Romana Gold Band 24

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MIT DIR IM PARADIES AUF ERDEN von JAMES, SUSANNE
Verärgert über den ungebetenen Gast auf seinem Landsitz, zeigt Sebastian der hübschen Fleur die kalte Schulter. Doch je mehr Zeit er mit der Freundin seiner Schwester verbringt, desto mehr will er sie in seine Arme ziehen. Dabei sieht sein Lebensplan ganz anders aus!

ERFÜLLUNG ALLER WÜNSCHE von MCCARTHY, SUSANNE
Als Samantha den charmanten Millionär Aidan Harper trifft, ist es um sie geschehen! Ein gefährliches Verlangen erwacht in ihr - erst recht, als Aidan sie küsst und sie damit auf Wolke sieben katapultiert. Nie darf er erfahren, was zwischen ihr und seinem Bruder passierte …

IN CORNWALL WARTET DAS GLÜCK von ROSS, KATHRYN
"Wie konntest du nur!" Außer sich vor Wut konfrontiert Luke Davenport seine Ex mit der Wahrheit, die sie ihm jahrelang verschwiegen hat. Alison - mittlerweile hoch verschuldet - schweigt. Dennoch schlägt Luke ihr einen geschäftlichen Deal vor. Geht Alison darauf ein?


  • Erscheinungstag 12.12.2014
  • Bandnummer 24
  • ISBN / Artikelnummer 9783733740689
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Susanne James, Susanne McCarthy, Kathryn Ross

ROMANA GOLD BAND 24

EINE LIEBE IN CORNWALL

SUSANNE JAMES

Mit dir im Paradies auf Erden

„Ich habe einen Geist gesehen!“ Fleur ist starr vor Schreck! Spukt es in dem idyllischen Herrenhaus in Cornwall, wo sie ihre Weihnachtsferien verbringt? Panisch flüchtet sie sich in die Arme von Sebastian Conway, dem attraktiven Besitzer des Anwesens. Sofort beginnt Sebastian mit ihr zu flirten – bis er sich plötzlich zurückzieht. Verbirgt er etwas vor ihr?

SUSANNE MCCARTHY

Erfüllung aller Wünsche

Wow! Was für eine Frau! Der Hotelier Aidan Harper ist hingerissen, als er der dunkelhaarigen Schönheit Samantha begegnet. Augenblicklich setzt er alles daran, die hübsche Künstlerin zu verführen – doch nach einem leidenschaftlichen Kuss lässt sie ihn abblitzen. Warum ist Samantha auf einmal wie ausgewechselt? Aidan beschließt, der Sache auf den Grund zu gehen!

KATHRYN ROSS

In Cornwall wartet das Glück

Alison kann es nicht fassen! Nach über zwei Jahren trifft sie ihre große Liebe wieder. Aber die Begegnung verläuft alles andere als harmonisch. Luke macht ihr bittere Vorwürfe – obwohl er sie damals für eine andere verließ! Und ausgerechnet er will sie nun finanziell unterstützen! Soll sie sich darauf einlassen? Alison zweifelt, denn Lukes Hilfe hat ihren Preis …

1. KAPITEL

Die Winterlandschaft hätte stimmungsvoller nicht sein können. Vorsichtig bahnte sich Fleur ihren Weg durch das Unterholz des weitläufigen Geländes von Pengarroth Hall. Die Dezembersonne warf ihre letzten Strahlen durch die kahlen Äste der alten Bäume und ließ den Raureif an den Ästen und auf dem Boden funkeln und glitzern. Wie herrlich musste es erst im Frühjahr und Sommer hier sein, wenn alles grünte und blühte?

Das Gittertor, vor dem sie ihr Auto geparkt hatte, war verschlossen gewesen, und so hatte sie sich entschieden, zu Fuß zum Haus zu gehen. Doch der anfangs recht breite Weg war immer schmaler geworden, bevor er sich schließlich ganz im Gebüsch verlor. Fleur hatte schnell begriffen, dass dies nicht die eigentliche Zufahrt zu Pengarroth Hall sein konnte. Der Friede der Landschaft und die klare Winterluft hatten sie jedoch nach der langen Autofahrt von London zu einem kleinen Spaziergang verleitet.

Noch etwas weiter, dann wollte sie umdrehen und zum Auto zurückgehen. Wahrscheinlich war sie aufgrund Mias ungenauer Wegbeschreibung zu früh abgebogen und würde noch ein Stück weiter fahren müssen. Ihre alte Freundin hatte sie nach Pengarroth Hall eingeladen, um das Weihnachtsfest auf dem alten Familiensitz zu verbringen, den sie sich mit ihrem Bruder Sebastian teilte.

Plötzlich spürte Fleur das bekannte Kribbeln im Nacken, ein Vorbote akuter Erschöpfung. Sie riss sich zusammen. Obwohl ihr die Ärzte Schonung verordnet hatten, hatte sie sich in der ohnehin schon hektischen Vorweihnachtszeit zu viel zugemutet und die letzten zwei Wochen im Labor Überstunden gemacht. Es wäre vernünftiger gewesen, sich vor der langen Fahrt nach Cornwall erst noch einmal richtig auszuschlafen, doch Mia hatte sie überredet, schon am Tag vor Heiligabend anzureisen.

„Dann ist nämlich noch keiner der anderen Gäste da und mein Bruderherz auch nicht“, hatte sie gemeint. „Wir haben das Haus dann ganz allein für uns, und es wird wie früher sein.“ Mia und Fleur kannten sich vom Internat her, wo sie sich ein Zimmer geteilt hatten. Obwohl sie seit jener Zeit eng befreundet waren, war Fleur noch nie in Pengarroth Hall gewesen.

Vorsichtig ließ sie sich auf einem Baumstumpf nieder, um sich etwas auszuruhen. Lange würde sie in der Kälte hier nicht sitzen können, außerdem war es schon vier Uhr, und es würde bald dunkel werden. Erschöpft schloss sie die Augen.

Eine männliche Stimme ließ sie erschreckt aufspringen.

„Guten Tag. Kann ich Ihnen helfen?“

Ein großer Mann in derben Stiefeln und einer mit Schlamm bespritzten Wachsjacke, das Gewehr über die Schulter, stand vor ihr. Selbst seine abweisende Miene konnte nicht darüber hinwegtäuschen, wie gut aussehend er war. Der Blick seiner dunklen Augen war beunruhigend, Furcht einflößend und … aber darüber wollte sie jetzt nicht nachdenken. Mutig hielt sie der abschätzenden Musterung stand, streckte sich und lächelte.

„Vielen Dank, ich benötige keine Hilfe“, antwortete sie dem Fremden, offensichtlich ein Wildhüter oder Jagdaufseher von Pengarroth Hall. „Dieser wunderschöne Wald hat mich lediglich zu einem Spaziergang verlockt, das ist alles.“

Einen Moment lang schwieg er, so faszinierte ihn der Anblick der Fremden. Eine so begehrenswerte Frau hatte er lange nicht mehr gesehen. „Leider muss ich Sie darauf aufmerksam machen, dass dies ein Privatgrundstück ist“, erklärte er schließlich. „Der öffentliche Weg befindet sich weiter oben und ist eindeutig als solcher ausgewiesen.“

Was für ein Wichtigtuer! Fleur war empört. Selbst wenn sie nicht Gast des Hauses gewesen wäre, rechtfertigte das nicht ein derart überhebliches Benehmen. Es fiel ihr nicht im Traum ein, ihn darüber aufzuklären, wer sie war.

„Wirklich?“, erwiderte sie. „Da werde ich mich wohl in Zukunft vorsehen müssen, wohin ich meine Füße setze.“ Sie betrachtete die Flinte. „Werde ich jetzt standrechtlich erschossen?“

Er biss sich auf die Lippe und strich sich eine Locke seines dunklen Haars aus der Stirn. „Ich zeige Ihnen jetzt den Weg zurück, es gibt nämlich mehrere Möglichkeiten, und Sie könnten sich verirren.“

Fleur betrachtete ihn herablassend. Glücklicherweise besaß sie genügend Verstand und Orientierungssinn, um nicht auf die Hilfe dieses arroganten Typen angewiesen zu sein. „Bemühen Sie sich nicht, ich komme allein zurecht.“

„Wie Sie möchten. Bitte gehen Sie sofort zur Straße zurück, denn es wird gleich dunkel.“ Er sah ihr tief in die grünen, feindselig blickenden Augen. „Zu Ihrer Information, dieser Teil des Waldes wird gerade nach einem Sturmschaden mit erheblicher Mühe neu aufgeforstet. Wenn Besucher abseits der Wege das Gelände durchstreifen und dabei die empfindlichen Setzlinge zertreten, ist das äußerst ärgerlich.“ Der Fremde nickte ihr kurz zu, drehte sich um und ging.

Fleur sah ihm nach, wie er in der Dämmerung verschwand. Ein pflichtbewusster Mann, der offen seine Meinung sagte – ein Mensch ganz nach dem Geschmack ihres Vaters. Sie schüttelte den Kopf, als sie an ihre Eltern denken musste. Dies war das erste Weihnachtsfest, das sie ohne sie verbrachte. Ihr Vater Professor Philip Richardson, ein berühmter Mathematiker, hatte die Einladung zu einem Gastvortrag in Boston mit einem Urlaub verbunden und verbrachte die Feiertage mit ihrer Mutter Helen in den Staaten.

Fleur machte kehrt und achtete genau darauf, wohin sie trat. Bis auf die unerfreuliche Begegnung mit dem kleinlichen Jagdaufseher hatte sie den Spaziergang aus vollem Herzen genossen.

Nachdem sie die Straße einen knappen Kilometer weiter talwärts gefahren war, tauchte die eigentliche und hell beleuchtete Einfahrt in der Dunkelheit auf. Die Flügel des Tors waren einladend geöffnet, und Fleur verspürte eine prickelnde Vorfreude, als sie sich Pengarroth Hall langsam auf der kurvigen Zufahrt näherte. Sie würde es genießen, Weihnachten einmal anders und mit Menschen zu feiern, die sie noch nie getroffen hatte.

„Von den Freunden, die ich eingeladen habe, kennst du nur Mandy“, hatte Mia am Telefon gesagt. „Erinnerst du dich noch an sie? Sie ist ein richtiges Partygirl.“

Und kein Mann ist vor ihr sicher, ergänzte Fleur im Stillen.

„Die anderen sind Kollegen von mir, aber Bürotratsch werde ich nicht zulassen, das verspreche ich dir“, redete Mia weiter.

Fleur und Mia lebten beide in London, doch ihr Leben sah grundverschieden aus. Mia arbeitete in einer bekannten Werbeagentur, Fleur dagegen war mit medizinischer Forschung im Labor des städtischen Krankenhauses beschäftigt. Dennoch hatte sich an ihrer Freundschaft seit der Schulzeit nichts geändert. Fleur hatte Mia um ihr freies Leben, das nicht von ehrgeizigen Eltern beeinflusst wurde, stets beneidet.

Professor Philip Richardson hatte immer konkrete Pläne für das Leben seines einzigen Kindes gehabt – dass Fleur vielleicht lieber eigene Vorstellungen verwirklichen wollte, war ihm nie in den Sinn gekommen. Gehorsame Tochter, die sie war, hatte Fleur Chemie studiert und ihren Eltern nur ausgewählte Freunde vorgestellt. Ihre Mutter hätte bestimmt nichts gegen Beziehungen oder eine Ehe gehabt, doch wie ihre Tochter verharrte sie in Ehrfurcht vor der Intelligenz und der gesellschaftlichen Position des Familienoberhauptes, der das für Verrat an der Karriere hielt. Helen sowie Fleur waren stets darauf bedacht, nicht mit ihm aneinanderzugeraten.

Kaum hatte Fleur den altmodischen Klingelzug betätigt, wurde die Tür von einer schlicht gekleideten, gut fünfzigjährigen Frau geöffnet, die freundlich lächelte.

„Ich bin Pat, die Haushälterin“, stellte sie sich vor. „Sie müssen Fleur Richardson sein, unser einziger Gast für heute. Schön, dass Sie uns gefunden haben. Bitte treten Sie ein. Mia wird sofort kommen – Sie wäscht sich gerade die Haare.“

Fleur kam der Aufforderung nach. Der Zauber des Hauses nahm sie sofort gefangen. Es war über zweihundert Jahre alt, und vier Generationen Conways hatten es zu einem wirklichen Familiensitz werden lassen. Neben der Freitreppe in der Halle stand ein riesiger, mit Kerzen, Lametta und Kugeln geschmückter Weihnachtsbaum. In einer Ecke befand sich eine altmodische Standuhr, an den Wänden standen gemütliche Polstermöbel, und auf einem alten Tisch mit deutlichen Gebrauchsspuren lagen stapelweise Zeitungen und Illustrierte.

In einem Ohrensessel, den stark ergrauten Kopf auf ein verschlissenes blaues Samtkissen gelegt, hatte es sich ein betagter schwarzer Labrador bequem gemacht, der hörbar schnarchte. Als er Fleur hörte, öffnete er kurz die Augen, seufzte und schlief sofort weiter.

Fleur musste lächeln. Was für ein Unterschied zu dem stilvollen Haus ihrer Eltern in Surrey oder den nüchternen Designermöbeln ihrer Wohnung in London! In Pengarroth Hall würde sie sich wohlfühlen und jeden Augenblick ihres Besuchs genießen, das wusste sie sofort.

In diesem Moment erschien Mia oben auf der Treppe, nur mit Höschen und BH bekleidet und ein Handtuch wie einen Turban um den Kopf gewickelt.

„Hallo Fleur, komm hoch, ich bin sofort fertig. Ist das nicht alles toll? Ich liebe Weihnachten!“

Fleur folgte ihrer Freundin in deren Zimmer und setzte sich aufs Bett, während Mia sich energisch das nasse Haar frottierte. „Ich hoffe, es macht dir nichts aus, mit mir in einem Raum zu schlafen, auch die anderen sind zusammen untergebracht.“ Sie ließ die Hände kurz ruhen. „Wir haben zwar unbenutzte Gästezimmer genug, aber ich wollte es Pat nicht zumuten, sie für die kurze Zeit herzurichten. Die Jungs werden nichts dagegen haben, da bin ich mir sicher. Gus und Tim kennen sich schon ewig, und Rupert und Matt sind völlig unkompliziert.“ Mia hängte das Handtuch über eine Stuhllehne und griff zum Föhn.

„Natürlich macht es mir nichts aus, ganz im Gegenteil, es wird wieder wie in alten Zeiten im Internat sein.“ Fleur betrachtete ihre Freundin. „So langes Haar hast du noch nie gehabt, Mia.“

Mias dichtes braunes Haar reichte fast bis zu den Schulterblättern und ließ sie noch größer erscheinen, als sie ohnehin schon war.

„Das hat Matt zu verantworten.“ Sie zwinkerte Fleur zu und schaltete den Föhn ein. „Er findet das schön.“

„So? Darf ich daraus schließen, dass Matt zurzeit der Mann in deinem Leben ist?“

„Das könnte man so sagen.“ Mia lächelte vage. „Nichts Ernstes natürlich, wir gehen nur zusammen aus. Deshalb hielt ich es auch für klüger, Weihnachten nicht allein mit ihm zu verbringen – die Gefahr, falsche Hoffnungen zu wecken, war mir zu groß. Und was ist mit dir? Gibt es da jemanden, von dem ich wissen sollte?“

„Nein“, antwortete Fleur leise. Und höchstwahrscheinlich wird das auch immer so bleiben, setzte sie im Stillen hinzu.

Mia nickte verständnisvoll, enthielt sich jedoch eines Kommentars, denn sie kannte Professor Richardsons Einstellung. „Verschwende deine Intelligenz und Karriere nicht an Ehe und Kinder“, hatte sie ihn zu Fleur oft sagen hören. „Dafür ist noch Zeit genug.“

„Im kommenden Jahr werden wir beide siebenundzwanzig“, überlegte Mia laut. „Das ist noch nicht wirklich alt, doch höchste Zeit, sich ernsthaft umzusehen.“ Sie schaltete den Föhn kurz aus und seufzte. „Ich finde die Vorstellung, einen Mann und Familie zu haben, durchaus verlockend, nur die Suche nach einem geeigneten Partner gestaltet sich für mich schwieriger als gedacht. Sobald ich nämlich herausgefunden habe, wie ein Mann tickt, verliere ich das Interesse an ihm.“ Sie lachte kurz. „Und wie geht es dir nach der Trennung von Leo?“

Fleur blickte zu Boden. „Ich unternehme ziemlich regelmäßig etwas mit Kollegen und gehe oft aus, meine Nächte verbringe ich jedoch immer allein, brav, wie ich nun einmal bin.“

Bei der letzten Bemerkung lächelte sie traurig. Leo hatte ihr sehr viel bedeutet, doch ihrem Vater war es gelungen, die Beziehung auseinanderzubringen. Drei Jahre war das jetzt her, und mittlerweile war Fleur zu der Überzeugung gekommen, dass ihr Vater nur zu ihrem Besten gehandelt hatte: Sie war einfach nicht zur Ehefrau geboren.

Dem Beispiel ihrer Mutter zu folgen und sich einem Ehemann in allem willig unterzuordnen schien für sie keine Alternative. Im Grunde seines Herzens war ihr Vater ein großzügiger und liebevoller Mann, das musste Fleur zugeben, doch einen eigenen Willen gestand er weder seiner Frau noch seiner Tochter zu. Es gab nur eine Meinung, die zählte, und das war seine eigene. Fleurs Auffassung nach jedoch besaß niemand den Stein der Weisen und damit auch nicht das Recht, anderen seine Meinung aufzuzwingen. An der Seite eines solchen Mannes ihr Leben zu verbringen kam für sie nicht infrage.

Sie stand auf, ging zum Fenster und blickte gedankenverloren in den Garten, von dem in der Dunkelheit kaum etwas zu erkennen war.

Mia spürte ihre Traurigkeit und versuchte, sie aufzumuntern. „Mir wird es stets ein Rätsel bleiben, wie es dir gelungen ist, so lange Single zu bleiben, Fleur. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie neidisch wir früher alle auf dich waren. Immer hast du uns die besten Typen vor der Nase weggeschnappt.“

Das war nicht übertrieben, denn über mangelnde Verehrer hatte sich Fleur nie beklagen können. Allein schon ihre zierliche Figur, das herzförmige Gesicht mit den grünen Augen und den langen, dichten Wimpern zogen die Blicke auf sich. Doch besonders ihr wacher Verstand in Verbindung mit ihrer Empfindsamkeit und Verletzlichkeit machten sie für Männer unwiderstehlich und weckten deren Beschützerinstinkt.

„Ich hatte viele Chancen, trotzdem ist nie etwas daraus geworden. Trotzdem bin ich zufrieden, ich habe mein Forschungsprojekt und das Labor, und über Langweile kann ich mich wirklich nicht beklagen.“ Sie machte eine kleine Pause. „Ich möchte mir in mein Leben nicht hineinreden lassen. Männer meinen stets, sie allein wüssten, wo es langgeht.“

„Das stimmt.“ Mia nickte. „Doch auch damit lässt sich leben. Mit etwas weiblicher Raffinesse kann eine Frau ihre Interessen meistens durchsetzen.“

„Wenn du meinst.“ Fleur blieb skeptisch. „Aber wozu der Umstand? Wenn ich mich nach niemandem richten muss und mein Leben selbst gestalten kann, vermeide ich Auseinandersetzungen von vornherein. Ich muss mir das Leben wirklich nicht kompliziert machen.“

„Das sagst du jetzt. Warte nur ab, bis du den Richtigen triffst, dann wirst du deine Meinung ändern, darauf wette ich.“ Mia betrachtete ihre Freundin mit wissenden Augen. Wie blass und zerbrechlich Fleur wirkte, sie hatte in letzter Zeit viel zu stark abgenommen.

Fleur zuckte die Achseln. „Wir werden sehen.“ Sie zögerte. „Um ehrlich zu sein, geht es mir in letzter Zeit nicht sehr gut, Mia. Ich habe keinen Appetit und bin nur noch müde. Der Arzt hält es für die Folgen von zu viel Stress – wie sehr ich dieses Wort hasse! Jedenfalls werde ich die Feiertage auf sein Anraten hin zu einer kleinen Auszeit nutzen und erst ab Mitte Januar wieder arbeiten.“

„Dann bleib doch einfach länger hier. Die anderen reisen sofort nach den Weihnachtsfeiertagen wieder ab, ich muss erst am zweiten Januar wieder nach London. Bis dahin hätten wir Zeit für uns, und danach könntest du es dir noch alleine gemütlich machen und dich von Pat nach Strich und Faden verwöhnen lassen. Wenn jemand deinen Appetit wieder zu wecken vermag, dann sie. Ausschlafen, spazieren gehen oder lesen. Tue einfach, was du möchtest – das ist doch dein Lebensideal, oder?“

„Das klingt verlockend. Doch ich kann von Pat nicht erwarten …“

„Zerbrich dir darüber nicht den Kopf“, unterbrach Mia sie lachend. „Pat wird begeistert sein, sich endlich wieder um Menschen kümmern zu dürfen und nicht um ein leer stehendes Haus.“ Sie öffnete den Kleiderschrank. „Was soll ich nur anziehen?“

Nach einigem Überlegen entschied sie sich für Jeans und einen grob gestrickten Pullover. „Wir holen jetzt dein Gepäck aus dem Auto, und dann lasse ich dich eine Stunde allein, damit du in Ruhe auspacken kannst.“ Sie zog sich an und bürstete ihr Haar in Form. „Ich bin auch erst vor zwei Stunden angekommen. Hat Pat den Baum nicht toll geschmückt? Diese Frau ist wirklich ein Schatz.“

„Wohnt sie hier im Haus?“, erkundigte sich Fleur.

„Nur, wenn wir oder unsere Gäste hier sind. Ansonsten lebt sie mit ihrer Mutter in einem eigenen kleinen Haus auf dem Anwesen und sieht von dort aus nach dem Rechten. Sebastian lebt leider auch nicht ständig hier, weil er zwischendurch immer noch für seine alte Kanzlei arbeitet.“ Mia biss sich auf die Lippe. „Natürlich ist er jetzt der Gutsherr.“

„Es muss schwierig für ihn sein, seinen Job und die Verwaltung der Ländereien unter einen Hut zu bringen“, warf Fleur eilig ein. „Bestimmt hat er nicht damit gerechnet, diese Aufgabe schon so früh übernehmen zu müssen.“

„Nein. Wer hätte auch gedacht, dass unsere Eltern vor vier Jahren so kurz hintereinander starben? Beide waren noch nicht einmal sechzig. Es war schrecklich.“

„Ich weiß.“ Fleur war über die Familienverhältnisse bestens informiert, kannte jedoch außer Mia niemanden persönlich.

„Sebastian war damals gerade dreißig und genoss sein Junggesellenleben in London in vollen Zügen, er war ein Playboy, wie er im Buche steht. Von heute auf morgen musste er dieses Leben zum Leidwesen seiner Clique und unzähliger Verehrerinnen aufgeben und erwachsen werden. Obwohl er für seine neue Rolle innerlich noch gar nicht bereit war, hat er sich erstaunlich gut und schnell mit den geänderten Bedingungen abgefunden – zur Freude und zum Stolz meiner Großmutter.“

„Wie alt ist sie eigentlich?“

„Mitte achtzig, und für Sebastian und mich ist sie immer noch der Mittelpunkt der Familie. Obwohl sie ihr Leben mit meinem Großvater hier verbracht und hier auch ihre Kinder großgezogen hat, ist sie im Grunde ihres Herzens stets ein Stadtkind geblieben. Gleich, nachdem sie verwitwet war, hat sie sich in London eine elegante Eigentumswohnung gekauft. Dort residiert sie wie eine Herzogin, hat einen riesigen Bekanntenkreis und führt ein reges gesellschaftliches Leben. Trotzdem ist Pengarroth Hall auch für sie der eigentliche Sitz der Familie und Sebastian der große Hoffnungsträger. Sie vergöttert ihn regelrecht.“

Fleur fand das alles spannend. Ihre eigene Familie bestand nur aus ihren Eltern, und sie hatte noch nicht einmal ihre Großeltern gekannt.

Auf dem Weg zum Auto blieben Mia und Fleur in der Halle bei dem schnarchenden Hund stehen.

„Armer alter Benson.“ Mia streichelte liebevoll seinen Kopf. „Er schläft fast nur noch und ist zu nichts mehr zu gebrauchen. Sebastian will ihm jedoch keinen jungen Konkurrenten vor die Nase setzen. Außerdem hat Frank, unser Aufseher, schon genug zu tun, ohne auch noch einen Junghund abrichten zu müssen.“

Fleur schnitt ein Gesicht. „Ich glaube, ich kenne Frank. Er hätte mich wohl am liebsten sofort wegen Hausfriedensbruchs verhaftet, weil ich versehentlich das erste Tor benutzt habe.“

„Was für eine Ungeheuerlichkeit!“ Mia verdrehte die Augen. „Wahrscheinlich war es meine Schuld, einen Weg genau zu beschreiben gehört leider nicht zu meinen Stärken. War er sehr unhöflich?“

„Er hat mich umgehend zurückgeschickt und strengstens ermahnt, in Zukunft nur öffentliche Wege zu benutzen.“

Mia kicherte. „Typisch. Frank ist meistens recht kurz angebunden und nimmt es mit seinen Pflichten äußerst genau, aber für uns ist er Gold wert. Er vertritt Sebastian während dessen Abwesenheit und betreut während der Saison unsere Jagdgäste.“

Nachdem Fleur und Mia die Koffer nach oben gebracht hatten, packte Fleur aus und zog sich um. Sie wählte Jeans und einen Pullover, dessen Grün die Farbe ihrer Augen auf das Wirkungsvollste unterstrich. Dann band sie sich das Haar im Nacken zusammen, schminkte sich ab und schlüpfte barfuß in ihre Clogs. Von Make-up und eleganten Schuhen befreit, fühlte sie sich herrlich beschwingt und freute sich auf einen gemütlichen Abend mit einer ihrer besten Freundinnen.

Beinahe wäre sie auf der letzten Stufe mit Pat zusammengestoßen, so schnell lief sie die Treppe hinunter.

„Da sind Sie ja. Mia verteilt im Dorf noch Weihnachtsgeschenke und bittet Sie, im Salon vorne links auf sie zu warten. Ich bringe Ihnen sofort einen Tee.“

Fleur tat, wie ihr geheißen, und setzte sich in einen Ohrensessel, der ganz nah am Feuer stand, das in dem offenen Kamin knisterte. Die Stimmung war so weihnachtlich, wie man sie sich nur wünschen konnte, die Möbel altmodisch und bequem, der Teppich weich und schon etwas ausgeblichen, und Fleur fühlte sich so wohl wie schon lange nicht mehr. Sie streifte die Schuhe ab, lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen.

Sie streckte die nackten Füße der wohltuenden Wärme entgegen und spreizte genüsslich die Zehen. Vielleicht, aber auch nur vielleicht, nehme ich Mias Angebot ja doch an, dachte sie schläfrig. Mir geht es hier richtig gut, und was spricht gegen eine Woche Urlaub auf Pengarroth Hall, wenn ich dabei niemandem im Wege bin?

Plötzlich hatte sie das Gefühl, beobachtet zu werden, und öffnete abrupt die Augen. Sie blickte direkt in das Gesicht des Aufsehers. Er trug perfekt sitzende Designerjeans und ein dunkles Polohemd, die Hände hatte er in den Taschen – offensichtlich fühlte er sich hier ganz wie zu Hause.

„Hallo.“ Fleur kuschelte sich tiefer in den Sessel. „Da treffen wir uns ja schon wieder.“ Sie hoffte, die Erkenntnis, dass sie Gast des Hauses war, wäre ein heilsamer Schock für ihn.

Er kniff die Augen zusammen und musterte sie, ihre zierliche Figur und den Teint, der seine Zartheit offenkundig allein der Natur verdankte. Bevor er jedoch auch nur ein Wort sagen konnte, kam Mia ins Zimmer geeilt, blieb jedoch bei seinem Anblick unvermittelt stehen.

„Sebastian! Du hier?“

„Dies ist mein eigentliches Zuhause, falls du das vergessen haben solltest.“ Er umarmte sie herzlich. „Hallo, Schwesterlein.“

„Du wolltest doch erst morgen früh kommen!“

„Meine Pläne haben sich kurzfristig geändert. Ist das ärgerlich für dich?“

„Natürlich nicht! Du hast mich nur überrascht, das ist alles, Pat hat mir nämlich auch nichts verraten.“

„Sie wusste auch nichts davon. Als ich heute Vormittag angekommen bin, war sie nicht da. Statt auf sie zu warten und um das Tageslicht auszunutzen, habe ich sofort einen Rundgang über das Gut gemacht – Frank hat heute nämlich frei. Hier bin ich also und hoffe, meine Anwesenheit durchkreuzt nicht eure Pläne.“

„Dummkopf, wie kommst du denn auf die Idee?“ Mia boxte ihn freundschaftlich in die Seite und ging zu Fleur, die einen roten Kopf bekommen hatte. Wie hatte sie nur so schwer von Begriff sein können! Sebastian Conway ließ sich nun wirklich nicht mit einem Aufseher verwechseln.

„Habt ihr euch schon miteinander bekannt gemacht?“, erkundigte sich Mia. „Fleur, dies ist mein Bruderherz, und dies, Sebastian, ist meine alte Freundin Fleur Richardson.“

Fleur stand auf, obwohl sie am liebsten im Boden versunken wäre, und Sebastian schüttelte ihr die Hand. „Wir haben uns bereits getroffen.“ Er betrachtete sie nachdenklich. „Sie hätten mir wirklich sagen sollen, wer Sie sind.“

Mia war irritiert. „Könnte mir bitte jemand erklären …“

„Dies ist der Mann, den ich für Frank hielt“, bekannte Fleur zögernd, und Mia musste laut lachen.

„Oh Sebastian! Fleur hat mir berichtet, wie unmöglich du sie behandelt hast. Wie konntest du nur?“

„Wenn ich gewusst hätte, wer Fleur ist, hätte ich sie natürlich zum Auto zurückbegleitet und ihr den richtigen Weg gezeigt. Aber du weißt ja, wie Frank sich mit den Setzlingen anstellt, wofür ich ihm ja auch äußerst dankbar bin. Deshalb habe ich die Schonung sofort nach meiner Ankunft kontrolliert – und bin prompt deiner Freundin begegnet.“

„Dann lassen Sie mich die Gelegenheit nutzen und mich für mein rücksichtsloses Verhalten entschuldigen.“ Fleur täuschte eine Gelassenheit vor, die sie nicht fühlte.

„Und ich möchte mich für meine Unhöflichkeit entschuldigen“, erwiderte er.

In diesem Moment erschien Pat, um den Tee zu servieren. „Wie schön, endlich wieder Gäste hier zu haben.“ Glücklich blickte sie von einem zum anderen. „Das Abendessen ist in einer Dreiviertelstunde fertig“, verkündete sie strahlend, bevor sie sich wieder zurückzog.

Die drei tranken Tee und unterhielten sich, wobei sich Fleur Sebastians Anwesenheit stets bewusst war. Seine langen Beine, die breiten Schultern und vor allem seine energischen Gesichtszüge beeindruckten sie tief. Dieser Mann besaß eine ausgeprägte Persönlichkeit. Seinen Willen durchzusetzen und die Zügel in der Hand zu halten schien für ihn eine Selbstverständlichkeit zu sein. Das war ihm angeboren und würde sich niemals ändern.

Auch Sebastian dachte über Fleur nach, während Mia lebhaft und ausführlich über die Neuigkeiten in ihrem Leben berichtete. Fleur war so ganz anders als die Frauen, die ihm seine Schwester bisher als Freundinnen vorgestellt hatte. Weder machte sie ihm schöne Augen, noch versuchte sie mit anderen Mitteln, seine Aufmerksamkeit zu erregen.

Sie war äußerst attraktiv, das musste er zugeben, und dem nach zu urteilen, was sie über ihre Forschungsarbeit berichtete, auch überdurchschnittlich intelligent. Gerade deshalb irritierte ihn, wie zurückhaltend sie war.

Arroganz war es nicht, Fleur wirkte eher einsam und traurig. Warum ging ihm das so zu Herzen? Abrupt stand er auf und ging zum Barschrank, um für alle einen Aperitif einzuschenken.

2. KAPITEL

„Das war mein schönstes Weihnachtsfest“, gestand Fleur, während sie Mia und Pat beim Aufräumen der Küche half.

Zusammen mit ihrer Mutter Beryl hatte Pat die ganze Gesellschaft während der Feiertage mit den ausgefallensten Köstlichkeiten versorgt. Jetzt, nachdem die Gäste abgereist waren, kehrte langsam der Alltag wieder ein.

„Vielen Dank für all die viele Arbeit, Pat“, meinte Mia. „Du bist wirklich die beste Köchin der Welt, deine Gans war einfach ein Gedicht!“

„Du weißt, wie ich mich freue, wenn Sebastian und du hier seid.“ Pat hängte die Geschirrtücher zum Trocknen über einen Ständer. „Und deine Freunde waren besonders angenehme und dankbare Gäste. Wenn ich abgeräumt habe, waren die Schüsseln stets leer, was das größte Kompliment für eine Köchin ist.“

Mia warf ihrer Freundin einen kurzen Seitenblick zu. Fleur hatte sich in die ihr unbekannte Gesellschaft bestens eingefügt und das Festmahl sichtlich genossen, obwohl sie nur wie ein Spatz gegessen hatte.

„Ja, alle waren begeistert. Vielleicht wiederholen wir das Ganze nächstes Jahr.“ Mia kicherte. „Damit geben wir der unverbesserlichen Mandy eine zweite Chance. Sie war der festen Überzeugung, die sentimentale Weihnachtsstimmung wäre die Gelegenheit, Sebastian zu verführen.“

Pat schnaufte verächtlich. „Als ob Sebastian für so etwas zu haben wäre!“ Als langjährige Hausangestellte scheute sie nicht davor zurück, ihre Meinung frei zu äußern. „Besonders, wenn man berücksichtigt …“ Sie verstummte.

„Du hast recht, Pat.“ Mia zog sich einen Stuhl unter dem Tisch hervor. „Armer, alter Sebastian, es …“

„Was ist mit dem armen, alten Sebastian?“ Er betrat die Küche.

„Nichts Bestimmtes“, beeilte sich Mia, ihn zu beruhigen. „Ich habe nur gerade von Mandy erzählt. Sie kann das Flirten einfach nicht lassen. Auf dich hatte sie es ganz besonders abgesehen, oder hast du das etwa nicht bemerkt?“

Er lächelte und schwieg.

Fleur betrachtete ihn verstohlen. Sebastian hatte sich während der Festtage auffällig zurückgezogen. Heiligabend hatte er mit Freunden im Dorf verbracht und war erst gegen Morgen nach Hause gekommen. An den Feiertagen war er nur zu den Hauptmahlzeiten erschienen, was Fleur gut verstand.

Er war um einige Jahre älter, und Mias Clique mitsamt den oberflächlichen Gesprächen, die durch den reichlichen Alkoholkonsum auch nicht gerade an Tiefe gewannen, schien ihn zu langweilen. Fleur runzelte unwillkürlich die Stirn.

Sebastian war ihr ein Rätsel, denn er entsprach nicht dem Klischee eines gut aussehenden Junggesellen. Während der vergangenen Tage hatte er seine Aufmerksamkeit allein seiner Schwester geschenkt, die er offensichtlich vergötterte. Wie er sie, Fleur, einschätzte, wusste sie nicht. Ab und zu hatte er sie intensiv beobachtet, das hatte sie gespürt, doch sein Verhalten ihr gegenüber war völlig neutral geblieben.

Obwohl es schon spät war und bald dunkel sein würde, wollte Fleur unbedingt noch einen Spaziergang machen. Wenn Mia und ihre Freunde die vergangenen Tage eins vernachlässigt hatten, dann frische Luft und Bewegung.

„Mia, komm, lass uns wenigstens eine halbe Stunde lang die Füße vertreten“, wandte sie sich an ihre Freundin, die es sich gerade auf dem Stuhl bequem gemacht hatte.

„Oh Fleur, bei aller Liebe, aber dazu habe ich bei dem nasskalten Wetter und dem matschigen Boden nun wirklich keine Lust.“ Mia schüttelte entschieden den Kopf, lächelte jedoch plötzlich triumphierend. „Ich hab es! Sebastian wird dich begleiten und vor all den Gefahren im dunklen Wald beschützen. Darf ich mich auf dich verlassen, Bruderherz?“

Fleur war die Situation ausgesprochen peinlich. „Nein, nein, bitte nicht. Es war nur so eine verrückte Idee von mir. Vergesst es.“

„Weshalb? Es ist ein ausgesprochen vernünftiger Vorschlag. Wir sollten uns allerdings beeilen, sonst sehen wir nämlich nichts mehr.“ Sebastian musterte Fleur beiläufig.

Er bewunderte ihren äußerst eleganten und doch zurückhaltenden Kleidungsstil. Beim Weihnachtsessen hatte sie in ihrem schlichten schwarzen Kleid und der filigranen Goldkette um den Hals seiner Meinung nach alle anderen Frauen in den Schatten gestellt. „Ziehen Sie sich bitte warm und vernünftig an, festes Schuhwerk haben Sie ja hoffentlich dabei.“

Wie bestimmend das klang, aber wahrscheinlich war Sebastian nur fürsorglich. „Natürlich, Mia hat es mir ausdrücklich empfohlen. Ich hole einen dickeren Pullover und meine Wachsjacke. Ich bin sofort wieder da.“

Kaum hatte sie die Küche verlassen, wandte Mia sich an ihren Bruder. „Sebastian, ich möchte dich um einen Gefallen bitten. Ich habe Fleur überredet, nach meiner Abreise noch etwas hierzubleiben, ungefähr zehn Tage. Pat weiß schon Bescheid und wird sie versorgen.“

„Ich freue mich schon richtig darauf.“ Pat räumte die letzten Teile aus dem Geschirrspüler. „Ich mag Fleur ganz besonders, und sie war immer die Erste, die ihre Hilfe angeboten hat.“

„Einverstanden, doch was habe ich damit zu tun?“

„Du bist doch bis Ende des Monats auch noch hier, und es wäre schön, wenn du dich etwas um sie kümmern könntest.“

„Und das bedeutet?“ Sebastian seufzte resigniert.

„Nicht viel, einfach nur da sein, ab und zu mit ihr zusammen essen, ihr die Gegend zeigen und sie vielleicht einmal in den Pub einladen.“ Mia runzelte die Stirn. „Ich mache mir Sorgen um Fleur. Sie hat so abgenommen und leidet unter Schlaflosigkeit. Einfach abzuschalten und auszuspannen wird ihr guttun, etwas Gesellschaft könnte ihr jedoch auch nicht schaden.“

„Mia, muss ich dich erst daran erinnern …“

„Ich weiß, was du sagen willst, Sebastian“, unterbrach sie ihn. „Aber glaube mir, ich mache denselben Fehler nicht zwei Mal. Ich habe meine Lektion gelernt und werde mich bestimmt niemals wieder als Ehestifterin betätigen.“

„Schön, diese Worte aus deinem Munde zu hören.“ Er neigte den Kopf. Vor nicht allzu langer Zeit hatte Mia ihn ebenfalls mit einer guten alten Freundin bekannt gemacht – sie schien Scharen davon zu besitzen. Er hatte sich in sie verliebt und sie heiraten wollen, doch die Verlobung hatte mit einer Katastrophe geendet. Seitdem scheute er vor jeder ernsthaften Verbindung zurück, was ein Problem für ihn war.

„Fleur ist wirklich nicht auf der Suche nach einem Mann, da kannst du völlig beruhigt sein. Sie will sich nicht unterordnen, sondern ihr Leben selbst bestimmen.“ Mia schüttelte den Kopf und seufzte. „Sie tut mir leid. Trotz ihrer glänzenden Karriere, ihres Selbstbewusstseins und all ihrer Unabhängigkeit scheint sie nicht wirklich glücklich zu sein. Ich habe das Gefühl, sie verschwendet ihr Leben, und das macht mich traurig.“

„Es macht mir nichts aus, den höflichen Gastgeber zu spielen, wenn es das ist, was du von mir erwartest“, antwortete er. „Für ein Tage füllendes Programm zu sorgen fehlt mir jedoch die Zeit. Ich muss die Sachen aufarbeiten, die während der vergangenen vier Wochen liegen geblieben sind, und habe Termine mit meinem Steuerberater und Kunden in Truro.“ Er machte eine Pause. „Aber gut, dir zuliebe werde ich mich hier ab und zu blicken lassen, um deiner Freundin das Händchen zu halten.“

„So weit brauchst du gar nicht zu gehen.“ Mia lächelte. „Fleur würde das auch niemals dulden. Sei einfach du selbst und unterhalte dich hin und wieder mit ihr, das wird ihr guttun.“

Fleur hatte sich beeilt und daher den größten Teil des Gesprächs durch die geschlossene Küchentür mitbekommen. Das Blut gefror ihr in den Adern. Wie konnte Mia bloß Sebastian und sie in eine derart peinliche Situation bringen? Was sollte sie nur tun?

Zuzugeben, das Gespräch gehört zu haben und sofort abzureisen, wäre theatralisch, doch dass Sebastian sich durch sie in seinen Plänen empfindlich gestört fühlte, lag ebenfalls auf der Hand. Da blieb nur eins: Sie würde tun, als sei nichts geschehen, und in einigen Tagen ein Telefongespräch erfinden, das ihre Heimkehr dringend erforderlich machte.

Also kein Grund zur Panik. Gefasst öffnete sie die Tür und betrat die Küche. Sebastian rief nach Benson, der sich auch brav von seinem warmen Plätzchen am Herd erhob.

„Wir nehmen ihn mit“, erklärte er Fleur. „Bewegung tut ihm gut, und allzu weit können wir sowieso nicht mehr gehen.“

Der Wind war schärfer, als Fleur gedacht hatte, und fröstelnd stellte sie den Kragen ihrer Wachsjacke hoch.

„Wenn Sie möchten, können wir jederzeit umdrehen“, bemerkte Sebastian, dem das nicht entgangen war.

„Nein, ich sehne mich nach frischer Luft. Doch wenn Sie etwas anderes vorhaben, gehe ich mit Benson allein weiter. Ich kenne den Weg, wir sind ihn gestern alle zusammen gegangen.“

„Mia würde mich umbringen, wenn ich Sie allein in die Dunkelheit schicke“, erwiderte er.

Fleur nickte abwesend. Schweigend gingen sie eine Weile nebeneinander her. Es war tatsächlich nasskalt und matschig, doch das störte Fleur wenig. Sie gab sich ganz dem Zauber hin, den der riesige Park auf sie ausübte, seit sie ihn zum ersten Mal betreten hatte.

„Es muss wunderbar sein, hier jederzeit spazieren gehen zu können“, sagte sie aus der Stimmung heraus. „Mia hat mir erzählt, dass Sie noch Teilzeit in Ihrer Kanzlei arbeiten“, redete sie zögernd weiter. „Fahren Sie noch oft nach London? Es muss für Sie doch schrecklich sein, immer wieder eine so weite Strecke zurücklegen zu müssen.“

„Manchmal ja“, antwortete er nach einigem Überlegen. „Doch wie dem auch sei, lange wird dieser Zustand nicht mehr dauern. Es wird zunehmend komplizierter, beiden Aufgaben gerecht zu werden. Ich denke, bald werde ich mich aus der Firma ganz zurückziehen müssen, um ständig hier zu leben.“

Etwas in seiner Stimme ließ Fleur aufhorchen. „Fällt Ihnen das schwer?“

„Ich gewöhne mich langsam an die Vorstellung. Ich wusste natürlich schon immer, was meine eigentliche Aufgabe ist. Ich hatte jedoch nicht damit gerechnet, dass ich sie schon so früh übernehmen muss.“ Er machte eine kleine Pause. „Ich habe in London einen Freundeskreis, der mir sehr viel bedeutet, weiß jedoch genau, dass ich ihn von hier aus nicht so pflegen kann, wie ich es bisher gewohnt war. Ich werde auf dem Lande begraben sein, damit werde ich leben müssen.“

„Es ist wirklich sehr ärgerlich – um es milde auszudrücken –, wenn einem vorgeschrieben wird, wie man sein Leben zu führen hat“, bemerkte Fleur nach kurzem Schweigen.

„Das klingt, als sprechen Sie aus Erfahrung.“

Sie lächelte flüchtig. „In gewisser Weise. Natürlich wird von mir nichts Großartiges verlangt, ich muss keinerlei Verantwortung für ein Familienerbe übernehmen, aber …“

„Reden Sie weiter“, ermunterte er sie. „Das interessiert mich.“

„Bei mir ist es einfach so, dass mein Vater mit meinen Vorstellungen vom Leben nicht einverstanden war. Ich musste Wissenschaftlerin werden, darauf bestand er. Wenn man von der Natur eine überdurchschnittliche Intelligenz geschenkt bekommt, darf man sie nicht verschwenden, sondern muss sie zum Wohl der Allgemeinheit einsetzen. Deshalb betreibe ich medizinische Forschung.“

Fleur überlegte. „Natürlich mache ich das gern, es gibt meinem Leben einen Sinn, und wenn wir eine bahnbrechende Entdeckung gemacht haben, kann ich mich auch im Erfolg sonnen. Wenn ich ehrlich bin, finde ich meinen Arbeitsalltag meistens langweilig und enttäuschend gleichförmig.“ Sie zögerte einen Moment, bevor sie fortfuhr. „So sieht, auf den Punkt gebracht, mein Leben aus. Dabei hatte ich ganz andere Pläne – wahrscheinlich reine Spinnereien.“

Zum ersten Mal seit ihrer Bekanntschaft lächelte Sebastian sie offen an, und Fleurs Herz setzte einen Schlag aus. Sebastian sah nicht nur gut aus, er besaß auch Herzlichkeit und Wärme. „Und? Was wären Sie am liebsten geworden?“

„Sie werden es nicht glauben – Opernsängerin.“ Sie blickte zu Boden. „Ich hätte es gern versucht, obwohl mein Talent und auch mein Durchsetzungsvermögen wahrscheinlich nicht gereicht hätten. Auch das Glück, das man zu einer solchen Karriere braucht, wäre mir bestimmt nicht hold gewesen.“ Sie lachte. „Ich habe nämlich immer nur Pech, alle Lose, die ich ziehe, erweisen sich stets als Nieten. Es gibt Leute, die in jeder Lotterie oder bei jedem Preisausschreiben etwas gewinnen.“

„Das stimmt, ich scheine eigenartigerweise auch dazuzugehören. Aber erzählen Sie weiter, offensichtlich hatten Sie ja Gesangsunterricht.“

„Oh ja, den hat mein Vater erlaubt.“ In ihrer Stimme schwang leichte Bitterkeit mit. „Doch als ich dann so weit war, an öffentliche Auftritte und Konzertexamen zu denken, hat er allem einen Riegel vorgeschoben.“ Fleur seufzte. „Beides, mein Chemiestudium und die Musik, zu vereinbaren war für mich unmöglich. Also beschränkte ich mich darauf, die Arien auf meinen CDs mitzusingen – wenn mein Vater es nicht hören konnte.“

Das Bedauern, das aus ihren Worten klang, berührte Sebastian. „Auf eine Art gleicht sich unsere Situation“, erwiderte er. „Beide tun wir, was andere für uns beschlossen haben.“ Wieder lächelte er auf seine unnachahmliche Art. „In meinem Fall jedoch passierte nur schneller, was mir sowieso letztendlich bestimmt war. Sie dagegen könnten sich noch umentscheiden, dazu ist es bestimmt noch nicht zu spät.“

Fleur musste lachen. „Das würde mir mein Vater nie verzeihen, und ich käme mir wie eine Sünderin vor, wenn ich meine wissenschaftliche Karriere einem solch oberflächlichen Beruf opfern würde. Mit Singen rettet man schließlich keine Menschenleben, oder? Für meinen Vater ist Musik Zeitverschwendung, meine Mutter spielte früher sehr gern Klavier, jetzt nur noch sehr selten, weil das Geklimpere, wie er es nennt, ihn beim Arbeiten stört. Nein, Sebastian“, sie schüttelte den Kopf. „Für mich ist es zu spät.“

Wie sie überrascht feststellte, hatte sie ihn zum ersten Mal beim Vornamen genannt, das vertrauensvolle Gespräch musste dazu geführt haben.

Sie waren schon weiter als beabsichtigt gegangen, und Benson trottete müde hinterher. Sebastian bemerkte es. „Ich glaube, wir drehen besser um. Es ist genug für den guten alten Benson. Außerdem dauert es nicht mehr lange, und wir können die Hand nicht mehr vor Augen sehen. Gut, dass ich die Taschenlampe mitgenommen habe.“

„Natürlich wollen wir Benson nicht überanstrengen. Ich dagegen könnte noch stundenlang so weitergehen.“

Das glaubte ihr Sebastian sofort. Obwohl sie ein Stadtkind war, stolperte sie nicht über Wurzeln, blieb in keiner Hecke hängen und kletterte mit Leichtigkeit über Baumstämme. Bei keiner Gelegenheit hatte er ihr helfen müssen. Vielleicht war sie doch nicht so zerbrechlich, wie sie wirkte.

Kurz vor dem Haus fasste Fleur einen spontanen Entschluss, der in der Vertrautheit begründet sein musste, die so unerwartet zwischen ihnen entstanden war. „Sebastian, Sie können wirklich beruhigt sein, ich werde Ihnen während meines Aufenthalts hier bestimmt nicht in die Quere kommen.“ Sie zögerte. „Es ist mir ausgesprochen peinlich, dass Mia Sie gebeten hat, sich um mich zu kümmern. Ich komme sehr gut allein zurecht, das bin ich schließlich gewöhnt.“

Sie hob den Kopf und begegnete dem nachdenklichen Blick seiner dunklen Augen. „Ich werde mich hier bestimmt nicht langweilen, dazu bin ich nicht der Typ. Tun Sie also einfach, als sei ich nicht da.“

Dieser Bitte zu entsprechen würde ihm unmöglich sein, davon war Sebastian überzeugt. Fleur Richardson war die erste Frau seit Langem, die sein Interesse erregte. Offensichtlich hatte sie das Gespräch zwischen Mia und ihm mit angehört, was ihn weder verunsicherte noch störte.

„Gibt es einen Mann, der Ihre Rückkehr kaum erwarten kann?“, fragte er ganz direkt.

„Nein“, antwortete Fleur ebenso frei heraus und lächelte. „Und wie sieht es bei Ihnen aus? Gibt es eine, der Sie Pengarroth Hall zu Füßen legen möchten?“

„Das hoffe ich, doch ich habe sie noch nicht gefunden.“

Bevor sie in den Lichtkegel der Hausbeleuchtung traten, blieben sie in schweigend dicht nebeneinander stehen. Keiner schien die vertraute Stimmung brechen zu wollen. Sebastian blickte Fleur an.

„Ich habe im Januar viel zu tun, trotzdem bleibt mir natürlich Zeit für Muße. Die würde ich gern mit Ihnen verbringen.“ Er lächelte. „Und Sie müssen sich darüber freuen, weil Mia es so will, und mir der Wunsch meiner Schwester Befehl ist.“ Er zwinkerte ihr zu, und Fleur bekam weiche Knie.

Gleichzeitig war sie erleichtert und bewunderte Sebastian dafür, wie er die Situation geklärt hatte, ohne es peinlich werden zu lassen. Offenheit und Ehrlichkeit schienen zu seiner Lebensphilosophie zu gehören.

Trotzdem, egal, was er gesagt hatte, sie würde sich während ihrer gemeinsamen Zeit auf Pengarroth Hall weitestgehend allein beschäftigen. Er hatte schon mehr als genug Pflichten, und sie wollte ihn nicht noch zusätzlich belasten.

3. KAPITEL

Mia lag ruhig auf der Seite. Nachdenklich beobachtete sie Fleur, die im Bett gegenüber schlief. Würde es ihrer Freundin so ganz allein auf Pengarroth Hall gefallen? Würde sich Sebastian, der manchmal unberechenbar war, ausreichend um sie kümmern?

Als hätte sie die Blicke gespürt, öffnete Fleur plötzlich die Augen, streckte sich und wünschte Mia verschlafen einen guten Morgen.

„Weißt du eigentlich, wie spät es ist? Halb elf!“ Mia tat empört, freute sich jedoch insgeheim, wie Fleur immer mehr zur Ruhe kam und von Nacht zu Nacht besser schlief.

Fleur setzte sich auf und zog die Beine an. „Wir sind ja auch erst sehr spät ins Bett gekommen“, verteidigte sie sich und gähnte. „Was für eine Silvesterparty! Ich habe noch nie in einem Pub gefeiert, wo alle so fröhlich sind und gemeinsam singen.“ Sie machte eine kleine Pause. „Sebastian und du scheint ja fast jeden gekannt zu haben.“

Mia nickte. „Genau wie wir kommen viele alte Freunde und Bekannte über die Feiertage nach Hause. An Silvester treffen sich dann traditionsgemäß alle Nachbarn ganz zwanglos im Pub.“

„Ich fand es einfach toll.“ Fleur war immer noch ganz begeistert. „Ich bin noch nie im Leben von so viel Fremden geküsst worden wie nach dem letzten Glockenschlag im alten Jahr.“

Nur einer hatte sich zurückgehalten: Sebastian. Gut sichtbar, da er einen guten Kopf größer als die meisten Männer war, hatte er abseitsgestanden und sich nicht an dem allgemeinen Trubel beteiligt.

„So etwas passiert auch nur auf einer Silvesterfeier, wenn alle etwas aufgedreht sind – nicht dass du von unserem Dorf den falschen Eindruck bekommst.“ Mia lachte, schlug die Decke zurück und stand auf, um die Vorhänge zurückzuziehen. „Es hat gefroren, wie schön alles aussieht! Und Sebastian ist schon mit Benson unterwegs.“ Sie gähnte laut. „Ich frage mich manchmal, ob er überhaupt ins Bett geht, so früh ist er immer schon auf den Beinen.“

„Ihr beide scheint euch sehr nahezustehen.“ Fleur verspürte leichten Neid. „Wie gern hätte ich auch Geschwister gehabt!“

„Na ja.“ Mia wiegte den Kopf. „Sebastian und ich haben uns immer blendend verstanden, das stimmt. Doch durch den Altersunterschied und den frühen Tod unserer Eltern fühlt er sich für mich verantwortlich, was ich oft als Einmischung empfinde. Bei einigen Gelegenheiten hat er sich aufgespielt, als sei er mein Vormund. Das war alles andere als amüsant!“

„Wirklich?“ Fleur tat erstaunt, obwohl sie es nicht war, denn sie glaubte, Sebastian durchschaut zu haben. So nachsichtig und liebevoll er seine Schwester auch behandeln mochte, vom Wesen her war er ein dominanter Mann, der kühl seine Macht ausspielte, wenn er es für angebracht hielt. „Was hat er gemacht?“

„Kannst du dich noch an Andy erinnern? Du musst ihn kennen, wir waren vor ungefähr vier Jahren zusammen.“

„Natürlich.“ Fleur nickte. „Er war wahnsinnig charmant. Damals glaubte ich, er sei genau der Richtige für dich. Ich war fassungslos, als eure Beziehung in die Brüche ging.“

„Das war Sebastians Werk.“ Mia griff nach ihrem Morgenmantel. „Sebastian hatte mich schon immer vor Andy gewarnt. Da ich nicht hören wollte, hat er Erkundigungen eingezogen. Wie sich herausstellte, war Andy in einen riesigen Finanzschwindel verwickelt. Trotzdem Sebastian mich vor viel Leid bewahrte, war ich damals unbeschreiblich wütend auf ihn, weil er sich in mein Leben eingemischt hatte. Ich war der Meinung, unbedingt eigene Erfahrungen machen zu müssen. Hätte ich damals meinen Kopf durchgesetzt, könnte ich heute meinen Ehemann im Gefängnis besuchen.“

Mia schnitt eine Grimasse. „Selbstverständlich bin ich Sebastian im Nachhinein dankbar, doch habe ich das völlig anders gesehen.“

Fleur nickte verständnisvoll. Die Geschichte bestätigte ihre Vermutungen. Sebastian war ein Mann, der stets und überall seinen Willen durchsetzte – wie ihr Vater. Schnell stand sie auf und wechselte das Thema.

„Du glaubst gar nicht, wie ich mich auf die kommenden Tage freue – einfach nur faulenzen, herrlich! Nur habe ich natürlich nicht genug Wäsche eingepackt und werde wahrscheinlich waschen müssen.“

„Das ist kein Problem. Ansonsten nimm dir aus meinem Schrank, was dir passt – wahrscheinlich werden es nur Pullover und Winterjacken sein, und auch in denen wirst du versinken. Vergiss einfach dein Aussehen, das spielt hier sowieso keine Rolle, und versprich mir, dich warm und bequem anzuziehen.“ Mia seufzte. „Aber was rede ich, du siehst selbst in Sack und Asche wie ein Model aus.“

Fleur setzte sich wieder aufs Bett. „Geh du zuerst duschen und lass dir Zeit, ich habe Pat gesagt, dass wir uns das Frühstück selbst zubereiten und sie erst mittags zu kommen braucht.“ Mia lächelte. „Ich werde in London bestimmt oft an dich denken und dich um das leckere Essen hier beneiden.“

„Pat ist eine fantastische Köchin. Wahrscheinliche passe ich bei der Abreise in keine meiner Hosen mehr.“

Mia freute sich, wie locker Fleur während der vergangenen Tage geworden war. Sie sah nicht mehr ganz so blass und zerbrechlich aus und ähnelte wieder jenem lebhaften, attraktiven Mädchen, das sie als Schülerin und Studentin gewesen war.

Beide hingen ihren Gedanken nach und schwiegen, als Fleur aufstand und ans Fenster ging. Gespannt ließ sie den Blick durch den winterlichen Garten schweifen … Sebastian jedoch war nirgends mehr zu sehen.

Nachdem Mia am folgenden Morgen abgereist war, unternahm Fleur eine kleine Entdeckungstour durch den Park und suchte sich abgelegene Wege aus, die sie noch nicht kannte. Sie wollte unbedingt vermeiden, auf Sebastian zu treffen, den Mia und sie seit Silvester kaum zu Gesicht bekommen hatten.

Am vergangenen Abend hatte er sich kurz mit ihnen unterhalten, war jedoch nicht zum Essen erschienen. Ganz offensichtlich war er stark beschäftigt. Fleur hatte einige Male erlebt, wie er und Frank ihr Vorbeigehen gar nicht bemerkten, so waren sie ins Gespräch vertieft.

Sie hatte Pat vorgeschlagen, lediglich abends für sie zu kochen, ansonsten wollte sie sich selbst versorgen.

„Wir werden sehen.“ Pat war überraschend nachgiebig gewesen. „Auf alle Fälle werde ich vormittags vorbeikommen und sehen, was Sie brauchen. Ansonsten bin ich ganz froh, etwas länger zu Hause bleiben zu können. Mum ist mit ihren fünfundachtzig Jahren nicht mehr die Jüngste, und im Moment geht es ihr nicht so gut.“

Es war ein klarer, frostiger Morgen, als Fleur die kurvige Auffahrt hinunterging. Wie sie Mia versprochen hatte, war sie nicht modisch, sondern warm und zweckmäßig gekleidet. Beschwingt schlug sie ein forsches Tempo an, denn sie hatte sich schon lange nicht mehr so unternehmungslustig gefühlt. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie in den vergangenen Tagen ihre Tabletten gar nicht eingenommen und kaum an ihre Eltern oder die Arbeit gedacht hatte.

Vor dem großen Eingangstor blieb sie unschlüssig stehen. Sollte sie bergauf gehen oder hinunter ins Dorf, wo sich auch der Pub befand, in dem sie Silvester gefeiert hatten? Sie entschloss sich für Letzteres.

Sie war noch nicht weit gekommen, als sie hinter sich ein Auto hörte und zur Seite trat. Es war ein Jeep und am Steuer saß … Sebastian. Er hielt an und ließ die Scheibe runter. „Guten Morgen. Darf ich Sie ein Stück mitnehmen? Wohin möchten Sie denn?“

Welch Ironie des Schicksals! Fleur musste unwillkürlich lächeln. Jetzt befand sie sich genau in der Situation, die sie unbedingt hatte vermeiden wollen. „Vielen Dank für Ihr Angebot, aber ich muss es ablehnen“, erwiderte sie. „Ich bin nämlich dabei, die Gegend zu erkunden.“

Fleur musste schlucken, so intensiv sah Sebastian sie an. Hoffentlich gefiel ihm Mias dick wattierter Parka mit der fellbesetzten Kapuze, die sie tief ins Gesicht gezogen hatte. Doch wie üblich blieben ihr seine Gedanken ein Rätsel, und sie senkte den Blick. „Diese Straße führt doch ins Dorf, oder?“, fragte sie schnell.

„Ja, noch knapp zwei Kilometer, dann sind Sie da. Es gibt dort einige Geschäfte, ein Gemeinschaftshaus und etwas abseits liegt der Pub, den Sie ja bereits kennen. Sehenswert ist vor allem der Fluss, der zurzeit sehr gewaltig aussieht, weil er Hochwasser führt.“ Er machte eine kleine Pause. „Warum fahren Sie nicht eine Strecke mit mir? Zurück können Sie ja dann zu Fuß gehen.“

„Na gut“, meinte sie schließlich zögernd. Ihr Plan, einen weiten Bogen um Sebastian zu machen, war ja ohnehin schon fehlgeschlagen.

Er lehnte sich über den Beifahrersitz, öffnete die Tür und streckte Fleur die Hand entgegen, um ihr beim Einsteigen zu helfen. Erst nach geraumer Zeit wagte Fleur es, Sebastian von der Seite zu mustern. Er trug derbe Arbeitskleidung, die zu den gepflegten und erstaunlich feingliedrigen Händen, die auf dem Steuer ruhten, nicht so recht passen wollte.

Fleur fand den Gegensatz nicht weiter verwunderlich. Wenn Sebastian auch wie ein Farmer gekleidet und mit Gutsarbeit beschäftigt war, blieb er doch der erfolgreiche Jurist, der seine Herkunft und Erziehung nicht leugnen konnte. Sie seufzte. Warum beschäftigten sie diese Dinge?

Sie wusste es genau. Weil sie einem so interessanten, gut aussehenden, durch und durch sympathischen Mann noch nie begegnet war. Einzig und allein sein Hang zur Selbstherrlichkeit stellte einen deutlichen Makel dar – und selbst der war entschuldbar. Sebastian musste sich sehr unterschiedlichen und dazu äußerst verantwortungsvollen Aufgaben stellen, ein schwächerer Charakter wäre an diesen Anforderungen zerbrochen.

Sein Verhältnis zu seiner Schwester bewies jedoch, wie liebevoll und fürsorglich er von Natur aus war. Einen solchen Bruder hätte sie auch gern gehabt.

„Sie sind so schweigsam. Alles in Ordnung?“, erkundigte er sich.

„Natürlich.“ Fleur blickte auf. „Weshalb fragen Sie?“

„Mia meinte, Sie seien gesundheitlich etwas angeschlagen, deshalb. Mir wäre das nicht aufgefallen.“

Mia konnte manchmal wirklich unmöglich sein. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, ihre Gesundheit ausgerechnet mit Sebastian zu diskutieren? Wahrscheinlich fühlte er sich jetzt verpflichtet, sie ständig im Auge zu behalten, um bei dem leisesten Alarmzeichen sofort den Notarzt zu rufen.

„Ich war etwas überarbeitet, als ich hier ankam, der übliche Weihnachtsstress eben“, erklärte sie ruhig. „Die Ruhe hier und Pats Kochkünste zeigen jedoch bereits Wirkung. Sie brauchen sich wirklich keine Sorgen um mich zu machen … niemand muss das.“

„Das habe ich auch nicht getan.“

„Dann ist ja gut.“ Fleur sah aus dem Seitenfenster.

Vor der ersten Farm hielt er an. „Hier habe ich ungefähr eine Stunde lang etwas zu tun“, erklärte er, was Fleur störte, denn Sebastian war ihr nun wirklich keine Rechenschaft schuldig. „Etwas weiter auf der Straßenseite gegenüber finden Sie die Geschäfte, und dort zweigt auch ein schöner Wanderweg ab.“ Er machte eine bedeutungsvolle Pause. „Wenn Sie am Fluss entlanggehen, seien Sie unbedingt vorsichtig, der Weg ist sehr matschig und wird stellenweise vereist sein. Ich möchte Sie nicht aus dem Wasser fischen müssen.“

Fleur versagte sich eine Bemerkung. „Danke fürs Mitnehmen“, meinte sie lediglich und stieg aus. Sie blickte dem Jeep hinterher, wie er die Hauptstraße verließ und in einen Wirtschaftsweg einbog.

Gedankenverloren schlenderte sie Straße entlang. Kaum Autos und eine himmlische Ruhe – kein Vergleich zu dem tosenden Verkehr in London und der Hektik in dem Krankenhaus, an dem sie arbeitete. Dennoch fragte sie sich, ob man hier auf Dauer leben und dabei glücklich sein konnte.

Sie musste an Sebastians offensichtliches Bedauern denken, sein berufliches und gesellschaftliches Leben in London zugunsten von Pengarroth Hall aufgeben zu müssen. Sie verstand, wie schwer ihm das fallen musste, zumindest in der ersten Zeit. Doch was kümmerte sie das eigentlich? Sebastians Probleme gingen sie nichts an.

Schließlich führte ihr Weg sie auch zum Fluss, den sie eher hörte als sah. Sebastian hatte recht gehabt, das Wasser stand hoch und überschwemmte an manchen Stellen sogar den schmalen Uferpfad. Obwohl Fleur sich fest vornahm, genau zu schauen, wo sie ihre Füße hinsetzte, ließ sie sich von dem faszinierenden Naturschauspiel ablenken. Prompt rutschte sie aus und fiel der Länge nach hin, glücklicherweise in sicherer Entfernung vom Wasser.

Nachdem sie sich vom ersten Schreck erholt hatte, stand sie vorsichtig auf. Sie hatte sich nichts getan, nur der Parka und ihre Hände, mit denen sie sich abgestützt hatte, waren nass und schmutzig. Ohne daran zu denken und die Finger zu säubern, strich sie sich eine Haarsträhne zurück, die ihr beim Sturz ins Gesicht gefallen war. Fleur schüttelte über sich selbst den Kopf. Was für ein dummes Missgeschick!

Sie musste schnellstens zurück nach Pengarroth Hall, ohne dass jemand sie sah. Dazu durfte sie nicht die Straße benutzen, sondern musste durch den Wald gehen. Ein langer Weg lag vor ihr, noch dazu bergauf …

Wie hatte ihr nur so etwas passieren können! Ein Glück, dass einzig und allein ihr Stolz verletzt worden war. Entschieden machte sie sich auf den Rückweg, passte jetzt jedoch genau auf, wohin sie trat.

„Was haben Sie denn angestellt?“

Sebastian, das durfte doch nicht wahr sein! Fleur drehte sich zu ihm um. Er stand etwas oberhalb von ihr, die Hände in den Jackentaschen. Sie sah, wie er sich beherrschen musste, um nicht laut zu lachen.

Fleur wusste nicht, wo sie hinsehen sollte. Dennoch biss sie die Zähne zusammen und ergriff seine Hand, die er ihr helfend entgegenstreckte. Mit einem kleinen Ruck zog er sie zu sich auf den Weg, hatte jedoch so viel Schwung, dass sie gegen seine Brust strauchelte. Er hielt sie einen Augenblick fest, bevor er sie etwas von sich schob, um sie von Kopf bis Fuß zu begutachten.

„Offensichtlich haben Sie Bekanntschaft mit dem aufgeweichten Boden gemacht“, meinte er und lächelte amüsiert.

Fleur legte den Kopf zurück. Wenn er sie verspotten wollte, war er an der falschen Adresse. „Der Kandidat hat hundert Punkte“, antwortete sie ironisch. „Immerhin bin ich dabei nicht baden gegangen.“

„Sind Sie verletzt?“ Plötzlich war das Lachen aus seinen Augen verschwunden.

„Kein einziger Kratzer. Nur mein Aussehen hat gelitten.“

„Das werden wir im Gasthof schnellstens wieder in Ordnung bringen.“

„Wäre es nicht besser, nach Pengarroth Hall zurückzufahren? Ich denke …“

„Und ich denke, dass wir erst einmal etwas essen. Die Wirtin vom ‚Black Horse‘ ist eine ausgezeichnete Köchin, an Silvester hat es Ihnen doch auch geschmeckt, oder?“

Sebastian sah Fleur fragend an, und plötzlich setzte sein Herz einen Schlag aus. Obwohl Fleur betreten vor sich hinstarrte und ihr Gesicht wirklich nicht als sauber zu bezeichnen war, fand er sie unwiderstehlich und … begehrenswert.

Spielte ihm seine Fantasie einen Streich? Nein, diese zierliche Frau in dem unförmigen und schlammbespritzten Parka hatte eindeutig ein Feuer geweckt, das er seit der Trennung von Lavinia für erloschen gehalten hatte. Sebastian schluckte.

Er fühlte sich plötzlich so lebendig, dass er den Kopf wenden musste. Nur noch ein einziger Blick in ihre Augen, und er würde sich nicht länger beherrschen können und sie in seine Arme ziehen. Ganz bewusst achtete er auf genügend Abstand, als er an ihrer Seite zum „Black Horse“ ging.

„Etwas zu essen und ein Glas Wein wird Ihnen schnell über den Schreck hinweghelfen, Fleur – ich bin, ehrlich gesagt, auch ziemlich hungrig.“

Sie antwortete nicht, sondern dachte sich ihren Teil. Obwohl sie lieber nach Pengarroth Hall gefahren wäre, gingen sie natürlich in den Pub, weil Sebastian das wünschte. Nach einigem Überlegen fand sie das gar nicht so schlecht, denn Pat würde erst am Abend kochen.

Joy, die Wirtin, erkannte das Missgeschick auf den ersten Blick. „Sie Ärmste, wie ist das denn passiert?“

„Reine Unachtsamkeit.“ Fleur lächelte kläglich, Grund genug für Sebastian, sofort wieder die Initiative zu ergreifen.

„Joy, vielleicht könnten Sie Fleur zeigen, wo sie sich frisch machen kann. Dann hätten wir gern etwas zu essen und eine Flasche Wein.“

Sie lächelte mütterlich. „Ich begleite Fleur und versorge sie mit Handtüchern. Sie, Sebastian, können sich solange hiermit beschäftigen.“ Sie reichte ihm die Karte.

Wie Fleur im Waschraum erleichtert feststellte, war der Schaden an ihrer Garderobe gar nicht so schlimm. So nass und schmutzig der Parka auch war, ihre Jeans waren nur am Saum etwas feucht. Das Gesicht dagegen, das ihr nach dem Waschen aus dem Spiegel entgegenblickte, sah einfach nur schrecklich aus. Warum hatte sie nur ihre Handtasche nicht mitgenommen? Noch nicht einmal einen Kamm hatte sie sich eingesteckt. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als das Haar, das sie zu allem Unglück auch offen trug, mit bloßen Händen in Form zu bringen.

Sebastian, der einen Tisch direkt am Kamin gewählt hatte, stand sofort auf, als er sie kommen sah, und rückte ihr den Stuhl zurecht. „Sie sehen deutlich besser aus“, bemerkte er. „Haben Sie sich wirklich nichts getan?“

Sie lächelte. „Nein, Sie können ganz beruhigt sein.“

Erst beim Lesen der Speisekarte war Sebastian aufgegangen, was alles hätte geschehen können. Fleur hätte sich etwas brechen können, man hätte sie erst nach Stunden gefunden, und eine Lungenentzündung wäre bei der Nässe und Kälte die logische Folge gewesen. Ihm wurde heiß und kalt.

Wie gut, dass er seiner spontanen Eingebung gefolgt war. Kurzerhand hatte er nämlich seine Pläne geändert und nach Fleur gesucht.

Als er ihr die Karte reichte, hob Fleur den Kopf und sah ihm in die Augen. „Es tut mir aufrichtig leid, Ihren Terminkalender durcheinandergewirbelt zu haben“, entschuldigte sie sich.

„Machen Sie sich darüber nur keine Gedanken.“ Er lächelte. „Ich habe uns Rotwein bestellt, den mögen Sie doch am liebsten, oder?“

Das hatte er bemerkt? Fleur war überrascht. Sie beugte sich vor, um sich die Hände am Feuer zu wärmen. „Eigentlich trinke ich mittags keinen Alkohol, aber heute lasse ich mich gern zu einem Glas überreden. Vielen Dank, Sebastian.“

Charmant lächelte er ihr zu, und zum ersten Mal fiel ihr auf, was für ebenmäßige und weiße Zähne er hatte. „Da ich noch fahren muss, werde ich Ihrem Beispiel folgen und auch nicht mehr als ein Glas trinken. Joy wird die Flasche wieder verkorken und bis zur nächsten Gelegenheit für uns in den Keller stellen.“

Fleur wollte protestieren, wollte ihm sagen, dass er sich zu nichts verpflichtet zu fühlen brauchte, doch sie unterließ es. So peinlich es ihr gewesen war, ausgerechnet von ihm in ihrer misslichen Situation am Fluss entdeckt worden zu sein, so froh war sie jetzt über seine Hilfe.

Unerwartet beugte er sich vor und ergriff ihre linke Hand. „Hier sehen Sie, Fleur, Sie haben sich die Knöchel aufgeschürft! Haben Sie das denn gar nicht bemerkt?“

„Doch“, gab sie zu. „Einer solchen Lappalie schenke ich allerdings keine Aufmerksamkeit. Ein Indianer kennt keinen Schmerz, das ist einer der Grundsätze, nach denen mein Vater mich erzogen hat.“

Sebastian hielt es für unklug, seine Gedanken laut zu äußern. Stattdessen streichelte er mit dem Finger zärtlich über die kleine Blessur. Fleur erlaubte sich, die Berührung zu genießen, statt sofort die Hand zurückzuziehen.

Joy, die in diesem Moment mit dem Wein erschien, billigte die vertrauliche Geste aus tiefstem Herzen. Sebastian Conway hatte sich ihrer Meinung nach schon viel zu lange mit keiner Frau mehr eingelassen. Fleur jedoch schien ihn zu interessieren. Auch ihr war die junge Frau auf der Silvesterfeier angenehm aufgefallen – und die Blicke, mit denen Sebastian jede ihrer Bewegungen verfolgt hatte. Eine gute Wahl, dachte sie zufrieden.

4. KAPITEL

„Das ist immer das Schlimmste an Weihnachten.“ Pat, die oben auf der Leiter stand, reichte Fleur den letzten Baumschmuck.

„Ja, es ist immer traurig, wenn etwas Schönes zu Ende geht.“ Fleur kniete sich auf die Erde, um die bunte Lichterkette in den Karton zu packen. „Auf der anderen Seite fliegt die Zeit nur so dahin, und ehe man sich versieht, ist schon wieder Weihnachten.“

„Hallo.“ Sebastian betrat den Raum. „Wie schön, endlich verschwindet der Flitter, und alles geht wieder seinen geregelten Gang.“

„Oh Sebastian, wie kann man nur so denken!“ Pat schüttelte verständnislos den Kopf.

Fleur, die immer noch auf dem Boden hockte, sah kurz auf, und ihre Blicke trafen sich für den Bruchteil einer Sekunde. Sebastian trug Arbeitskleidung, und sein Haar war feucht vom Morgennebel.

„Ich brauche unbedingt einen Kaffee“, meinte er. „Soll ich euch auch einen machen?“

„Nein.“ Entschieden stieg Pat von der Leiter. „Das ist meine Aufgabe. Dafür darfst du den Baum nach draußen bringen.“ Sie verschwand Richtung Küche.

Fleur setzte vorsichtig den Deckel auf den Karton und stand auf.

„Wie ist es Ihnen denn während der letzten Tage so ergangen?“, erkundigte sich Sebastian. Sein schlechtes Gewissen regte sich, weil er Mias Freundin bewusst aus dem Weg ging, und das nicht nur wegen zu vieler Pflichten: Fleur war für ihn die Versuchung in Person. Aus diesem Grund wollte er gefühlsmäßige Verwicklungen unbedingt vermeiden und kam daher seinen Pflichten als Gastgeber nur sehr unzureichend nach.

Als sie neulich, nach Fleurs Sturz, im Pub zusammen Mittag gegessen hatten, waren ihm die zwei Stunden wie Minuten erschienen. In Fleur hatte er eine selbstbewusste und geistreiche Gesprächspartnerin gefunden, die zwar feste Anschauungen hatte, jedoch stets tolerant blieb und auch andere Meinungen gelten ließ.

Auch ihr Äußeres war eine wahre Augenweide. Die Wärme des Kaminfeuers und ein kräftiger Schluck Wein hatten Farbe in ihr Gesicht zurückgebracht und ihre faszinierenden Augen wieder glänzen lassen. Unter dem Vorwand, sich die Verletzung genauer ansehen zu wollen, hatte er ihre Hand genommen und länger als notwendig gehalten. Dabei waren Gefühle in ihm lebendig geworden, die er längst tot geglaubt hatte.

Doch mit den tiefen und eigentlich willkommenen Empfindungen regte sich auch gleichzeitig wieder die Furcht, in eine Falle zu tappen, und bittere Erinnerungen kamen hoch. Wie hatte ausgerechnet ihm, dem allein schon der Beruf täglich die Abgründe der menschlichen Natur offenbarte, so etwas passieren können? Weshalb hatte er Lavinia blindlings vertraut?

Zu seinem großen Glück waren ihm noch im letzten Moment die Augen geöffnet worden. Obwohl nicht alle Einzelheiten an die Öffentlichkeit gedrungen waren, hatte es viel Gerede gegeben, nicht nur unter seinen Kollegen, sondern besonders auch in der Nachbarschaft. Statt der erwarteten pompösen Hochzeitsfeier hatte es einen handfesten Skandal gegeben.

Sebastian, dem sein Privatleben heilig war, hatte darunter gelitten und sich geschworen, es nie wieder zu solch einer für ihn unerträglichen Situation kommen zu lassen.

Doch von dieser Vorgeschichte ganz abgesehen, eine kluge und aufgeschlossene Frau des einundzwanzigsten Jahrhunderts wäre wohl kaum bereit, sich an ihn zu binden und damit im tiefsten Cornwall lebendig begraben zu lassen.

Moderne Frauen waren selbstbewusst, sie wollten ihre eigenen Vorstellungen verwirklichen und sich nicht durch traditionelle Verpflichtungen des Ehemanns einengen lassen. Während der Zeit der ersten Verliebtheit ging eine solche Beziehung vielleicht noch gut, aber spätestens nach einem Jahr, wenn der Reiz des Neuen verschwunden war, würden die Probleme beginnen.

Nein, sein Lebensplan sah anders aus. Ein Leben als Junggeselle, ohne jede Bindung, war das, was für ihn und Pengarroth Hall das Beste war. Irgendwann einmal würde dann eins von Mias Kindern das Gut übernehmen. Selbst wenn der Name ausstarb, die Blutlinie würde mit größter Wahrscheinlichkeit bestehen bleiben.

Fleurs Antwort schreckte Sebastian aus seinen Grübeleien. „Danke für die Nachfrage, mir geht es bestens“, meinte sie fröhlich. „Mittlerweile kenne ich mich hier schon richtig gut aus und verlaufe mich nur noch selten. Außerdem sind die Menschen hier so freundlich … immer zu einem Schwätzchen aufgelegt. Manchmal habe ich das Gefühl, schon richtig dazuzugehören.“

Sebastian nickte. Zweifellos waren schon die wildesten Gerüchte in Umlauf. Joys bedeutungsvolle Blicke, wenn er mit Fleur im „Black Horse“ erschien, waren ihm nicht entgangen. Er räusperte sich. „Ich möchte mich für meine ständige Abwesenheit entschuldigen. Aber mein Terminkalender …“

„Sie sind mir wirklich keine Rechenschaft schuldig“, unterbrach ihn Fleur.

„Das vielleicht nicht, doch ich hatte Mia versprochen, mich …“

„Sie hätten Mia gar nichts versprechen sollen“, fiel sie ihm erneut ins Wort. „Und es war falsch von Mia, Sie überhaupt um etwas in dieser Richtung zu bitten!“

Fleurs Wangen röteten sich vor Ärger über Mias Einmischung. Es war wirklich an der Zeit, den dringenden Telefonanruf zu erfinden und schnellstens abzureisen. Sie atmete tief durch und bemühte sich, betont ruhig zu sprechen.

„Wenn ich gewusst hätte, dass sich hier irgendjemand für mich verantwortlich fühlt, hätte ich die Einladung überhaupt nicht angenommen. Ich bin es gewöhnt, allein zu sein, und genieße es, denn ich richte mich nicht gern nach den Wünschen und Vorstellungen anderer.“ Mit blitzenden Augen sah sie ihn an. „Tun Sie mir einen Gefallen und verhalten sich, als wäre ich Luft!“

Unwillkürlich musste er lächeln. Am liebsten hätte er ihr Gesicht mit den Händen umschlossen und sie mitten auf den Mund geküsst. Gab es einen Menschen, der ausgerechnet Fleur Richardson wie Luft behandeln konnte? Selbst bei Pat, die stets etwas an Mias Freundinnen auszusetzen fand, hatte sie einen Stein im Brett.

„Ich werde mir Mühe geben“, antwortete er leichthin. „Doch vorher müssen Sie mir noch helfen, den Baum nach draußen zu bugsieren.“ Er zog seine Arbeitshandschuhe aus der Tasche und reichte sie ihr.

Mühelos hob er den Baum aus dem Ständer, und Fleur, die Hände gut geschützt, fasste die Spitze und dirigierte Sebastian mit seiner sperrigen Last durch die Halle ins Freie.

Pat öffnete das Küchenfenster. „Der Kaffee ist fertig“, rief sie ihnen zu.

Als Erstes ging Fleur zu Benson, der lang ausgestreckt neben dem warmen Herd lag. Sie bückte sich, um ihn zu kraulen. „Hat er seinen Spaziergang schon hinter sich und ist müde?“, fragend blickte sie zu Sebastian auf.

„Nein, er ist noch nicht draußen gewesen. Vorhin konnte ich ihn nicht dazu überreden, sein Kissen zu verlassen, und da ich gleich mit Frank verabredet bin, wird er wohl noch ein Weilchen warten müssen.“

„Darf ich mit ihm gehen? Ich bin auch noch nicht an der frischen Luft gewesen.“ Fleur war ganz begeistert. „Wo er gern läuft, weiß ich, Hauptsache, er kommt mit mir mit.“

„Es wird ihm eine Ehre sein, Sie begleiten zu dürfen, da bin ich mir ganz sicher.“ Lächelnd nahm Sebastian den Becher Kaffee entgegen, den Pat ihm reichte.

Nachdem die drei sich einige Minuten unterhalten hatten, schob Sebastian seinen Stuhl zurück. „Jetzt muss ich wirklich gehen.“ Er blickte zu Fleur. „Morgen Vormittag habe ich einen Termin in Truro. Möchten Sie mitkommen? Du bist natürlich auch eingeladen, Pat“, redete er schnell weiter. „Ich weiß doch, wie gern Frauen einen Schaufensterbummel machen.“

Autor

Susanne James
Schon als junges Mädchen liebte Susanne James es, sich Geschichten auszudenken. Mit zwölf Jahren vollendete sie stolz ihren ersten Roman und war untröstlich, als dieser nicht veröffentlicht wurde. Eine ganze Weile blieb es bei diesem einen erfolglosen Versuch – und andere Dinge begannen wichtiger zu werden: Sie beendete die Schule,...
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