So hast du mich noch nie geküsst

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Ein Unfall hat Elenas Mann Travis jegliche Erinnerung genommen - auch daran, wie unglücklich ihre Ehe war. Als Travis sie beim Wiedersehen in die Arme zieht, macht Elena sich unwillkürlich steif - bis das ganz neue sinnliche Spiel seiner Lippen nie gekanntes Begehren weckt …


  • Erscheinungstag 28.02.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733755775
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Elena Richards wich vorsichtig vom Rand des Felsens zurück. Hatte sie Herzklopfen vom Sex oder wegen ihrer Höhenangst?

„Das war toll, Kleine!“

Als ihr Mann von hinten die Arme um sie legte, verkrampfte sie sich. Seit einem Monat war sie Mrs. Travis Richards, und die ganze Zeit versuchte sie verzweifelt, sich einzureden, die Heirat wäre kein Fehler gewesen. Doch insgeheim wusste sie, dass die Heirat mit Travis der größte Fehler ihres Lebens gewesen war.

Sie drehte sich um, betrachtete sein kraftvoll und gut geschnittenes Gesicht und suchte darin den Mann, für den sie ihn gehalten hatte. „Es war nicht ‚toll‘, Travis. Es hat mir Angst gemacht. Du hast mir Angst gemacht.“

„Ach, sei kein Hase“, meinte er spöttisch und drückte sie fester an sich. „Du weißt doch, dass dies hier mein Lieblingsplatz ist. Was ist daran falsch, wenn ich ihn mit meinem Lieblingsmädchen teilen will?“

Sein Charme minderte ihren Zorn und ihre Angst. Als sie seine Wange streichelte, wollte sie nicht mehr daran denken, dass er sie zum Sex gezwungen hatte. „Travis, wir müssen miteinander reden.“

Aus seinen blaugrauen Augen traf sie ein ungeduldiger Blick. „Ich bin aber nicht in Stimmung für eines von deinen typischen ernsten Gesprächen. Kannst du nicht einfach den Moment genießen? Und den Ausblick?“ Einen Arm legte er ihr um die Schultern und deutete mit der anderen Hand auf das Land um sie herum.

Sie standen auf einem Plateau, an dessen Rand der Felsen fast senkrecht abfiel. Am Grund der Schlucht floss der reißende Arganus River dahin.

Elena war zum ersten Mal hier oben, obwohl Travis oft die vierstündige Fahrt von ihrer Ranch hierher unternahm, um in den Felsen zu klettern. Heute hatte er darauf bestanden, dass sie ihn begleitete. Zwar hatte sie zögernd zugestimmt, doch jetzt wollte sie nur noch nach Hause.

„Können wir gehen? Mir ist kalt.“ Sie wich noch weiter von der gefährlichen Kante zurück und schloss die Jacke am Hals.

„Geh schon zum Wagen. Ich komme ich einigen Minuten nach.“ Er schob die Hände in die Taschen der Jeans. „Ich möchte mich noch etwas umsehen.“

Elena zögerte. Sie wollte nicht bleiben, fürchtete sich jedoch davor, allein den schmalen Pfad zum Wagen hinunterzugehen. Ein Windstoß ließ sie frösteln. Im Wagen war es wärmer. „Bis gleich“, sagte sie und wandte sich ab.

Nach einigen Schritten drehte sie sich noch einmal zu Travis um. Er war unglaublich attraktiv. Einen Monat lang hatte er sie voll Leidenschaft umworben und jede Menge Versprechungen gemacht, bis sie in einer schlichten Zeremonie standesamtlich geheiratet hatten.

Sie hätte sich mehr Zeit lassen und Travis genauer kennen lernen sollen. Doch er war charmant und hartnäckig gewesen, hatte sie mit Romantik überwältigt und durch Leidenschaft ihre Zweifel vertrieben.

Während sie auf dem Pfad nach unten stieg, vermied sie es, die gefährlichen Felsen zu beiden Seiten zu betrachten und in den Abgrund zu blicken.

Erst nach zwanzig Minuten erreichte sie den Wagen und holte erleichtert Atem, weil sie den steilen, steinigen Weg hinter sich hatte.

Sie holte die Schlüssel aus der Tasche, stieg ein und startete den Motor, damit die Heizung möglichst bald wärmte. Unklar war nur, ob sie wegen der Kälte fror oder weil sie erkannt hatte, welch ein Fehler die Heirat mit Travis gewesen war.

Er war nicht der Mann, für den sie ihn gehalten hatte. Es war ihm nicht nur egal gewesen, dass sie vor den Bergen Angst hatte, sondern er hatte auch darauf bestanden, dass sie sich dort oben liebten. Es musste sich etwas ändern, und zwar bald!

Minuten später war es im Wagen angenehm warm. Ob es Travis gefiel oder nicht, sie mussten über den weiteren Verlauf ihrer Ehe reden. Elena war nicht glücklich und glaubte, dass er es auch nicht war.

Ab und zu warf sie einen Blick zum Pfad und wartete auf Travis.

Er kam jedoch nicht mehr zurück.

1. KAPITEL

Während Elena Richards langsam aus tiefem Schlaf erwachte, drehte sie sich um und suchte unbewusst die Wärme ihres Mannes.

Das kalte Bett neben ihr holte die Erinnerung zurück. Travis war nicht hier. Vor fünf Monaten war er spurlos von dem Felsen verschwunden.

Das alte Hemd, in dem sie schlief, roch noch schwach nach seinem Eau de Toilette. Der Duft hatte schon stark nachgelassen und musste bald ganz verschwinden.

Zu ihrer Überraschung blieb die Morgenübelkeit aus, als sie sich aufsetzte. In den ersten Monaten hatte sie stark darunter gelitten, doch im vierten Monat der Schwangerschaft wurde es, wie vom Arzt vorhergesagt, besser.

Als sie aufstand, strich sie über ihren Leib. Das Kind. Ein Geschenk, das sie an das letzte Beisammensein mit Travis erinnerte … vor vier Monaten und drei Wochen.

An jenem Vormittag hatte sie Travis oben auf dem Felsen erklären wollen, dass ihre Ehe einfach nicht funktionierte. Allerdings war sie nicht dazu gekommen.

Jetzt galt er als vermisst. Nicht zu wissen, was mit ihm geschehen war, quälte sie seit seinem Verschwinden. Lebte er? War er tot? Auch wenn sie sich ihrer Gefühle ihm gegenüber nicht sicher war, so war er doch der Vater ihres Kindes.

Elena verdrängte die Gedanken, duschte, zog sich rasch an und wollte im Garten Unkraut jäten, bevor es zu heiß wurde.

In der Küche begrüßte sie der kleine schwarze Pudel, der auf dem Teppich vor der Spüle geschlafen hatte, mit fröhlichem Bellen. „Guten Morgen, Spooky.“ Elena bückte sich und streichelte den Hund. „Willst du in den Garten?“ Der Pudel tanzte vor Freude. Die dunklen Augen leuchteten.

Lächelnd öffnete Elena die Hintertür. Der Pudel jagte mit der ganzen Energie seiner zwei Jahre hinaus und hinter einem Vogel her, der blitzartig floh.

Elena machte Kaffee, füllte eine Tasse und trat ins Freie. Es roch nach Erde und Tau. Ein neuer Tag hatte begonnen, für Elena ein neuer Tag voll Einsamkeit und unbeantworteten Fragen. Sie stellte die Kaffeetasse weg und holte Werkzeug aus dem kleinen Schuppen. Harte Arbeit tagsüber sorgte dafür, dass sie nachts von quälenden Träumen verschont blieb.

Das Erdreich zwischen den Reihen verschiedener Gemüse war hart. Elena ging methodisch vor, entfernte das Unkraut und lockerte den Boden. Spooky umkreiste sie lange, bis er sich in den Schatten unter der Veranda legte und sein Frauchen ständig beobachtete.

Elena legte nur gelegentlich eine Pause ein und stützte sich dann auf den Stiel der Gartenkralle, um dem Rücken Erholung zu gönnen.

In einer solchen Pause fühlte sie plötzlich, dass jemand sie beobachtete.

Als sich das Prickeln im Nacken verstärkte, sah sie sich um. Dabei war das verrückt. Der Garten war von einem drei Meter hohen Zaun umgeben. Niemand konnte einen Blick auf sie erhaschen.

Kopfschüttelnd machte sie sich wieder an die Arbeit. Nach Travis’ Verschwinden hatte sie einen großen Gemüsegarten angelegt, weil Arbeit ihr am besten half. Jetzt wuchsen die Pflanzen bereits wie das Kind unter ihrem Herzen heran.

Die Gartentür öffnete sich knarrend. Elena drehte sich hastig herum und sah einen hoch gewachsenen, dunkelhaarigen Mann näher kommen. Die hinter ihm stehende Sonne blendete sie. Zusätzlich verdeckte ein dunkler Hut das Gesicht.

Spooky lief bellend vorsichtig näher, schnüffelte kurz und kehrte unter die Veranda zurück.

Eine Wolke schob sich vor die Sonne. Sobald das grelle Licht gedämpft wurde, konnte man die Züge des Mannes klarer erkennen. Elena ließ die Gartenkralle fallen.

„Travis“, flüsterte sie geschockt und ging einige Schritte auf ihn zu, blieb jedoch stehen. Hatte sie den Verstand verloren? Bildete sie sich nur etwas ein?

„Elena?“

Beim vertrauten Klang seiner Stimme warf sie sich auf ihn, schlang ihm die Arme um den Nacken und drückte das Gesicht an seine Brust. Einen Moment blieb er stocksteif stehen, ehe er die Arme um sie legte.

Unzählige Fragen und Gefühle stürmten auf sie ein. Ihre Tränen versickerten in seinem Hemd. In diesem Moment spielte es keine Rolle, dass er doch nicht der Mann war, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen wollte. Er lebte! Der Vater ihres Kindes lebte!

Allmählich fielen ihr Veränderungen auf. Er war magerer geworden, und er roch auch anders. Der frische Duft seines bevorzugten Eau de Colognes war durch einen geheimnisvollen und sehr ansprechenden erdigen Geruch ersetzt worden.

Der erste Schock wurde von Erleichterung, Freude, Verwirrung und Zorn abgelöst. Fünf Monate lang hatte sie nicht gewusst, ob er lebte oder tot war. Sie ballte die Hände zu Fäusten und schlug ihm gegen die Brust. „Wo warst du? Ich hatte solche Angst! Was ist passiert?“

Er wich zurück. Sekundenlang sahen sie einander nur an. Elena konnte noch immer nicht glauben, dass er wieder hier war.

Sein Haar war kürzer, das Gesicht schmaler, doch völlig vertraut. Blaugraue Augen, dichte dunkle Wimpern, gerade Nase, volle Lippen und ein Grübchen im kantigen Kinn.

Sie betrachtete sein Gesicht, sah ihm in die Augen und fand darin einen verwirrten Ausdruck. „Gehen wir ins Haus, Travis. Dann reden wir.“

Er nickte, und während sie vorausging, schob sich wieder eine Wolke vor die Sonne und warf einen dunklen Schatten auf die Erde. Elena fröstelte. Ihr Mann war wieder hier, jener Mann, den sie eigentlich gar nicht mehr wollte. Aber jetzt fand alles wenigstens ein Ende. Es gab von nun an keine Nächte mehr, in denen sie sich fragte, was geschehen war.

Spooky folgte ihnen wedelnd. „Kaffee?“, fragte Elena, als sie das Haus betrat. Wie unsinnig, dachte sie. Mein Mann kommt zurück, nachdem er unerklärlich lange verschwunden war, und ich biete ihm Kaffee an.

Ebenso unsinnig war es, dass er nickte und sich an den Tisch setzte, als wäre er nur einen Tag fort gewesen.

Spooky legte sich zu Elenas Verwunderung unter seinen Stuhl. Spooky hatte nie etwas von Travis wissen wollen. Anfangs hatte der Hund ihn sogar angeknurrt. Nach der Hochzeit war er auf Distanz geblieben und hatte Travis stets misstrauisch beobachtet. Plötzlich legte er sich zu diesem Mann, als wäre er sein Herrchen. Vielleicht hatte Spooky Travis auch vermisst.

Elena füllte eine Tasse und setzte sich Travis gegenüber. Sie war noch immer verwirrt und auch zornig.

Eine Weile schwiegen sie. Elena legte die Hände um ihre Tasse, um sie zu wärmen. Das alles kam ihr wie ein Traum vor. „Travis?“ Sie drückte seine Hand, doch er zog sie zurück und strich sich durch das Haar. „Um Himmels willen, rede mit mir!“

Er warf ihr einen verstörten Blick zu. „Du bist schwanger.“

Sie legte die Hand auf ihren Leib. Wenn er jetzt fragte, ob das Kind von ihm war … Sie gab ihm gar keine Gelegenheit. „Von unserem letzten Beisammensein oben auf dem Berg. Erinnerst du dich nicht?“

Erneut strich er sich durch das dichte Haar. „Nein.“

„Aber du musst! Es war genau einen Monat nach unserer Heirat, und wir waren zu dem Berg gefahren und hinaufgestiegen, und wir … wir haben uns geliebt.“ Sie versuchte, die damit verbundenen unangenehmen Erinnerungen von sich zu schieben. „An dem Tag bist du verschwunden. Ich habe im Wagen auf dich gewartet, aber du bist nicht zurückgekommen.“

„Ich erinnere mich nicht an die Bergwanderung.“ Er stockte. „Und was noch schlimmer ist – ich erinnere mich auch nicht an dich.“

Elena hielt den Atem an. „Das … verstehe ich nicht“, flüsterte sie.

Er blickte starr in seine Tasse. „Vor einigen Monaten hat mich ein alter Mann, der in den Wäldern lebt, mehr tot als lebendig aus dem Arganus River gezogen. Er hat mich gepflegt und auch einige Knochenbrüche behandelt. Als ich wieder zu mir kam, erinnerte ich mich nicht daran, wer ich bin und wie ich in den Fluss geriet.“

„Und jetzt?“, fragte sie ungläubig.

Er sah sie gequält an. „In den letzten Wochen sind mir einige Namen wieder eingefallen. Meiner und deiner. Der Mann hat mich hergebracht, aber ich erinnere mich an nichts. Es tut mir leid, ich weiß einfach nichts mehr.“

Jetzt konnte sie nicht mehr böse auf ihn sein. Durch schwere Verletzungen hatte er das Gedächtnis verloren!

„Erzähle mir etwas über diesen Berg“, bat er. „Dort oben hast du mich zum letzten Mal gesehen?“

Sie nickte. „Er gehört zur Bitterroot Range. Von hier fährt man vier Stunden. Du bist dort oft geklettert. Seit unserem ersten Zusammentreffen wolltest du, dass ich dich begleite. An jenem Tag war ich zum ersten Mal bereit.“

Travis beugte sich zu ihr. „Was ist da oben passiert?“

Sie holte tief Atem, weil sie jenen Tag eigentlich vergessen wollte, und stand auf. Sie konnte Travis nicht ansehen und dabei ruhig über die damaligen Ereignisse sprechen.

„Du hast mich mitten in der Nacht geweckt und bedrängt, dich auf den Berg zu begleiten. Du wolltest dort oben den Sonnenaufgang beobachten.“ Elena ging in der Küche hin und her. Sie wollte nicht daran denken, mit welch spöttischen Bemerkungen Travis ihr die Zustimmung abgerungen hatte.

„Du hast eine Taschenlampe mitgenommen, und wir stiegen ganz hinauf. Als wir ankamen, ging die Sonne gerade auf.“ Sie lehnte sich an den Kühlschrank. Die Sonne hatte die Wolken rosa und lila leuchten lassen. Die Berge waren fast schwarz gewesen, abgesehen von den schneebedeckten Gipfeln. Trotz aller Angst war sie von der Schönheit der Natur beeindruckt gewesen.

Elena wandte den Blick von dem Mann ab, der wie ihr Ehemann aussah, sie jedoch wie eine Fremde betrachtete. „Nach dem Sonnenaufgang hast du mich … wir … haben uns geliebt.“ Sie wollte sich nicht daran erinnern, dass er sie dazu gezwungen hatte, auch nicht daran, wie er sie lachend immer näher an die Felskante gerollt hatte.

Er sah sie fragend an. „Verschweigst du mir etwas?“

„Nein … das war alles.“ Warum sollte sie aussprechen, dass sie ihn fast gehasst hatte? Dass sie in diesem Moment erkannt hatte, dass sie nicht seine Frau bleiben konnte? „Solltest du nicht wegen der Amnesie zum Arzt gehen?“

„Da war ich schon. Der Arzt meint, dass ich das Gedächtnis irgendwann wieder finden werde. Er sagte, ich solle in vertrauter Umgebung mit Menschen zusammentreffen, die ich kenne. Deshalb bin ich hier.“ Er sah sich in der Küche um und betrachtete den alten Fußboden, die Holzschränke, die nicht mehr richtig schlossen, und die fleckige und ausgeschlagene Porzellanspüle.

„Wir wollten das Haus renovieren“, sagte sie leise, als müsste sie das Ranchhaus verteidigen, das sie billig erstanden hatte. Elena hatte große Pläne, wollte Vieh und Pferde kaufen und die bereits aufgegebene Ranch wieder funktionsfähig machen. Und sie hatte gedacht, Travis würde ihren Traum teilen, bis die kurze Ehe sie zum Umdenken zwang. Travis war ihr gegenüber kaltherzig, abweisend und rücksichtslos gewesen.

Er trank einen Schluck Kaffee. „Was geschah dann?“

Sie setzte sich wieder an den Tisch. „Weil ich fror, ging ich zum Wagen zurück. Du wolltest gleich nachkommen, bist aber nicht aufgetaucht.“

„Wie lange hat es gedauert, bis du mich gesucht hast?“

Das schlechte Gewissen verfolgte sie seit damals. „Lange. Ich schlief ein“, gestand sie. „Im Wagen war es warm, und du hattest mich sehr zeitig geweckt. Ich wachte erst zwei Stunden später auf. Da machte ich mir natürlich Sorgen.“

„Wie ging es weiter?“ So sanft hatte er noch nie mit ihr gesprochen. „Hast du mich gesucht?“

Elena zuckte zusammen. „So gut es ging, aber ich konnte nicht mehr allein auf den Berg steigen. Ich leide unter Höhenangst. Beim ersten Mal habe ich es nur geschafft, weil du mich festgehalten und mir geholfen hast. Ich rief immer wieder deinen Namen. Als ich keine Antwort erhielt, fuhr ich zum Posten der Park-Ranger.“

„Sie starteten eine Suche nach mir?“

„Ja. Und eine Woche lang wurde der Fluss durchkämmt.“

„Sie nahmen an, ich wäre über die Felskante in den Fluss gestürzt?“

Elena nickte.

Travis rieb sich über das Gesicht. „Ich bin müde.“

Erst jetzt merkte sie die Spuren von Erschöpfung in seinem Gesicht, die verknitterte Kleidung und die Bartstoppeln. Für ihn war das alles so schwer wie für sie.

Sie war froh, dass er lebte, und empfand auch noch etwas für ihn. Trotzdem kam es nicht in Frage, dass sie die Ehe fortsetzte, die nicht funktioniert hatte. Allerdings konnte sie ihn auch nicht vor die Tür setzen. Travis wusste nicht, wer er war und wohin er gehen sollte. Und er ahnte nicht, dass sie ihn an jenem verhängnisvollen Tag um die Scheidung bitten wollte.

„Du willst dich bestimmt frisch machen. Ich zeige dir dein Zimmer.“

Sie führte ihn durch den Korridor zum Schlafzimmer. Es war ihr peinlich, dass sie das Bett noch nicht gemacht hatte. Ihre Sachen hingen auf dem Stuhl in der Ecke.

„Tut mir leid, ich habe nicht mit dir gerechnet.“ Elena knüllte die Kleidungsstücke zusammen und drückte sie an sich.

„Ich glaube nicht …“ Er stand in der Tür, die er mit den breiten Schultern fast ausfüllte. „Ich bin dafür noch nicht bereit. Gibt es ein Gästezimmer? Du weißt schon … bis wir uns wieder aneinander gewöhnt haben.“

Elena atmete erleichtert auf. „Natürlich.“

Sie führte ihn zu dem kleineren Raum und beobachtete, wie er sich alles ansah, die Möbel berührte und die Bilder an den Wänden betrachtete, als suchte er nach einem Anhaltspunkt.

„Alle deine Sachen sind im Schrank in unserem Schlafzimmer, und das Bad befindet sich genau gegenüber“, erklärte sie.

„Danke.“ Travis ließ sich auf das Bett sinken.

Elena ging hinaus und kehrte in die Küche zurück, nahm Spooky auf die Arme und setzte sich. „Er ist wieder da, Spooky“, flüsterte sie, streichelte das weiche Fell des Hundes und versuchte, ihre Gefühle in den Griff zu bekommen.

Travis war wieder da, und schlagartig war ihr Leben noch schwieriger geworden. Sie hatte ihn einmal geliebt, doch danach hatte er sich von seiner negativen Seite gezeigt – zornig, herrisch, selbstsüchtig und kaltherzig. In Wahrheit hatte sie sich nur in die Fassade verliebt, die Travis ihr vor der Hochzeit gezeigt hatte.

Während sie Spooky streichelte, fühlte sie das Leben, das in ihr heranwuchs, und verspürte tiefes Bedauern. Sie bereute nicht, dass sie das Wunder des Lebens in sich trug, doch sie hätte nie gedacht, ein Kind allein großziehen zu müssen. Und genau das musste sie.

Travis durfte sich bei ihr erholen, doch sobald er das Gedächtnis wiedererlangte, würde sie die Scheidung verlangen.

2. KAPITEL

Er hatte sich stets nach Möglichkeit an die Wahrheit gehalten, und es tat ihm leid, dass er Elena belogen hatte.

Niemand hatte ihn aus einem Wald nach Mustang in Montana gebracht. Er hatte genau einen Tag von seiner Wohnung in Kalifornien bis hierher gebraucht.

Sein Wagen stand jetzt auf der anderen Seite der Stadt auf dem Parkplatz eines Lebensmittelladens, wo das Fahrzeug hoffentlich nicht auffiel. Er selbst wollte nicht lange bleiben. Ein Farmer hatte ihn auf der Ladefläche seines Pick-ups zur Ranch mitgenommen.

Er regulierte die Wassertemperatur der Dusche, entledigte sich der verknitterten Reisekleidung, trat unter die Wasserstrahlen und seufzte wohlig.

Erst an der kleinen Tankstelle außerhalb der Stadt war sein Plan entstanden. Der Tankwart, ein junger Mann, der offenbar gern tratschte, hatte ihn verblüfft betrachtet.

„Sind Sie nicht Travis Richards? Alle dachten, Sie wären tot.“

In diesem Moment war Trent klar geworden, wie leicht er sich für seinen Zwillingsbruder ausgeben und auf diese Weise herausfinden konnte, was aus ihm geworden war.

Elena … Bei dem Namen stellte Trent sich eine exotische Frau mit dunklen Haaren, einer üppigen Figur und verlockenden roten Lippen vor. Das Bild entsprach weitgehend der Wirklichkeit.

Ihr Haar war dunkel, dicht und seidig. Das grüne Band, mit dem es im Nacken zusammengehalten wurde, passte perfekt zu ihren Augen. Die kräftigen Wangenknochen und leicht mandelförmigen Augen verliehen ihrem Gesicht eine exotische Note. Die Lippen waren zwar nicht rot, aber voll und verlockend.

Trent hatte die Gartentür einen Spalt geöffnet und Elena eine Weile beobachtet. Dabei hatte er ihren Zustand nicht erkannt. Es hatte ihn wie ein Schock getroffen, als sie sich umdrehte und er die Schwangerschaft bemerkte.

Trent verdrängte die Gedanken an Elena. Die letzten zwei Monate waren schwer gewesen. Zusätzlich zur Arbeit als Privatdetektiv hatte er auch hilflos mit ansehen müssen, wie seine Mutter starb.

Vor einem halben Jahr hatte er einen Brief von Travis erhalten, in dem dieser prahlte, er hätte eine tolle Stute namens Elena getroffen und geheiratet. Wie immer hatte Travis in großartigen Träumen geschwelgt. Angeblich würde er bald steinreich sein und ein herrliches Leben führen. Dem Brief lag die Police einer Lebensversicherung bei, deren Nutznießerin Elena Richards war.

Trent hielt den Kopf unter die Dusche. Vielleicht sah er klarer, wenn er einige Stunden geschlafen hatte. Erst vor kurzem hatte er erfahren, dass Travis als vermisst galt. Seine Sekretärin hatte ihm die entsprechende Meldung gebracht.

„Sehen Sie mal, Boss, der könnte Ihr Zwillingsbruder sein. Er sieht aus wie Sie und hat sogar denselben Familiennamen“, hatte sie festgestellt.

Trent hatte nur einen Blick auf die Meldung geworfen. „Das ist mein Zwillingsbruder.“

Er stellte die Dusche ab, griff nach einem Handtuch und trocknete sich ab. Elena … Er hatte keine Ahnung, was ihn erwartete.

Sie war schön, doch das war keine Überraschung. Sein Bruder hatte bei Frauen immer einen tollen Geschmack bewiesen. Wie verletzlich sie wirkte, hatte ihn dagegen so verblüfft wie die Schwangerschaft.

Er zog eines der Muskel-Shirts aus dem Schrank im Schlafzimmer an, obwohl er den Schnitt nicht mochte. Die Jeans war im Bund etwas zu weit, doch die Länge passte. Trotzdem kam es ihm so vor, als würde er in das Leben eines anderen Mannes schlüpfen.

Und genau das tat er.

Er legte das Handtuch und die Schmutzwäsche in den dafür vorgesehenen Korb, kehrte ins Gästezimmer zurück und streckte sich auf dem Bett aus.

Die Aufregung der letzten Monate machte sich bemerkbar, doch er konnte nicht gleich einschlafen. Er musste herausfinden, ob Travis wirklich abgestürzt war oder ob etwas anderes passiert war. Sein Zwillingsbruder hatte durch seine Art sicher viele Feinde.

War es möglich, dass Elena und Travis gemeinsam versuchten, die Versicherungsgesellschaft zu betrügen? Eine halbe Million Dollar war eine Menge Geld, und es war sicher teuer, dieses heruntergekommene Haus zu renovieren.

Elena wirkte nicht kriminell, doch Trent wusste als Privatdetektiv, dass schöne Frauen und gut aussehende Männer genauso kriminell waren wie andere Leute auch. Allerdings hatte Elena nichts gesagt, das auf ihre Schuld hindeutete. Aber wieso hätte sie das tun sollen, wenn sie glaubte, dass er unter Amnesie litt?

Eines war klar: Um die Wahrheit herauszufinden, musste er Elena näher kommen. Nur so konnte er alles aufdecken.

Er schloss die Augen und ließ sich treiben.

Trent schlief lange und traumlos. Als er die Augen wieder öffnete, war der Tag fast um. Die Sonne stand schon tief. Im Zimmer war es noch sehr heiß, doch ein sanfter Lufthauch bewegte die Vorhänge.

In seiner schönen Wohnung hätte jetzt die Klimaanlage gearbeitet, und im Kühlschrank hätte Bier auf ihn gewartet.

Er stand auf, wusch sich im Bad und ging zur Küche, aus der es nach Essen duftete.

Trent blieb in der Tür stehen. Elena summte leise, während sie einen prüfenden Blick ins Backrohr warf. Der Pudel stand auf und kam zu ihm.

„Hallo“, sagte er, bückte sich und streichelte den Hund.

Elena drehte sich überrascht um. „Ach, du bist wach. Gut, das Essen ist fertig.“ Sie lächelte ihm verhalten zu. „Ich habe dein Lieblingsessen gemacht. Schweizer Steak.“

Er rang sich ein Lächeln ab, weil er Schweizer Steak hasste. „Großartig.“ Spooky rieb sich an seiner Hand.

„Zuneigung wächst offenbar, wenn man sich eine Zeit lang nicht sieht“, bemerkte Elena erstaunt. „Spooky wollte nie etwas von dir wissen.“ Sie wandte sich wieder dem Herd zu. „Setz dich schon.“

„Kann ich dir helfen?“

Erneut sah sie ihn erstaunt an.

„Lass mich raten“, sagte er trocken. „Ich habe dir noch nie Hilfe angeboten.“

„Nein, allerdings nicht“, entgegnete sie verlegen. „Setz dich. Es dauert nicht lange.“

Trent gehorchte und versuchte, sich seinen Bruder in dieser häuslichen Umgebung vorzustellen. Es gelang ihm nicht. Travis war so häuslich wie die Wildpferde, die einst in dieser Gegend gelebt hatten.

Während Elena das Essen auf den Tisch stellte, beobachtete Trent sie und konnte nicht glauben, dass dieser zierlichen Frau gelungen war, was keine andere geschafft hatte, nämlich Travis zu zähmen.

War es möglich, dass Travis sich aufrichtig verliebt und beabsichtigt hatte, hier mit Elena zu leben? Genauso gut hätte er sich fragen können, ob ein Kojote plötzlich Vegetarier geworden war.

„Wir müssen mit Sheriff Wilder sprechen“, bemerkte Elena, als sie sich an den Tisch setzte. „Er muss erfahren, dass du lebst.“

Trent nickte zögernd. Er hatte noch gar nicht daran gedacht, dass er der Polizei etwas vormachte, wenn er sich als sein Bruder ausgab. Allerdings hatte er keine andere Wahl.

„Ich möchte, dass du mich gleich morgen früh zu dem Berg führst, von dem ich abgestürzt bin“, sagte er.

„Warum?“

Autor

Carla Cassidy
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