Süße Rache unter Palmen

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Eine Insel, grün wie ein Smaragd, das Meer, blau wie ein Saphir, und ein Hotel, exquisit wie ein seltener Diamant. Für Rico King ist dieser Ort sein Paradies! Bis Teresa plötzlich vor ihm steht - die Frau, die ihn vor fünf Jahren verraten hat …


  • Erscheinungstag 30.05.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733717049
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Ein Juwelendieb?“ Rico King starrte seinen Sicherheitschef ungläubig an. „Hier im Hotel?“

Franklin Hicks starrte finster zurück. Mit seinen eins fünfundneunzig, den stechenden blauen Augen und dem kahl rasierten Schädel war der Enddreißiger definitiv eine eindrucksvolle Erscheinung. „Das ist die einzige Erklärung. Serenity James aus Bungalow sechs vermisst ein kostbares Schmuckstück. Ich habe mir bereits das Zimmermädchen und den Room Service vorgeknöpft.“

Bungalow sechs. Rico hätte die Zimmerübersicht am Computer aufrufen können, aber das war gar nicht nötig. Er kannte jeden Quadratzentimeter seines Hotels. Die Bungalows lagen ein Stück abseits vom Hauptgebäude, um die Privatsphäre der Gäste zu wahren. Viele seiner Kunden wussten diese Abgeschiedenheit zu schätzen. Kunden, die das wilde Leben liebten – so wie Serenity James, Hollywoods heißeste Nachwuchshoffnung.

Die Schauspielerin behauptete zwar, sie wolle aufdringlichen Fotografen und neugierigen Fans entkommen, doch laut Sicherheitsdienst herrschte in ihrem Bungalow ein reges Kommen und Gehen. Offenbar drückten die Männer einander die Klinke in die Hand, und jeder von ihnen hätte sich mit dem Schmuck davonmachen können. Zumindest hoffte Rico, dass die Lösung so einfach wäre.

„Und was ist mit Ms James‘ ‚Besuchern‘? Haben Sie die auch schon befragt?“

Frank schnaubte geringschätzig. „Wir sind noch dabei, sie zu grillen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es einer von denen war, Chef. Denn dann hätte dieser ‚Besucher‘ doch sicher mehr mitgehen lassen als nur eine Kette. Nein, wer immer da zugegriffen hat, war sehr wählerisch. Er hat sich genau das Teil ausgesucht, aus dem sich die Steine am leichtesten herauslösen und dann einzeln verticken lassen. Für mich riecht das nach einer professionellen Vorgehensweise. Außerdem hatten wir in den letzten Tagen zwei weitere Diebstahlsmeldungen. Das muss ein Profi sein.“

„Das hat uns gerade noch gefehlt“, murmelte Rico beklommen.

Das „Castello Tesoro“ hatte erst vor gut sechs Monaten eröffnet. Das schicke und sehr exklusive Hotel avancierte in Rekordzeit zum Hotspot der Schönen, Steinreichen und Berühmten. Tesoro Island lag zwar mitten in der Karibik, befand sich aber in Privatbesitz. Ohne die Genehmigung des Eigentümers Walter Stanford durfte hier kein Schiff anlegen, ob Privatjacht oder Kreuzfahrtschiff, und kein Flugzeug landen.

Wer sich auf die Insel zurückzog, brauchte also keine Paparazzi zu fürchten, mal abgesehen von ein paar übereifrigen Strebern, die sich mit einem riesigen Teleobjektiv auf einem Boot weit draußen im Meer auf die Lauer legten.

Tesoro Island war grün und märchenhaft lauschig, das Castello selbst ein Disneyland für Erwachsene, mit traumhaften Pools und den besten Spas der Welt. Von jedem Raum aus hatte man einen atemberaubenden Blick aufs Wasser. Gebaut worden war das Hotel nach dem Motto klein und sehr fein. Die Ausstattung war opulent, der Service herausragend, und über der gesamten Insel lag eine verträumte verführerische Atmosphäre. Tesoro versprach jedem, der es sich leisten konnte, ein Freudenfest für alle Sinne.

Und Rico würde, verdammt noch mal, nicht zulassen, dass der glänzende Ruf seines Hauses beschädigt wurde. Sollte hier tatsächlich ein professioneller Dieb sein Unwesen treiben, dann würde er ihn erwischen.

Das „Castello Tesoro“ war sein Traum gewesen. Der Inbegriff eines Luxusresorts, errichtet nach seinen exakten Vorgaben von King Construction. Sein ganzes erwachsenes Leben lang hatte er auf dieses Projekt hingearbeitet. Er besaß mehrere Hotels, und jedes davon war auf seine Weise spektakulär. Aber die Anlage auf Tesoro war die Krönung seiner Karriere. Und er würde alles Menschenmögliche tun, um seinen Namen, sein Projekt und seine Investition zu schützen.

Er schüttelte verärgert den Kopf, drehte sich um und blickte aus dem Fenster seines Büros. Die Aussicht war sensationell. Die Insel trug ihren Namen völlig zu Recht: Tesoro bedeutete auf Spanisch „Schatz“.

Es war nicht leicht gewesen, Walter Stanford ein Stück seines privaten Paradieses abzuringen. Monatelang war Rico damals auf der Insel gewesen, um mit dem alten Mann zu verhandeln. Zum Teufel, er hatte sogar ein paar seiner Cousins einfliegen lassen, damit sie ihm beisprangen. Nun ja, dachte er, für Sean King hat sich der Einsatz ja gelohnt, immerhin ist er jetzt mit Walters Enkelin Melinda verheiratet.

Und nachdem die Verhandlungen abgeschlossen waren, ging es erst richtig los: der Bau, die Gestaltung, die Ausstattung, das Personal – alles musste ganz genau zu seinem Traum passen.

Auch wenn der bloße Gedanke an Juwelendiebe im Castello Rico zur Weißglut brachte, musste er sich doch eingestehen, dass es nicht wirklich überraschend war. Schließlich kamen die Reichen und Superreichen in hellen Scharen nach Tesoro, und da schien es nur logisch, dass auch die professionellen Langfinger ihren Weg auf die Insel fanden.

Allerdings riskierte so ein Profi viel, wenn er hier zu Werke ging. Tesoro war klein, schwer erreichbar, kaum unbemerkt zu verlassen. Und da seit Tagen kein Schiff ausgelaufen war, musste der Dieb, wer immer es war, noch hier sein – mitsamt seiner Beute.

Juwelendiebe.

Das Wort hatte sich irgendwie in seinem Gedächtnis verhakt, und ein plötzlicher Verdacht ließ sämtliche innere Alarmglocken läuten. Aber das konnte doch nicht wahr sein, versuchte er sich einzureden.

Niemals würde sie ein solches Risiko eingehen.

Nein, nicht einmal sie wäre so unverfroren, noch einmal in seiner Nähe aufzutauchen.

Aber wenn sie nun doch hier war?

„Boss?“

„Was?“ Rico schaute Franklin über die Schulter hinweg scharf an.

„Soll ich Interpol einschalten?“

„Nein.“ Rico ignorierte die verblüffte Miene seines Sicherheitschefs und drehte sich wieder zum Fenster. Bei dem Gedanken, dass die Gelegenheit zur Rache, auf die er seit fünf Jahren wartete, womöglich zum Greifen nah war, schnellte sein Adrenalinspiegel in ungeahnte Höhen. Ihm schossen diverse vielversprechende Szenarien durch den Kopf.

Bevor er nicht wusste, ob sein Bauchgefühl richtig war, würde er auf keinen Fall Interpol einschalten.

„Wir erledigen die Angelegenheit hier auf der Insel.“ Er starrte weiter zum Horizont. „Erst mal müssen wir den Dieb erwischen, dann sehen wir weiter.“

„Es ist Ihre Entscheidung.“ Franklin ging und zog die Bürotür hinter sich zu.

„Ja, das ist es“, bekräftigte Rico laut in den leeren Raum hinein. Und wenn hinter diesen Raubzügen tatsächlich die Frau steckte, die ihn schon einmal bestohlen hatte … dann konnte die Polizei sich glücklich schätzen, wenn überhaupt noch etwas von ihr übrig blieb, was man verhaften konnte.

„Papa, bitte. Du musst abreisen, bevor es zu spät ist.“ Verzweifelt schaute Teresa Coretti von ihrem Vater zur geschlossenen Tür seiner Suite.

Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt, seit sie auf Tesoro war. Aber sie hatte herkommen müssen. Als sie erfuhr, wo ihr Vater und ihr Bruder ihren angeblichen Urlaub zu verbringen gedachten, war ihr keine andere Wahl geblieben.

„Warum soll ich denn abreisen?“ Ihr Vater zuckte übertrieben dramatisch mit den Schultern und lächelte. „Meine Ferien sind noch nicht vorbei.“

Ferien.

Schön wär’s.

Denn wenn Nick Coretti tatsächlich eine Auszeit von seiner Nebentätigkeit genommen hätte, würde jetzt niemand im „Castello Tesoro“ Schmuck vermissen. Nein, ihr Vater mochte von Urlaub reden, solange er wollte, aber in Wahrheit war er bei der Arbeit. Wie immer.

Dominick sah aus wie ein kleinerer, älterer und italienischer Bruder von George Clooney. Er war stets sonnengebräunt, und seinen scharfen braunen Augen entging nichts. Sein dunkles Haar war grau meliert, was ihm eine gewisse Würde verlieh. Dazu hatte er ausgezeichnete Manieren – kurzum der perfekte Gentleman. Und er war ein treuer Ehemann gewesen, bis Teresas Mutter vor zehn Jahren starb.

Seither nutzte er seinen beachtlichen Charme, um sich bei den Mitgliedern der High Society einzuschmeicheln, denn dort war, wie er betonte, „die Beute stets der Mühe wert“. Er liebte die Frauen, und die Frauen liebten ihn. Und er war, abgesehen von Teresas Brüdern Gianni und Paulo, der beste Juwelendieb der Welt – und immer auf der Jagd nach dem nächsten Job.

Wie hätte er da den Verlockungen von Tesoro widerstehen sollen? Für ihn war die Insel eine echte Goldmine.

Das Problem war nur, dass dieses fantastische Hotel Rico King gehörte.

Vor fünf Jahren hatte sie ihn das letzte Mal gesehen, doch sobald sie an ihn dachte, lief ihr ein heißer Schauder über den Rücken. Sie spürte den glühenden Blick seiner blauen Augen, als sei es gestern gewesen. Sie wusste noch genau, wie seine Küsse schmeckten, und beinahe jede Nacht träumte sie davon, dass seine Hände ihr zärtlich über die Haut strichen.

All diese Jahre hatte sie versucht, ihn sich aus dem Kopf zu schlagen, und nun war sie hier. In seinem Revier.

Unwillkürlich warf sie einen misstrauischen Blick durchs Fenster auf die Terrasse, so als fürchte sie, er könnte dort stehen. Und sie wütend anstarren.

Doch die elegante Veranda war leer, bis auf den Glastisch, die Stühle, die dazu passende Liege – und einen silbernen Kübel, in dem eine Flasche von Nicks Lieblingschampagner auf Eis lag. Und damit wären wir wieder beim eigentlichen Problem, dachte sie.

„Papa, ich habe dich doch gebeten, dich von Rico King fernzuhalten. Hast du das etwa vergessen?“

Nick wischte eine unsichtbare Fussel von seiner maßgeschneiderten Anzugjacke und strich dann glättend über sein makellos frisiertes Haar. „Natürlich erinnere ich mich an deine Bitte, mein Engel.“ Er hob einen Zeigefinger. „Und wie versprochen, habe ich jeglicher Versuchung widerstanden, Mr King von seinen Wertsachen zu befreien.“

Teresa seufzte ungeduldig. „Das ist nicht das, was ich gemeint habe. Das ‚Castello Tesoro‘ ist Ricos Eigentum. Wenn du seine Gäste bestiehlst, ist es dasselbe, wie wenn du ihm die Geldbörse klaust. Du forderst das Schicksal heraus, Papa. Rico ist nicht dafür bekannt, besonders nachsichtig zu sein.“

„Ach Teresa.“ Nick nahm sein leeres Kristallglas und trat auf die Terrasse, um sich Champagner nachzuschenken. Er trank einen Schluck, bevor er fortfuhr: „Du warst schon immer viel zu nervös. Viel zu …“ Er legte den Kopf in den Nacken und suchte nach dem richtigen Wort. „Ehrlich“, fügte er schließlich in traurigem Ton hinzu.

Um Teresas Mund zuckte ein schiefes Lächeln. Wo, außer in ihrer Familie, würde Ehrlichkeit als fatale Schwäche gelten? Seit frühester Jugend lebte sie am Rand des Gesetzes. Während andere Kinder mit Puppen spielten, lernte sie, wie man Schlösser knackt. Und als ihre Freundinnen den Führerschein machten, nahm sie Unterricht bei Onkel Antonio, der jeden Safe aufbekam.

Sie liebte ihre Familie, aber sie war nie damit klargekommen, sich ihren Lebensunterhalt als Diebin zu verdienen. Mit achtzehn brachte sie ihrem Vater schonend bei, dass sie zum letzten Mal für ihn gearbeitet hatte. Und so wurde sie die erste Coretti seit Menschengedenken, die etwas Anständiges lernte. Nick betrachtete das noch immer als tragische Verschwendung ihrer eigentlichen Talente.

Sie nahm geistesabwesend zur Kenntnis, dass ihr Vater sich auf der Liege niederließ und auf das Resort schaute, das sich vor der Veranda erstreckte.

Erstaunlich, was Rico hier geschaffen hat, dachte sie, ohne wirklich überrascht zu sein. Er war jemand, der sich niemals mit dem Zweitbesten zufriedengab, egal unter welchen Umständen. Das war ihr sofort aufgefallen, als sie ihn kennengelernt hatte, damals in Cancún.

Sie war eine von zahllosen Köchinnen und Köchen gewesen, die in der riesigen Hotelküche seines „Castello de King“ herumwirbelten. Es war ihr erster richtiger Job nach der Kochschule, und sie fand es schrecklich aufregend, Teil des hektischen Gedrängels zu sein, das in dieser unglaublichen Anlage herrschte. Ihr konnte nichts Besseres passieren, als hier zu arbeiten, davon war Teresa fest überzeugt – jedenfalls bis zu ihrer ersten Begegnung mit Rico.

Nach einem besonders langen Tag hatte sie sich etwas Entspannung gönnen wollen, bevor sie in ihr Apartment ging. Sie schnappte sich ein Glas Wein und setzte sich damit in einen der luxuriösen Strandstühle, um die Nacht und den Mondschein zu genießen – und das herrliche Gefühl, endlich einmal allein zu sein.

Dann sah sie ihn, wie er am Meer entlanglief. Das Mondlicht fiel auf sein dunkles Haar und brachte sein weißes Hemd zum Leuchten. Er trug eine hellbraune Hose, und um seine nackten Füße spritzte bei jedem Schritt Wasser auf. Sie konnte den Blick nicht von ihm abwenden, und während er näher kam, erkannte sie zwei Dinge. Erstens: Er sah einfach atemberaubend gut aus. Und zweitens: Es war ihr Arbeitgeber. Rico King, Playboy, Multimillionär, Hotelier und im Moment ebenso allein wie sie.

Binnen Sekunden lief die Szene von damals wieder vor ihrem geistigen Auge ab.

Er schaute auf, als habe er ihren Blick gespürt, und als er sie sah, lächelte er und kam auf sie zu. „Ich dachte, ich sei allein am Strand.“

„Dachte ich auch“, brachte sie mit Mühe heraus.

„Wollen wir zusammen allein sein?“

Er sprach mit dem kaum wahrnehmbaren Anflug eines Akzents. Seine Augen waren von einem unglaublichen stechenden Blau, seine Haare so schwarz wie die Nacht, und sein Lächeln war die pure Versuchung. Sie hätte beim besten Willen nicht Nein sagen können, und vom besten Willen konnte keine Rede sein. Rico ließ sich neben ihr auf dem Sand nieder, sie teilten sich das Glas Wein und redeten zwei Stunden angeregt miteinander.

Teresa schreckte aus ihren Gedanken auf. Es hatte keinen Sinn, in Erinnerungen an Rico zu schwelgen – und darüber zu grübeln, was hätte sein können … Sie war nur aus einem einzigen Grund hier: um ihre Familie herauszuholen, bevor er dahinterkam, dass sie in seinem Hotel war. Und er würde dahinterkommen. Es war nur eine Frage der Zeit. Das wiederum bedeutete, dass sie die Corettis möglichst schnell von Tesoro wegkriegen musste.

Wenn ihr Vater doch nur auf sie hören würde! Doch Nick Coretti war eine Naturgewalt, und wenn eine Beute ihn lockte, war ihm kein Risiko zu groß.

Sie folgte ihm auf die Terrasse. Die Sonne schien hell vom leuchtend blauen Himmel, und eine sanfte Brise brachte den Duft tropischer Blumen mit sich.

„Du kennst Rico nicht so gut wie ich, Papa. Er schnappt dich garantiert.“

Nick schnaubte geringschätzig.

Bellissima, kein Coretti ist jemals geschnappt worden. Wir sind einfach zu gut.“

Das stimmte zwar, aber die Corettis hatten es auch noch nie mit einem Gegenspieler wie Rico zu tun. Ja, die Polizei verschiedener Länder hatte vergeblich versucht, ihnen etwas anzuhängen, aber das Interesse der Ordnungshüter war rein beruflich gewesen.

Für Rico hingegen war das hier eine persönliche Angelegenheit.

„Papa, hör dieses eine Mal auf mich.“ Sie legte ihm eine Hand auf den Arm und sah ihn flehend an. „Bitte, lass uns von hier verschwinden, solange wir noch können.“

„Du machst viel zu viel Aufhebens um diesen Mann, nur weil da mal etwas zwischen euch war. Ständig redest du dir ein, dass er nach dir sucht. Dass er nach uns sucht.“

„Er hat nach mir gesucht, hast du das etwa vergessen?“

Nick wedelte abwehrend mit den Händen. „Sein Stolz war verletzt, nachdem du ihn verlassen hast, mein Schatz. Das kann ich gut verstehen. Keinem Mann würde es gefallen, eine so hübsche Frau zu verlieren. Aber das ist jetzt fünf Jahre her. So langsam solltest du damit aufhören, dir seinetwegen einen Kopf zu machen.“

Ob fünf Jahre oder fünf Minuten – einen Mann wie Rico konnte man nicht so leicht vergessen.

Außerdem wusste Nick nicht alles. Es gab Dinge, die sie nicht einmal mit ihrer Familie teilen konnte.

Unter anderen Umständen wären Papa und Rico vielleicht sogar Freunde geworden, dachte sie. Jedenfalls waren diese beiden Männer die stursten und eigensinnigsten Kerle, die sie je getroffen hatte.

Plötzlich begriff sie, dass ihr Vorhaben aussichtslos war. Dominick Coretti würde niemals einen halb erledigten Job aufgeben. Er würde das Castello erst dann verlassen, wenn er hatte, was er wollte.

Damit war er ein gefundenes Fressen für Rico. Jeder Hotelier auf diesem Planeten kannte die Corettis. Sie waren prominent, reich und dachten gar nicht daran, sich zu verstecken. Sie waren nur schlicht und ergreifend so geschickt, dass man ihnen nie etwas nachweisen konnte.

Aber nun wurde hier im Hotel Diamantschmuck vermisst. Rico würde ohne Mühe eins und eins zusammenzählen.

Sie ging ins Zimmer zurück. Ihr Vater erhob sich und trat an das schmiedeeiserne Geländer der Veranda, als wollte er die Aussicht noch besser genießen. Doch Teresa wusste, dass er in Wahrheit die anderen Gäste beobachtete, um sein nächstes Opfer auszumachen – falls das nicht bereits geschehen war.

Als Kind hatte die kriminelle Familientradition sie noch fasziniert, doch schon als Teenager fing sie an, sich zu wünschen, dass die Corettis einfach mal in ihrer Villa bei Neapel bleiben würden. Dass sie ein richtiges Zuhause hätte, statt ununterbrochen durch Europa ziehen zu müssen. Sie blieben nie länger als einen Monat an einem Ort, sodass es unmöglich war, Freundschaften zu schließen. Teresa und ihre Brüder wurden ausschließlich privat unterrichtet, und neben den üblichen Fächern wie Mathematik und Geschichte paukten sie auch Einbruch, Safeknacken und Fälschen.

Und dann hatte Teresa den Aufstand geprobt. Ihr Vater tobte, ihre Mutter weinte, doch am Ende setzte sie sich durch mit ihrer Weigerung, in das Familienunternehmen einzutreten. Seither war sie für ihre Brüder ein Rätsel und für ihren Vater ein Ärgernis.

„Du übertreibst maßlos.“ Sein Ton war tadelnd. „Das hier ist ein Job wie jeder andere. Sobald wir ihn erledigt haben, machen wir uns davon. Keiner wird uns erwischen.“

„Wenn du dich da mal nicht irrst, Papa. Du kennst Rico nicht so gut wie ich. Er ist gefährlich.“

Zumindest für sie.

Jetzt hatte sie Nicks volle Aufmerksamkeit. „Hat dieser Mann dir irgendetwas angetan? Falls ja, dann werde ich …“

„Nein“, fiel sie ihm hastig ins Wort. Das Problem war vielmehr, dass Rico bereits so seine Erfahrungen mit den Corettis hatte. Aber davon wusste ihr Vater nichts, und jetzt war nicht der richtige Moment, ihm die Geschichte zu erzählen. „Er hat mir nichts getan. Aber er wird nicht zulassen, dass man seine Gäste bestiehlt. Und wenn er dich erwischt, dann …“

„Was kann er schon tun?“ Nick lachte abfällig. „Er hat keine Beweise. Die Corettis lassen sich nicht so schnell schnappen, das solltest du eigentlich wissen, Teresa.“

„Offenbar aber doch schneller, als Sie denken.“ Die Stimme war tief und vertraut. Und sie erklang direkt hinter ihrem Rücken.

Teresa erstarrte.

Sie würde diese Stimme überall wiedererkennen.

Das Gefühl, das sie durchzuckte, war ein merkwürdiger Mix aus Angst und gespannter Erwartung. Sie drehte sich langsam um und blickte Rico King in die Augen.

2. KAPITEL

„Was soll das?“ Nick kam ins Zimmer und stellte sich Rico entgegen. „Wer sind Sie? Und was haben Sie in meiner Suite zu suchen?“

„Papa, das ist Rico King.“

„Ah, unser Gastgeber.“ Nick lächelte dünn. „Aber das gibt ihm noch lange nicht das Recht, hier unaufgefordert einzudringen.“

Rico kochte innerlich vor Wut, nicht zuletzt deshalb, weil er sich zwingen musste, seinen Blick von Teresa loszureißen, um ihren Vater anzusehen. Das boshafte Glitzern in dessen Augen ließ keinen Zweifel daran, dass er ganz genau gewusst hatte, wer Rico war. Die vorgetäuschte Ignoranz gehörte zu seinem Spiel. „Die Tatsache, dass Sie ein Dieb sind und sich in meinem Hotel aufhalten, gibt mir alles Recht der Welt.“

„Ein Dieb?“ Nick warf sich derart theatralisch in die Brust, als wolle er gleich an die Decke gehen.

„Papa, bitte.“ Teresa trat zwischen die beiden Männer und kam sich vor wie ein Ringrichter beim Boxen. Sie schaute Rico an. „Wir reisen ab. Und zwar sofort.“

„Ihr geht nirgendwohin.“ Er schäumte jetzt geradezu vor gerechtem Zorn.

Fünf Jahre. Fünf verdammte Jahre lang hatte er sich gefragt, wo zum Teufel sie steckte. Ob sie tot oder verletzt war. Oder ob sie im Bett eines anderen lag und über ihn lachte. Oh nein, sie würde nicht so einfach von hier verschwinden. Nicht bevor er mit ihr fertig war. Und im Moment hatte er absolut keine Ahnung, wann das sein würde.

Sie wurde ganz blass, und in ihren Augen schimmerten so viele unterdrückte Emotionen, dass er ihren Blick nicht mal dann hätte deuten können, wenn er es versucht hätte. Was er keinesfalls vorhatte! Stattdessen sah er ihren Vater an.

Dominick Coretti war elegant, selbstbewusst und schien geradezu freudig erregt. Er dachte offenbar bereits darüber nach, mit welcher Finte er die Situation, die sich so unerwartet gegen ihn gewendet hatte, retten konnte.

„Ich bin zutiefst beleidigt, dass Sie mich für einen Dieb halten.“ Offenbar hatte Nick beschlossen, weiter auf die Rolle des entrüsteten Gasts zu setzen. „Und ich werde keineswegs bleiben, wo man mich nicht haben will. Meine Familie und ich reisen noch heute Abend ab.“

„Sie verlassen diese Insel nicht, bevor Sie den gestohlenen Schmuck zurückgegeben haben.“

„Also, entschuldigen Sie mal …“

„Ich entschuldige gar nichts“, entgegnete Rico ungerührt, obwohl er zugeben musste, dass der Mann die beleidigte Leberwurst ziemlich überzeugend spielte.

„Sobald der Schmuck wieder bei seinen rechtmäßigen Besitzern ist, dürfen Sie und Ihr Sohn abreisen. Meine Frau bleibt hier.“

„Frau?“, wiederholte Nick verblüfft.

„Frau?“, rief Teresa entsetzt.

Rico nahm mit großer Genugtuung zur Kenntnis, dass ihr schönes Gesicht zu einer schockierten Grimasse verzogen war. Ihre Augen waren geweitet, ihr Mund stand offen, und ihre Wangen glühten.

„Das ist doch verrückt.“

„Aber die Wahrheit.“

„Du hast mir nie erzählt, dass du diesen Mann geheiratet hast“, sagte ihr Vater vorwurfsvoll.

„Es war nicht wichtig“, erwiderte sie, ohne ihn anzusehen.

Die vier Worte trafen Rico wie ein Schlag ins Gesicht und fachten seine Wut nur noch mehr an. Nicht wichtig. Ihre Ehe. Dass sie ihm davongelaufen war, ihre Familie ihn bestohlen hatte. Nicht wichtig. Er bezwang seinen Zorn nur mit größter Mühe, doch es gelang ihm, seine Gefühle hinter einer neutralen Miene zu verbergen. „Das hast du damals aber ganz anders gesehen.“

„Warum habe ich nichts von dieser Eheschließung erfahren?“ Die Stimme ihres Vaters klang schneidend.

„Papa …“

Rico ließ sich keine Sekunde von der gespielten Empörung des älteren Mannes täuschen. Dazu wusste er zu gut über die Corettis Bescheid. Immerhin beschäftigte er sich seit Jahren mit dem diebischen Clan. Zwar waren die Privatdetektive, die er angeheuert hatte, nicht imstande gewesen, Teresa zu finden, aber sie hatten doch ein paar sehr interessante Informationen über ihre Verwandtschaft ausgegraben. Genug, um die ganze verdammte Familie hinter Schloss und Riegel zu bringen, falls er das wollte.

Daher glaubte er kein Wort von Nicks Darbietung. Die Corettis lebten schließlich seit Generationen davon, andere zu betrügen. Lügen gehörten quasi zu ihrem Handwerkszeug.

„Ich mache dieses Spiel nicht mit“, sagte er ruhig.

„Welches Spiel?“

Rico sah erst Nick an, dann die Frau, deren Bild ihn seit Jahren verfolgte. „Wie gesagt, sobald Sie den gestohlenen Schmuck zurückgegeben haben, können Sie und Ihr Sohn abreisen. Teresa bleibt hier. Und zwar so lange, bis Sie den Golddolch zurückbringen, der mir vor fünf Jahren entwendet wurde.“

„Sie können meine Tochter nicht gegen ihren Willen festhalten“, erklärte Nick im Ton eines Mannes, der daran gewöhnt war, dass man ihm gehorchte.

Rico starrte ihn ausdruckslos an. „Entweder Sie tun, was ich sage, oder ich alarmiere Interpol.“

Nick wedelte wegwerfend mit seiner gepflegten Rechten. „Interpol macht mir keine Angst.“

„Das dürfte sich ändern, sobald ich die Informationen weitergebe, die ich im Laufe der Zeit über Ihre Familie gesammelt habe.“

Corettis Augen verengten sich. „Was für Informationen?“

„Genug, um Sie zu vernichten“, versicherte Rico. Teresa schnappte leise nach Luft. Er ignorierte sie.

„Das kann ich mir kaum vorstellen“, polterte Nick selbstgefällig, doch in seinen Augen flackerte erstmals Besorgnis auf. „Man hat uns nie etwas nachweisen können.“

„Bis heute.“ Rico lächelte triumphierend. „Privatdetektive können dort suchen, wo die Polizei nicht hinkommt. Und wenn die Gesetzeshüter die entsprechenden anonymen Hinweise erhalten …“

Coretti – oder Candello, wie er sich hier nannte – schien zu begreifen, dass man ihn in die Enge getrieben hatte. Gut so.

Autor

Maureen Child

Da Maureen Child Zeit ihres Lebens in Südkalifornien gelebt hat, fällt es ihr schwer zu glauben, dass es tatsächlich Herbst und Winter gibt. Seit dem Erscheinen ihres ersten Buches hat sie 40 weitere Liebesromane veröffentlicht und findet das Schreiben jeder neuen Romance genauso aufregend wie beim ersten Mal.

Ihre liebste...

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