Heimliche Sehnsüchte eines Hausmädchens

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Romantik, Liebe, zarte Küsse – das sind für das Hausmädchen Susanna hoffnungslose Tagträume! Immer wieder muss sie sich ihre Sehnsucht nach einem persönlichen Glück verbieten. Schließlich ist sie nur im Herrenhaus von Lucian, dem charmanten Duke of Penning, um zu arbeiten! Egal, wie schwer ihr das fällt, wann immer sie mit ihm im selben Raum ist. Denn in seiner Nähe schlägt ihr Herz höher, und ihre heimlichsten Wünsche drängen mit Macht ans Licht. Einmal in seinen starken Armen liegen, seine Lippen auf ihren spüren … Doch von einem adligen Duke darf ein Hausmädchen wie sie niemals träumen – oder?


  • Erscheinungstag 24.05.2025
  • Bandnummer 174
  • ISBN / Artikelnummer 9783751532198
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sophie Jordan

Heimliche Sehnsüchte eines Hausmädchens

Sophie Jordan

Geschichten über Drachen, Krieger und Prinzesssinnen dachte Sophie Jordan sich schon als Kind gerne aus. Bevor sie diese jedoch mit anderen teilte, unterrichtete sie Englisch und Literatur. Nach der Geburt ihres ersten Kindes machte sie das Schreiben endlich zum Beruf und begeistert seitdem mit ihren eigenen Geschichten. Die New-York-Times-Bestsellerautorin lebt mit ihrer Familie in Houston, und wenn sie sich nicht gerade die Finger wund tippt bei einem weiteren Schreibmarathon, sieht sie sich gerne Krimis und Reality-Shows an.

PROLOG

Es war ihre eigene Schuld, das wusste sie.

Sie hätte es besser wissen müssen, als sich nach Einbruch der Dunkelheit bei einem Unwetter auf dem Land herumzutreiben. Sie war kein unerfahrenes Mädchen. Keine unerprobte Dienstmagd. Susanna Lockhart war die Haushälterin des Duke of Penning und hielt sich eigentlich über ein solch törichtes Verhalten erhaben. Sie achtete auf ihre Schritte in der hereinbrechenden Dunkelheit. Sie kannte diese Gegend gut. Jeden ausgetretenen Pfad, jede Weide, jedes Weizenfeld kannte sie wie ihre Westentasche.

Dennoch konnte man in dem schnell schwindenden Licht nicht vorsichtig genug sein, und sie wollte sich nicht die Knöchel brechen. Das Letzte, was sie gebrauchen konnte, war, an ihr Bett gefesselt zu sein. Wie sollte sie sich dann in Penning Hall nützlich machen? Achtsam setzte sie einen Fuß vor den anderen, so sehr sie sich auch darauf freute, die Wärme und Sicherheit des Herrenhauses zu erreichen. Sie stellte sich das gemütliche Feuer in der Küche vor, eine Schüssel mit dem himmlischen Eintopf der Köchin, der auf sie wartete, den duftenden Dampf, der ihr in die Nase stieg, während sie sich den Magen mit der herrlichen Köstlichkeit füllte.

Verärgert schüttelte Susanna den Kopf. Sie hätte schon vor Stunden zurückkehren sollen. Sie hatte sich viel zu lange im Dorf aufgehalten. Wenigstens war der Korb, den sie in der Hand hielt, jetzt leer und daher leichter. Der Pfarrer und Mr. Gupta waren sehr dankbar für die Lebensmittel gewesen, die sie ihnen heute gebracht hatte. Die Köchin von Penning Hall war in dieser Gegend sehr bekannt, und Susanna sorgte dafür, dass ihre kulinarischen Talente auch den lieben Menschen in Shropshire zugutekamen.

Der Sturm war plötzlich aufgezogen und hatte den Himmel vorzeitig verdunkelt. Eigentlich hätte die Dämmerung erst in einer guten Stunde eingesetzt. Der Regen hatte sich mit ein paar dicken Tropfen angekündigt, die ihr auf der Nase landeten. Dann hatte der Himmel alle Schleusen geöffnet, und jetzt ging ein schwerer Wolkenbruch auf sie nieder. Sofort war sie bis auf die Haut durchnässt. Es wurde auch immer mühsamer, voranzukommen – der schlammige Boden wollte sich an ihren Stiefeln festsaugen.

Der vertraute Weg beschrieb eine Biegung, und sie blieb schwer atmend stehen und blickte den Hügel hinunter auf die imposante Residenz des Duke of Penning, die sich in ihrer ganzen Pracht unter ihr erstreckte. Hinter den vielen Fenstern funkelten Lichter, die ihr zuzuwinken schienen. Zuhause. Einer Frau von so bescheidener Herkunft wie Susanna war dies eigentlich nicht angemessen, aber Penning Hall war für sie inzwischen mehr Heimat als die, die sie vor so vielen Jahren verlassen hatte. Fast am Ziel. Trockene Kleidung, ein warmes Feuer und eine herzhafte Mahlzeit waren nur noch einen kurzen Spaziergang entfernt.

Sie hörte das Pferd und den Reiter, bevor sie sie sah.

Das Getrappel der Hufe ertönte wie ein Donnerschlag und untermalte das laute Grollen am Himmel. Die stakkatoartigen Hufschläge wurden lauter und kamen immer näher. Sie drehte sich um, als das Tier und der Mann hinter der Biegung auftauchten und direkt auf sie zuhielten.

Ihr Schrei ging in dem allgemeinen Wettergetöse unter, verschluckt vom Regen, dem Donnergrollen und dem panischen Wiehern des Pferdes. Abwehrend riss sie einen Arm hoch, als ob das den heftigen Aufprall aufhalten würde. Als ob sie sich so vor dem schützen könnte, was unweigerlich geschehen würde.

Mit dem Schreck überkam sie auch ein Gefühl der Bestrafung. Bedauern gepaart mit Scham darüber, dass sie auf diese Weise sterben sollte und nicht in ihrem Bett in hohem Alter. Nein, ganz im Gegenteil. Zu Tode getrampelt. Das würde ihr schändliches Ende sein.

Das Pferd bäumte sich auf. Die Hufe erhoben sich in wilder Raserei in die Luft über ihrem Kopf, und sie geriet ins Taumeln und landete hart auf dem nassen Boden. Rasch versuchte sie, davonzukrabbeln, weg von den tödlichen Hufen des riesigen Tiers. Sie biss sich auf die Innenseite ihrer Wange und der kupferne Geschmack von Blut erfüllte ihren Mund.

Sie wandte das Gesicht ab und kniff die Augen fest zu, wich weiter zurück, machte sich ganz klein, während sie darauf wartete, von stählernen Hufen zerschmettert zu werden, bis sie in tausend Stücken im Schlamm ihren letzten Atemzug täte.

Es geschah … nichts. Kein Schmerz loderte auf. Kein Kochen brach.

Stattdessen erreichte eine Litanei übelster Flüche ihre Ohren, und die Erde bebte, als das Pferd in der Nähe ihres Kopfes wieder auf alle viere kam, den Boden erschütterte und sie mit frischem Schlamm bespritzte. In der Nähe ihres Kopfes … Nicht auf ihren Kopf. Was für ein Segen!

Sie hörte mehr, als dass sie es sah, dass jemand neben ihr zu Boden sprang. Es folgte ein langes Stöhnen.

Zuerst konnte sie sich nicht bewegen, atemlos und fassungslos starrte sie in die verregnete Dämmerung. Sie presste sich eine Hand auf die Brust. Ihr raste das Herz, als wollte es aus ihrem Brustkorb ausbrechen.

„Was zum Teufel ist los mit Ihnen?“ Die harte Stimme drang schneidend durch den Sturm, der um sie herum tobte.

Sie blinzelte gegen den Regen an, richtete sich langsam auf, sah sich um und entdeckte den Reiter nur Zentimeter entfernt, der wie ein Käfer auf dem Rücken lag und sich offenbar nicht bewegen konnte.

Sie öffnete den Mund, aber kein Laut kam ihr über die Lippen. Es war, als hätte es ihr die Sprache verschlagen.

In der Düsternis konnte sie sein Gesicht kaum erkennen, aber sie konnte das schwere Röcheln hören, das seine Atemzüge begleitete … und natürlich seine grausam bissigen Worte: „Wollen Sie sich umbringen, Mädchen? Oder nur mich?“

Sie runzelte die Stirn, als sie endlich ihre Stimme wiederfand. „Sie sprechen doch gerade mit mir, oder?“

Er grunzte.

„Dann sind Sie auch nicht tot“, sagte sie mit Nachdruck.

„Das habe ich gewiss nicht Ihnen zu verdanken.“ Mit einem weiteren Grunzen setzte er sich auf. „Sondern nur meinem reiterlichen Geschick.“ Er hievte sich auf die Beine, ließ eine Hand an seine Seite wandern und rieb sie keuchend. „Auch wenn ich dafür vom Pferd springen musste.“

„Wie überaus heldenhaft“, meinte sie spöttisch, obwohl sie ihm offenbar in der Tat zu Dank verpflichtet war. „Sie hätten nicht so leichtsinnig reiten sollen“, warf sie ihm vor.

„Ich? Leichtsinnig?“, rief er und machte eine umfassende Geste mit einer Hand. „Wie würden Sie denn jemanden bezeichnen, der im Dunkeln und mitten in einem Sturm durch die Landschaft streift?“

Da es ihr nicht gefiel, wie verletzlich sie sich zu seinen Füßen fühlte, rappelte sie sich auf und drohte direkt auf dem glatten Boden auszurutschen, schaffte es aber, sich zu fangen und das Gleichgewicht zu halten.

Das war kaum besser. Meine Güte, war der Mann groß. Jetzt, da sie wieder auf den Beinen war, musste sie feststellen, dass er sie immer noch überragte.

Seine schattenhafte Gestalt bewegte sich, sein Mantel peitschte um ihn herum, während er sein Pferd auf Verletzungen untersuchte – und dabei brummte er leise etwas Unverständliches vor sich hin.

„Dies ist Privatbesitz. Wer sind Sie?“, fragte sie.

Er kümmerte sich weiter um sein Pferd und ignorierte sie, als wäre sie gar nicht da.

„Haben Sie nicht gehört? Dies ist das Anwesen des Duke of Penning“, sagte sie etwas lauter. „Ich bin mir sicher, dass er es nicht gutheißen würde, dass Sie nachts auf seinem Land herumgaloppieren wie ein Verrückter …“

Er wirbelte herum und sah sie an. Der Regen fiel wie Nadeln zwischen sie, aber er richtete seine Aufmerksamkeit auf sie und tat nicht länger so, als wäre sie Luft. „Ich bin der Duke of Penning.“

Sie zögerte nur einen Moment, bevor sie ein Lachen ausstieß.

„Nein, das sind Sie nicht.“ Sie kannte den Duke. Immerhin war sie seine Haushälterin.

„Oh, doch. Ich bin es.“ Er sprach dies mit so viel Selbstvertrauen aus, dass ihr das Lachen verging. Ein kleiner Anflug von Besorgnis überkam sie. Dann gewann ihre Gewissheit wieder die Oberhand. Der frischgebackene Duke of Penning und sein Sohn wohnten nun schon seit Monaten im Herrenhaus. Dieser Mann log. Er war ein Lügner. Er war ein mieser Lügner.

Zweifellos hielt er sie für jemanden, der es nicht wagen würde, seine Behauptung zu hinterfragen. Sie reckte das Kinn und erhob die Stimme über den prasselnden Regen. „Sie lügen.“

„Ich lüge?“ Er schnaubte.

„Ja. Sie sind … ein Lügner“, erklärte sie ihm ganz ruhig, als wollte sie, dass es keine Missverständnisse gab. „Ich weiß nicht, welches Spiel Sie spielen, Sir, aber der Duke of Penning befindet sich dort unten, gemütlich in seinem Salon, während wir uns hier so angeregt unterhalten.“

Der Fremde nahm die Zügel seines Pferdes in die Hand und setzte sich humpelnd in Bewegung. Offensichtlich war sein Sturz recht ordentlich gewesen, und er war nicht ohne Blessuren davongekommen. Er blieb vor ihr stehen, und sie musste den Kopf in den Nacken legen, um zu ihm aufzublicken.

Im strömenden Regen konnte sie seine Gesichtszüge nur schemenhaft erkennen. Recht große Augen. Dicke, sich wölbende Augenbrauen. Eine patrizische Nase. Ein breiter Mund, der sich jetzt bewegte, während der Gauner seine Worte überdeutlich aussprach, als befürchtete er, sie würde ihn ansonsten nicht verstehen, als wäre sie irgendwie langsam im Kopf – oder vielleicht wollte er einfach über den Sturm hinweg gehört werden. „Ich spiele kein Spiel. Ich bin der Duke of Penning, und ich bin hier, um einzufordern, was mir gehört.“ Er nickte in Richtung des Herrenhauses, wobei ihm Wasser von der Hutkrempe tropfte. „Der Mann da unten ist der Lügner. Ein raffinierter Betrüger, der es sich in meinem Salon gemütlich gemacht hat.“

Sie zuckte zusammen, als ihr das Echo ihrer eigenen Worte entgegengeschleudert wurde, aber sie zwang sich zu einem freudlosen Lachen, während sie ein wenig unbeholfen den Kopf schüttelte und hervorstieß: „Nein …“ Mehr als das konnte sie nicht sagen. Das war alles, was sie zustande brachte, als der Zweifel sich anschlich, von ihr Besitz ergriff und in sie einsickerte.

Er konterte mit einem schlichten: „Doch.“

Blitze erhellten den Himmel, beleuchteten sein Gesicht, und sie keuchte auf. Er war gut aussehend. Jung. Und wütend. Sehr wütend. Das sah sie sofort.

Er fuhr fort: „Ich bin der rechtmäßige Erbe des Herzogtums und werde begleitet von Abgesandten der Krone, die in einer Kutsche hinter mir herfahren, um es zu beweisen. Dieser Mann“ – er nickte den Hügel hinunter in Richtung des Hauses – „ist ein Betrüger.“ Regentropfen glitzerten in seinen Wimpern, als er sie von oben bis unten musterte, als wäre sie etwas Unappetitliches, und in ihrem jetzigen Zustand war sie sich sicher, dass ihr Anblick tatsächlich wenig Reizvolles hatte. „Und wer sind Sie?“

„Ich bin …“ Die Haushälterin des Dukes. Ihre Haushälterin? Sie schüttelte heftig den Kopf. Nach diesem wenig erfreulichen Aufeinandertreffen hoffte sie, dass sie es auch in Zukunft noch sein würde.

Er furchte die Stirn. „Geht es Ihnen nicht gut? Haben Sie sich vielleicht den Kopf angeschlagen?“ Sie fühlte sich, als wäre es so. Sie fühlte sich, als hätte sie einen schweren Schlag erlitten und wüsste nicht, was sie denken oder was sie tun sollte.

Seit Wochen hatte sie nun schon zwei sehr freundlichen Männern gedient, die behaupteten, der Duke und sein Sohn zu sein, und jetzt erzählte ihr dieser unhöfliche, schlecht gelaunte Mann, dass sie betrogen worden sei – dass er der wahre Penning sei, dass er ihr Arbeitgeber sei.

Mit einem verächtlichen Schnauben setzte er sich mit seinem Pferd am Zügel in Richtung Herrenhaus in Bewegung. „Kommen Sie?“, rief er über die Schulter.

Ein weiterer Blitz erhellte den dunklen Himmel. Sie hatte keine andere Wahl, als ihren Korb zu nehmen und dem Löwen in seine Höhle zu folgen.

1. KAPITEL

Zwei Monate später …

Der echte Duke of Penning war ein schrecklicher Mann. Susanna hatte es von dem Moment an vermutet, als sie ihm in jener stürmischen Nacht zum ersten Mal begegnet war, und die Zeit hatte ihr recht gegeben.

Sie hatte Erfahrung mit schrecklichen Männern. Unglücklicherweise hatte sie im Laufe ihres Lebens mehr als nur ein paar kennengelernt. Mit siebzehn Jahren war sie zu unerfahren und naiv gewesen, um solche Männer als die Mistkerle zu identifizieren, die sie waren, wenn sie ihr gegenüberstanden, aber jetzt, als reife Frau von achtundzwanzig, erkannte sie einen, wenn sie einem begegnete. Und Penning war ein solcher Mann. Normalerweise hätte sie sich von seinesgleichen ferngehalten, aber er war ihr Arbeitgeber, eine Tatsache, die Susanna nie vergaß, vor allem nicht, wenn sie an ihr erstes Treffen dachte. Sie nahm an, dass sie sich glücklich schätzen konnte, dass er sie nicht umgehend vor die Tür gesetzt hatte. Sie hatte ihn beleidigt. Hatte ihn einen Lügner genannt. Einen Betrüger. Jedes Mal, wenn er sie ansah, spiegelte sich die Erinnerung daran in seinem Blick wider … sie fühlte die Anklage darin wie einen lästigen Kieselstein, der sich in ihrem Schuh verfangen hatte.

Schrecklicher Mann hin oder her, sie verdiente ihren Lebensunterhalt in seinen Diensten. Das war ihr Los. Sie musste ihm zuhören, ihm gehorchen, jede seiner Launen klaglos ertragen, sonst würde sie ersetzt werden. Das war der Lauf der Dinge. Es gab kein Entrinnen. Kein Entkommen, um nicht wie eine Vagabundin auf der Suche nach Heim und Herd umherzuirren, so fragil wie eine Blume im Wind. Frei jeglicher Pflichten zu sein, bedeutete nicht Freiheit. Nicht in dem Sinne, nach dem alle strebten. Das wusste sie sehr genau.

Jetzt stand sie vor ihm, mit einem ehrerbietigen Lächeln auf dem Gesicht, nickte und erinnerte sich daran, dass sie dankbar sein sollte, noch immer hier sein zu dürfen.

Sie hatte das Glück, ein Dach über dem Kopf, ein bequemes Bett und jeden Tag eine warme Mahlzeit auf dem Teller zu haben. Außerdem erhielt sie einen ordentlichen Lohn. Und sie hatte das Glück, im Besitz ihres guten Namens zu sein, was, wie man weiß, für eine Frau in dieser Zeit alles bedeutete. Vor allem für eine Frau wie Susanna, die ihn einst fast verloren hatte.

Dem Duke of Penning zu dienen war ein geringer Preis für all das. Eine Frau mit bescheidenen Möglichkeiten und aus prekären Verhältnissen stammend sollte sich stets darüber bewusst sein, dass es auch schlimmer hätte sein können.

Der Duke hatte um dieses Gespräch gebeten und sie über seinen Kammerdiener, den jungen Mr. Carter, zu sich bestellt, dessen sanfter, mitleidiger Blick sie warnte, dass sie nichts Erfreuliches zu erwarten hatte.

Und so war es auch.

Penning bestätigte ihr die Befürchtung sofort: Eine Hausparty sollte in Penning Hall veranstaltet werden.

Eine Hausparty.

Sofort ging sie im Kopf durch, was alles zur Vorbereitung getan werden musste. Und es musste viel getan werden. Natürlich musste alles den hohen Ansprüchen des Dukes genügen. Es würde ein herausforderndes Unterfangen werden.

„Am fünften Tag wird es einen Ball geben …“ Während er ihr Anweisungen erteilte, hob er nicht den Blick, den er auf ein Haushaltsbuch gerichtet hielt, in das er in einer Rage hineinkritzelte, als hätte er es sehr eilig … oder wäre sehr wütend.

Er wirkte immer wütend oder zumindest geplagt … belastet. Sein chronischer Unmut störte sie zunehmend. Seit er in Penning Hall angekommen war, betrachtete er sein neues Reich und alles darin mit einem Ausdruck, der an Verachtung grenzte. Sie konnte diese Verachtung nicht nachvollziehen. Was für eine große Unannehmlichkeit, ein Herzogtum zu erben! All das Geld und der Besitz und das hohe Ansehen. So eine schlimme Bürde!

Sie schaffte es gerade so, nicht die Augen zu verdrehen und klatschte betont munter in die Hände. „Einen Ball, Euer Gnaden?“ Da sah er auf, und sie wünschte sich, er hätte es nicht getan. Oder vielmehr, sie hätte nichts gesagt und seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Seine blauen Augen waren so eisig wie der Wind, der draußen über das Anwesen wehte.

Es wäre ihr lieber gewesen, wenn er sie weiterhin so gut wie ignoriert hätte. Das war natürlich ein Ding der Unmöglichkeit, denn sie war seine Haushälterin und musste sich täglich um den Mann kümmern. Seit seiner Ankunft auf Penning Hall waren gerade einmal zwei Monate vergangen, und sie kämpfte immer noch mit diesen … mit diesen Augen, mit diesem ständigen Ausdruck von Verachtung darin … mit ihm.

Er war nicht wie der vorherige Duke, der den Penning-Titel getragen hatte. Oder besser gesagt, den Dukes. In den elf Jahren, die sie auf Penning Hall verbracht hatte, waren es insgesamt drei gewesen. Nun ja. In gewisser Weise waren es drei gewesen. Einer von ihnen hatte sich ja schließlich als Schwindler entpuppt. Allerdings wäre ihr der Schwindler lieber gewesen als der Duke, der sie jetzt anschaute, als wäre sie ein lästiges Insekt. Einiges hätte sie dafür gegeben, einen von ihnen anstelle dieses Dukes und seiner verurteilenden Blicke und seiner bissigen Haltung als Dienstherrn zu haben.

Hochmütig zog er eine dunkle Augenbraue hoch. Er mochte neu in dieser Rolle sein, aber er beherrschte das arrogante Auftreten eines Blaublütlers perfekt. Es war, als hätte ihn die Vorsehung so erschaffen, weil sie wusste, dass er für diese Rolle bestimmt war. So wie er blaue Augen und dunkles Haar hatte und sehr gut aussah, so hatte er auch das in sich … die Fähigkeit, ein eingebildeter Arsch zu sein.

„Einen Ball, ja, Miss Lockhart. So nennt man es, wenn Menschen zum Essen, Trinken und Tanzen zusammenkommen.“

Eingebildeter Arsch.

Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.

Sie errötete. „Ja, Euer Gnaden. Ich bin mir dessen bewusst.“

„Das ist auch gut so, denn Sie sind meine Haushälterin, Miss Lockhart. Zumindest im Moment noch …“

Zumindest im Moment noch.

Sie knetete sich die Finger, bis die Knöchel weiß hervortraten. Es war offenkundig, was das bedeutete. „J-ja … Euer Gnaden.“ Sie wusste nicht, was sie noch hätte sagen sollen. Mehr war nicht nötig. Wie es sich eben für Dienstboten gehörte. Sie sollten nur nicken und gehorchen. Sie sollten pflichtschuldig ihre Aufgaben erfüllen und unsichtbar sein, bis sie zum Sprechen aufgefordert wurden.

„Soweit ich weiß, hat mein falscher Vorgänger einen Ball für das gesamte Dorf Shropshire veranstaltet.“ Er hielt inne, und es schien, dass der Ausdruck in seinen Augen einen Hauch von Vorwurf enthielt, als er sie ansah. Als wäre sie irgendwie dafür verantwortlich, dass sich vor seiner Ankunft ein anderer Mann, ein geschickter Scharlatan, ein vollendeter Betrüger, als der Duke of Penning ausgegeben hatte. „Ich sollte nicht weniger tun, nehme ich an“, fügte er kurz und bündig hinzu.

„Ja, Euer Gnaden.“

Er zwinkerte ihr noch einmal mit seinem eisigen Blick zu, wohl um ihr auf diese Weise mitzuteilen, dass sie entlassen sei, und wandte sich dann wieder seinen Aufzeichnungen zu, als würde ihr Anblick ihn langweilen.

Sie wollte sich gerade abwenden, da ergriff er erneut das Wort und fragte etwas barsch: „Können Sie mehr als vage Plattitüden anbieten, Miss Lockhart? Dies wird ein wichtiges Ereignis, und ich brauche Ihre Zusicherung, dass Sie es bewältigen werden.“

Bewältigen? Das war es, was sie als Haushälterin der Pennings tat. Die ganze Zeit, seit vielen Jahren. Jeden Tag. Verschiedenste Anforderungen gleichzeitig und mit gebotener Sorgfalt erfolgreich zu bewältigen war ihr einzigartiges Talent.

Sie presste die Lippen zusammen, der Ärger kribbelte in ihr. Der Mann mochte sie offensichtlich nicht, und sie konnte das nachvollziehen, denn sie empfand dasselbe für ihn. Nicht, dass sie es je gewagt hätte, ihn das wissen zu lassen. So leichtsinnig war sie nicht. Nicht nach ihrem wenig glorreichen Anfang. Sie wusste, dass sie dankbar sein sollte, dass er sie nach diesem furchtbaren Start nicht auf der Stelle entlassen hatte.

Sie brauchte diese Arbeit.

Sie war fest entschlossen, ihm klarzumachen, dass sie höchst kompetent und daher unentbehrlich war. „Ich werde mich noch heute Nachmittag mit der Köchin treffen, ein Menü zusammenstellen und es Ihnen morgen vorlegen …“

„Heute Abend“, korrigierte er, während er etwas in sein Buch schrieb und sie nicht einmal anschaute. „Bevor ich mich heute Abend zurückziehe, werden wir das Menü durchgehen. Nur das Beste, wohlgemerkt. Scheuen Sie keine Kosten. Wir erwarten einige wichtige Leute, die eigens aus London kommen.“

Noch wichtiger als er? Sie glaubte nicht, dass dieser arrogante Duke jemanden über sich duldete. Außer vielleicht einen König oder eine Königin.

Sie atmete vorsichtig ein und behielt ihr Lächeln bei. „Sehr gut, Euer Gnaden. Heute Abend also.“ Sie nickte. „Ich versichere Ihnen, dass alles einwandfrei sein wird.“

„Das hoffe ich, Miss Lockhart.“

Die Worte an sich waren harmlos, aber sie klangen in ihren Ohren wie eine Drohung.

„Wie viele Gäste sind geladen?“

Er reichte ihr ein Blatt von seinem Schreibtisch. „Hier ist die Gästeliste.“

Sie warf einen kurzen Blick darauf und entdeckte die Namen mehrerer hochrangiger Persönlichkeiten. Er hatte nicht übertrieben. Wichtige Leute, in der Tat. Es würde ein Fest sein, an dem nur die bedeutendsten Vertreter der Gesellschaft teilnehmen würden. Einige der Namen waren ihr bekannt. Die junge Lady Miranda war ständig in den Klatschblättern, bekannt für ihre Schönheit und ihren Charme. Und die Dowager Countess of Lippton war eine der einflussreichsten Personen des ton. Sie musste im allerbesten Zimmer untergebracht werden.

Er wies mit dem Kinn auf die Liste in ihrer Hand. „Ich bin sicher, Sie verstehen, warum die Feierlichkeiten reibungslos ablaufen müssen.“

„Ja. Das wird es, Euer Gnaden“, versprach sie.

Er war eindeutig auf der Suche nach einer Braut. Man konnte nicht unter diesem Dach leben, ohne eine Duchess an seiner Seite zu haben.

Vielleicht war er sogar auf der Suche nach Ehemännern für seine jüngeren Schwestern. Die Mädchen waren volljährig, und es gab auch einige junge Herren auf der Liste.

Oder vielleicht würde die Frau, mit der er sich vermählte, seine Schwestern für ihn in die Gesellschaft einführen und für die Mädchen passende Partner finden. Eine anständige Frau, die sich im ton auskannte, würde ihm bei diesem Unterfangen sicherlich gern helfen.

„Ich werde Sie an dieses Versprechen erinnern, Miss Lockhart.“ Und damit war er mit ihr fertig. Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Buch vor ihm zu und entließ sie damit. „Ich sehe Sie später.“

„Guten Tag, Euer Gnaden.“ Sie machte einen kurzen Knicks, den er gar nicht zu würdigen wusste, denn seine Aufmerksamkeit blieb auf seinen Schreibtisch gerichtet.

Sie warf ihm einen Blick zurück zu, als sie den Raum verließ. Er sah sie immer noch nicht an, und sein Desinteresse beleidigte und erleichterte sie zugleich. Dieser Widerspruch beunruhigte sie ein wenig.

Als sie die Doppeltür hinter sich schloss, stieß sie einen schweren Atemzug aus. Der Mann jedoch war eindeutig. Er ist eindeutig garstig, aber das sind die meisten Dukes, dachte sie. Ihr Problem war, dass sie Erwartungen hegte. Erwartungen, die sie hatte, weil die vorherigen Dukes durchaus angenehme und charmante Herren gewesen waren.

Der Duke, unter dem sie die meiste Zeit ihrer Amtszeit in Penning Hall gearbeitet hatte, hieß nun Mr. Butler. Ein so durch und durch gewöhnlicher Name für einen Mann, der mit all dem Pomp und den Privilegien eines Adligen aufgewachsen war.

Leider hatte man festgestellt, dass er unehelich zur Welt gekommen war, geboren, bevor sein verstorbener Vater seine Mutter hatte heiraten können. Er hatte alles verloren: seinen Titel und alles, was damit verbunden war. Nach seinem Auszug hatte die Jagd auf den nächsten Duke of Penning begonnen.

Die Abgesandten der Krone glaubten, ihn gefunden zu haben, aber es stellte sich heraus, dass dieser Mann ein Scharlatan war, der sich nur als Duke of Penning ausgegeben hatte, und zwar mit seinem Sohn im Schlepptau. Die beiden hatten alle zum Narren gehalten.

Betrüger hin oder her, sie waren absolut freundliche Gentlemen gewesen, und Susanna war froh gewesen, ihnen zu dienen. Das wiederum hätte sie misstrauisch machen müssen. Angenehme und liebenswürdige Männer konnten keine Dukes sein. Ganz bestimmt nicht.

Nein, der große Trottel, der hinter ihr in seinem Arbeitszimmer saß, war der Duke – wie er in jener regennassen Nacht verkündet hatte, nachdem er sie beinahe mit seinem Pferd zu Tode getrampelt hätte.

Der verdammte Duke of Penning. Und sie war seine Haushälterin.

Sie schluckte gegen den Kloß an, der sich ihr plötzlich in der Kehle gebildet hatte. Zumindest im Moment noch.

2. KAPITEL

Die Haushälterin musste gehen. Seine Haushälterin. Das war der Haken an der Sache.

Lucian hatte in dem Moment, als er sie auf dem regennassen Hügel erblickte, gewusst, dass es Ärger geben würde, dass sie ein Problem darstellen würde.

Er hatte einen Instinkt für solche Dinge. Und der ließ ihn nie im Stich. In seinem Nacken kribbelte es. Er spürte Schwierigkeiten, bevor sie auftauchten, und Susanna Lockhart war genau das. Sie war durch und durch eigensinnig und stur. Sie mochte eine Hausangestellte sein, aber sie hatte nichts Unterwürfiges oder Sanftmütiges an sich. Ihre bernsteinfarbenen Augen funkelten vor Rebellentum.

Oh, ja. Sie musste gehen.

Seit dem Tod seines Vaters folgte er nur seiner Intuition. Sein Bauchgefühl leitete ihn und sagte ihm, wann er sich aus einer Situation befreien musste. Nur so hatte er all die Jahre überlebt und für seine Schwestern sorgen können. Er hatte sicherlich Fehler gemacht, aber er war immerhin noch nicht gestorben, in der Gosse oder im Gefängnis gelandet. Drei Dinge, die in seinem früheren Leben durchaus möglich gewesen wären. Jetzt würde das niemand von ihm vermuten – schließlich war er ja jetzt ein Duke.

Er hatte es geschafft, sich und seine Schwestern zu ernähren und ihnen ein Dach über dem Kopf zu bieten. Es mochte ihm ein gutes Schicksal widerfahren sein, das ihn aus seiner entbehrungsreichen Existenz emporhob, aber sein Überlebenswille war geblieben, und er war jetzt in höchster Alarmbereitschaft. Alles in ihm sagte ihm, dass Susanna Lockhart jemand war, den er aus diesem neuen Leben, das er für sich und seine Schwestern aufbaute, so schnell wie möglich entfernen musste.

Vielleicht in meinem alten Leben …

Nein, nein. Hastig schüttelte er den Kopf. Es hatte keinen Sinn, darüber nachzudenken, ob er Miss Lockhart in seinem früheren Leben vielleicht sogar reizvoll gefunden hätte. Die Vergangenheit war vergangen. Was in seinem alten Leben hätte sein können, spielte keine Rolle mehr.

Dieses Leben war vorbei.

Nur dieses neue Leben war von Bedeutung.

Dieses neue Leben mit Susanna Lockhart als seiner Haushälterin. Aber dies würde nicht für lange so bleiben, dafür würde er sorgen. Sie hatte nicht das Geringste an Ehrerbietung an sich. Oh, sie sagte all die richtigen Dinge. Anständige und respektvolle Worte kamen ihr in einem fort über die Lippen, aber er sah darüber hinaus. Er sah die glitzernde Verachtung in ihren Augen. Er erkannte das sofort. Er kannte die Wahrheit. Er kannte die Realität zwischen ihnen – die Realität, die in dem Regen und dem Schlamm da gewesen war, als der Donner über ihnen grollte und ihm der Körper schmerzte, weil er sich beinahe das Genick gebrochen hatte.

Sie sah ihn so, wie er war. Und sie fand, dass er seiner neuen Rolle als Duke of Penning nicht gerecht wurde. Es war, als könnte sie bis in sein Innerstes sehen.

Er war ein Betrüger, und sie wusste es.

Oh, er war der rechtmäßige Duke of Penning. Sein verstorbener Vater war ein entfernter Cousin des letzten echten Duke of Penning gewesen, und diese schwache Verbindung machte ihn zum jetzigen Duke of Penning.

Der echte Duke of Penning.

Er war aber in anderer Hinsicht ein Betrüger. Vielleicht im wahrsten Sinne des Wortes.

Er hatte es nicht verdient, der Duke of Penning zu sein. Er war kein guter Mensch. Es gab nichts Nobles an ihm. Er war besudelt. Unwürdig.

Die Dinge, die er gesehen und getan hatte …

Er empfand nicht einmal die Reue, die er eigentlich hätte empfinden sollen. Er wünschte, er könnte zurückblicken und sich für all das hassen, was er getan hatte. So hätte er sich fühlen müssen. Das war vielleicht die größte Schande daran. Aber die Reue war schwer herzustellen. Tatsächlich war es so, dass er die Ausschweifungen manchmal sogar vermisste. Er hatte darin geschwelgt. Er war gut darin gewesen.

Als Junge von siebzehn Jahren, als er zum ersten Mal diese dunkle Welt des Lasters betreten hatte, war es aus der Not heraus geschehen. Er hatte keine Wahl gehabt. Nicht, wenn es ums Überleben ging. Er hatte allerdings nicht gewusst, dass er so gut darin sein würde. Dass er sich damit wohlfühlen würde.

Er war so lange unter den Haien geschwommen, dass er selbst einer geworden war.

Ein guter Mann sollte die Schlechtigkeit und das Laster bedauern. Nur allein, im Dunkel der Nacht, in seinem Bett, in der Stille um ihn herum … sehnte er sich nach der Sünde. Er sehnte sich nach willigem Fleisch und süßer, ungetrübter Erlösung. Die Art, die man im Bett einer anständigen jungen Dame nicht findet.

Offensichtlich war er kein guter Mann.

Er atmete scharf ein, stieß sich von seinem Schreibtisch ab, stand auf und blickte auf den beeindruckenden Garten hinunter: die üppigen Blumenbeete, die Zitronenbäume, die Rosensträucher, das verschlungene Labyrinth der Eibenhecken dahinter. Mehrere Gärtner waren zwischen den Sträuchern am Werk und sorgten dafür, dass die Anlage auch weiterhin beeindruckend blieb.

Dieser Ort gehörte ihm. Unglaublich. Das ganze Anwesen. Er würde es nicht versauen. Und wenn das bedeutete, sich selbst zu überlisten, das Wesen seiner selbst zu verdrängen und all seine unheiligen Impulse in eine Kiste zu sperren, dann sollte es so sein.

Keiner kannte die Wahrheit über seine Vergangenheit.

Niemand kannte den schlechten, verdorbenen Kern, der tief in ihm verborgen war. Nicht einmal seine Haushälterin mit ihrem allzu scharfen Blick. Trotz ihres urteilenden Blicks wusste sie es nicht. Oh, sie spürte vielleicht, dass etwas mit ihm nicht stimmte, aber das war nur ein Verdacht. Sie konnte es nicht mit Sicherheit wissen. Und sie würde es auch nie wissen. Sein wahres Wesen, das sich in ihrer Gegenwart fast zu enträtseln drohte, würde er sorgfältig unter Verschluss halten.

Miss Lockhart war seine Haushälterin. Ein Mitglied seines höherrangigen Personals, aber dennoch eine Bedienstete. Sie arbeitete für ihn. Er sollte überhaupt nichts für sie empfinden. Er sollte ihr eigensinniges Kinn nicht faszinierend finden. Er sollte ihren verächtlichen Blick nicht herausfordernd finden, der ihm in den letzten Wochen alle möglichen unpassenden Fantasien eingab und sie zu einer nicht gerade idealen Haushälterin machte.

Solche Gedanken würde zu nichts Gutem führen.

Vielleicht wäre es anders zwischen ihnen, wenn sie sich nicht als Gegner gegenübergestanden hätten. Dann wäre es vielleicht möglich gewesen, einen ausgesucht höflichen Umgang miteinander zu pflegen.

Statt dieser Spannung, die zwischen ihnen pulsierte.

Es sollte ihm egal sein, ob sie ihn für unwürdig hielt, ein Herzogtum zu besitzen. Ihre Meinung zählte nicht. Er war der verdammte Duke.

Und doch war es ihm nicht egal.

Es war ihm nicht egal, was seine hochmütige kleine Haushälterin in ihren farblosen Kleidern von ihm dachte.

Es war eine unhaltbare Situation. Er hätte sie eigentlich schon längst entlassen und durch eine andere Haushälterin ersetzen sollen. Eine, die alt genug war, um seine Großmutter zu sein. Jemand, dessen volle Lippen keine unheiligen Bilder hervorrief.

Es war verwirrend. Wer hatte je von einer Frau wie ihr gehört, die einen so großen Haushalt wie Penning Hall führte? Er schnaubte. Was hatte sich der frühere rechtmäßige Duke of Penning dabei gedacht, eine so hohe und wichtige Position mit einer so jungen Frau zu besetzen? Der alte Mann war eindeutig nicht mehr bei Verstand gewesen. Das würde auch seinen Versuch erklären, der Welt seinen Bastard als legitimen Erben zu verkaufen.

Natürlich wäre das alles kein Problem, wenn Lucian ein anderer Mensch gewesen wäre. Ein Adliger, der sich nicht darum scherte, was seine Haushälterin von ihm dachte. Oder ein Adeliger, der nicht zögerte, seinen Impulsen zu folgen.

Er wusste, dass es solche Männer gab. Arrogante Adlige, die sich nahmen, was sie wollten und wen sie wollten, einschließlich hübscher Haushälterinnen. Nichts würde diese Männer davon abhalten, eines ihrer Dienstmädchen in die Enge zu treiben, sie von hinten zu packen und ihre Röcke hochzuziehen, um sie eben mal zu nehmen. Er aber war nicht so ein Mann.

Lucian war … nun, er war niemand, der sich über jemanden erhob, der in einer weniger privilegierten Position war als er selbst. Er hatte in seinem eigenen Leben genug zu kämpfen gehabt. Er würde nicht wissentlich jemand anderem Leid zufügen.

Mit einer Hand umklammerte er den Fensterrahmen, starrte auf das Gelände hinunter und sah doch nichts.

Er musste sie gehen lassen. Natürlich würde er ihr ein ordentliches Empfehlungsschreiben mitgeben. Damit sie sich ohne größere Schwierigkeiten eine neue Stelle besorgen konnte. Er war nicht so ein Schuft, dass er sie entlassen und perspektivlos hinauswerfen würde. Vielleicht könnte er sich sogar darum bemühen, ihr eine Stelle zu verschaffen, damit sie bereits eine Aussicht hatte, wenn er sie vor die Tür setzte. Sein Gewissen verlangte, dafür Sorge zu tragen.

Entschlossen trat er vom Fenster zurück und läutete nach seinem Kammerdiener. Er würde Carter mit dieser Aufgabe betrauen. Dieser gute Mann konnte sich um ihre Entlassung und die Einstellung einer neuen Haushälterin kümmern.

Sein Kammerdiener war inzwischen für ihn unentbehrlich geworden. Carter war noch recht jung und überaus klug. Ehrgeizig. Er hatte Lucian bei der Eingewöhnung in seine neue Position sehr geholfen.

Lucian wusste, dass er sich mehr auf ihn stützte, als man sich üblicherweise auf einen Kammerdiener stützte, aber er war ein wenig unsicher in seiner plötzlichen Rolle als Adliger, und Carter hatte bereits dem vorherigen Duke als Kammerdiener gedient … Er kannte die Gewohnheiten eines Adligen gut und bewahrte Lucian an den meisten Tagen davor, wie ein Narr dazustehen.

Lucian würde den Lohn des Mannes erhöhen müssen. Vielleicht würde er ihn zum Sekretär befördern. Er nickte entschlossen. In der Tat, darüber sollte er nachdenken. Vor allem, wenn er Carter die unangenehme Aufgabe aufbürdete, Mitarbeiter zu entlassen. Er zog noch einmal an der Klingelschnur und kehrte an seinen Schreibtisch zurück. Carter würde die Angelegenheit regeln. Mit etwas Glück würde er bis zum Ende der Woche eine neue Haushälterin haben – eine, die ihn nicht provozierte und keine unpassenden Fantasien in ihm heraufbeschwor.

3. KAPITEL

„Erwägen Sie, jemanden zu ermorden, Miss Lockhart?“

Susanna zuckte erschrocken von der Tür zum Arbeitszimmer ihres Dienstherrn zurück. Sie war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie Miss Ross gar nicht bemerkt hatte, die über den Flur auf sie zukam. „Miss Ross“, sagte sie mit einer, wie sie hoffte, ruhigen Stimme. „Was meinen Sie?“ Sie warf einen Blick über die Schulter zu der Tür des Raums, in dem der Duke sich aufhielt. Sie konnte ihn zwar nicht sehen, aber sie stellte sich vor, dass er immer noch an seinem Schreibtisch saß und gut aussehend wie immer die Liste seiner Opfer durchging … äh, potenziellen Bräute.

Sie wollte glauben, dass es für ihn schwierig werden würde, eine geeignete Frau zu finden. Dass keine Frau ihn haben wollte, aber das würde natürlich nicht der Fall sein. Das Gegenteil wäre leider der Fall. Er würde sehr begehrt sein. Umworben. Geradezu verfolgt. Jede Society-Mama würde ihn mit ihren heiratsfähigen Töchtern förmlich zuschütten.

Das war die Ungerechtigkeit des Lebens. Schöne Menschen bekamen in der Regel, was sie wollten. Und dann war er auch noch ein Duke. Eine Laune des Schicksals, die ihn begehrenswerter machte als fast jeden anderen auf dem Planeten.

„Kommen Sie schon.“ Miss Ross schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. „Ich weiß, dass mein Bruder eine Herausforderung sein kann.“

Eine Herausforderung? Er ist ein Arsch.

„Oh, nein! G…ganz und gar nicht, Miss Ross“, stammelte sie und hoffte, dass sie ihre wahren Gefühle nicht preisgab.

Die junge Frau ging schon lange nicht mehr zur Schule, war aber immer noch jünger als Susanna. Wie Susanna war sie unverheiratet. Doch im Gegensatz zu Susanna war es unwahrscheinlich, dass sie es bleiben würde.

Jetzt, da Mathilda Ross die Schwester eines Dukes war, würde sie sich vor Verehrern kaum retten können. Mit ihrer Schönheit und ihrer großzügigen Mitgift würde sie sich wahrscheinlich bis zum Ende der Saison einen Lord geangelt haben. Sie würde sich einen Ehemann aussuchen können. Die beiden Ross-Schwestern würden wahrscheinlich nicht mehr lange hier sein. Sie würden bald einen eigenen Haushalt führen. Junge, attraktive Schwestern von Dukes wurden keine alten Jungfern.

Miss Ross war eine Augenweide in ihrem reizenden Tageskleid in Veilchenblau. Im Gegensatz zu ihrem dunkelhaarigen Bruder war sie blond, und ihre dicken Locken glänzten wie gesponnenes Gold.

Ihr Kleid war recht schlicht geschnitten und aus edlem Musselin gefertigt. Susanna hatte in ihrem ganzen Leben noch nie etwas so Schönes besessen. Sie hatte ein bescheidenes Leben in einem kleinen Fischerdorf namens Kennaughly auf der Isle of Man geführt. Ihre Mutter hatte in der Küche einer Adelsfamilie gearbeitet – wenn sie nicht gerade ihrem Ehemann zur Seite gestanden hatte, der Fischer gewesen war. Die adlige Familie kam aus England und hielt sich nur die Hälfte des Jahres auf der Insel auf. Wenn sie nicht dort als Küchenmädchen arbeitete, verbrachte Mama den Rest ihrer Zeit auf den Docks, auf dem Boot oder zu Hause mit dem Nähen und Reparieren von Netzen.

Als Mama hörte, wie sich die Hausherrin darüber beklagte, dass ihre junge Tochter Gesellschaft brauchte, empfahl Susannas Mutter kurzerhand ihre eigene Tochter für diese Stelle. Susanna war zu einem aufregenden Vorstellungsgespräch in das große Haus gebeten worden. Sie erinnerte sich noch gut an diesen Tag. Sie hatte voller Ehrfurcht vor der eleganten englischen Dame gestanden. Susanna war erst elf Jahre alt und befand sich auf einmal in dem elegant eingerichteten Haus, das sie bislang nur aus der Ferne betrachtet hatte, und rang nervös die Hände, als sie von dieser Dame mit der milchblassen Haut und Händen, die so zart und frisch wie die eines Neugeborenen aussahen, kritisch beäugt wurde.

Mrs. Davies gefiel zwar Susannas dürftiges Englisch und ihre zu dünne Statur nicht, aber sie hielt Susanna für sauber und ehrlich. Sie stellte Susanna auf der Stelle ein.

Schon bald fand sich Susanna in einer seltsamen neuen Welt voller Manieren und feiner Kleidung wieder und einem Überfluss an Essen – jeden Tag Tee und Scones! So viele, wie ihr Herz begehrte. Rasch nahm sie zu, und ihre Wangen bekamen eine gesunde Farbe, sehr zur Zufriedenheit von Mrs. Davies.

Ihre Welt wurde schnell größer, als sie begann, an der Seite der frühreifen Ruth Unterricht zu bekommen, die sich nach einer Freundin sehnte und Susanna von ganzem Herzen willkommen hieß. Mrs. Davies bestand darauf, dass Susanna an der Seite ihrer Tochter unterrichtet wurde, damit Ruth sich nicht so allein fühlte. Aus keinem anderen Grund konnte Susanna heute wie eine richtige Engländerin sprechen. Es war Ruth und ihrer Gouvernante zu verdanken, dass sie überhaupt richtig Englisch sprechen konnte und nicht ausschließlich Manx, die Sprache, die sie seit ihrem ersten Wort gesprochen hatte.

Sie hatte nicht nur Englisch gelernt, sondern auch ein paar Brocken Französisch und Latein. Außerdem hatten sie sich mit Rechnen, Literatur und Naturwissenschaften befasst. Die Gouvernante hegte eine besondere Vorliebe für die Klassiker, und Susanna hatte alles in sich aufgesogen, diese Liebe geteilt, sich in Geschichten von Theseus und Aphrodite und Persephone und Zeus und all den anderen griechischen Göttern verloren, in der Dramatik, den Kämpfen und Marotten der Figuren geschwelgt, die ihr so real vorkamen, und dabei die Bildung genossen, die sie im normalen Leben niemals erhalten hätte. 

Da sie in diesem Haushalt aufgewachsen war, hatte Susanna schon viele hübsche Kleider gesehen. Aber auch Ruth hatte nie so etwas Feines wie das Kleid von Miss Ross getragen. In ihrer Zeit auf Penning Hall, zuerst als Dienstmädchen und später als Haushälterin, hatte sie zwar unzählige edle Kleider gesehen, aber nie ein solches Prachtexemplar. Sie bewunderte sie mit heimlicher Sehnsucht in ihrem Herzen, wohl wissend, dass sie selbst nie eines tragen würde. Niemals feine Seide auf ihrer Haut spüren würde.

Es war eine törichte Sehnsucht. Es war töricht von ihr, etwas so Albernes zu wollen wie ein hübsches Kleid.

Ihr Leben war gut. Es hätte so viel schlimmer sein können. Die Sache, die sie aus Kennaughly vertrieben hatte, hätte sie bis hierher verfolgen können.

Sie blickte schnell an sich hinunter und zuckte zusammen. Sie trug ein anständiges blaues Wollkleid, und es war mehr als ausreichend. Es war eines von fünf Kleidern, die sie besaß. Neben diesem dunkelblauen (ihrem Lieblingskleid) besaß sie noch ein graues und drei weitere in verschiedenen Brauntönen. Dies waren die Farben ihres Lebens. Keine Muster oder Stickereien. Keine Seide oder Musselin. Alles angemessen.

„Kommen Sie. Jetzt, da wir uns in Penning Hall eingelebt haben, müssen wir nicht mehr so förmlich sein. Nennen Sie mich Mathilda. Oder Mattie, wie es meine Freunde tun.“

Susanna konnte nicht anders – sie musste zugeben, dass anders als ihr Bruder dieses Mädchen nicht für die Rolle der hochmütigen und überlegenen Aristokratin geschaffen war.

Miss Ross fuhr fort: „Und Sie? Wie ist Ihr Name, Miss Lockhart?“

Sie zögerte nur einen Augenblick. Wenn Miss Ross sie mit ihrem Vornamen ansprechen wollte, dann war das ihr gutes Recht. Immerhin war sie die Schwester des Dukes und Susanna nur eine Bedienstete des Hauses. Sie konnte sie nennen, wie sie wollte. „Susanna.“

Miss Ross verzog die Lippen zu einem Lächeln. „Susanna. Das ist reizend. Es passt zu Ihnen.“ Ihr Blick huschte zu den Türen des Arbeitszimmers, und sie machte einen Schmollmund. „Ist mein Bruder wie immer ein Tyrann?“

„Äh … I…“ Ja.

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