Wir sind für immer

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Cameron St. Laurent – verführerisch sexy, atemberaubend heiß und dabei tief in sich gebrochen. Allein beim Klang des Namens werde ich schwach. Wie ein Feuersturm kam er in mein Leben und weckte Begierden und Sehnsüchte in mir, die ich nie zuvor verspürt habe. Jeden Tag zeigt er mir, was wahre, hingebungsvolle Liebe ist. Doch ich weiß, dass dieses Glück nicht für die Ewigkeit geschaffen ist. Es wird kein Wir für immer geben. Ich weiß, dass mein Herz danach nie wieder heilen wird. Ich weiß, dass seine Leidenschaft mich verbrennen wird. Allerdings habe ich nicht geahnt, wie schnell ich in den Abgrund stürzen würde …

»Niemand hat mich je so berührt wie Kara und Cam. Sie sind stark, mitfühlend, warmherzig und mutig.«
Leserstimme auf Wattpad

»Langsam und gefühlvoll baut sich die Beziehung zwischen Caleb und Veronica auf, die genauso süß wie zerbrechlich ist.«
Romantic Times Book Reviews über »Du bist mein Feuer«


  • Erscheinungstag 16.02.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783745751406
  • Seitenanzahl 528
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Meinen Wattpad-Frauen
Caitlin, Ashleigh und I-Yana gewidmet.
Danke für alles, was ihr für mich tut.

Kara

»Bring mich dazu.«

Camerons tiefe Stimme forderte mich förmlich dazu heraus, die warnende Stimme in meinem Kopf zu ignorieren, die mir nahelegte, bei einem gefährlichen Mann wie ihm besser vorsichtig zu sein. Und stattdessen mit einer eigenen Herausforderung dagegenzuhalten.

»Bring mich dazu. Wenn du kannst.«

Es kam nur selten vor, dass ich mich nicht auf einen solchen Wettstreit einließ, doch seine Lippen verhinderten, dass ich irgendwelche provozierenden Worte von mir gab. Vielmehr verwandelten sie sich in ein Seufzen, als er mich so leidenschaftlich küsste, dass ich glatt kapitulieren wollte.

Die Sache war nur die … Ich verliere nicht gerne.

Ich schlang mein Bein um seine Hüfte und presste meinen Körper an seinen. Seine Augen weiteten sich vor Überraschung, ehe er mich lustvoll anschaute. Es haute mich jedes Mal um, wenn ich diesen Ausdruck in seinem hinreißend schönen Gesicht bemerkte – sah, wie sehr er mich begehrte. Ich hatte mich nie zuvor begehrt gefühlt, zumindest nicht so. Es machte mich wagemutiger, weckte in mir den Wunsch, die Grenzen zu überschreiten und neue zu entdecken.

Er umfasste meine Taille, seine Finger gruben sich in meine Haut, und dann drehte er sich mit einer einzigen Bewegung, sodass er unter mir lag. Ich saß auf ihm und musste die Beine spreizen, um mich seiner Größe anzupassen. Ich hörte ihn stöhnen, leise und tief, während er mir schamlos sein Becken entgegenbog.

»Du willst spielen, Hitzkopf?«, fragte er heiser.

»Ich wusste nicht, dass es ein Spiel ist«, erwiderte ich.

»Was möchtest du denn, was es ist?«

»Bekomme ich einen Preis?«

»Wenn du willst.«

Ich zog eine Augenbraue hoch. »Welchen?«, fragte ich, als er nicht antwortete.

Er betrachtete mich einen Moment und lächelte traurig. »Kara«, sagte er sanft. »Würdest du dieses Spiel spielen, wenn … ich der Preis wäre?«

Ich riss die Augen auf. Für einen Moment wirkte alles verschwommen. Ich fühlte mich orientierungslos, und mein Herz pochte nach einem Traum, an den ich mich kaum erinnern konnte. Da war ein Schmerz in mir – ich fühlte mich traurig und … leer. Es war verwirrend. Ich blinzelte und konzentrierte mich auf meine Umgebung.

Gewölbte Holzdecke mit freiliegenden Balken. Oberlichter. Es war noch dunkel, doch ich konnte ein paar milchige Lichtstrahlen erkennen, die durch den Himmel brachen. Ich drehte den Kopf zur Seite. Die Fensterfront bot einen Blick auf den dunklen Wald.

Moment. Wo zur Hölle bin ich? Und was …

Cameron.

Gestern Abend war er mit mir zu seinem Anwesen außerhalb der Stadt gefahren. Wo er mir von einem Labyrinth erzählte und …

Ich drehte den Kopf zur anderen Seite, dorthin, wo er zum ersten Mal neben mir geschlafen hatte. Doch da war niemand.

Wo ist er?

Rasch setzte ich mich auf und stöhnte, weil mir prompt schwindelig wurde. Ich gab mir einen kurzen Moment, und als ich das Gefühl hatte, dass die Welt aufhörte zu schwanken, rutschte ich zur Bettkante und zog die Decke mit.

Ich schloss die Augen und schlug die Hände vors Gesicht.

Oh mein Gott. Ich habe letzte Nacht mit Cameron geschlafen.

Neben Cameron, stellte eine Stimme in meinem Kopf klar. Du hast neben Cameron geschlafen. Ihr habt es nicht getan.

Genau.

Ich schaute mich um. Das einzige Licht in der Hütte kam von der orangeroten Glut im Kamin, aber ich konnte sehen, wo was war. Sein Haus war modern offen gestaltet, mit mehr Platz als Möbeln. Cameron war Minimalist.

Von all diesem Grübeln und Beobachten kriegte ich Kopfschmerzen. Es war noch zu früh, um meine Gehirnzellen zu benutzen. Erst musste ich meinen …

Kaffee. Oh, bitte.

Ich stieß einen kurzen Schrei aus, da plötzlich die Haustür aufging. Für einen Moment konnte ich nur die Gestalt eines großen Mannes mit breiten Schultern erkennen. Mein Herz klopfte wie verrückt. Es erschien mir mit einem Mal seltsam, dass ich sogar im Dunkeln wusste, wer er war.

»Du bist wach.« Seine raue, tiefe Stimme. »Kaffee?«

Cameron trat ein. Ich hörte ein Klicken, dann erfüllte gedämpftes Licht die Hütte, und sein Gesicht wurde sichtbar. Unwillkürlich schnappte ich nach Luft.

Cameron Jeremiah St. Laurent war ein gefährlich gut aussehender Mann mit dem Gesicht eines Erzengels – eines gefallenen Engels. Ich konnte die Farbe seiner Augen von hier aus nicht erkennen, doch ich wusste, dass sie vom intensivsten und unheimlichsten Blau waren, das ich je gesehen hatte – die Farbe wirkte tiefer oder dunkler je nach Stimmung. Ich spürte jetzt, dass sein Blick auf mich gerichtet war und er mich aufmerksam beobachtete.

Aus irgendeinem Grund wollte er mich. Er hatte mir sogar ein Geheimnis anvertraut – ein schmerzliches Geheimnis, das er sehr lange für sich behalten hatte. Cameron war wie ein verschlossener Raum – dunkel und mysteriös. Er ließ niemanden an sich heran und schützte sein Herz mit einer wilden Entschlossenheit, die mich immer wieder zurückgestoßen hatte. Bis er gestern Abend mit mir zum Labyrinth gefahren war. Dort hatte er mir etwas erzählt, was in seiner Kindheit passiert war und sein Leben verändert hatte. Vom Tag, an dem sein Freund starb und Cameron sich die Schuld dafür gab, ihn nicht gerettet zu haben.

Es machte mich demütig, dass er sich mir anvertraute, sich mir öffnete. Ich konnte nur ahnen, wie schwer ihm das gefallen war. Und mir wurde klar, wie viel ich ihm bedeutete.

Mein Körper reagierte auf seine Nähe, auf seine intensive Präsenz, die sich unmöglich ignorieren ließ.

Er trug eine schwere Holzkiste mit Feuerholz, die er neben der Tür auf den Boden stellte. Dabei fiel mir auf, dass sein T-Shirt durchnässt war. Hatte es angefangen zu regnen?

Ich war versucht, nach draußen zu schauen, überlegte es mir jedoch anders, als ich sah, wie er sich das nasse Shirt auszog und über die Lehne eines Küchenstuhls hängte. Sein Oberkörper war lang und schlank, seine Bauchmuskeln wölbten sich definiert. Ich verspürte ein Flattern im Magen, während ich beobachtete, wie er in die kleine Küche ging. Ich fühlte mich unglaublich heftig zu ihm hingezogen. Er bewegte sich leise, selbstbewusst und mit raubtierhafter Anmut, die mich an einen Panther in der Wildnis erinnerte.

»Da ist Kaffee, wenn du möchtest. Aber du musst schon herkommen. Zu mir.«

Seine Worte lösten eine körperliche Reaktion bei mir aus. Das war die Aussicht auf den Kaffee, da war ich mir fast sicher. Mit dieser tiefen, männlichen Stimme, die nicht verbarg, wie gern er seine Hände zärtlich über meine Haut wandern lassen würde, hatte es definitiv nichts zu tun. Auch nicht mit der Vorstellung, wie sein hungriger Mund sich an meinen Lippen anfühlen würde. Nein, damit hatte es absolut nichts zu tun.

Als ich aufstand, rutschte die Decke auf den Boden. Ich bückte mich danach, um sie aufzuheben, aber er sagte: »Lass sie liegen.«

Ich schaute zu ihm hin. Er lehnte an der Arbeitsfläche und beobachtete mich.

»Willst du nicht zu mir kommen?«, fragte er sanft. »Kara?«

»Ja«, antwortete ich.

Obwohl er mich aufgefordert hatte, die Decke liegenzulassen, nahm ich sie und legte sie mir um die Schultern. Einer seiner Mundwinkel hob sich, als ob mein Trotz ihm Spaß machte – im Gegensatz zu allen anderen Leuten.

Sowie ich nah genug war, um das intensive Feuer in seinen Augen zu sehen, ihre atemberaubende Farbe, erkannte ich nicht nur Verlangen darin, sondern auch Sehnsucht.

Mein Hals war wie zugeschnürt. Ich war unfähig, noch einen weiteren Schritt zu gehen. Sein Blick löste etwas in mir aus, keinen Schmerz, sondern etwas, das mein Herz erkannte, worauf es hoffte, während ich mich gleichzeitig davor fürchtete, es näher zu erkunden. Er streckte die Hände nach mir aus, mit nach oben gedrehten Handflächen, ein stummes Flehen. Seine Augen waren auf mein Gesicht gerichtet. Er sagte kein Wort.

Wie unter einem Bann stehend, legte ich meine Hände in seine, und er zog mich an sich, während er sich gleichzeitig auf die Arbeitsfläche setzte. Er fasste mich an den Hüften, um mich noch näher an sich heranzupressen, und hielt mich zwischen seinen Beinen gefangen. Durch diese Bewegung fielen ihm die Haare seitlich ins Gesicht. Am liebsten hätte ich mit den Fingern durch seine dunklen gewellten Strähnen gestrichen. Ich wusste, wie seidig weich sie sich anfühlen würden.

In seinen Augen – so tiefblau in dem gedämpften Licht – lag ein Lächeln, während sein Mund ganz entspannt blieb. Ich war wie berauscht von ihm.

»Ich frage mich schon ziemlich lange, wie du wohl gleich nach dem Aufwachen morgens schmeckst«, flüsterte er.

Er beugte sich herunter, um mich zu küssen, aber ich hielt mir rasch die Hand vor den Mund, plötzlich unsicher. Schließlich hatte ich mir noch nicht die Zähne geputzt. Das entmutigte ihn jedoch nicht. Er küsste meine Handfläche und bewegte die Lippen sinnlich langsam zu meinem Handgelenk. Ich sog scharf die Luft ein und wich ein wenig zurück, als ich seine Zungenspitze an meiner Haut spürte. Instinktiv wollte ich mich von ihm lösen, doch er hielt mich an den Hüften fest.

»Guten Morgen, Kara.«

Ich fühlte mich überrumpelt. Wie konnte ein menschliches Wesen derartig sexy aussehen? Noch dazu so früh am Morgen? Das sollte verboten sein.

»Ah … guten Morgen«, murmelte ich in meine Hand.

Es zuckte um seine Mundwinkel. Ohne den Blickkontakt zu unterbrechen, senkte er den Kopf und küsste mich aufs Kinn.

»Du siehst aufregend aus«, sagte er. »Wollen wir das da ablegen?«

Meine Augen weiteten sich. Was ablegen? Und dann auch noch gleich nach dem Aufstehen? Jetzt? Ich meine … klar …

Er ließ meine Hüften los, umschloss meine Handgelenke und drückte mir die Hände herunter. Danach schob er die Decke von meinen Schultern. Sie fiel zu Boden, und diesmal hob ich sie nicht auf.

Ah. Er meinte die Decke. Okay.

»Du gefällst mir wirklich super in diesem Kleid.«

Es handelte sich um das hellrosa Kleid, das ich gestern getragen hatte. Ich erinnerte mich, auch eine schwarze Strumpfhose angehabt zu haben, aber die lag vermutlich zerrissen und achtlos beiseitegeworfen irgendwo auf dem Fußboden.

Meine Haut fühlte sich warm an, und ich schmiegte mich an ihn, wollte mehr von seinen Berührungen. Ehrfürchtig glitten seine Hände über meine Schultern, meine Arme und weiter nach unten, bis sie meine Oberschenkel berührten. Ich senkte die Lider, genoss den Schauer, der meinen ganzen Körper durchströmte.

Sein warmer Atem roch nach Zahnpasta mit Pfefferminzgeschmack. Als seine Nase mich unterhalb meines Kiefers streifte und er tief den Duft meiner Haut einatmete, als hätte er etwas Köstliches gerochen, schlug mein Herz schneller. Ich spürte seine Lippen an meinem Hals, dann schlossen sie sich um ein Ohrläppchen, und er biss zart zu.

Ich erschauerte und legte die Hände auf seine muskulösen Oberschenkel.

Langsam strich er an der Seite meines Oberschenkels entlang, schob eine Hand unter mein Kleid und tastete nach meinem Spitzenslip. Ich bekam weiche Knie. Cameron strahlte eine machtvolle Sinnlichkeit aus, auf die ich überhaupt nicht vorbereitet war.

»Kara, ich will …«

Ich legte ihm beide Hände auf die Brust und hätte beinah gestöhnt. Ich war mir nicht sicher, ob es wegen der Hitze seiner Haut war oder weil sie sich so weich anfühlte. Oder ob es an dem Finger lag, mit dem er mich streichelte, ganz nah der Stelle, an der ich noch immer empfindlich und geschwollen war. Vielleicht war auch alles zusammen der Grund. Ich rieb meine Schenkel aneinander, sodass seine Hand dazwischen gefangen war. Sein Lachen klang tief, heiser und vertraut.

Ich legte mein Kinn auf seine Schulter, um wieder zu Atem zu kommen. Ich war nicht in der Lage, zu verarbeiten, was ich empfand. Es war eine wundervolle Attacke auf meine Sinne, und das Gefühl war noch immer neu, auch nach dem, was wir in der vergangenen Nacht getan hatten.

»Ich liebe es, wenn du das tust.«

»Was?«, hauchte ich.

»Wenn du dich so überwältigt an mich lehnst«, sagte er. »Als würdest du mir komplett vertrauen.« Mit aufreizender Langsamkeit ließ er seinen Finger über die Spitze meines Slips gleiten, zupfend, kreisend. Ich schloss die Augen und unterdrückte ein Stöhnen. »So … unschuldig.«

Jemandem wie Cameron war ich nie zuvor begegnet. Er war so ungehemmt, so sinnlich und so eindeutig, was seine Begierden betraf. Auf was hatte ich mich da bloß eingelassen?

Ich wollte ihn. Und ich war mir sicher, ihm gewachsen zu sein … vorausgesetzt, ich war vorbereitet. Wenn mein Kopf nicht voller zartfaseriger Wolken war und ich nicht so nervös war. Es war eine ganz neue Erfahrung, dieses enorme Verlangen nach ihm. Es fühlte sich gut an, so gut, und so wichtig. Es machte mir ein wenig Angst, als müsste ich meine Gedanken sorgfältig sammeln, einen nach dem anderen. Entweder das oder verrückt werden. Daher wich ich zurück.

»Kaffee«, krächzte ich. »Bitte.«

Er grinste wissend, löste sich von mir und öffnete einen Schrank. Ich beobachtete das Spiel seiner Rückenmuskeln, während er einen Becher herausholte, der groß wie eine Schale war, und schwarzen Kaffee aus der Kanne hineingoss.

Er drehte sich um und hielt mir den Becher hin. »Möchtest du?« Der aufsteigende Dampf sah verlockend aus.

Mein Blick wanderte für einen Moment zu seinen Brustmuskeln und dem schmalen Pfad aus dunklen Haaren auf seinem straffen Bauch, ehe ich ihm wieder in die blauen Augen schaute. Sein Körper war unglaublich. Er zog eine Braue hoch. »Gefällt dir die Aussicht?«, neckte er mich.

Ich biss mir auf die Unterlippe und ignorierte die Schmetterlinge in meinem Bauch. Ich kräuselte die Nase, schnappte mir den Becher, pustete und trank. Zuerst trank ich einfach nur, ohne mich auf den Geschmack einzulassen, da ich erst einmal die Wirkung brauchte. Doch als ich das Aroma wahrnahm, wäre ich beinah auf die Knie gesunken. Der Kaffee war wirklich, wirklich gut. Ich trank weiter, bis ich das ganze Ding fast geleert hatte. Ich bekam einen klaren Kopf und fühlte mich sofort besser.

Sowie ich von dem Becher aufschaute, lehnte Cameron wieder an der Arbeitsfläche mir gegenüber, ein geheimnisvolles Lächeln auf den sinnlichen Lippen.

»Mehr?«, fragte er.

Definitiv mehr. »Mehr. Der ist richtig gut.«

»Wie gut?«

Er trat näher. So nah, bis ich ihn riechen konnte. Einen blauen Duft – ich weiß, es ist albern, es so zu nennen, aber die Umschreibung kam mir nun einmal in den Sinn. Ozeanblau – frisch, kühl, erotisch. Berauschend. Süchtig machend.

Er schenkte mir nach und stellte die Kaffeekanne zurück auf die Heizplatte. Dann nahm er mir den Becher aus der Hand und trank gemächlich, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen.

Unwillkürlich öffneten sich meine Lippen. Sein Blick glitt zu meinem Mund, und seine markanten Züge spannten sich an, bevor er mir wieder in die Augen schaute. Wortlos reichte er mir den Becher zurück und machte einen Schritt zur Seite, sodass erneut ein Abstand zwischen uns entstand. Er lehnte sich wieder an die Arbeitsfläche und verschränkte die Arme.

Ich atmete heftig aus. Mann, ich werde nicht fertig mit ihm.

»Wie …«, ich räusperte mich, »… spät ist es?«

Statt mir zu antworten, deutete er mit einer Kopfbewegung zur Uhr an der Wand. Es war Viertel nach fünf morgens.

»Wann bist du aufgewacht?«

»Um vier«, antwortete er.

Ich war nicht überrascht. Er sah aus wie ein Mann, der seinen Tag früh begann. Ich trank einen weiteren Schluck Kaffee. »Hast du gut geschlafen?«

Sein Blick verdunkelte sich. »Was denkst du?«, flüsterte er.

Ich kann nicht denken.

Und wenn ich nicht denken konnte, verspürte mein Mund das Bedürfnis, vom Thema abzuweichen.

»Was gibt’s denn zum Frühstück?«

Wieder starrte er auf meine Lippen. »Was immer du willst.«

Ich schluckte hörbar. »Oh Gott, Cam.« Ich holte tief Luft. »Mach mal langsam, ja? Ich kann da gar nicht mithalten.«

Er war wie ein Feuer, das mich verzehren würde, wenn es mich erwischte.

Erst stutzte er, dann schien er zu verstehen. Er machte den Mund auf, um etwas zu sagen, doch ich kam ihm zuvor. »Schsch. Stell mir keine weiteren Fragen am Morgen. Mein Hirn bringt keine mehrsilbigen Worte zustande, bevor ich nicht zwei Becher davon intus habe.« Ich schwenkte den Kaffeebecher. »Okay?«

Er grinste frech. »Wir haben nur Toast und Eier. Ich kann uns etwas holen, wenn du möchtest.«

»Toast ist mir recht«, erwiderte ich. »Toast zum Frühstück ist großartig. Und zieh dir ein T-Shirt an.«

Ich kann nicht glauben, dass ich ihm sage, er soll sich anziehen.

Zu jeder anderen Zeit hätte ich es genossen, Cameron mit freiem Oberkörper zu betrachten, aber ich befand mich in einer Art Alarmzustand, der dringend Selbstbeherrschung erforderte. Dass Cameron seinen Körper zur Schau stellte, war nicht hilfreich. Außergewöhnliche Situationen verlangten nach außergewöhnlichen Maßnahmen.

»Nur das?«

»Eine Jacke wäre für alle Fälle auch noch gut.«

Er lachte leise. »Ich meinte, nur Toast?«

»Nur einen.«

»Zwei«, entgegnete er.

»Einen.«

Wieder zuckte dieses schiefe Lächeln um seine Lippen, dann wandte er sich ab. Meine Bitte wegen des T-Shirts ignorierte er.

»Wir brechen bald auf«, erklärte er. »Ich würde dich gern nach Hause fahren und später abholen.«

Ich schüttelte den Kopf, obwohl er mir den nackten Rücken zugedreht hatte. »Zuerst möchte ich meinen Wagen vom Hof abholen. Glaubst du, wir schaffen es, bevor jemand zur Arbeit kommt?«

Er drehte sich um, einen Teller mit zwei Scheiben Toast in der Hand.

»Ich will mich bei der Arbeit nicht schämen müssen«, fügte ich hinzu und nahm den Teller von ihm entgegen.

Er erstarrte.

»Denkst du so über das, was wir letzte Nacht getan haben?« Seine Stimme war kalt, seine Miene verhärtet. »Dass es etwas ist, wofür man sich schämen müsste?«

»So habe ich das nicht gemeint, und das weißt du.«

Er kniff die Augen zusammen. »Tue ich das?«

Wie hatte das Gespräch nur an diesem Punkt landen können? Wir hatten doch gerade noch Spaß gehabt. Doch seine Haltung verriet mir, dass es damit fürs Erste vorbei war. Wer auch immer behauptete, Beziehungen seien einfach, war einer Wahnvorstellung erlegen. Beziehungen bedeuteten harte Arbeit und waren zum Haareraufen – die eigenen und die des Partners.

»Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll, wenn du so bist. Rede mit mir.« Ich stellte den Teller auf die Arbeitsfläche hinter mir und fuhr mir frustriert durch die Haare. »Schließ mich nicht aus. Nicht nach der vergangenen Nacht.«

Die Kälte verschwand aus seinen Augen. »Tut mir leid«, sagte er harsch. »Ich …«

»Was?«

Er hatte mir schon erklärt, dass er sich schwertat, etwas in Worte zu fassen, und jetzt sah ich, wie er darum rang, die richtige Formulierung zu finden.

»Ich will dich«, meinte er sanft. »Ich will mit dir zusammen sein.« Plötzlich schloss er die Augen. »Tut mir leid. Es ist vielleicht nicht das, was du morgens früh als Erstes hören willst, aber … verdammt.«

Er strich sich übers Gesicht. »Ich würde dich gern sehen«, fuhr er fort, mit leiser, emotionsgeladener Stimme. »Hier. Morgens. In meinem Bett, in meiner Küche, Kaffee trinkend. Mit mir. Und ich weiß nicht … ob du mich noch willst. Nach der vergangenen Nacht.«

»Cameron.« Meine Stimme klang brüchig, doch das war mir egal. Ich hätte nicht aufhören können, selbst wenn ich es gewollt hätte. Ich ging zu ihm. Er breitete die Arme aus.

»Natürlich will ich dich«, murmelte ich nah an seiner Haut und schlang die Arme um ihn. »Ich will auch mit dir zusammen sein, und ich gehe nirgendwohin. Ganz besonders nicht nach der vergangenen Nacht.«

Der Nacht, in der er mir erzählt hatte, was in dem Labyrinth geschah, in dem ein hilfloser Junge gestorben war. Der Nacht, in der er mich in seine Hütte getragen hatte, wo wir Dinge taten, die mich immer noch erregten, sobald ich nur daran dachte.

Er küsste mich auf den Scheitel, seufzte erleichtert und streichelte zärtlich meinen Rücken. Ich konnte spüren, wie seine Anspannung nachließ. Wir blieben eine Weile so und genossen die Nähe des anderen. Ich fühlte eine Veränderung in unserer Beziehung, als sei die Bindung tiefer geworden. Ich löste mich ein wenig, um ihm ins Gesicht zu schauen.

»Kara.«

Er wirkte stets so selbstbewusst, dass ich manchmal vergaß, dass auch er Unsicherheiten kannte. Ich hätte nie gedacht, dass er meinetwegen unsicher sein könnte. Ich dachte, meine Gefühle für ihn wären offensichtlich, und er wüsste genau, wie viel ich für ihn empfand. Allerdings war mir auch klar, wie verletzlich er sich nach all den Dingen fühlen musste, die er mir gestern Abend erzählt hatte.

»Die vergangene Nacht war etwas Besonderes für mich. Ich will nicht alle bei der Arbeit über mein Privatleben in Kenntnis setzen. Es ist meine Sache, ob ich etwas erzähle oder für mich behalte«, erklärte ich. »Ich habe so etwas noch nie gemacht, Cameron. Letzte Nacht war das erste Mal …«

Er entspannte sich sichtlich.

»Außerdem will ich wirklich nicht, dass sie erfahren, was wir gestern Abend vorhatten«, fügte ich hinzu.

Ein belustigtes Glitzern trat in seine Augen. »Was wir gestern Abend vorhatten?«

Seine Stimmung veränderte sich so schnell. Schon flirtete und lächelte er wieder.

Vielleicht war er mir ja gar nicht so unähnlich. Er rechnete immer mit dem Schlimmsten und wappnete sich dafür. Und wenn jemand einem wichtig war, dann legte man nun mal jede Äußerung dieser Person auf die Goldwaage. Jedes Wort war bedeutungsvoll, deshalb konnte schon eine achtlose Bemerkung oder ein Scherz zutiefst kränkend sein.

Wenn man jemanden nicht verlieren will, achtet man darauf, dass das, was man sagt, nicht falsch und verletzend interpretiert werden kann. Der beste Weg, Missverständnisse aus dem Weg zu räumen, war, miteinander zu reden. Und ich war froh, dass Cameron und ich nun genau das taten.

Sanft befreite ich mich aus seiner Umarmung, um mir eine Scheibe Toast zu nehmen. »Bleibt mir noch Zeit zum Duschen?«, fragte ich kauend. »Ich muss vor neun zu Hause sein.«

»Wir haben noch genug Zeit, aber wenn du nicht willst, dass die Leute zum Hof kommen und dich sehen, solltest du deinen Hintern schleunigst unter die Dusche schwingen.« Er hob die Decke vom Boden auf, faltete sie zusammen und legte sie auf die Küchenarbeitsfläche.

»Ich habe nichts zum Anziehen, aber ich glaube, dieses Kleid könnte gebügelt werden. Hast du eines?«

»Ein Kleid? Nein.«

»Zu schade, du würdest toll darin aussehen«, erwiderte ich. »Komm schon, du Genie. Hast du ein Bügeleisen?«

»Na klar, genau wie Nagellack.«

Ich mochte ihn. Ich mochte ihn wirklich sehr. »Ich kann anscheinend gar nicht aufhören zu grinsen.«

»Gut.« Auch er grinste. »Ich brauche mehr Zeit mit dir. Sehen wir uns heute Abend?«

Ich dachte daran, dass mein Vater Hilfe beim Streichen der Turnhalle brauchte. »Ich kann nicht.«

Seine Miene verdüsterte sich. »Warum nicht?«

Er hörte sich an wie ein Junge, der seine Lieblingsbonbons im Laden nicht bekam.

»Weil du heute zwar keine Vorlesung hast, ich aber schon. Außerdem habe ich heute Abend Bereitschaft, doch wenn sich keiner meldet, wollte ich meinem Dad dabei helfen, die Turnhalle der Gemeinde zu streichen.«

»Er streicht die Turnhalle?«

»Sein Freund hat ihn darum gebeten, und er wird dafür bezahlt.«

»Arbeitet dein Dad nicht in eurer Werkstatt?«

»Stimmt, aber wir nehmen hier und da andere Jobs an, wenn es sich ergibt.«

Einen Moment schwieg er. »Ist es so schwer?«, erkundigte er sich dann.

Nun war ich diejenige mit der finsteren Miene. Sofort erwachte in mir die Verteidigungsbereitschaft, eine vertraute Reaktion, wenn es um die finanzielle Situation meiner Familie ging. Als Kind musste ich mir oft anhören, wie meine Onkel und Tanten meinem Vater wegen Geld zusetzten oder hinter seinem Rücken über ihn redeten, ob er überhaupt in der Lage wäre, zwei Kinder zu versorgen, nachdem seine Frau mit einem anderen durchgebrannt war. Ehe ich etwas sagen konnte, kam Cameron mir zuvor.

»Ich frage, weil ich nicht will, dass du dich verausgabst. Ich würde gern helfen.«

»Schon gut, wir kommen zurecht. Es sollte sich auch bald etwas ändern. Sobald ich die restlichen Anteile der Werkstatt gekauft habe, wird es uns besser gehen. Das weiß ich.«

»Ich bin hier, falls du mich brauchst.«

Ich lächelte. »Darüber bin ich auch froh.«

»Wann kann ich dich wiedersehen?«

Mein Lächeln wurde breiter. Ich nahm den zweiten Toast vom Teller und aß, damit er meine Reaktion nicht bemerkte. Es fiel mir schwer, ein Pokerface zu machen, wenn ich dermaßen glücklich war. Er gab mir das Gefühl, als könnte er nicht genug von mir kriegen. Dass Cameron mich so sehr begehrte, war einfach nur umwerfend.

»Ich hole dich morgen früh zum College ab.« Ich schob mir das letzte Stück Toast in den Mund. Und ehe er widersprechen konnte, fügte ich hinzu: »Und nein, biete mir nicht an, mich abzuholen. Diesmal bin ich an der Reihe. Keine Widerrede.«

»Mir gefällt es, wenn meine Frau in dieser Stimmung ist. Das ist aufregend. Möchtest du noch mehr Toast?«

Meine Frau. War ich jetzt Camerons Frau? Ein warmes Gefühl breitete sich in mir aus.

»Ich bin satt. Danke für das Frühstück.« Ich trank noch einen Schluck Kaffee, um alles herunterzuspülen. Schließlich hatte ich zwei Scheiben Toast gegessen. »Du musst ohnehin heute auf der Baustelle arbeiten und hast also zu tun.«

»Ich kann mich krankmelden. Wenn du hier bei mir bleibst, wirst du eine gute Zeit haben, das verspreche ich dir.«

Ich verdrehte die Augen. »Okay, Bigfoot, schalte mal einen Gang runter.«

»Warum kommst du nicht her und schaltest für mich runter?«

Ich kniff die Augen zusammen. »Mach das selbst.«

»Nein, du tust es.«

»Ich schalte runter, wenn du runterschaltest«, konterte ich und begab mich auf die andere Seite der Kochinsel, um außer Reichweite zu sein. Nur für alle Fälle. »Warum schaltest du nicht jetzt runter?«, neckte ich ihn.

Er schüttelte nur den Kopf über mich. »Los, komm her. Gib mir den Teller. Ich muss abwaschen.«

»Glaubst du wirklich, der Trick funktioniert bei mir? Ich bin schlauer und gebe dir gar nichts. Mir gefällt es ganz gut hier drüben.«

Er gab sich desinteressiert und wusch das Geschirr in der Spüle ab. Als er damit fertig war, drehte er sich um und wollte den Teller von der Kochinsel nehmen. Zu spät erkannte ich das Funkeln in seinen Augen.

Seine Hand schoss so schnell vor, dass ich einen Schrei ausstieß und zurücksprang. Leider hatte ich vergessen, wie lang seine Arme waren. Seine Finger schlossen sich um mein Handgelenk, und ich quietschte und lachte gleichzeitig, während ich mich zu befreien versuchte.

Er grinste wie ein Wolf, gab mein Handgelenk natürlich nicht frei und kam auf meine Seite.

»Hab dich«, flüsterte er mir ins Ohr, schlang die Arme um mich und küsste mich.

Wir hörten erst auf, als der Wecker klingelte.

Er setzte mich beim Hof ab, bevor irgendwer von den anderen dort war. Wir flüsterten und schlichen auf Zehenspitzen und lachten vorsichtshalber so leise wir konnten. Ich muss zugeben, es hatte etwas Spannendes, ein heimliches Liebespaar zu sein – und wir hatten ja auch etwas zu schützen.

Es gab jetzt ein Wir.

Obwohl ich protestierte, folgte er mir auf der Heimfahrt in seinem Pick-up. Ich konnte spüren, dass auch er sich noch nicht trennen wollte und jede Chance des Zusammenseins nutzte. Nachdem ich meinen Wagen auf dem Parkplatz der Werkstatt abgestellt hatte, gab ich Cameron noch rasch einen Kuss und scheuchte ihn danach weg.

Ich hörte den Kies hinter mir knirschen und Sehnsucht erfüllte mich, während ich ihn davonfahren sah. Er fehlte mir bereits.

Ich ging zum Haus, das hinter der Werkstatt lag, nahm den Schlüssel aus der Handtasche und schob ihn ins Schloss. Die vergangene Nacht kam mir vor wie eine Fantasie. Die baufällige Villa, das Labyrinth, das Geständnis. Cameron.

Ich hatte nach wie vor so viele Fragen, und ich wollte immer noch so vieles über ihn wissen. Mir war klar, dass ich kaum an der Oberfläche gekratzt hatte. Er sah glücklich aus, doch in seinen Augen war eine Düsternis, die er heute Morgen vor mir zu verbergen versucht hatte.

Ich zögerte und holte tief Luft. Ich kann es nicht erwarten, ihn morgen früh wiederzusehen. Doch zunächst hieß es: zurück in die Realität.

Ich drehte den Schlüssel im Schloss.

Kara

»Guten Morgen!«, rief ich, während ich die Haustür öffnete. Noch spürte ich den heißen, hungrigen Kuss auf den Lippen, den Cameron mir vor zwei Minuten gegeben hatte, ehe er davonfuhr.

Schon bevor ich sie sah, hörte ich meinen Dad und Dylan an der Kücheninsel frühstücken.

»Morgen, Mädchen. Wie war die Arbeit?«

Ich ließ mir Zeit, meine Sachen wegzuräumen – hängte erst die Handtasche, dann den Mantel in den Schrank, stellte die Schuhe ordentlich ins Schuhregal, legte den Schlüssel in die Schale. Meine Handflächen schwitzten. Ich wischte sie am Kleid ab und erschrak, als ich sah, wie zerknittert es war. Rasch nahm ich den Mantel wieder aus dem Schrank und zog ihn an.

»Bei der Arbeit war es gut«, rief ich.

Mir war klar, dass Dad sich nach meiner Nachtschicht erkundigte, doch technisch gesehen hatte ich gestern nur im Hof gearbeitet. Er wusste nicht, dass ich die Nacht mit Cameron verbracht hatte.

»Gut. Klasse«, fügte ich hinzu.

Ich verhielt mich ganz natürlich. Absolut. Die würden nicht merken, dass ich ihnen etwas verheimlichte. Ich konnte gut lügen. Wahrscheinlich könnte ich sogar einen Lügendetektor überlisten.

»Die Arbeit hat mir gestern Spaß gemacht.« Zum letzten Mal, nur sicherheitshalber. Mir war klar, dass sie es mir abkaufen würden.

Ich gab ihnen nicht die Gelegenheit zu weiteren Fragen und lief schnurstracks in mein Zimmer.

Warum zur Hölle bin ich dermaßen nervös?

Ich war auch vorher hin und wieder die ganze Nacht unterwegs gewesen – manchmal wegen der Arbeit oder weil ich bei Freunden war. Ich sollte mich kein bisschen schuldig fühlen, sagte ich mir, während ich mich auszog. Mir fiel auf, dass meine Haare noch ein wenig feucht waren vom Duschen bei Cameron. Ich schlüpfte in meine Jeans und zog ein Kapuzenshirt über. Mein Dad hatte mir nicht mal das mit den Blumen und Bienen erklärt. Ich redete mir gern ein, dass das einfach nicht notwendig gewesen war … seit meiner Geburt. Nicht mal dann, als meine Familie anfing, Dates für mich zu arrangieren.

Mein Dad wusste, dass ich ein verantwortungsvoller Mensch war, und ich konnte über beinah alles mit ihm reden. Was also war diesmal anders?

Diesmal zählte es, erkannte ich, während ich mir die Zähne putzte und meine rosigen Wangen im Spiegel betrachtete. Diesmal bedeutete es sehr viel. Das war neu, daher wollte ich nicht leichtsinnig sein und mich falsch verhalten. Was soll ich tun?

Noch gar nichts, beschloss ich und trug Mascara und Lipgloss auf. Kommt Zeit, kommt Rat. Als ich wieder aus meinem Zimmer kam, brachte Dad gerade seinen Teller zur Spüle.

»Muss die Werkstatt aufmachen«, sagte er, sowie er mich sah. »Leg dich hin, Kara. Du bist sicher müde von der Arbeit. Ich habe dir Pizza aufgehoben, sie steht im Kühlschrank.«

Erneut meldeten sich die Schuldgefühle. Eigentlich hätte ich gestern Abend Pizza mit ihnen essen sollen. »Ich kann heute helfen«, bot ich an.

»Aber nicht nach der letzten Nacht.«

Ich schluckte hörbar. »Letzte Nacht?«

Bildete ich mir das nur ein, oder zuckte Dad zusammen?

»Du musst erschöpft sein von der Arbeit. Ich habe Charity gestern Abend gefragt, ob sie heute aushelfen kann.« Er wirkte abgelenkt. »Schlaf ein bisschen«, fügte er hinzu.

Moment mal … mein Dad kannte viele Leute in der Gegend. Würde er als Bürgermeister kandidieren, würde er vermutlich die Wahl gewinnen. Was, wenn einer seiner Freunde mich gesehen und ihm erzählt hatte, wo ich gestern Abend gewesen war?

Dies war einer der Gründe, weshalb ich nicht wollte, dass jemand von mir und Cameron wusste. Ich hatte keine Ahnung, wie ich es meinem Vater gegenüber zur Sprache bringen sollte. Ich hatte keinen Schimmer, wie er reagieren würde. Meine Familie war immer der Mittelpunkt meines Lebens gewesen, und nun … tauchte plötzlich etwas Unerwartetes auf.

Bislang hatte jeder seinen angestammten Platz in meinem Leben, wie bei einem großen Puzzle. Ich wusste genau, wer wo hingehörte. Und plötzlich war da Cameron. Groß, dreist und mit dieser enormen Ausstrahlung. Er passte zu keinem der alten Puzzleteile, und trotzdem schien das Bild ohne ihn unfertig zu sein.

Ich musste einfach nur herausfinden, wo sein Platz war. Alles würde gut werden.

Hilflos sah ich dabei zu, wie mein Dad seine Jacke und die Schlüssel nahm, sein Cap aufsetzte und die Haustür aufmachte. Am liebsten hätte ich ihn zurückgerufen. Aber was dann? Alles erzählen? Nachdem die Haustür ins Schloss gefallen war, stieß ich einen Seufzer aus.

War ich paranoid oder benahm mein Dad sich komisch? Ich schaute Dylan an. Auch er hatte nichts gesagt. Er trank seinen Saft aus und trug seinen Teller zur Spüle. Seine blonden Haare waren an der einen Seite platt, seine Wangen blass.

»Alles in Ordnung mit dir, Dyl?«

»Ja, Kar, nur müde, weißt du?«

»Ich mach den Abwasch«, bot ich an. Er war an der Reihe, aber ich fühlte mich schuldig und wollte deshalb großzügig sein. »Mach dich für die Schule fertig.«

»Wirklich?«

»Jap.«

Ich hielt den Schwamm unter den Wasserstrahl, drückte Spülmittel aus der Flasche darauf und rümpfte die Nase, da scharfer Zitronenduft die Luft erfüllte. Und erstarrte.

Am Glas war ein pinkfarbener Fleck. Ich schaute genauer hin. Es handelte sich definitiv um Lippenstift. Mein Dad hatte erzählt, er habe gestern Abend mit Charity gesprochen. Dann musste sie hier gewesen sein. Ich dachte nicht weiter darüber nach, sondern widmete mich der Arbeit. Und dachte den ganzen Tag an Cameron.

Cameron

Ich wartete am nächsten Tag auf meiner Veranda auf sie.

Es regnete wieder. Hatte es nicht auch geregnet, als sie mich das erste Mal abgeholt hatte?

Ich blickte zum Himmel hoch und schaute dem Regen zu, der jetzt dichter fiel und auf den Beton und das Gras prasselte. Ich konnte es riechen – nass, sauber und erdig. Konnte den Regen auf meinem Gesicht spüren. Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, drinnen zu warten, aber jedes Mal, wenn ich einen Wagen vorbeifahren hörte, schlug mein Herz schneller und ich spähte aus dem Fenster.

Diese verdammten blöden Autos.

Ich war selbst blöd.

Also ging ich nach draußen, um dort auf sie zu warten. Ich kam mir vor wie ein Kind, das ungeduldig darauf wartet, sein Weihnachtsgeschenk zu öffnen.

Weihnachten. Ich schnaubte verächtlich und versank in den düsteren Gedanken.

Als wüsste ich irgendwas über Weihnachten. Als hätte ich in der Kindheit jemals Weihnachtsgeschenke bekommen. Ich konnte mich schon glücklich schätzen, wenn ich während der Feiertage allein war, wie es üblicherweise der Fall war. Mein Dad und Raven feierten Weihnachten, indem sie sich total betranken. Getrennt. Und meistens mit jemand anderem im Bett.

Früher hatte mich das nicht weiter beschäftigt – wie ich aufgewachsen war. Doch Kara brachte mich dazu, mir auszumalen, wie Weihnachten eigentlich sein sollte. Wie es wohl für sie gewesen war. Ich stellte mir ein kleines Mädchen mit dunkelbraunen Zöpfen und schiefer Brille vor, das ins Wohnzimmer stürmte, um seine Geschenke aufzumachen. Ungeduldig, begierig, aufgeregt. Inmitten einer Familie, die sie liebte.

Und dann das Bild eines traurigen, bemitleidenswerten Jungen, der allein im leeren Wohnzimmer stand. Hungrig, einsam, wütend. Vergessen.

Etwas zog sich in meiner Brust zusammen. Mir wurde klar, wie verschieden wir waren. Und dass ich kein Recht hatte, mit ihr zusammen zu sein, weil sie etwas Besseres verdiente. Eines Tages würden diese Unterschiede uns ohnehin auseinanderbringen. Ich dachte daran, dass die Menschen, denen ich nah sein wollte, mich stets verlassen hatten, mit Ausnahme sehr weniger Leute.

Ich wollte, dass sie blieb. Wollte es so sehr.

Ich schaute auf meine Uhr: 7:59.

Verdammt noch mal, wann kommt sie?

Langsam breitete sich ein Grinsen auf meinem Gesicht aus, als ich einen Wagen dreist Gas geben hörte, dann den brummenden Motor, als dieser Wagen in meine Auffahrt einbog. Da war sie, ließ das Seitenfenster ein Stück herunter und sah lächelnd in meine Richtung.

Sämtliche dunklen Gedanken waren verschwunden.

»Guten Morgen, Bigfoot«, rief sie.

Ich sprach kein Wort. Ich konnte nicht. Ich ging zu ihrem Wagen, stieg ein und warf unsere Rucksäcke auf den Rücksitz. Und schaute Kara einfach nur an.

In ihren Augen lag ein Funkeln, das sagte: Ich werde dich in Schwierigkeiten bringen.

Hitzkopf, dachte ich, ich stecke längst in Schwierigkeiten.

Ihre Augen waren heute eher hellgrün als braun, wie die Blätter der Bäume im Sonnenlicht. Sie trug meinen Pullover – es war der, den ich ihr angeboten hatte, als sie mich zum ersten Mal abholte. Ich dachte daran, ihn hochzuschieben und Zentimeter für Zentimeter ihres nackten Bauchs zu entblößen. Sie zu necken, an ihrer Haut zu saugen und pinkfarbene Knutschflecke zu hinterlassen, bis sie um mehr flehte.

Oder bis ich um mehr bettelte.

Die ganze Sache hatte etwas Frustrierendes. Nicht ihretwegen, ganz bestimmt nicht. Aber meinetwegen. Ich konnte mich einfach nicht darauf einlassen, sosehr ich es auch wollte. Was zur Hölle hielt mich denn auf?

»Frühstück?«, fragte ich.

»Was ist mit dir?«

»Ah, verstehe. Du willst also mich zum Frühstück?«, neckte ich sie.

Erst wirkte sie überrascht, dann lächelte sie. »Du bist aber leicht zu haben. Okay, spring auf einen Teller, dann verspeise ich dich.«

Ich lachte. Wow, ich hatte sie vermisst.

»Ich trage deinen Pullover.« Sie hob die Hände in die Höhe und präsentierte meinen Pullover, als handele es sich um einen Preis.

»Ich weiß«, erwiderte ich. »Steht dir gut.«

Noch besser siehst du allerdings ohne aus.

»Was hast du gestern Abend gemacht?«, erkundigte sie sich.

Sie würde vermutlich rot werden, wenn ich ihr erzählte, was ich gestern Abend gemacht hatte. Ein Bild von ihr in meinem Kopf hatte dazugehört. Und meine Hand.

Sie neigte den Kopf zur Seite. »Komm schon, verrate es mir.«

Ich würde es dir lieber zeigen.

Ich streckte eine Hand nach ihr aus, weil es unerträglich war, das nicht zu tun. Ich griff in ihre weichen Haare, atmete den Pfirsichduft ein und ließ meine Finger zu ihrem Hals gleiten. Sie schloss die Augen und bot mir ihre Lippen.

Eine Weile hielt ich sie so und verschlang sie mit meinen Blicken. Mit einem zärtlichen Kuss auf ihren Hals bereitete ich uns beiden süße Qualen, dann küsste ich mich abwärts, bis ihr Pullover mich aufhielt.

Ich wünschte, ich könnte sie auspacken wie ein Geschenk.

»Küss mich«, forderte sie mich leise auf.

Es gab nichts, was ich lieber wollte, doch in diesem Moment wurde mir klar, dass sie dieses brennende Begehren spüren sollte. Sie sollte sich nach mir verzehren, wie ich mich nach ihr verzehrte. Vielleicht würde sie mich für sehr lange begehren, wenn das Feuer, das ich in ihr entfachte, nur heftig genug loderte. Vielleicht würde sie bleiben.

Nach all den dunklen Gedanken in meinem Kopf sollte sie mir zeigen, wie sehr sie mich wollte. Um mich zu beruhigen und meine Dämonen zu verjagen. Das hatte ich noch nie von jemandem gebraucht oder je darum gebeten. Bei ihr sehnte ich mich zutiefst danach.

Möglicherweise war das ein Kampf, den ich nur verlieren konnte; vielleicht war es rücksichtslos von mir oder einfach falsch, allerdings hielt mich das nicht auf. Ich suchte nach einem Weg, das zu bekommen, wonach ich mich sehnte. Nur Kara konnte es mir geben. Niemand sonst. Ich wollte niemanden sonst.

»Später«, sagte ich. Meine Stimme klang heiser. Ich fragte mich, ob Kara verstanden hatte.

Sie hob die Lider. »Was?«

Ich saugte an meiner Unterlippe, drehte den Sitz tiefer und faltete die Hände hinter meinem Kopf. Dann schloss ich die Augen und zwang mich, entspannt zu wirken.

Innerlich brannte ich lichterloh.

Die ganze Fahrt zum Campus ignorierte sie mich. Sie setzte ein Pokerface auf, aber nicht sehr erfolgreich. Ihre Augen blitzten, vor Ärger, Begierde … und Erregung. Sie vibrierte praktisch. Irgendwie wusste ich, dass sie das genoss. Ich hörte förmlich, wie ihr Verstand arbeitete, während sie sich einen Racheplan für mich ausdachte.

Sie war eine Frau, die mich mit gar nichts durchkommen ließ. Das fand ich aufregend. Und es machte mir ein wenig Angst. Als ich sie das letzte Mal verärgert hatte, spritzte sie mir schlammiges Wasser ins Gesicht. Was würde sie diesmal tun?

Als sie den Wagen parkte, hatte der Regen aufgehört. Das laute Zuschlagen ihrer Fahrertür hallte auf dem Parkplatz. Sie ging voran und drehte nicht einmal den Kopf zu mir. Ich musste mir ein Grinsen verkneifen.

»Redest du nicht mit mir?«, fragte ich.

Sie lief unbeirrt weiter. Ich biss mir in die Fingerknöchel und stellte mir vor, wie ich stattdessen an ihrer Unterlippe knabberte.

»Hey, Kara!«

Sie drehte sich um.

»Hey, Lockhart«, rief sie strahlend.

Warum zum Teufel strahlte sie?

Caleb lief plötzlich neben ihr her und plapperte wie ein Wasserfall. Dann lachte sie über etwas, was er gesagt hatte.

Nie und nimmer.

Ich wusste mehr als jeder andere, dass Caleb es nicht tun würde. Ich schenkte niemandem leichtfertig mein Vertrauen, doch Caleb hatte es. Ich war nur … irritiert davon, wie unbeschwert es zwischen den beiden lief. Es lag allein an mir, aber es gefiel mir nicht, wie sie jemandem Beachtung schenkte oder mit irgendwem lachte, während sie mich ignorierte. Noch weniger mochte ich das besitzergreifende Gefühl, das mich ergriff, als ich die beiden zusammen sah. Doch es war nun mal da.

Ich blieb unvermittelt stehen und wartete darauf, dass es wieder verschwand. Tat es aber nicht.

Ich starrte auf ihre Rücken und schloss dann zu ihnen auf, drängte mich zwischen sie und stieß Caleb zur Seite.

Grinsend hob er die Hände. »Hey, Großer. Du kannst mich unmöglich übersehen haben.«

Kara lachte.

»Was hast du ihm denn in letzter Zeit zu essen gegeben, Kar?«

»Kar«, wiederholte ich misstrauisch.

Ich sah sie an. Sie zwinkerte Caleb zu und schenkte ihm ein süßes Lächeln.

Okay …

»Bis später, Kar

Ich wirbelte herum, um Caleb den Mittelfinger zu zeigen, aber er rannte bereits den Flur entlang und zwinkerte ihr ebenfalls zu, um es mir unter die Nase zu reiben. Die beiden schienen sich wirklich nähergekommen zu sein, während ich weg gewesen war. Beide wussten, wie sie mich auf die Palme bringen konnten.

»Reiz ihn nicht unnötig«, warnte ich sie. »Ich bringe dich zu deinem Seminar.«

»Sagt wer?«, fuhr sie mich an.

»Ich sage das. Glaubst du, er ist der einzige Spinner, der hier herumläuft?« Meine Stimme klang schroffer als beabsichtigt.

Plötzlich blieb sie mitten auf dem Gang stehen und musterte mich langsam von Kopf bis Fuß. »Du bist der Spinner.« Sie warf die Haare über die Schulter zurück. »Geh weg, Spinner. Hast du nicht irgendwelchen Spinnerkram zu tun?«

Und damit verschwand sie im Hörsaal und warf mir die Tür vor der Nase zu.

Die Vorlesung war nervig. Der Saal war voller Studenten, und ich musste mich zusammenreißen, um nicht einfach aufzustehen und rauszugehen. Ich mochte Menschenansammlungen nicht. Ganz besonders mochte ich es nicht, in einem Raum mit Leuten festzustecken, die nach kaltem Zigarettenrauch und den verschiedensten Parfums rochen und mir auf die Pelle rückten. Ich wünschte einen Tornado herbei, einen Kometeneinschlag, eine Alien-Invasion. Alles, nur das nicht.

Der Professor leierte endlos etwas über ethisches Verhalten. Ich blendete seine Stimme aus und dachte an eine Frau mit einem ziemlich frechen Mundwerk. Spinner, dachte ich und lachte leise in mich hinein.

»Was ist so lustig?«, flüsterte Caleb neben mir, der dem Professor offenbar auch nicht zuhörte. Er beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf die Knie. Er schrieb eine Nachricht, das Handy hinter dem Sitz vor ihm versteckend.

Unwillkürlich musste ich daran denken, wie Kara über eine seiner Bemerkungen gelacht hatte.

»Dein Gesicht«, erwiderte ich.

Er tippte wie wild auf seinem Smartphone herum, ehe er mir einen Blick zuwarf. »Ich weiß. Es ist hinreißend. Danke.«

»Hi, Cam.«

Ich schaute kaum in die Richtung, aus der die Stimme des Mädchens kam, und nickte stattdessen grüßend.

Caleb seufzte und schüttelte den Kopf über mich, und als ich ihn ansah, formte er mit den Lippen lautlos die Worte »Toll, echt toll«. Dann wandte er sich dem Mädchen zu. »Hey.«

»Hey, Caleb. Hast du Zeit für einen Kaffee nach der Veranstaltung?« Diesmal schaute ich hin. Es war ein Mädchen, das auf der anderen Seite neben ihm saß. Sie flirtete, was das Zeug hielt, mit den Augen und ihrem Schmollmund. »Vielleicht kann Cam ja mitkommen.«

»Nee, geht nicht«, entgegnete ich.

»Vergiss ihn, der ist nicht zu haben«, erklärte Caleb, seine den Mädchen vorbehaltene Flirtstimme einsetzend. »Du willst also ein Date mit mir?«

Ich ignorierte die beiden.

Kara hatte sexy Augen – die sexysten von allen. Mandelförmige braune Augen, mit langen, dicken Wimpern.

Aber das war nicht alles. Es lag etwas in ihnen, das mich dazu verleitete, genauer hinzublicken. Da war etwas, was sie so gut verbarg, dass es mir beim ersten Hinsehen entgangen war. Ich dachte, ich hätte sie durchschaut – eine Frau mit ziemlichem Temperament, stark und echt im wahrsten Sinne des Wortes. Doch da war noch mehr.

Hinter all dem versteckte sich ein weiches Herz. Sie war mitfühlend und verzeihend. Das hatte ich gestern Abend erlebt. Stärke ohne Mitgefühl konnte kalt sein, allerdings war sie warm wie ein Feuer. Und kaum hatte ich in die Flammen geblickt, war es um mich geschehen. Ich wollte nie wieder wegsehen. Ich wusste, dass ich nie mehr jemanden wie sie finden würde.

Und ihre Lippen, ihr Mund. Sie waren die Sterne in meinen Träumen letzte Nacht gewesen. Ich stöhnte frustriert und sackte auf meinem Platz in mich zusammen.

Was macht sie gerade? Schenkt sie irgendwem dieses sexy Lächeln? Lacht sie über die Scherze von jemandem?

Ich hätte sie küssen sollen. Was habe ich mir bloß gedacht?

»Immer noch schlecht gelaunt?« Caleb musterte mich prüfend, den Kopf zur Seite geneigt. »Die Vorlesung ist vorbei, aber du bist nach wie vor mies drauf.«

»Schnauze«, stieß ich hervor.

»Warum ist der so übel drauf?« Levi ließ sich auf den jetzt freien Platz neben mir fallen. »Was machst’n, Caleb, Kumpel?«

Caleb kratzte sich den Bauch, stand auf und schob sein Handy in die Gesäßtasche. Es vibrierte nonstop. »Ich wette, der hat seine Regel.«

»Ich hab ein Tampon da. Sag Bescheid, wenn du es willst.«

Ich lachte gutmütig. »Verpisst euch, alle beide.«

»Es spricht«, murmelte Caleb.

Er schnappte sich meinen Rucksack vom Fußboden, öffnete die kleine vordere Tasche und nahm einen Lolli von meinem Vorrat heraus.

»Habe ich dir gestattet, dir meinen Lolli zu nehmen?«, fragte ich, weil ich gemein sein wollte.

»Leck mich.«

Levi klopfte mir mit der Faust auf die Schulter und stand auf. »Beruhigt euch. Lasst uns was essen gehen, ich habe Kohldampf.«

»Hab vorher noch was zu erledigen.« Ich stand ebenfalls auf und nahm meinen Rucksack. »Wir sehen uns später im Hörsaal.«

»Wohin willst du, Cam?«

»Zu meiner Obsession.«

Ich ging.

Bis zu meiner nächsten Vorlesung hatte ich eine Stunde Zeit. Normalerweise hielt ich mich im Pausenraum beim Team auf, in der Cafeteria mit Caleb und Levi oder in meinem Pick-up, wenn ich meine Ruhe haben wollte. Jetzt aber wollte ich auf sie warten und sie wenigstens für ein paar Minuten nach der Veranstaltung sehen, um sie zur nächsten zu begleiten.

Ich kannte ihren Stundenplan auswendig. Heute war ihr Hörsaal im Gebäude D. Die Vorlesung dauerte noch vierzig Minuten.

Zu meiner Erleichterung war der Hauptgang fast leer, und ich machte es mir auf einer der Bänke bequem. Hier würde ich auf sie warten. Nach einigen Minuten setzte sich ein Mädchen neben mich. Ich roch ihr starkes Parfum – verwelkte Trauerblumen. Lilafarbene. Ich war weg, noch ehe ihr Hintern den Sitz berührte.

Mist. Wohin jetzt?

Die Hörsäle befanden sich in einem Anbau, der vom Hauptgang abzweigte. Vermutlich, weil es dort stiller war während der Veranstaltungen. Ich war mir sicher, dass der Raum neben Karas nicht vor elf belegt war. Dort fand meine nächste Vorlesung statt, daher ging ich in die Richtung. Ich zog mein Handy aus der Tasche und drehte es in der Hand. Ob sie geschrieben hatte?

Nein, natürlich nicht, verdammt, dachte ich und blieb stehen, während ich durch die Liste der eingegangenen Textnachrichten scrollte. Nichts von ihr. Ich rieb mir das Gesicht und fühlte die Stoppeln an meinen Wangen. Ich schickte ihr einen Text.

Ich werde auf dich in dem Hörsaal neben deinem warten. Lauf nicht weg.

Den letzten Satz löschte ich wieder. Sie würde genau das tun, um mich zu ärgern.

Ich betrachtete mein Smartphone und wartete auf die Lesebestätigung. Die kam. Ich saugte an meiner Unterlippe, während ich auf ihre Antwort wartete.

Nichts.

Frustriert fuhr ich mir erneut mit der Hand übers Gesicht, wollte weitergehen und hielt verblüfft inne.

»Hi, Spinner.«

Ich musste grinsen. Mein Hitzkopf. »Du redest wieder mit mir?«

»Kommt drauf an.«

»Worauf?«

Mit dem Daumen zeigte sie zu dem Hörsaal, in dem ich auf sie warten wollte. Ihre Miene lieferte mir keinen Hinweis darauf, was sie dachte. Ich zog verwirrt die Brauen zusammen. Wollte sie mich wegen heute Morgen ärgern? Diesmal würde ich sie um den Verstand küssen. Seufzend folgte ich ihr hinein.

Dunkelheit umfing uns, kaum dass die Tür sich hinter uns geschlossen hatte. Das einzige Licht kam vom Projektor an der Decke, den man offenbar nach der letzten Vorlesung auszuschalten vergessen hatte. Es handelte sich um ein kurzes Video vom Universum in einer Endlosschleife. Bunte Farben und Schatten bewegten sich träge durch den Raum. Für einen Moment vergaß ich, dass wir uns auf dem Campus befanden. Nur wir zwei waren hier, und ich konnte alles mit ihr tun, was ich wollte. Und sie konnte alles mit mir tun, was sie wollte.

In der Dunkelheit sah sie aus wie eine magische Nymphe. Sterne glitten über ihr Gesicht, Planeten tanzten auf ihren Brüsten, Galaxien flossen über ihre Beine. Ihr langes dunkles Haar fiel ihr, einem Wasserfall gleich, über Schultern und Rücken. Mir stockte der Atem. Sie war einfach unwiderstehlich. Die reinste Verführerin.

»Was machen wir hier, Kara?«

Wow, klang meine Stimme belegt.

Plötzlich wirkte sie nervös. Sie wollte zurückweichen, doch ich schlang den Arm um sie, direkt oberhalb ihres Pos. Ich hörte sie scharf die Luft einatmen, dann leise stöhnen, als ich sie fester an mich drückte und ihre kleinen Brüste gegen meinen Oberkörper gepresst wurden. Sie fühlte sich unglaublich an.

»Verrate es mir.«

Ich umfasste ihre Handgelenke und legte ihre Hände auf meine Brust. Das schien ihr zu gefallen, denn sie ließ ihre Finger über meine Schultern gleiten, drückte meinen Bizeps, meine Unterarme, strich mir dann wieder über die Brust. Ganz zärtlich küsste sie meinen Hals und leckte über meine Haut; als sie mich stöhnen hörte, strich sie erneut mit der Zunge über die Stelle. Prompt wurde ich steinhart.

»Gefällt dir das?«, flüsterte sie.

Meine Finger gruben sich tiefer in ihre Hüften, und ich musste mich beherrschen, um sie nicht gegen die Wand zu drücken, ihr den Slip herunterzureißen und sie um den Verstand zu vögeln. Ich begehrte sie, wie ich nie zuvor jemanden begehrt hatte.

»Ja.« Ich konnte kaum atmen. »Das gefällt mir.«

Hitze strömte durch meine Adern, da sie den Saum meines Pullovers erreichte und ihre Daumen meinen Hosenbund berührten. Laut atmete ich ein.

Sie hielt inne und schaute mich mit ihren großen braunen Augen an, nervös, unsicher, erregt. Für sie war das alles neu, doch das schien keine Rolle zu spielen. Sie hatte mich verzaubert, und ich war zu gern ihr Gefangener.

»Was hast du vor, Hitzkopf?«

Geschickt ließ sie die Hände unter meinen Pullover wandern, ihre Handflächen lagen auf meinem Bauch. Wir keuchten beide auf angesichts des elektrisierenden Kontakts. Ich schob das Becken vor und wünschte, sie würde die Hände weiter hinunterschieben und mich durch meine Jeans hindurch massieren.

»Zeig mir mehr«, flüsterte ich.

Ich schlang die Arme um sie, und meine Finger suchten die zarte Haut oberhalb ihres Pos. Sie bog den Rücken durch, um mir stumm zu verstehen zu geben, dass sie mehr wollte. Ich rieb mein Becken an ihrem, damit sie fühlte, wie hart ich war. Ich ließ meine Hände aufwärtsgleiten und spielte mit ihrem BH-Verschluss.

Sie gab einen leisen, lustvollen Laut von sich, umfasste jedoch meinen Bizeps und drückte meine Arme herunter. Ihre Augen verrieten mir, was ihr Mund verschwieg.

Ich stieß einen heiseren Ton aus, als ich begriff, was sie wollte. Kontrolle. Ich war mir nicht sicher, ob ich ihr die komplett überlassen konnte. Ich liebte es, die Kontrolle zu haben – und wie ich es liebte.

Aber Kara war mir wichtiger.

»Was willst du?« Meine Stimme klang heiser.

Statt mir zu antworten, lehnte sie sich an mich. In der Dunkelheit roch ich den schwachen Pfirsichduft ihrer Haare, hörte ihre kurzen, raschen Atemzüge, fühlte die Wärme ihres Körpers.

»Ich werde es dir geben. Du musst nur darum bitten.«

Am liebsten wäre ich auf die Knie gesunken und hätte ihre Beine gespreizt, um ihr zu zeigen, wie das war. Ich wollte, dass sie die überwältigende Lust verspürte, die ich ihr mit meinen Lippen bereiten konnte. Mit meinen Zähnen. Meiner Zunge. Meinen Fingern. Ich wollte sie schreien hören, wollte, dass sie ihre Finger in meine Kopfhaut krallte, und ich wollte den Druck ihrer Oberschenkel an meinen Schultern fühlen.

»Kara.«

Ihr Mund war dicht vor meinen Lippen, doch sie wich zurück, als ich sie zu küssen versuchte. Ich betrachtete ihren Mund. Und dachte an all die Dinge, die ich damit tun wollte.

»Nein, nein.« Sie schüttelte den Kopf.

Hatte ich jemals jemanden so sehr begehrt? Wollte ich das überhaupt? Niemals. Bis Kara kam.

Ich schloss die Augen, da sie ihre Hände erneut auf meinen Bauch legte, näher kam und ihre Lippen ganz dicht an meinem Ohr waren. Ich erschauerte, als ich ihren warmen Atem spürte.

»Später«, murmelte sie und löste sich von mir.

Ich stand mit offenem Mund da. Benommen beobachtete ich, wie sie die Tür aufmachte, mir einen letzten Blick und ein Lächeln zuwarf – dieses wissende Lächeln, das eine Frau einem Mann schenkte, wenn sie die Fäden in der Hand hielt – und die Tür zumachte.

Kara

Meine Hände zitterten, und ich musste mich mit aller Kraft zusammenreißen, um nicht aus dem dunklen Hörsaal zu rennen. Ich konnte spüren, wie Cameron mir mit seinen blauen Augen hinterherschaute, und als ich über die Schulter zu ihm hinsah, musste ich grinsen.

Es war natürlich ein provozierendes Siegerinnengrinsen.

Die Tür fiel automatisch hinter mir zu, und ich lehnte mich dagegen und schloss die Augen. Ich brauchte einen Moment, bis ich begriff, dass das Donnern in meinen Ohren von meinem wild hämmernden Herzen stammte.

»Ja«, hatte er in dieser sexy rauen Stimme erwidert, die fast wie ein Knurren klang. »Das gefällt mir.«

Ja, dachte ich, mir gefällt es auch. Ich konnte noch den tiefen sexy Laut hören, als ich seine Haut leckte. Er schmeckte nach sündigen Dingen und heißen Fantasien. Nach sexy Bauchmuskeln.

Ich kicherte.

Wow, Mädchen, hast du gerade gekichert?

Ich atmete tief durch und stieß mich von der Tür ab, bevor er sich erholen und mich wieder zu sich in den Raum ziehen würde. Auf wackligen Beinen ging ich in meine Vorlesung. Ich wusste, er würde das, was in dem Hörsaal passiert war, als Herausforderung betrachten.

Das war es auch.

Eine Herausforderung, eine Strafe, ein Experiment. Unter anderem. Wenn er glaubte, er würde damit durchkommen, mir Küsse vorzuenthalten, hatte er sich getäuscht.

Eine boshafte kleine Stimme in mir verlangte, dass ich es ihm mit seinen eigenen Waffen heimzahlte. In diesem dunklen Raum, in dem er mich aufreizend berührt und ich seine Erektion gespürt hatte. In dem ich meine Augen geschlossen und mich der rauen Liebkosung seiner Finger hingegeben hatte. Fast hingegeben.

Es lag etwas verboten Aufregendes darin, sich an einem Ort aufzuhalten, an dem wir eigentlich nicht sein sollten, etwas zu tun, das wir eigentlich nicht tun sollten, und wo wir jederzeit erwischt werden konnten. Es war ziemlich wild und … heiß.

Ich verspürte eine plötzliche Enge in der Brust, und meine Haut fühlte sich zu warm an. Ich war wie berauscht von ihm. Und von der Macht, die ich über ihn besaß, was er mir gerade erst klargemacht hatte. Er zeigte mir Dinge, die mir zuvor völlig unbekannt gewesen waren – und die ich weiter erkunden wollte.

Köpfe drehten sich in meine Richtung, sowie ich die Tür zum Hörsaal öffnete. Ja, ich bin’s, Dora, the Explorer, endlich erwachsen, wollte ich rufen. Ich schwang meinen Hintern auf den Sitz.

Der schockierte Ausdruck auf Camerons Gesicht, als ich plötzlich einfach wegging, brachte mich nachträglich zum Lachen. Ich hielt mir den Mund zu, konnte aber ein weiteres Kichern nicht zurückhalten. Der Typ neben mir warf mir einen besorgten Blick zu.

»Keine Sorge. Ich glaube, ich habe meine Pillen heute genommen«, sagte ich. »Ich schwöre.« Dazu grinste ich irre, um ihm ein bisschen Angst einzujagen. Er rückte so weit wie möglich von mir ab.

Ich zuckte zusammen, da mein Handy vibrierte. Meine Atmung beschleunigte sich, während ich es aus der Tasche zog. Ich schloss die Augen, fuhr mit dem Daumen über das Display und atmete tief durch, bevor ich einen Blick auf die eingegangenen Nachrichten warf.

Cameron: Später

Heute würde es kein Später geben.

Wenn es um sexuelle Erfahrung ging, konnte man mich mit einem Kleinwagen vergleichen und Cameron mit einem NASA-Raumschiff, daher war mir schon klar, dass ich verlieren würde, wenn ich diesmal auf Konfrontationskurs ging.

Kleinwagen? Wohl eher ein Fahrrad.

Wie dem auch sei. Ich wollte es nur mal bildlich miteinander vergleichen.

Und um was genau ging es dabei?

Mein Hirn schmerzte. Es hatte seine maximale Kapazität für heute erreicht. Mehr wollte ich nicht analysieren.

Es würde mich zehntausend Jahre kosten, um aus Cameron schlau zu werden. Da hätte ich größere Chancen, der Welt größtes Rätsel zu lösen (was gab es zuerst? Huhn oder Ei?), bevor ich dahinterkäme, was Cameron dachte.

Ich wusste nur, dass er seit meinem Alarmsignal absolut hinreißend war. Ich brauchte einen Plan, damit ich mich vor ihm in Sicherheit bringen konnte, bevor er seine Kräfte ausspielte, und ich … echt, ich hatte keine Ahnung, wie ich reagieren würde.

Weise Königinnen wussten genau, wann der richtige Zeitpunkt für einen Angriff war, wann sie sich schützen mussten und wann Rückzug die klügste Option war, um sich einen neuen Plan zurechtzulegen. Deshalb war ich auf der Suche nach Lockhart.

Der war meine Geheimwaffe.

Der Himmel sah düster aus, doch der Regen fiel zögerlich und sanft. Ich hörte das leise Prasseln gegen die Fensterfronten des Colleges sowie das Pfeifen des Windes draußen, während ich zum Aufenthaltsraum ging, wo ich Lockhart finden würde. Noch ein paar Wochen, dann würde es anfangen zu schneien.

Meine Schritte wurden langsamer, als ich den Signalton einer eingehenden Nachricht auf meinem Handy hörte.

T: Ey.

Ich grinste, als ich Talas Nachricht las. Vielleicht hatte sie eine Antwort.

K: Was war zuerst da? Huhn oder Ei?

T: Is mir egal, Hauptsache, gebraten.

Ich schnaubte. Ich wusste, dass sie das sagen würde. Ich sollte es nicht tun, aber ich lief textend über den Flur, alle paar Sekunden aufschauend, um nicht in einen Schacht oder die Treppe hinunterzustürzen.

K: Willst du eine heiße Story hören? Level 100 und mit sexy Körperteilen?

T: Klaro! Ich teleportiere mich zu deinem Standort. Wo bist du? Muss dir auch was erzählen!

K: Unterwegs zum Aufenthaltsraum

Ich wollte noch mehr schreiben nach dieser Antwort, aber da entdeckte ich Caleb Lockhart, der mit seinen Teamkameraden Billard im Aufenthaltsbereich spielte. Cameron müsste jetzt eigentlich in seinem Seminar sein, allerdings war er ein Weltklasseschwänzer, daher hielt ich vorsichtshalber Ausschau nach ihm und seufzte erleichtert, da ich ihn nirgends sehen konnte.

Wo Caleb Lockhart war, folgten die Mädchen. Sie versammelten sich um ihn, und diejenigen, die das nicht taten, warfen ihm zumindest heimliche Blicke zu. Sie erinnerten mich an Affen, die ich einmal in einem Zeichentrickfilm gesehen hatte. Die drehten durch, sobald der Tierpfleger mit einem Eimer voll Bananen auftauchte. Tja, diese Mädchen waren allerdings alle auf dieselbe Banane scharf.

Calebs Banane.

Verdammt, ich wünschte, Tala wäre hier, um mit ihr über diesen Witz zu lachen. Wahrscheinlich würde sie etwas über die Größe und Farbe der Banane sagen, und dass sie auch eine wolle und daher diese Mädchen verstehen könne.

Schließlich war Caleb Lockhart sexy wie die Sünde. Er besaß die selbstbewusste, charmante Ausstrahlung eines Playboys. Doch er hatte auch etwas Wildes an sich, eine gewisse Unbezähmbarkeit, Unerreichbarkeit. Genau das machte ihn für viele Frauen so unwiderstehlich.

Es gab noch einen anderen Typen, der unbezähmbar war, allerdings aus anderen Gründen. Wenn Caleb das süßeste und freundlichste Tier im Zoo war, eins, das man auch mal streicheln konnte, war Cameron das majestätischste, allerdings auch das gefährlichste, eins, das man ganz bestimmt nicht anfassen durfte. Er war das Tier, das man fasziniert betrachtete und unbedingt streicheln wollte, bei dem man sich aber gleichzeitig vor den Konsequenzen fürchtete. Weil man genau wusste, dass es einen beißen würde.

Sein Pech, dass ich jemand bin, der zurückbeißt.

Ich beobachtete, wie Caleb sich über den Billardtisch beugte, die grünen Augen fest auf sein Ziel gerichtet, und wie sich sein Bizeps bei dem folgenden Stoß kurz anspannte. Prompt hörte ich einen Chor von Seufzern aus der Gruppe der Mädchen in seiner Nähe. Er schien nichts davon zu bemerken.

»Hey, Lockhart.«

Er schaute auf, etwas gereizt wegen der Störung, doch als er mich erkannte, hellte seine Miene sich auf.

»Hey, Kar.«

Ich prustete los, weil mir klar war, dass wir beide daran denken mussten, was heute Morgen passiert war, als Caleb mich so genannt hatte. Er rieb es Cameron unter die Nase und genoss es, und wir wussten beide, dass ich mitspielen würde. Vielleicht wollte er sich für den Schmerz rächen, den Cameron uns beiden verursacht hatte. Zwar hatte Caleb damals nichts gesagt, allerdings merkte ich ihm trotzdem an, dass er sich große Sorgen um Cameron machte.

Cameron war für mehrere Wochen verschwunden gewesen, und in diesen Wochen hatte sich zwischen mir und Caleb eine Freundschaft entwickelt. Er war Camerons bester Freund – der einzige Freund, den Cameron an sich heranließ. Inzwischen verstand ich, warum. Caleb war absolut loyal, und Cameron bedeutete ihm wirklich etwas.

»Kann ich dich ganz kurz sprechen?«, fragte ich, wobei ich auf den Flur zeigte.

»Klar.« Er gab seinem Freund den Queue und entschuldigte sich.

Ich hätte ihm gleich hier erklärt, was ich wollte, doch die äußerst neugierigen Blicke von allen Seiten ließen keinerlei Privatsphäre zu. Wie hielt er das bloß aus? Es war wie eine Reality-Show, bei der ständig alle Blicke wie Kameras auf ihn gerichtet waren und jeden verdammten Atemzug verfolgten. Was, wenn er mal furzen musste?

Er gab sich, als wäre das ein ganz gewöhnlicher Tag für ihn, was wahrscheinlich auch zutraf. Ihn störte weder die Aufmerksamkeit noch die Bewunderung. Die Leute bemerkten ihn einfach überall, wohin er auch ging. Ich kannte einige Leute wie ihn. Da ich mit einem sehr gut aussehenden Kindheitsfreund aufgewachsen war – hallo, Damon –, kannte ich bereits diese verwirrten, vernichtenden Blicke, die ich auch jetzt wieder abkriegte.

In den Augen dieser Mädchen war ich völlig unscheinbar. Fad und langweilig. Als gebe es ein ungeschriebenes Gesetz, dass schöne Menschen nur mit anderen schönen Menschen zusammen sein sollten.

»Du musst mir einen Gefallen tun«, begann ich, sobald wir den Aufenthaltsraum verlassen hatten. Seine Fangemeinde durchbohrte mich weiter mit Blicken, die Stahl hätten schmelzen können. Ich schob meine Brille mit dem ausgestreckten Mittelfinger hoch.

»Ich hoffe, der gilt nicht mir.« Er tippte sich mit dem Finger auf den Nasenrücken, und in seinen grünen Augen lag ein amüsierter Ausdruck. Möglicherweise war er aufmerksamer, als ich ihm zugetraut hatte. »Soll ich eine Leiche verstecken oder hat es mit Exorzismus zu tun?«

Cameron hatte einmal beiläufig erwähnt, dass Caleb auf Horrorfilme stand, sie sich allerdings nicht gern allein anschaute. Manchmal, wenn Cameron eine Wette verloren hatte, musste er sich mit Caleb so einen Streifen reinziehen.

»Wenn du mir hilfst, bringe ich Cam dazu, mit dir einen Horrorfilm zu gucken.«

Ein Grübchen erschien auf seiner Wange. »Ich bin bereit, Käpt’n.«

»Ich habe mich gefragt« – ich nagte an meiner Unterlippe – »ob du Cam nach dem Training mitnehmen kannst.«

Nein, ich lief nicht weg. Ich verschob alles nur ein wenig. Und quälte Bigfoot dabei ein bisschen.

»Ich wusste es.« Er grinste. »Du chauffierst ihn wieder.«

Das anzügliche Funkeln in seinen Augen weckte in mir den Wunsch, sein Gesicht zu zerquetschen. »Na ja, sein Motorrad ist noch immer in der Werkstatt«, erwiderte ich ausweichend. Tatsächlich war das Ersatzteil, das Dylan bestellt hatte, früher als erwartet angekommen, und diesmal handelte es sich auch um das richtige.

Caleb wackelte mit den Brauen und musterte mich neugierig. Er sah aus wie ein kleiner Junge, der an Süßigkeiten zu gelangen versuchte. »Wo musst du denn hin, dass du ihn nicht fahren kannst?«

»Ich werde in einem geheimen Bunker sein und planen, die Weltherrschaft an mich zu reißen«, entgegnete ich.

Eigentlich hatte ich mit einem Lacher von ihm gerechnet, doch stattdessen lehnte er sich an die Wand und verschränkte die Arme. »Läufst du weg?«, fragte er.

Das Lachen war aus seinen Augen verschwunden. Er wurde für einen Moment still und neigte den Kopf zur Seite, während er mich durchdringend anschaute.

Ein ernsthafter Caleb war selten. Wenn ich ihn sah, lachte er so gut wie immer oder grinste oder scherzte. Diesmal nicht. Das war beunruhigend. Seine Augen hatten ein geradezu einschüchterndes Grün angenommen, und ich konnte die Intensität seines Blicks praktisch körperlich spüren.

»Cam ist ein Experte darin, sich nichts anmerken zu lassen. Er lässt selten etwas an sich heran. Du bist eine Ausnahme«, erklärte er. »Dich lässt er an sich heran. Glaubst du nicht, das sagt eine Menge?«

Seine Worte schnürten mir die Kehle zu. »Ich glaube …«

»Hey, Caleb! Du kommst doch zur Party heute Abend, oder?«

Ich entfernte mich ein Stück, damit er sich ungestört seinen Fans widmen konnte. Das gab mir die Gelegenheit, in Ruhe nachzudenken. Cameron behauptete von sich, dass er keine Freundschaften pflegte. Caleb war sein einziger Freund. Solche Worte von jemandem zu hören, der Cameron wichtig war … löste etwas in mir aus.

Mein Handy vibrierte. Es war Tala, die mir mitteilte, dass sie mich gleich im Aufenthaltsraum treffen würde, ich sollte mich da gefälligst nicht wegrühren. Als Caleb sein Fan-Meeting beendet hatte, war der ernste Moment zwischen uns vorbei. Ich beschloss, die Stimmung aufzuhellen.

»Hat dein Schwanz eigentlich jemals Pause?«, fragte ich halb scherzhaft, auf die Mädchen deutend, die gerade gegangen waren.

Er sah aus, als ob ihm eine Antwort auf der Zunge lag, doch dann beließ er es bei einem schiefen Grinsen.

Ich ließ nicht locker. »Und wenn er mal Pause hat, dann höchstens eine Stunde pro Tag, oder?«

Er warf den Kopf zurück und lachte. »Das ist technisch nicht möglich. Dann wäre ich ja ein Schwanz mit einem Gehirn dran.«

»Oder ein Schwanz mit einem …«

»Kara

Erschrocken drehte ich mich um.

Zuerst traf mein Blick auf ein gemeißeltes Kinn, einen männlichen Mund, der wie gemacht war für schmutzige Worte, und dann auf Augen, so blau und durchdringend, dass mir der Atem stockte.

Shit. Cameron ist verdammt schön.

Er sah gelassen aus, doch seine Augen verrieten ihn. In ihnen flackerte sein aufbrausendes Temperament auf. Er kam auf mich zu, und mein Herz klopfte wild. Sein plötzliches Auftauchen erinnerte mich daran, was wir vor Kurzem erst im dunklen Hörsaal getan hatten.

Das Wort Privatsphäre mochte keine große Bedeutung für ihn haben, doch ich wäre ihm dankbar gewesen, wenn er ein wenig auf Abstand gegangen wäre. Allerdings machte er nicht den Eindruck, als wäre er offen dafür, irgendwem einen Gefallen zu tun. Er wirkte wie ein Krieger, der alles umhauen würde, was ihm in den Weg kam.

Er sagte kein Wort. Musste er auch nicht. Langsam ging sein Blick zu Caleb.

Grinsend hob Caleb die Hände. »Bin schon weg«, verkündete er, formte mit den Lippen lautlos die Worte »Tut mir leid«, zwinkerte mir zu und verschwand.

Dann richtete Cameron den Blick wieder auf mich. Er war so nah, dass ich den Hals strecken musste, um zu ihm aufzusehen. Seine Miene verhärtete sich, seine Wangenknochen zeichneten sich markant ab. Jetzt sah er wütend aus. Was sagte das über mich, wenn mich das erregte?

Sanft, aber bestimmt schlossen sich seine Finger um mein Handgelenk. Sein Griff signalisierte mir sehr deutlich, dass ich der Situation nicht ausweichen konnte. »Komm«, sagte er, es klang eher wie ein Knurren, und marschierte zielstrebig den Flur entlang.

»Komm? Soll ich vielleicht auch noch bellen?«

Er ignorierte mich.

»Wenn du glaubst, dass das jetzt später ist, wirst du ein böses Erwachen erleben«, erklärte ich seinem Hinterkopf. »Du kriegst jedenfalls nicht, was du willst.«

»Du hast doch gar keine Ahnung, was ich will.«

»Ach nein?«, erwiderte ich sarkastisch und schaute mich um. Ich wusste nicht mehr, wo im Gebäude wir uns befanden. Er bog immer wieder ab, stieg eine Treppe hinunter, dann die nächste, bis wir uns in einem dunklen, verlassenen Flur befanden. Dort roch es nach Staub und Wachs wie in einem Vorratsraum, der seit einer ganzen Weile nicht mehr benutzt worden war. »Warum erklärst du es mir dann nicht, statt mich rätseln zu lassen?«

Er blieb so unvermittelt stehen, dass ich fast gegen diese Wand aus harten Muskeln geprallt wäre. Für einen Moment stand er nur da, als überlege er, was er tun solle. Dann schaute er mich über die Schulter an.

Jedes Mal, wenn er mir auf diese Weise nah war und seine ganze Aufmerksamkeit mir galt, fühlte ich mich wie am Rand einer Klippe. Doch statt sicheren Boden zu suchen, überkam mich der verrückte Drang zu springen. Mein armes Gehirn versuchte verzweifelt, zusammenhängende Gedanken zu produzieren und Überlebensstrategien zu entwickeln. Wegschauen und zurückweichen schien die rascheste Lösung zu sein.

Ich zog genau das in Erwägung und haderte mit mir, ob mich das wie einen Feigling wirken lassen würde und ob es nicht besser wäre, es bleiben zu lassen, als er seinen Griff um mein Handgelenk lockerte. Sofort reagierte mein Körper ohne mein Einverständnis, und wie von selbst bewegten meine Füße sich rückwärts und weg von ihm.

»Du magst keine Rätsel«, sagte er mit leiser, bedrohlicher Stimme.

Ich war wie gebannt. Es war, als würde man die Sonne explodieren sehen – ich konnte mich nicht abwenden.

»Weißt du, was du in dem Hörsaal mit mir gemacht hast?«, fuhr er fort. »Du hast mich wahnsinnig gemacht, als du gingst. Weil ich dich vögeln wollte. Ist es das, was dir gefällt?«

Meine Lippen fühlten sich trocken an. Ich fuhr mit der Zunge darüber. Sein Blick fiel ganz automatisch darauf.

»Verrate es mir«, forderte er mich ruhig auf. »Amüsierst du dich?«

Mein Herz fing an zu hämmern.

Er trat noch einen Schritt auf mich zu, bedrohlich und unleugbar faszinierend. Sein Daumen streichelte die Seite meines Halses. »Weißt du, was ich will?« Sein Gesicht kam näher, bis unser Atem sich mischte und unsere Nasen sich beinah berührten. Aus dieser Entfernung hatte ich ihm nichts entgegenzusetzen. »Was ich mit dir tun will?«

Ich schüttelte den Kopf, was nicht richtig funktionierte mit seiner Hand, die mich am Hals berührte. Seine Augen waren wie blaues Feuer.

»Frag mich, Kara.«

Ich schluckte hart. Da ist er. Der Meisterverführer, eine feurige Spur hinterlassend.

Aber ich bin ein Phönix.

Er konnte alles niederbrennen, und ich würde in seinem Feuer baden.

»Was willst du mit mir machen, Cameron?«, fragte ich mit rauer Stimme, fühlte mich jedoch selbstbewusster als im Hörsaal. Inzwischen kannte ich meine Wirkung auf ihn. Meine Fingerspitzen kribbelten.

Er ließ seine Hand in meinen Nacken gleiten und drückte leicht zu. Seine Lippen waren plötzlich ganz dicht an meinem Ohr. »Möchtest du, dass ich es dir zeige?«

Ich erschauerte.

»Sag, dass du bereit bist, Kara.«

»Was geschieht, wenn ich es bin?«, hauchte ich.

Es fühlte sich an, als würde ich in seiner Verführungskunst langsam ertrinken.

»Sag die Worte«, raunte er. »Dann wirst du es herausfinden.«

Seine tiefe Stimme klang so herausfordernd, dass ich die Augen schloss und weiche Knie bekam. Er stellte eine gefährliche Versuchung dar, der ich nicht widerstehen wollte.

Schritte bewegten sich auf uns zu und beendeten den Moment.

»Verdammt«, stieß er hervor. »Verschwinden wir.«

»Kar!«

Ich erstarrte. Langsam drehte ich mich um. Meine beste Freundin Tala stand breit grinsend vor uns.

Heute gab es in der Mensa Käsefritten.

Ich biss mir auf die Innenseite meiner Wange, als ich die länger werdende Schlange sah, und überlegte, ob ich vom Tisch aufstehen und mich schon anstellen oder lieber noch warten sollte. Das war eine sehr wichtige Frage.

Ich richtete den Blick wieder auf den Tisch. Tala, klein, auf attraktive Weise rundlich und hübsch, saß vor mir und hielt den Blick nervös auf ihren Schoß gerichtet, als bete sie im Stillen, Gott möge sie vor Sünden bewahren. Cameron, stark und hoch wie ein Mammutbaum und grüblerisch wirkend, war unterwegs, um uns etwas zu trinken zu holen. Der äußerliche Kontrast zwischen den beiden war komisch und hinreißend.

Vielleicht hätte ich Cameron bitten sollen, mir Käsefritten zum Drink mitzubringen. Ich dachte gerade darüber nach, als mein Handy eine eingehende Textnachricht signalisierte. Es war Tala.

T: Du kriegst keine Käsefritten!

Ich verdrehte die Augen und lachte leise. Sie kannte mich so gut. Plötzlich bombardierte eine ganze Serie von Textnachrichten mein Handy.

T: OHMEINGOTT!!! Du hast nicht erwähnt, dass Mr. Kompliziert und Mysteriös Cameron St. Laurent ist! WAS IST LOS MIT DIR? WER BIN ICH FÜR DICH? ICH GAB DIR ALLES, UND DAS IST DER DANK?

T: Aber er ist so HEISS! Ich billige es.

Sie fügte eine Menge Emojis an: Herzaugen, Schreien, Schweiß, Auberginen. Viele Auberginen.

T: Tut mir leid, dass ich dich vorhin schwanzgeblockt habe. Ich hatte gesehen, wie du von diesem Hottie in den Vorführraum gezogen wurdest, und bin euch gefolgt. Aber jetzt MUSS ich die Wahrheit hören. SCHAU MICH AN! ICH MUSS DIE WAHRHEIT IN DEINEN AUGEN SEHEN!

Ich blickte auf und stellte fest, dass Tala mich mit diesem süßen unschuldigen Gesichtsausdruck ansah – ein absoluter Kontrast zu ihren Textnachrichten. Beinah scheu schaute sie ganz kurz zu Cameron, der hinter mir am Getränkeautomaten stand. Dann schaute sie wieder zu mir und formte lautlos mit den Lippen die Worte: Ihn da hast du gevögelt?

Ich musste mir auf die Unterlippe beißen, um nicht zu lachen, und zuckte vage mit den Schultern, wobei ich grinste. Talas Kinnlade klappte herunter, dann, als finge ihr Hirn wieder an zu arbeiten, grinste sie zurück und formte mit den Lippen die Worte Verstehe, Mädchen.

Ich lachte. Wir wussten beide, dass ich nur Spaß machte. Sie hätte es längst gewusst, wenn ich ihn da gevögelt hätte. Tala nahm in meiner Gegenwart kein Blatt vor den Mund, war in Gesellschaft anderer aber eher schüchtern. Sie brauchte eine Weile, bis sie mit anderen warm wurde, und das war bei Cameron nicht anders.

Nachdem sie ihn eben kennengelernt hatte, war sie unfähig, eine normale Unterhaltung zu führen, und gab mir nur einsilbige Antworten. »Du hast deine Pillen heute nicht genommen, die dir eine Teilnahme am sozialen Leben ermöglichen, oder?«, neckte ich sie.

»Ich hab sie für dich aufgehoben, du brauchst sie dringender«, konterte sie flüsternd.

Ehe ich etwas erwidern konnte, hörte ich Camerons leises Lachen. Er setzte sich neben mich und stieß dabei sacht gegen meine Schulter. Sein dunkles Haar war so seidig und wundervoll und überall. Ich verspürte das heftige Bedürfnis, mit meinen Händen hindurchzufahren. Er warf mir einen Blick zu, ein kleines Lächeln auf den Lippen, als wüsste er, was ich denke. Er stellte eine Dose Ginger Ale vor mich und vor Tala eine Dose Cola, um die sie gebeten hatte.

»D-danke«, sagte Tala leise wie eine Maus.

Cameron musste bemerkt haben, wie nervös sie war, denn er lächelte ihr freundlich zu. »Jederzeit.«

Autor

Isabelle Ronin
Isabelle Ronin ist eine kanadische Autorin aus Winnipeg, Manitoba. Seit ihrem enormen Erfolg auf Wattpad -- ihre Geschichte wurde über 127 Millionne mal gelesen -- haben sich mehrer große Verlage weltweit die Rechte an dem Roman gesichert. Isabelle ist eine Meisterin des Erzählens und Unternehmen wie E! Network kreieren mithilfe...
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