Zärtliche Küsse in Venedig

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Ihre Liebe währte nur ein halbes Jahr – und traf sie mitten ins Herz. Bis heute hat Lily den reichen italienischen Unternehmer Vito Salvatore nicht vergessen können. Als er sie jetzt nach Venedig in seinen Palazzo entführt, fühlt sie sich sofort wieder zu ihm hingezogen …


  • Erscheinungstag 08.01.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751513524
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Fröstelnd stand Lily am Heck des Wassertaxis, das gemächlich über den nebelverhangenen Kanal glitt. Die feuchte Kälte drang ihr durch die Wildlederjacke bis zu den Knochen, doch die frische Luft wirkte wohltuend. Drinnen in der holzgetäfelten Kabine war es wärmer, aber auch stickig. Das Schlingern des Bootes verursachte außerdem ein flaues Gefühl in der Magengegend. Neuerdings war ihr ständig übel. Nun kannte sie den Grund dafür.

Sie war schwanger.

Sie schloss die Augen und holte tief Luft. Wie soll ich es Vito beibringen?

Seit fünf Monaten lebte sie mit ihm zusammen. Er war ein so aufmerksamer, zuvorkommender Geliebter, wie sie es sich nur wünschen konnte. Aber sie wusste schon vom ersten Moment an, dass es für ihn nur eine vorübergehende Angelegenheit war. Er hielt ihr zwar bedingungslos die Treue und forderte dasselbe auch von ihr, aber eine Zukunft gab es für die Beziehung nicht. Eine langfristige Bindung kam für ihn nicht infrage – und eine Vaterschaft schon gar nicht.

Doch nun war sie in der achten Woche schwanger. Eine Magenverstimmung – scheinbar ungewöhnlich langwierig – war offensichtlich nahtlos in morgendliche Übelkeit übergegangen und wohl auch für das Versagen der Pille verantwortlich.

Lily fröstelte erneut und blickte zur Uhr. Vito wartete sicherlich ungeduldig im Palazzo auf sie und wollte das Resultat der ärztlichen Untersuchung erfahren. Obwohl ihr davor graute, ihm die Wahrheit zu beichten, sehnte sie sich nach dem Wiedersehen. Ein Baby mochte momentan nicht auf seinem Programm stehen, aber sie war schließlich nicht vorsätzlich schwanger geworden. Gewiss brachte er Verständnis auf. Als reicher und mächtiger Mann war er es gewohnt, dass die Dinge stets so liefen, wie er es wollte, aber er war nicht uneinsichtig. Sie rechnete fest damit, dass er zunächst verblüfft, vielleicht sogar schockiert reagierte. Aber es würde alles wieder ins Lot kommen, sobald er sich mit der Neuigkeit angefreundet hatte.

Seit ewigen Zeiten wünschte sie sich schon eine Familie, und sie konnte sich keinen besseren Vater für ihre Kinder vorstellen. Vito Salvatore war ein hartgesottener, erfolgreicher Geschäftsmann, aber sie kannte ihn auch von einer liebevollen, sanften Seite. Ganz bestimmt lehnte er sein eigenes Baby nicht ab, nur weil es nicht geplant war.

Das Wassertaxi hielt am kanalseitigen Eingang zum Palazzo. Eine geradezu unheimliche Stille herrschte. Der Nebel dämpfte die Geräusche der Stadt. Nur das Plätschern der Wellen gegen die Marmorstufen war zu hören. Lily bezahlte den Chauffeur und ließ sich von Bord helfen.

Auf halbem Weg die Treppe hinauf kam Vito ihr aus seinem Arbeitszimmer entgegen. Ihr stockte der Atem. Sie zögerte auf der obersten Stufe und genoss den Anblick ihres Geliebten.

Knapp eins neunzig groß und breitschultrig, bewegte er sich mit der Grazie und Kraft eines Athleten. Sein schwarzes Haar war leicht gelockt und aus dem markant geschnittenen Gesicht mit der hohen Stirn gekämmt.

Ihr Herz schlug jedes Mal höher vor Aufregung, sobald sie ihn erblickte – ganz egal, ob sie sich wegen einer seiner Geschäftsreisen mehrere Tage nicht gesehen oder nur wenige Minuten getrennt verbracht hatten. Nun kannte sie ihn schon seit zehn Monaten und lebte fast ein halbes Jahr mit ihm zusammen, und doch war das Zusammensein noch immer ein überwältigendes Erlebnis für sie.

„Endlich bist du wieder hier.“ Mit funkelnden blauen Augen trat er zu ihr und schloss sie in die Arme.

Lily schmiegte sich an seine breite Brust und barg das Gesicht an seinem weichen schwarzen Kaschmirpullover. Sie holte tief Luft, nahm seinen Duft in sich auf. In seinen beschützenden Armen fühlte sie sich gleich viel besser. Die Übelkeit war schnell vergessen.

„Ich habe versucht, dich anzurufen.“ Sanft hob er ihr Gesicht und küsste sie. „Aber dann habe ich dein Handy im Schlafzimmer gefunden.“

„Entschuldige. Ich hatte vergessen, es aufzuladen.“

„Geht es dir gut?“ Er nahm ihre Hände und führte sie in das Arbeitszimmer. „Du bist so blass und kalt. Komm und setz dich. Möchtest du etwas Warmes trinken?“

Plötzlich war ihr wieder beklommen zumute. Denn inzwischen wusste sie, warum Schwarztee und Kaffee ihr nicht mehr bekamen, und gleich musste sie es ihm sagen. „Ein Glas kaltes Wasser wäre schön.“

„Carlo sollte dich doch eigentlich zu deinem Termin bringen.“ Vito goss Mineralwasser in ein Glas mit Eiswürfeln. „Es gefällt mir nicht, dass du mit einem Taxi durch die Gegend gondelst. Schon gar nicht, wenn du dich nicht gut fühlst.“

„So schlecht geht es mir gar nicht. Ich wollte ein Stück zu Fuß gehen. Die frische Luft tut mir immer gut.“

„Trotzdem. Wenn ich gewusst hätte, dass du Carlo wegschickst, hätte ich dich selbst begleitet.“ Er legte ihr einen Arm um die Taille und führte sie zur Couch am Fenster. „Ich weiß gar nicht, wie du es geschafft hast, mich davon abzuhalten, mein Meeting abzusagen.“

Fahrig strich Lily sich über das lange blonde Haar, das von der Feuchtigkeit draußen gekräuselt war. Es schien absurd, sich in einem Moment wie diesem um ihr Äußeres zu sorgen, aber die ungeheure Tragweite der Situation erweckte den Drang, sich auf Kleinigkeiten zu konzentrieren.

„Was hat der Arzt gesagt?“ Er musterte sie besorgt. Ihr herzförmiges Gesicht war erschreckend blass, und unter den ausdrucksvollen haselnussbraunen Augen lagen dunkle Schatten. „Musst du Antibiotika einnehmen?“

„Nein.“

Er beobachtete, wie sie sich wiederholt über die Haare strich. Er kannte ihre Körpersprache und wusste, dass es sich um eine Geste der Nervosität handelte. Aber er konnte sich nicht erklären, worauf diese Unruhe beruhte.

„Was ist denn dann mit dir?“ Angst, dass sie ernsthaft erkrankt sein könnte, beschlich Vito. Der Gedanke war ihm unerträglich. Er nahm ihre eiskalten Hände in seine. „Was hat der Arzt denn gesagt? Sind weitere Untersuchungen erforderlich?“

„Nein.“ Forschend musterte sie sein Gesicht. Er zog vor Sorge die schwarzen Brauen zusammen, sodass sich zwei senkrechte Falten über der Nase bildeten. Die Augen waren von einem ungewöhnlichen, unglaublich strahlenden Himmelblau, das den Eindruck erweckte, der Sommer wäre ins Land gezogen und hätte die beinahe winterlich anmutende feuchte Kälte des Vorfrühlings vertrieben. Um seine unbeabsichtigt hervorgerufene Angst zu verscheuchen, sprudelte sie hervor: „Ich bin schwanger.“

Was dann geschah, traf Lily völlig unvorbereitet. Sie war auf Überraschung, ja sogar auf Missfallen gefasst, nicht aber auf eine derart dramatische Veränderung in ihm.

Eine kalte stählerne Maske schien sich über sein Gesicht zu legen. Abrupt ließ er ihre Hände los, als könnte er die Berührung nicht länger ertragen, und verlangte in geradezu brutalem Ton: „Pack deine Sachen, und verschwinde aus meinem Haus.“

2. KAPITEL

Lily stieg aus dem schwarzen Taxi und blieb zögernd auf dem breiten Londoner Bürgersteig stehen. Wie gebannt blickte sie auf das imposante Gebäude aus Stahl und Glas, das L&G Enterprises beherbergte – eine Tochtergesellschaft des Salvatore-Imperiums. Ein Schauer rann ihr über den Rücken bei der flüchtigen Vorstellung, dass Vito sich in dem Gebäude aufhalten könnte. Aber das war höchst unwahrscheinlich. Andernfalls hätte sie den Auftrag niemals angenommen.

Sie holte tief Luft, umfasste fest den Griff der schweren Aktentasche und betrat das Gebäude. Ungehalten strich sie sich eine lange Locke, die ihr vor den Augen tanzte, hinter das Ohr. Sie hatte verschlafen und daher die Haare nicht wie sonst gestylt, sondern nur zu einem lockeren Knoten im Nacken verschlungen.

Es war äußerst wichtig, dass sie eine ordentliche Präsentation abgab. Trotz verzweifelter Suche und dringender Notwendigkeit hatte sie bisher noch keine Dauerstellung gefunden. Aber mit etwas Glück gelang ihr an diesem Morgen der Durchbruch.

Mike, ihr früherer Chef in der Londoner Softwarefirma, bei der sie vor der Bekanntschaft mit Vito gearbeitet hatte, war nun bereit, ihr eine Chance zu geben. Wenn sie es schaffte, das von seiner Firma entwickelte Web-Konferenzsystem an L&G zu verkaufen, erhielt sie nicht nur eine stattliche Provision, sondern auch eine Festanstellung.

Und so kam es, dass sie nun eine Firma besuchte, die Vito Salvatore gehörte – dem Mann, der sie aus seinem venezianischen Haus einfach hinausgeworfen hatte, weil sie unbeabsichtigt schwanger geworden war.

Sechs lange Wochen waren seit jenem furchtbaren Tag im März vergangen, aber Lily war noch immer schockiert über sein Verhalten. Hatte sie ihr Glück, mit einem so wundervollen Mann liiert zu sein, doch kaum fassen können. Es lief ja auch alles gut zwischen ihnen. Bis er sie auf diese schmähliche Art abserviert hatte, als sie seine Unterstützung dringend brauchte. Tatsächlich war er alles andere als wundervoll.

Entschieden verdrängte sie die Erinnerungen an Vito und seinen grausamen Verrat an ihr und seinem ungeborenen Kind. Denn sie musste sich ganz auf diese Präsentation konzentrieren, um den Job zu bekommen. Dann konnte sie sich endlich eine Wohnung nehmen und musste ihrer Freundin Anna, bei der sie gnädigerweise untergekommen war, nicht länger zur Last fallen.

Sie ging zur Rezeption und stellte sich und die Firma vor, die sie repräsentierte.

„Wir erwarten Sie bereits“, sagte die Rezeptionistin, ohne eine Miene zu verziehen. Sie legte ein Besucherabzeichen auf die Theke. „Samuel wird Sie zum Konferenzsaal bringen.“

„Danke.“ Lily lächelte strahlend und heftete sich das Schildchen an das Jackett ihres hellbeigen Leinenkostüms.

Dann drehte sie sich um und sah einen jungen Mann mit düsterem Gesichtsausdruck nahen. Er schien nicht zum Plaudern aufgelegt. Also folgte sie ihm stumm zum Fahrstuhl und hinauf in die Chefetage.

Vito hatte ihr L&G als ein kleines und bescheidenes Unternehmen beschrieben – eines seiner unzähligen Geschäftsinteressen. Doch der verglaste Konferenzsaal, in den sie geführt wurde, war weder klein noch bescheiden eingerichtet.

Das wird kein Kinderspiel, dachte sie, während sie den imposanten Rauchglastisch musterte, der von zahlreichen schwarzen Ledersesseln umgeben war.

Sie baute gerade die Geräte für die Vorführung auf, als eine Stimme hinter ihr fragte: „Miss Smith, nehme ich an?“

Lily legte ein Lächeln auf, drehte sich um und erblickte einen kleinen Mann mit schütterem Haar in dunklem Anzug. Sie erkannte ihn von dem Foto auf der Website der Firma. Er war das Oberhaupt der Unternehmenskommunikation. „Nein. Wir haben kurzfristig umdisponiert. Ich bin Lily Chase.“ Sie reichte ihm die Hand. „Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen, Mr. D’Ambrosio.“

„Man hat wohl entschieden, die ganz großen Geschütze aufzufahren, wie?“ Anzüglich musterte er sie aus kleinen runden Augen und hielt ihre Hand viel zu lange in seiner, bevor er an dem riesigen Tisch Platz nahm.

„Das könnte man sagen.“ Sie lächelte tapfer weiter. Eine Grundregel in ihrer Branche besagte, stets Frohsinn und Zuversicht auszustrahlen, auch wenn ihr etwas gegen den Strich ging. Sie zog die Hand zurück und widerstand dem Drang, sie an dem Kostüm abzuwischen. „L&G ist ein potenziell wichtiger Kunde, und man ist der Ansicht, dass ich die nötige Erfahrung besitze, um unser Produkt vorzustellen.“

Eine Schar leitender Angestellter in formeller Kleidung trat ein. Eine Frau, die auf gefährlich hohen Absätzen hereintrippelte, redete unablässig in ihr Handy. Ein junger Mann öffnete seinen Laptop und scrollte ungerührt durch seinen Posteingang, kaum dass er sich auf einen Stuhl geflegelt hatte.

Mr. D’Ambrosio drängte: „Dann lassen Sie uns beginnen.“

Lily blickte in die Runde und fragte sich, ob sie warten sollte, bis die Frau das Telefonat beendet hatte. Es war ein arroganter Haufen, der sich da eingefunden hatte. Aus Erfahrung wusste sie nur zu gut, dass keine Höflichkeit zu erwarten war. Wenn es ihr nicht gelang, ganz schnell die Aufmerksamkeit dieser Personen zu fesseln, dauerte es nicht lange, bis alle mit ihren Handys und Laptops spielten.

„Nun? Worauf warten Sie denn noch?“, knurrte Mr. D’Ambrosio. „Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.“

In Gewitterstimmung stürmte Vito Salvatore durch das Gebäude. Wider Willen spukte ihm der letzte Besuch bei seinem Großvater im Kopf herum.

Giovanni Salvatore – jahrzehntelang das unangefochtene Oberhaupt der Familie, voller Triebkraft, ein überaus bedeutsames Rollenvorbild und nach dem Unfalltod von Vitos Eltern eine verlässliche Vaterfigur – war nun ein sterbenskranker alter Mann, der sich mit aller Kraft an die letzten Monate seines Lebens klammerte.

„Mach mich glücklich, bevor ich sterbe“, hatte er verlangt.

Vito hatte die Hand seines Großvaters ergriffen, die erschreckend kraftlos und zittrig wirkte. „Nonno, du weißt, dass ich alles für dich tue, was in meiner Macht steht.“

„Du bist zweiunddreißig Jahre alt. Es ist an der Zeit, dass du zur Ruhe kommst. Du verschleißt Frauen wie andere Männer Hemden. Aber du musst damit aufhören und an die Zukunft denken. Meine Tage sind gezählt. Bevor ich sterbe, will ich wissen, dass mein Urenkel unterwegs ist.“

Nun, das stand nicht in Vitos Macht, doch ihm war nichts anderes übrig geblieben, als zu versichern: „Alles wird gut, nonno.“ Denn wie konnte er dem alten Mann das Herz brechen durch die Eröffnung, dass der Name Salvatore zum Aussterben verdammt war?

Er verdrängte die Erinnerung und stürmte weiter durch die Chefetage. Er war nicht in der Stimmung, sich mit dem Direktorium von L&G auseinanderzusetzen, wollte sich aber die Vorstandssitzung nicht entgehen lassen.

Vor dem Konferenzsaal blieb er abrupt stehen und starrte entgeistert durch die Glaswand. Er traute seinen Augen nicht.

Lily Chase.

Ihr Anblick versetzte ihm einen schweren Schlag, denn ihre Untreue war noch immer wie eine kaum verheilte Wunde, die nun wieder aufbrach. Mit pochendem Herzen ballte er die Hände zu Fäusten.

Niemand betrügt mich und kommt damit durch!

Doch Lily Chase war es offensichtlich gelungen. Wie um Salz in die Wunde zu reiben, bewies sie ihm nun, dass sie auf die Füße gefallen war. Denn da stand sie, ohne mit der Wimper zu zucken, und brachte eine Präsentation dar, als hätte sie keine einzige Sorge auf der Welt.

Er musterte sie von Kopf bis Fuß, suchte automatisch nach Anzeichen für eine Schwangerschaft, aber ihr war nichts anzusehen. Im Gegenteil. Sie sah unglaublich dünn aus in dem Leinenkostüm, das ihr viel zu weit war, und der Knoten im Nacken wirkte unvorteilhaft in seinen Augen.

Auch wenn sie ein wenig erschöpft aussah, konnte Vito den Blick nicht von ihr lösen. Mit dem blonden Haar und der hellen Kleidung wirkte sie wie ein Sonnenstrahl in dem düsteren Saal voll dunkel gekleideter Geschäftsführer.

Warum hat sie mir das angetan?

Er biss die Zähne zusammen und verdrängte entschieden diesen Gedanken. Er war stets Herr der Lage. Er allein hatte das Sagen, im Privatleben wie im Geschäft.

Alle Frauen in seinem Leben begriffen, wie es bei ihm ablief: keine dauerhaften Beziehungen, keine Haken und Ösen, aber absolute Treue auf beiden Seiten, solange es andauerte. Er war Manns genug für jede Frau.

Außer für Lily.

Mit halb zusammengekniffenen Augen musterte er sie durch die Glasscheibe. Anscheinend war sie wieder in ihrem alten Beruf tätig und verkaufte Software. Obwohl sie blass und müde aussah, wirkte sie ruhig und gelassen. Und doch wusste er, dass sie dieser Meute nicht gewachsen war. Er mochte den Chef der Unternehmenskommunikation von L&G nicht, der mit Sicherheit nicht in ein neues System investieren wollte, auch wenn es noch so nötig war, um die Firma in das einundzwanzigste Jahrhundert zu katapultieren.

Warum hat sie mich betrogen?

Die Frage ging ihm unablässig im Kopf herum.

Es war gut gelaufen zwischen ihnen, im Schlafzimmer und auch außerhalb. Die gemeinsam verbrachte Zeit war für ihn ein wundervoller Kontrapunkt zu seinem stressigen Berufsleben. Und in sexueller Hinsicht verstanden sie sich geradezu überwältigend gut.

Sie hatte ihm ihre Jungfräulichkeit geopfert, was er als ganz besonderes Geschenk erachtete. Gerade deshalb war es umso schockierender, dass sie so schnell in einem fremden Bett gelandet war.

Der Gedanke an Lily mit einem anderen Liebhaber wirkte unerträglich. Eine Ader pochte an Vitos Schläfe, als er aufgebracht in den Saal stürmte.

Erschrocken blickte Lily zur Tür. Ihr stockte der Atem. Ihr schlimmster Albtraum wurde wahr.

„Was, zum Teufel …!“, polterte Mr. D’Ambrosio, nur um abrupt zu verstummen, sobald er erkannte, dass es sein venezianischer Boss war, der in die Sitzung platzte.

Lilys Herz, das bei Vitos Anblick einen Schlag lang ausgesetzt hatte, pochte nun schmerzhaft hart. Es drängte sie, durch den Raum zu stürmen und sich in der Wärme seiner Umarmung zu verlieren. Aber sie wusste, dass sie dort keine Wärme mehr erwarten durfte.

Obwohl sein Anblick einen Stich in der Brust hervorrief, musterte sie ihn eindringlich. Er sah ausgezeichnet aus in einem handgefertigten Maßanzug, der tadellos saß, aber keineswegs die Muskelkraft verbarg. Nur zu gut erinnerte sie sich an die athletische Stärke seines schlanken Körpers und das Gefühl der Geborgenheit in seinen Armen.

Doch nun erschauerte sie angesichts seiner verbitterten Miene. Die bronzefarbene Haut straffte sich über den hohen Wangenknochen, und ein Muskel zuckte an seinem kantigen Kiefer.

Und seine blauen Augen fixierten sie auf eine Weise, die ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Abgesehen von ihrem letzten Tag in Venedig hatte er sie nie so zornig angesehen. Doch sie hielt dem Blick unverwandt stand.

Völlig unvermittelt forderte er sie auf: „Erzähl mir, warum L&G in euer Produkt investieren sollte.“

Sie presste die zitternden Hände fest zusammen. Seine Aufforderung kam völlig unerwartet. Warum ließ er sie nicht kurzerhand vom Sicherheitsdienst hinauswerfen? Was immer er im Schilde führen mochte, sie musste wohl oder übel mitspielen. Ganz gewiss wollte sie nicht vor ihm kneifen.

Plötzlich stieg ihr ein starker Geruch nach Kaffee in die Nase und löste eine Woge der Übelkeit aus. Sie senkte den Blick auf den Tisch. Eine dampfende Pfütze breitete sich in Richtung ihres Laptops aus. Offensichtlich hatte Mr. D’Ambrosio vor Schreck über den dramatischen Auftritt des „Big Boss“ seine Tasse umgekippt, aber er machte keine Anstalten, das Malheur zu beseitigen. Vielmehr blickte er Lily in der Erwartung an, dass sie sich darum kümmerte.

Unter Vitos eindringlichem Blick hatte sie jedoch ganz andere Sorgen. Sie holte tief Luft, sog dabei unbeabsichtigt das starke Kaffeearoma in die Lungen, schob den Laptop aus der Gefahrenzone und begann zu sprechen.

Nach anfänglicher Mühe gelang es ihr, sich auf die gut vorbereitete Präsentation zu konzentrieren. Ihre Stimme klang klar und sicher in der unheilvollen Stille des Konferenzsaals. Sie war nicht länger nervös. Denn sie wusste, dass sie nicht den gewünschten Erfolg erzielen konnte, so gut sie sich auch verkaufte. L&G war ohnehin schon ein harter Brocken, und nun, mit Vito auf der Bildfläche, war es schlichtweg unmöglich, einen Geschäftsabschluss zu erzielen.

Totenstille herrschte im Raum, als der Vortrag endete. Während alle darauf warteten, dass Vito sich äußerte, wanderten Lilys Gedanken zu dem ungeborenen Baby. Es erschien ihr noch immer unwirklich. Manchmal vergaß sie glattweg, dass sie schwanger war – bis sie durch einen Anfall von Übelkeit daran erinnert wurde.

Sie war oft genug vor skrupellosen Männern gewarnt worden, und doch befand sie sich nun in derselben misslichen Lage wie ihre Mutter vor ihr – rücksichtslos beiseitegeschoben, weil sie es gewagt hatte, schwanger zu werden.

Lilys Vater weigerte sich standhaft, sie anzuerkennen, und verbat sich sogar strikt, dass sein Name jemals preisgegeben wurde. Es galt, seine „richtige“ Familie zu schützen – eine Ehefrau und zwei Töchter, mit denen er in einem schicken Londoner Vorort wohnte.

Lily und ihre Mutter Ellen waren nicht gut genug für ihn. Sie stellten eine potenzielle Peinlichkeit dar und sollten für immer weit draußen auf dem Lande im Verborgenen bleiben, wo sie seinem makellosen Ruf nicht schaden konnten.

Sie redete sich ein, dass es ihr ohne diesen Heuchler besser ging, aber es war für sie ein hartes Los, ohne Vater aufzuwachsen. Die Situation hatte Ellen hoffnungslos überfordert, und dadurch war auch Lilys Leben schwer und unbeständig geworden.

„Wir werden das System probeweise für drei Monate übernehmen“, verkündete Vito unvermittelt in die Stille. „Mr. D’Ambrosio, säubern Sie den Tisch, und bringen Sie dann Miss Chases Geräte in mein Büro hinauf.“

„Aber …“ Eine Sekunde lang wirkte D’Ambrosio verärgert über die spontane Entscheidung seines Vorgesetzten. Doch dann beherrschte er sich und sprang auf. „Natürlich ist es uns ein Vergnügen, mit Ihnen Geschäfte zu tätigen“, behauptete er geflissentlich und reichte Lily die Hand. „Das System Ihrer Firma klingt wirklich sehr beeindruckend. Wir werden umgehend alles arrangieren. Meine Leute werden sich mit Ihren zusammensetzen und …“

Unter anderen Umständen hätte es sie amüsiert, die komplette Kehrtwende von hochnäsigem zu unterwürfigem Benehmen zu beobachten. Doch in diesem Moment heftete Vito den Blick auf sie und ordnete herrisch an: „Miss Chase wird mich unverzüglich in meine Suite begleiten.“

„Aber … ich sollte mich mit Mr. D’Ambrosio kurzschließen“, wandte Lily ein. Auch wenn sie sich ersehnte, ihn zu begleiten, warnte ihr Verstand sie davor.

Denn er war nicht der Mann, den sie zu kennen geglaubt hatte, nicht der zärtliche Geliebte, der Fürsorge und Geborgenheit vermittelte. Er war ein gänzlich anderes Wesen – ein herzloses Ungeheuer, das sie in einer kalten Nacht im März auf die Straße gesetzt hatte.

„Mitkommen“, befahl er nun kurz angebunden.

Unwillkürlich setzte sie sich in Bewegung, noch bevor er eine Hand um ihren Arm schloss. Die Berührung durchzuckte sie wie ein elektrischer Schlag. Sie rang nach Atem und blickte ihm aufgewühlt ins Gesicht.

Der feindselige Blick, der sie förmlich durchbohrte, löschte jede Spur einer letzten Hoffnung aus. Der Ausdruck in seinen Augen erschien ihr so kalt und unerbittlich wie ein Schneesturm, aber die Wärme seiner Hand drang durch ihre Leinenjacke und sandte eine Welle der Hitze durch ihren ganzen Körper.

Sie wollte fliehen, aber es gab keinen Ausweg. Sie hätte den Geschäftsabschluss und die erhoffte Anstellung aufs Spiel gesetzt, aber Vito hielt sie eisern am Arm fest.

Autor

Natalie Rivers
Natalie Rivers wuchs in der malerischen Landschaft von Sussex auf. Schon als Kind liebte sie es sich in einem guten Buch oder beim Spielen ihrer zügellosen Fantasie hinzugeben und sich darin zu verlieren. Sie ging zur Universität von Sheffield, wo sie gleich in der ersten Woche des ersten Halbjahres ihren...
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