Spanische Nächte

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Durch die traumhafte Landschaft Nordspaniens führt Isabella ihre Pilgerreise auf dem Jakobsweg - direkt in Leandros Arme. Der Regisseur mit den silbergrauen Augen ist ein Traummann: Und statt des geplanten Interviews schenkt er ihr eine unvergessliche Nacht - die nicht ohne Folgen bleibt ...


  • Erscheinungstag 23.07.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751515245
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Die glühenden Strahlen der Mittagssonne brannten unerbittlich auf Isabellas Hinterkopf und rissen sie damit endlich aus ihrem Schockzustand. Langsam erhob sie sich von dem Sofa, ging in Richtung der raumhohen Fenster und ließ die modischen Bambusrollos an dem Fenster hinter sich herunter. Der wohltuende Schatten, den die Jalousien augenblicklich spendeten, tat gut. Mit aller Macht war der britische Sommer in diesem Jahr ausgebrochen und das Straßenpflaster heiß genug, um darauf zu grillen. Doch sogar als Isabella jetzt barfuß über den kühlen Laminatboden zum Sofa zurückging, konnte sie nur an eins denken: Sie war schwanger. Neben der Müdigkeit und Übelkeit, die sie seit einer guten Woche quälten, hatte das Ergebnis des Schwangerschaftstests ihr den letzten und endgültigen Beweis dafür geliefert.

Isabella schüttelte ungläubig den Kopf. Alles hatte sie von dieser Reise erwartet – bloß dieses Szenario nicht. Mit einem Mal stand ihre gesamte Welt Kopf!

Fast im gleichen Moment wurde sie von einer Welle der Übelkeit ergriffen, die alles noch schlimmer machte. Hastig flüchtete sie ins Badezimmer. Zehn Minuten später stand eine beruhigende Tasse Kamillentee neben ihr, ein kühler, feuchter Waschlappen lag erfrischend in ihrem Nacken, und mit einem Mal konnte Isabella die Situation mit einer Ruhe abwägen, die sie selbst überraschte. Ihr leidenschaftliches Zwischenspiel mit einem attraktiven und berühmten Spanier hatte dazu geführt, dass sie sein Kind erwartete. Na und? Sie war problemlos in der Lage, mit den veränderten Umständen selbst fertig zu werden. Für Ängste oder Zweifel blieb jetzt keine Zeit.

Just in diesem Augenblick wurde sie von einer Sehnsucht erfüllt – nach dem Mann, von dem sie sich hatte verabschieden müssen, der ihre Reise unterbrochen und einen so tiefen und starken Eindruck auf sie gemacht hatte –, und sie ahnte, dass dieses Sehnen sie wohl ihr ganzes weiteres Leben begleiten würde.

1. KAPITEL

Mai 2004 – Hafen von Vigo, Nordspanien

„Nein! Es ist mir egal, ob du jemals wieder mit mir sprichst, Emilia, aber ich werde nicht die Recherchen für mein eigenes Buch abbrechen, um irgendeinen egozentrischen Filmregisseur zu verfolgen, von dem du nicht einmal weißt, dass er dort ist, wo du ihn vermutest. Und der mir höchstwahrscheinlich ein spontanes Interview verweigern wird.“

Isabella klopfte ungeduldig mit den Fingernägeln auf die Theke der Hotelrezeption, an der sie den Anruf ihrer Schwester entgegengenommen hatte. Sie spürte, wie ihr ein kleines Rinnsal aus Schweiß den Rücken hinunterlief. Trotz des Regens war es unglaublich heiß und schwül, und im Moment hätte sie alles für eine kühlende Dusche und ein erfrischendes Getränk gegeben. Sie war den ganzen Tag unterwegs gewesen und hatte Pilger auf dem berühmten Jakobsweg interviewt. Rücken und Füße taten ihr weh, doch die Kameradschaft und der Enthusiasmus der Gläubigen gaben ihr Auftrieb. Nach einer kurzen Erholungspause würde sie wieder an ihrem Buch weiterarbeiten. Auf keinen Fall hatte sie die Absicht, sich auf ein so fruchtloses Unterfangen einzulassen, wie ihre Schwester es ihr vorschlug. Warum sollte sie einem Mann hinterherjagen, der offensichtlich großen Wert darauf legte, seine Privatsphäre zu wahren? Und das nur, weil die impulsive und krankhaft ehrgeizige Emilia eine Chance witterte, für ihr Magazin ein Exklusivinterview an Land zu ziehen.

„Bitte, Isabella … das kannst du mir nicht abschlagen! Du bist direkt im Hafen von Vigo, in derselben Stadt, in der auch Leandro Reyes sich nur einen einzigen Tag lang aufhält, um einen Vortrag zu halten. Bitte tu mir den Gefallen! Womit kann ich dich überzeugen? Hör mal, ich zahle dir jeden Betrag … nenn mir einfach deinen Preis.“

„Um Himmels willen, Emilia! Ich will kein Geld! Alles, was ich will, ist, in Ruhe gelassen zu werden, um mich auf mein eigenes Projekt konzentrieren zu können!“

Die Verzweiflung ihrer Schwester erschien ihr lächerlich, doch Emilia war es eben nicht gewöhnt, dass man ihr etwas abschlug. Sie war das Nesthäkchen der Familie, drei Jahre jünger als Isabella und aus der Ehe ihrer Mutter mit dem liebenswerten Amerikaner Hal Deluce hervorgegangen. Den hatte ihre Mutter ein Jahr nach dem Tod von Isabellas Vater auf einer Kreuzfahrt in der Karibik kennengelernt. Emilias Geburt erschien der Mutter als ein wunderbares Omen für den Beginn besserer Zeiten, und das Mädchen konnte seitdem einfach nichts verkehrt machen. Auf Isabellas Schultern hatten dagegen immer übertrieben hohe Erwartungen gelastet, schon allein deshalb, weil sie die Ältere war. Erwartungen, die sie immer wieder enttäuscht hatte. Dazu gehörte unter anderem eine teure Hochzeitsfeier, die von ihren Eltern organisiert und finanziert worden war. Doch in letzter Minute hatte Isabella kalte Füße bekommen und die Hochzeit abgeblasen.

Im Gegensatz dazu würden die Wörter „Fehlschlag“ und „Emilia“ ihren Eltern nie in einem Zusammenhang über die Lippen kommen. Denn außer als Journalistin bei einem Frauenmagazin der Spitzenklasse Karriere zu machen, hatte sie einen gut aussehenden jungen Börsenmakler aus bester Familie geheiratet. Und um ihren Ruf als „Miss Fehlerlos“ noch weiter zu untermauern, lebte sie seit Kurzem in einem prächtigen Haus in Chelsea und wohnte nun Seite an Seite mit den Reichen und Schönen, über die sie auch in ihrem Magazin berichtete. In den Augen ihrer Mutter war ihre Jüngste „angekommen“, während Isabella noch immer „unterwegs“ war.

Daher waren Emilias Ansprüche an die Großmut derjenigen, die sie liebten, häufig völlig übertrieben. Wie jetzt. Sie wusste, dass Isabella in Nordspanien war, um für ihr Buch zu recherchieren und sich der Herausforderung einer Pilgerwanderung zu stellen, bei der sie täglich zwischen zwanzig und dreißig Kilometer zu Fuß zurücklegte. Sie war nicht zum Urlaub hier, sondern verfolgte ein seriöses Ziel … während sie lief, arbeitete sie gleichzeitig auch.

Was nicht hieß, dass Isabella nicht jede Minute genoss. Ihre Recherche über den Jakobsweg und die Gründe, die die Menschen dazu veranlassten, diese fünfwöchige Pilgerreise anzutreten und tatsächlich selbst mitzulaufen, begeisterten sie. Deshalb wollte sie sich auch nicht davon ablenken lassen.

„Aber verstehst du das denn nicht, Em? Ich arbeite hier! Dafür habe ich mir in der Bibliothek drei Monate unbezahlten Urlaub genommen, von dem ich keine Sekunde verschwenden möchte. Ich bin den ganzen Tag gewandert, es ist heiß, ich bin müde, habe Riesenblasen an den Füßen und muss mich etwas ausruhen, bevor ich heute Abend weiterschreibe. Du bist doch pfiffig: Wenn du herausbekommen hast, dass Leandro Reyes heute in Vigo ist, bin ich sicher, dass du auch herausfinden kannst, wo er morgen sein wird. Es tut mir leid, aber ich kann dir nicht helfen – wirklich nicht!“

Am anderen Ende der Leitung war ein frustriertes Seufzen zu vernehmen, das Bände sprach. Wenn du das nicht für mich tust, schien es zu sagen, lässt du die Familie wieder einmal im Stich. Ich dachte, du bist meine Schwester? Ich dachte, dir liegt etwas an mir? Nun sehe ich, dass es nicht so ist.

Sofort verspürte Isabella Schuldgefühle und musste sich auf die Lippe beißen, um ihren letzten Satz nicht wieder zurückzunehmen. Unruhig sah sie auf ihre Armbanduhr und ließ ihren Blick dann sehnsüchtig zu der kleinen Treppe wandern, die zu ihrem einfachen und ruhigen Zimmer hinaufführte. Aufgrund von Emilias überraschendem Anruf war sie noch nicht einmal dazu gekommen, ihren Rucksack auszupacken. Vor der Reise hatte sie ihrer Mutter die Telefonnummern der preiswerten Hotels gegeben, in denen sie an den Tagen absteigen wollte, an denen sie nicht in Pilgerherbergen übernachtete. Nach diesem Anruf ihrer Schwester bedauerte sie das zutiefst.

„Ich würde alles geben, um an Informationen über Leandro Reyes zu kommen, Isabella! Als Mum erwähnte, dass du heute in Vigo ankommst, war ich ganz aus dem Häuschen! Ich habe erst gestern Abend erfahren, dass er dort sein wird. Leider verbietet es mein Terminkalender, selbst hinzufliegen. Sonst hätte ich natürlich persönlich versucht, ein Interview von ihm zu bekommen. Es würde mir so viel bedeuten, Schwesterchen … für meine Karriere. Leandro Reyes ist ein Genie unter den Experimentalfilmern. Die meisten Feuilletonschreiber würden ihre Seele verkaufen, um ein Interview mit ihm zu bekommen. Versuch bitte, ihn zu treffen – bitte! Auch wenn es nur ein ganz kurzes Interview wird. Zumindest würdest du einen Eindruck von dem Mann bekommen, und ich hätte eine Grundlage, die ich noch ausschmücken könnte.“

Isabella wurde es flau im Magen. Emilias Edelmagazin der gehobenen Preisklasse galt als seriös, aber auch dort fand man es nicht unter der Würde, die schmutzigen kleinen Geheimnisse der Stars und Prominenten auszuplaudern, wenn sich die Gelegenheit dazu ergab. Isabella missbilligte diese Art von Sensationsjournalismus. Jeder hatte ein Recht auf seine Privatsphäre … sogar hochgelobte und gefragte Filmregisseure. Besonders solche wie Leandro Reyes, der für seine außerordentliche Öffentlichkeitsscheu bekannt war. Bei dem Gedanken daran, mit einem solchen Mann ein Gespräch führen zu müssen, war ihr gar nicht wohl. „Emilia, ich muss jetzt auflegen. Ich brauche eine Dusche und etwas zu trinken und dann …“

„Ich flehe dich an, Isabella! Leandro wird im Paradiso sein, einem eher verschwiegenen Lokal. Bei einer Filmpremiere habe ich gestern zufällig ein Gespräch belauscht, bei dem erwähnt wurde, dass er heute an einer Hochschule in Vigo einen Vortrag hält und sich hinterher mit einem Kollegen auf einen Drink treffen will. Um sieben Uhr. Ruf mich zu Hause an, nachdem du mit ihm gesprochen hast. Ich warte auf deinen Anruf. Danke, Schwesterchen … du bist ein Engel! Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann!“

„Und woran kann ich ihn erkennen? Ich weiß ja nicht einmal, wie er aussieht!“

„Er ist eins fünfundachtzig groß, durchtrainiert, hat dunkle Haare, schiefergraue Augen und ist der gefragteste Junggeselle der Filmindustrie. Glaub mir – es ist unmöglich, ihn zu übersehen!“

Bevor Isabella etwas darauf erwidern konnte, wurde am anderen Ende der Leitung aufgelegt.

Als Leandro Reyes sich in der fast leeren Bar umsah, spürte er ein nervöses Kribbeln in seinem Nacken. Alphonso hätte schon vor einer halben Stunde hier sein sollen. Sein Freund – auch Regisseur – hatte ihn dringend sprechen und ihn bezüglich eines Projekts um Rat fragen wollen. Nachdem er herausgefunden hatte, dass Leandro in der Gegend sein würde und anschließend in sein Haus in Pontevedra fahren wollte, hatte er das Paradiso als einen auf der Strecke liegenden Treffpunkt vorgeschlagen. Es war ein ruhiges, abgelegenes Lokal, wo niemand sie belästigen würde. Der Besitzer hatte auch versprochen, dass er ihnen etwas zu essen zaubern konnte, wenn sie hungrig wären. Beim bloßen Gedanken an Essen fing Leandros leerer Magen an zu knurren. Während er auf seinen Freund wartete, konnte er die Zeit nutzen und sich eine Kleinigkeit bestellen. Als ob er Gedanken lesen konnte, erschien ein Kellner an Leandros Tisch, und er bestellte sich eine Portion Meeresfrüchte – die natürliche Wahl in einer Hafenstadt.

, Señor Reyes, mit Vergnügen.“

„Gracias.“

Leandro sah sich wieder um. Durch die großen Bogenfenster warf er einen Blick auf den gepflegten kleinen Innenhof mit seinen zahlreichen Topfpflanzen und bemerkte im Zwielicht eine Frau, die sich zögernd dem Eingang näherte. Sie wirkte verunsichert, und abgesehen von der Tatsache, dass sie schön genug war, um seine volle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, spekulierte Leandro, was sie wohl in diese kleine Bar verschlagen hatte.

Als sie durch die offen stehende Tür eintrat, stellte er fest, dass sie aus der Nähe noch erheblich attraktiver und verführerischer wirkte. Soweit er sehen konnte, hatten ihre Augen die Farbe von starkem Kaffee, wozu ihre schwarzen, zu einem Pferdeschwanz gebundenen Haare wunderbar passten. Im Kontrast dazu war ihr Teint erstaunlich hell. Irgendetwas sagte ihm, dass sie keine Spanierin war. Vielleicht eine Touristin? Ähnlich wie Leandro selbst trug sie ausgeblichene Jeans und ein leger sitzendes weißes Hemd und brachte eine frische Brise in die kleine überhitzte Bar. Sie wartete darauf, platziert zu werden, und runzelte die Stirn, als sich niemand um sie kümmerte. Während sie sich in der Bar umsah, fiel ihr furchtsam wirkender Blick auf Leandro und blieb bei ihm hängen. Dieser suchende Blick entfachte in seinem Innern ein ungeahntes Verlangen.

Alphonso hatte sich entweder verspätet oder würde gar nicht mehr auftauchen, deshalb könnte es nichts schaden, diese Schönheit mit den rabenschwarzen Haaren und den großen dunklen Augen zu einer kleinen Unterhaltung zu verleiten, die ihm helfen würde, sich die Zeit zu vertreiben.

„Der Besitzer der Bar hat gerade zu tun“, erklärte er auf Spanisch. An ihrer gerunzelten Stirn erkannte er, dass sie ihn nicht verstanden hatte. „Sind Sie hier mit jemandem verabredet?“, wechselte er mühelos ins Englische.

„Nein … also, ich meine … vielleicht.“

Zwei feuerrote Flecken auf ihren Wangen gaben ihrer hellhäutigen Schönheit etwas Farbe. Sie war also eine Touristin … eine Engländerin, dem Akzent ihrer sympathischen, leisen Stimme nach zu urteilen. Leandro war fasziniert von ihr.

„Sie sind sich nicht sicher, ob Sie mit jemandem verabredet sind?“, neckte er sie.

„Nicht direkt … ich meine … kann ich mit Ihnen sprechen?“ Die fesselnde junge Frau hatte ihre Stimme gesenkt und trat näher zu ihm. Ein verführerischer Duft von Jasmin umgab sie. Es gibt ganz andere Dinge, die ich gern mit dir tun würde, mi ángel, dachte Leandro bei sich. All seine Sinne sprachen auf diese außerordentlich schöne Frau an.

„Ich … also, das ist mir sehr peinlich, und normalerweise tue ich so etwas nicht, aber … sind Sie Leandro Reyes?“

Sie war also absolut keine „unschuldige“ Touristin! Seine Enttäuschung war groß. Entweder war sie eine unbekannte Schauspielerin, die auf eine Filmrolle spekulierte, oder aber eine Reporterin. Sein Bauchgefühl sagte ihm, dass die zweite Variante vermutlich die richtige war. Wie schade! Wenn er nicht eine so abgrundtiefe Abneigung gegen Journalisten hätte, hätte er nichts dagegen gehabt, die ganze Nacht mit dieser bildhübschen jungen Frau zu verbringen. Doch jetzt wirkte ihre Anwesenheit auf ihn nur wie ein unverschämtes Eindringen in seine Privatsphäre. Wie, in aller Welt, hatte sie ihn hierher verfolgt? Sie war nicht unter den Studenten gewesen, vor denen er seinen Vortrag gehalten hatte. Woher wusste sie, dass er hier war?

„Das geht Sie nichts an“, erwiderte er kühl, und seine silbergrauen Augen verschleierten sich.

In diesem Moment hätte Isabella ihre Schwester erwürgen können. Wozu hatte sie sich da von Emilia überreden lassen? Sie war kein Mensch, der in die Privatsphäre anderer Leute eindrang. Selbst wenn sie einen Prominenten in der Öffentlichkeit träfe, würde sie ihn ganz sicher nicht belästigen! Nun sah dieser angesehene Filmregisseur Leandro Reyes, der dafür bekannt war, sein Privatleben vor der Öffentlichkeit mit allen Mitteln zu schützen, sie an, als wäre sie eine lästige Fliege, die er zerquetschen wollte!

„Es tut mir leid, wenn ich Sie belästigt habe …“ Ohne es zu merken, fuhr Isabella mit der Zunge über ihre Oberlippe, die vor Nervosität zitterte. „Ich wollte Ihnen wirklich nicht zu nahe treten. Ich habe wider besseres Wissen gehandelt und hätte wirklich nicht zu Ihnen hinüberkommen sollen. Bitte verzeihen Sie mir.“ Mit der Absicht, so schnell wie möglich zu verschwinden und dieses peinliche Erlebnis aus ihrem Gedächtnis zu verbannen, drehte sie sich um. Später am Telefon würde sie Emilia gehörig die Meinung sagen! Sie musste verrückt gewesen sein, zu glauben, dass sie ein Interview von diesem Mann bekommen würde. Den abfälligen Blick, mit dem er sie gemustert hatte, hatte sie nur allzu deutlich gesehen.

„Warten Sie einen Moment.“

Seine Stimme, die kehlig und zugleich verführerisch klang, ließ Isabella innehalten. „Für welche Zeitschrift arbeiten Sie?“

„Für keine.“

Isabella drehte sich langsam wieder um und schob ein paar der Haarsträhnen, die sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst hatten, hinter ihr Ohr. Die kühlen grauen Augen von Leandro Reyes musterten sie voller Misstrauen. Überall wäre sie lieber gewesen, als diesem prüfenden Blick standhalten zu müssen.

„Was wollen Sie damit sagen?“

„Ich will damit sagen, dass ich selbst keine Journalistin bin. Ich bin in Spanien, um für ein Buch zu recherchieren. Und ich habe Sie nur aufgesucht, weil meine Schwester, die für eine Frauenzeitschrift in England arbeitet, mich angerufen hat, als sie erfuhr, dass ich zum gleichen Zeitpunkt wie Sie in Vigo sein würde, Señor Reyes.“

„Also will eigentlich Ihre Schwester ein Interview von mir?“

„Das ist richtig. Noch einmal, ich kann mich nur entschuldigen dafür, dass ich so …“

„Woher wusste Ihre Schwester, dass ich heute hier sein würde?“

Sie konnte ihm doch nicht sagen, dass Emilia ein Privatgespräch belauscht hatte! Wie würden sie und ihre Schwester dann in seinen Augen dastehen? Isabellas Wunsch, aus dem Blickfeld dieses verstörenden Mannes zu entkommen, verstärkte sich. Sie sollte jetzt eigentlich in ihrem kleinen Hotelzimmer sitzen und Notizen über ihre Gespräche mit den Pilgern niederschreiben – und nicht die unbedarfte Spionin für Emilia spielen!

„Es tut mir leid, aber da müssen Sie meine Schwester fragen. Nehmen Sie bitte meine Entschuldigung an, Señor Reyes. Ich habe meiner Schwester gesagt, dass ich das Ganze für eine schlechte Idee halte, aber sie kann leider sehr überzeugend sein.“ Sie verzog verschämt das Gesicht und wandte sich wieder zum Gehen. Doch Leandro hielt sie noch einmal zurück.

„Sie sind also Schriftstellerin? Haben Sie schon etwas veröffentlicht?“

„Nein … noch nicht. Momentan arbeite ich noch als Bibliothekarin, aber ich hoffe, irgendwann als Autorin arbeiten zu können.“

„Und das Buch, an dem Sie schreiben? Ist es ein Roman?“

Einen kurzen Moment lang war Isabella von dem intensiven Blick dieses Mannes wie hypnotisiert, und es fiel ihr nicht leicht, einen klaren Gedanken zu fassen.

„Nein, es ist ein Sachbuch. Ich schreibe über die Pilger auf dem Jakobsweg. Mein Großvater war Spanier und hat mir so viele Geschichten darüber erzählt, dass es schon immer mein Wunsch war, herzukommen und alles selbst zu erleben.“

Leandros Zorn verrauchte, während er die junge Frau überrascht betrachtete. Der Jakobsweg hatte für ihn und seine Familie eine große Bedeutung – wie eigentlich für alle Bewohner von Spaniens Norden. Viele waren ihn entlanggewandert und hatten seine Segnungen empfangen, über die sie bis heute dankbar sprachen. Vielleicht war diese junge Frau mit den seelenvollen dunklen Augen und der zarten Haut nicht aus demselben Holz geschnitzt wie die skrupellosen Reporter, die ihm so auf die Nerven gingen. Es wäre doch möglich, dass man ihr vertrauen konnte? Leandro wollte das gerne glauben, auch wenn er von Natur aus misstrauisch war. Er beschloss, ihr eine Chance zu geben. Er würde früh genug herausfinden, ob das ein Fehler war oder nicht.

„Sie wandern den Jakobsweg selbst entlang?“, fragte er interessiert.

„Ja, aber ich mache immer wieder ein, zwei Tage Station, um mit anderen Pilgern zu sprechen und etwas zu schreiben. Bis jetzt habe ich schon einige sehr interessante und mitreißende Geschichten gehört, wunderbares Material, um damit zu arbeiten. Wie dem auch sei, ich sollte jetzt gehen und Sie in Ruhe lassen. Ich habe viele Notizen zu verarbeiten und will vorankommen. Ich bin sehr erfreut, Sie kennengelernt zu haben, Señor Reyes.“

„Wenn dem so ist, sollten Sie nicht so eilig darauf bedacht sein, wieder zu verschwinden, nicht wahr?“ Mit dem Fuß stieß er einen Stuhl an seinem Tisch für Isabella zur Seite. Ihre Wangen röteten sich, und Leandro lächelte sie mit der Zuversicht eines Mannes an, der wusste, dass sie seine Einladung nicht ausschlagen würde. Doch innerlich war Isabella zerrissen. Sie wollte eigentlich nichts anderes, als in ihr Hotelzimmer zurückzukehren und weiterzuarbeiten. Außerdem hatte sie am nächsten Tag eine lange Wegstrecke vor sich, und es wäre sicher klüger, sich dafür etwas auszuruhen.

„Es … es tut mir leid, aber ich muss weg.“

Emilia würde sie zwar dafür, die Gelegenheit nicht genutzt zu haben, mit dem verschlossenen Regisseur zu plaudern, umbringen wollen, aber das war eben Pech. Sie würde sich diesem Mann keine Sekunde länger als nötig aufdrängen.

„Wie heißen Sie?“, fragte Leandro, der ihr Zögern bemerkt hatte.

Autor

Maggie Cox
<p>Schreiben und Lesen gingen bei Maggie Cox schon immer Hand in Hand. Als Kind waren ihre liebsten Beschäftigungen Tagträumen und das Erfinden von Geschichten. Auch als Maggie erwachsen wurde, zu arbeiten begann, heiratete und eine Familie gründete blieben ihre erfundenen Heldinnen und Helden ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Was immer...
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