Skandalöse Frühlingsküsse

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In glühender Umarmung mit einem Wildfremden - inmitten des Londoner Hafens: Was für ein Skandal, wenn jemand Phyllida so sehen würde! Aber es kommt noch schlimmer. Auf dem nächsten Ball steht sie dem schönen Fremden unvermittelt gegenüber. Und seine sehnsuchtsvollen Blicke erwecken ein verbotenes Verlangen in ihr …


  • Erscheinungstag 03.04.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751505833
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

3. März 1816 – im Hafen von London

Das Wasser ist grau, wie alle sagten.“ Ashe Herriard lehnte sich über die Reling und betrachtete das breite Band der Themse aus zusammengekniffenen Augen. Winzige Boote und riesige Schoner, neben denen selbst ihr Viermaster klein wirkte, drängten sich dicht an dicht auf dem Fluss. „Ich wusste gar nicht, dass es so viele Grautöne gibt. Und Braun, Beige und Grün. Aber das Grau überwiegt.“

Er hatte erwartet, London abscheulich und fremdartig zu finden, aber nun kam es ihm alt, wohlhabend und seltsam vertraut vor, obwohl er aus tiefstem Herzen der Stadt und all dem, was sie repräsentierte, zu grollen versuchte.

„Allerdings regnet es nicht, obwohl Mrs. Mackenzie behauptet hat, dass es hier immerzu regnet.“ Sara stellte sich, eingewickelt in einen dicken Umhang, neben ihn. Ihre Zähne klapperten vor Kälte, trotzdem klang sie fröhlich und aufgeregt. Sie deutete nach vorn. „Schau, es gibt sogar eine Festung.“

„Das ist der Tower of London“, erklärte Ashe. „Wie du siehst, sind mir unsere Lektionen im Gedächtnis geblieben.“

„Ich bin beeindruckt, Bruderherz.“ Sie zwinkerte ihm zu, doch als sie den Blick nach rechts schweifen ließ, trübte sich ihre Miene. „Mata hält sich tapfer.“

Ashe folgte ihrem Blick. „Weil sie lächelt, meinst du? Wie es scheint, geben sie sich beide tapfer.“ Ihr Vater hielt ihre Mutter im Arm, was nicht ungewöhnlich war. Sie stellten ihre Zuneigung, selbst nach den Maßstäben der etwas unkonventionelleren Gesellschaft in Kalkutta, oft unverhohlen offen zur Schau. Allerdings kannte er seinen Vater gut und wusste, was die gelassene Miene und die fest zusammengepressten Lippen bedeuteten: Der Marquess of Eldonstone wappnete sich für einen Kampf.

Auch wenn der Kampf bloß in seinem Kopf stattfand – gegen die Erinnerungen an ein Land, das er vor über vierzig Jahren verlassen hatte –, war er durchaus real. Mit seinem Vater zerstritten und verheiratet mit einer Halbinderin, die entsetzt war, als sie herausfand, dass ihr Mann einen englischen Adelstitel erben würde und eines Tages nach England zurückkehren musste, hatte Colonel Nicholas Herriard seine Rückkehr bis zum letzten Moment hinausgezögert. Nun, als Marquess, konnte er jedoch keinen diplomatischen Dienst in der East India Company mehr leisten, und er hatte nach England zurückkehren müssen, um dort seine Pflicht zu erfüllen.

Ebenso wie ich, dachte Ashe, während er zu seinem Vater schlenderte. Er würde alles tun, um seinen Eltern die Bürde ein wenig zu erleichtern, selbst wenn er sich dazu in diese fremdartige Spezies – einen perfekten englischen Gentleman – verwandeln musste. „Ich gehe mit Perrott von Bord und sehe nach, ob Tompkins schon hier ist.“

„Danke. Ich möchte nicht, dass deine Mutter und Schwester am Kai warten müssen.“ Sein Vater deutete zum Kai. „Gib mir von dort ein Zeichen, sobald die Kutsche angekommen ist.“

„Gut.“ Ashe machte sich auf die Suche nach einem Matrosen, der ihn an Land hinüberruderte. Ein neues Land, ein neues Schicksal, eine neue Welt, sagte er sich. Und ein neuer Kampf. Immerhin wollten neue Welten erst erobert werden. Die Erinnerung an die Hitze und das bunte, quirlige Leben im Palast von Kalatwah erschien ihm bereits wie ein ferner Traum, der sich ihm immer mehr entzog; sogar sein Kummer und die Schuldgefühle verblassten bereits. Reshmi, dachte er und verbannte ihr Bild mit beinah körperlicher Anstrengung in den hintersten Winkel seines Gedächtnisses. Nichts, nicht einmal Liebe, konnte die Toten zurückbringen.

Es muss doch auch vertrauenswürdige, verlässliche und rücksichtsvolle Männer geben, dachte Phyllida, als sie aus der engen Gasse trat und den Blick über den geschäftigen Kai schweifen ließ. Leider gehört mein lieber Bruder nicht dazu. Was keine Überraschung war, da auch ihr Vater kein zuverlässiger Mann gewesen war und außer Kartenspiel, Frauen und Alkohol kaum etwas anderes im Kopf gehabt hatte.

Gregory war nun schon seit vierundzwanzig Stunden mit dem Geld für die Miete verschwunden. Von seinen Freunden hatte sie erfahren, dass ihr Bruder irgendwo zwischen dem Tower und der London Bridge eine neue Spielhölle entdeckt hatte.

Ein Zupfen an ihren Schnürsenkeln weckte ihre Aufmerksamkeit. In Erwartung einer Katze blickte Phyllida nach unten – direkt in die schwarzen Knopfaugen einer der größten Krähen, die sie je gesehen hatte. Es könnte auch ein Rabe aus dem Tower sein, überlegte sie. Nein, der Kopf des Vogels war grau und sein Schnabel riesig. Das war ganz bestimmt kein Rabe. Das Tier warf ihr einen beleidigten Blick zu und zupfte erneut an ihren Schnürsenkeln.

„Geh weg!“ Phyllida zog den Fuß zurück. Der Vogel wich zurück und wandte sich ihrem anderen Fuß zu.

„Luzifer, lass die Dame in Ruhe.“ Der Vogel krächzte unwirsch, flatterte auf und setzte sich auf die Schulter eines großen Mannes, der wie aus dem Nichts vor ihr aufgetaucht war. „Bitte entschuldigen Sie. Er ist fasziniert von Schnürsenkeln, Seilen … eben allem, was lang und schmal ist. Nur bei Schlangen führt er sich leider wie ein Angsthase auf.“

Phyllida fand ihre Stimme wieder. „Die kommen in London zum Glück eher selten vor.“ Wo war dieser attraktive, exotisch wirkende Mann mit dem umwerfenden Lächeln plötzlich hergekommen? Sie ließ den Blick über sein dichtes braunes Haar und die gerade Nase zu den grünen Augen schweifen, mit denen er sie aufmerksam musterte. Seine Haut war golden gebräunt – und das im März? Nein, es schien seine natürliche Hautfarbe zu sein. Es hätte sie nicht überrascht, wenn sie Schwefelgeruch wahrgenommen hätte.

„So sagte man mir.“ Er hob den Arm, und der Vogel schwang sich in die Luft. „Mach dich auf die Suche nach Sara, du gefiederte Plage. Er flucht, wenn er in einen Käfig gesteckt wird“, fügte er hinzu, während der Vogel zu den Schiffen im Hafen hinüberflog. „Vermutlich bleibt mir aber keine andere Wahl, sonst wird er noch die Raben im Tower zu allerlei Unheil anstiften. Es sei denn, sie sind nur eine Legende?“

„Nein, es gibt sie wirklich.“ Der Mann war gut gekleidet, und zwar in einer höchst unenglischen Weise. Er trug einen schweren schwarzen Mantel mit grünen Aufschlägen, zwei Nuancen dunkler als seine Augen, eine reich bestickte Brokatweste und ein schneeweißes Seidenhemd. „Ich muss doch sehr bitten, Sir!“, rief sie empört.

Ungeachtet des schmutzigen Bodens war er auf ein Knie gesunken und band ihr die Schnürsenkel, sodass sie sehen konnte, dass seine unmodisch schulterlangen Haare im Nacken von einem Band zusammengehalten wurden. „Was ist?“ Fragend sah er zu ihr auf, ein belustigtes Funkeln in den grünen Augen. Er wusste ganz genau, was sie störte.

„Sie berühren meinen Fuß, Sir!“

Der Gentleman band rasch eine Schleife und erhob sich. „Es ist schwierig, einen Schnürsenkel zu binden, ohne den Schuh zu berühren, fürchte ich. Warum weichen Sie zurück? Keine Angst. Ich versichere Ihnen, dass Luzifer und ich Ihr Schuhwerk zukünftig in Ruhe lassen werden.“ Sein Lächeln deutete jedoch an, dass er es auf etwas anderes abgesehen haben könnte.

Phyllida wich einen weiteren Schritt zurück, aber nicht, weil er ihren Knöchel berührt oder sie aus der Fassung gebracht hatte, sondern weil Harry Buck, Wappingtons berüchtigtster Schurke, auf sie zu schlenderte. Einer seiner Schläger folgte ihm. Mit flauem Gefühl im Magen sah sie sich nach einem Versteck um. Zwar lag ihre letzte Begegnung schon einige Zeit zurück, aber falls er sich an sie erinnerte …

„Ich bin nicht wegen Ihnen, sondern wegen ihm zurückgewichen.“ Sie deutete mit dem Kopf zu Buck. „Ich möchte diesem Mann lieber nicht begegnen.“ Der Atem stockte ihr in der Kehle. „Aber er kommt in unsere Richtung.“ Davonlaufen kam nicht infrage. Das wäre so, als würde sie einer Katze ein Wollknäuel zuwerfen. Buck würde ihr aus reiner Neugier hinterherlaufen. Unglücklicherweise trug sie nicht einmal einen breitkrempigen Hut, unter dem sie ihr Gesicht verbergen konnte. Wie dumm, einfach so in sein Revier zu laufen, ohne Verkleidung und unvorbereitet.

„In diesem Fall sollten wir nähere Bekanntschaft schließen.“ Der exotische Fremde trat einen Schritt vor, drückte sie an die Wand und hob einen Arm, um sie vor Blicken vom Kai zu schützen. Dann beugte er den Kopf.

„Was haben Sie vor?“

„Ich will Sie küssen“, sagte er. Und das tat er auch. Mit der freien Hand drückte er sie gegen seinen breiten, gestählten Körper, während er sie mit seinen grünen Augen frech anfunkelte und mit dem Mund ihren entrüsteten Aufschrei erstickte.

Hinter ihnen näherten sich schwere Schritte, gleich darauf blendeten große Gestalten die Sonne aus und versperrten den Eingang zu der schmalen Gasse. Eine raue Stimme rief: „Das ist mein Revier, Kumpel, also ist das wohl eins meiner Mädchen, und du schuldest mir was.“ Eins meiner Mädchen. Oh Gott. Ich darf nicht ohnmächtig werden, nicht jetzt.

Der Mann hob den Kopf und drückte ihren gleichzeitig an sein weiches Hemd, um ihr Gesicht zu verbergen. „Ich habe sie mir mitgebracht, und ich teile nicht. Außerdem habe ich nicht vor, für ein bisschen Spaß im Bett zu bezahlen.“ Phyllida hörte, wie Bucks Schläger auflachte. Ihr Beschützer klang selbstbewusst, amüsiert und ungefähr so sanftmütig wie ein Pitbull.

Einen Moment lang herrschte Schweigen, dann lachte Buck, das grässliche heisere Lachen, das sie auch jetzt noch in ihren schlimmsten Albträumen heimsuchte. „Du gefällst mir. Komm zu mir, wenn du Lust auf ein Spielchen mit hohem Einsatz hast. Oder auf ein williges Weibsbild. Frag einfach nach Harry Buck.“ Die Schritte der Männer verklangen in der Gasse.

Phyllida wand sich frei und ließ ihre Wut an dem Mann aus, der noch vor ihr stand. „Lassen Sie mich los!“

„Hmm?“ Er hatte die Nase an ihren Hals gedrückt und schnupperte. Es kitzelte. Ebenso wie seine Lippen einen Moment später, eine behutsame, fast zärtliche Liebkosung. „Jasmin. Reizvoll.“ Er gab sie frei und trat zurück, doch er stand immer noch beunruhigend nahe vor ihr.

Bisher hatte sie Küsse abstoßend gefunden, weil sie gewöhnlich zu weitaus schlimmeren Dingen führten. Dieser Kuss jedoch war überraschend angenehm gewesen. Ganz und gar nicht abstoßend. Vermutlich kam es tatsächlich darauf an, von wem man geküsst wurde, auch wenn man in den Mann nicht verliebt war, was nach ihrer Auffassung das Einzige war, was derlei Annäherungen überhaupt erträglich machen konnte.

Sie atmete tief ein und stellte fest, dass er keineswegs – wie der Teufel – nach Schwefel roch, sondern einen sehr wohlriechenden Duft verströmte. „Sandelholz“, sagte sie laut, statt die anderen Dinge zu äußern, die ihr durch den Kopf schossen wie Unverschämter Wüstling, wie können Sie es wagen, meine Lage auszunutzen. Wer sind Sie überhaupt? Selbst Worte, von denen sie glaubte, dass sie ihr nie in den Sinn kommen würden, lagen ihr auf den Lippen wie: Küss mich noch mal.

„Ja, das stimmt. Sie kennen sich mit Düften aus?“ Er hatte die Arme gegen die Mauer gestützt, wodurch er sie gefangen hielt.

„Ich möchte nicht mit Ihnen über Parfüm diskutieren, schon gar nicht in dieser Umgebung! Vielen Dank, dass Sie mich vor Buck versteckt haben, aber ich wünschte, Sie würden jetzt gehen. Wirklich, Sir, Sie können nicht einfach wildfremde Frauen nach Gutdünken küssen.“ Sie duckte sich unter seinem Arm durch und lief zum Kai.

Er folgte ihr lächelnd, und sie spürte ein Flattern im Magen. Er hatte keine Anstalten gemacht, sie zurückzuhalten, und dennoch hatte sie das Gefühl, als ob seine Hand auf ihr ruhte. Niemand würde sie je wieder gegen ihren Willen festhalten, das hatte sie sich geschworen, aber vor diesem Mann verspürte sie keine Angst. Was dumm war. Nur weil er Charme besaß, hieß das nicht, dass er ungefährlich war.

„Sind Sie denn wild oder fremd?“, fragte er amüsiert.

Eine Reihe möglicher Antworten schoss ihr durch den Kopf, keine davon geziemte sich für eine Dame. „Wild ist lediglich meine Wut auf Sie und befremdlich, dass ich Ihnen keine Ohrfeige gegeben habe“, erwiderte Phyllida. Warum sie das nach Bucks Verschwinden nicht getan hatte, war ihr ein Rätsel. „Guten Tag, Sir.“ Mit raschen Schritten eilte sie davon, jedoch nicht ohne einen letzten Blick über die Schulter zu werfen. Er lächelte, ein sinnliches, verführerisches Lächeln. Nur mit Mühe widerstand Phyllida dem Drang, so schnell davonzulaufen, wie ihre Beine sie trugen.

Sie hatte nach Vanille geschmeckt und geduftet wie ein Sommerabend im Park des Maharadschas. Ashe fuhr sich versonnen mit der Zunge über die Lippen, während er nach dem Anwalt seines Vaters Ausschau hielt.

Ich werde die Familienkutsche zum Hafen schicken, Mylord, hatte Tompkins in seinem Brief geschrieben, der zusammen mit einer Zofe für Mata und Sara und einem Kammerdiener für seinen Vater und ihn angekommen war. Der nützlichste Neuankömmling war jedoch Perrott gewesen, ein vertrauenswürdiger Sekretär, der sich mit Zahlen, Fakten und Einzelheiten über die geschäftlichen Angelegenheiten, Vermögenswerte und Gebäude von Eldonstone bis ins kleinste Detail auskannte.

Aufgrund der überraschend schnell fortgeschrittenen Krankheit und dem plötzlichen Tod Ihres Vaters hielt ich es für ratsam, keine Zeit mit weiterem Briefwechsel zu vergeuden und Ihnen, Mylord, gleich englisches Personal und meinen fähigsten Assistenten zu schicken.

Sein Vater hatte nach der unerfreulichen Nachricht rasch reagiert und ihn aus Kalatwah zurückbeordert, wo er sich als Adjutant seines Großonkels, des Maharadschas Kirat Jaswan, aufhielt. Der Besitz wurde verkauft, verschenkt oder verpackt, und die Familie reiste mitsamt Gefolge und der verbliebenen Habe mit dem nächsten Schiff nach England.

„Mylord, die Kutsche ist hier. Ich habe Seiner Lordschaft bereits signalisiert und das Ruderboot zurückgeschickt.“

„Damit sind Ihre Pflichten erfüllt, Perrott“, sagte Ashe lachend, während er neben dem ernsten rothaarigen Sekretär über den Kai schlenderte. „Nachdem Sie uns in den siebzehn Wochen an Bord alles über Pachtrecht bis hin zu Erbschaftsangelegenheiten und die dunkleren Seitentriebe des Familienstammbaums erklärt haben, muss es Ihnen doch eine Freude sein, endlich nach Hause zu zurückzukehren.“

„Ja, natürlich. Es ist schön, wieder in England zu sein, Mylord. Meine Mutter wird sich auch freuen. Es war mir jedoch eine Ehre und ein Vergnügen, dem Marquess und Ihnen zu Diensten zu sein.“

Außerdem schwärmte der Mann hoffnungslos für Sara, daher würde es für beide wohl eine Erleichterung sein, etwas Abstand zueinander zu gewinnen. Nur in dieser Hinsicht war ihm der kluge Thomas Perrott dumm erschienen. Die Liebe war etwas für Dienstboten, Romantiker, Poeten und Frauen. Und für Narren, aber er war kein Narr. Jedenfalls nicht mehr.

Sein Vater hatte aus Liebe geheiratet, ohne Rücksicht auf die Konsequenzen, allerdings war er damals auch ein Glücksritter gewesen, der tun und lassen konnte, was er wollte. Sein Sohn – besser gesagt der Viscount Clere, wie mein Name nun lautet, dachte Ashe schaudernd –, muss eine Ehe aus gänzlich anderen Gründen eingehen.

„Für das Personal und das kleine Gepäck, Mylord.“ Perrott deutete auf zwei schlichtere Kutschen, die hinter einer eleganten schwarzen Chaise standen. Bedienstete in Livree warteten davor auf Anweisungen. „Das größere Gepäck wird mit dem Pferdewagen gebracht, sobald es ausgeladen ist. Ich hoffe, das ist in Ihrem Sinne?“

„Keine Ochsengespanne und keine Elefanten“, stellte Ashe schmunzelnd fest. „Wir sollten ungewohnt schnell vorankommen.“

„Und die Futterrechnung fällt sicherlich auch geringer aus“, ergänzte Perrott mit ungerührter Miene.

„Da bist du ja!“ Phyllida legte Hut und Retikül auf den Tisch und baute sich vor ihrem Bruder auf, der schlaff wie eine Marionette mit durchgeschnittenen Fäden auf dem Sofa lag.

„Hier bin ich.“ Gregory öffnete träge ein Auge. „Und ich habe schreckliche Kopfschmerzen, Schwesterherz, also nörgele bitte nicht an mir herum.“

„Ich werde mehr tun als nur nörgeln“, versprach sie und warf die Pelisse auf einen Stuhl. „Wo ist das Geld für die Miete?“

„Ah. Du hast es also vermisst.“ Er hievte sich hoch und leerte seine Taschen. Zerknitterte Scheine fielen zu Boden. „Hier bitte.“

„Gregory, wo kommt das ganze Geld her?“ Phyllida fiel auf die Knie, sammelte die Banknoten ein und strich glättend darüber. „Das sind ja mehr als dreihundert Pfund.“

„Hazard“, erklärte er und sank in die Polster.

„Dabei verlierst du doch sonst immer.“

„Ich weiß. Aber du hast so lange auf mich eingeredet, dass ich vorsichtiger und sparsamer sein muss, und ich habe mir deine Worte zu Herzen genommen. Du hattest recht, Phyllida, ich war dir bisher keine große Hilfe. Ich nenne deinen gesunden Menschenverstand sogar Genörgel. Aber ich war listig und bin in eine neue Spielhölle gegangen. Am Anfang wollen sie immer, dass man gewinnt.“

„Das habe ich auch gehört.“ Sie hatte nur nicht daran geglaubt, dass ihm das eines Tages klar werden würde.

„Sie haben mich also gewinnen lassen, und als sie ganz harmlos ein Doppelt-oder-Nichts-Spiel anboten, beschloss ich, den Abend zu beenden.“ Er sah sehr selbstzufrieden aus.

„Und man hat dich einfach so gehen lassen?“ Unwillkürlich dachte sie an Harry Buck, und ein Schauer jagte ihr über den Rücken. Ein Mann, der beim Spiel so viel gewonnen hatte, würde niemals eine seiner Spielhöllen unbehelligt verlassen können. Ebenso wenig wie eine Frau. Schnell blendete sie den Gedanken aus.

„Aber ja. Ich habe gesagt, dass ich morgen mit Freunden zurückkommen will, um meine Glückssträhne auszunutzen.“

„Beim zweiten Mal wird man dich ausnehmen.“

Gregory schloss die Augen und stieß einen Seufzer aus, der mehr Überdruss und Erschöpfung ausdrückte, als ein Kater durch zu viel Alkohol je verursachen konnte. „Ich habe sie angelogen. Ich habe dir doch gesagt, dass ich ein neues Kapitel in meinem Leben aufschlagen will. Ich habe mich gestern lange im Spiegel betrachtet, und ich werde nicht jünger. Ich habe über all das nachgedacht, was du zu mir gesagt hast, und du hast recht. Ich bin es leid, jeden Penny zwei Mal umzudrehen, und ich will nicht, dass du noch länger so hart arbeiten musst. Ich muss mir eine reiche Frau suchen, und die finde ich in keiner Spielhölle.“

„Du bist ein Heiliger.“ Was eine unverhohlene Lüge war, und sie konnte auch nicht so recht daran glauben, dass dieser Anfall von Tugendhaftigkeit lange anhielt. Aber sie liebte ihn dafür, dass er Besserung gelobte. Vielleicht war er wirklich erwachsen geworden. „Übrigens hast du mir versprochen, mich morgen zum Ball der Richmonds zu begleiten, vergiss das nicht.“

„Kein sehr exklusiver Anlass“, stellte Gregory fest.

„Das würde auch kaum unseren Zwecken dienen“, gab Phyllida zurück. „Fenella Richmond lässt sich gern umschwärmen, deshalb lädt sie die ein, die dazu bereit sind, aber auch die feine Gesellschaft wird zugegen sein. Ihr Ballsaal ist sicher reich gefüllt mit wohlhabenden Eltern, die nach einem Ehemann mit Titel für ihre Töchter Ausschau halten.“

„Kaufleute. Mühlenbesitzer. Fabrikanten.“ Er klang nachdenklich, nicht ablehnend, dennoch fühlte sie sich zu einer Rechtfertigung gedrängt.

„Ich bin ebenfalls Ladenbesitzerin, auch wenn der ton zum Glück nichts davon ahnt. Aber ja, all diese Kaufleute und Fabrikanten sind darauf bedacht, in der Gesellschaft aufzusteigen. Stell dir nur vor, wie begeistert sie von einem attraktiven ledigen Earl mit Landsitz und großem Anwesen sein werden. Also zeig dich von deiner charmanten Seite, liebster Bruder.“

Gregory schnaubte. „Ich bin immer charmant. Damit habe ich keine Schwierigkeiten. Ein guter, verantwortungsbewusster Mensch zu sein, das ist die wahre Herausforderung. Wo warst du übrigens den ganzen Tag, Phyllida?“

Am besten verschwieg sie ihm, dass sie ihn gesucht hatte. „Ich war in Wapping, um Fächer von einem chinesischen Händler zu kaufen.“ Und wurde von einer seltsamen Krähe attackiert und von einem attraktiven Mann geküsst. Tapfer widerstand sie dem Drang, bei der Erinnerung daran ihren Mund zu berühren. „Ich lege das Geld in den Stahlschrank und sage Peggy Bescheid, dass wir beide zum Dinner anwesend sein werden.“

Phyllida nahm ihre Sachen und lief nach unten. „Peggy?“

„Aye, Miss Phyllida?“ Peggy, die Köchin und Haushälterin in einer Person war, kam aus der Küche und wischte sich die Hände an der Schürze ab. „Seine Lordschaft ist zu Hause, mitsamt Kater. Er ist dem Teufel Alkohol einmal mehr in die Falle gegangen.“

„Wir werden beide zum Dinner hier sein.“ Phyllida war an Peggys düstere Bemerkungen über beinahe jede Art von Vergnügen gewohnt. „Gregory hat übrigens das Geld für die Miete und den Lohn mitgebracht.“ Sie zählte Münzen auf den geschrubbten Holztisch. „Hier bitte. Das ist dein und Janes Lohn für den vergangenen und diesen Monat. Anna zahle ich selbst.“ Jane war ihr Mädchen für alles, und Anna ihre Zofe.

„Danke, Miss Phyllida“, sagte Peggy, während sie die Münzen in Stapel aufteilte. „Und den Rest verstauen Sie hoffentlich an einem sicheren Ort.“

„Das werde ich. Ich gehe noch mal kurz in den Laden. In einer halben Stunde bin ich zurück.“

„Es gibt Wildeintopf“, rief Peggy ihr nach. „Und Käsekuchen.“

Der Tag hat schlecht angefangen, doch er entwickelt sich überraschend gut, stellte Phyllida fest, als sie die Hintertür zu ihrem Laden aufschloss. Die Rollläden waren geschlossen, und das Innere des Raumes lag im Schatten, aber sie konnte das Rollen der Kutschen und das Hufklappern der Pferde auf der Jermyn Street hören. Sie kniete vor einem Schrank nieder, schob einen Stapel Einpackpapier zur Seite und hob den falschen Boden an. Darunter verbarg sich, geschützt vor Eindringlingen und ihrem Bruder, der Stahlschrank.

Nachdem sie das Geld verstaut hatte, öffnete sie aus einem Impuls heraus eine Schublade und nahm ein Päckchen mit Räucherstäbchen heraus.

Sie zog ein Sandelholzstäbchen aus dem Bündel, hielt es sich vor die Nase und atmete den Duft tief ein. Es roch sauber, holzig und exotisch, so wie er. Gefährlich und geheimnisvoll aufregend.

Was natürlich Unsinn war. Er hatte sie geküsst, um sie zu beschützen, während er sich gleichzeitig einen Spaß aus der Situation machte. Und das konnte jeden aufregen. Daran war nichts Geheimnisvolles.

Phyllida schloss den Laden ab und lief nach Hause.

Erst als sie sich in ihrem Zimmer für die Nacht umzog, bemerkte sie, dass sie das Räucherstäbchen eingesteckt hatte. Sie beschloss, die Qualität zu testen, und zündete es an.

Energisch jeden Gedanken an belustigt funkelnde grüne Augen zur Seite schiebend setzte sie sich und ließ sich von Anna das Haar bürsten.

Morgen würde sie vormittags wieder Ladenbesitzerin sein und am Abend auf Lady Richmonds Ball ein paar Stunden lang zu einem völlig anderen Menschen werden. Sie freute sich darauf, auch wenn sie die Zeit nur damit verbringen würde, wohlhabende Debütantinnen zu begutachten. Das Tanzen musste sie sich ebenso versagen wie den Gedanken an einen grünäugigen Mann und den Traum von einer Hochzeit. Eine nach Sandelholz duftende Rauchfahne schwebte zur Decke und nahm ihre Träume mit sich.

2. KAPITEL

Darf ich einkaufen gehen, Mata? Ich würde mir gern den Basar anschauen.“

„Hier gibt es keine Basare, Sara. Nur Läden und einige Märkte.“

„Darf ich trotzdem gehen?“

„Ich habe zu viel zu tun, um dich zu begleiten.“ Lady Eldonstone warf einen vielsagenden Blick durch das riesige, düstere Zimmer, das sich Kleiner Frühstückssalon schimpfte, und Ashe bekam eine Ahnung davon, wie sie den Tag verbringen wollte. Unwillkürlich kam ihm der Gedanke an ein Lagerfeuer im Garten in den Sinn.

„Fünfzig Rupien, dass Mata das Personal bis morgen um den kleinen Finger gewickelt hat, und einhundert, dass sie noch innerhalb dieser Woche mit der Renovierung anfängt“, flüsterte er seinem Vater zu.

„Ich wette nicht auf Ereignisse, die mit Gewissheit eintreffen werden. Und ich wäre nur zu froh, wenn sie diese scheußlichen Vorhänge austauschen würde. Ich kann dich leider auch nicht begleiten, Sara“, sagte der Marquess, als seine Tochter den Blick flehentlich zu ihm und Ashe richtete.

„Ich komme mit“, bot Ashe an. Sara wollte sich zwar nichts anmerken lassen, aber ihm war nicht entgangen, dass seine Schwester von dieser fremden neuen Welt gleichermaßen fasziniert wie eingeschüchtert war. „Ein Spaziergang wird mir guttun. Doch wir machen bloß einen Schaufensterbummel. Ich lasse mich nicht durch die Läden schleifen, um dir dabei zuzusehen, wie du eine Ewigkeit damit verbringst, irgendwelchen Firlefanz auszuwählen. In der Jermyn Street soll es ein paar nette Läden geben, hat Bates erwähnt, und ich brauche ohnehin noch Rasierseife.“

Eine Stunde später beklagte sich Sara: „Aha, ich muss mich also von dir durch die Läden schleifen lassen, um dir zuzuschauen, wie du eine Ewigkeit damit verbringst, Rasierseife auszuwählen.“

„Du hast doch auch Seife gekauft. Drei Sorten sogar“, gab Ashe zurück, und ihm wurde wieder einmal bewusst, warum er normalerweise vor einem Einkauf mit seiner Schwester oder Mutter zurückschreckte wie der Teufel vor Weihwasser.

„Riecht London nicht seltsam“, bemerkte Sara. „Keine Gewürze, kein Blumenduft. Nichts Totes, keine Straßenverkäufer.“

„Jedenfalls nicht hier in dieser vornehmen Gegend“, stimmte er zu. „Es gibt aber auch hier Kanäle und Pferdeäpfel, falls du den aromatischen Duft der Straße vermisst. Oh, diese Jadefigur ist wirklich schön.“ Er blieb vor dem Schaufenster eines kleinen Ladens stehen.

„Da sind noch andere hübsche Sachen.“ Sara ließ den Blick bewundernd über die ausgestellten Objekte im Schaufenster gleiten. Auf dunklem Samt waren geschnitzte Figuren und Schmuck in Szene gesetzt, und zwischen antiken Terrakottastatuen und japanischem Porzellan fanden sich hübsche Miniaturgemälde.

Ashe trat einen Schritt zurück, um das Schild über der Tür zu lesen. „‚Das Kabinett der Kuriosität‘. Ein passender Name. Schau dir diesen hinreißenden Mondsteinanhänger an. Er schimmert so blau wie deine Augen. Sollen wir hineingehen und einen näheren Blick darauf werfen?“

Sara drückte erfreut seinen Arm, und er hielt die Tür für sie auf. Eine Glocke klingelte über ihren Köpfen, gleich darauf teilte sich der Vorhang zum hinteren Teil des Ladens.

„Guten Morgen, Monsieur, Madame.“ Offensichtlich war die Ladenbesitzerin Französin. Sie blieb einen Moment zögernd stehen, als sei sie überrascht, sie zu sehen, ehe sie näher kam.

Sie war mittelgroß, trug ein hochgeschlossenes braunes Kleid und hatte das Haar unter einer Haube versteckt. Auf ihrer Nase thronte eine Brille mit gefärbten Gläsern.

„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie.

„Wir würden uns gern den Mondsteinanhänger im Fenster ansehen.“

„Natürlich. Nehmen Sie doch bitte Platz, Madame.“ Sie deutete auf einen Stuhl, ging zum Schaufenster, nahm den Schmuck heraus und präsentierte ihn Sara auf einem Samtkissen.

Ashe beobachtete, wie seine Schwester den Anhänger kritisch in Augenschein nahm, so, wie ihre Mutter es sie gelehrt hatte. Gleich, wie hübsch der Stein auch war, hätte er einen Makel, würde sie ihn nicht kaufen.

Seine Aufmerksamkeit schweifte jedoch ab, denn irgendetwas hatte seinen Jagdinstinkt geweckt. Unvermittelt überflog ihn das Gefühl, dass er beobachtet wurde. Unauffällig ließ er den Blick durch den Laden gleiten. Nein, es schien sich niemand hinter dem Vorhang zu verstecken.

Mit einem Mal wurde ihm klar, was nicht stimmte. Die Verkäuferin hielt den Blick nicht auf Sara gerichtet, um die Reaktion einer möglichen Kundin abzuschätzen, sondern schaute immer wieder verstohlen zu ihm herüber. Interessant. Er drehte sich um, bis er sie in dem Spiegel eines venezianischen Schrankes heimlich mustern konnte. Sie war jünger, als er angenommen hatte. Ihre Haut zeigte keine Falten, ihre Wangenknochen waren hoch, ihre Augen konnte er hinter der Brille zwar nicht erkennen, aber sie hatte ein schmales Kinn. Immer wieder nagte sie an der Unterlippe und strich sich mit den Händen über den Rock, als müsse sie sich davon abhalten, sie zur Faust zu ballen. Rätselhafterweise kam sie ihm bekannt vor.

„Wie viel kostet er?“, fragte Sara, und die Frau beugte sich zu ihr. Auch ihre Bewegungen schienen ihm seltsam vertraut, und ein Verdacht regte sich in ihm. Konnte es wirklich möglich sein?

Ashe schlenderte zu ihr hinüber und gab vor, sich für ihre Antwort zu interessieren. Offensichtlich nervös, machte sie einen Schritt zur Seite.

Sie nannte einen Preis, worauf Sara automatisch mit der Zunge schnalzte, bereit zu feilschen. Er beugte sich näher und spürte, wie die Französin erstarrte wie ein erschrecktes Tier. Sie hatte braunes Haar, nach den Strähnen zu urteilen, die der hässlichen Haube entwichen waren und einen verführerischen Schleier über ihrem zarten Nacken bildeten.

„Dafür muss die Kette aber im Preis enthalten sein“, sagte Sara.

Er atmete tief ein. „Jasmin“, murmelte er nahe am Ohr der Verkäuferin. Sie verharrte reglos. Oh ja, sein Jagdfieber war geweckt, und er hatte seine Beute gewittert. „Sie kommen weit herum, Madame.“

„Sie meinen gewiss meine Ware, Monsieur?“ Ihre Stimme klang fest, kein Zittern. Offenbar besaß sie starke Nerven. „Ja, sie kommt tatsächlich aus aller Welt. Und der Anhänger würde Ihre Gemahlin ausnehmend gut kleiden, daher gebe ich die Kette gern dazu.“

„Aber …“, fing Sara an.

„Möchtest du ihn, Liebes?“, unterbrach Ashe sie. „Dann kaufen wir ihn.“ Interessant und auch ein wenig beleidigend, dass seine Bekannte vom Kai annahm, er sei vermählt. Allerdings bereitete es ihm ein fast diebisches Vergnügen, sie in dem Glauben zu lassen, und ganz sicher würde er sie nicht auf ihre gestrige Begegnung ansprechen, solange Sara in der Nähe war.

Sie hatte wohl keine allzu gute Meinung von ihm, wenn sie ihm zutraute, dass er eine Frau, die ihm zufällig über den Weg gelaufen war, küsste, obwohl zu Hause eine Gemahlin auf ihn wartete. Ashe hielt sich weiß Gott nicht für einen Heiligen, aber untreue Ehemänner waren ihm zuwider.

Deshalb wollte er seine Gattin auch mit größter Sorgfalt wählen. Immerhin war er nun in England, nicht in Indien, und die Missachtung der ungeschriebenen Gesetze der feinen Gesellschaft würden unangenehme Folgen haben. Seine Familie wurde ohnehin bereits mit Argwohn betrachtet, weil seine Mutter Inderin war, sein Großvater mütterlicherseits Händler und sein Großvater väterlicherseits als Tunichtgut gegolten hatte.

Er blickte auf seine Schwester, deren Hoffnungen auf eine passende Partie von einem untadeligen Ruf abhingen. Daher sah es Ashe auch als seine Pflicht an, eine passende Partie zu machen, um eine standesgemäße Ehe mit einer wohlhabenden, adligen Gattin einzugehen, die über einflussreiche Beziehungen verfügte. Da er ein Leben lang an diese Frau gebunden sein würde, legte er großen Wert auf gegenseitigen Respekt, ansonsten wäre eine Ehe unerträglich. Liebe erwartete er jedoch nicht.

„Ist das Ihr Laden?“, fragte er, während er die Handschuhe auszog, um das Bündel Geldscheine hervorzuholen, das Perrott ihm gegeben hatte.

„Ja, Monsieur.“ Sie spielte stur weiter die Französin.

„Beeindruckend. Es verwundert mich jedoch, dass der Name Kabinett der Kuriosität und nicht der Kuriositäten lautet.“ Der zarte Duft von Jasmin füllte seine Sinne, und sein Körper schickte ihm unmissverständliche Signale.

„Ich will auch den Intellekt stimulieren“, sagte sie und gab ihm das Wechselgeld. Ihre Finger streiften über seine Hand, und er hielt sie fest.

„Ebenso wie die Sinne?“, fragte er. Sie rührte sich nicht. Warm und schlank lagen ihre Finger in seiner Hand, und unter seinem Daumen spürte er das rasende Pochen ihres Herzschlags. Das Interesse beruhte also auf Gegenseitigkeit. Stimulation der Sinne, wie wahr.

„Um die Schätze hier zu entdecken, braucht man Kuriosität, also Neugier“, erklärte sie mit atemloser Stimme. Ihr aufgesetzter Akzent war nicht mehr ganz so deutlich wahrnehmbar.

„Meine haben Sie ganz sicher geweckt“, murmelte er. „Und alle meine Sinne obendrein. Ich werde ganz sicher wiederkommen, ob nun mit oder ohne meine … Schwester.“

Ihre Hand verkrampfte sich und lockerte sich gleich darauf wieder. Oh ja, sie fand seine Nähe ebenso erregend wie er die ihre, und die Neuigkeit, dass er nicht verheiratet war, hatte sie wie ein Blitz getroffen.

„Ich werde Ihnen den Anhänger einwickeln, Monsieur.“ Sie versuchte, ihre Hand zu befreien, und er ließ sie los, wobei er feststellte, dass sie keinen Ehering trug. Sein Jagdfieber regte sich erneut und mit ihm gewisse Teile seines Körpers, die ein Verlangen weckten, das auf einem harmlosen Einkaufsbummel mit seiner Schwester höchst unangebracht war und besser gezügelt werden sollte.

Ashe steckte die flache Schachtel in seine Brusttasche und zog die Handschuhe an. „Öffnen Sie Ihren Laden jeden Tag?“

„Non“, antwortete sie ein wenig schroff. Er hatte sie aus der Fassung gebracht, und offensichtlich verzieh sie ihm das nicht so schnell. „Wenn ich unterwegs bin, um Ware zu kaufen, bleibt er gewöhnlich geschlossen.“

„Kaufen Sie Ihre Ware im Hafen von London?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Überall dort, wo ich Schätze für meine Kunden finden kann. Guten Tag, Monsieur, Mademoiselle.“

„Au revoir“, erwiderte Ashe und bemerkte amüsiert, wie sie die Lippen zusammenkniff. Sie vermutete ganz richtig, dass er sie necken wollte.

Phyllida verschloss die Tür und zog sich ins Hinterzimmer zurück. Er. Hier. Als ob sie nicht schon genug Mühe hätte, ihn aus ihrem Kopf zu verbannen. Sie spreizte die Finger der rechten Hand, die er in seiner großen gehalten hatte. Sie hatte sich völlig überwältigt gefühlt, ein unerwartetes Gefühl. Beunruhigender war allerdings, dass es ihr nicht unangenehm gewesen war. Und das war gefährlich. Sie mahnte sich, dass er trotz seines unwiderstehlichen Charmes immer noch ein Mann war, der vermutlich keine Hemmungen hatte, sich das zu nehmen, was er wollte.

Dieses Mal hatte ihn nicht sein teuflischer Vogel begleitet, sondern seine bezaubernde Schwester, die ebenso klug wie hübsch erschien. Dieser Schuft – wie konnte er sie nur zunächst in dem Glauben lassen, dass sie seine Gemahlin war –, noch dazu, nachdem er sie am Kai geküsst hatte! Das hieß natürlich nicht, dass nicht trotzdem eine Gattin zu Hause auf ihn wartete.

Wer war er bloß? Er hatte bar bezahlt, was bedeutete, dass er vermutlich kein Mitglied des ton war. In diesem Fall hätte er ihr einfach seine Karte ausgehändigt und erwartet, dass sie ihm eine Rechnung schickte. Eines stand jedoch fest, er schien wohlhabend zu sein. Seine Kleidung war elegant und teuer, und auch seine Schwester war modisch gekleidet gewesen und ihr Perlenschmuck von erlesener Qualität.

Womöglich war er ein erfolgreicher Kaufmann? Das würde auch seine Anwesenheit im Hafen erklären. Vielleicht aber auch ein Schiffseigner.

Phyllida stellte fest, dass sie ihre Schlüsselkette verknotete, und ließ sie ungeduldig los. Er war der Erste, der sie trotz ihrer Verkleidung erkannt hatte. Aber solange er Mrs. Drummond, die Händlerin, die im East End und im Hafen nach Schätzen jagte, und Madame Deaucourt, die Inhaberin des Kabinetts der Kuriosität, nicht mit Phyllida Hurst, der unehelichen Schwester des Earl of Fransham in Verbindung brachte, drohte ihr keine Gefahr.

Es sei denn, du verlierst dich in albernen Träumereien, mahnte sie sich. Seinem Kuss im Hafen hatte sie angemerkt, dass er sehr erfahren war. Außerdem war er ein Charmeur der übelsten Sorte, der ganz offensichtlich jedem Rock nachstellte. Er kann wohl kaum vorgeben, dass meine Schönheit ihn gefesselt hatte, stellte sie nach einem Blick in den Spiegel fest. Adrett gekleidet und frisiert, war sie zwar keine graue Maus, aber in dem braunen Kleid, das Haar unter der Haube versteckt, schenkte man ihr normalerweise keinen zweiten Blick. Und so sollte es auch sein.

Dummerweise wünschte sie sich jedoch, dass der Unbekannte ihr tatsächlich mehr als nur einen Blick schenkte. Und dieser alberne Wunsch konnte ihren ganzen Plan, den sie mit siebzehn in die Wege geleitet und der sie so viel gekostet hatte, zunichtemachen. Du dumme Gans, schimpfte sie sich. Wenn er überhaupt Interesse an dir haben sollte, wird er in dir höchstens eine Mätresse sehen, eine Trophäe, keinesfalls eine mögliche Gemahlin. Außerdem kam eine Heirat für sie ohnehin nicht infrage, sie lag nicht einmal im Bereich des Möglichen.

Ihr Streben galt einzig dem Ziel, genügend Geld zu verdienen, um sie vor dem drohenden Ruin zu bewahren, und Gregory wieder ein respektables Ansehen zu verschaffen. Und dieses Ziel durfte sie durch nichts gefährden.

„Danke für das Geschenk, Ashe.“ Sara hakte sich bei ihm unter, während sie vom St. James’s Square zur Pall Mall schlenderten. „Warum hast du die Ladenbesitzerin glauben lassen, wir seien vermählt?“

„Ich habe den Irrtum doch gleich wieder richtiggestellt. Außerdem geht es sie nichts an.“ Wenngleich die Information sie durchaus interessiert hatte.

„Du hast mit ihr geflirtet.“

„Und was weißt du darüber? Du bist doch noch gar nicht in die Gesellschaft eingeführt worden.“ Eines der Probleme, ein Junggeselle zu sein, bestand darin, dass Ashe die Gedanken und Schwächen der anderen Männer, denen seine hübsche, freundliche und unerfahrene Schwester begegnete, nur zu gut kannte. Am liebsten hätte er sie eingesperrt und den Schlüssel noch mindestens fünf Jahre versteckt.

„Ich hatte mein Debüt bereits in Kalkutta. Dort habe ich an Gesellschaften, Picknicks und Tanzabenden teilgenommen.“ Sie zwinkerte ihm zu. „Du weißt nur nichts davon, weil du in Kalatwah warst.“

„Die Gesellschaft hier ist jedoch viel formeller. All diese Regeln und ungeschriebenen Gesetze. Sobald wir nur eines davon verletzen, wird die Gesellschaft uns dafür strafen. Vor allem für dich lauert an jeder Ecke ein rufschädigender Skandal.“

„Ich weiß. Junge Damen müssen sich tadellos benehmen und so unschuldig sein wie Neugeborene.“ Sara seufzte theatralisch. „Zu schade, dass ich nicht mehr unschuldig bin.“

„Was?“ Ashe blieb abrupt stehen, bereit jeden zur Rechenschaft zu ziehen, der Hand an seine kleine Schwester gelegt hatte, selbst wenn er dazu ein Schiff zurück nach Indien nehmen musste. „Sarisa Melissa Herriard, wer ist dir zu nahe getreten?“, knurrte er.

Autor

Louise Allen

Louise Allen lebt mit ihrem Mann  – für sie das perfekte Vorbild für einen romantischen Helden – in einem Cottage im englischen Norfolk. Sie hat Geografie und Archäologie studiert, was ihr beim Schreiben ihrer historischen Liebesromane durchaus nützlich ist.

Foto: ©  Johnson Photography

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