stirn, sagte aber nichts, und bedeutete ihr stattdessen mit einem knappen Nicken, dass sie gehen könne. Sie würde sich nachher mit ihr unterhalten. Und zwar in aller Ruhe. Velásquez sollte nicht auf die Idee kommen, dass sie es seinetwegen tat. Er glaubte vermutlich ohnehin, dass seinem Charme jede Frau erliegen musste. Nun, sie würde ihn eines Besseren belehren.

Ach ja? Und warum reagierst du dann so eifersüchtig auf Melissa? Bist du vielleicht doch nicht so immun gegen ihn, wie du dachtest?

„Unsinn …!“, stieß sie aus und errötete leicht, als sie merkte, dass sie den Gedanken laut ausgesprochen hatte.

„Wie bitte?“ Er schenkte ihr ein belustigtes Lächeln.

Hastig winkte Isabel ab. „Ach, nichts.“

Nervös nippte sie an ihrem Playa Special, und auch Lorenzo Velásquez führte seine Tasse zum Mund und probierte einen Schluck. Anerkennend nickte er. „Perfekt. Schmecke ich einen Hauch von Kakao?“

„Allerdings – und zwar echten Madagaskar-Kakao.“ Sie atmete tief ein. „Aber Sie sind bestimmt nicht gekommen, um mit mir über Kaffeespezialitäten zu sprechen. Was wollen Sie, Señor Velásquez? Die Daumenschrauben, die Ihre Mitarbeiter mir angelegt haben, noch mehr anziehen? Ich habe bereits mehr als einmal deutlich zu verstehen gegeben, dass ich an einem Verkauf nicht interessiert bin.“

„Sehen Sie, und genau deshalb bin ich hier“, erklärte er und lehnte sich gelassen in seinem Klubsessel zurück. „Solche Dinge sollten nicht über Mittelsmänner verhandelt werden. Sie glauben nicht, wie oft sich auf Anhieb eine für beide Parteien akzeptable Lösung findet, wenn man persönlich miteinander spricht.“

„Nicht in diesem Fall, fürchte ich. Eine Veräußerung steht nicht zur Debatte. Was wollen Sie überhaupt mit meinem Café? Sie haben doch nicht wirklich vor, selbst unter die Gastronomen zu gehen, oder?“

„No“, erwiderte er, ohne näher auf ihre Frage einzugehen. Seufzend fuhr er sich durchs Haar. „Mrs. Culbraith, ich bitte Sie, nehmen Sie Vernunft an. Wir wissen doch beide, dass Sie es sich überhaupt nicht leisten können, mein Angebot abzulehnen. Sie stehen am Rande des finanziellen Ruins.“

„Was ich nicht zuletzt Ihrer tatkräftigen Unterstützung zu verdanken habe, nicht wahr?“ Wütend funkelte Isabel ihn an. „Oder wollen Sie etwa abstreiten, dass dies von Anfang an Ihr Ziel gewesen ist? Sie wollten mich mürbemachen, mir zeigen, wer von uns den längeren Atem besitzt.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Ist es für Männer wie Sie denn wirklich so schwer, ein Nein zu akzeptieren?“

Seine Miene verfinsterte sich. „Was sollen diese Anspielungen, Mrs. Culbraith? Lassen Sie uns doch endlich die Karten auf den Tisch legen. Also, was verlangen Sie?“

Störrisch schüttelte sie den Kopf. „Das Café del Playa ist nicht verkäuflich – zu keinem Preis!“

Er runzelte die Stirn. „Ich erhöhe meine Offerte noch einmal um zehn Prozent, das ist dann auch wirklich das absolute Limit. Sie werden zugeben müssen, das ist mehr als großzügig von mir.“

Einen Augenblick lang schwieg Isabel. Es stimmte schon, das war nicht schlecht, und die Stimme der Vernunft riet ihr, sein Angebot anzunehmen. Hätte es doch die Lösung all ihrer Probleme bedeutet! Doch die Art und Weise, wie Velásquez vorging, weckte die Rebellin in ihr. Sie hatte sich schon fast damit abgefunden, dass ihr am Ende vermutlich keine andere Wahl blieb, als zu verkaufen. Aber an Velásquez, der sie mit seinen Machenschaften erst so weit getrieben hatte? Nein! Und außerdem war sie nicht bereit, aufzugeben, solange sie auch nur die geringste Chance sah, das Café del Playa zu erhalten. Zumindest das war sie ihrem verstorbenen Mann Jorge schuldig – und Louis, ihrem Sohn, der seinen Vater niemals kennenlernen würde.

„Es mag sein, dass Ihr Angebot großzügig ist, dennoch bleibe ich dabei: Ich bin nicht interessiert.“

„Basta!“ Die Tassen machten einen kleinen Satz, als er mit der flachen Hand auf den Tisch schlug, und in seinen Augen lag ein bedrohliches Funkeln. Bedrohlich, aber auch ungemein aufregend. „Sie halten sich wohl für sehr schlau, wie? Glauben Sie, den Preis auf diese Weise in die Höhe treiben zu können? Dabei hätte ich es im Grunde wissen müssen.“ Er schüttelte den Kopf. „Frauen …!“

Seine unglaubliche Arroganz raubte Isabel den Atem. Was bildete sich dieser Mann eigentlich ein? Wie konnte er es wagen, hierher in ihr Café zu kommen und sie zu beleidigen? Am liebsten hätte sie ihn kurzerhand vor die Tür gesetzt und …

„Mommy, Mommy!“

Augenblicklich stand sie auf, eilte durch den Raum und erblickte Louis, der an der Hand seines Kindermädchens Estefania das Café betrat. Schlagartig vergaß Isabel all ihren Kummer und ihre Sorgen, und das Herz ging ihr über vor lauter Liebe. Sie breitete die Arme aus, woraufhin ihr fünfjähriger Sohn sich von Estefania losmachte und zu ihr gelaufen kam. Sein glockenhelles Lachen erfüllte den Raum, als Isabel ihn hochhob und durch die Luft wirbelte.

„Hallo, mein Schatz! Hattest du Sehnsucht nach mir?“ Sie setzte ihn wieder auf dem Boden ab und strich ihm liebevoll über den blonden Lockenschopf. „Lauf zu Estefania, sie wird Melissa bitten, dir eine heiße Schokolade zu machen. Mommy kommt gleich nach. Ich muss nur kurz mit dem Señor hier etwas zu Ende besprechen.“

„Wer bist du?“ Mit seinen großen blauen Knopfaugen blickte Louis zu Lorenzo auf. „Und was willst du von meiner Mommy?“

Lorenzo Velásquez lächelte, und es war, als würde die Sonne aufgehen. Isabel blinzelte irritiert. Damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. Ihrer Erfahrung nach hatten die meisten Männer von Velásquez’ Schlag nicht gern Kinder um sich. Sollte er eine Ausnahme sein?

„Deine Mommy hat mir verraten, wie sie ihre köstlichen Ingwerplätzchen zubereitet. Jetzt kann ich sie bei mir zu Hause immer selbst backen. Weißt du, mein Labrador Pancho liebt sie heiß und innig. Eigentlich dürfte ich ihm keine geben, wenn er mich jedoch mit seinem Hundeblick anschaut, kann ich einfach nicht widerstehen.“

„Du hast einen Hund?“, fragte Louis. Seine Augen waren ganz groß geworden. „Ich möchte auch gern einen haben, aber Mommy meint, ich bin noch zu klein.“ Er schnitt ein Gesicht. „Sie arbeitet oft den ganzen Tag. Das muss sein, damit man uns das Café nicht wegnimmt. Mommy sagt immer, dass es das Einzige ist, was wir von Daddy noch haben. Er ist jetzt bei den Engeln im Himmel.“ Einen Moment lang wirkte er traurig, doch dann hellte sich seine Miene schlagartig wieder auf. „Darf ich deinen Pancho mal besuchen?“

Lorenzo lachte. „Ich bin sicher, er würde sich sehr darüber freuen, aber vielleicht sollten wir zuerst deine Mutter fragen, ob sie damit einverstanden ist.“

Flehend blickte Louis sie an. Isabel seufzte. „Schauen wir mal, mein kleiner Racker. Und jetzt geh zu Melissa und lass Señor Velásquez und mich kurz allein, ja?“

„Das ist ja ein ganz lieber kleiner Kerl“, stellte Lorenzo fest, nachdem Louis gegangen war. „Wie alt ist er? Vier? Fünf?“

„Das tut wohl kaum etwas zur Sache“, entgegnete Isabel kühl. „Im Übrigen wollte ich nur nicht, dass Louis mitbekommt, was ich schon die ganze Zeit hätte tun sollen.“

Er sah sie fragend an. „Und das wäre?“

„Sie vor die Tür setzen!“

„Du meine Güte …“ Lorenzo seufzte leise und fuhr sich durchs Haar. „Ich fürchte, ich habe die ganze Angelegenheit falsch angegangen“, sagte er. „Es tut mir leid, wenn ich vorhin ein wenig forsch zu Ihnen war.“

„Ihnen tut etwas leid?“ Isabel zog eine Braue hoch. „Jetzt hören Sie mir mal gut zu: Wenn Sie glauben, dass Sie mich auf diese Weise umstimmen können, dann …“

„Nun seien Sie doch nicht so schrecklich misstrauisch.“ Er lächelte wieder, und Isabels Herzschlag begann zu flattern. „Ich glaube, ich habe eine Lösung für unser kleines Problem gefunden, die Ihnen bestimmt gefallen wird.“

„Da bin ich aber sehr gespannt.“

„Nicht jetzt und nicht hier, Mrs. Culbraith. Gehen Sie heute Abend mit mir essen. Ich hole Sie ab, und dann reden wir in Ruhe über alles – einverstanden?“

Ihre Gedanken jagten einander. Was sollte sie davon halten? „Ich … Ich weiß nicht …“

„Sagen wir um halb neun? Ich komme mit dem Wagen bei Ihnen zu Hause vorbei. Keine Sorge, die Anschrift ist mir bekannt.“ Er erhob sich von seinem Platz. „Bis dann, Mrs. Culbraith.“

Und ehe Isabel noch eine Möglichkeit hatte, ihm einen Korb zu geben, eilte er davon.

Ratlos blickte sie ihm hinterher. Was hatte das nun schon wieder zu bedeuten?

Flirrend heiße Luft schlug Lorenzo entgegen, als er das Café del Playa verließ. Geblendet von der gleißenden Helligkeit, beschattete er mit der linken Hand die Augen und holte mit der rechten seine Sonnenbrille hervor. Statt direkt zu seinem Wagen zu gehen, der im Schatten einer Dattelpalme stand, stieg er die kleine Anhöhe hinauf, von der aus man die ganze Bucht überblicken konnte.

Es war ein herrliches Fleckchen Erde, das musste sogar er, der für die Schönheiten der Natur nicht allzu viel übrighatte, zugeben. Ein Wunder eigentlich, dass nicht schon vorher jemand auf die Idee gekommen war, hier einen Hotelkomplex zu errichten. Der herrliche Strand, das kristallklare Wasser – die Touristen würden all das lieben.

Das Einzige, was Lorenzos Vorhaben noch im Wege stand, war dieses verflixte Café.

Sofort musste er wieder an die schöne Besitzerin denken, und ihr Bild verdrängte das, was er vor seinem inneren Auge gesehen hatte. Missmutig schüttelte er den Kopf. Es war ohnehin schon schlimm genug, dass diese Frau es so mühelos schaffte, ihn aus dem Konzept zu bringen. Auf keinen Fall durfte er sich aber von der Anziehungskraft, die sie auf ihn ausübte, beeinflussen lassen. Es ging hier schließlich um Millionen. Seine Millionen, wenn alles so ablief, wie er es sich vorstellte.

Er hatte natürlich gewusst, dass Isabel Culbraith verwitwet und Mutter eines Kindes war. Doch bisher war das für ihn ziemlich bedeutungslos gewesen. Da war von Inés’ Ultimatum ja auch noch nicht die Rede gewesen. Doch als der kleine Junge vorhin im Restaurant auftauchte, war ihm ganz unvermittelt eine Idee gekommen, die ihn nun nicht mehr losließ.

Inés wollte, dass er heiratete und ihr ein Kind präsentierte? Wie sein Anwalt bereits angedeutet hatte, war die Forderung seiner Tante nicht so formuliert, dass er verpflichtet war, die Ehe aufrechtzuerhalten, noch, dass das Kind wirklich sein leiblicher Nachkomme sein musste …

Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Es mochte hinterhältig sein, ihre Worte so zu verdrehen und gegen sie auszulegen, doch Inés hatte es nicht besser verdient. Seit sie ihn als Fünfzehnjährigen nach dem Tod seiner Eltern bei sich aufgenommen hatte, arbeitete er nun schon für sie. Zuerst nachmittags nach der Schule, später anfangs als Servicekraft, dann als Manager. Von ihr lernte er alles, was man über das Hotelgewerbe wissen sollte, und dafür war er ihr dankbar. Doch die Firma zu dem gemacht, was sie jetzt war, hatte er. Er ganz allein.

Zu Nuñez Hoteles zählten nun bereits mehr als ein Dutzend Häuser auf Mallorca, Ibiza und dem spanischen Festland. Obgleich das alles nur durch Lorenzos unternehmerisches Geschick entstanden war, gehörten ihm jedoch gerade einmal läppische zwanzig Prozent des Unternehmens. Darauf, dass er, wie es bereits vor langer Zeit abgesprochen war, jährlich weitere fünf Prozent der Anteile erhalten sollte, bis das Ganze eines Tages völlig in seinen Besitz überging, wartete Lorenzo allerdings vergeblich.

Die einzige Person, die wirklich von seinem Einsatz profitierte, war seine Tante Inés. Allein die Aussicht, dass sie mit ihren siebenundsechzig Jahren nun vermutlich bald in den Ruhestand treten würde, hatte ihn bislang bei der Stange gehalten. Er war sicher gewesen, dass sie ihm dann endlich die Firma überlassen würde.

Wie sich nun herausstellte, hatte er sich da wohl getäuscht. Seine Tante dachte gar nicht daran. Jedenfalls nicht ohne erneute Gegenleistung.

Wie jedes Mal, wenn Lorenzo daran dachte, was Inés von ihm forderte, fühlte er Wut in sich aufsteigen. Unglaublich, wie sie es wagen konnte, ihn so unter Druck zu setzen! Was versprach sie sich bloß davon?

Doch dank Isabel Culbraith würde er es seiner Verwandten vielleicht schon bald mit gleicher Münze heimzahlen können. Sofern er die schöne Engländerin dazu bewegen konnte, seinem Plan zuzustimmen.

Ganz unvermittelt war ihm vorhin ein Gedanke gekommen, wie sich vielleicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen ließen. Denn ihm, Lorenzo, ging es ausschließlich um das Grundstück, auf dem sich das Café del Playa befand. Isabel Culbraith hingegen …

Er zweifelte nicht daran, dass sie so entscheiden würde, wie er es von ihr erwartete. Nicht, wenn er ihr die unbestreitbare Logik seiner Idee erläutert hatte. Es würde ihn eine Menge Geld kosten, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen, doch daran mangelte es ihm nicht. Sofern Isabel am Ende das tat, was er wollte, wäre es die sinnvollste Investition, die er in seinem Leben bisher getätigt hatte.

Lorenzo ging zurück zu seinem Wagen. Zufrieden lächelnd startete er den Motor und fuhr los. Es war kaum zu glauben, aber wie es aussah, hatte er soeben die perfekte Lösung für seine beiden Probleme gefunden.

Wenn alles so verlief, wie er es sich vorstellte, würde es ihm nicht nur gelingen, seine Pläne endlich zu verwirklichen – nein, auch seine Tante Inés würde ihren Willen bekommen. Und er damit endlich das, was ihm zustand. Und das alles mithilfe einer ganz bestimmten Frau: mit Isabel Culbraith.

3. KAPITEL

„Darf ich nicht doch mitkommen, Mommy?“ Flehentlich blickte Louis zu seiner Mutter auf, in seinen großen blauen Augen schimmerten Tränen. „Bitte, bitte, bitte, bitte! Ich möchte so gern den Hund sehen, von dem der nette Mann heute Mittag erzählt hat!“

Isabel unterdrückte ein Seufzen. Den ganzen Nachmittag hatte es für ihren kleinen Sohn nur dieses eine Thema gegeben. Auch jetzt – es war halb acht durch und somit Louis’ übliche Zeit, um ins Bett zu gehen – gab er keine Ruhe.

„Tut mir leid, mein Schatz, aber es geht wirklich nicht.“ Zärtlich strich sie ihm übers Haar. „Und nun sei schön brav. Wenn du jetzt schön schläfst, geht Mommy demnächst mit dir in den Zoo, einverstanden?“

„Versprochen?“

„Versprochen“, gab sie sich mit einem nachsichtigen Lächeln geschlagen. „Aber nur, wenn Estefania mir morgen früh bestätigt, dass du ein braver Junge gewesen bist.“

Louis nickte glücklich strahlend, dann rollte er sich auf die Seite und schloss die Augen. Schon nach weniger als einer Minute ging sein Atem ganz ruhig und regelmäßig – er war eingeschlafen. Auf Zehenspitzen schlich Isabel sich aus dem Kinderzimmer und schloss leise die Tür hinter sich.

„Hat er sich endlich beruhigt?“, fragte Estefania, als Isabel zu ihr in die Küche kam, wo sie sich gerade einen Tee zubereitete. Das Kindermädchen arbeitete nun schon seit etwas mehr als drei Jahren für sie, und Isabel konnte sich einhundertprozentig auf sie verlassen. Ja, sie wusste überhaupt nicht mehr, wie sie es zu Anfang geschafft hatte, allein über die Runden zu kommen!

Nach Jorges Tod war ihr Leben – und damit zwangsläufig auch das von Louis – völlig chaotisch verlaufen. Zum Glück war der Junge damals erst anderthalb Jahre alt gewesen, sodass er davon nicht viel mitbekommen hatte. Andererseits machte es sie unendlich traurig, dass ihr Sohn seinen Vater niemals kennenlernen würde. Vor allem deshalb, weil es vermutlich nicht zu jenem tragischen Unfall gekommen wäre, hätte sie nicht …

Hastig verdrängte sie den Gedanken. Es war nicht gut, zu viel über Dinge nachzugrübeln, die man ohnehin nicht mehr zu ändern vermochte. Außerdem hielt die Gegenwart genug Herausforderungen für sie bereit.

„Was werden Sie anziehen?“, fragte Estefania unvermittelt und holte Isabel damit auf den Boden der Tatsachen zurück.

„Eigentlich wollte ich so …“

„Sie machen Witze, oder?“

„Wieso?“ Isabel schaute an sich herab. Sie trug noch immer dasselbe Outfit, das sie heute im Café angehabt hatte: eine dunkelblaue enge Jeans, ein einfaches pfirsichfarbenes Top und eine gehäkelte weiße Bolerojacke. „Was ist daran auszusetzen?“

Lächelnd schüttelte die Spanierin den Kopf. „Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass Sie mit einem der begehrtesten Junggesellen der Balearen zu Abend essen werden? In den Illustrierten wird ständig über ihn berichtet. Unter anderem auch darüber, dass die schönsten Frauen versuchen, ihn vor den Traualtar zu bekommen. Doch er ist bisher stets standhaft geblieben.“

Darüber war sich Isabel tatsächlich nicht im Klaren gewesen. Und es sollte für sie auch keinen Unterschied machen, denn Louis war das einzige männliche Wesen, das sie in ihrem Leben brauchte. Trotzdem verstärkten Estefanias Worte das leichte Kribbeln noch, das sich nun schon seit dem frühen Nachmittag hartnäckig in ihrer Magengegend hielt.

„Was würden Sie mir raten?“, fragte sie. Es war lange her, dass sie sich mit einem Mann getroffen hatte. Und seit es Louis gab, interessierte sie sich für andere Dinge als die neuesten Mode- und Make-up-Trends.

„Kommen Sie mal mit.“ Estefania nahm Isabel bei der Hand und führte sie in ihr Schlafzimmer. Gemeinsam begutachteten sie den Inhalt des Kleiderschranks. Das Urteil des hübschen Kindermädchens fiel wenig begeistert aus. „Sie sollten sich wirklich einmal wieder etwas gönnen“, meinte sie. „Nur weil Sie Mutter sind, müssen Sie ja nicht gleich damit aufhören, ein eigenständiger Mensch zu sein.“

Isabel schnitt ein Gesicht. Es stimmte ja – sie hatte sich schon seit einer kleinen Ewigkeit keine neuen Sachen mehr gekauft. Wenn sie einmal etwas Geld übrig hatte, dann gab sie es in der Regel für Louis aus. Dass man es ihrer Garderobe so deutlich ansah, war ihr nicht bewusst gewesen.

Schließlich zauberte Estefania ein rubinrotes Etuikleid aus edlem Leinenstoff aus dem hintersten Winkel des Schranks hervor. Sie hielt es Isabel vor den Körper und nickte zufrieden. „Das sieht doch schon mal ganz gut aus.“

Als Nächstes beförderte sie schwarze High Heels aus dem untersten Regal. Isabel hatte völlig vergessen, dass sie noch Schuhe mit solchen unanständig hohen Absätzen besaß.

„Damit werde ich keine zwei Schritte laufen können!“, stöhnte sie. Doch als sie sich schließlich eine halbe Stunde später vor dem Spiegel betrachtete, musste sie zugeben, dass Estefania das richtige Händchen gehabt hatte.

Isabel erkannte sich selbst kaum wieder. Das Kleid, das sie vor Jahren von Jorge bekommen und nur einmal getragen hatte, stand ihr hervorragend. Die hochhackigen Schuhe gaben ihrem Outfit den richtigen Schliff, und das dezente Make-up, auf das Estefania bestanden hatte, verlieh ihrem Teint einen goldenen Schimmer.

„Wunderbar!“ Begeistert klatschte die Spanierin in die Hände. „Señor Velásquez wird es gewiss die Sprache verschlagen, wenn er Sie sieht!“

Das aber hatte Isabel so gar nicht im Sinn. Wobei … Im Grunde wusste sie nicht einmal, warum sie auf seine Einladung zum Dinner überhaupt eingegangen war. Was immer er ihr auch vorschlagen mochte, sie glaubte nicht wirklich, dass es eine Option für sie darstellen würde.

Doch sie hatte kaum darüber nachgedacht, da wurde ihr bewusst, wie absurd ihr Verhalten eigentlich war.

Vielleicht solltest du dir mal überlegen, was für Alternativen du hast. Wenn du nicht bald der überfälligen Bezahlung der Rechnungen nachkommst, wird der Gerichtsvollzieher kurzen Prozess machen. Sollte es zu Pfändungen kommen, ist damit auch niemandem geholfen. Also hör dir doch wenigstens einmal an, was dieser Velásquez zu sagen hat. Ablehnen kannst du immer noch.

„Ich glaube, Ihr Date ist soeben eingetroffen“, stellte Estefania fest, die gerade aus dem Fenster blickte.

Unwillig schnitt Isabel ein Gesicht. „Señor Velásquez ist nicht mein Date“, korrigierte sie die hübsche Spanierin. „Dieses Treffen ist rein geschäftlicher Natur.“

„Selbstverständlich“, erwiderte Estefania, die sich nur mühsam ein vielsagendes Lächeln verkniff. „Dann wünsche ich Ihnen viel Vergnügen bei Ihrem Geschäftsessen.“

Es war ein lauer Abend. Langsam sank die Sonne dem Horizont entgegen und tauchte den Himmel und das Meer in ein feuriges Magentarot, während am Firmament die ersten Sterne glitzerten.

Isabel atmete noch einmal tief durch, dann balancierte sie vorsichtig auf ihren hohen Schuhen die unebenen Stufen von ihrer Eingangstür zur Straße hinunter. Das Haus, in dem sie mit Louis wohnte, war eine mehrere Hundert Jahre alte Bauernkate, die dringend einer Renovierung bedurfte. Doch da es sich hauptsächlich um Schönheitsreparaturen handelte und die Miete für eine Bleibe dieser Größe – noch dazu in unmittelbarer Nähe zu ihrem Café – äußerst günstig war, störte es sie nicht. Trotzdem schämte sie sich ein wenig für die abblätternde Farbe und den bröckelnden Putz angesichts des teuren Sportcabriolets, das jetzt in der Auffahrt stand.

Genau in diesem Moment verließ Lorenzo Velásquez seinen Wagen, und Isabel stockte der Atem. Verstohlen musterte sie ihn. Er sah ungemein gut aus. Kein Wunder, dass er der Traum sämtlicher lediger Frauen war. Nein, nicht sämtlicher lediger Frauen! Du wirst seinem aufgesetzten Charme ja wohl hoffentlich nicht erliegen – oder?

Doch ein kurzes Lächeln von ihm reichte aus, um sie all ihre guten Vorsätze mit einem Schlag vergessen zu lassen. Ihr wurden die Knie weich, wodurch das Gehen in den unbequemen High Heels zu einer noch größeren Herausforderung wurde als ohnehin schon.

„Buenas tardes“, begrüßte er sie, nahm ihre Hand und führte Isabel zur Beifahrerseite. Unwillig stellte sie fest, dass ihr Herz vor Aufregung schneller schlug. Dabei gab es doch gar keinen Grund, seinetwegen nervös zu sein. Allerhöchstens wegen der Angelegenheit, die er mit ihr besprechen wollte, obgleich sie noch immer nicht glaubte, dass etwas grundlegend Neues dabei herauskommen würde. Vermutlich gedachte er lediglich, sein Angebot in entspannter Atmosphäre noch einmal geringfügig zu erhöhen, und hoffte, sie damit umstimmen zu können. Nun, da würde er eine Enttäuschung erleben. Das Café del Playa stand nicht zum Verkauf – für kein Geld der Welt. Zumindest nicht freiwillig werde ich einlenken, dachte sie. Dabei würde sie vermutlich besser damit fahren, es zu einem vernünftigen Preis zu veräußern, ehe es zur Zwangsversteigerung kam. Doch was das betraf, war Isabel für die Stimme der Vernunft einfach nicht zugänglich. Zumindest noch nicht …

Sie stieg in den Wagen, dessen herrlich weiche, crèmefarbene Ledersitze warm waren von der Sonne. Unwillkürlich überlegte sie, was ein solches Auto wohl in der Anschaffung kosten mochte. Bestimmt mehr, als sie zur Sanierung ihres Lokals benötigte – und für einen Mann wie Lorenzo Velásquez doch kaum mehr als ein Taschengeld.

„Sie sehen heute Abend wirklich bezaubernd aus“, sagte er mit einem umwerfenden Lächeln, nachdem er sich ans Steuer gesetzt hatte. „Sie sollten immer Schuhe mit hohen Absätzen tragen. Es betont Ihre schmalen Fesseln und die langen, schlanken Beine.“

„Nein danke“, erwiderte Isabel. „Auf High Heels würde ich die Arbeit im Café keine zwei Stunden durchstehen, und kindertauglich – ich denke da an Louis – sind sie auch nicht.“

„Nein, natürlich nicht“, erwiderte er und ließ den Motor an.

Isabel stieß vor Überraschung einen kleinen Schrei aus, denn sie hatte plötzlich das Gefühl, auf dem Rücken eines mächtigen Raubtieres zu sitzen. Die Kraft des Antriebs schien sich auf die gesamte Karosserie und von dieser auf seine Insassen zu übertragen. So etwas hatte sie noch nie zuvor erlebt. Und als Lorenzo Gas gab, preschte das Cabrio nach vorn wie ein ungeduldiger Hengst.

Im Gegensatz zu Jorge hatten Isabel Autos, Motorräder und Sportjachten nie besonders interessiert. Jetzt glaubte sie zum ersten Mal eine Ahnung davon zu bekommen, was ihren verstorbenen Mann daran so fasziniert hatte. Die schiere vibrierende Energie, die von diesem Wagen ausging, machte sie atemlos.

Doch am Ende hatte diese Begeisterung Jorge das Leben gekostet, wie sie sich in Erinnerung rief. Er hatte auf der Küstenstraße einem entgegenkommenden Wagen ausweichen wollen und dabei die Kontrolle über sein Motorrad verloren und war die Klippen hinuntergestürzt.

Aber daran, dass er mitten in der Nacht bei schlechter Witterung unterwegs gewesen war, trägst du die Schuld, schon vergessen? Hättest du ihn nicht …

„… Sie mir eigentlich zu?“

Isabel sah ihren Begleiter irritiert an und wurde sich schlagartig ihrer Umgebung wieder bewusst. „Ich … Es tut mir leid, was haben Sie eben gesagt?“

Er lächelte. „Schon gut, es war nicht so wichtig. Mögen Sie Fisch? In dem Restaurant, in dem ich für uns einen Tisch habe reservieren lassen, werden die besten Goldbrassen der gesamten Insel serviert.“

„Ich liebe Fisch“, erwiderte Isabel und lachte leise. „Sehr sogar. Ich würde ihn gern häufiger selbst zubereiten, aber Louis verabscheut Gräten. Deshalb gibt es bei uns zu Hause allerhöchstens Fischstäbchen.“

„Ihr Sohn ist ein prächtiger kleiner Kerl. Mir scheint, Sie sind eine wunderbare Mutter.“

„Ach, wissen Sie, das zu sein ist gar nicht so schwer. Ich kann gar nicht anders, als ihn zu lieben. Und ein liebevolles Elternhaus ist für ein Kind doch das Allerwichtigste, finden Sie nicht?“ Ihr fiel auf, dass seine Miene sich bei ihren Worten verfinsterte, und sie runzelte die Stirn. „Tut mir leid, habe ich etwas Falsches gesagt?“

Er winkte ab. „Nein, nein, Sie haben vollkommen recht. Unsere Kindheit prägt uns, selbst wenn wir uns dessen zumeist gar nicht bewusst sind. Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass es für Sie in den letzten Jahren nicht immer leicht war – so ganz allein, ohne Mann.“

Das Thema behagte Isabel gar nicht. Trotz der sommerlichen Hitze durchfuhr sie ein eisiger Schauder, als sie daran dachte, dass die Stelle, an der Jorge ums Leben gekommen war, nicht weit entfernt lag. Sie hatte diesen Ort seither gemieden. Die Schuldgefühle waren auch so schon stark genug, als dass sie sie noch zusätzlich provozierte.

„Was ist los?“ Lorenzo Velásquez sah sie besorgt an. „Sie sind plötzlich ganz blass geworden.“

Isabel rang sich ein Lächeln ab. „Es ist nur mein Kreislauf. Ich fürchte, ich hatte heute noch keine Gelegenheit, etwas Vernünftiges zu essen.“

„Na, dann wird es aber Zeit“, meinte er. „Und da wären wir auch schon.“

An einer Abzweigung, die wohl jeder übersehen hätte, der nicht explizit danach suchte, verließ er die Küstenstraße. Der Weg, dem sie nun folgten, schmiegte sich direkt an die Klippen. Er war so schmal, dass zwei sich entgegenkommende Fahrzeuge ihn nicht gleichzeitig passieren konnten. Unwillkürlich spürte Isabel ein leises Unbehagen, doch die schroffe Schönheit der Landschaft lenkte sie ein wenig von ihren Ängsten ab. Weiß schäumend warf sich die Brandung gegen die steil aufragenden Felsen, darüber spannte sich der wolkenlose Himmel.

Auf einer Landzunge, die weit ins Meer hineinragte, stand ein großer weißer Leuchtturm. Isabel blinzelte verblüfft, denn er war ihr früher nie aufgefallen, dabei lebte sie schon seit vielen Jahren auf Menorca.

„So wie Ihnen ergeht es den meisten Menschen“, sagte Lorenzo, als hätte er ihre Gedanken gelesen. „Man kann den Bau von der Küstenstraße aus nicht sehen. Das Angelo’s ist ein echter Geheimtipp. Trotz der abgeschiedenen Lage ist es oft schwierig, an den Wochenenden sogar fast unmöglich, dort kurzfristig einen Tisch zu bekommen.“

„Für Sie war es offenbar kein Problem.“

Er lachte. „Nein. Angelo und ich sind alte Freunde. Er hat früher einmal im ersten Hotel meiner Tante als Küchenchef gearbeitet. Ich konnte ihn und einige Angestellte dazu bewegen, Geld in eine neue Geschäftsidee zu investieren. Keiner von ihnen hatte jemals Anlass, diese Entscheidung zu bereuen.“

„Darf ich Sie etwas fragen?“

Er nickte aufmunternd. „Nur heraus damit.“

„Sie haben mir immer noch nicht verraten, was Sie mit dem Grundstück vorhaben, auf dem mein Café steht.“

„Ist das für Sie wirklich so wichtig?“, erwiderte er seufzend.

„Ja, allerdings. Doch nicht aus dem Grund, den Sie vielleicht vermuten. Mir ist die Bucht über die Jahre einfach sehr ans Herz gewachsen. Es ist mir nicht gleichgültig, was damit geschieht, verstehen Sie?“

Er sah nicht so aus, als würde er begreifen, was sie meinte, denn er zuckte die Schultern. „Also gut, ich will ein Hotel bauen, aber das haben Sie sich vermutlich bereits gedacht. Es soll jedoch nicht einfach nur irgendeine Herberge sein.“ Seine Augen fingen an zu leuchten. „Was meine Architekten und ich zusammen entworfen haben, ist das Nonplusultra, was Luxus und Komfort angeht. Glitzernde Türme, die hoch in den Himmel ragen, mit einem erlesenen Angebot an Wellness, wie Sie es auf den Balearen sonst nirgends finden. Dort, wo im Augenblick noch das Café del Playa steht, wird sich schon bald eine ausgedehnte Poollandschaft erstrecken, die zum Entspannen einlädt. Können Sie es vor sich sehen?“

Entsetzt blickte Isabel ihn an. Er schien tatsächlich zu glauben, dass er sie mit seinen Ausführungen zu begeistern vermochte. Doch das genaue Gegenteil war der Fall. „Sie planen eines dieser anonymen Riesenkomplexe in meiner Bucht?“

Er schien nicht sicher zu sein, ob er belustigt oder verärgert sein sollte. „Entschuldigen Sie, aber mir war nicht bewusst, dass ich es mit der Eigentümerin des gesamten Areals zu tun habe“, entschied er sich schließlich für die erste Option. „Davon abgesehen glaube ich kaum, dass Sie eine Expertin für Tourismus und Fremdenverkehr sind, oder täusche ich mich?“

„Nein“, erwiderte Isabel mit sicherer Stimme. „Ich bilde mir aber ein, genug gesunden Menschenverstand zu besitzen, um zu erkennen, dass Ihr Projekt das Bild der gesamten Bucht zerstören wird. Sie können doch nicht so blind sein, das nicht zu sehen!“

Er räusperte sich vernehmlich. „Sie werden verzeihen, dass ich da etwas anderer Meinung bin. Lassen Sie uns diesen herrlichen Abend nicht dadurch verschwenden, dass wir uns über Dinge streiten, die ohnehin bereits beschlossene Sache sind.“ Er lächelte süffisant, was sie ärgerte. „Wir sollten lieber zum angenehmen Teil des Abends übergehen.“

Neben dem Leuchtturm gab es einen winzigen Parkplatz, der fast vollständig besetzt war. Doch Lorenzo lenkte seinen Wagen geschickt in eine kleine Lücke. Dann stieg er aus und lief – wie bei der Abfahrt – um das Cabriolet herum, um Isabel die Tür zu öffnen. Galant hielt er ihr die Hand entgegen.

Natürlich war Isabel sich der Tatsache bewusst, dass er alles nur tat, um sie für sein eigentliches Vorhaben zu gewinnen. Dennoch spürte sie, wie ein Hauch von Röte ihre Wangen überzog. Sie gestand es sich nicht gern ein, aber es gefiel ihr, von ihm umschmeichelt zu werden. Es war lange her, dass ein Mann sich solche Mühe mit ihr gegeben hatte. Jorge war zu Anfang ebenfalls sehr aufmerksam gewesen. Doch das hatte sich rasch gelegt, als er erfuhr, dass sie schwanger war. Und als Louis dann auf die Welt kam …

Rasch schüttelte sie die unliebsamen Erinnerungen ab, wohl wissend, dass die Geister der Vergangenheit sie nicht lange in Ruhe lassen würden. Das taten sie nie. Isabel hatte trotzdem gelernt, damit zu leben. Ihr war gar nichts anderes übrig geblieben.

Sie ergriff Lorenzos Hand und ließ sich aus dem Wagen helfen. Dann hakte sie sich bei ihm unter, und sie stieg an seinem Arm die Stufen zum Eingang des Restaurants hinauf. Einerseits war sie ihm für sein betont höfliches Verhalten dankbar, denn sie fühlte sich immer noch ein wenig unsicher auf ihren hohen Absätzen. Auf das heftige Herzklopfen, das seine Nähe bei ihr auslöste, hätte sie allerdings liebend gern verzichtet.

Es ist ein rein geschäftliches Abendessen, ermahnte sie sich. Doch das Flattern in ihrem Magen wie von unzähligen Schmetterlingsflügeln signalisierte ihr etwas völlig anderes.

Als sie das Angelo’s betraten, erlebte Isabel eine Überraschung. Das Restaurant war ganz und gar nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Unbewusst war sie davon ausgegangen, dass Lorenzo Velásquez ausschließlich in modern gestylten Lokalen mit jener beinahe klinisch anmutenden Atmosphäre speiste, die sie selbst überhaupt nicht mochte. Das Angelo’s war hingegen eher rustikal eingerichtet, mit Tischen und Stühlen aus dunklem Holz, farbenfrohen Tischdecken und schmiedeeisernen Hängelampen.

Ein älterer Mann mit grau meliertem Haar, der eine rote Schürze über einer schwarzen Hose und einem schlichten weißen Hemd trug, kam freudestrahlend auf sie zu. „Señor Velásquez, wie schön, dass Sie uns einmal wieder beehren!“ Mit einem breiten Lächeln wandte er sich dann an Isabel, nahm ihre Hand und deutete einen Handkuss an. „Señorita.

„Die Geschäfte haben mich in den letzten Monaten meist auf Mallorca festgehalten“, erklärte Lorenzo. „Im Moment wohne ich allerdings wieder in meinem Strandhaus bei Ciudadela. Deshalb werden wir uns in nächster Zeit sicher häufiger sehen, Angelo.“ Er legte Isabel den Arm um die Schultern. „Darf ich Ihnen Señora Culbraith vorstellen? Sie betreibt ein kleines Lokal bei Cala Tirant, ist also quasi eine Kollegin von Ihnen.“

„Etwa das Café del Playa?“ Als Isabel seine Frage bejahte, nickte er anerkennend. „Ich war schon einmal dort. Die Kaffeespezialitäten sind ausgesprochen gut und die Ingwerplätzchen – ein Gedicht!“

Isabel konnte nicht verhehlen, dass sie sich über das Kompliment freute. Von einem anderen Gastronomen gelobt zu werden war wirklich eine große Anerkennung – wenngleich es ihr nicht dabei half, ihre drängenden Probleme in den Griff zu bekommen.

„Schauen Sie doch mal wieder vorbei“, forderte sie ihn auf. „Ich würde mich sehr freuen, Ihnen meine neueste Kaffeekreation vorzuführen – selbstverständlich auf Kosten des Hauses.“ Mit einem kurzen Seitenblick auf Lorenzo fügte sie hinzu: „Sofern es mein Lokal in ein paar Wochen noch gibt …“

Lorenzo ging über die Spitze hinweg, als hätte er sie gar nicht gehört. „Ist unser Tisch schon frei?“

Angelo nickte. „Aber natürlich“, erwiderte er. „Kommen Sie. Ich bringe Sie hin.“

Zu Isabels Überraschung führte er sie auf eine kleine Terrasse, die geschützt im Windschatten des Leuchtturms lag, und zog sich dann diskret zurück. Isabel war fasziniert: Es gab nur einen einzigen Tisch, auf dem sich neben zwei Porzellangedecken und Besteck eine Kristallvase mit einer einzelnen langstieligen roten Rose befand. Auf der niedrigen Balustrade reihten sich dicht an dicht Dutzende von Windlichtern, die ein warmes, goldenes Licht verbreiteten. Dahinter eröffnete sich ein atemberaubender Blick auf das Meer, wo am Horizont gerade die Sonne versank.

„Das ist … einfach unbeschreiblich!“, flüsterte Isabel beinahe ehrfürchtig. „Wirklich traumhaft.“

Ihr Blick war wie gefesselt von der Schönheit des Schauspiels, das sich vor ihren Augen abspielte. Und als sie Lorenzos Hände auf ihren bloßen Schultern spürte, ließ sie es geschehen. Ein Schauer überlief ihren Körper. Unwillkürlich neigte sie den Kopf zurück und seufzte lustvoll. Da wurde ihr plötzlich klar, was sie tat, und sie machte sich hastig von ihm los. Röte überzog ihre Wangen. Hatte sie völlig den Verstand verloren, sich so gehen zu lassen? Noch dazu in Gegenwart dieses Mannes?

Er verhielt sich allerdings so, als wäre nicht das Geringste geschehen. Doch Isabel glaubte, ein schalkhaftes Funkeln in seinen Augen zu bemerken. Er spielt mit dir, sagte sie sich. Sei vorsichtig, sonst wirst du dich an ihm verbrennen.

„Wollen wir uns nicht setzen?“ Lorenzo rückte ihr einen Stuhl zurecht, und sie nahm Platz. In diesem Moment kam Angelo zurück und brachte die Speisekarten. Isabel nutzte die Gelegenheit, sich einen Augenblick hinter ihrer zu verstecken, um wieder zu Atem zu kommen, während Lorenzo den Wein bestellte. Es fiel ihr schwer, auch nur einen zusammenhängenden Gedanken zu fassen. Dabei war ein klarer Kopf genau das, was sie jetzt am dringendsten benötigte.

„Haben Sie schon entschieden, was Sie wollen?“, fragte er mit samtweicher Stimme. Prompt überlegte Isabel, ob er seine Worte absichtlich zweideutig gewählt hatte. Meinte er nun, was zu essen sie sich ausgesucht hatte, oder spielte er auf seinen ersten Annäherungsversuch an? Das wirklich Fatale aber war, dass sie keins von beidem mit einem eindeutigen Ja oder Nein beantworten konnte.

Sie räusperte sich angestrengt. Ihr Mund war staubtrocken, und nachdem Angelo den Wein gebracht und ihnen beiden eingeschenkt hatte, stürzte sie den halben Inhalt ihres Glases in einem Zug hinunter. Doch abgesehen davon, dass sich sofort ein leicht benebeltes Gefühl in ihrem Kopf einstellte, bewirkte sie damit nichts.

Was machst du eigentlich hier? Das Einzige, was du erreichen kannst, ist, dich vollends zum Narren zu machen! Also geh lieber! Verschwinde, ehe es zu spät ist!

Isabel atmete tief durch und stellte das Weinglas auf dem Tisch ab. „Es tut mir leid“, sagte sie, „es war töricht von mir, Ihre Einladung anzunehmen, Señor Velásquez. Ich habe in Ihnen Erwartungen geweckt, die ich in keinem Fall erfüllen kann, und dafür entschuldige mich. Ich denke, es ist besser, wenn ich Sie jetzt verlasse …“

Sie schob ihren Stuhl zurück und stand auf. Ehe sie allerdings zu gehen vermochte, ergriff Lorenzo über den Tisch hinweg ihre Hand. Flehend schaute sie ihn an, aber er lächelte nur.

„Das ist doch absurd“, meinte er. „Jetzt, da Sie schon einmal hier sind, können Sie auch mit mir zu Abend essen. Außerdem hatte ich noch keine Gelegenheit, Ihnen mein Angebot vorzutragen.“

Hilflos schüttelte sie den Kopf. „Sie verstehen nicht, ich …“

Por el contrario, ich verstehe sogar sehr gut! Dennoch werde ich Sie nicht gehen lassen, ohne Ihnen meinen Vorschlag zumindest unterbreitet zu haben.“

„Also schön“, seufzte sie ungeduldig. „Ich höre.“

Er zuckte die Schultern. „Ganz wie Sie wollen – aber vielleicht sollten Sie sich zunächst einmal wieder setzen.“

„Ich will mich nicht setzen, ich …“

„Nun zieren Sie sich nicht so!“, forderte er sie energisch auf und fügte dann sanfter hinzu: „Tun Sie sich selbst einen Gefallen.“

Unwillig nahm sie wieder Platz. Sie wusste selbst nicht, warum sie sich derartig von ihm herumkommandieren ließ. Doch sein Ton duldete keinen Widerspruch. „Also?“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust – ein schwaches Zeichen der Rebellion, aber immer noch besser als gar keins.

Lächelnd ließ er ihr Handgelenk los und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Er schien die Situation regelrecht zu genießen. „Was ich Ihnen anzubieten habe, dürfte Ihnen gefallen, Isabel“, erklärte er selbstgefällig. „Es ist die Lösung sowohl für all Ihre als auch meine Probleme. Mir ist klar geworden, dass Sie einem Verkauf Ihres Cafés wohl niemals zustimmen werden, obwohl Ihnen bewusst sein dürfte, dass Ihnen eigentlich gar keine Wahl bleibt. Ich schließe daraus, dass sentimentale Gründe Sie an das Lokal fesseln, vermutlich die Erinnerung an Ihren verstorbenen Mann.“

Isabel presste die Lippen zusammen. Seine überhebliche Art gefiel ihr ganz und gar nicht. Sie musste jedoch zugeben, dass er mit seiner Einschätzung im Großen und Ganzen richtig lag. „Und weiter?“

„Nach unserer Unterhaltung am Nachmittag habe ich mit meinem Architekten über eine Idee gesprochen, die mir ganz unvermittelt gekommen ist.“ Ein zufriedenes Lächeln umspielte seine Lippen. „Er versicherte mir, dass die Ausführung nicht nur technisch möglich, sondern auch ökonomisch gesehen vertretbar sei.“

Isabel sah ihn irritiert an. Sie hatte keinen blassen Schimmer, worauf Lorenzo hinauswollte.

„Ich könnte mir vorstellen, das Café del Playa an einen anderen Abschnitt der Bucht zu versetzen.“

Jetzt verschlug es Isabel vollends die Sprache. Einen Augenblick lang blickte sie Lorenzo nur fassungslos an. War der Mann denn von allen guten Geistern verlassen? Das Lokal versetzen? Wie sollte denn das gehen? Sie schluckte. „Ich … verstehe nicht“, brachte sie stockend hervor. „Wie stellen Sie sich das vor?“

„So, wie ich es gesagt habe“, entgegnete er ungerührt. „Das gesamte Gebäude wird von A nach B transportiert. Ganz einfach.“

Konsterniert sah Isabel ihn an. „Ganz einfach?“ Sie schüttelte den Kopf und versuchte, sich zu sammeln. Das Ganze war im Grunde genommen eine fantastische Idee. Das Café würde Lorenzos Bauvorhaben nicht mehr im Wege stehen, und sie konnte es einfach wie bisher weiterführen. Alles, was Jorge einst aufgebaut hatte, würde also erhalten bleiben, nur an anderer Stelle. Doch bei genauerer Betrachtung offenbarten sich die ersten Hindernisse in Lorenzos fabelhaftem Plan. „Einmal ganz davon abgesehen, dass ich kein anderes Grundstück besitze“, begann sie. „Es würde doch sicher ein kleines Vermögen erfordern, um ein solches Gebäude umzusetzen. Das kann ich mir nie im Leben leisten!“

„Wer hat denn gesagt, dass Sie die Kosten dafür tragen sollen? Die würde selbstverständlich ich übernehmen.“

„Sie?“ Misstrauisch runzelte Isabel die Stirn. „Wo ist der Haken? Ich meine, warum sollten Sie so etwas für mich tun? Doch nicht nur, weil Sie den Boden, auf dem sich mein Café befindet, so dringend benötigen? Immerhin haben Sie selbst bereits herausgefunden, dass ich es so oder so nicht mehr lange halten kann.“

„Sie haben recht. Trotzdem wäre ich dazu bereit. Darüber hinaus würde ich sogar Ihre Gläubiger ausbezahlen und Ihnen ein kleines Startkapital zur Verfügung stellen, sodass finanzielle Schwierigkeiten künftig in Ihrem Leben wohl keine Rolle mehr spielen würden.“ Er machte eine kurze Pause. „Selbstverständlich erwarte ich, dass Sie mir im Gegenzug auch einen kleinen Gefallen erweisen.“

Aha, jetzt wird es also interessant, dachte Isabel, und ihre Anspannung wuchs, bis sie kaum noch ruhig auf ihrem Stuhl sitzen bleiben konnte. Doch mit dem, was nun kam, hatte sie nicht gerechnet.

„Keine Sorge“, nahm Lorenzo mit ruhiger, gelassener Stimme den Faden wieder auf. „Ich verlange nichts Unmögliches von Ihnen. Es gibt nur eine einzige Bedingung dafür, dass ich Ihre Existenz und damit auch die Ihres kleinen Sohnes rette.“

Isabel schluckte. „Und … die wäre?“

„Nun lassen Sie es mich so ausdrücken: Ich brauche dringend eine Ehefrau, und dabei dachte ich an Sie.“

4. KAPITEL

„Eine Ehefrau? Heiraten?“

Isabels Worte brachen das entstandene Schweigen.

Lorenzo hielt einen Moment lang den Atem an. Es war faszinierend. Er konnte förmlich verfolgen, wie sie die Bedeutung seines Angebots realisierte. Ihre Gesichtsfarbe wechselte zu kreidebleich, dann überzog schließlich eine feine Röte ihre Wangen, und ihre smaragdgrünen Augen wurden groß. Sie sah unglaublich attraktiv aus.

Was muss jetzt bloß in ihrem hübschen kleinen Kopf vor sich gehen, überlegte Lorenzo. Vermutlich fragte sie sich, ob er sie lediglich veralberte und mit ihr spielte. Nun, sie hatte ja keine Ahnung, wie wenig ihm zum Scherzen zumute war.

Es ging schon längst nicht mehr um das Projekt auf Menorca. Nein, endlich sah er auch wieder eine reelle Chance, schon bald der neue Hauptanteilseigner der Firma seiner Tante zu werden. Und Isabel war für die Realisierung beider Vorhaben von essenzieller Bedeutung. Er brauchte sie, um Inés zu zwingen, endlich ihr altes Versprechen einzulösen und die übrigen achtzig Prozent der Unternehmensanteile auf ihn zu übertragen. Deshalb brauchte er sie – und ihren Sohn.

Lorenzo wusste um seine Anziehungskraft, die er auf Frauen ausübte. Somit wäre es ihm sicher nicht schwergefallen, eine geeignete Kandidatin zu finden, die bereit war, seine Ehefrau auf Zeit zu spielen. Das Kind jedoch stellte ein Problem dar. Lorenzos Erfahrung nach neigten Mütter dazu, stets zuerst an das Wohl ihres Sprösslings zu denken. Es war also kaum damit zu rechnen, dass sich eine einfach so für diese kleine Scharade zur Verfügung stellte.

Damit, dass er den Schlüssel zur Lösung all seiner Probleme ausgerechnet im Café del Playa finden würde, hatte er allerdings nicht gerechnet. Doch in dem Moment, in dem der Junge in Begleitung seines Kindermädchens erschienen und Lorenzo klar geworden war, dass es sich um Isabels Sohn handelte, hatte er erkannt, dass sie die Richtige war.

Isabels Verzweiflung war der Schlüssel zum Erfolg. Denn nur eine verzweifelte Frau würde sich auf ein unmoralisches Angebot, wie er es ihr machte, einlassen.

„Sie müssen verrückt sein!“ Isabels Feststellung riss ihn aus seinen Gedanken. Erbost sprang sie von ihrem Platz auf, ihre Augen funkelten vor Zorn. „Wie können Sie es wagen!“ Sie wirbelte auf dem Absatz herum und flüchtete von der Terrasse, vorbei an dem verblüfften Angelo, der gerade ihre Bestellung aufnehmen wollte.

Mit einem wissenden Lächeln blickte Lorenzo ihr nach. Eigentlich hatte er keine andere Reaktion von ihr erwartet. Er spekulierte darauf, dass sie sich seinen Vorschlag noch einmal in Ruhe durch den Kopf gehen ließ. Und dann würde ihr zweifellos klar werden, dass ihr im Grunde keine andere Wahl blieb. Sie stand an einem Scheideweg, der nach allen Richtungen in den Abgrund führte. Egal, welche sie einschlug, sie würde auf jeden Fall verlieren. Einzig die Lösung, die ich ihr eröffnet habe, bietet für sie und ihren Sohn eine Perspektive, dachte Lorenzo zufrieden, und ein triumphierendes Lächeln erschien auf seinen Lippen.

Was bildet sich dieser unverschämte Kerl eigentlich ein? fragte sich Isabel, während sie durch das Lokal lief und suchend nach dem Ausgang Ausschau hielt. Sie war wütend. Wütend auf Lorenzo Velásquez, auf ihre ausweglose Situation – aber vor allem auf sich selbst.

Sie stürmte weiter durch das Restaurant, ohne sich um die teils irritierten, teils neugierigen Blicke der Gäste und Angestellten zu kümmern. Sie wollte nur weg. Weg von Lorenzos spöttischem Lächeln, seiner herablassenden Art – und ganz besonders seiner unglaublichen Anziehungskraft.

Seinen Blicken und Berührungen, die dich so aus dem Konzept bringen …

Endlich fand sie den Ausgang und stolperte über die Türschwelle. Tief atmete Isabel die angenehm kühle Abendluft ein und schloss für einen Moment die Augen. Sie spürte, wie sich ihr Herzschlag allmählich beruhigte, und ihr Atem ging langsamer. Seufzend öffnete sie die Augen wieder und schüttelte den Kopf. Dieses Treffen war reine Zeitverschwendung gewesen. Zeit, die sie wirklich besser hätte verwenden können. Sie würde jetzt nach Hause fahren, und … O nein!

Aufstöhnend fuhr sie sich durchs Haar. Ihr war soeben klar geworden, dass sie so leicht nicht von hier fortkommen würde. Auf dem Parkplatz des Angelo’s standen lediglich Privatfahrzeuge, ein Taxi war weit und breit nicht zu sehen. Wenn sie also nicht ins Restaurant zurückkehren und dort darum bitten wollte, dass man ihr telefonisch einen Wagen bestellte – und das hatte sie gewiss nicht vor, dazu war ihr die Gefahr zu groß, Lorenzo noch einmal zu begegnen –, stand ihr ein längerer Fußmarsch bevor. Zumindest, bis sie die Küstenstraße erreichte, würde sich gewiss keine Mitfahrgelegenheit ergeben.

Also dann, sagte sie sich und straffte die Schultern. Doch bereits nach etwa zwanzig Metern, als die gepflasterte Auffahrt in einen mit Splitt gestreuten Schotterweg überging, kam Isabel mit ihren Stilettoabsätzen nicht mehr weiter. Fluchend zog sie die Schuhe aus. Dann eben barfuß!

Allzu weit kam sie allerdings nicht. Dank der winzigen Splittsteinchen fühlte es sich schon nach wenigen Schritten an, als würde sie auf Glasscherben laufen. Ernüchtert gab sie schließlich auf. Tränen traten ihr in die Augen. Tränen der Frustration und der Verzweiflung, nicht des Schmerzes. Aufschluchzend setzte sie sich auf einen der Randsteine, die den Weg begrenzten, und barg das Gesicht in den Händen, die High Heels noch immer an den Riemchen haltend.

Was stimmte bloß nicht mit ihr, dass sie immer wieder in solche Situationen geriet? Wieso konnte nicht ein einziges Mal alles so laufen, wie sie es sich wünschte? Eines stand fest: Wenn jedem Menschen ein gewisses Kontingent an Glück zukam, dann standen ihr definitiv glückliche Zeiten bevor. Doch nicht in allzu naher Zukunft, wie es schien.

Lorenzo hatte schon recht: Ihr blieb kaum eine andere Wahl, als das Café del Playa zu verkaufen. Und die Schuld daran trug weder sie noch der arrogante mallorquinische Hotelier. Sicher, er und seine Handlanger hatten das Ihrige dazu beigetragen, die Situation noch weiter zu komplizieren. Doch der wahre Grund für die schlechte finanzielle Situation des Lokals war Jorges jahrelange Misswirtschaft.

Er hatte das Café geliebt wie nichts anderes auf der Welt. Ein wirklich glückliches Händchen für Geschäfte hatte er jedoch nicht besessen. Statt Geld für wirklich wichtige Investitionen wie neue Geräte und notwendige Reparaturen zur Seite zu legen, hatte er sämtliche Rücklagen in irgendwelche leichtsinnigen Immobiliengeschäfte gesteckt.

Nach Louis’ Geburt hatte Isabel versucht, mäßigend auf ihren Mann einzuwirken – erfolglos. An jenem schicksalhaften Tag, an dem er mit seinem Motorrad verunglückte, war es deshalb zu einem schlimmen Streit gekommen. In ihrer Wut hatte Isabel einige Dinge gesagt, die ihr später leidtaten. Sehr leid sogar. Doch sie hatte sie nicht zurückgenommen.

Sie schüttelte den Kopf, um die Gedanken an die Vergangenheit zu verscheuchen. Was geschehen war, war durch nichts mehr rückgängig zu machen. Sie musste sich jetzt um die Gegenwart kümmern. Louis zuliebe.

Im ersten Augenblick hatte Lorenzos Angebot recht verlockend geklungen. Die Idee, das Café versetzen zu lassen, war zugegebenermaßen nicht schlecht. Damit würde Jorges Lebenswerk für Louis erhalten bleiben. Und die Aussicht, dass ihre finanzielle Notlage mit einem Schlag beendet sein könnte, war beinahe zu schön, um wahr zu sein. All ihre Probleme würden sich in Wohlgefallen auflösen. Sie könnte mit Louis noch einmal ganz von vorn anfangen. Ein Leben ohne Sorgen und Ängste führen. Einen Moment lang gab Isabel sich ihren Träumereien hin. Doch die Forderungen, die Lorenzo stellte, waren absolut indiskutabel – oder?

Das Knirschen von Schritten auf dem Streusplitt holte sie in die Gegenwart zurück. Kurz darauf erklang Lorenzos Stimme.

„Isabel?“

Hastig wandte sie das Gesicht ab und wischte sich die Tränenspuren von den Wangen. Dann zog sie ihre Schuhe an und erhob sich. Auf keinen Fall wollte sie Lorenzo Gelegenheit geben, von oben auf sie herabzublicken.

„Was wollen Sie denn noch?“, fragte sie unfreundlich. „Ich denke, zwischen uns ist alles gesagt.“

Als er schweigend näher trat, fing ihr Herzschlag unwillkürlich wieder an zu flattern, und sie drehte sich rasch um. Er sollte nicht merken, was für eine verheerende Wirkung er auf sie ausübte. Auf gar keinen Fall!

Er stand jetzt so dicht hinter ihr, dass sie seinen warmen Atem auf der Haut spüren konnte. Sein Duft – eine aufregende Mischung aus Moschus, Sandelholz und etwas, das seine ganz eigene männliche Note zu sein schien – hüllte sie ein, drohte ihr die Sinne zu rauben. Isabel schloss die Augen und erbebte. Mit ihrem ganzen Körper sehnte sie sich danach, von Lorenzo berührt zu werden. Doch beinahe mit derselben Intensität fürchtete sie sich auch davor, ihn zu nah an sich herankommen zu lassen. Sie durfte nicht vergessen, wer er war – und was er von ihr wollte!

Doch dann legte er ihr die Hände von hinten auf die Schultern, und es war, als würde ein Funkenregen auf sie niedergehen und sie in Flammen setzen. Flüssiges Feuer schien im pochenden Rhythmus ihres Herzens durch ihre Adern zu pulsieren, und als er die Finger langsam über ihre Oberarme gleiten ließ, gelang es ihr nur mit Mühe, ein Seufzen zu unterdrücken.

Hör auf damit! Reiß dich endlich zusammen!

Um sich der Berührung, die ihr fast den Verstand raubte, zu entziehen, drehte sie sich zu ihm um. Zu spät erkannte sie, dass sie es damit nur noch schlimmer machte. Seine für einen Südländer ungewöhnlich hellen Augen waren wie Magnete. Sie hielten ihren Blick gefangen, bis sie glaubte, sich in ihren graublauen Untiefen zu verlieren.

Lorenzo schwieg. Es bedurfte auch keiner Worte, denn ihre Körper entwickelten eine eigene Sprache. Sei vorsichtig, mahnte die Stimme ihrer Vernunft, die bald vom immer lauter werdenden Hämmern ihres Herzens übertönt wurde. Dies ist sein Spiel, Isabel. Wenn du dich darauf einlässt, hast du bereits verloren.

Sie wich schnell zurück, knickte dabei mit einem Absatz weg und drohte zu fallen. Nur Lorenzos blitzschnelle Reaktion bewahrte sie vor einem schmerzhaften Sturz. Doch das, was stattdessen geschah, war vielleicht noch schlimmer.

Isabel fühlte sich unglaublich geborgen in seinen starken Armen und konnte seinen Herzschlag an ihrer Brust spüren. Sie nahm die Hitze wahr, die von ihm ausging und sie in Flammen setzte. Schweigend schaute er sie an. In seinen Augen loderte dasselbe Feuer, das auch sie empfand und sie zu verzehren drohte. Die Zeit schien still zu stehen – eine Ewigkeit lang. Sie wusste nicht, wie lange sie schon so dastand und ihn wie gebannt ansah, als er sie sanft von sich schob.

Obwohl sie ihm dankbar sein sollte, dass er ihren Moment der Schwäche nicht ausgenutzt hatte, konnte sie nichts anderes empfinden als Bedauern und ein undefinierbares Sehnen, über das sie lieber nicht nachdenken wollte.

Lorenzo reichte ihr seinen Arm und maß sie mit einem fragenden Blick. „Wollen wir nicht wieder hineingehen?“

Langsam nickte sie. Dann hakte sie sich bei ihm unter.

Autor

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