So sinnlich kann die Liebe sein

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Eigentlich hatte sich die zierliche Studentin Bel Venables fest vorgenommen, von Jack Drummond Abstand zu halten. Seine ständigen Abenteuer sind ihr nur allzu bekannt, doch als sie auf einem rauschenden Ball in seinen Armen liegt, ist es auch um sie geschehen. Ein Glas Champagner zuviel tut sein Übriges: Beschwingt folgt Bel ihm in sein Hotelzimmer ...


  • Erscheinungstag 05.09.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733719340
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Jetzt dürfen Sie die Braut küssen.“

Die Braut bot ihrem frisch angetrauten Ehemann die bebenden Lippen zum Kuss. Nie zuvor hatte sie hübscher ausgesehen als in diesem Moment, und das wollte etwas heißen. Denn Bels Ansicht nach war ihre Schwester Tallia selbst in den schwierigsten Situationen noch atemberaubend schön.

Über Brads Schulter hinweg konnte sie Jake, den besten Freund ihres Schwagers und Trauzeugen, beobachten. Sein Blick hing förmlich an dem Paar, und nicht zum ersten Mal überlegte Bel, wie weit seine Gefühle für die Frau seines besten Freundes gehen mochten.

Vor einem Jahr hatte sie zum ersten Mal Jakes Namen gehört, und vor zehn Monaten war sie mit dem besten Freund ihres zukünftigen Schwagers ausgegangen. Beim Essen hatte er Bel anvertraut, dass er verzweifelt versucht habe, seinen besten Freund vor dem schlimmen Schicksal zu bewahren, das er auf ihn zukommen sah und für schrecklicher hielt als den Tod – die Ehe. Das hatte er natürlich in scherzhaftem Ton vorgebracht, aber Bel spürte, das mehr dahinter steckte. Er hatte nicht gewollt, dass sein Freund mit ihrer Schwester eine ernsthafte Beziehung einging. Doch sein wahres Motiv hatte sie nicht erkennen können. Auch jetzt überlegte sie, ob er immer noch glaubte, sein Freund begehe einen entsetzlichen Fehler.

Brad ließ sich Zeit mit dem Kuss, und die Gäste begannen sich schon zu amüsieren. Bel musterte Jake Drummond.

Er war dunkelhaarig wie sein Freund und sah fantastisch aus, aber er hatte deutlich verwegenere Züge, wie der Schwung seiner Brauen über den dunklen Augen verriet. Schon an seinem Lächeln, das im Augenblick etwas grimmig wirkte, erkannte man sofort den Herzensbrecher, der er war.

Sein Aussehen sprach für sich. Er war ein typischer Frauenheld – zynisch, was Liebe, Heirat und Treue betraf, alles Werte, die ihr etwas bedeuteten. Das war ihr damals bei ihrem Gespräch während des Essens klar geworden.

Mehr noch, ihr war dabei aufgefallen, welche erschreckende Anziehungskraft jemand wie er haben konnte, und dass sie trotz aller guten Vorsätze nicht gegen seine Ausstrahlung immun war. Falls Jake Drummond versuchen sollte, seinen Charme bei ihr einzusetzen, würde sie ihm kaum widerstehen können.

Besser wäre, sie würde der Versuchung aus dem Weg gehen, damit sie den Schwur, den sie mit siebzehn geleistet hatte, halten konnte. In den vergangenen vier Jahren war es ihr nicht schwergefallen, obwohl ihre Freundinnen eine nach der anderen den Schwur gebrochen hatten. Doch als sie an dem Abend Jake angeschaut hatte, waren bei ihr vollkommen andere Gefühle erwacht als bei irgendeinem anderen Mann zuvor. Plötzlich hatte sie erkannt, was es bedeutete, wenn jemand von weichen Knien sprach.

Ja, sie würde eines Morgens aufwachen und erkennen, dass sie ihre Jungfräulichkeit jemandem geschenkt hatte, der sie als Trophäe betrachtete und lächelnd weiterzog. Nichts als die Erinnerung würde ihr bleiben.

„Nimm dich in acht vor Schürzenjägern, Bel. Sie werden dich verlassen, und du fühlst dich benutzt“, hatte ihre Mutter immer gesagt, und Bel wusste, dass es gut gemeinter Rat war.

Sie seufzte und wandte sich ab, als Brad sich von seiner Braut löste, den Arm um sie legte und sich der wartenden Gemeinde zuwandte.

Jake Drummond blinzelte und riss sich aus seiner Erstarrung. Er war nicht sicher, wie lange er dagestanden hatte, den Blick aufs Brautpaar geheftet. Er konnte einfach nicht begreifen, was hier vor sich ging. Er hatte zugeschaut, wie Brad seine Braut küsste und in die Arme nahm, und obwohl Jake ihm mit einer Reihe anderer Frauen erlebt hatte, konnte er sich nicht erinnern, den Freund jemals so ernsthaft und besitzergreifend gesehen zu haben.

Ihn selbst hätte es jedoch nicht so beeindrucken dürfen, dass er sich fragte, was ihm im Leben fehlte, oder ob er jemals so etwas für eine Frau empfinden würde. Er war sich sicher, dass ihm das nicht passieren konnte. Ihm war die Untreue praktisch mit in die Wiege gelegt worden, wie seine Großmutter ihm immer erzählt hatte. Er war nicht der Typ, der für immer nur mit einer Frau zusammen sein konnte. Ob das überhaupt ein Mann konnte? Jedenfalls war Jake zu ehrlich, sich selbst oder einer Frau in der Hinsicht etwas vorzumachen. Deshalb ließ er jede Bekannte von vornherein wissen, dass feste Beziehungen für ihn nicht infrage kamen.

Er war ein Casanova. Es lag ihm im Blut.

Sein Blick glitt über die Frischvermählten hinweg zu Tallias dunkelhaariger Schwester. Bel sah ebenso hinreißend aus wie ihre Schwester, ja, eigentlich noch schöner, denn er hatte sich nie für blonde Frauen interessiert. Er war Bel ein paarmal bei Brad begegnet, wenn sie beide zum Essen eingeladen gewesen waren. Aber sie hatte sich nicht einmal anschließend von ihm nach Hause bringen lassen.

Es hatte Frauen gegeben, die von einem Abenteuer mit ihm Abstand genommen hatten, sobald er ihnen die Wahrheit über sich erzählt hatte. Was ihn jedoch bei Bel ärgerte war, dass er nicht einmal so weit gekommen war, mit ihr darüber zu sprechen. Sie war bereits vorher auf Abstand gegangen. Offenbar konnte sie ihn nicht ausstehen.

Er selbst jedoch fühlte sich stark zu ihr hingezogen. Und musste die herbe Enttäuschung schlucken, dass er zum ersten Mal einer Frau begegnet war, auf die sein Charme keinen Eindruck machte.

Ach verflixt, die einen kriegt man, die anderen nicht, versuchte Jake sich zu trösten, runzelte jedoch unwillig die Stirn. Er hätte Annabel Venables gern für sich gewonnen. Frauen gingen ihm normalerweise nicht unter die Haut, aber sie hatte das geschafft, gleich nach dem ersten Abendessen. Sie hatte ihn nur einmal mit ihren großen grünen Augen, da hatte er erkannt, dass er mit seinen üblichen Scherzen bei ihr nicht ankommen würde.

Es war nicht so, als hätte sie keinen Sinn für Humor. Wenn etwas wirklich amüsant war, leuchteten ihre Augen auf und sie lachte. Diese Art fand er anziehend an ihr. Doch sie schien kein bisschen an dem anzüglichen Wortgeplänkel interessiert, mit dem er anderen Frauen ein einladendes Lächeln entlockte – und sie schließlich ins Bett bekam.

Das war seine übliche Masche, und wenn die nicht zog, lief nichts.

Nun, die einen kriegt man, die anderen kriegt man nicht.

Im Augenblick sah Bel einfach hinreißend aus. Das Grün ihrer Augen wurde durch ihr schulterfreies grünes Seidenkleid betont. Die goldene Kette, die sie dazu trug, gab ihr so ein zartes Aussehen, dass er einen Stich in den Lenden verspürte und sein Verlangen nicht verleugnen konnte. Ihre Lippen, die sonst meist energisch zusammengepresst waren, umspielte heute ein feines Lächeln. Ihr dichtes braunes Haar zierte ein Blumenkranz, der sowohl zu Tallias großem Bukett als auch zu ihrem eigenen Strauß passte. Die weißen Blüten verliehen ihr eine süße Unschuld, die ihn berührte, wie er es noch nie zuvor erlebt hatte.

Unschuld hatte ihn nie angezogen. Er liebte erfahrene Frauen. Doch so wie Bel aussah, war sie bestimmt keine Jungfrau mehr. Nicht in ihrem Alter. Wie alt war sie? Zweiundzwanzig, hatte Tallia gesagt. Kleinstädte mochten ja verschlafene Nester sein, aber dass die Männer dort weniger Interesse am anderen Geschlecht haben sollten, leuchtete ihm nicht ein. Außerdem ging sie auf die Universität. Zu gern erinnerte Jake sich an seine eigene, wilde Studienzeit. Doch es gab auch Männer, die ein so unschuldiges Aussehen mochten, selbst wenn es nur Fassade war.

Ihn zog es nicht an.

„Das Schlimmste, was ein Mann wie du einer Frau antun kann, ist, ihr die Unschuld zu rauben“, hatte seine Großmutter ihm eingeschärft. „Ich hoffe, das wirst du niemals tun.“

Bel lächelte schwach und musterte Brad und Tallia. Fühlte sie sich etwa von Brad mehr angezogen als es der Fall sein sollte?

Das wäre dann natürlich auch eine Erklärung für ihr Verhalten bei dem gemeinsamen Abendessen und seine verschiedenen Einladungen, die sie abgelehnt hatte. Sie lehnte nicht ihn persönlich ab, sondern wollte keine nähere Beziehung ihm, weil er Brads bester Freund war.

Während Jake und Bel hinter dem jungen Paar den Gang hinunterschritt, schaute Bel auf und begegnete seinem Blick. Einen kurzen Augenblick lang glaubte er, Entsetzen in ihren Augen zu entdecken, aber dann lächelte sie, und er nahm an, dass er sich geirrt hatte. Es war ein kühles, höfliches Lächeln, für den Freund ihres Schwagers bestimmt.

Auf dem Weg nach draußen konnte Jake der Versuchung, einen Arm um ihre Taille zu legen, nicht widerstehen. Wenn er mit ihr in einem Raum war, erging ihm das jedes Mal so. Im allgemeinen entzog sie sich ihm rasch, aber heute konnte sie das nicht. Die Braut war nach alter Sitte von ihrem Vater ihrem zukünftigen Mann zugeführt worden, und wie der Pastor bei den Proben erklärt hatte, nahm der Bräutigam seine frisch angetraute Braut in den linken Arm, um, wie es nach der Tradition notwendig war, den rechten Arm für sein Schwert frei zu haben und sie gegen jede Unbill verteidigen zu können.

Die gute alte Zeit.

So gesehen galt die Brautjungfer als schwache Frau, die den starken Arm eines Mannes spüren wollte, auch wenn sie ansonsten allein zurechtkam.

Er lächelte ihr zu. Bel schaute flüchtig zu ihm auf, wandte jedoch rasch wieder den Blick ab.

„O wie schönh!“, flüsterte in der Bank neben ihm eine Frau mittleren Alters, die einen blauen Hut trug, ihrer Nachbarin zu und sah dabei zu ihm.

Am liebsten hätte er gesagt: Vergessen Sie es, Madam, ich bin kein Heiratskandidat, und selbst wenn ich einer wäre, sie würde mich nicht nehmen. Aber er hielt den Mund und konzentrierte sich ganz auf Bel.

Elektrisierende Hitze übertrug sich von Jake Drummonds Hand auf Bel. Nach dem ersten Schock spürte sie, wie die Hitze sich in ihrem Körper ausbreitete und die Sehnsucht in ihr weckte, sich an ihn zu lehnen. Ihre Brustspitzen richteten sich auf, woran sie nichts zu ändern vermochte. Sie gewann jedoch rasch wieder die Beherrschung über sich und straffte die Schultern. Er spielt nur mit dir, rief sie sich ins Gedächtnis und hielt ihren Blick abgewandt.

Doch sie konnte seine Berührung nicht ignorieren. Ob er das absichtlich tat, da er wusste, was es bei ihr bewirken würde? Schließlich besaß Jake eine Menge Erfahrung, und deshalb konnte es durchaus sein, dass er wahrnahm, wie sehr sie sich körperlich von ihm angezogen fühlte. Ein Mann wie er, der Frauen als Beute betrachtete, trieb vermutlich gern solche Spielchen.

Draußen vor der kleinen Kirche, die von rauen Bergen umgeben war, lachten die Menschen, umarmten sich, machten Bilder und warfen Reis. Der bestellte Fotograf winkte sie herbei, damit sie sich an dem zuvor ausgewählten Punkt aufstellten, und Bel löste sich von Jake, ging zu ihrer Schwester hinüber und umarmte sie.

„Es war herrlich“, flüsterte sie. „Einfach wunderbar!“

Um sie herum erwähnten auch die anderen, was für eine herrliche Trauungszeremonie es gewesen wäre, wie festlich die Blumen in der Kirche ausgesehen hätten und wie schön die Sonne durch die Buntglasfenster hereingeschienen hätte.

Jake schüttelte Brad die Hand, ohne große Worte zu machen. Sein bester Freund war ihm ein wenig fremd und wirkte auch ganz anders, obwohl er schon seit Weihnachten mit Tallia zusammenlebte. Wie konnte es da sein, dass Brad jetzt so strahlte, als wäre das alles völlig neu für ihn? Das war für Jake ein Rätsel.

„Meinen Glückwunsch, Brad“, sagte Jake. „Ich wusste, dass du es schaffst.“

Ehe Brad etwas darauf erwidern konnte, war bereits die Assistentin des Fotografen da und dirigierte sie auf ihre Plätze.

„Achten Sie jetzt bitte nicht auf die anderen Fotoapparate, sondern schauen Sie alle zu Yorgo. Er ist der bestellte Fotograf, und wir wollen, dass alle in die gleiche Richtung schauen“, erklärte sie in bestimmtem Ton.

Sie war jung und sehr selbstbewusst, wenn auch nicht viel größer als einssechzig. Jake bedachte sie mit einem anerkennenden Lächeln. „Als ich im vierten Schuljahr war, sahen Sie größer aus“, stellte er fest.

Sie lachte laut. „Für diese freche Bemerkung dürfen Sie anschließend nachsitzen.“ Sie nickte ihm zu und konzentriere sich wieder auf die Vorbereitungen für die Fotos.

Das war genau die Art von Geplänkel, auf die er früher eingegangen wäre. Doch dass sie ihm zu verstehen gab, dass sie sehr wohl auf sich aufpassen konnte, schreckte ihn jetzt eher ab.

In letzter Zeit passierte ihm das immer öfter, stellte er betroffen fest und beobachtete die Frau aufmerksam. Dabei überlegte er, wann er den Spaß an diesem Spiel verloren haben mochte.

Dann fiel ihm ein, dass er im Herbst für einen Kunden nach Hongkong geflogen war. Hongkong war eine herrliche Stadt, und sein Gastgeber hatte ihn eingeladen, sich das Nachtleben anzusehen. Er jedoch hatte abgelehnt. War das der Anfang gewesen?

Jake rief sich die Abfolge der Ereignisse ins Gedächtnis. Er war aus Hongkong mit einer Grippe zurückgekehrt… und hatte ein paar Anrufe von Frauen bekommen, die sich über sein mangelndes Interesse beschwert hatten und ihm nicht glauben wollten, dass er zu krank war, um sich mit jemandem zu treffen.

Aber es hatte gestimmt. Er hatte absolut kein Interesse an einem Abend, wie seine weiblichen Bekannten ihn gewohnt waren: essen, trinken und Sex, wenn auch nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.

Dann hatte er Bel angerufen. Er glaubte, sie wäre vielleicht auch mit einem ruhigeren Abend zufrieden. Ein nettes Gespräch beim Abendessen, anschließend vielleicht ein Spaziergang am Meer … Aber sie hatte abgelehnt, weil sie zu beschäftigt war.

„Alle hierher schauen, bitte! Und lächeln!“, rief die Assistentin des Fotografen. „Danke!“

Jake hatte Bel sogar ein paarmal angerufen, weil er geglaubt hatte, sie sei verärgert, dass er sich so lange nicht gemeldet hatte. Schließlich hatte sie ihm gesagt, sie müsse für ihr Abschlussexamen lernen und hätte keine Zeit, auszugehen. Danach hatte er es nicht mehr versucht. Das musste im Frühjahr gewesen sein.

Ja, und dann fiel es ihm ein. Es war am siebten Februar gewesen. Er hatte sie nämlich zum Valentinstag ausführen wollen, was ziemlich dumm gewesen war. Denn die meisten Frauen würden das als besonderes Zeichen werten. Glücklicherweise hatte sie gesagt, vor Mai habe sie keine Zeit …

„Ein wenig dichter rücken, bitte, hierher schauen… ja, so… und lächeln…“

Tallia wohnte zu der Zeit schon mit Brad zusammen, und jedes Mal, wenn Jake seinen Freund besuchte, was recht häufig vorkam, ertappte er sich bei dem Gedanken, dass Männer wie Brad, die sich für eine feste Beziehung entschlossen hatten, es besser hatten als er. Nie zuvor wäre er auf einen solchen Gedanken gekommen. Aber wer glaubt schon mit fünfundzwanzig, dass die Dinge sich einmal dermaßen ändern? Wer rechnet damit, dass er sich mit dreiunddreißig plötzlich anders fühlt?

„Könnten wir jetzt vielleicht nur das Brautpaar mit Brautjungfer und Trauzeugen haben? Alle anderen gehen bitte noch nicht weg.“

Wirklich geändert habe ich mich nicht, hatte Jake sich anfangs gesagt. Er redete sich ein, es wäre die Nachwirkung der Grippe, dass er sich öfter ein wenig müde fühlte. Mit der Zeit würde das weggehen und er wäre wieder der Alte.

Doch mittlerweile war es Juni. Schon seit mehr als sieben Monate lebte er praktisch wie ein Mönch. Ausgerechnet er!

„Der Trauzeuge bitte ein wenig näher zum Bräutigam.“

Jake gehorchte kommentarlos. Er wusste genau, sollte er ihrem Blick begegnen, würde sie einladend lächeln. Doch dazu hatte er keine Lust. Unbewusst wandte er sich ab, sah an Brad und Tallia vorbei zu Bel.

„Hierher schauen, bitte!“

Bels wirkte so erfrischend jung und selbstbewusst, dass sie ihm unglaublich attraktiv erschien.

„Der Trauzeuge bitte auch hierher schauen!“

Jake zuckte zusammen und wandte sich um. Dabei fing er den Blick der Frau mit dem blauen Hut auf. Sie lächelte amüsiert, als wüsste sie, was in ihm vorging.

Er wandte sich der Fotografin zu. Es ist nicht so, wie Sie glauben, wollte er der Frau zurufen. Ich habe nicht die Absicht, Bel oder eine andere zu heiraten. Dafür bin ich nämlich nicht geschaffen.

2. KAPITEL

Bel sank auf den Sitz des niedrigen Sportwagens, während Jake ihr die Tür aufhielt.

„Soll ich das Verdeck hochklappen?“, fragte er.

„Das ist nicht nötig. Ich habe mir ein Tuch mitgebracht.“

Sie hatte nicht protestiert, als Tallia vorgeschlagen hatte, sie solle mit Jake zum Empfang fahren. Bel wusste, dass Tallia sich wünschte, sie und Jake würden sich näher kommen. Tallia ahnte nicht, dass Jake Brad vor dem furchtbaren Schicksal, ein Ehemann zu werden, hatte retten wollen. Also konnte Bel sich auch nicht über Tallia beklagen.

Aber es wäre ihr lieber gewesen, sie hätte eine andere Abmachung für sie getroffen. Da sie jedoch nicht die Absicht hatte, den Empfang auch wieder mit Jake zu verlassen, war sie vor der Trauung mit Tallias Wagen zum Hotel gefahren und hatte sich von ihrem Bruder zur Kirche bringen lassen. So konnte sie Tallias Wagen später für die Rückfahrt benutzen.

Beim Einsteigen rutschte ihr der Strauß vom Schoß. Jake bückte sich und hob ihn auf, ehe die Blumen auf dem Boden landeten. Als er da stand und die zarten Blüten in den Händen hielt, begegneten sich ihre Blicke. Die Geste entfachte einen Sturm der Gefühle in ihr. So ähnlich würde er sie halten, wenn sie es zuließe. Es lag ein Versprechen in seinem Blick, und einen Augenblick lang wünschte sie sich, sie könnte ihm vertrauen und sich ihm hingeben.

Dann legte Jake die Blumen in ihren Schoß, richtete sich auf und schloss die Tür. Bel fühlte einen wohligen Schauer über ihren Rücken rieseln und vermochte im ersten Moment nichts zu erkennen. Als ihre Sicht sich klärte, saß Jake neben ihr, und sie blickte auf die Blüten in ihrem Schoß.

Er startete den Motor und wandte sich ihr zu. „Willst du nicht das Tuch umlegen?“

Er war so rücksichtsvoll. Deshalb gelang es ihm auch immer, Frauen zu umgarnen … mit kleinen fürsorglichen Gesten, die eigentlich nichtssagend waren. Sicherlich war es klüger, auf der Hut zu bleiben, als solche Kleinigkeiten überzubewerten.

Wortlos öffnete sie ihre kleine grüne Handtasche und holte das Tuch heraus. Nachdem sie es sich übers Haar gelegt und festgebunden hatte, bog Jake vom Parkplatz der Kirche ab, fuhr auf die schmale Landstraße und folgte der weißen Limousine, in der das Brautpaar saß.

Ein zartes weißes Blütenblatt hatte sich gelöst und lag auf ihrem Knie. Geistesabwesend nahm sie auf und hielt es zwischen Daumen und Zeigefinger hoch in den Wind, der es forttrug.

Vielleicht hätte sie mit ihrer Jungfräulichkeit auch so umgehen sollen – sich einfach von ihren Gefühlen mitreißen lassen. Dann wäre es für sie nicht zu einer so weltbewegenden Frage geworden, ob sie Jakes Drängen nachgeben sollte oder nicht. Sie hätte mit ihm schlafen können, ohne sich Gedanken über die Folgen zu machen.

„Überlegst du gerade, ob du deine Perlen vor die Säue wirfst?“

Sie schnappte entsetzt nach Luft und musterte ihn von der Seite. Er blickte auf die Straße.

„Ich wusste gar nicht, dass das zur Debatte steht.“

„Aber sicher“, widersprach er ihr gelassen und warf ihr einen tiefgründigen Blick zu. „Warum willst du dich nicht mit mir treffen, Annabel?“

„Das ist doch wohl meine Sache, oder?“

„Warum willst du es denn nicht?“

Sie spürte etwas wie Verachtung in seinem Ton, und das ärgerte sie.

„Ich habe kein Interesse daran, mit dir auszugehen.“

„Warum nicht?“

Empört wandte sie sich ihm zu: „Was willst du, eine Liste deiner Unzulänglichkeiten?“

„Ja.“

Sie schüttelte den Kopf, hin- und hergerissen zwischen Enttäuschung und dem Verlangen, ihn zu berühren. Sie konnte sich nicht erinnern, dass ein Mann sie jemals so stark angezogen hatte. Jetzt wünschte sie sich, sie hätte sich Tallia anvertraut. Dann wäre ihr diese kleine Fahrt erspart geblieben. Aber Tallia war so glücklich und glaubte an die Macht der Liebe, sie hätte sicher versucht, ihr einzureden, Jake werde sich bestimmt ändern, wenn er sie erst einmal näher kennengelernt hatte.

Körperliche Anziehungskraft konnte ein sehr starker Magnet sein. Das erkannte Bel jetzt zu ihrem Erstaunen. Sie bemühte sich, dieser Kraft zu widerstehen. Doch natürlich konnte sie nicht die ganze Zeit schweigen.

„Deine Unzulänglichkeiten wirst du sicher kennen. Die brauche ich dir nicht erst aufzeigen“, erklärte sie und hatte das Gefühl, etwas verloren zu haben.

„Nenn sie mir doch. Vor allem die Punkte, die dich am meisten stören“, erwiderte er mit verführerisch weicher Stimme.

„Jake, was willst du wirklich?“, forschte sie.

Er warf ihr einen kurzen Blick zu. Länger als eine Sekunde konnte er sich nicht von der kurvenreichen Bergstraße abwenden.

„Ich möchte mich mit dir treffen.“ Das schiebt er nur vor, weil er nicht offen heraus sagen kann, dass er mit mir schlafen will, dachte Bel. „Du willst das nicht. Deshalb wüsste ich gern, warum nicht.“

Zorn benebelte ihren klaren Verstand. Unwillkürlich brauste sie auf: „Ich habe den Eindruck, dass für dich treffen und mit einer Frau schlafen die gleiche Bedeutung hat.“

Er legte einen anderen Gang ein. Seine Bewegung zeugte von kontrollierter Kraft. Oder lag das an ihrer unterdrückten Sexualität? Jakes körperliche Nähe wurde ihr überdeutlich bewusst. Ein elektrisierender Schauer überlief sie.

„Und für dich ist das nicht so.“

„Nein, für mich besteht ein gewisser Unterschied zwischen diesen beiden Dingen“, erklärte sie in bestimmtem Ton.

Er nickte mehrmals und manövrierte den Wagen geschickt durch verschiedene Haarnadelkurven. Sie kamen höher und höher und hatten plötzlich eine herrliche Aussicht auf die Kirche unten im Tal, die von Bäumen umstanden war. Daneben erstreckten sich die Felder und Obstwiesen kleiner Farmen. Zwischen den Bäumen oberhalb von ihnen schimmerte die weiße Brautlimousine hindurch.

„Hast du denn eine Menge Erfahrung in der Hinsicht, Bel?“, fragte er in dem gleichen ruhigen Ton wie zuvor.

Also hatte er es nicht erraten. Ob er wohl schockiert wäre, wenn sie es ihm gestände? „Nicht besonders viel.“

„Das dachte ich mir. Denn sonst hättest du bemerkt, dass zwischen diesen beiden Dingen für uns kein Unterschied besteht. Nicht etwa weil ich das denke, sondern weil einer von uns wie Kerosin ist und der andere wie Feuer.“

Der tiefe, eindringliche Ton, in dem er das sagte, erschreckte sie und erfüllte sie zugleich mit einer freudigen Erwartung. Bel musste einen Augenblick lang ihre Augen schließen. Glaubte er das wirklich, was er da sagte? Waren seine Gefühle für sie so stark? Oder wollte er … Ja, natürlich, so redete er mit jeder Frau, auf die er ein Auge geworfen hatte. So gelang es ihm, sie zu verführen.

Nach diesem ernüchternden Gedanken fand sie ihre Beherrschung wieder. „Sicherlich hat es in deinem bewegten Leben schon viele explosive Momente gegeben, Jake.“

Er wollte ihr widersprechen und ihr sagen, so wäre es noch nie bei ihm gewesen. Aber das würde sich anhören wie ein Versprechen. Er wollte nichts versprechen, was er niemals halten würde. Bisher hatte er keine Frau mit Schwüren in sein Bett gelotst. Niemals hatte er eine belogen, nur um mit ihr schlafen zu können.

Das hatte er nie nötig gehabt. Es gab nicht so viele Frauen, der man erst ewige Liebe schwören musste, bevor sie ihm in die Arme sanken. Die meisten suchten, ob sie das nun aussprachen oder nicht, eine gewisse sexuelle Raffinesse und ihr Vergnügen. Beides konnte er bedenkenlos geben.

„Du bist doch sicher auch schon einigen Feuer begegnet, oder? Wie alt bist du – zweiundzwanzig?“, fragte er.

Seine Hartnäckigkeit machte sie nervös. Bis jetzt hatte sie nicht gewusst, dass Jake hinter ihr her war. Sie hatte angenommen, dass er sie nur angerufen hätte, weil er sein Telefonbuch systematisch durchgeblättert hätte. Mehr als einmal war ihr der Gedanke gekommen, er ahne, dass sie sich bemühte, sich seiner starken Anziehungskraft zu entziehen, und wolle sie nur reizen.

Wenn ein so erfahrener und attraktiver Mann wie Jake es sich tatsächlich in den Kopf setzte, sie zu erobern, wie sollte sie ihm dann widerstehen?

„Verzeih mir, wenn ich auf deine sehr private Frage nicht sofort reagiere.“

Er hätte wissen müssen, dass Bel anders war. Sie kam ihm sehr klug, sehr modern vor und er hatte gehört, dass die klugen modernen Frauen sich alles genauer besahen, ehe sie sich auf etwas einließen. Mit der Altersgruppe, zu der sie gehörte, hatte er bislang keine Kontakte gehabt.

„Stört es dich, dass ich weiß, wie alt du bist?“

„Mich stört nur, wenn mir jemand sagt, ich sei nicht alt genug, um die Entscheidungen zu verstehen, die ich treffe.“

Er verzog das Gesicht. „Was erwartest du denn, Bel? Dass dir ein Mann lebenslange Liebe und Treue schwört? Das ist heute eine Seltenheit.“

Er verstand nicht mehr, wie er in diese Unterhaltung hineingeraten war. Jedenfalls hatte er sie nicht provozieren wollen.

„Ich suche jemanden, der das zumindest nicht ausschließt“, erwiderte sie, gelassen und unbeeindruckt von seinem leisen Spott. Das gefiel ihm. „Und du gehörst nicht dazu, nicht wahr?“

In dem Moment wurde ihm klar, dass er sich noch nie um eine Frau bemüht hatte, die ihn nicht wollte. Er hatte sozusagen immer nur das gewollt, was gerade im Angebot an. Bei Bel war das anders. „Heiraten ist nichts für mich, wenn du das wissen willst. Trotzdem können wir viel etwas Wunderbares miteinander erleben“, entgegnete er mit viel sagenden Lächeln.

Autor

Alexandra Sellers

Alexandra Sellers hat schon an vielen verschiedenen Orten gelebt – wie viele genau, kann sie selbst nicht mehr sagen. Schon als kleines Mädchen träumte sie von fernen Ländern, inspiriert von den Märchen aus 1001 Nacht. Und irgendwann sah sie sich selbst an diesen geheimnisvollen Orten als Schriftstellerin. Prompt wurde die...

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