Julia Exklusiv Band 389

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DIE VERBOTENE GELIEBTE DES SCHEICHS von KATE HEWITT

Die Pflicht verlangt es, aber Kalilas Herz droht zu zerbrechen: Sie muss den König von Calista heiraten. Doch ausgerechnet Aarif, der Bruder des Scheichs, hat ihre Liebe geweckt! In einer leidenschaftlichen Nacht schenkt sie ihm, was dem König vorbehalten war …

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KÜSS MICH, GELIEBTER SCHUFT! von TRISH WYLIE

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  • Erscheinungstag 24.05.2025
  • Bandnummer 389
  • ISBN / Artikelnummer 9783751533911
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kate Hewitt, Kelly Hunter, Trish Wylie

JULIA EXKLUSIV BAND 389

Kate Hewitt

1. KAPITEL

Wieder hielt ihn der Albtraum in seinen Fängen. Ein nicht zu stoppender Ansturm verdrängter Gefühle und Erinnerungen. Ein Wirrwarr bedrückender Bilder, von greifenden Händen, einer aufgewühlten See …

Aarif Al’Farisi schlief mit fest zusammengepressten Lidern, die Hände auf dem Bettlaken zu Fäusten geballt. Auf seiner Stirn glänzte kalter Schweiß.

Helft mir …! Hilfe … Aarif!

Der verzweifelte Schrei hallte in seinem Kopf wider. Ein nicht enden wollendes Echo, durch die dunklen Korridore von Zeit und Erinnerung.

Abrupt wachte er auf, öffnete die Augen und versuchte, sich in der Dunkelheit seines Schlafzimmers zu orientieren. Ein fahler Mond warf schwaches silbriges Licht auf den kühlen Marmorboden. Aarif holte mühsam Luft, kam hoch und schwang die Beine über die Bettkante.

Er wartete einen Moment, bis sich sein Herzschlag beruhigte. Jeder tiefe Atemzug half ihm dabei, sich zu regenerieren und die dunklen Schatten der Vergangenheit zu verdrängen. Wenigstens für den Moment. Mit der Hand fuhr er sich durch das vom Schlaf zerzauste Haar und erhob sich von der Bettkante.

Auf dem Balkon des königlichen Palastes atmete er tief durch und schaute auf die mondbeschienene Wüste hinab. Sie erstreckte sich bis zum Ufer des Flusses mit seinen kostbaren Diamanten. Sorgsam verborgen unter trügerischem Schlick und Schlamm, waren sie Calistas Lebensblut.

Langsam normalisierte sich Aarifs Atem, und der kühle Wüstenwind trocknete den Schweiß auf seiner bronzenen Haut.

Er hasste diese Albträume. Selbst heute noch, zwanzig Jahre später, ließen sie ihn nach einer Nacht voller Qual und Schmerz erschüttert, angsterfüllt und hilflos zurück.

Instinktiv schüttelte er den Kopf, als könne er den Traum damit ungeschehen machen. Oder besser gesagt, die grausame Realität. Denn Tatsache war, dass er damals seinen kleinen Bruder im Stich ließ und nicht hatte retten können. Und deshalb war es ihm bestimmt, die schrecklichen Geschehnisse in seinen Träumen immer und immer wieder zu erleben.

Seit Monaten war er davon verschont geblieben und hatte deshalb angefangen, sich in falscher Sicherheit zu wiegen. Sicherheit! Die würde es nie wieder für ihn geben! Wie konnte man seiner selbst oder vor sich selbst sicher sein? Oder vor den Folgen seiner Fehler, die man immer wieder aufs Neue beging?

Aarif stieß einen frustrierten Seufzer aus, kehrte in sein Schlafzimmer zurück und griff nach seinem Laptop, der in Bettnähe auf dem Schreibtisch stand. In dieser Nacht würde er keinen Schlaf mehr finden, das stand für ihn fest. Und anstatt weiter nutzlos zu grübeln, wollte er die Zeit lieber mit konstruktiver Arbeit verbringen.

Er ließ das Notebook hochfahren und zog sich bequem geschnittene, leichte Baumwollhosen über. Brust und Füße blieben nackt. Als er flüchtig sein Konterfei im Spiegel über dem antiken Schreibtisch sah und darin immer noch die Spuren von Angst und Schrecken des Albtraums, die die harten Linien seines Gesichts noch zu vertiefen schienen, schnitt er eine angewiderte Grimasse.

Angst! Immer noch! Und das nach all den Jahren!

Wieder schüttelte er den Kopf und wandte sich dem Computer zu. Als Erstes checkte er seine E-Mails. Die meisten kannte er bereits. Sie waren von Klienten, mit denen er in der nächsten Woche verabredet war. Sie zu beantworten erforderte Fingerspitzengefühl und vollste Konzentration. Calistas Diamanten gehörten zu den exquisitesten und kostbarsten der Welt, doch das kleine Inselkönigreich verfügte nicht über so reichhaltige Ressourcen wie Afrika oder Australien. Deshalb galt es, die potenziellen Käufer sorgfältig auszusuchen … und zu behandeln!

Offenbar war inzwischen nur eine neue E-Mail gekommen. Und zwar von seinem Bruder Zakari, dem König von Calista. Aarif schob die dunklen Brauen zusammen, während er die Nachricht las.

Ich muss unerwartet das Land verlassen, um einer neuen, vielversprechenden Spur, den verschwundenen Diamanten aus Aristo betreffend, nachzugehen. Deshalb musst Du für mich nach Zaraq reisen und Kalila nach Calista holen. Auf ewig Dein Bruder … Zakari.

Das verschwundene Juwel … der Stefani-Diamant!

Er war das Herzstück der Krone von Adamas, dem damals noch ungeteilten Reich unter König Christos, wurde aber ebenso wie Adamas geteilt, weil der König seinen zerstrittenen Kindern, Aegeus und Anya, je eine Insel und einen halben Diamanten als Vermächtnis hinterlassen wollte.

Nach Aegeus’ Tod stellte sich heraus, dass der Aristo-Diamant eine Fälschung war. Und da König Christos’ Vermächtnis besagte, dass, wer in den Besitz beider Hälften des Stefani-Diamanten gelangt, Herrscher über Aristo und Calista wird, startete eine erbitterte Jagd auf das verschollene Juwel.

Aegeus’ Schwester, die selbst keine Kinder bekommen konnte, heiratete Aarifs verwitweten Vater, Scheich Ashraf Al’Farisi. Bei einem tragischen Flugzeugunglück kamen beide ums Leben. So trat jetzt Zakari, als neuer König von Calista, mit Prinz Sebastian Karedes, dem Thronfolger in Aristo, in direkte Konkurrenz um die Gesamtherrschaft.

Aarif wusste sehr gut, wie verbissen Zakari darauf aus war, dabei den Sieg davonzutragen und ein neues Adamas zu schaffen. Man sah es schon daran, dass er sich nicht einmal scheute, seinen Bruder zu bitten, an seiner Stelle nach Zaraq, dem Geburtsland ihrer Mutter, zu reisen, um seine Braut nach Calista zu begleiten.

Prinzessin Kalila Zadar und König Zakari waren einander von Geburt an versprochen, und ihre Hochzeit sollte bereits in vierzehn Tagen stattfinden.

Der Einzug einer Braut in ihre zukünftige Heimat war eine feierliche, sensible Zeremonie, basierend auf alten Traditionen. Aarif wusste, dass er sehr diplomatisch und mit Bedacht vorgehen musste, um zu verhindern, dass sich Kalila womöglich brüskiert, beleidigt oder gar verletzt fühlte. Ganz abgesehen von ihrem Vater, König Bahir, oder der Bevölkerung Zaraqs.

Calistas politische und wirtschaftliche Allianz mit Zaraq war sehr wichtig. Bisher zeigte sie sich als ausgesprochen erfolgreich und zufriedenstellend und war damit ein sehr ernstzunehmendes Thema.

Aarif presste die Lippen zu einer harten Linie zusammen, ehe er die Finger auf die Tastatur legte. Seine Antwort war knapp und eindeutig: Ich werde Deinem Wunsch folgen. Immer Dein Diener, Aarif.

Nie wäre er auf den Gedanken gekommen, Zakaris Forderung abzulehnen oder auch nur zu hinterfragen. Verantwortungsgefühl und Gehorsam gegenüber Familie und Königreich standen für ihn an erster Stelle. Grundsätzlich!

Aarif schaute vom Bildschirm auf. Langsam begann der Morgen zu dämmern, und als er zufällig noch einmal sein Gesicht im Spiegel erblickte, zuckte er überrascht zusammen. Im fahlen Licht traten seine herben Züge noch prominenter hervor … und damit auch die Narbe. Instinktiv fuhr er mit dem Finger die gezackte Linie nach, die von der Braue bis hinunter zum Wangenknochen lief.

Ein ewiges Mahnmahl dafür, dass er vor langer Zeit in Hinsicht auf seine Verpflichtung, Familie und Königreich gegenüber, versagt hatte. Das durfte nie wieder passieren. Er würde es unter keinen Umständen zulassen!

Als die frühe Sonne durchs Fenster direkt auf ihr Bett schien, schreckte Kalila im Palast von Zaraq aus einem unruhigen Schlaf hoch. Noch etwas benommen schaute sie um sich. Die luftigen Vorhänge bauschten sich in einer leichten Morgenbrise, doch die Intensität der hereinfallenden Sonnenstrahlen verhieß einen heißen Tag.

Kalilas Magennerven begannen nervös zu flattern. Automatisch legte sie beschwichtigend eine Hand auf ihren Leib, als könne sie damit ihre aufgescheuchten Gedanken und Ängste stoppen, die zu ihrem Unwohlsein führten.

Aber das war wohl etwas zu viel verlangt, an einem Tag wie diesem. Denn heute würde sie ihren Ehemann treffen!

Abrupt warf sie die leichte Decke zurück und schwang die Beine aus dem Bett. Auf bloßen Füßen durchquerte sie ihr Schlafzimmer und trat ans Fenster. Am blauen Himmel zeigte sich kein Wölkchen. Darunter erstreckte sich heller Sand bis zum Meer, das sie in der Ferne als türkisblaues Band sehen konnte. Davor ein grüner Streifen fruchtbarer Felder. Der Rest des kleinen Königsreiches Zaraq war Wüste.

Trocken, öde und unproduktiv … bis auf einige Kupfer- und Nickelminen – die inzwischen zu den Haupteinnahmequellen des Landes geworden waren.

Und genau das war der Grund, warum sie heiraten musste. Zaraq brauchte Calista. Ihr Vater war neben Calistas Diamantminen auch auf Handelswege und Absatzmärkte für seine Rohstoffe angewiesen. So wie Calista auf die Stabilität Zaraqs, resultierend aus einem Jahrhundert ununterbrochener, autonomer Herrschaft.

Kalila seufzte und lehnte die brennende Stirn gegen den immer noch nachtkühlen hellen Sandstein des Fensterbogens.

Wie Zakari wohl nach all diesen Jahren aussehen mochte? Was würde er über sie denken? Dass er sie liebte, war unmöglich. Er hatte sie unter Garantie noch als mageres, schlaksiges Mädchen mit ungezähmter dunkler Haarmähne vor Augen. Sie selbst erinnerte sich ja auch kaum an ihn. Und wenn sie es versuchte, dann tauchten verschwommene Bilder von jemand auf, der groß, bestimmend und sehr selbstbewusst war.

Charismatisch würde sie es inzwischen vielleicht nennen. Er hatte sie angelächelt, ihr den Kopf getätschelt, und das war alles.

Und heute sollte aus dem Fremden von damals ihr Bräutigam werden.

Ob er über die Veränderung seiner zukünftigen Frau entzückt sein würde?

Und würde er das Bild ihres Traumprinzen erfüllen?

Nach einem kurzen Klopfen wartete Juhanah, Kalilas ehemaliges Kindermädchen, gar nicht erst auf eine Antwort, sondern drückte mit dem Ellenbogen die Türklinke hinunter und trat gleich darauf ins Zimmer.

„Sehr gut! Du bist also schon wach. Ich habe dir ein Frühstückstablett mitgebracht, damit wir keine Zeit verlieren. Immerhin müssen wir dich noch ein wenig zurechtmachen für diesen besonderen Tag. Seine Hoheit könnte bereits gegen Mittag hier eintreffen, wie man mir gesagt hat. Also … husch, husch …“

Kalila unterdrückte ein Seufzen und wandte sich nur widerwillig vom Fenster ab. Erst gestern hatte ihr Vater sie nachdrücklich instruiert, was für eine Art von Empfang Scheich Zakari gebührte.

„Er kann erwarten, eine nach alter Tradition wohlerzogene, königliche Braut vorzufinden. Du darfst ihn weder direkt anschauen und erst recht nicht ansprechen, es sei denn, er fordert dich dazu auf“, warnte König Bahir und versuchte, seine harschen Worte mit einem väterlichen Lächeln zu entschärfen. Doch der besorgte Ausdruck in seinen müden Augen war nicht zu übersehen.

„Verstehst du das auch, Kalila? Das morgige Zusammentreffen mit Scheich Zakari ist von immenser Wichtigkeit, und deshalb musst du den bestmöglichen Eindruck auf ihn machen. Juhanah wird dir helfen, dich darauf vorzubereiten.“

Nicht anschauen und noch weniger ansprechen …?

Kalilas wacher Geist und ihr Selbstverständnis als moderne junge Frau mit westlicher Prägung bäumte sich instinktiv gegen derartig mittelalterliche Bräuche auf.

„Warum kann Scheich Zakari mich nicht als das akzeptieren, was ich bin?“, protestierte sie und versuchte, ihre Stimme nicht rebellisch, sondern nüchtern und ruhig klingen zu lassen.

Mit ihren vierundzwanzig Jahren verfügte sie über eine ausgezeichnete Universitätsbildung und war reif genug, um zu heiraten. Warum fühlte sie sich in Gegenwart ihres Vaters nur immer wie ein unartiges Kind. „Hör zu, Vater, ich denke, es ist wichtig, dass er als mein zukünftiger Ehemann mein wahres Wesen kennt. Wenn wir ihm einen falschen Eindruck vermitteln …“

„Ich bestimme, welcher Eindruck falsch ist“, schnitt König Bahir seiner Tochter brüsk das Wort ab. Wie immer, wenn er sich ihr gegenüber im Hintertreffen und damit hilflos fühlte, flüchtete er sich in Grobheit. „Und wie du dich ihm jetzt gegenüber zu benehmen hast. Wenn er daran interessiert sein sollte, dich später besser kennenzulernen, wird er nach der Eheschließung reichlich Zeit dazu bekommen.“

Kalila biss sich auf die Lippen, aber als sie zu ihrem Vater aufschaute und den Mund öffnete, streckte er die Hand aus wie zum Segen, doch seine Tochter interpretierte die herrische Geste als Warnung oder sogar Drohung.

„Morgen geht es nicht um dich, Kalila. Ja, nicht einmal um die geplante Hochzeit. Es ist ein offizielles Zusammentreffen, eine Allianz der Länder und Königshäuser, nach alter Tradition. So, wie es von jeher gewesen ist.“

Kalila fühlte, wie ihre Wangen vor Empörung brannten. „Auch für meine Mutter?“

Die strenge Miene ihres Vaters verfinsterte sich noch mehr. „Ja, auch was deine Mutter betrifft. Sie war eine sehr moderne Frau, aber nicht störrisch.“ Er seufzte und fuhr sich mit der Hand über die Augen. „Ich habe dir doch nachgegeben und dich nach Cambridge gehen und studieren lassen … inklusive Universitätsdiplom! Du durftest deine eigenen Interessen verfolgen und dein eigenes Leben führen. Nun ist es an der Zeit, der Familie und dem Land gegenüber deine Pflicht zu tun. Und die beginnt mit dem morgigen Tag.“

„Ja, ich weiß, Vater …“, murmelte sie und versuchte, nicht allzu verdrießlich zu klingen. Er hatte von Interessen gesprochen, aber nicht von Träumen. Und selbst eigene Interessen waren nutzlos, wenn man sie auf dem Altar der Pflicht opfern musste, oder? Und was wurde jetzt aus ihren Träumen?

Diese Frage verdrängte Kalila vorsichtshalber, um sich nicht völlig deprimiert zu fühlen. So blieben sie konturenschwache Schatten. Nebulöse Visionen von Freude, Vergnügen, Glück … davon, eine Bedeutung und Berufung in ihrem Leben zu sehen und … Liebe.

Das Wort tauchte immer wieder ungebeten in ihren Gedanken auf. Ein magisches Samenkorn, gepflanzt in den fruchtbaren Boden ihrer Fantasie, das gegen ihren Willen starke Wurzeln ausgebildet hatte.

Liebe … aber nicht in dieser Zweckverbindung zwischen zwei Menschen, die sich völlig fremd waren. Es gab keinen Funken von Leidenschaft zwischen ihnen, und Kalila bezweifelte ernsthaft, ob das unter den gegebenen Umständen je anders sein würde. Würde Zakari sie lieben? Oder es lernen? Wollte er das überhaupt?

Und würde sie ihn lieben können?

„Hör auf zu träumen und iss jetzt, Kind“, befahl Juhanah mit gespielter Strenge und stellte das Tablett auf einem flachen Tisch ab.

Ergeben ließ Kalila sich auf ein weiches Polster sinken und bekam eine Schale mit dickem, cremigem Joghurt zugeschoben. Daneben stellte die treue Dienerin eine Tasse starken, süßen Kaffees. „Du wirst deine Kraft noch brauchen. Vor uns liegt ein anstrengender Tag, und es gibt eine Menge zu tun.“

„Und was genau gibt es für uns heute zu tun?“, fragte Kalila gedehnt.

Augenblicklich plusterte sich Juhanah auf wie eine eifrige Glucke. „Dein Vater wünscht dich so herausgeputzt zu sehen wie die Mädchen früher, nach altehrwürdigem Vorbild, aus der Zeit, als Traditionen noch etwas zählten.“

Weder die unterschwellige Warnung noch das schwache Bedauern über die veränderten Umstände waren zu überhören. Kalila wusste nur zu gut, was Juhanah von ihrer westlich orientierten Einstellung hielt, die neben den ererbten Genen ihrer englischen Mutter hauptsächlich auf vier Jahre freies Leben in Cambridge zurückzuführen war.

Als sie von dort zurückkam und ihr ehemaliges Kindermädchen eine Jeans auf dem Boden neben dem Bett fand, hob sie den Stein des Anstoßes angewidert mit spitzen Fingern hoch, als sei das Lieblingskleidungsstück ihres Schützlings kontaminiert. In Erinnerung an jenen Tag lächelte Kalila breit.

„Dein Vater, König Bahir, will dich als sittsame Braut sehen!“, mahnte Juhanah, als könne sie Gedanken lesen.

Das Lächeln wurde noch breiter, und in Kalilas Augen blitzte ein mutwilliger Funke auf. „Wann darf ich meinen zukünftigen Mann eigentlich mit Zakari anreden?“, fragte sie harmlos, obwohl sie die Antwort bereits vorausahnte. Und Juhanah enttäuschte sie auch diesmal nicht.

„Wenn er in deinem Bett liegt!“, erwiderte die alte Frau unverblümt. „Zeig dich bloß nicht zu offen und fortschrittlich, Kind! Männer mögen keine vorlauten Frauen.“

„Ah, Juhanah …!“, neckte Kalila. „Woher willst ausgerechnet du das wissen? Du bist doch noch nie über die Grenzen Zaraqs hinausgekommen. Zakari hat ebenso wie ich die Universität besucht und ist ein Mann von Welt.“

Zumindest hoffte sie, dass die Artikel über ihn in der Zeitung und den internationalen Hochglanzmagazinen der Wahrheit entsprachen.

„Phhh!“ Das alte Kindermädchen blies beleidigt die runden Wangen auf. „Und nur, weil ich nicht gern verreise, soll ich nicht wissen, wie es draußen zugeht? Was zählt, ist das Hier und Jetzt! Lass dir das gesagt sein! König Zakari erwartet einer hübschen, bescheidenen Prinzessin zu begegnen und nicht einem modernen … Ding mit unnötigem Diplom in der Tasche!“ Ihre rollenden Augen zeigten einmal mehr, was sie von den überflüssigen Jahren in England hielt.

Und während Kalila lustlos den cremigen Joghurt löffelte, dachte sie wehmütig, dass Juhanah damit gar nicht mal so unrecht hatte. Was nützten ihr Ausbildung und Abschluss, wenn sie ohne gefragt zu werden mit einem Mann verheiratet wurde, den sie kaum kannte und schon gar nicht liebte?

Was allein zählte, waren ihre Abstammung, ihre königliche Kinderstube und ein gesunder Körper, um ihrem Gatten die gewünschten Erben gebären zu können. Was Zakari wollte, war eine Art Allianz, aber ohne Alliierte. Er suchte keine Geliebte, keine Partnerin und schon gar keine Seelenfreundin …

Um Kalilas Mund zuckte es schmerzlich. Sie wusste all dies und hatte trotzdem jeden Tag aufs Neue versucht, sich einzureden, sie könne eine derartige Ehe eingehen – zum Wohl ihrer Familie und ihres Landes. Doch jetzt, da der Tag gekommen war, fühlte sie sich ängstlicher und unsicherer denn je.

„Bist du denn gar nicht hungrig, Liebes?“, fragte Juhanah und kehrte instinktiv zum vertrauten Ton ihrer Kindertage zurück.

Kalila schüttelte den Kopf und schob die Joghurtschale von sich. Jeder Nerv in ihrem Körper vibrierte, und sie befürchtete ernsthaft, sich übergeben zu müssen, wenn sie auch nur einen weiteren Bissen zu sich nahm. „Mir reicht der Kaffee.“

Die Vorbereitungen dauerten den ganzen Vormittag, wie Kalila es bereits befürchtet hatte. Natürlich lag auch ihr daran, den besten Eindruck auf ihren zukünftigen Gatten zu machen, trotzdem fühlte sie sich inmitten der Cremes, Puder, Düfte und Farben wie ein Festtagsbraten, der dem wichtigen Gast möglichst knusprig und verlockend präsentiert werden sollte!

Außer Juhanah war nur noch ein junges Küchenmädchen anwesend, das mit der Nanny zusammen als eine Art Brautausstatterin fungierte. Nach dem Tod ihrer Mutter war das Palastpersonal deutlich dezimiert worden.

Zuerst wurde ein warmes Milchbad in den Quartieren der Frauen bereitet. Eine alte Tradition, von der die Braut nicht besonders angetan war. In erster Line, weil speziell frischer Ziegenmilch besondere Hautpflegequalitäten nachgesagt wurden … ebenso wie ein ziemlich intensiver, herbsäuerlicher Geruch.

„Ich könnte mir doch genauso gut ein medizinisch-kosmetisches Ölbad einlaufen lassen …“, murrte sie, aber vorsichtshalber nicht laut genug, als dass Juhanah und ihre willige Helferin es hören konnten. Verstanden hätten sie es ohnehin nicht.

Während Kalila von ihrem ehemaligen Kindermädchen unter zärtlichem Gemurmel mit einem angewärmten Tuch trocken gerubbelt wurde, verspürte sie eine unverhoffte Sehnsucht nach ihrer Mutter. Ihre Aufgabe wäre es gewesen, sie für den zukünftigen Ehemann vorzubereiten. Aber Amelia, eine kühle englische Schönheit, war kurz nach dem siebzehnten Geburtstag ihrer einzigen Tochter verstorben.

Sie hätte meinen Wunsch nach einem blumig duftenden Badeschaum verstanden, dachte Kalila mit wehem Herzen. Sie hätten sich gegenseitig geneckt, herumgealbert und selbst im Schatten der drohenden Pflicht, der sie sich als Mitglieder des Herrscherhauses zu unterwerfen hatten, noch ihren Spaß gehabt.

Aber die Hoffnung auf ein normales, befreites Leben wollte die widerspenstige Braut auch so nicht aufgeben. Später werde ich wieder ich selbst sein, versicherte sich Kalila ein ums andere Mal. Wenn Zakari und sie erst allein und ohne kritische Zuschauer waren.

Die Aussicht auf einen derart intimen Zustand ließ ihren Mund ganz trocken werden und ihre Nerven nur noch mehr vibrieren.

Heute würde es auf keinen Fall dazu kommen! Zunächst war das formale Kennenlernen unter den Augen des Königs, ihres Vaters, anberaumt … eine Art historisches Theaterstück, in dem sie kaum mehr als ein Requisit war.

„Keine Falten auf der Stirn!“, mahnte Juhanah. „Heute wollen wir nur dein bezauberndes Lächeln sehen, Prinzessin.“

Fügsam zwang Kalila ihre Mundwinkel nach oben, während sich eine namenlose Bedrückung wie ein Leichentuch über sie senkte. Vor ihr lag eine düstere und ungewisse Zukunft. Eine gewundene Straße, die in unbekanntes Terrain führte.

Nach ihrer Verlobung hatte es Briefe und Geburtstagsgeschenke gegeben, sorgsam ausgewählt und möglichst unpersönlich, wie die Tradition es erforderte.

Heute würden sie sich als Braut und Bräutigam gegenüberstehen und in zwei Wochen verheiratet sein.

Es war absurd, absolut archaisch und … ihr Leben. Oder besser gesagt, der Rest davon. Kalila schluckte trocken.

„Schau dich an“, forderte Juhanah mit weicher Stimme und schob sie vor den mit prachtvollen Mosaiken verzierten Spiegel. Selbst nach den ermüdenden Stunden der Vorbereitung hatte Kalila eine so radikale Verwandlung nicht erwartet. Sie sah aus wie eine Fremde.

Der rotgoldene Kaftan schien ihre grazile Figur förmlich zu verschlucken. Die üppigen Locken waren streng aus dem Gesicht genommen und zu einem raffinierten Flechtwerk auf dem Kopf festgesteckt worden. Am Hals und um die Hüften glänzten schwere goldene Ketten, und ihr Gesicht …

Kalila fiel es schwer, die vollen, fast wollüstig wirkenden scharlachroten Lippen als ihre zu identifizieren, ebenso wie die riesigen mit schwarzer Kohle umrandeten Augen, die ihr entsetzt entgegenstarrten. Die fleischgewordene Fantasie eines jeden Mannes, dachte sie in einem Anflug von Bitterkeit.

„Wunderschön, nicht wahr?“, versuchte Juhanah ein Lob für ihre Mühen einzuheimsen, das ihr zumindest das begeisterte Küchenmädchen willig spendete. „Und jetzt folgt der letzte Schliff!“

Juhanah drapierte das Zeichen jungfräulichen Stolzes auf dem Haupt der stummen Braut … den hijab. Er bedeckte das hochgesteckte Haar und wurde noch mit einem durchsichtigen weißen Schleier gekrönt, dessen Rand Gold- und Silbermünzen zierten, und der so vor Kalilas schmalem blassem Gesicht befestigt wurde, das allein die kohlschwarzen Augen freiblieben.

„Perfekt!“ Juhanah ließ einen Seufzer höchster Befriedigung hören.

Während Kalila ihr Konterfei anstarrte, konnte sie sich nur schwer vorstellen, dass es noch kein Jahr her war, seit sie in Cambridge mit ihren Kommilitonen über Philosophie debattiert oder auf der Straße eine Pizza aus der Hand gegessen hatte. Unverschleiert und ohne Bodyguard oder Anstandsdame, in Jeans und Sweatshirt. Gewohnt, ihre Meinung frei heraus zu sagen, kontroverse Ansichten zu vertreten und Spaß am Leben zu haben.

Eine Option, die ihr plötzlich fremd und unerreichbar schien.

Wer war sie denn nun wirklich? Die lachende, flirtende Studentin aus Cambridge, die mit Vorliebe über Politik diskutierte, oder dieses fremde, verschleierte Geschöpf mit den unergründlichen dunklen Augen?

Vor acht Monaten war König Bahir persönlich nach England gekommen, führte seine Tochter groß zum Essen aus und lauschte geduldig ihrem begeisterten Geplauder. Die ganze Zeit über hatte Kalila versucht, sich selbst davon zu überzeugen, dass es ein rein väterlicher Besuch war, weil er sie vermisste.

Das wollte sie ihm auch jetzt nicht absprechen, während sie sich zurückerinnerte, aber sein Anliegen war natürlich viel umfassender und ernsterer Natur, wie immer. Als wäre es erst gestern gewesen, sah sie sein Gesicht vor sich, wie es sich verdunkelte und er ihrem Geplapper mit einer brüsken Geste Einhalt gebot.

„Was …?“, hatte sie damals bedrückt gewispert, obwohl sie ahnte, was als Nächstes kommen würde. Im Grunde hatte sie es gewusst, seit sie zwölf war. Seit dem Tag ihrer Verlobungsparty …

An die eigentliche Zeremonie konnte Kalila sich nicht mehr erinnern, aber Zakari und sie hatten Ringe getauscht und galten seitdem als Verlobte. Es war wie ein buntes Kaleidoskop von Eindrücken, Gerüchen nach süßem Jasmin, das Gewicht des schweren Goldringes, mit dem kostbaren Diamanten aus Calista, der gleich wieder hinuntergefallen wäre, hätte sie nicht die Finger verschränkt.

Seit jenem denkwürdigen Tag ruhte das unbezahlbare Stück in ihrer Schmuckschatulle.

Vielleicht sollte ich ihn herausholen und tragen … wenigstens heute, überlegte Kalila.

„Du weißt ja, dass die geplante Verbindung zwischen euch aus den verschiedensten Gründen immer wieder verschoben werden musste“, drängte sich die Stimme ihres Vaters erneut in Kalilas Gedanken. „Familiäre Probleme und Verpflichtungen auf beiden Seiten. Aber endlich ist König Zakari so weit, dich zur Frau zu nehmen. Er hat sogar schon das Datum festgelegt. Die Hochzeit wird am fünfundzwanzigsten Mai stattfinden.“

Als König Bahir nach Cambridge kam, war es Ende September. Die Blätter an den Bäumen begannen sich in leuchtende Gold- und Rottöne zu verfärben.

„Aber ich …“

Ihr Vater schüttelte den Kopf. „Kalila, wir beide wussten immer, dass dies deine Bestimmung ist. Deine Pflicht. Ich habe bereits deine Einschreibung für das nächste Semester widerrufen.“

„Dazu hast du kein Recht!“, fuhr sie spontan auf, wurde aber mit einem strengen Blick zur Raison gebracht.

„Ich habe jedes Recht dazu! Ich bin dein Vater und der König! Du hast dein ersehntes Diplom bereits erworben, und der nächste akademische Grad wäre nicht mehr als ein unnötiger Zeitvertreib.“

Kalila schluckte. Ihr Hals schmerzte vor ungeweinten Tränen. „Für mich bedeutet es sehr viel mehr.“

„Mag sein, das ändert allerdings nichts an deinen Pflichten, die dir von Kindheit an bekannt sind.“

Das stimmte. Schon lange vor ihrer Verlobung hatten ihre Eltern versucht, ihr die Aussicht auf eine standesgemäße Ehe mit einem der begehrenswertesten Trophäen auf dem Heiratsmarkt schmackhaft zu machen. Angesichts ihrer kindlichen Naivität hatte sie das Ganze als eine Art Märchen aus Tausendundeinernacht angesehen.

An Zakari, ihren Traumprinzen, konnte sie sich kaum noch erinnern. Und wenn sie es versuchte, sah sie verschwommen eine hochgewachsene Gestalt mit einem Lächeln auf dem dunklen Gesicht vor sich. Mit den Jahren mutierte es vor ihrem inneren Auge von freundlich zu charismatisch, stolz oder sogar hochmütig.

Bestimmt trog die Erinnerung! Immerhin war sie erst zwölf gewesen …

„Ich will, dass du gleich mit mir nach Hause kommst“, hatte der unumstößliche Befehl ihres Vaters gelautet. „Du hast einen Tag Zeit, um dich von deinen Freunden zu verabschieden und deine Sachen zu packen.“

„Nur einen Tag?“

Der König nickte knapp. „Ich will dich zu Hause haben, wo du hingehörst.“

„Aber wenn die Heirat doch erst im nächsten Mai …“

„Deine Anwesenheit in unserem Land ist jetzt vonnöten, Kalila!“

Seine angespannte Stimme verriet ihr, dass der Geduldsfaden ihres Vaters kurz vorm Zerrreißen war, deshalb biss sie sich auf die Lippen und schluckte herunter, was sie an Argumenten hatte anführen wollen, um ihren Aufenthalt in England vielleicht doch noch ausdehnen zu können.

„Die Bevölkerung muss dich in deiner Heimat sehen. Du warst fast vier Jahre weg, das ist eine lange Zeit. Zu lange …“, fügte er gepresst hinzu.

Während Kalila an jenem Abend ihre Koffer packte, geisterten die abenteuerlichsten Ideen durch ihren Kopf. Was, wenn sie sich ihrem Vater widersetzen und einfach davonlaufen würde, um ihr Leben in Freiheit weiter zu genießen? Sich ihren eigenen Lebensraum zu wählen … einen Ehemann oder Liebhaber nach ihren Vorstellungen zu suchen?

Doch noch während ihr Herz angesichts der wilden Pläne wie verrückt klopfte, verwarf Kalila sie bereits wieder. Wohin sollte sie gehen? Sie hatte kein Geld, und außerdem spürte sie fast gegen ihren Willen, wie sehr sie sich, trotz Freiheitsdrang, innerlich verbunden fühlte mit dem Land, in dem sie aufgewachsen war.

Zaraqs Wohlergehen war untrennbar mit Calista verwoben. Und die Vorstellung, aus selbstsüchtigen Gründen die Zukunft ihres Volkes zu gefährden, würde sie niemals Ruhe finden lassen, und wenn sie bis ans Ende der Welt fliehen würde, dessen war sich Kalila gewiss.

Also flog sie folgsam mit ihrem Vater im königlichen Privatjet zurück in ihre Heimat und versuchte, sich so gut wie möglich wieder in das Palastleben einzufinden. Sie lebte von einem Tag zum anderen, hielt ihre Geschichtsstudien anfangs sogar noch aufrecht, doch allmählich schwand jede Initiative und machte einer tiefen Depression Platz.

Trotzdem bemühte Kalila sich, ihren sozialen und repräsentativen Aufgaben als Prinzessin gerecht zu werden. Sie besuchte Waisenhäuser und Kinderkrankenstationen, schüttelte Hunderte von Händen, schnitt lächelnd Satinbänder bei Einweihungen durch und genoss teilweise sogar die Begegnungen mit ihren Landsleuten.

Klaglos nahm sie ihre Pflichten wahr und lebte ihrer Bestimmung gemäß …

Nur, wenn sie jetzt in den Spiegel schaute, konnte sie nicht umhin, sich zu wünschen, ihre Bestimmung und ihr Schicksal wären anderer Art. Sie war zwar in dieses Leben hineingeboren und dazu erzogen worden, aber sollte das wirklich schon alles sein? Sie wollte mehr … viel mehr!

„Prinzessin …?“, brachte sich Juhanah ihrem Schützling in Erinnerung. „Gefällst du dir?“

Nur mit Mühe widerstand Kalila dem Drang, sich den hijab vom Kopf zu reißen. Sie war bisher noch nie verschleiert gewesen. Ihre Mutter, die grundsätzlich westliche Kleidung getragen hatte, weigerte sich, es zu tun und setzte dieses Recht auch für ihre Tochter durch. Ihr einziges Zugeständnis an die alte Tradition war ein Stückchen kostbarer Spitze gewesen, das sie bei öffentlichen Anlässen auf ihrem glänzenden Haar feststeckte.

Ihr Vater hatte dagegen keinen Einwand erhoben, da er seine englische Rose, wie er seine Gattin nannte, bewusst geheiratet hatte, um eine Annäherung zum Westen zu demonstrieren, wovon er sich wirtschaftliche Vorteile versprach.

Und von seiner Tochter verlangt er, sich wie eine Haremsdame herauszuputzen! meuterte Kalila innerlich und verspürte einen bitteren Geschmack im Mund.

„Wunderschön …“, flüsterte Juhanah mangels einer Reaktion von ihrer Seite ergriffen und tätschelte die eiskalte Hand der Braut. Kalila entzog sie ihr so unauffällig wie möglich und gab vor, die schimmernden Falten ihres Kaftans ordnen zu wollen. Dabei verhakte sie sich mit dem Fingernagel hinter einer Goldlitze.

„Na!“, schimpfte Juhanah und gab ihr einen Klaps auf die Finger.

Doch noch ehe sie weiterreden konnte, klopfte es an der Schlafzimmertür. Und während die treue Dienerin davoneilte, um zu öffnen, hielt Kalila automatisch die Luft an und fragte sich ängstlich, was Zakari wohl denken und empfinden würde, wenn er sie gleich sah. War es wirklich das, was er wollte? Würde sie in Zukunft etwa immer so herumlaufen müssen?

Kalila schluckte trocken und kämpfte verbissen gegen ihre Zweifel und Tränen an. Jetzt war es ohnehin zu spät, etwas an ihrem Schicksal zu ändern. Sie wollte ja auch ihre Pflicht tun! Sie hatte nur nicht geahnt, dass es sich so grausam anfühlen würde.

In diesem Moment kam Juhanah zurück und schritt mit feierlichem Gesicht auf die verzagte Braut zu, zupfte hier ein bisschen, glättete da ein wenig und wischte sich ein heimliches Tränchen aus dem Augenwinkel. „Der Scheich ist gerade eben gelandet und wird ohne Verzögerung in den Palast kommen … bist du bereit, Prinzessin?“

2. KAPITEL

Aarif war erhitzt, durstig und müde. Die kurze Fahrt im offenen Jeep vom Flughafen zum königlichen Palast reichte, ihn mit einem feinen Staubfilm zu bedecken, der unangenehm in Mund, Nase und Augen drang.

Als offizieller Vertreter des Königshauses hatte ihn ein Angestellter des Hofes in Empfang genommen und ihm mitgeteilt, König Bahir und seine Tochter würden ihn im Thronsaal erwarten, wo die Begrüßung des hohen Gastes erfolgen sollte.

Aarif versuchte, den Staub hinunterzuschlucken, doch sein Mund war so trocken, dass er hüstelte. Sein Fahrer musterte ihn aufmerksam, und Aarif entging nicht der neugierige Blick, der an der langen Narbe hängen blieb, die sich quer über seine dunkle Wange zog. Das ewige Mahnmal für sein Versagen …

In der Ferne tauchte die lang gestreckte Silhouette des Palastes auf. Der mattgoldene Sandstein leuchtete in der Sonne. An beiden Enden des orientalischen Prachtbaus ragten verzierte Türme in den strahlendblauen Himmel auf. Das Ganze wirkte wie eine verlockende Oase inmitten einer endlos scheinenden Wüste.

Obwohl, wenn Aarif die Augen leicht zusammenkniff, konnte er im Westen eine Ansammlung von Gebäuden aus Lehm und Stein mehr erahnen als erkennen. Makaris, die Hauptstadt des kleinen Wüstenkönigreiches.

Der Jeep hielt vor dem Haupteingang des Palastes, einer massiven, mit reichen Schnitzereien verzierten Doppelflügeltür aus Holz, unter einem gewölbten Sandsteinbogen.

„Sie werden zunächst Gelegenheit bekommen, sich frisch zu machen und sich auf den Empfang vorzubereiten, Eure Hoheit“, eröffnete ihm sein steifnackiger Begleiter. „Wie bereits erwähnt, erwartet König Bahir Sie anschließend im Thronsaal.“

Aarif nickte und folgte dem Mann in den Palast, einen kühlen, steinernen Gang entlang zu einem Gästeraum mit schmalen Bänken und einem Tisch. Auf dem stand ein Krug mit Zitronenwasser. Aarif schenkte sich ein Glas ein und trank es in wenigen durstigen Zügen leer, bevor er sich im angrenzenden Bad umzog. Kurz darauf betrachtete er kritisch sein Spiegelbild. Er trug jetzt den bisht, eine traditionelle Robe, die zu einem Anlass wie diesem gehörte. Unwillkürlich wanderte sein Blick zu seinem Gesicht, wie jedes Mal, wenn er vor einem Spiegel stand.

Als es an der Tür klopfte, wandte er sich fast widerstrebend ab und verließ den Waschraum, um zu tun, weshalb er hergekommen war – die Bitte seines Bruders zu erfüllen.

Stumm wurde er vor die Doppeltür zum Thronsaal geleitet, die sein Führer öffnete.

„Eure Hoheit … Seine Königliche Hoheit, Scheich Zakari“, annoncierte der Mann salbungsvoll auf Französisch, der offiziellen Landessprache von Zaraq.

Aarif zuckte unwillkürlich zusammen, während sich am anderen Ende des Thronsaales unter den anwesenden Palastangestellten, die dem feierlichen Moment beiwohnen durften, ein leichtes Gemurmel erhob. König Bahir brauchte nur einen flüchtigen Blick, um zu erkennen, dass es sich bei dem eingetretenen Gast nicht um Scheich Zakari handelte, sondern um seinen jüngeren Bruder.

Aarif fühlte förmlich König Bahirs sengenden Blick auf seiner Haut brennen. Wahrscheinlich hatte es ein Missverständnis in der Korrespondenz gegeben. Er hatte es einem der Hofsekretäre überlassen, das Königshaus von Zaraq davon zu unterrichten, dass er an Stelle des Bräutigams kommen würde. Eine Leichtfertigkeit, die er gerade in diesem Augenblick bitter bereute, da er die vertraulichen Gründe jetzt vor der versammelten Mannschaft würde darlegen müssen.

Hoffentlich führte das zu keinem Eklat.

„Verzeiht mir, Königliche Hoheit …“, bat er in fließendem Französisch und durchquerte den Saal mit den kostbaren antiken Fresken an der gewölbten Decke. In angemessener Entfernung vom Thron blieb er stehen und verbeugte sich. Nicht aus Pflicht, sondern aus purer Höflichkeit und Respekt. „Ich muss meinen Bruder, Seine Königliche Hoheit, Scheich Zakari, entschuldigen. Wegen unaufschiebbarer Staatsgeschäfte ist es ihm leider nicht möglich, diesen erfreulichen Termin persönlich wahrzunehmen. Ich habe die große Ehre, seine Braut, Prinzessin Kalila, an seiner Stelle nach Calista zu begleiten.“

König Bahir lehnte sich bedächtig in seinem Sitz zurück, sagte aber noch immer kein Wort. Angesichts seiner düsteren, missbilligenden Miene schwankte Aarif zwischen Irritation und aufsteigendem Ärger. Die stumme Figur an der Seite des Königs war natürlich seine Tochter, Kalila. Er erinnerte sich an ein hübsches, aber ziemlich altkluges kleines Ding. Anlässlich der Verlobungsfeier hatte er ein paar belanglose Worte mit ihr gewechselt, aber das war inzwischen über zehn Jahre her.

Soweit man es hinter dem traditionellen Schleier erahnen konnte, schien die Prinzessin eine wahre Schönheit geworden zu sein.

Die zierliche Gestalt war unter dem steifen Kaftan leider kaum auszumachen. Den schmalen Kopf hielt sie leicht geneigt, hob ihn aber plötzlich an, als würde sie seine neugierige Musterung spüren. Und als sich ihre Blicke begegneten, hatte Aarif für den Bruchteil einer Sekunde das Gefühl, die Welt stünde still.

Ihre kohlschwarz umrahmten Augen waren leicht mandelförmig geschnitten, von einem Kranz langer dichter Wimpern umgeben und leuchteten in einem warmen Goldbraun. Sie wirkten wie glänzende Juwelen, in denen sich jede Emotion widerspiegelte. Auch als ihr Blick von seiner Narbe wie magisch angezogen wurde und dann leicht flackerte, ehe die zarten Lider ihn wieder verdeckten.

In Aarifs Interpretation zeugte er von Widerwillen und Ablehnung. Diese Erkenntnis gab ihm einen heftigen Stich und fand ein Echo in seinem seit langer Zeit schwelenden Selbsthass.

Er war nicht gekommen.

Wie betäubt starrte Kalila den Fremden an, der vor ihr stand. Sie lauschte seinen wohlgesetzten Worten … seinen Erklärungen, Entschuldigungen, den erwarteten Höflichkeiten und Komplimenten, und nichts davon machte für sie Sinn.

Nur eins war eindeutig. Ihr zukünftiger Gatte hielt es nicht für nötig, selbst zu kommen. Ob er wenigstens vorhat, am Hochzeitstag zu erscheinen? überlegte sie verstimmt.

Konnte er sich denn nicht denken, wie aufgeregt, verunsichert und hoffnungsvoll sie sich fühlen musste? Oder dachte er überhaupt nicht über sie nach?

Während ihr Vater mit ruhiger, melodischer Stimme sprach, versuchte Kalila verzweifelt ein hysterisches Kichern zu unterdrücken. König Bahir hieß den Mann – wer immer er auch war – jedenfalls höflich willkommen. Und als im gedämpften Gespräch sein Name fiel … Prinz Aarif, klingelte es auch bei ihr.

Es war Zakaris jüngerer Bruder, ausgesandt als Brautwerber für den zu beschäftigten König von Calista!

Kalilas rote Lippen verzogen sich zu einem zynischen Lächeln, das allerdings hinter dem Schleier verborgen blieb. Sie ballte die Hände in den weiten Ärmeln ihres Kaftans zu Fäusten, um sich davon abzuhalten, den verflixten Schleier vom Kopf zu reißen, damit dieser elenden Scharade endlich das verdiente Ende beschert würde.

Es widerstrebte ihr zutiefst, die entwürdigende Rolle, die man ihr in diesem verstaubten Theaterstück zugedacht hatte, weiter durchzuhalten.

Sie wollte rennen … rennen und erst wieder stehen bleiben, wenn sie in Sicherheit war. An einem Ort, wo sie wenigstens sie selbst sein konnte – wie immer das auch aussehen mochte –, zusammen mit Menschen, denen wirklich etwas an ihr lag.

Ihr Vater hatte sich erhoben, und Kalila wusste, dies war das Zeichen für ihren Abgang. Den ersten Akt hatte sie hinter sich gebracht. Fügsam beugte sie den verschleierten Kopf und zog sich rückwärtsgehend aus dem Thronsaal zurück, sorgsam darauf achtend, nicht in den Saum ihres Kaftans zu treten und zu stolpern.

Kaum hatte sich die Tür hinter ihr geschlossen, riss sie sich mit einer heftigen Bewegung den Schleier vom Gesicht, raffte ihre voluminöse Robe mit einer Hand zusammen und wollte in Richtung ihres Schlafzimmers davonstürmen.

„Achtung, Prinzessin!“, mahnte Juhanah und erwischte sie gerade noch am Ärmel. „Das Material ist sehr kostbar und empfindlich.“

„Ist mir doch egal!“, schäumte Kalila.

Die treue Dienerin seufzte mitfühlend auf. „Natürlich bist du enttäuscht“, konstatierte sie. „Aber Scheich Zakari ist ein sehr beschäftigter Mann, an den viele Anforderungen gestellt werden. Je eher du dich daran gewöhnst, desto besser für dich, ya daanaya.“

„Schon vor unserer Heirat?“, fragte Kalila sarkastisch und riss sich los, wie ein unartiges Kind. Empört und verletzt wie sie war, sah sie keinen Grund, ihre Gefühle vor Juhanah zu verstecken. Oder gar auf sie zu warten, um sich weitere gute Ratschläge anhören zu müssen. Deshalb rannte sie ihr einfach davon.

Endlich allein in ihrem Schlafzimmer, lehnte Kalila sich aufatmend gegen die geschlossene Tür. Sie musste vernünftig sein. Was hatte es für einen Sinn, sich wie ein trotziges Kind zu benehmen? Sie war jetzt eine Frau, mit allen Verpflichtungen und Bürden, die dazugehörten.

Und wenn sie ehrlich war, musste sie sich eingestehen, dass sie genau aus diesem Grund angefangen hatte, ihre Zukunftsträume zu überarbeiten oder regelrecht umzumodeln.

Da sie sich nicht gegen die erzwungene Ehe mit dem König von Calista wehren konnte, wollte sie wenigstens das Beste daraus machen. In ihrer Fantasie hatte Zakari den heutigen Tag gar nicht erwarten können und war regelrecht begierig darauf gewesen, sie nach so langer Zeit wiederzusehen. Ihr Anblick hätte ihn zunächst sicher sprachlos gemacht, und dann hätte er sich in sie verliebt …

Und das alles, ohne mich überhaupt zu kennen! machte sich Kalila über sich selbst lustig.

Als es klopfte, seufzte sie ergeben und öffnete widerstrebend die Tür. „Komm rein“, forderte sie Juhanah auf. „Und hilf mir, dieses Ding hier loszuwerden!“ Ungeduldig zupfte sie an ihrem Kaftan.

„Natürlich, mein Herz“, beeilte sich die alte Frau ihr zu Hilfe zu kommen. „Sicher bist du völlig erschöpft und möchtest ruhen, um für heute Abend frisch zu sein.“

„Was ist denn heute Abend?“, fragte Kalila nervös. Das wissende Lächeln der Palastangestellten ließ alle Alarmglocken in ihrem Hinterkopf schrillen.

„Hast du es nicht mitbekommen? Dein Vater hat Prinz Aarif eingeladen, mit euch beiden zu dinieren. Ganz unzeremoniell, wie er sich ausdrückte.“

„Was immer das auch heißen mag …“, murmelte Kalila unglücklich.

„Kein Kaftan, kein Schleier!“

„Oh, gut!“ Diesmal war es ein Seufzer der Erleichterung, mit dem Kalila die Nadeln aus ihrer Steckfrisur zog und die herabfallende Haarfülle mit den Händen auflockerte.

Juhanah half ihr aus dem kostbaren Gewand, das sie gleich darauf sorgfältig glättete und aufhängte. „Du weißt, dass dieser Kaftan deiner Mutter gehört hat?“

„Wirklich? Nein, das wusste ich nicht. Ich habe sie nie etwas in dieser Art tragen sehen.“

„Sie tat es auch nur sehr selten.“ Versonnen fuhr Juhanah mit dem Zeigefinger über die Goldlitze. „Doch dieses Prachtstück trug sie auf ihrer Verlobungsparty – es war das Brautgeschenk deines Vaters. Sie sah darin wunderschön aus.“

Kalila versuchte sich ihre Mutter vorzustellen. Groß, schlank, blond … und dann in diesem Kaftan! Niedergedrückt durch den schweren Brokatstoff und die in sie gesetzten Erwartungen …?

Möglicherweise, vielleicht aber auch nicht. Immerhin hatte sie sich selbst für König Bahir entschieden, sodass es, ungeachtet diplomatischer Winkelzüge, auf jeden Fall auch eine Liebesheirat gewesen war.

Warum kann es bei mir nicht genauso sein? fragte sich Kalila, während sie ausgestreckt auf ihrem Bett lag und bezweifelte, auch nur ein Auge zutun zu können. Doch entgegen ihren Befürchtungen dauerte es gar nicht lange, bis sie fest schlief.

Als sie wieder aufwachte, stand die Sonne bereits tief am Himmel, und die leichte Brise, die durch das offene Fenster hereinwehte, war überraschend kühl.

Kalila strich sich die wirren Locken aus dem Gesicht, stand auf und trat ans Fenster. Der feuerrote Ball am Horizont und der leuchtende Himmel darüber wurden zunehmend von der hereinbrechenden Dunkelheit geschluckt und schließlich ganz ausgelöscht. Mit einem wohligen Schaudern dachte Kalila, dass sie wohl nie müde würde, dieses grandiose Schauspiel zu bewundern. Derart spektakuläre Sonnenauf- und -untergänge hatte sie in England schmerzlich vermisst.

Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass sie sich sputen musste, wenn sie nicht zu spät zum Dinner kommen wollte.

Die Frau, die Prinz Aarif heute Abend entgegentreten würde, sollte nichts gemein haben mit der traditionell gekleideten Braut, die er am Nachmittag gesehen hatte. Dafür würde sie schon sorgen! Nachdem Zakari nicht anwesend war, musste sie niemanden mehr versuchen zu beeindrucken, und das ließ ihr freie Hand bei der Wahl der Garderobe und in ihrem Auftreten.

Unter der Dusche wusch Kalila sorgfältig den knalligen Lippenstift und die schwarze Kohle um die Augen herum ab und seifte sich gründlich ein, um den betäubend süßen Jasmingeruch loszuwerden.

Dann zog sie ein elegantes, nach westlichem Standard ausgesprochen schlichtes Cocktailkleid an, das sich gerade dadurch extrem von ihrem vorherigen Outfit unterschied. Es war aus lavendelfarbener Seide und umfloss ihren grazilen Körper wie ein sanfter Wasserfall. Der Rock endete auf Höhe der Knie. Dazu trug sie schwarze Pumps, und die widerspenstigen Locken steckte sie rasch in einem lockeren Knoten auf dem Kopf fest. Ihr einziges Make-up bestand aus einem Hauch Lipgloss.

Nach einem letzten prüfenden Blick in den Spiegel legte Kalila die Hand auf ihr wild klopfendes Herz, atmete noch einmal tief durch und verließ ihr Schlafzimmer. Auf dem Weg nach unten wunderte sie sich darüber, dass ihre Nervosität, anstatt nachzulassen, eher noch zugenommen hatte.

Ein Lakai, der sie vor dem formellen Speisesaal erwartete, dirigierte sie ehrerbietig um, in Richtung eines Salons, der eigentlich nur für private Dinner im Kreis der Familie reserviert war. Als Kalila zögernd eintrat, fiel ihr zuerst der festlich gedeckte Tisch für drei Personen auf, dann sah sie den Prinzen halb abgewandt am Fenster stehen. Ihr Vater war nirgendwo zu entdecken.

Bisher hatte sie dem unerwarteten Gast kaum mehr als einen flüchtigen Blick gegönnt. Zakaris Abwesenheit hatte sie derart beschäftigt, dass sie seinen Bruder, den er als Ersatz für sich geschickt hatte, kaum wahrnahm. Doch jetzt musterte sie ihn voller Neugier.

In dem dunkelgrauen Anzug – offensichtlich eine Maßanfertigung von einem europäischen Designer – wirkte er lässig und imposant zugleich, und in ihren Augen weitaus anziehender als in der traditionellen calistanischen Landestracht, die er zur Begrüßung getragen hatte. Irgendwie menschlicher … und männlicher!

Als spüre er ihre Anwesenheit, drehte sich Aarif um, und Kalila hielt den Atem an. Sie hatte die Narbe auf seinem Gesicht zwar bereits wahrgenommen, aber fast schon wieder vergessen. Der Blick seiner dunklen Augen verriet nichts von seinen Emotionen, während er den gut geschnittenen Mund zu einem höflichen Lächeln verzog.

Kalila zwang sich, das Lächeln zu erwidern. „Guten Abend, Prinz Aarif.“

„Guten Abend, Prinzessin.“

Sie trat weiter in den Raum hinein und versuchte, die Tatsache zu ignorieren, dass sie ganz allein mit ihrem zukünftigen Schwager war. Obwohl das nicht so ganz zutraf. Wie stets, befanden sich Dienstboten in Hörweite, die sich aber diskret im Hintergrund hielten. Und ihr Vater würde bestimmt auch jeden Moment auftauchen.

„Haben Sie einen angenehmen Nachmittag verbracht?“, wollte Kalila wissen und krümmte sich innerlich wegen der aufgesetzten Freundlichkeit in ihrer Stimme.

Um Aarifs Lippen zuckte es. „Einen sehr erhellenden, würde ich sagen“, orakelte er und hob die rechte Hand, in der er ein Glas hielt. „Möchten Sie vielleicht auch einen Drink, Prinzessin?“, fragte er leichthin.

Wie auf ein Stichwort erschien einer der Diener, und Kalila orderte ein Glas Fruchtsaft. Sie wollte auf jeden Fall einen klaren Kopf behalten. „Ich befürchte, ich kann mich nicht wirklich an Sie erinnern“, wandte sie sich offen an ihren Gast. „Ich weiß nur, dass Sie einer von Zakaris Brüdern sind. Aber davon gibt es mehrere … und Schwestern, nicht wahr?“

„Ja, wir waren zu siebt“, bestätigte Aarif mit gepresster Stimme. „Ich hingegen erinnere mich noch sehr gut an Sie, Prinzessin. Sie waren noch sehr jung auf der Verlobungsparty, nicht wahr? Kaum mehr als ein Kind … in einem weißen Kleid, mit einer riesigen Schleife im Haar.“

Kalila senkte den Blick vor den eindringlichen dunklen Augen. „Ich war zwölf …“, sagte sie leise und konnte es kaum fassen, dass Zakaris Bruder sich noch so gut an sie erinnerte.

„Sie sahen aus, als wollten Sie zu einer Geburtstagsparty gehen“, murmelte er abwesend. „Vielleicht hat es sich damals für Sie ja auch so angefühlt.“

Kalila nickte automatisch, überrascht und irritiert über sein Einfühlungsvermögen. Wie konnte er als Mann wissen, was sie damals empfunden hatte? „So war es tatsächlich“, gestand sie. „Und das Geschenk war fast zu groß …“, fügte sie mehr für sich selbst hinzu. Der bittere Unterton in ihrer Stimme war dabei nicht zu überhören.

Abrupt verschloss sich Aarifs Miene, und der magische Augenblick von gegenseitiger Offenheit und Verständnis zerplatzte wie eine Seifenblase.

„Eine Heirat ist ein Segen und eine große Ehre“, erklärte er steif.

Plötzlich hörte er sich an wie ihr Vater. Eigentlich wie jeder Mann, der sich in unangebrachter Selbstherrlichkeit anmaßte, über die Aufgaben, Pflichten und das persönliche Schicksal einer Frau zu entscheiden! grollte Kalila innerlich.

„Sind Sie verheiratet, Prinz Aarif?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein …“, erklärte er rau, und was immer er noch hinzufügen wollte, wurde durch das Eintreten von König Bahir unterbunden.

„Ah, Prinz Aarif! Und Kalila! Du wirkst sehr viel wohler nach einem erholsamen Nachmittagsschlaf. Das freut mich.“ Während er auf sie zuging, rieb ihr Vater zufrieden die Hände aneinander, jeder Zoll der wohlwollende, huldvolle Monarch. „Ich habe dem Prinzen bereits erklärt, dass wir keinen übertriebenen Wert auf Tradition und Etikette legen“, erklärte er jovial. „Besonders nicht im engeren Kreis von Familie und Freunden. Habe ich nicht recht, Tochter?“

Kalila dachte flüchtig an das Spektakel von vorhin und nickte pflichtschuldigst. Sie sah den Blick ihres Vaters zwischen Prinz Aarif und ihr bedeutungsvoll hin- und herwandern und trat instinktiv einen Schritt zurück. Außer Reichweite des beunruhigenden Mannes, der bald ihr Schwager sein würde. Plötzlich glaubte sie versteckte, unausgesprochene Andeutungen in den Worten ihres Vaters zu erahnen.

„Ja, so ist es“, bestätigte sie mit einem neutralen Lächeln. „Wir sind wirklich sehr glücklich, Sie in Zaraq willkommen heißen zu dürfen, Prinz Aarif.“

„Und ich bin überaus glücklich, hier zu sein“, erwiderte er galant.

Hatte sie da etwa einen ironischen Unterton gehört, oder bildete sie sich das nur ein? Er trägt eine Maske, dachte sie plötzlich und fragte sich, was Aarif dahinter zu verstecken suchte.

Entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten rückte Bahir höflich den Stuhl für seine Tochter zurecht, ehe er selbst Platz nahm. Erst dann folgte Aarif seinem Beispiel.

„Prinz Aarif hat mir erklärt, warum König Zakari heute nicht selbst kommen konnte“, sagte Bahir, nachdem er ihnen, gegen alle Regeln, persönlich Wein eingeschenkt hatte. Kalila trank einen Schluck, um ihre Verwirrung über das ungewöhnliche Verhalten ihres Vaters zu verbergen.

„Ach, ja?“ Abwartend hob sie die Brauen.

„Natürlich ist er, wie wir alle wissen, ein sehr beschäftigter Mann mit wichtigen royalen Verpflichtungen. Tatsächlich hält er sich momentan nicht einmal in Calista auf …“ Seine Stimme verebbte angesichts Aarifs starrer Miene.

„Nicht?“, hakte Kalila sofort interessiert nach. „Wo ist er denn, Prinz Aarif?“

„Nennen Sie mich bitte einfach Aarif“, bat er mit angespannter Stimme, die Kalila nur noch neugieriger machte.

Langsam fand sie zu ihrem eigenen, selbstsicheren Ich zurück. „Dann müssen Sie mich aber auch Kalila nennen“, forderte sie den Prinzen mit einem strahlenden Lächeln auf und fühlte ihr Blut plötzlich schneller und wärmer durch die Adern rauschen unter seinem intensiven Blick.

Im eigentlichen Sinne ist er gar kein klassisch schöner Mann, schoss es ihr durch den Kopf. Doch die gezackte Narbe trug nur zum Teil dazu bei. Auch ohne sie wären seine dunklen Züge zu herb. Sie wiesen keine Spur von Milde, Freundlichkeit oder Humor auf. Der feste Zug um den Mund sprach von Entschlusskraft und Durchsetzungsvermögen. Einzig in den schwarzen Augen blitzten ab und zu Emotionen auf, die aber viel zu flüchtig waren, um sie wirklich fassen zu können.

Warum sollte mich das überhaupt interessieren? fragte sich Kalila.

Der erste Gang, bestehend aus geschmortem Paprika-Koriander-Huhn, wurde serviert, und alle begannen zu essen.

„Mir sind Gerüchte über verschwundene Diamanten zu Ohren gekommen …“, unterbrach Bahir nach den ersten Bissen beiläufig die herrschende Stille.

Aarif zuckte unmerklich zusammen, bevor er mit einer lässigen Geste die breiten Schultern hob. „Sie wissen ja, wie das mit Gerüchten ist …“

„Dieses eine ist sehr konkret.“ Die Stimme des Königs wies jetzt einen harten Unterton auf. „Es be...

Autor

Kelly Hunter
<p>Obwohl sie von Beruf Naturwissenschaftlerin ist, hatte Kelly Hunter schon immer eine Schwäche für Märchen und Fantasiewelten und findet nichts herrlicher, als sich in einem guten Buch zu verlieren. Sie ist glücklich verheiratet, hat zwei Kinder und drückt sich gerne davor, zu kochen und zu putzen. Trotz intensiver Bemühungen ihrer...
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Trish Wylie
<p>Alles geschieht aus einem bestimmten Grund, davon ist Trish Wylie überzeugt. So war ein Reitunfall innerhalb ihrer beruflichen Karriere als Pferdedresseurin der Auslöser dafür, dass sie wieder zu schreiben begann, obwohl sie diese Leidenschaft im Laufe der Jahre erfolgreich in den Hintergrund gedrängt hatte. Dabei sammelte Trish schon in der...
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