Versuchung für Schwester Bella

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Bella ist hin- und hergerissen: Soll sie als Privatschwester für Dr. Oliver Dawsons Mutter arbeiten? Dann müsste sie unter einem Dach mit ihm leben. Mit einem Mann, dessen Blicke sie sinnlich erschauern lassen - und der für sie doch nur Verachtung zu empfinden scheint …


  • Erscheinungstag 10.02.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751505628
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Oh nein … nicht Sie schon wieder!“

Verwirrt drehte sich Bella Graham um. War etwa sie gemeint? Als sie den Besitzer dieses entsetzten Ausrufs sah, rutschte ihr das Herz in die Hose. Eigentlich wusste sie bereits, wer es war, bevor sie den Kopf gedreht hatte. Sie kannte diese knappe Art zu sprechen, die, zumindest ihrer Meinung nach, den sexy Klang einer so tiefen Stimme völlig zunichtemachte.

Allerdings war so ein Ausbruch vollkommen untypisch für ihn, er musste also noch entsetzter sein, sie zu sehen, als sein Tonfall vermuten ließ. Bella seufzte resigniert.

Oliver Dawson, der angesehene Neurochirurg hier im Krankenhaus St. Patrick, stand wie erstarrt vor dem Aufenthaltsraum der Station. Als wäre er vom Blitz getroffen.

Nachdem sie vom OP-Dienst auf die Geriatriestation gewechselt war, hatte sie sich so gefreut, nie wieder vor ihm wie eine Idiotin dazustehen, weil sie irgendwo dagegenrannte, ihren Mundschutz nicht vorschriftsmäßig trug, nicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort war.

Einfach nicht … gut genug war. Bei allem.

Ihr hätte klar sein müssen, dass er auch auf dieser Station Patienten betreute. Alte Menschen erlitten Schlaganfälle oder bekamen Hirntumore, sie fielen hin und zogen sich Kopfverletzungen zu. Bellas Herz rutschte noch tiefer. Wenn sie so darüber nachdachte, würde sie Dr. Dawson hier womöglich häufiger antreffen …

Und ja, sie war gemeint, daran ließ sein finsterer Blick keinen Zweifel, der auch nicht vom warmen Schokoladenbraun seiner Augen abgemildert wurde. Und Himmel, in einem dreiteiligen Nadelstreifenanzug wirkte er noch einschüchternder als in der locker sitzenden OP-Kleidung.

Auch der entsetzte Tonfall war ihr leider vertraut, so oft, wie er sie schon zurechtgewiesen hatte. Bella seufzte erneut.

Dann setzte sie ein freundliches Lächeln auf. „Wie geht es Ihnen, Dr. Dawson?“

Seinen ungläubigen Blick bemerkte Bella kaum. Dazu war sie zu sehr damit beschäftigt, den Chirurgen, den sie zum ersten Mal ohne OP-Kleidung sah, zu mustern. Seine Haare waren sogar noch dunkler als seine Augen und genauso perfekt geschnitten wie sein Anzug. Oliver Dawson umgab eine Aura von Präzision und Kontrolle, die für einen Chirurgen wahrscheinlich ein enormer Pluspunkt war, leider wirkte er dadurch anderen gegenüber sehr kühl. Ihr Lächeln schien an einer Art Kraftfeld abzuprallen. Er ignorierte nicht nur ihre höfliche Frage, sondern schaute auch an ihr vorbei.

Was tun Sie hier?“

„Ich habe gerade meinen Dienst auf der Geriatriestation begonnen.“ Bellas erste Station im St. Patrick war der OP gewesen. Wenn sie drei Monate auf der gefürchteten Station der Älteren und Gebrechlichen hinter sich gebracht hatte, konnte sie sich auf die Kinderstation freuen – ihr eindeutiger Favorit. Da es noch ein paar Jahre dauern würde, bis sie eine eigene Familie gründen konnte, wollte Bella bis dahin die Zeit mit den Kindern anderer Leute genießen. Aber auch bei Kindern traten häufig neurochirurgische Fälle auf, oder? Wo wäre sie davor sicher, in Oliver Dawsons Augen nicht zu bestehen? Vielleicht in der Dermatologieambulanz, auf der Gynäkologie- oder der Geburtshilfestation?

Sein kurzes Kopfschütteln sagte ihr, dass sie seine Frage falsch beantwortet hatte. Welch Überraschung!

„Die Einzelheiten Ihres Dienstplanes interessieren mich nicht“, blaffte er. „Ich will wissen, was Sie jetzt gerade tun. Mit diesen Patienten.“

„Oh …“ Bella drehte sich um und sah die mitfühlenden Blicke von fünf älteren Menschen, von denen die meisten Brillen mit ziemlich dicken Brillengläsern trugen. Erst da hörte Bella wieder die Musik, die aus dem niedlichen kleinen Lautsprecher ertönte, den sie an ihren iPod angeschlossen hatte. Gute, alte Countrymusik, die einen mit den Füßen stampfen ließ. Sie konnte verstehen, dass es leicht unpassend wirkte. Außerdem war es laut.

„Ich stelle leiser“, sagte sie hastig und ließ ihren Worten gleich Taten folgen. „Ich musste lauter stellen, weil Wally schwerhörig ist und sonst den Takt nicht hören kann.“

Der rundliche, ältere Mann, der neben Bella stand, nickte heftig. „Stocktaub bin ich.“

Wally wurde ignoriert, etwas, was unhöflich genug war, um Bella zu verärgern. Typisch Chirurg, denkt, er ist so wichtig, dass er nicht höflich sein muss. Als er auch die anderen vier älteren Leute ignorierte, die still dastanden und immer nervöser wurden, wurde aus ihrer Verärgerung echte Antipathie. Vielleicht war dieser Mann Chirurg geworden, weil er lieber mit bewusstlosen Menschen zu tun hatte, oder es war ihm vollkommen egal, wie unwohl sich andere in seiner Gegenwart fühlten.

Der abschätzige Blick landete wieder auf Bella.

„Sie haben meine Frage nicht beantwortet.“

Sein Tonfall ließ vermuten, dass er an ihrem Verstand zweifelte. Ungefähr so wie in dem Moment, als er ihr erklärt hatte, sie sollte besser in einer Kinderkrippe arbeiten, wenn sie ihren Mundschutz wie ein Lätzchen trug.

Jetzt erwachte ihre rebellische Seite.

„Wir üben Line Dance“, informierte sie Oliver Dawson kurz angebunden. „Genauer gesagt lernen wir den Electric Slide.“ Sie lächelte ihre Patienten an, die ihr so unglaublich gelangweilt vorgekommen waren, als sie letzte Woche auf dieser Station angefangen hatte.

Sie zwang die älteren Leute zu nichts, und sie selbst hatte Pause. Verdammt noch mal! Also tat sie nichts Falsches. Bis dieser aufgeblasene Facharzt für Chirurgie sie unterbrach, hatten sie Spaß gehabt. Jetzt könnte es schwer werden, diese älteren Herrschaften davon zu überzeugen, wieder mitzumachen. Die arme Edna wirkte völlig verwirrt, und Wally schnaufte empört. Wahrscheinlich brauchte er bald seinen Inhalator. Beruhigend lächelte sie in die Runde.

„Wir waren schon richtig gut, oder? Machen wir für heute Schluss und versuchen es morgen weiter. Ich wette, dann klappt das Stampfen und Klatschen.“

Verity, die den Line Dance mutig mit der Hilfe ihres Rollators versucht hatte, erwiderte als Einzige ihr Lächeln.

„Das wäre schön, Liebes. Aber denken Sie daran, dass ich erst die Hühner füttern muss.“

Oliver schüttelte ungläubig den Kopf und wandte sich ab, als er sah, dass die Schwester ihre Patienten zurück zu ihren Stühlen vor dem Fernseher begleitete. Dort lief gerade eine Seifenoper. Dabei hörte er, wie sie mit der verwirrten alten Dame über die Vorzüge von verschiedenem Hühnerfutter diskutierte, nachdem sie dem übergewichtigen Gentleman empfahl, in seiner Bademanteltasche nach seinem Inhalator zu suchen.

Line Dance? Mit gebrechlichen, älteren Menschen, die so schon gefährdet waren zu fallen und sich zu verletzen?

Unverantwortlich … und leichtsinnig. Was hatte er auch von dieser Krankenschwester, deren Namen er nicht einmal kannte, erwartet?

Trotzdem hatte er sich an sie erinnert. Sogar in OP-Kleidung war sie eine Ablenkung mit ihren ungewöhnlich dunklen blauen Augen und den blonden Locken, die sich scheinbar nicht unter eine OP-Haube zwängen lassen wollten. Ihr Mund schien permanent zu lächeln – unpassend in der ernsten Umgebung eines OP-Saales. Und dann hatte sie seinen OP betreten, während ihr Mundschutz wie ein Latz um ihren Hals baumelte.

Auf dem Weg zum hinteren Teil der u-förmigen Station kam Oliver an der Schwesternstation vorbei und entdeckte eine weitere Schwester hinter dem Tresen.

„Sally?“

Die Stationsschwester sah vom Computerbildschirm auf. „Oliver! Du bist heute aber früh dran für deinen Besuch.“

„Ich habe gerade etwas Zeit, darum dachte ich, ich komme mal vorbei.“ Er räusperte sich. „Hast du eine Ahnung, was gerade in deinem Aufenthaltsraum vor sich geht?“

Sally lächelte. „Der Line-Dance-Kurs?“

Oliver konnte ihr Lächeln nicht erwidern. „Ja.“

„Das ist toll, nicht? Sie ist erst seit ein paar Tagen hier, aber ich habe noch niemanden gesehen, der so schnell einen Draht zu den Patienten bekommt wie sie.“

„Das kann ich mir vorstellen.“

Sally schien seinen trockenen Kommentar zu überhören.

„Sie bringt die Leute besser dazu, sich zu bewegen, als die Physio- oder Ergotherapeuten, weil es mit ihr Spaß macht. Daniel überlegt schon, Line Dance in seine Physiotherapieübungen einzubauen. Daran hat er vorher noch nicht gedacht, weil er sonst einzeln mit den Leuten arbeitet.“ Sally schüttelte den Kopf. „Wer hätte das gedacht? Eine junge Krankenschwester startet eine Revolution.“

Verärgert presste Oliver die Lippen zusammen. Wenn die Physiotherapeuten und andere Fachkräfte darüber glücklich waren, brachte es nichts, sein Missfallen zu äußern. Musste erst einer der Patienten stolpern und sich ein Handgelenk oder Schlimmeres brechen, bevor er einschreiten und diese unkonventionelle und dubiose Aktivität beenden konnte?

So frustrierend es war, leider war es nicht seine Entscheidung. Natürlich könnte er mit seinen älteren Kollegen in der Geriatrie sprechen. Ja … das sollte er tun. Normalerweise nutzte er diesen Einfluss nicht, aber vielleicht war das in diesem Fall nötig. Das hätte ihn zufriedenstellen sollen, aber stattdessen kam ihm ein sehr beunruhigender Gedanke. Er biss die Zähne zusammen.

„Lady Dorothy?“, fragte er kurz. Seine Mutter hatte doch sicher nicht ihre schwache Gesundheit gefährdet, indem sie an den unerhörten Aktivitäten einer dummen Krankenschwester teilnahm?

Sally sah ihn freundlich an. „Sie ist in ihrem Zimmer“, antwortete sie leise. „Es tut mir leid, Oliver, aber sie weigert sich noch immer, eine Reha oder andere Aktivitäten zu versuchen.“

Mit einem Nicken ging Oliver weiter bis zu dem Einzelzimmer am Ende des Flurs. Die Teilnahme an Aktivitäten in dieser Umgebung zu verweigern war durchaus verständlich, aber eine Reha war notwendig, wenn seine Mutter nicht erheblich an Lebensqualität einbüßen wollte. Vor der Tür hielt er einen Moment inne. Wie viele Leute gingen hier vorbei, ohne zu ahnen, dass eine der verehrtesten Damen der Gesellschaft Aucklands als stationäre Patientin im St. Patrick lag?

Lady Dorothy saß mit einem Seidentuch um die Schultern im Bett, an einen Berg von Kissen gelehnt. Ihre Haare waren ordentlich gekämmt und glänzten, aber sie selbst sah blass und unglücklich aus. Als Oliver eintrat, hellte sich ihr Gesicht auf.

„Oliver! Was für eine nette Überraschung!“

Als er seine Mutter auf die Wange küsste, bemerkte Oliver, dass ihre Blässe zum Teil daran lag, dass sie kein Make-up trug. Wahrscheinlich hatte sie einer Krankenschwester erlaubt, ihr die Haare zu kämmen, aber die Hilfe einer Fremden zu brauchen, um etwas so Persönliches wie Make-up und Lippenstift aufzutragen, musste sie maßlos ärgern. So stolz und unabhängig wie seine Mutter immer gewesen war.

„Wie geht es dir, Mutter?“

„Mir geht es gut, Liebling. Ich möchte nach Hause.“

„Bald.“ Hinter seinem Lächeln versteckte er eine wachsende Angst.

Die Gelenke in den Händen seiner Mutter waren nach einem erneuten, heftigen Arthritisschub noch immer geschwollen und entzündet. Sie verlor Gewicht, weil sie sich weigerte, sich von jemandem, sogar ihm, füttern zu lassen. Seit Tagen nahm sie nur Smoothies oder kalte Suppen zu sich, die sie durch einen Strohhalm trinken konnte. Aber der Gewichtsverlust war nicht seine größte Sorge. Es war die Kombination aus verringerter Nahrungsaufnahme und ihrer Krankheit, die ihre Blutzuckerwerte völlig durcheinanderbrachte und die Kontrolle ihres insulinabhängigen Diabetes erschwerte.

„Und die Schmerzen?“

Lady Dorothy sah ihn nur an, und Oliver musste lächeln. Das war genau der Blick, an den er sich aus seiner Kindheit erinnerte, wenn er sich verletzt hatte. Der „Nicht klagen und weitermachen“-Blick, denn Schmerz war nur eine Unannehmlichkeit, der man nicht erlauben konnte, das Leben zu beeinträchtigen, das man führte. Oder Pflichten, die man erfüllen musste. So war Lady Dorothy erzogen worden, und das hatte sie an ihren einzigen Sohn weitergegeben.

Seine Mutter mochte aussehen wie ein verhätscheltes Mitglied der obersten Gesellschaftskreise, die man in Neuseeland finden konnte, aber sie besaß die Stärke eines Tigers und ein Herz aus purem Gold. Ihre Spendensammlungen waren legendär, und St. Patrick hatte neben unzähligen anderen Institutionen und Wohltätigkeitsorganisationen schon oft davon profitiert. Lady Dorothy war 73 Jahre alt und hatte nie aus finanziellen Gründen arbeiten müssen, aber sie steckte mehr Zeit und Aufwand in ihre Leidenschaften als manche 40-jährigen Geschäftsführer großer Firmen.

Wenn sie das nicht mehr könnte, wäre seine Mutter am Boden zerstört, aber im Moment konnte sie nicht einmal einen Anruf tätigen, geschweige denn einen Stift halten. Und wenn sich ihre Blutzuckerwerte nicht stabilisierten, könnte sie nicht mehr Auto fahren oder allein bleiben, weil das Risiko, in ein diabetisches Koma zu fallen, zu groß war. Obwohl sie ihren riesigen Besitz nicht allein führte – sie hatte Hilfe von einer Haushälterin und einem Gärtner –, war weiteres Personal immer abgelehnt worden. Die Privatsphäre war ihr einfach heilig.

Für sie beide würde sich einiges ändern, das war sicher, und seine Mutter würde sich heftig dagegen wehren. Darum würde es ihn auch nicht freuen, wenn er die Änderungen durchsetzte, die ihr immer mehr von ihrer Unabhängigkeit und Würde nehmen würden.

Er setzte ein Lächeln für seine Mutter auf. „Es ist ein wunderschöner Tag. Wenn du dich anziehst, kann ich dich im Rollstuhl nach draußen fahren, wenn ich mit der Arbeit fertig bin. Ein bisschen frische Luft würde dir guttun.“

Seine Mutter schüttelte den Kopf. Offensichtlich reichte frische Luft als Anreiz nicht aus, er musste schnell etwas Interessanteres finden. Allerdings zeigte ihm ein Blick auf die Uhr, dass er wieder an die Arbeit musste.

„Wir könnten sogar etwas Schönes zum Abendessen finden.“ Er sah sie mit gehobener Augenbraue an. „Ich weiß, wo es ein Fast-Food-Restaurant gibt.“ Sein Lächeln wurde breiter, als er sein Ass aus dem Ärmel zog und das geheime Laster seiner Mutter ausnutzte. „Cheeseburger“, schlug er vor. „Und Pommes.“

Die Idee war brillant. Auch mit ihren steifen Fingern dürfte dieses Essen für Lady Dorothy kein Problem sein. Und es lieferte genug Kalorien, dass schon eine kleine Menge reichte. Zu seinem Entsetzen standen seiner Mutter auf einmal Tränen in den Augen. Sie waren verschwunden, als sie den Kopf geschüttelt hatte, aber Oliver konnte ihren Kummer spüren. Sanft berührte er ihre Hand.

„Was ist los, Mum?“

„Sophie“, antwortete seine Mutter mit wackliger Stimme.

„Wer ist Sophie?“

War das der Name dieser ungeschickten, Line Dance tanzenden Blondine, die sich als Krankenschwester ausgab? Wenn sie etwas getan hatte, um seine Mutter so aufzuregen, würden ihr Hören und Sehen vergehen. Wahrscheinlich stempelte ihn das als Muttersöhnchen ab, aber er würde seine Mutter verteidigen, komme, was wolle. Sie war die einzige der Familie, die er noch hatte. Die einzige Person, die in seiner Welt wirklich zählte. Und kümmerte es ihn, was eine kleine Krankenschwester mit übergroßen blauen Augen über ihn dachte?

Natürlich nicht. Eine lächerliche Vorstellung.

„Sie ist die Ergotherapeutin“, erklärte Lady Dorothy. „Sie kam heute Morgen mit der Art Kleidung, mit der ich leichter lernen kann, mich selbst anzuziehen.“

„Oh?“ War er erleichtert, dass diese Sophie nicht die unmögliche Krankenschwester war und er sie nicht verbal in Stücke reißen und zusehen musste, wie diese Lippen, die immer lächelten, zitterten, wenn sie anfing zu weinen?

War er froh, dass sie nicht erfahren würde, dass er mit sechsunddreißig noch immer bei seiner Mutter wohnte? Obwohl man es kaum so nennen konnte, wenn sie beide getrennte Flügel des Hauses bewohnten, oder?

Warum machte er sich überhaupt Gedanken darüber, wie das auf eine Krankenschwester wirkte, deren Namen er nicht einmal kannte? Bizarr.

„Es waren … Trainingshosen, Oliver. Mit … Gummizug.“

„Oh …“

Selbstdisziplin war alles für seine Mutter und persönliche Standards zu erfüllen eine Frage des Stolzes. Trainingshosen zu tragen wäre für Lady Dorothy entwürdigend.

Es musste etwas geschehen. Nur was? Darüber musste er nachdenken. Vielleicht konnte er sie in der Zwischenzeit irgendwie aufheitern.

„Wie wäre es, wenn ich die Burger und Pommes in einer unauffälligen braunen Papiertüte herbringe?“ Das war ein alter Witz für ein Vergnügen, das als verboten erachtet wurde.

„Danke, Liebling, aber spar dir die Mühe. Ich glaube nicht, dass ich hungrig sein werde.“ Sie wandte den Kopf leicht ab. „Es ist wirklich Zeit, mit dieser lächerlichen, ungesunden Gewohnheit aufzuhören, meinst du nicht?“

Erstaunt bemerkte Oliver, dass er seiner Mutter nicht zustimmte.

Es war beunruhigend.

Der gelegentliche Ausflug auf die ungesunde Seite der Ernährung war für sie beide kaum eine Gewohnheit, eher eine Ausnahme. Aber es war so lange ein Teil ihres Lebens, eine der wenigen guten Erinnerungen, die ein wenig Freude in ihr Leben gebracht hatte.

Gut, vielleicht war es nur ein uraltes Ritual aus der Kindheit und nicht mehr wichtig, aber es zu verlieren, wäre …

So traurig, wie seine Mutter so zu sehen?

Er hörte, wie Lady Dorothy Luft holte.

„Lass dich von mir nicht aufhalten, Oliver. Ich bin sicher, du hast wichtigere Dinge zu tun.“

„Ich muss nur eine Visite beenden, das ist alles.“ Oliver runzelte die Stirn. Es musste einen Weg geben, das zu überstehen. „Und heute Nachmittag stehen einige OPs an, aber du musst essen, das weißt du. Ich komme dann später wieder.“

Wenigstens mit den Pommes frites. Er war nicht bereit, seine Vergangenheit ganz loszulassen, und seiner Mutter ging es bestimmt genauso. Das zeigte nur, wie schlecht sie sich gerade fühlte. Mit etwas Zeit würde sie über die Trainingshosen hinwegkommen.

Später würde auch diese unglaublich irritierende und wahrscheinlich inkompetente Krankenschwester nicht mehr im Dienst sein.

Wenn sie nicht in der Nähe war, wenn er heute Abend mit etwas Fast Food hereinschlich, dann passte das Oliver sehr gut.

Sehr, sehr gut.

2. KAPITEL

„Lady wer?“

Bella konnte sich nicht richtig auf Sallys Worte konzentrieren, denn sie hatte gesehen, dass Oliver Dawson die Station verließ. Der Anzug stand ihm wirklich gut, das musste sie, wenn auch widerwillig, zugeben. Wenn er nur etwas … netter wäre, würde sie sogar sagen, dass er sehr gut aussah. Okay, umwerfend.

„Lady Dorothy“, wiederholte Sally.

„Hat sie keinen Nachnamen?“

„Doch, natürlich, aber niemand benutzt ihn. Außerdem ist sie eine sehr bekannte Persönlichkeit, die nicht möchte, dass ihr Krankenhausaufenthalt bekannt wird. Du musst also diskret sein.“ Sally sah sie stirnrunzelnd an. „Kannst du das?“

„Natürlich!“ Bella richtete sich auf. Sie bekam eine neue Verantwortung übertragen. Auch wenn es eher damit zu tun hatte, dass die Station wie gewöhnlich unterbesetzt war. Aber Bella wollte sich beweisen. Zum einen, weil ihr die Arbeit hier deutlich besser gefiel, als sie gedacht hätte, aber zum anderen spornte auch Oliver Dawson ihren Ehrgeiz an.

Sie war gut in ihrem Job. Vielleicht war das jetzt die Chance, das auch zu zeigen.

„Was soll ich tun?“

„Ihr Blutzucker muss kontrolliert werden. Mit der Insulingabe warten wir, bis ich mit dem Arzt gesprochen habe. Aber eigentlich ist das nur eine Ausrede, um dich in ihr Zimmer zu bringen.“ Sally zögerte einen Moment und fügte dann leise hinzu: „Lady Dorothy ist im Moment etwas deprimiert, und bis jetzt konnte sie niemand zu der Reha motivieren, mit der sie dringend anfangen muss.“ Nachdenklich sah die Stationsschwester Bella an. „Du könntest das schaffen, schließlich hast du Wally dazu gebracht, aufzustehen und zu tanzen. Sei einfach nur … vorsichtig, ja?“

Mit dieser etwas seltsamen Warnung im Kopf ging Bella in Richtung des Privatzimmers, das sie schon neugierig beobachtete, seit sie auf der Station angefangen hatte. Die geschlossene Tür hatte ihre überaktive Fantasie angeheizt, sodass sie langsam glaubte, dass in dem Zimmer jemand lag, der schrecklich entstellt war.

Wie enttäuschend, dass es nur eine ältere Frau war. Eine außergewöhnlich schöne Frau mit einer Pfirsichhaut und dem erstaunlichsten silbernen Haar, das Bella je gesehen hatte. Während sie ihr routiniert in den Finger pikste und einen Tropfen Blut auf den Teststreifen des Blutzuckermessgerätes trug, warf sie ihr immer wieder verstohlene Blicke zu. Sie erledigte ihre Arbeit so vorsichtig wie möglich. Die arme Lady Dorothy hatte einen schlimmen Fall von Arthritis in den Händen. Ihre Gelenke waren rot und geschwollen, und es sah aus, als könnte sie ihre Finger überhaupt nicht bewegen.

Ihre Patientin sprach auch nicht. Umso deutlicher sah Bella ihre Traurigkeit, und ihr Herz flog der alten Dame zu. Eine echte Lady.

„Warum schauen Sie mich immer wieder so an?“

Bella zuckte zusammen. „Entschuldigung, war ich unhöflich? Aber ich liebe einfach Ihre Haare. Wenn man so eine Farbe in Flaschen abfüllen und verkaufen könnte, würde man ein Vermögen machen.“

„Es ist nur grau.“

„Oh nein …“ Nachdrücklich schüttelte Bella den Kopf. „Das ist reines Silber. Und wie es glänzt. Ich hatte mal ein Paar Tanzstrumpfhosen in derselben Farbe. Die habe ich auch geliebt.“

Aber Lady Dorothy schwieg weiter. Sie saß einfach nur da, an ihre Kissen gelehnt, und starrte in die Luft. Unsicher ging Bella im Zimmer umher, räumte hier und da etwas auf. Himmel, es würde Sally bestimmt nicht beeindrucken, wenn sie nicht mehr als einen abschätzigen Kommentar über Haarfarben als Antwort bekam, wo sie diese Patientin doch aufmuntern sollte.

Wahrscheinlich brauchten die Blumen in der riesigen Vase frisches Wasser, aber als Bella darauf zuging, blieb sie mit dem Fuß am Stuhlbein hängen, und es fiel etwas herunter.

Zum Glück war Dr. Dawson nicht hier, um ihre Schusseligkeit zu bemerken. In Gedanken konnte sie beinahe seine Stimme hören, die vernichtend sagte, wie typisch das doch für sie war.

Aufgebracht bückte sich Bella, um das pinkfarbene Etwas aufzuheben. Warum um alles in der Welt sollte es sie interessieren, was er über sie dachte? Sie würde auf keinen Fall wieder als OP-Schwester arbeiten, davon hatte er sie kuriert.

Erschrocken keuchte sie auf, als sie erkannte, was sie da in der Hand hielt.

„Oh, mein Gott!“ Sie hielt die dicke, weiche Trainingshose mit Gummizug hoch und sah sich das Kleidungsstück entsetzt an. Dann spürte sie, wie ihre Wangen rot wurden und wirbelte herum. „Tut mir … leid, Lady Dorothy“, stammelte sie. „Das müssen Ihre sein.“

Dafür erntete sie einen eiskalten Blick. „Sie gehören ganz sicher nicht mir.“

„Oh … zum Glück.“

Lady Dorothy blitzte sie noch immer an, darum versuchte Bella ein zaghaftes Lächeln.

„Ich sollte das nicht sagen, weil es wirklich stimmt, dass mein Großvater meine Großmutter ermordet hat, aber wissen Sie was?“

Langsam hob Lady Dorothy ihre Augenbrauen. „Was?“, fragte sie argwöhnisch.

Bella senkte die Stimme zu einem vertraulichen Flüstern. „Wenn sie solche Trainingshosen getragen hätte, wäre das vielleicht ein Motiv gewesen.“ Ihre Lippen zuckten. „Wäre ich Geschworene gewesen und diese hier wären Beweisstück A, dann wären sie für mich ein Entlastungsgrund.“

Endlich reagierte die ältere Dame. Ihre Lippen zuckten genau wie Bellas. Kurzerhand legte sie die furchtbaren Hosen zusammen und zurück auf den Stuhl.

„Wenn sie nicht Ihnen gehören, was tun sie dann hier? Soll ich sie für Sie entsorgen?“

„Besser nicht, Liebes.“

„Warum?“

Autor

Alison Roberts
Alison wurde in Dunedin, Neuseeland, geboren. Doch die Schule besuchte sie in London, weil ihr Vater, ein Arzt, aus beruflichen Gründen nach England ging. Später zogen sie nach Washington. Nach längerer Zeit im Ausland kehrte die Familie zurück nach Dunedin, wo Alison dann zur Grundschullehrerin ausgebildet wurde.
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Alison Roberts
Alison wurde in Dunedin, Neuseeland, geboren. Doch die Schule besuchte sie in London, weil ihr Vater, ein Arzt, aus beruflichen Gründen nach England ging. Später zogen sie nach Washington. Nach längerer Zeit im Ausland kehrte die Familie zurück nach Dunedin, wo Alison dann zur Grundschullehrerin ausgebildet wurde.
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