NOX Band 13

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

DIESE NACHT KENNT KEIN TABU von JENNIFER GREENE

Nie wieder wollte Simone riskieren, von einem Mann enttäuscht zu werden! Doch seit sie in Michael Connors malerischem Strandhaus nach Unterlagen ihrer Familie sucht, fühlt sie sich magisch von ihm angezogen. Sie ahnt nicht, dass der Geist des Hauses sie zusammenbringen will …

RÜCKKEHR AUS DER ZUKUNFT von REBECCA FLANDERS

Die hübsche Houston ist von dem sexy Fremden fasziniert, der in ihrer Welt gestrandet ist. Der gesunde Menschenverstand sagt ihr zwar, dass er lügt: Unmöglich kann Quinn aus der Zukunft stammen! Doch seine Berührungen und seine Lippen verraten ihr, dass er die Wahrheit spricht …


  • Erscheinungstag 10.05.2025
  • Bandnummer 13
  • ISBN / Artikelnummer 9783751532716
  • Seitenanzahl 320
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jennifer Greene, Rebecca Flanders

NOX BAND 13

Jennifer Greene

PROLOG

Nun, die Bösen fanden wirklich keinen Frieden. Unten, drei Etagen tiefer, fiel eine Tür zu und weckte Jock aus dem schönsten erotischen Traum, den er seit Jahrhunderten gehabt hatte.

Er trat ans Fenster und spähte hinaus. Draußen war es dunkel. Wolken verdeckten den Vollmond, und der Wind wuchs zu einem Sturm an. Die Nacht war fast so schwarz wie der elegante, glänzende Wagen, der in der Einfahrt stand. Das Gefährt musste dem dritten der Connor-Brüder – Michael – gehören. Aber Jock konnte den Jungen nicht sehen. Der hochgeklappte Kofferraumdeckel des Wagens versperrte ihm die Sicht. Ein Lederkoffer wurde neben den Wagen gestellt, dann noch einer, dann der Karton von einem dieser Rechenkästen des zwanzigsten Jahrhunderts und noch ein paar Teile, die zu diesen neumodischen Dingern gehörten. Schließlich wurde der Kofferraum zugeklappt.

Jock blickte angestrengt hinunter und musterte den Jungen. Verflixt, was sollte er nur mit dem da anfangen? Schon die beiden anderen Brüder hatten ihm das Leben zur Hölle gemacht, aber ausschlaggebend war dann doch das Ergebnis gewesen – er hatte sie trotz aller Hindernisse erfolgreich unter die Haube gebracht. Jetzt hatte er nur gehofft, dass es bei diesem Jungen leichter wäre.

Danach sah es nicht aus. Trotz der unbekannten Mode erkannte Jock gleich, dass Michael einen maßgeschneiderten Anzug trug, seine Schuhe poliert waren und er offensichtlich nur Sachen bevorzugte, die nach Geld rochen. Auf Geldaristokratie hatte Jock nie etwas gegeben. Er selbst konnte ja nicht einmal lesen, hatte es nie eingesehen, seine Zeit mit so unnützen Dingen zu verschwenden. Der Junge hier sah aber nicht nur klug aus, sondern sein ganzes Gehabe zeugte von Macht und Geltungsbedürfnis, und er war es bestimmt gewohnt, andere zu kommandieren. Verflucht.

Jock suchte wenigstens etwas Gutes an der Situation und fand es auch. Der Bursche war flink und umsichtig, bemühte sich, seine Sachen vor dem Regen in Sicherheit zu bringen. Er trug eine Brille, aber das war nicht weiter schlimm. Brillen ließen sich leicht zerbrechen. Sein Körperbau war eher schmal als muskulös – leider –, aber dafür war er groß und bestimmt stark genug, um eine Frau zu beschützen. Besser noch war sein gutes Aussehen. Trotz der Dunkelheit bemerkte Jock das helle Haar, die gerade Nase, das markante Kinn und die hohen Wangenknochen, alles Merkmale, die Frauenherzen höherschlagen ließen. Allerdings war er nicht mehr der Jüngste, Jock schätzte ihn auf Ende dreißig. Das Leben hatte bereits Spuren in seinem Gesicht hinterlassen, denn sein Profil wirkte stolz, fast arrogant.

Jock seufzte schwer. Mit einem stolzen Mann konnte er nicht gut umgehen. Am liebsten waren ihm rauflustige Kerle, die Rum mochten. Männer von Welt waren ihm fremd. Doch vor einer Herausforderung war er nie zurückgeschreckt. Im Grunde genommen gab es keinen Menschen, der nicht der Einsamkeit entfliehen wollte. Die meisten Männer redeten nicht gern über die Liebe, das konnte Jock gut verstehen, aber in den dunklen Nächten des Lebens brauchte die Seele eines Mannes nur eines – die Liebe einer Frau.

Schon besserte sich Jocks Stimmung. Mit den anderen Brüdern war er auch fertig geworden. So viel schwerer konnte es bei diesem hier auch nicht sein. Es musste ihm eben nur die richtige Frau über den Weg laufen. Sollte sich in dieser Hinsicht nicht von allein etwas ergeben, würde er auf ein paar Geistertricks zurückgreifen. Jock kannte sich da aus. Die ganze Sache war – um es im Jargon der heutigen Zeit auszudrücken – ein Klacks. Der Junge würde nicht einmal ahnen, wie ihm geschah.

Von dem Moment an, wo Michael Connor die Schwelle überquerte, gehörte er zu Jocks Jungs.

1. KAPITEL

Sprühregen und Wind störten Michael Connor nicht. Er schaute sich ausgiebig auf dem Grundstück um. Das „For Sale“-Schild war aufgestellt, Adresse und Telefonnummer des Maklers gut leserlich aufgedruckt. Wie es sein sollte. Der Rasen war frisch gemäht, die Beete tadellos gepflegt. Wie er es angeordnet hatte.

Er nahm den Computer aus dem Kofferraum seines Wagens und stellte ihn im Schutze der Veranda ab. Dann ging er wieder zurück, holte die restlichen Sachen heraus und warf den Kofferraumdeckel zu. Ein heftiger Sommersturm war heraufgezogen. Dicke Wolken hingen über dem Atlantik. Klatschend schlugen die Wellen gegen die felsige Küste. Blitze zuckten in der Ferne. Ein romantisch veranlagter Mensch hätte das Naturschauspiel vielleicht faszinierend gefunden.

Michael fischte in der Jackentasche nach dem Hausschlüssel. Ihm konnte das alles gestohlen bleiben. Auch das Haus. Es stammte noch aus der Zeit der Piraten und Segelschiffe, hatte drei Etagen, einen Turm auf der einen Ecke und einen Wandelgang rund ums oberste Stockwerk. Beeindruckend. fantastisch. Michael konnte es nicht erwarten, das Haus endlich loszuwerden.

Seine jüngeren Brüder hatten das schon versucht. An der Küste von Maine gelegen, war es ein herrlicher Besitz. Zum richtigen Preis musste es sich, selbst in Zeiten einer Wirtschaftskrise, im Nu verkaufen lassen. Doch seit ihr Großvater ihnen den alten Kasten vererbt hatte, hatten sie damit ein Klotz am Bein.

Das würde sich natürlich ändern, weil er den Verkauf jetzt selbst in die Hand nahm.

Er sprang die Verandastufen hinauf. Ein Blitz zuckte und erhellte kurz das ganze Haus mit seinem gespenstischen Licht. Michael ignorierte das. Gordon und Seth hatten ihn gewarnt, dass das Haus etwas Geheimnisvolles, beinahe etwas Verzaubertes an sich hätte. Michael fand die Warnung lächerlich. Das Haus hatte sich aus ganz anderen, triftigeren Gründen nicht verkaufen lassen, mit Zauber oder Spuk hatte das nichts zu tun gehabt. Seine Brüder waren einfach zu sehr abgelenkt worden von den Frauen, die sie hier während ihrer Anwesenheit kennengelernt hatten.

Dass ihm etwas Ähnliches passierte, war mehr als unwahrscheinlich. Derartige Probleme waren leicht aus der Welt zu schaffen, wenn auch manchmal zeitraubend. Doch seinen Brüdern gönnte er es, dass sie glücklich waren, denn deren Glück lag ihm sehr am Herzen. Beide hatten es gut getroffen mit ihren Frauen, besonders nach dem Pech, das die Männer der Connors immer gehabt hatten. Ironischerweise hatte sich Michael früher immer gewundert, dass er als Einziger aus der Reihe getanzt war. Zehn Jahre war er verheiratet gewesen, rundum zufrieden und glücklich, ein Vorbild – so hatte er gehofft – für seine jüngeren Brüder, die er mit großgezogen hatte.

Das Scheitern seiner Ehe setzte ihm zu. Er war in seinem Leben noch nie mit etwas gescheitert. Weder beim Fußball, beim Poker noch in der Schule oder im Beruf, und schon gar nicht mit etwas, was ihm viel bedeutete. Rasch unterdrückte er jeden weiteren Gedanken daran. Nur wenn er an Carla dachte, brannte ihm schon der Magen.

Er steckte den Schlüssel in das alte Schloss und drehte ihn herum. Dann ein Stoß, und die schwere Eichentür schwang knarrend nach innen auf. Während er noch nach dem Lichtschalter suchte, hörte er irgendwo im Haus das Telefon klingeln.

Er fand den Schalter, betätigte ihn, und sofort blendete ihn ein prächtig glitzernder Kristallkronleuchter, der eine breite Treppe und eine holzverkleidete riesige Eingangshalle mit einer Vielzahl von Räumen zu beiden Seiten erhellte. Telefonapparate waren nicht zu sehen, aber das Geräusch kam aus einem der Zimmer hinten links. Er lief hin, kam in eine Küche, und noch vor dem vierten Klingeln hatte er den altmodischen Wandapparat erreicht.

„Mr. Connor? Hier ist Paula Stanford. Ich hatte gehofft, Sie heute Abend noch zu erreichen, aber ich wusste nicht, wann Sie genau hier sein würden.“

Michael klemmte sich den Hörer zwischen Schulter und Ohr und lockerte seine Krawatte. Stanford war der Name der Maklerin. Er hatte schon mit ihr telefoniert. Natürlich hätte er auch ihr allein den Verkauf des Hauses überlassen können – wenn er bereit gewesen wäre, jemand anders als sich selbst zu vertrauen. Und das war er nicht.

„Ich könnte mich morgen mit Ihnen treffen, wenn es Ihnen recht ist. Sagen Sie, um wie viel Uhr es Ihnen passt.“

Das tat Michael. Punkt zehn Uhr. Im Geiste stellte er sich vor, wie Ms. Stanford aussah. Brünett, drall und klein. So um Mitte fünfzig. Sie sprach respektvoll. Vielleicht hatte sie Erkundigungen über ihn eingezogen und wusste, dass er Geld hatte. Irgendetwas in ihrer Stimme ließ ihn an teures Parfüm denken.

Er machte gern dieses Spiel und versuchte, sich nur nach der Stimme seinen Gesprächspartner vorzustellen. Wenn er bei Männern eine Trefferquote von zehn zu zehn erzielte, dann war bei den Frauen das Verhältnis eher vier zu zehn – was wieder einmal bewies, wie wenig er von Frauen verstand. Aber das war kaum überraschend, so wie er seine eigene Frau missverstanden hatte. Zum Glück brauchte er Ms. Stanford nicht zu verstehen, um mit ihr zu arbeiten. Bis jetzt hatte sie seine Anweisungen wortgetreu befolgt. Auf diese Art würden sie gut miteinander auskommen.

Nachdem er aufgelegt hatte, lief er nach draußen, um noch die restlichen Sachen hereinzuholen. Der Sprühregen war zu einem kräftigen Schauer angewachsen. Donner grollte in der Ferne, und kaum dass er die Tür hinter sich geschlossen hatte, klingelte schon wieder das Telefon.

So schnell wie möglich musste er den Anrufbeantworter und das Faxgerät anschließen. „Mr. Connor? Hier ist Sam Burkholtz aus der Firma.“

Michael nahm seine Krawatte ab und faltete sie ordentlich zusammen, während er dem Mann zuhörte. Er hatte zwei Spritzgussfirmen in Detroit. Die Belegschaft der ersten Schicht konnte sich an die Ingenieure oder die Wartungsmonteure wenden, wenn es Probleme gab. Da der zweiten und dritten Schicht weniger Hilfspersonal zur Verfügung stand, sollten sie sich bei Problemen direkt an ihn wenden. Sam klang nervös. Er war neu und bestimmt unsicher, ob es den Chef wirklich nicht störte, zu jeder Tages- und Nachtzeit angerufen zu werden. Mit der Zeit würde er lernen, dass Michael nichts aus der Fassung brachte – außer zu spät von einem Problem zu erfahren.

Er hatte kaum aufgelegt, da klingelte das Telefon schon wieder. Bei diesen Anrufern musste er allerdings lachen.

Die Zwillinge hatten schon immer viel Beachtung verlangt. Davie hatte in einem Little League Spiel einen Treffer erzielt. Michael hörte sich seine ausführliche Schilderung zweimal an. Dann riss Donnie seinem Bruder den Hörer aus der Hand und berichtete noch einmal dasselbe. Seine neunjährigen Söhne schienen sich trotz der Trennung gut zu entwickeln. Zu ihrem Wohl hätte er die schlimmste Ehe auf Erden ertragen. Aber Carla hatte ihm keine Wahl gelassen – sie hatte ihm deutlich gesagt, dass sie es keine Minute länger bei ihm aushielte.

Das war ein harter Schlag für ihn gewesen. Er hatte immer geglaubt, ein erträglicher Mensch zu sein, und plötzlich bekam er zu hören, dass er so abstoßend sei wie ein Stinktier. Zum Glück hatte er Söhne und keine Töchter. Jungs verstand er wenigstens.

„Ja, ja, ich habe es euch versprochen. Wenn ich länger als drei Wochen bleibe, könnt ihr mich besuchen kommen. Mit ein bisschen Glück bin ich aber bis dahin längst wieder zu Hause.“

Lautes Stöhnen sagte ihm, was die beiden von der Taktik hielten, und er musste unweigerlich lachen. Immer noch lächelnd, legte er ein paar Minuten später auf.

Dann war es plötzlich still im Haus. Zu still für ihn. Ungewohnt. Befremdend. Einsam. Michael durfte nicht an die lange Nacht denken, die vor ihm lag. Er zog sich sein Jackett aus, hängte es über einen Stuhl und bewegte seine Schultern. Die Augen brannten ihm vor Müdigkeit. Normalerweise hatte er mehr Energie, aber in den letzten Monaten hatte er nicht gut geschlafen. Schon als Kind hatte er an chronischer Schlaflosigkeit gelitten. Die Ehe hatte das Problem gelöst, aber ohne Carla war es gleich wieder da.

Eigentlich müsste es so etwas wie einen Service für Schlafpartner geben, dachte er. Durch das Scheitern seiner Ehe war ihm klar geworden, dass er Frauen nicht glücklich machen konnte, und er wollte keiner anderen ein Leben mit ihm zumuten. Aber er würde sehr viel darum geben, nicht mehr allein schlafen zu müssen. Es würde ihn nicht stören, wenn sie ihm die Decke wegnähme, wenn sie im Schlaf spräche. Er würde sogar seine Libido unterdrücken, Hauptsache, er hätte einen lebendigen, atmenden weiblichen Körper neben sich, den er in die Arme schließen konnte.

Irgendwo tickte eine Uhr. Der Regen klatschte gegen die Küchenfenster. Ein seltsam kalter Lufthauch zog an ihm vorbei und ließ ihn zusammenzucken. Verärgert über sich selbst, schüttelte er den Kopf. In einem alten Haus zog es nun mal. Davon ließ er sich doch nicht erschrecken. Das Haus war einfach zu riesig und zu leer für nur eine Person.

Er holte aus seinem Koffer eine Flasche Scotch, schenkte sich ein Wasserglas voll ein und wanderte dann mit dem Drink in der Hand durchs Haus. Der Scotch würde ihn weder ruhiger noch schläfrig machen, aber manchmal nahm er dann die Einsamkeit nicht mehr so wahr. Er schaltete überall das Licht ein und besichtigte einen Raum nach dem anderen. Einer der Räume war offensichtlich eine Bibliothek, die Regale an den Wänden waren leer, aber es stand ein Schreibtisch mit einem Telefon darin, und von den großen Fenstern hatte man Aussicht auf das Meer. Nachdem er seinen Computer und die anderen Geräte dort hineingebracht hatte, nahm er seinen Koffer und ging damit die Treppe hinauf.

Er war kaum oben angekommen, da klingelte das Telefon schon wieder. Das Geräusch war ganz in der Nähe, also gab es hier im ersten Stockwerk auch einen Anschluss. Er hatte bloß keine Ahnung, in welchem der vielen Zimmer. Als das Telefon erneut klingelte, ging er einfach dem Geräusch nach, stolperte in einen Raum und tastete im Dunkeln nach dem Apparat. Er fand ihn schließlich auf einem Nachttisch.

„Mr. Connor? Michael Connor?“

„Ja, der bin ich.“ Mit den Fingern stieß er gegen eine Keramiklampe und hätte sie fast umgeworfen, als er nach dem Schalter suchte, um Licht zu machen. Die aufgeregte Stimme der Anruferin weckte seine Neugier. Keines der bisherigen Telefonate war vollkommen unerwartet gewesen. Jedoch dieses.

Er hatte nicht die geringste Ahnung, warum eine Unbekannte ihn sprechen wollte und sich die Mühe machte, ihn hier aufzuspüren. Ihre Stimme klang leicht atemlos, ein bisschen nervös, etwas tief, weiche Altlage. Ganz automatisch spielte er sein übliches Spiel. Er dachte gar nicht nach, die Bilder drängten sich ihm einfach auf. Braunes, kurzes Haar, braune Augen, schlicht. Mitte zwanzig. Auf jeden Fall jung, nicht sehr groß und bestimmt so eine von denen, die ein süßliches, blumiges Parfüm benutzen. Kleidung hochgeschlossen bis zum Hals, mit kleinbedrucktem Muster. Saumlänge bis über die Knie. Richtig schüchtern.

„…es tut mir schrecklich leid, dass ich Sie störe. Sie kennen mich ja nicht. Ich heiße Simone Hartman.“ Sie zögerte. „Schätzungsweise sagt Ihnen das aber nicht sehr viel, oder?“

„Leider nicht.“ Fast hätte er noch „Schätzchen“ hinzugefügt, doch im letzten Moment hielt er sich zurück. Seine sechzigjährige Sekretärin, Roberta, hatte ihm erst kürzlich beigebracht, was alles zu sexueller Belästigung zählte, und behauptet, selbst ein Urmensch wäre in der Lage, das zu lernen. Niemals sollte er einer weiblichen Angestellten sagen, dass sie hübsch sei, sonst könne sie auf den Gedanken kommen, er hätte sie eingehender betrachtet. Er sollte einer Frau nie auf die Schulter klopfen, gleichgültig wie gut sie gearbeitet habe. Er sollte auch nicht lauter sprechen als unbedingt nötig, denn wenn er laut würde, erschrecke er die Frauen zu Tode. Und auf keinen Fall dürfe er eine Frau „Schätzchen“ nennen – selbst wenn sie wie ein kleiner Schatz aussähe. „Kenne ich Sie? Haben wir irgendeine Verbindung?“

„Es wäre möglich, dass Sie meinen Namen schon mal gehört haben. Ja, weil… bei uns gibt es eine Verbindung, eine familiäre Verbindung, aber… was soll ich sagen? Das ist am Telefon so schwer zu erklären. Ich wusste gar nicht, wie ich Sie erreichen konnte. Ich habe die Maklerin angerufen, aber Sie wollte mir nicht Ihre Telefonnummer geben, also die Nummer, wo Sie wohnen. Die Frau hat mir nur gesagt, dass Sie diese Woche herkommen würden.“

„Fein. Sie haben mich jetzt am Apparat, und ich weiß immer noch nicht, was Sie von mir wünschen.“ Michael hielt es für wenig wahrscheinlich, dass sie eine „familiäre Verbindung“ hatten. Hätte er die weiche Altstimme schon mal gehört, würde er sich daran erinnern. Er stieß mit den Fingern in etwas Franseliges und verhedderte sich darin. Er kämpfte noch immer mit der Lampe. Bislang stand es drei zu null für die Lampe. Im Raum war es stockfinster, der Wind fegte durch jede Ritze, und Michael verlor allmählich die Geduld mit der Gesprächspartnerin, dem Haus und am meisten mit dieser verflixten Lampe.

„Es gibt da eine gewisse Verbindung zwischen uns durch Ihren Großvater. Der, der in den Dreißigerjahren das Haus gekauft hat. Ich bin doch da nicht bei der falschen Familie gelandet, oder? Sie sind doch mit Benjamin Connor verwandt?“

Die Lampe ging im selben Moment an, als sie den Namen seines Großvaters aussprach. Das war sehr ungünstig. Michael konnte sich zum ersten Mal im Schlafzimmer umschauen. Seine Brüder hatten erwähnt, dass es ein Zimmer für sich sei, aber er hatte nicht gewusst, was für eine Lasterhöhle ihn erwartete. Donnerwetter. Die Nachttischlampe mit dem Fransenschirm spendete nur schwaches Licht, das kaum bis in die Ecken reichte, aber dennoch sah er die roten Samtvorhänge, das Sofa und das riesige Bett auf dem Podest, so breit, dass ein Harem darauf Platz gehabt hätte.

„Mr. Connor, sind Sie noch da?“

„Ja, mmh.“

„Und Benjamin Connor war Ihr Großvater?“

„Ja.“ Nicht, dass er die Blutsverwandtschaft gern zugab. Michael fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Kaum zu glauben, was der alte Schurke für einen Geschmack gehabt hatte.

„Gott sei Dank“, murmelte sie. „Mr. Connor, wenn es irgendwie möglich ist, möchte ich mich mit Ihnen treffen. Könnten wir einen Termin ausmachen? Ich bin zur Zeit in einer Pension in Bar Harbor und extra Ihretwegen hergekommen. Tag oder Uhrzeit spielen keine Rolle.“

„Schätzchen…“ Hoppla, jetzt hatte er das verbotene Wort doch ausgesprochen. „Ms. Hartman, ich verstehe Sie noch immer nicht so ganz. Worum geht es denn? Woher kennen Sie meinen Großvater? Und was wissen Sie über das Haus?“

Sie zögerte. „Darüber wollte ich ja mit Ihnen sprechen, aber nicht am Telefon.“

Davon wich sie nicht ab. Michael trank einen Schluck Scotch und sagte ihr – wahrscheinlich war das ein Fehler –, dass er am kommenden Morgen gegen neun eine Stunde Zeit habe.

Nachdem er aufgelegt hatte, ärgerte er sich über sich selbst. Die Ausrede „das kann ich Ihnen nicht am Telefon sagen“ hasste er. Leute, die mit solchen Floskeln auswichen und nicht sofort auf ihr Anliegen zu sprechen kamen, waren auch nicht aufrichtig. Und wenn sich jemand die Mühe machte, ihn aufzusuchen, wollte er bestimmt auch etwas von ihm. Das kannte er nicht anders, und im Allgemeinen ließ er sich auf so etwas nicht ein.

Ihre Behauptung, eine Verbindung zu seinem Großvater zu haben, hatte ihn jedoch neugierig gemacht.

Er trank noch einen Schluck Scotch, ließ die Flüssigkeit über die Zunge rinnen, bis es brannte, und schluckte sie dann hinunter. Er schaute sich erneut in dem Zimmer um.

Michael mochte keine Geheimnisse. Doch um seinen Großvater gab es mehr als eins. Als erstes das Haus. Niemand in der Familie hatte von Benjamins Besitz gewusst, bis er gestorben war und ihn seinen drei Enkelsöhnen vermacht hatte. Benjamin stammte aus Colorado, und soweit die Familie wusste, hatte er nie irgendwelche Verbindungen nach Maine gehabt.

Der Verkauf des kostspieligen Besitzes schien das einzig richtige. Keiner der Brüder wollte das Haus. Niemand wohnte irgendwo in der Nähe. Es wäre ein Unding gewesen, es zu unterhalten, da auch keiner von ihnen irgendwelche sentimentalen Erinnerungen an das Haus hatte. Die Frage, wie ihr Großvater an den Besitz gekommen war und was er hier gemacht hatte, schien Seth und Gordon nicht weiter zu interessieren. Michael jedoch sehr.

Benjamin war eine regelrechte Legende in der Familie Connor. Er war Vollwaise gewesen, der Gründer des Clans, und hatte aus dem Nichts ein Vermögen mit Silber gemacht. Soweit respektierte Michael ihn sehr, aber der alte Schurke hatte seine Finger nicht von den Frauen lassen können. Trotz Ehe war er fremdgegangen und hatte nicht einmal davor zurückgeschreckt, sich in aller Öffentlichkeit auch zu seinen Geliebten zu bekennen. Seine Weibergeschichten wurden in der Familie regelmäßig aufgewärmt, als hätte der alte Mann nur etwas getan, was „echte Männer“ bewundern müssten. So hatte Michael das nie gesehen.

Das Pech der Connors mit Frauen hatte mit Benjamins einzigem Sohn, dem Vater der drei Brüder seinen Anfang genommen. Hätte ihr Vater etwas von Liebe, der echten Liebe, verstanden, wäre ihre Mutter bei ihnen geblieben. Stattdessen war sie gegangen und hatte ihre drei Söhne in einem mutterlosen Haushalt zurückgelassen. Michael war der älteste gewesen, neun Jahre zu der Zeit. Er hatte sich immer für seine Brüder verantwortlich gefühlt, immer auf sie aufgepasst, deshalb war auch keiner von ihnen in den Einflussbereich einer Frau geraten. Wie sollten sie sich jetzt mit Frauen auskennen? Wie sollten sie etwas von Liebe und Fürsorge verstehen, wenn sie nichts dergleichen erfahren hatten?

Michael schwenkte den restlichen Scotch in seinem Glas. Mehr als einmal hatte er überlegt, ob es vielleicht ein genetischer Fehler war. Doch sein Versagen mit Carla war nicht genetischer Natur. Er hatte alles verkehrt gemacht, und zwar gründlich. Aber wieso, das wusste er sich nicht zu erklären.

Auf jeden Fall hatte er sich geschworen, niemals so zu werden wie sein Großvater. Der alte Lüstling war ein Schurke gewesen, hatte die Frauen benutzt, manipuliert und sich egoistisch ausgelebt. Man konnte sich seine Verwandten nicht aussuchen, aber Michael hatte sich immer bemüht, anders zu sein als sein Großvater. Er hatte geglaubt, das wäre ihm gelungen – bis Carla ihn verließ.

Vielleicht konnte diese Simone Hartman ihm ein paar Fragen beantworten. Oder auch nicht.

Vermutlich würde ihr Treffen morgen reine Zeitverschwendung sein, aber wenn sie tatsächlich etwas über seinen Großvater wusste, würde er ihr zuhören. Gewollt oder ungewollt hatte der alte Mann sein Leben beeinflusst, deshalb musste er die Gelegenheit wahrnehmen, etwas über ihn zu erfahren.

Der Gedanke an ihr Treffen morgen entlockte ihm ein Lächeln. Seit seiner Scheidung war er Frauen absichtlich aus dem Weg gegangen, aber bei Simone brauchte er sich kaum in acht zu nehmen. Ihre Altstimme hatte sehr angenehm, beruhigend und tröstend geklungen. Es hatte nichts darin mitgeschwungen, was ihn instinktiv gewarnt hätte.

Lächerlich, mit einer schutzbedürftigen Frau würde sogar er fertig werden.

2. KAPITEL

Strahlender Sonnenschein fiel durch die schmalen hohen Fenster der Bibliothek. Gegen fünf Uhr in der Frühe hatte Michael den Versuch aufgegeben, noch zu schlafen, und seitdem nicht mehr auf die Uhr geschaut. Im Augenblick saß er auf dem Boden, hatte die Ärmel hochgekrempelt und war nahe daran, zu verzweifeln.

Er war ein guter und erfolgreicher Geschäftsmann. Jeder, der ihn kannte, würde das bestätigen. Einige seiner Konkurrenten behaupteten sogar, es gäbe nichts, was er nicht vermarkten könne. Von dem Tag an, als er im Alter von sechs Jahren einen Limonadenstand eröffnet hatte, floss ihm das Geld nur so zu. Er hatte sich immer für klug gehalten, wie konnte das also so schwer für ihn sein?

Mit elektronischen Geräten zu reisen bedeutete auch, mit etlichen Kabeln und Schnüren reisen zu müssen. Im Augenblick bedeckte ein regelrechter Kabelwirrwarr den Boden der Bibliothek. Computer, Faxgerät, Drucker, Monitor, Tastatur, Modem und Anrufbeantworter hatte er längst ausgepackt. Er konnte seine Geschäfte von überallher führen, solange er diese EDV- und Telekommunikationsgeräte hatte. Die schwerste Arbeit war schon getan. Er brauchte die Geräte nur noch anzuschließen.

Inzwischen stand bereits seine vierte Tasse Kaffee auf dem Schreibtisch. Während er mit der einen Hand danach griff, versuchte er mit der anderen, den Computer zu verkabeln. Er war in diesem Moment so vertieft in seine Arbeit, dass er das laute Klopfen an der Haustür nicht hörte. Schließlich drang es aber doch in sein Bewusstsein. Einen Fluch unterdrückend, stand er auf, lief mit dem Kabel in der Hand in die Eingangshalle und riss die Tür auf.

Eine Blondine stand vor ihm. Gleich auf den ersten Blick wusste er, dass sie nicht sein Fall war. Um gewisse Frauen hatte er schon immer einen großen Bogen gemacht.

Sie gehörte zu dieser Gruppe.

Es lag nicht an ihrer Kleidung. Offensichtlich zog sie einen eher konservativen Stil vor – wie er auch. Ihre weiße Hose hatte einen exakten Kniff und spannte sich nicht, sondern verhüllte sittsam mollige Hüften. Dazu trug sie ein rosa Top mit viereckigem Ausschnitt, das einen tieferen Einblick gewährt hätte, wenn es bei ihr etwas zu sehen gegeben hätte. Ihre Figur an sich war eher durchschnittlich – aber ihr Gesicht nicht.

Himmel, diese Augen. Man konnte schon unruhig werden, wenn man in diese ausdrucksvollen Augen schaute. Anscheinend liebte sie Sonnenbäder, denn ihre Haut war leicht gebräunt. Ihr Gesicht war oval und wirkte vornehm mit der geraden Nase, den hohen Wangenknochen und den fein geschwungenen Brauen. Und sinnlich, dachte er. Alles an ihr war ausgesprochen weiblich und sinnlich. Bis auf einen Hauch Lippenstift hatte sie kein Make-up aufgetragen, aber ihr Mund wirkte weich und zart. Ihr schulterlanges, goldblondes Haar wehte in der leichten Brise. Sie war nicht übermäßig groß. Und auch nicht mehr ganz jung. So um die Dreißig, schätzte er sie. Also alt genug, um zu wissen, welche Wirkung sie auf Männer ausübte.

Michael konnte sich gut vorstellen, wie die Männer ihr nachschauten, wenn sie die Straße entlangging. Ebenso gut konnte er sie sich Champagner nippend in einem teuren Restaurant vorstellen. Aber was zum Teufel machte sie hier vor seiner Tür?

„Mr. Connor? Ich habe gestern angerufen. Simone Hartman.“

Er starrte sie verständnislos an. Es konnte doch nicht schon neun Uhr sein. Er verspätete sich nie bei einer Verabredung. Und Simone Hartman hätte eigentlich braunäugig, braunhaarig und schlicht sein müssen. Eine schutzbedürftige Frau, mit der er leicht fertig werden würde.

„Darf ich hereinkommen?“

Er hatte sich wieder gefasst. „Natürlich. Ich habe Sie ja erwartet.“ Ihm entging nicht ihr amüsierter Blick. Kein Wunder, er war barfuß, hatte zerzaustes Haar, und mit dem Kabel in der Hand wollte es ihm nicht recht gelingen, sein Hemd ordentlich in die Hose zu stopfen.

„Ich habe Sie wohl bei der Arbeit gestört“, sagte sie. „Vielleicht kann ich Ihnen helfen?“

„Nein, danke, das schaffe ich schon allein.“ Er ging rückwärts zur nächstgelegenen Tür und warf das Kabel in den Raum. Es gab ein dumpfes Geräusch, als es irgendwo gegenstieß. Aber Michael lächelte nur, kühl und arrogant, so wie es seine Art war. Normalerweise konnte er Leute damit einschüchtern, doch sie blickte ihn weiterhin amüsiert an. „Ich wollte mir in der Küche gerade eine Tasse Kaffee holen. Darf ich Ihnen auch eine anbieten?“

„Gern, wenn es Ihnen nicht allzu viel ausmacht.“

Sie atmete einmal tief durch, ehe sie ihm folgte, was ihm verriet, dass sie nervös war und gar nicht so selbstbewusst, wie sie tat. Das gab ihm wieder Auftrieb. Schwungvoll bog er um die Ecke zur Küche und stieß sich prompt den Zeh. Wo zum Teufel waren seine Schuhe?

„Leider kann ich Ihnen weder Sahne noch Zucker anbieten, denn ich bin erst gestern Abend angekommen. Im Augenblick habe ich noch nicht viel da.“

„Schwarz mag ich ihn auch. Mr. Connor…“

„Nennen Sie mich ruhig Michael“, fiel er ihr ins Wort. Etwas weniger Förmlichkeit würde ihnen sicher über die Verlegenheit hinweghelfen. Er holte eine Tasse aus dem Schrank, nahm den Kaffeekocher vom Herd und schenkte ein. Die trübe schwarze Flüssigkeit, die heraustropfte, reichte für eine halbe Tasse. Dick mit Kaffeesatz vermischt. Er begegnete erneut ihrem amüsierten Blick und seufzte.

„Eigentlich möchte ich keinen Kaffee“, sagte sie höflich.

„Nein, nein, ich brühe eine frische Kanne auf. Das dauert nicht lange. Setzen Sie sich doch solange. Während der Zeit können wir uns ja weiter unterhalten. Ich glaube, ich habe Sie eben unterbrochen.“

„Ja. Gestern Abend am Telefon wollte ich eigentlich nicht so geheimnisvoll erscheinen. Es liegt nur daran, dass das, was ich Ihnen erzählen und Sie fragen will, mir ehrlich gesagt peinlich ist.“

Wunderbar, sie war auch noch prüde. Diese Feststellung lockerte ihn, und seine alte Schlagfertigkeit kehrte zurück. „Ich hoffe, Sie haben deshalb keine schlaflose Nacht gehabt. Ich bin sechsunddreißig. Sie müssten sich schon etwas Besonderes ausdenken, um mich in Verlegenheit zu bringen.“ Aha, sie hatte den Scherz verstanden, denn sie lächelte wieder. Er spülte die Kanne aus und maß das Zimtvanillekaffeepulver ab. Wundersamerweise verschüttete er nichts dabei. „Sagten Sie nicht, Sie hätten eine Verbindung zu meinem Großvater?“

„Ja. Nein. Ach, vielleicht sollte ich Ihnen zuerst sagen, dass wir nicht verwandt sind. So eine Verbindung ist es nicht.“

Das war kaum verwunderlich. Abgesehen von den wenigen kurzzeitigen Verbindungen mit Frauen, gab es in der Familie Connor nur Männer. „Sicher wäre es für Sie leichter, wenn Sie gleich zur Sache kämen“, schlug er trocken vor.

„Ob Sie es glauben oder nicht, das versuche ich ja gerade. Ich wünschte nur, es gäbe eine andere Möglichkeit, als es geradeheraus zu sagen.“ Sie nahm auf einem der Küchenstühle Platz und stützte das Kinn in die Hand. „Meine Großmutter hatte eine Affäre mit Ihrem Großvater. Zu der Zeit war sie verheiratet. Und ich glaube, er auch. Dieses Haus war ihr ‚Ort‘. Hier trafen sie sich heimlich, um… um sich miteinander zu amüsieren.“

Michael schaute sie fasziniert an. Schon seit Monaten beschäftigte ihn die Frage, wie und warum sein Großvater dieses Haus erworben hatte. Seine Brüder hatten sich damit abgefunden, dass sie den Grund nie erfahren würden. „Das ist kein Scherz? Sind Sie ganz sicher?“

„Absolut sicher. Ich wünschte, es wäre nicht so.“ Simone schüttelte bedauernd den Kopf. „Ich bin nicht gerade stolz darauf, das über meine Großmutter sagen zu müssen. Als sie jung war, kannte sie leider keine Moral. Wir haben viel darüber gelacht – heute ist es ja keine Schande mehr, jemanden mit wildbewegter Vergangenheit in der Familie zu haben –, aber, um ehrlich zu sein, ich fand ihre Seitensprünge nicht komisch. Ihr Benehmen hatte eine große Auswirkung auf die Frauen in meiner Familie – und sicher auch auf Ihren Großvater.“

Das konnte Michael nicht so übergehen. „Schieben Sie mal nicht nur Ihrer Großmutter die Schuld zu. Mein Großvater war ein durchtriebener Schürzenjäger und konnte einer Frau leicht den Kopf verdrehen.“

Bis der Kaffee fertig war und auf dem blank gescheuerten Eichentisch stand, hatte er seine Schuhe wiedergefunden. Einigermaßen ordentlich angezogen, nahm er dann ihr gegenüber Platz und schenkte ihr ein. Als sie trank, hielt sie die Tasse mit beiden Händen fest.

Michael hätte nicht vermutet, dass er sich mit Simone so gut verstehen würde, aber sie redete dieselbe Sprache. Ihre Großmutter war wohl nicht weniger egoistisch und unvernünftig gewesen als sein Großvater. Bens Verhalten hatte sich auch auf alle Männer der Familie ausgewirkt. Und den Frauen ihrer Familie war es wohl kaum anders ergangen. Simone hatte am Telefon gesagt, sie beide hätten eine Verbindung. Wer hätte gedacht, dass diese Verbindung in der freizügigen Gesinnung ihrer Großeltern lag?

Wer hätte gedacht, dass er sich mit einer Frau, die ihn mehr verwirrte als je eine andere zuvor, darüber amüsieren und diskutieren würde, wessen Verwandter der schlimmere Tunichtgut gewesen war? Donnerwetter, wie sie immer wieder lächelte. Dieses amüsierte Lächeln wirkte auf ihn einfach ansteckend. Musste ihm das nicht eine Warnung sein? Hier stimmte doch etwas nicht. So leicht fiel es ihm nie, sich mit einer Frau zu unterhalten, die er kaum kannte. Es musste an den Umständen liegen, denn wie konnten sie sich fremd bleiben, wenn sie sich über das lockere Liebesleben ihrer Großeltern unterhielten?

„Es war viel leichter, Ihnen das zu erzählen, als ich dachte“, gestand Simone ihm schließlich. „Aber leider ist das noch nicht alles. Sie fragen sich inzwischen bestimmt, warum ich mir die Mühe mache, hierherzukommen.“

„Genau, aber ich dachte mir, dass Sie schon noch darauf zu sprechen kämen.“ Er sah, dass ihre Tasse leer war, und sprang auf, um ihr nachzuschenken.

„Ich hatte keine Ahnung von diesem Haus oder irgendetwas anderem, bis meine Großmutter mir vor zwei Wochen davon erzählte.“ Auf seinen fragenden Blick hin nickte sie. „Ja, sie lebt noch. In einem Altersheim. Sie ist sehr gebrechlich, und ihr Herz ist nicht mehr besonders stark. Wahrscheinlich ist das auch der einzige Grund, warum sie mir von der Affäre mit Ihrem Großvater erzählt hat. Michael, sie hat mir gesagt, sie hätte ein paar persönliche Dinge im Haus zurückgelassen.“

„Hier?“, fragte Michael überrascht.

„Ja. Ich verstehe zwar nicht, warum sie das getan hat. Ich kenne auch nicht die Einzelheiten ihrer Affäre – warum oder wann sie sich getrennt haben –, aber sie müssen ziemlich lange zusammengewesen sein. Jedenfalls lange genug, um ein paar persönliche Erinnerungen anzusammeln. Bisher waren sie ihr wohl nicht so wichtig. Plötzlich jedoch fürchtet sie, sie könnte sterben und diese Sachen würden Fremden in die Hände fallen.“ Simone zögerte. „Ich glaube kaum, dass sie von materiellen Werten spricht. Sie ließ nicht eher Ruhe, bis ich ihr versprach, hierherzufliegen und Sie wenigstens zu fragen, ob ich mich umsehen darf.“

Michael machte eine weitausholende Geste. „Das können Sie von mir aus machen. Aber, wie bereits gesagt, ich bin gerade erst angekommen und kenne mich noch nicht so richtig aus, obwohl ich mittlerweile in fast allen Räumen war. Es sind ein paar Möbel da, ein paar Antiquitäten. In der Küche ist etwas Geschirr, aber bisher bin ich noch nicht auf etwas gestoßen, das eine persönliche Bedeutung haben könnte.“

„Vielleicht steht irgendwo ein Koffer? In einem Schrank oder oben auf dem Dachboden?“ Simone seufzte. „Meine Großmutter ist manchmal geistig abwesend und kann mich vollkommen umsonst hergeschickt haben. Wenn ihr diese Sachen so wichtig waren, verstehe ich nicht, dass sie sich nicht schon vor Jahren darum gekümmert hat. Aber es ist das einzige, worum sie mich jemals gebeten hat, und gleichgültig, was sie getan hat, ich liebe sie. Ich weiß, es ist aufdringlich, und ich will auch nicht, dass Sie den Eindruck bekommen, als wollte ich hier etwas an mich nehmen, was Ihrem Großvater gehörte.“

„Nein, der Gedanke wäre mir niemals…“ Lautes Klopfen an der Haustür unterbrach ihn. Michael schaute stirnrunzelnd auf seine Armbanduhr. „Ach du liebe Zeit, die Maklerin. Warten Sie hier, ich werde es kurz machen.“

„Ich will Sie nicht aufhalten…“

„Das tun Sie nicht. Wir unterhalten uns nachher weiter.“

Simone hatte nicht vor, seine Geschäftstermine zu stören, aber so einfach konnte sie natürlich auch nicht verschwinden. Michael hatte die Küche verlassen, ehe sie noch etwas sagen konnte. Sie erhob sich, verschränkte die Arme vor der Brust und ging ihm hinterher. Sie wollte sich selbst vergewissern, ob es nicht doch angebracht war, sich zu verabschieden.

Die Frau, die vor der Tür stand, war eine ziemlich auffallende Erscheinung. Michael schien auf den ersten Blick wohl genauso überrascht wie Simone, denn er fragte dreimal nach ihrem Namen, als hätte er jemand anderes erwartet.

Paula Stanford trug erfolgsorientiert ein senfgelbes Leinenkostüm, weiße, hochhackige Sandaletten und glitzernde Ohrringe. Rötliches Haar umrahmte in kunstvollen Locken ihr Gesicht. Die Frau war hübsch – wirklich hübsch, dachte Simone – trotz der stark getuschten Wimpern und des etwas übertriebenen Make-ups. Ihre blauen Augen leuchteten auf, als sie mit Michael sprach.

„Mr. Connor! Es freut mich sehr, Sie endlich persönlich kennenzulernen. Wir wollen nicht so förmlich sein, ja? Ich bin Paula. Wissen Sie, Michael, ich habe das Gefühl, ich kenne Sie schon ewig, und, weiß der Himmel, wir werden bestimmt sehr gut zusammenarbeiten.“

Michael wurde die Hand gedrückt. Rot lackierte Fingernägel streiften seinen Unterarm. Ms. Stanford musterte ihn unverhohlen von Kopf bis Fuß. Simone lächelte amüsiert, als Michael sich verlegen mit der Hand durchs Haar fuhr.

Er musste doch wissen, welche Wirkung er auf Frauen ausübte. Nicht, dass sie sich für sein Aussehen besonders interessiert hätte. Als sie gekommen war, hatte sie nur an die verrückte Bitte ihrer Großmutter gedacht. Aber dass er attraktiv war, hatte sie schon bemerkt. Wie hätten ihr das dichte hellblonde Haar, das lange, schmale Gesicht und die faszinierend blauen Augen entgehen können? Er war nicht direkt eingebildet, aber er wirkte respekteinflößend.

Er war groß und schlank, und als er sie angesehen hatte, war ihr Puls schneller geworden. Eine lästige Reaktion. Nur bei wenigen Männern hatte sich bisher ihr Puls beschleunigt, und jedes Mal war es der Auftakt zu einer Katastrophe gewesen. Simone hatte bittere Enttäuschungen mit Männern erlebt und blieb lieber auf Distanz. Sie war richtig nervös gewesen, weil sie sich mit einem wildfremden Mann über Seitensprünge unterhalten musste. Nicht gerade ein Thema, das ihr lag. Und dann hatte sie ihn auch noch mitten in der Arbeit gestört.

Trotzdem hatte Michael ihr zugehört und war freundlich zu ihr gewesen, ja, er hatte sie sogar öfter zum Lachen gebracht. Wegen seiner natürlichen Art hatte sie sich auch natürlich geben können. Trotz ihrer zweiunddreißig Jahre war sie manchmal noch schüchtern und hatte nicht erwartet, dass sie sich bei Michael Connor auch nur annähernd wohlfühlen würde.

Jetzt verstand sie allerdings nicht, dass Ms. Paula Stanford ihn irritierte. Michael hatte ihr schnell seine Hand entzogen und war einen Schritt zurückgewichen. Ms. Stanford war nur noch näher an ihn herangerückt. „Wollen wir uns doch einen gemütlichen Platz suchen“, bezirzte sie ihn. „Es wird nicht lange dauern, die Unterlagen durchzusehen. Sicher werden Sie überrascht sein, wie zügig ich alles für Sie vorbereitet habe.“

Michael räusperte sich und entgegnete etwas Höfliches, wobei er erneut einen Schritt zurückwich. Paula machte sofort wieder einen Schritt auf ihn zu, den Blick unverwandt auf sein Gesicht gerichtet.

„Sicher haben Sie sich oben in dem großen Schlafzimmer eingerichtet. Ist das nicht ein Zimmer für sich? Als ich es das erste Mal sah, dachte ich bei mir, was muss Ihr Großvater doch für ein Lüstling gewesen sein. Bei der Ausstattung gerät man einfach ins Träumen.“ Paula zwinkerte ihm vielsagend zu.

Michael schaute sich gehetzt um. Dass er nach einem rettenden Ausweg suchte, erschien Simone geradezu lächerlich. Er musste es doch gewohnt sein, mit Frauen umzugehen.

In diesem Moment entdeckte Ms. Stanford sie, und sie blinzelte irritiert mit ihren schweren Wimpern. „Oh, wer ist denn das?“, rief sie überrascht, und der einschmeichelnde Klang ihrer Stimme war verschwunden. „Ich wusste gar nicht, dass Sie jemanden mitbringen würden. Ich hatte es so verstanden, dass Sie nicht verheiratet sind und allein kämen…“

„Ich bin nicht verheiratet – das heißt, ich bin geschieden –, und ich bin allein gekommen. Das ist…“ Michael schaute Simone hilflos an.

Trotz des sehr warmen Sommermorgens, spürte diese plötzlich einen kalten Luftzug im Rücken. Wie von unsichtbarer Hand fühlte sie sich nach vorn geschoben. Das konnte einfach nicht sein. Das musste am Stress liegen. Doch da Michael offensichtlich seine Sprache verloren hatte, beendete sie den Satz für ihn. „Ich bin mit Michael befreundet.“

„Sehr gut befreundet“, setzte Michael schnell erklärend hinzu.

Das war Simone neu, aber jetzt musste sie sich wohl genauer vorstellen. „Simone Hartman“, sagte sie und trat vor. Paula Stanford reichte ihr geschäftsmäßig die Hand und lächelte sie wohlwollend an, als wollte sie sagen: ‚Ich will Ihnen nicht in die Quere kommen.‘ Lieber Himmel, war das peinlich. „Nett, Sie kennenzulernen, Paula. Ich möchte aber nicht weiter stören. Michael, ich kann später wiederkommen…“

Er umfasste ihr Handgelenk. Feingliedrige Hände hatte der Mann, aber einen Griff wie ein Schraubstock. „Sie brauchen nicht zu gehen. Wirklich, das dauert nicht lange, nicht wahr, Ms. Stanford?“

Es dauerte eine Ewigkeit.

Sie nahmen gleich im ersten Raum Platz. Es war ein altmodisches Empfangszimmer mit einem offenen, hohen Kamin und wuchtigen, überladenen Möbeln aus der Zeit um die Jahrhundertwende. Durch große Terrassentüren gelangte man in den Garten und von dort aus bis an den Strand. Ms. Stanford breitete den gesamten Inhalt ihrer Aktentasche auf dem Sofatisch aus, und ehe Simone wusste, wie ihr geschah, saß sie auf dem Sofa zwischen den beiden, während sie sich fragte, was sie eigentlich hier zu suchen habe.

Michaels muskulöse Schenkel stießen gegen ihre. Das konnte sie nicht einfach ignorieren. Wärme ging von ihm aus, und er saß so dicht neben ihr, als wären sie ein Liebespaar. Simone konnte sich nicht erinnern, jemals eine so starke erotische Ausstrahlung bei einem Mann wahrgenommen zu haben. Sie wäre entsetzt gewesen, hätte er ihre Unruhe bemerkt, aber offensichtlich brauchte sie sich in dieser Hinsicht keine Sorgen zu machen.

Sobald Michael anfing, über das Geschäftliche zu reden, schien er vergessen zu haben, dass sie da war. Er brauchte sie nicht mehr als Schutz gegen Ms. Stanford. Er brauchte niemanden mehr. Meine Güte, war der Mann geschäftstüchtig. Sofort steuerte er die ganze Unterhaltung. Er wusste genau, was er wollte, und ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass er das auch bekommen würde.

„Hunderttausend Dollar Verkaufspreis“, bestimmte er.

„Michael, ich habe Ihnen doch gesagt, die Immobilie ist mindestens dreimal soviel wert“, wandte Ms. Stanford unglücklich ein. „Ich bin überzeugt, dass ich auch für einen noch höheren Preis einen Käufer finde. Es gibt keinen Grund, so herunterzugehen, jedenfalls noch nicht…“

„Ich will die Immobilie innerhalb eines Monats verkauft haben. Geld ist zweitrangig. Ich will sie ganz einfach los sein. Ich möchte in den nächsten Tagen die ersten potenziellen Käufer hier sehen. Es muss so rasch wie möglich über die Bühne gehen. Wenn Sie das nicht können…“

„Kann ich schon“, versicherte Paula ihm hastig.

Sie schoben ein paar Unterlagen hin und her, diskutierten noch ein paar Punkte und Bedingungen, die Simone spanisch vorkamen. Aber sie langweilte sich nicht. Michael zu beobachten war einfach faszinierend. Er gab den Ton an. Für ihn schien das selbstverständlich. Dennoch kam es ihr wie eine Ewigkeit vor, ehe er schließlich aufstand und damit zu verstehen gab, dass die Verhandlung für ihn beendet sei. Nachdem Paula schnell ihre Unterlagen eingesammelt hatte, begleitete er sie noch zur Haustür.

Als er zurückkam, schien er wie ausgewechselt. Der kühl berechnende Geschäftsmann war verschwunden. Er blieb in der Tür stehen und rieb sich müde den Nacken. „Simone… entschuldigen Sie, ich habe nicht geahnt, dass es so lange dauern würde. Es tut mir ehrlich leid, dass Sie die ganze Zeit dabeisitzen mussten. Bestimmt klingt es lächerlich, und wahrscheinlich habe ich es mir auch nur eingebildet, aber ich hatte das eigenartige Gefühl, dass die Frau etwas von mir wollte.“

„Mmh… Michael?“

„Ja?“

„Sie haben es sich nicht eingebildet. Die Frau ist Ihnen regelrecht auf den Leib gerückt. Aber sie ist doch wenigstens hübsch, oder?“

Er hob beide Brauen. „Wie konnte man das noch erkennen? Ihr Parfüm war so stark, dass ich davon richtig benebelt war. Die reinste Gaspistole. Und dann erst die Fingernägel. Diese Frau braucht einen Waffenschein.“

Simone musste lachen. „Kommen Sie, sie war nett und hat nur versucht, ihr Interesse deutlich zu zeigen.“

„So? Na ja, sie kann zumindest rangehen. Hauptsache, sie setzt sich bei dem Verkauf genauso ein“, bemerkte er trocken. „Trotzdem stehe ich in Ihrer Schuld.“

Sie schüttelte den Kopf und stand auf. „Sie schulden mir nichts.“

„Sie haben ausgeharrt und mich gerettet. Dafür möchte ich mich erkenntlich zeigen. Was möchten Sie haben? Diamanten, Rubine, ein Abendessen?“

Ob ihm wohl bewusst ist, wie locker er mit mir spricht, dachte Simone. Fast, als würden wir uns schon lange kennen. Plötzlich fürchtete sie, Michael Connor könne ihr gefährlich werden. Der Mann wirkte auf sie anziehend und interessant. Dabei wusste sie doch genau, wie wenig sie ihren Gefühlen vertrauen durfte. „Ich mache mir nichts aus Edelsteinen, und danke, Sie müssen mir kein Essen spendieren“, wehrte sie rasch ab. „Mir reicht es vollkommen, falls es Ihnen recht ist, wenn ich mich nach den Sachen meiner Großmutter umsehen darf.“

„Ich dachte, das hätten wir schon geklärt. Natürlich können Sie sich umsehen, meinetwegen jetzt sofort. Tun Sie so, als wären Sie hier zu Hause. Ich würde Ihnen gern beim Suchen helfen, aber erstens habe ich noch zu tun, und zweitens kenne ich mich in dem Haus genauso wenig aus wie Sie. Meine Brüder oder ich haben nichts Persönliches hier. Also untersuchen Sie ruhig alles, auch Schubladen und Schränke.“

„Es dauert bestimmt nicht lange.“

„Sicher nicht.“

Simone zögerte. „Ich finde es nett von Ihnen, dass Sie mir so vertrauen. Aber ich verspreche Ihnen, vorher alles zu zeigen. Ich nehme nichts mit, ohne zu fragen.“

„Simone, ich habe nicht den Eindruck, dass Sie eine Diebin sind“, versetzte er trocken. „Und ich hoffe sehr, dass Sie etwas finden. Ich bin nämlich neugierig geworden, was unsere Großeltern verbunden hat.“

„Ich auch.“ Reine Untertreibung. Simone war mehr als neugierig, was die Vergangenheit ihrer Großmutter betraf. Sie hatte regelrechte Angst davor, auf was sie stoßen würde. Aber das konnte sie schlecht sagen.

3. KAPITEL

Wie lange würde Simone wohl brauchen, um sich im Haus umzusehen? Eine Stunde? Vielleicht zwei? Nicht, dass es Michael etwas ausmachte. Er ging geradewegs in die Bibliothek, setzte seine Brille auf und plagte sich erneut mit den Computerkabeln herum.

Mehrmals wurde er vom Telefon unterbrochen. Alles geschäftliche Anrufe, bis auf einen. Sein Bruder Seth wollte wissen, ob er gut angekommen sei. Das gab Michael die Möglichkeit, ihm von Simone und der direkten Verbindung zu ihrem Großvater zu erzählen.

„Ich werde verrückt. Jetzt wissen wir wenigstens, warum der Alte den Besitz in Maine gehabt hat“, bemerkte Seth. „Wegen einer Geliebten. Das ist eigentlich nicht verwunderlich bei den vielen Frauen in Gramps Leben. Aber nur für einen Seitensprung ist das Haus zu kostspielig gewesen. Da muss doch noch mehr hinterstecken.“ 

„Vielleicht. Simone sieht sich gerade um. Hast du zufällig alte Koffer, Schachteln oder so etwas Ähnliches gesehen?“

„Ich nicht. Ich meine aber, Gordon hätte etwas von Truhen auf dem Dachboden gesagt, um die er sich kümmern wollte. Dann hatte er es aber wohl vergessen.“

„Was für ein Zufall“, versetzte Michael trocken. „Als du hier warst, habe ich etwas von wundervollen Antiquitäten gehört, die es sich lohnen würde zu verkaufen, wenn nicht sogar zu behalten. Wie ich festgestellt habe, sind sie noch immer hier. Scheint mir, ihr hattet beide eine Gedächtnislücke. Wirklich erstaunlich, findest du nicht?“

„He, es kann sein, dass ich sehr mit Samantha beschäftigt…“

„Kann sein? Kann sein? Gordon redet seit Weihnachten nur noch von Kirstin. Du bist genauso hoffnungslos vernarrt in Sam.“

Seth konnte Hänseleien nicht hinnehmen, ohne das letzte Wort zu behalten. „Lachst du etwa? Pass schön auf dich auf, Bruder! Wir haben dich gewarnt, vergiss das nicht. Der Zauber, der auf dem Haus liegt, erwischt jeden.“

Wie es doch selbst die Starken erwischen kann, dachte Michael, als er den Hörer wieder auflegte. Gordon hatte ihm auch diesen geheimnisvollen Unsinn erzählt. Sein jüngster Bruder war Musiker, äußerst kreativ und gefühlsbetont. Da war es kein Wunder. Seth hingegen war Zimmermann, immer vernünftig, praktisch veranlagt und logisch denkend – bis er Samantha begegnet war. Auf einmal machte es ihm Spaß, von der Zauberkraft des Hauses zu sprechen. Die Liebe hatte ihm offensichtlich den Verstand geraubt.

So etwas konnte Michael nicht passieren. Nicht nach Carla. Nie wieder. Doch während er das Kabel vom Computer zum Modem führte, ertappte er sich dabei, wie er an Simone denken musste.

„Donnerwetter, sie ist schön, nicht wahr? So leise, gar nicht aufdringlich. Eine echte Dame.“

Er hob den Kopf und schaute sich im Zimmer um. Im ersten Moment hatte er geglaubt, jemanden sprechen zu hören. Aber natürlich war niemand da. Er machte sich wieder an den Kabeln zu schaffen.

„Ich habe bemerkt, wie du Sie angestarrt hast, mein Junge. Du warst wie vom Donner gerührt, aber so richtig, und ich kann das verstehen. Was für verführerische Lippen sie hat. Und erst die Augen.“

Autor